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5. Der verrostete Ritter

Ein sehr reicher und vornehmer Ritter lebte in Saus und Braus und war stolz und hart gegen die Armen. Deshalb ließ ihn Gott zur Strafe auf der einen Seite verrosten. Der linke Arm verrostete und das linke Bein; ebenso der Leib bis zur Mitte. Nur das Gesicht blieb frei. Da zog der Ritter an die linke Hand einen Handschuh, ließ ihn sich am Handgelenk fest zunähen und legte ihn Tag und Nacht nicht ab, damit niemand sähe, wie sehr er verrostet sei. Darauf ging er in sich und versuchte einen neuen Lebenswandel anzufangen. Er entließ seine alten Freunde und Zechgenossen und nahm sich eine schöne und fromme Frau. Dieselbe hatte wohl manches Schlimme von dem Ritter gehört, aber weil sein Gesicht gut geblieben war, glaubte sie es, wenn sie allein war und darüber nachdachte, nur halb, und wenn er bei ihr war und freundlich mit ihr sprach, gar nicht. Darum nahm sie ihn doch. Nach der Hochzeit aber, in der ersten Nacht merkte sie es, warum er niemals den Handschuh von der linken Hand abzog, und erschrak heftig. Sie ließ sich jedoch nichts merken, sondern sagte am andern Morgen nur zu ihrem Manne, sie wolle in den Wald gehen, um in einer kleinen Kapelle, die dort stand, zu beten. Neben der Kapelle aber befand sich eine Klause, in der lebte ein alter Eremit, der hatte früher lange in Jerusalem gelebt und war so heilig, daß die Leute von weit und breit zu ihm wallfahrteten. Den gedachte sie um Rat zu fragen.

Als sie nun dem Eremiten alles erzählt hatte, ging er in die Kapelle, betete dort lange zur Jungfrau Maria und sagte dann, als er wieder herauskam: »Du kannst deinen Mann noch erlösen, aber es ist schwer. Fängst du es an und bringst es nicht zu Ende, so mußt du selbst auch verrosten. Viel Unrecht hat dein Mann sein Lebtag getan, und stolz und hart gegen die Armen ist er gewesen: willst du für ihn betteln gehen, barfuß und in Lumpen wie das allerärmste Bettlerweib, so lange, bis du hundert Goldgulden erbettelt hast, so ist dein Mann erlöst. Dann nimm ihn an der Hand, gehe mit ihm in die Kirche und lege die hundert Goldgulden in das Kirchbecken für die Armen. Wenn du das tust, so wird Gott deinem Manne seine Sünden vergeben, der Rost wird abgehn, und er wird wieder so weiß werden wie zuvor.«

»Das will ich tun,« sagte die junge Ritterfrau, »und wenn es mir noch so schwer wird, und es noch so lange dauert. Ich will meinen Mann erlösen, denn er ist nur auswendig verrostet, das glaube ich ganz sicher!«

Darauf ging sie fort, tief in den Wald hinein, und nicht lange, so begegnete ihr ein altes Mütterchen, welches Reisig suchte. Es hatte einen zerlumpten, schmutzigen Rock an und darüber einen Mantel, der war aus ebenso vielen Flicken zusammengesetzt, wie weiland das Heilige Römische Reich; was aber die Flicken früher für eine Farbe gehabt, das konnte man kaum mehr sehen, denn Regen und Sonnenschein hatten schon viel Arbeit mit dem Mantel gehabt.

»Willst du mir deinen Rock und deinen Mantel geben, alte Mutter,« sagte die Ritterfrau, »so schenk' ich dir alles Geld, was ich in der Tasche habe, und meine seidnen Kleider noch dazu; denn ich möchte gern arm sein.«

Da sah die alte Frau sie verwundert an und sprach: »Will's schon tun, will's schon tun, mein blankes Töchterchen, wenn's dein Ernst ist. Hab' schon viel gesehen auf der Welt, auch viel Leute gefunden, die gern reich werden wollten, daß aber jemand gern arm werden will, das ist mir noch nicht vorgekommen. Wird dir schlecht schmecken mit deinen seidnen Händchen und deinem süßen Frätzchen!«

Aber die Ritterfrau hatte schon begonnen sich auszuziehen und sah dabei so ernst und so traurig aus, daß die Alte wohl merkte, daß sie keinen Scherz treibe. Sie reichte ihr also Rock und Mantel hin, half ihr sie anlegen und fragte dann: »Was willst du nun tun, mein blankes Töchterchen?«

»Betteln, Mutter!« antwortete die Ritterfrau.

