Theodor Volbehr
König Bob, der Elefant
Theodor Volbehr

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Der Tag der Vergeltung

Über die Kronen der Urwaldbäume fuhr der erste lichte Schein des Morgens. In den Tiefen war noch schwarze Nacht. Da klang durch die Stille ein mächtiger Ton. Erst scharf und schneidend wie der Wutschrei eines Raubtieres, dann prasselnd wie ein Donnerschlag. Entsetzt schreckte der eine und der andere der schlafenden Neger auf. Da kam noch einmal der gleiche Ton und dann noch einmal. Und das Mark zitterte den Schwarzen in den Knochen.

Dann aber war alles still. Und wie sie auch lauschten, sie hörten keinen Laut rund um die Lichtung. Da fielen ihnen die schweren Augenlider wieder zu, und sie schnarchten weiter mit allen ihren Gefährten.

Im Walde und auf den Grasfeldern aber ward es lebendig. Jedes der Tiere hatte Bobs Kriegsruf gehört, und leise und eilig schlichen die Pinselschweine und die Büffel, die Riedböcke und die Meerkatzen zum Stelldichein.

Und wieder geschah es wie damals vor dem Überfall der Raubtiere.

Auf einem weiten Felde ordneten sich die Heerscharen. Bob stand hoch und stolz aufgereckt vor der Front. Und als alles sich an seinen Plätzen eingefunden hatte und die Vögel wie eine dichte Wolke über den Tieren kreisten, da sprach König Bob zu seinem Volk, weithin schallte seine eherne Stimme.

»Jahre des Friedens sind dem Kriegszug gefolgt, der uns zu Herren unserer schönen Insel gemacht hat. Und ich glaubte, es würde nie wieder nötig sein, den Kriegsruf zu blasen. Aber seit gestern ist wieder ein Feind auf unserer Insel. Und dieser Feind ist schlimmer als alle Raubtiere zusammen. Listiger ist er und blutdürstiger, wißt ihr noch, was ich euch nach der Königswahl von meiner Gefangenschaft erzählt habe? Nun, die mich damals gefangen hielten, die sind jetzt in unser Land eingefallen. Auf der Waldlichtung haben sie schon Gruben gegraben, um uns alle zu fangen, zu töten oder ins Elend zu schleppen. Auf gegen diesen ärgsten aller Feinde! Und mutig drauf und dran! Wenn wir in hellen Haufen aus dem Walde herausstürzen, dann wird er einen Schrecken kriegen wie damals die Raubtiere, und wenn er sieht, wie wir zu kämpfen wissen, dann wird er es nicht wagen, wieder zurückzukehren.«

»Ah, wir werden sie zu Boden rennen; wir werden sie aufspießen mit unsern Hörnern!« schrie der Häuptling der Schwarzbüffel, »keiner soll lebend davon! Und die Flußpferde sollen die Leiber der Elenden zerstampfen!« – »Ja, das sollen sie!« schrie es aus den aufgeregten Massen.

Da hob Bob den Rüssel hoch in die Höhe, und er rief: »Nein, das sollen sie nicht! Wir wollen unser schönes Land nicht mit dem Blut dieser Neger besudeln. Ins Wasser, in unsern mächtigen Strom wollen wir sie hineinjagen. Da mag jeder sehen, wie er davonkommt. Wiederkommen werden sie nicht, dafür steh ich ein. – Und nun vorwärts! Aber nehmt euch in acht vor den Gräben auf der Waldlichtung!« – Damit wandte sich Bob um und schritt hinein in den Wald. Und wieder folgten ihm die Büffel und die Riedböcke, und zu beiden Seiten drängten die Pinselschweine sich in dichten Reihen und trugen die Meerkatzen durch die dicht gestellten Räume.

Zuerst ging es langsam und vorsichtig weiter. Jeder fühlte, daß die äußerste Stille nötig sei, um den Feind zu überraschen. Dann ging es im kurzen Trabe bis dicht vor die Lichtung. Bob winkte zu halten, schritt allein bis zum Rande vor und spähte aufmerksam über die breite Wiese bis zum Flusse. Richtig, da lagen die Neger! Und keiner rührte sich, wie leicht war's jetzt, sie ganz zu vernichten! Aber nein, er wollte kein Blut vergießen.

Leise schritt er hinaus ins Freie und blickte vorsichtig auf den Boden rings umher. Ah, da! O, wie schlau die Teufel das gemacht hatten! Da unter den dichten Zweigen waren die bösen Löcher, die Knieptang gesehen hatte. Also bis hierher durfte das Heer folgen, aber keinen Schritt weiter, wenn nicht Dutzende in die Tiefe stürzen und ihr Genick brechen sollten. Bob stellte sich dicht vor die Gruben, überblickte die Reihen der Schlafenden, wandte sich dem Walde zu und ließ noch einmal seinen furchtbaren Kriegsruf ertönen.

