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Fünftes Capitel.
Durch die Provinz Südaustralien

Am 12. September setzte sich die Karawane in Bewegung. Die Witterung war schön, die Hitze nicht groß, denn einige leichte Wolken milderten die Gluth der Sonnenstrahlen. Unter dem 31. Breitegrade und in dieser Jahreszeit stieg die Hitze im Innern des Landes schon an, und die Forschungsreisenden wissen nur allzu gut, wie furchtbar sie wird, wenn weder Regen noch Schatten sie in diesen Ebenen mildern.

Es war nur zu bedauern, daß Mrs. Branican die Reise nicht fünf oder sechs Monate früher antreten konnte, denn während des Winters wäre sie viel erträglicher gewesen. Wenn auch das Thermometer in dieser Jahreszeit manchmal bis zum Gefrierpunkt sinkt, so ist doch die Kälte weniger zu fürchten als die Hitze, welche die Quecksilbersäule im Schatten bis über vierzig Grad treibt. Vor dem Monat Mai lösen sich die Dünste in reichliche Regengüsse auf, wodurch sich die Cisternen füllen, so daß man nicht tagelang reisen muß, ohne auf Wasser zu stoßen. Die Wüste Australiens ist gegen die Karawanen grausamer als die Sahara, denn letztere hat doch Oasen.

Aber Mrs. Branican hatte weder in der Zeit, noch in der Richtung eine Wahl. Sie brach auf, weil sie aufbrechen mußte, sie wollte diesen furchtbaren Strapazen trotzen, weil sie ihnen trotzen mußte. Den Capitän John aufzufinden, ihn den Eingebornen zu entreißen, das verlangte keinen Aufschub, und sollte sie dabei zu Grunde gehen.

Die Karawane, die seit der Ankunft Godfreys aus einundvierzig Personen bestand, marschirte in folgender Weise. An der Spitze die fünfzehn Eingebornen. bekleidet mit einer Hose und einer Jacke, auf dem Kopfe einen Strohhut, die Füße nach ihrer Gewohnheit nackt. Sie waren mit einem Gewehre, einem Revolver und einem Schwerte bewaffnet und bildeten die Avantgarde unter dem Befehle eines Weißen, der selbst wieder Kundschafter war. Hinter ihnen zogen zwei Pferde einen Buggy, worin Mrs. Branican und ihre Dienerin Platz genommen hatten. Ein Segeltuch, das weggenommen werden konnte, schützte sie gegen Regen und Sturm. In einem zweiten Buggy saßen Zach Fren und Godfrey. Wenn auch jener zuerst nicht sehr erfreut war über die Ankunft des Burschen, so schloß er doch bald Freundschaft mit ihm, da er für Mrs. Branican so große Anhänglichkeit bewies. Hierauf kamen die vier Ochsenwagen, an den Seiten und rückwärts befanden sich die Männer des Tom Marix, die ganz wie ihr Befehlshaber gekleidet waren. Sie hatten dunkle Hosen, hohe Stiefeln, um die Taille einen Gürtel, auf dem Kopfe einen weißen Leinenhelm, und um den Oberkörper einen gerollten leichten Kautschukrock; bewaffnet waren sie wie die Eingebornen. Diese Leute waren zu Pferd und recognoscirten entweder den Weg oder sahen sich nach einem Lagerplatz für die Nacht um.

Auf solche Weise legte die Karawane täglich zwölf bis dreizehn englische Meilen zurück, manchmal durch dichte Wälder, wo die Wagen nur langsam vorwärts kamen. Abends übernahm Tom Marix die Bewachung des Lagers, und bei Sonnenaufgang brach man wieder auf.

Die Strecke zwischen Farina und Alice-Spring – ungefähr fünfhundertachtzig Kilometer oder dreihundertfünfzig Meilen – bot weder ernste Gefahren noch große Anstrengungen, und würde wahrscheinlich etwa dreißig Tage beanspruchen. Da man nun hierauf die Karawane angesichts der Wüste mit Kameelen ergänzen mußte, so würde man vor dem ersten Drittel des Monats October nicht weiter kommen.