»Betteln? Nun, gräme dich nicht darum, das ist keine Schande. An der Himmelstür wird's auch mancher tun müssen, der's hier unten nicht gelernt hat. – Aber das Bettellied will ich dich erst noch lehren:

»Betteln und lungern.
Dursten und hungern
Immerdar, allezeit
Müssen wir Bettelleut'!

Habt ihr was, schenkt mir was,
Ach nur ein Häppchen!
Brot in den Bettelsack,
Suppe ins Näpfchen! –

Lederne Ranzen,
Röcke mit Fransen
Tragen wir Bettelleut'!
– Was man erbettelt hat,
Wird verjuchheit!«

»Nicht wahr, ein hübsches Lied?« sagte die Alte. Damit warf sie sich die seidnen Kleider um, sprang in den Busch und war bald verschwunden.

Die Ritterfrau aber wanderte durch den Wald, und nach einiger Zeit begegnete ihr ein Bauer, der war ausgegangen, eine Magd zu suchen, denn es war um die Ernte und Leutenot. Da blieb die Ritterfrau stehen, hielt die Hand hin und sagte: »Habt ihr was, schenkt mir was, ach nur ein Häppchen!« Aber die anderen Verse sagte sie nicht, weil sie ihr nicht gefielen. Der Bauer sah sich die Frau an, und da er fand, daß sie trotz ihrer Lumpen schmuck und gesund war, fragte er sie, ob sie nicht bei ihm Magd werden wolle.

»Ich schenke dir zu Ostern einen Kuchen, zu Martini eine Gans und zu Weihnachten einen Taler und ein neues Kleid. Bist du damit zufrieden?«

»Nein,« erwiderte die Ritterfrau, »ich muß betteln gehen, der liebe Gott will es so haben.«

Darüber wurde der Bauer zornig, schimpfte und schmähte und sagte höhnisch: »Der liebe Gott will's so haben? he? Du hast wohl mit ihm zu Mittag gegessen? Was? Linsen mit Bratwürsten, nicht wahr? Oder bist du vielleicht seine Muhme, daß du so genau weißt, was er will? Eine faule Haut bist du. Gut für den Knüttel, zu schlecht für den Büttel!« Darauf ging er seiner Wege, ließ sie stehen und gab ihr nichts. Da merkte die Ritterfrau wohl, daß das Betteln schwer sei.

Sie ging jedoch weiter, und nach abermals einiger Zeit kam sie an eine Stelle, wo die Straße sich teilte und zwei Steine standen. Auf dem einen saß ein Bettler mit einer Krücke. Da sie nun müde geworden war, gedachte sie sich eine kurze Zeit auf den leeren Stein zu setzen, um auszuruhen. Kaum hatte sie jedoch dies getan, als der Bettler mit der Krücke nach ihr schlug und ihr zurief: »Mach, daß du fortkommst, du liederliche Liese! Willst du mir mit deinen Lumpen und deinem zuckersüßen Gesicht die Kundschaft abzwicken? Die Ecke hier habe ich gepachtet. Mach flink, sonst sollst du sehen, was mein Krückholz für ein schöner Fiedelbogen ist und dein Rücken für eine närrische Geige!«

Da seufzte die Ritterfrau, stand auf und ging so weit, als sie die Füße tragen wollten. Endlich kam sie in eine große, fremde Stadt. Hier blieb sie, setzte sich an den Kirchweg und bettelte; und nachts schlief sie auf den Kirchenstufen. So lebte sie tagaus, tagein, und es schenkte ihr der eine einen Pfennig und der andere einen Heller; manche aber auch gaben ihr nichts oder schimpften gar, wie es der Bauer getan hatte. Es ging aber sehr langsam mit den hundert Goldgulden. Denn als sie drei Vierteljahre gebettelt hatte, hatte sie erst einen Gulden erspart. Und genau wie der erste Gulden voll war, gebar sie einen wunderschönen Knaben, den nannte sie » Docherlöst«, weil sie hoffte, daß sie ihren Mann doch noch erlösen würde. Sie riß sich von ihrem Mantel unten einen Streifen ab, eine gute Elle breit, so daß der Mantel nur noch bis an die Knie reichte, wickelte das Kind hinein, nahm es auf den Schoß und bettelte weiter. Und wenn das Kind nicht schlafen wollte, wiegte sie es und sang:

»Schlaf ein auf meinem Schoße,
Du armes Bettelkind,
Dein Vater wohnt im Schlosse –
Und draußen weht der Wind.

Er geht in Samt und Seide,
Trinkt Wein, ißt weißes Brot,
Und säh' er so uns beide.
So härmt' er sich zu Tod.