Die Neger schraken aus dem Schlafe auf und sprangen entsetzt auf die Beine; und im selben Augenblick brach aus dem Walde in wimmelnden Massen das Heer König Bobs.

Die Neger achteten gar nicht auf den Elefanten, der mitten unter ihnen stand! Sie starrten nur wie entgeistert auf die heranstürmenden, auf die berittenen Meerkatzen und auf die Büffel mit dem kreischenden Federbüschel zwischen den Hörnern. Und wie aus einem Munde drang ein Schrei des Entsetzens aus den Kehlen aller Neger, und dann stürmten sie wie wahnsinnig davon. Einige wollten sich in den Fluß stürzen, um das andere Ufer zu gewinnen. Aber in den Fluten wimmelte es von riesigen Flußpferden, die ihre gewaltigen Rachen gierig öffneten, so jagten sie denn alle am Ufer des Flusses entlang in den dichten Wald hinein.

Bobs Rüssel wies die Truppen zur Seite. So machten denn alle eine kurze Schwenkung und sausten glücklich an den Gräben vorbei hinter den Fliehenden her.

Einen Augenblick überlegte Bob, ob er den Seinen folgen und sich wieder an ihre Spitze setzen sollte. Aber nein; hier war seine Gegenwart nötiger, seine Getreuen wußten ja seinen Willen, sie würden von der Verfolgung nicht ablassen, bis der letzte Neger in den schwarzen Strom getrieben war.

Vorsichtig schritt Bob auf eine verdeckte Grube zu, hob mit dem Rüssel einen Zweig nach dem andern fort, bis das ganze finstere Erdloch deutlich zu sehen war, und schritt dann zu einer zweiten solchen Grube. Und so arbeitete er unermüdlich, damit keiner seines Volkes aus Unbedachtsamkeit in einen Abgrund stürzen könne, wenn es im Siegesjubel heimkehrte.

Befriedigt schaute er auf sein Werk; dann schritt er noch einmal an der ganzen Länge des Flusses entlang und betastete Schritt um Schritt den Boden; da hörte er es über sich in den Lüften rauschen. Wie er aufblickte, sah er einen großen Vogel mit schwerem Flügelschlage herabsinken. Und wie er schärfer hinsah, erkannte er den weisen Schuhschnabel, der ihm einst den Weg zu seinem Reiche gezeigt hatte.

Und dann stand Schuhschnabel auf seinen langen Beinen vor Bob, legte den großen Schnabel auf den vorgestreckten Kropf und sah ihn mit seinen klugen Augen wohlgefällig an. Bob pochte das Herz vor Freude. Am liebsten hätte er den Vogel mit seinem Rüssel an sich gedrückt; aber er fürchtete, ihm weh zu tun. So schwenkte er nur voller Jubel den Rüssel und rief: »Willkommen in meinem Reiche, weiser Vogel! Und Dank, ewig Dank dir, daß du mir den rechten Weg gezeigt!«

Gelassen nickte Schuhschnabel, soweit es der gewaltige Kropf zuließ, und sagte: »Daß es der rechte Weg war, Bob, das dankst du dir selbst. Ich habe dir nur von Ferne eine schöne Frucht gezeigt; du aber hast die rechten Schritte getan, um zu ihr zu gelangen, und hast sie mit sicherer Vorsicht gepflückt.«

Bob wollte etwas erwidern, aber Schuhschnabel fuhr schon fort: »Ich habe dein Tun aufmerksam verfolgt all die Jahre, ohne daß du es gemerkt hast. Und wie ich heute gesehen, daß du es sogar verstehst, dich der Neger zu erwehren, da habe ich beschlossen, meine Tage in deinem Reiche zu beenden. Hier finde ich die Ruhe für meine alten Tage, die ich brauche. Und ich kann endlich die Angst vor den Negern loswerden, die mich mein ganzes Leben geplagt hat. Darf ich bei dir bleiben, Bob?«

Bob war so ergriffen von Stolz und Glück, daß er nur sagen konnte: »O, wie dank' ich dir! O, wie dank' ich dir!«

In dem Augenblick hörte man aus dem Walde heraus tausend Stimmen der Freude und dann ein mächtiges Trampeln und Knacken. Und auf die Lichtung hinaus drängten sich die siegreichen Heerscharen. Bob schritt ihnen mit übervollem Herzen entgegen. Und die Büffel und die Riedböcke, die Pinselschweine und die Meerkatzen umringten ihn, die Hornvögel und die Papageien flatterten zu seinen Häupten, und alle schrien und redeten mächtig durcheinander.

Da hob Bob den Rüssel. Und alles schwieg.