Als die Expedition Farina verließ, zog sie mehrere hundert Meilen dem neuen Eisenbahnbau entlang; dann fuhr sie neben der Telegraphenlinie weiter. Da Tom Marix neben dem Wagen der Mrs. Branican ritt, fragte sie ihn über diese Linie.

»Sie wurde im Jahre 1870, erwiderte Tom Marix, sechzehn Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung von Südaustralien, beschlossen und sollte vom Süden bis zum Norden des Continents, zwischen Port Adelaide und Port Darwin, reichen. Die Arbeiten wurden so rasch in die Hand genommen, daß die Linie im Jahre 1872 fertig war.

– Mußte man zu diesem Zwecke nicht den ganzen Continent in dieser Richtung untersuchen?

– Gewiß, und zwar verdanken wir diese Leistung einem unserer größten Forschungsreisenden, Stuart, der von 1860 bis 1861 diesen Weg genommen hat.

– Wer ist der Erbauer dieser Linie?

– Ein ebenso kühner wie tüchtiger Ingenieur Namens Todd, der Generalpostmeister von Adelaide, einer unserer Mitbürger, den Australien verehrt, wie er es auch verdient

– Hat er hier das nothwendige Material gefunden?

– Nein, Mistreß, erwiderte Tom Marix, er mußte die Isolatoren und die Drähte von Europa bringen lassen. Jetzt wäre freilich die Colonie im Stande, Alles für jedes beliebige industrielle Unternehmen zu liefern.

– Haben denn die Eingebornen diese Anlagen nicht zu zerstören versucht?

– Sie thaten im Anfange noch mehr. Sie vernichteten nämlich das Material, und so kamen denn auf einer Strecke von eintausendachthundertfünfzig Meilen fortwährende Kämpfe vor, die zuletzt doch lästig fielen und das ganze Unternehmen gefährdeten. Da kam denn Todd auf eine wahrhaft geniale Idee. Nachdem er sich einiger Häuptlinge bemächtigt hatte, ließ er ihnen mehrere heftige elektrische Schläge zukommen, worüber sie so entsetzt waren, daß ihre Kameraden nicht mehr wagten, sich den Arbeitern und dem Material zu nähern. So konnte die Linie vollendet werden und fungirt jetzt ganz regelmäßig.

– Wird sie nicht von der Polizei bewacht? fragte Mrs. Branican.

– Von der Polizei nicht, wohl aber durch Schwarze, die im Dienste der Gesellschaft stehen.

– Kommt diese Privatpolizei nie in die mittleren und östlichen Landestheile?

– Nie oder wenigstens sehr selten, Mistreß, da es so viel in den bewohnten Districten zu thun giebt.

– Wieso ist es denn Niemand eingefallen, diese schwarze Polizei den Indas auf die Spur zu schicken, als man erfuhr, daß der Capitän Branican von ihnen gefangen gehalten würde ... und das seit fünfzehn Jahren?

– Sie vergessen, Mistreß, daß weder wir noch Sie etwas davon wußten und es erst nach der Auffindung Harry Felton's bekannt wurde!

– Das ist richtig, erwiderte Dolly, seit einigen Wochen!

– Ich weiß übrigens, fuhr Tom Marix fort, daß die schwarze Polizei den Befehl erhalten hat, die Gegenden von Tasman- oder Dampierland zu durchstreifen, und daß eine starke Abtheilung dahin gesendet werden soll; aber ich fürchte ...«

Tom Marix hielt inne. Mrs. Branican bemerkte nicht sein Zögern.

So sicher wie Tom Marix seine übernommenen Pflichten bis zu Ende führen wollte, sah er doch keinen Erfolg von der ganzen Expedition, denn er wußte, wie schwer diese Nomadenvölker zu erreichen sind. Auch konnte er weder das blinde Vertrauen der Mrs. Branican, noch die Ueberzeugung Zach Fren's, noch die Zuversicht Godfreys theilen: doch wollte er, das müssen wir nochmals wiederholen, seine Pflicht thun.