Er braucht sich nicht zu härmen.
Du liegst ja weich und warm;
Er ist ja noch viel ärmer.
Daß Gott sich sein erbarm'!«

Da blieben oft die Leute stehen und besahen sich die arme junge Bettelfrau mit dem wunderschönen Kinde und schenkten ihr mehr wie früher. Sie aber war getrost und weinte nicht mehr, denn sie wußte, daß sie ihren Mann gewiß erlösen würde, wenn sie nur ausharrte. –

Als aber die Frau nicht wieder zurückkehrte, ward der Ritter auf seinem Schlosse tief betrübt, denn er sagte sich: Sie hat alles gemerkt und dich deshalb verlassen. Er ging zuerst in den Wald zu dem Eremiten, um zu hören, ob sie in der Kapelle gewesen sei und dort gebetet habe. Aber der Eremit war sehr kurz angebunden und streng gegen ihn und sagte: »Hast du nicht in Saus und Braus gelebt? Bist du nicht stolz und hart gegen die Armen gewesen? Hat dich nicht der liebe Gott zur Strafe verrosten lassen? Deine Frau hat ganz recht getan, wenn sie dich verließ. Man muß nicht einen guten und einen faulen Apfel in einen Kasten legen, sonst wird der gute auch faul!«

Da setzte sich der Ritter auf die Erde, nahm den Helm ab und weinte bitterlich.

Als der Eremit dies gewahr wurde, ward er freundlicher und sprach: »Da ich sehe, daß dein Herz noch nicht mitverrostet ist, so will ich dir raten: tue Gutes und gehe in alle Kirchen, so wirst du deine Frau wiederfinden.«

Da verließ der Ritter sein Schloß und ritt in alle Welt. Wo er Arme fand, schenkte er ihnen etwas, und wenn er eine Kirche sah, ging er hinein und betete. Aber seine Frau fand er nicht. So war fast ein Jahr vergangen, da kam er auch in die Stadt, wo seine Frau am Kirchweg saß und bettelte, und sein erster Weg war in die Kirche. Schon von weitem erkannte ihn die Frau, denn er war groß und stattlich und trug einen goldnen Helm mit einer Geierklaue auf dem Knauf, der weithin leuchtete. Da erschrak sie, denn sie hatte erst zwei Goldgulden zusammen, so daß sie ihn noch nicht erlösen konnte. Sie zog sich den Mantel tief über den Kopf, damit er sie nicht erkennen sollte, und kauerte sich so eng zusammen, als sie irgend konnte, damit er nicht ihre schneeweißen Füße sähe; denn der Mantel ging ihr nur bis an die Knie, seit sie den Streifen für das Kind abgerissen hatte. Als aber der Ritter an ihr vorbeischritt, hörte er sie leise schluchzen, und als er ihren zerlumpten und geflickten Mantel sah und das wunderschöne Kind auf ihrem Schoß, welches ebenfalls nur in Lumpen gewickelt war, tat es ihm in der Seele weh. Er trat an sie heran und fragte sie, was ihr fehle. Doch die Frau antwortete nicht und schluchzte nur noch mehr, so sehr sie sich auch Mühe gab, es zu verbeißen. Da zog der Ritter seine Geldtasche hervor, in der viel mehr waren als hundert Goldgulden, legte sie ihr auf den Schoß und sagte: »Ich gebe dir alles, was ich noch habe, und sollte ich mich nach Hause betteln.«

Da fiel der Frau, ohne daß sie es wollte, der Mantel vom Kopf herunter, und der Ritter sah, daß es sein eigenes, angetrautes Eheweib war, der er das Geld geschenkt hatte. Trotz der Lumpen fiel er ihr um den Hals und küßte sie, und als er vernahm, daß das Kind sein Sohn sei, herzte und küßte er es auch. Doch die Frau nahm ihren Mann, den Ritter, an der Hand, führte ihn in die Kirche und legte das Geld auf das Kirchbecken. Dann sagte sie: »Ich wollte dich erlösen, aber du hast dich selbst erlöst.«

Und so war es auch: denn als der Ritter aus der Kirche trat, war der Fluch gehoben und der Rost, der seine ganze linke Seite bedeckte, verschwunden. Er hob seine Frau mit dem Kinde auf sein Pferd, ging selbst zu Fuß daneben und zog mit ihr zurück in sein Schloß, wo er lange Jahre glücklich mit ihr lebte und so viel Gutes tat, daß ihn alle Leute lobten.

Die Bettlerlumpen aber, die seine Frau getragen hatte, hing er in einen kostbaren Schrein, und jeden Morgen, wenn er aufgestanden war, ging er an den Schrein, besah sich die Lumpen und sagte: »Das ist meine Morgenandacht, die nimmt mir der liebe Gott nicht übel, denn er weiß, wie ich's meine, und ich gehe nachher doch noch in die Kirche.«

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