»Ich weiß alles, was ihr mir erzählen wollt,« begann Bob, »Ihr wollt mir erzählen, wie ihr den Feind ins Meer geworfen, wie die Zappelnden zu ihren Schwimmbäumen geschwommen sind und wie sie so schnell wie möglich den Fluß hinaufgezogen sind. Ich weiß es. Und ich danke euch herzlich für eure mutige Tat. Jetzt wißt ihr, wie ihr jedem Feinde begegnen könnt. Und sorglos könnt ihr in die Zukunft sehen, wenn ihr einig bleibt. – Nun aber hört! Eine zweite große Freude ist uns heute geworden. Entsinnt ihr euch, daß ich euch von einem weisen Vogel erzählte, der mir den Weg zu dieser Insel gewiesen? Seht, dort steht er! Und er will bei uns bleiben! Ehrt ihn als den Weisesten unter uns und liebt ihn als unsern besten Freund!« Bob trat an die Seite Schuhschnabels, und einer der Häuptlinge nach dem andern trat herzu und verneigte sich tief vor dem weisen Vogel.

Dann sprach König Bob: »Und nun seht dorthin! Das sind die Löcher, die der Feind gegraben hatte, um uns zu verderben. Mit Ästen, Laub und Gras hatte er sie verdeckt, damit wir ahnungslos hineintappen und in die Tiefe stürzen sollten. Nun seid flink: werft die Erde wieder in die Löcher hinein und die Zweige dazu und stampft den Boden wieder fest, daß nichts uns mehr an die Niedertracht der Neger erinnert! Und wenn ihr das getan habt, dann wollen wir den heutigen Tag feiern, wie wir einst den Königstag gefeiert haben.«

Neugierig lief alles zu den Gräben hin, und einer nach dem andern sah mit einem leisen Grausen in die Tiefe und überdachte, wie es hätte werden können, wenn König Bob nicht für sie gesorgt hätte. Und dann begann ein fleißiges Arbeiten.

Bob aber schritt mit dem alten Schuhschnabel langsam auf und ab unter dem Akazienbaum und erzählte von den Knieptangs, von Rackertüg, vom Schimpansen und von all den andern Tieren, die der Schuhschnabel jetzt kennen lernen mußte.

Und da fiel ihm ein, daß die Knieptangs gewiß noch voll Angst in ihrem Neste säßen. Er rief Rackertüg heran und trug ihm auf, den guten Knieptangs zu erzählen, wie gut alles abgelaufen sei, und einmal nach der Wunde des Vaters Knieptang zu sehen. »Und dann geh hinauf zu Bußemann,« sagte Bob, »und erzähle ihm alles. Und meiner Frau sag Bescheid, und ich ließe sie bitten, zur Waldwiese zu kommen.«

*

Als die Schatten der Bäume länger wurden, war das Waldfest schon im schönsten Gange. Der weise Schuhschnabel sah sehr erstaunt und sehr wohlgefällig in all das lustige Treiben hinein. Er hätte nie gedacht, daß Tiere so vergnügt sein könnten. – Der lustigste von allen aber war der kleine Bob. Und seine Mutter war wieder einmal glückselig.

Da erschien am Rande des Waldes der Schimpanse. Ein paar Pinselschweine quiekten hell auf, denn sie dachten zuerst, es sei ein Neger. Aber die Papageien schrien mit gellender Stimme: »Das ist Bußemann, der Schimpanse, der Freund der Vögel!«

Bob wurde aufmerksam. Und als er Bußemann herankommen sah, ging er ihm freundlich entgegen. Als sie einander gegenüberstanden, legte der Schimpanse seine Hand auf die Brust und sagte: »König Bob, du bist mächtiger als die Neger! Jetzt will ich meine Angst vor den Negern aufgeben und meine Einsamkeit. Jetzt will ich nicht mehr freiwillig in den Tod gehen, sondern will dir dienen, wie immer du willst. Laß mich bei dir bleiben, König Bob!« – Bob streckte den Rüssel aus und berührte leicht die Schulter des Schimpansen: »Von Herzen willkommen hier unten, Bußemann!«

Und er schritt mit dem Schimpansen zu dem weisen Schuhschnabel und sagte: »Ihr müßt Freunde werden! Ihr beiden seid die Klügsten in meinem Reich, und ihr müßt mir helfen, mein Volk weise zu regieren!« Dann mischte sich König Bob unter die Menge, blieb bald hier, bald dort stehen, schaute behaglich dem Treiben zu, plauderte und scherzte. Und wohin er kam, da schlugen die Flammen der Freude heller empor. Und die Augen der Tiere folgten ihm, wenn er weiterschritt, mit Stolz und Dankbarkeit.

Als die Nacht endlich herniedersank, da breitete sie ihre Schleier über ein glückliches Land.


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