Am 15. September lagerte die Karawane bei dem Dorfe Boorloo, wo die telegraphische Linie fast in rechtem Winkel gegen Westen abbiegt. In der Entfernung von ungefähr zwölf Meilen übersetzt sie den Cabanna, was wohl den ehernen Fäden auf den Pfählen ein leichtes war, nicht aber einer Karawane. Man mußte daher eine Furt suchen, die der junge Matrose schnell entdeckte, indem er kühn in den reißenden Fluß sprang.

Am 20. September kam die Karawane nach Emerald-Spring, nachdem sie oft Wälder mit Bäumen in einer Höhe von zweihundert Fuß durchzogen hatte. So sehr Dolly an den Reichthum der Wälder von Californien aus gewohnt war, so hätte sie doch diese großartige Vegetation bewundern müssen, wenn ihre Gedanken nicht immer in jener Einöde gewesen wären, wo die sandige Düne kaum einiges magere Gestrüpp hervorbringt.

Tom Marix kannte das Land sehr gut, und Mrs. Branican hätte keinen besseren Führer finden können, der sich mit so viel Eifer und Einsicht der Sache widmete.

Tom Marix fand aber auch in dem jungen Godfrey eine kräftige und entschlossene Stütze und er mußte sich oft über den Eifer dieses vierzehnjährigen Knaben wundern. Godfrey erklärte, wenn es nothwendig wäre, so wolle er allein in das Innere vordringen. Kräftig für sein Alter, abgehärtet durch das Seemannsleben, war er oft der Karawane voraus, so daß man ihn manchmal gar nicht sah. Blieb er auf seinem Platze, so geschah es nur auf den ausdrücklichen Befehl Dollys. Weder Zach Fren noch Tom Marix würden bei ihm das erreicht haben, was sie nur durch einen Blick erlangte. Wenn dieser nicht ihr Sohn wäre, so sollte er es, wenn nicht nach den Gesetzen der Natur, wenigstens durch Adoption werden. Godfrey sollte sie nie mehr verlassen ... und John würde auch die Liebe theilen, die sie für dieses Kind fühlte.

Eines Tages blieb er sehr lange abwesend, denn er war der Karawane schon einige Meilen voraus.

»Mein Kind, sagte sie zu ihm, Du mußt mir versprechen, Dich nicht mehr ohne meine Einwilligung zu entfernen. Wenn ich Dich fortgehen sehe, bin ich unruhig, bis Du wieder da bist. Du läßt uns immer stundenlang ohne jede Nachricht.

– Mrs. Dolly, erwiderte er, ich muß doch recognosciren ... Man hatte einen Nomadenstamm signalisirt, der am Warmercreek lagere ... Ich wollte den Häuptling besuchen und ihn fragen ...

– Was hat er gesagt? fragte Dolly.

– Er hatte von einem Weißen sprechen hören, der von Westen kam und die Richtung gegen Queensland einschlug.

– Wer war dieser Mann?

– Ich verstand schließlich, daß es sich um Harry Felton handelte, und nicht um den Capitän Branican. Aber wir werden ihn doch finden ... ja, wir werden ihn finden ... Ach, Mrs. Dolly, ich liebe ihn wie Sie ihn lieben, Sie, die Sie für mich eine Mutter sind.

– Eine Mutter ... sagte Mrs. Branican.

Am folgenden Tage brachen sie beide frühzeitig auf.

– Doch ich kenne Sie, während ich ihn, den Capitän John, nie gesehen habe ... Und ohne diese Photographie, die Sie mir gegeben haben ... die ich immer bei mir trage ... zu der ich spreche ... die mir zu antworten scheint ...

– Du wirst ihn eines Tages kennen lernen, mein Kind, erwiderte Dolly, und er wird Dich ebenso lieb haben wie ich.«

Am 24. September machte die Karawane bei William-Spring, zweiundvierzig Meilen nördlich von Emerald, Halt.

Zach Fren öffnete die Thür und prallte überrascht zurück.

Am 29. September verließ sie die Station Umbum und zwei Tage darauf erreichte sie die Station The-Peak, die erst unlängst für den Telegraphendienst gegründet worden war.

Beim Aufbruche von hier bekam die Karawane einen Vorgeschmack von den Strapazen, welche ihr der Durchzug der Wüste Australiens bereiten sollte. Sie mußte über einen sehr trockenen Boden bis zu den Ufern des Macumbaflusses ziehen, dann über diesen, und hierauf begann ein nicht weniger beschwerlicher Marsch bis zu der Station Lady-Charlotte.

Auf diesen ungeheuren Ebenen, wo nur hier und da einige Baumgruppen standen, war immer noch Wild genug, wenn dies der richtige Ausdruck ist. Da sprang eine kleinere Art Känguruhs, die sogenannten Wallabis, in mächtigen Sätzen dahin, dort bemerkte man einige Casuare mit ihrem herausfordernden und stolzen Blick, gleich dem des Adlers. Diese Vögel haben aber das vor ihrem Könige voraus, daß sie ein fettes und nahrhaftes Fleisch, gleich dem des Rindes, liefern. Tom Marix machte seine Gefährten aufmerksam, daß die hohlen Gummibäume gewöhnlich von Bären als Schlupfwinkel benutzt würden, und sie hatten auch bald Gelegenheit, einen derselben zu tödten.

Von den Eingebornen wurde die Karawane bisher noch gar nicht belästigt, denn diese haben nördlich, östlich und westlich von der Telegraphenlinie ihre Lager.

Je weiter sie in diese Gegenden, die immer trockener wurden, vordrangen, desto mehr konnte Tom Marix den Instinct der Ochsen, welche das Gepäck zogen, benutzen. Es scheint, daß sich dieser Instinct in der Rasse seit ihrer Importirung nach Australien entwickelt hat, und daß sich diese Thiere immer zu den Gewässern hinwenden, wo sie ihren Durst löschen können. Sie täuschen sich selten, und die Leute brauchen ihnen nur zu folgen, was unter Umständen sehr werthvoll ist.

Am 7. October blieben die Ochsen des vordersten Wagens plötzlich stehen, was auch die anderen Gespanne sofort thaten. Die Führer trieben sie vergebens an, und es gelang ihnen nicht, sie nur einen Schritt weiter vorwärts zu bringen.

Tom Marix, der sofort davon in Kenntniß gesetzt wurde, ritt zu dem Wagen der Mrs. Branican hin.

»Ich weiß, was das ist, sagte er; wenn wir noch keinen Eingebornen auf unserer Route begegnet sind, so kreuzen wir jetzt einen Pfad, den sie gewöhnlich benutzen, und da unsere Ochsen ihre Spuren riechen, so weigern sie sich weiterzugehen.

– Warum mag das sein? fragte Dolly.

– Den Grund kennt man nicht genau. Aber es ist wahrscheinlich, daß die ersten Ochsen, die in Australien importirt wurden, von den Eingebornen so mißhandelt wurden, daß sie sich dies nicht nur merkten, sondern auch auf die späteren Generationen vererbten.«

Mag nun diese Erklärung richtig sein oder nicht, man brachte die Ochsen nicht dazu, ihren Weg weiter fortzusetzen. Man mußte sie ausspannen, sie umdrehen und mit Peitschenhieben zwingen, zwanzig Schritte nach rückwärts zu machen. Auf solche Weise überschritten sie den Pfad, und als sie wieder eingespannt wurden, setzten sie den Weg ruhig fort.

Als die Karawane die Ufer das Flusses Macumba erreichte, konnte jeder derselben, Mensch wie Thier, seinen Durst löschen.

Am 10. October machten sie in der Station Lady-Charlotte Halt, nachdem sie dreihundertzwanzig Meilen von Farina aus zurückgelegt hatten. Sie befanden sich jetzt an der Grenze zwischen Südaustralien und Alexandra-Land, das von Stuart im Jahre 1860 erforscht wurde.


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