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Der König von Makronien, der sich schon seit einiger Zeit gerade in seinen besten Jahren befand, war eben aufgestanden und saß unangezogen auf dem Stuhl neben dem Bett. Vor ihm stand sein Hausminister und hielt ihm die Strümpfe hin, von denen der eine ein großes Loch an der Ferse hatte. Aber obwohl er den Strumpf mit großer Sorgfalt so gedreht hatte, daß der König das Loch nicht merken sollte, und obschon der König sonst mehr auf hübsche Stiefeln als auf ganze Strümpfe zu achten pflegte, war das Loch dem königlichen Scharfblicke diesmal doch nicht entgangen. Entsetzt nahm er dem Minister den Strumpf aus der Hand, fuhr mit dem Zeigefinger durch das Loch, so daß er bis zum Knöchel herausguckte, und sagte dann seufzend: »Was hilft mir's, daß ich König bin, wenn ich keine Königin habe! Was meinst du, wenn ich mir eine Frau nähme?«
»Majestät,« antwortete der Minister, »das ist ein süblimer Gedanke; ein Gedanke, der gewiß auch mir ganz untertänigst aufgestiegen wäre, wenn ich nicht gefühlt hätte, daß ihn Ew. Majestät jedenfalls heute selbst noch zu äußern geruhen würden!«
»Schön!« erwiderte der König, »aber glaubst du, daß ich so leicht eine Frau finden werde, die für mich paßt?«
»Pah!« sagte der Minister. »Zehn für eine!«
»Vergiß nicht, daß ich große Ansprüche mache. Wenn mir eine Prinzessin gefallen soll, muß sie klug und schön sein! Und dann ist noch ein Punkt, auf den ich ganz besonderes Gewicht lege: du weißt, wie gern ich Pfeffernüsse esse. In meinem ganzen Reiche ist kein einziger Mensch, der sie zu backen versteht, wenigstens richtig zu backen, nicht zu hart und nicht zu weich, sondern gerade knusprig: sie muß durchaus Pfeffernüsse backen können!«
Als der Minister dies hörte, bekam er einen heftigen Schreck. Doch sammelte er sich rasch wieder und entgegnete: »Ein König wie Ew. Majestät werden ohne Zweifel auch eine Prinzessin finden, die Pfeffernüsse zu backen versteht.«
»Nun, dann wollen wir uns zusammen umsehen!« versetzte der König; und noch an demselben Tage begann er in Begleitung des Ministers die Rundreise zu denjenigen seiner verschiedenen Nachbarn, von denen er wußte, daß sie Prinzessinnen zu vergeben hatten. Aber es fanden sich nur drei Prinzessinnen, die gleichzeitig so schön und klug waren, daß sie dem Könige gefielen, und von diesen konnte keine Pfeffernüsse backen.
»Pfeffernüsse kann ich freilich nicht backen,« sagte die erste Prinzessin, als der König sie danach fragte, »aber hübsche, kleine Mandelkuchen. Bist du damit nicht zufrieden?« – »Nein!« erwiderte der König, »es müssen partout Pfeffernüsse sein!«
Die zweite Prinzessin, als er die nämliche Frage an sie richtete, schnalzte mit der Zunge und sagte ärgerlich: »Laßt mich mit Euren Albernheiten zufrieden! Prinzessinnen, welche Pfeffernüsse backen können, gibt es nicht.«
Am schlimmsten ging es aber dem König bei der dritten, obwohl sie die schönste und klügste war. Denn sie ließ ihn gar nicht bis zu seiner Frage kommen, sondern ehe er sie noch hatte tun können, fragte sie selbst, ob er wohl auch das Brummeisen zu spielen verstünde? Und als er dies verneinte, gab sie ihm einen Korb und meinte, es tue ihr herzlich leid. Er gefalle ihr sonst ganz gut; aber sie höre das Brummeisen für ihr Leben gern und habe sich vorgenommen, keinen Mann zu nehmen, der es nicht spielen könne.
Da fuhr der König mit dem Minister wieder nach Haus, und als er aus dem Wagen stieg, sagte er recht niedergeschlagen: »Das wäre also nichts gewesen!«
Aber ein König muß durchaus eine Königin haben, und nach längerer Zeit ließ er daher den Minister noch einmal zu sich kommen und eröffnete ihm, er habe es aufgegeben, eine Frau zu finden, die Pfeffernüsse backen könne, und beschlossen, die Prinzessin zu heiraten, welche sie damals zuerst besucht hätten. »Es ist die, welche die kleinen Mandelkuchen zu backen versteht,« fügte er hinzu. »Gehe hin und frage, ob sie meine Frau werden will.«
Am nächsten Tage kam der Minister zurück und erzählte, daß die Prinzessin nicht mehr zu haben sei. Sie hätte den König aus dem Lande, wo die Kapern wachsen, geheiratet.
»Nun, dann gehe zur zweiten Prinzessin!« Allein der Minister kam auch dieses Mal wieder unverrichteter Dinge nach Hause: Der alte König habe gesagt, er bedaure unendlich, aber seine Tochter sei leider gestorben, und so könne er sie ihm nicht geben.
Da besann sich der König lange; weil er aber durchaus eine Königin haben wollte, so befahl er dem Minister, er solle doch auch noch einmal zur dritten Prinzessin gehen, vielleicht habe sie sich inzwischen anders besonnen. Und der Minister mußte gehorchen, obgleich er sehr wenig Lust verspürte und obschon ihm auch seine Frau sagte, daß es gewiß recht unnütz wäre. Der König aber wartete ängstlich auf seine Rückkunft. Denn er gedachte der Frage wegen des Brummeisens, und die Erinnerung daran war ihm ärgerlich.
Die dritte Prinzessin jedoch empfing den Minister sehr freundlich und sagte zu ihm, eigentlich hätte sie sich ganz bestimmt vorgenommen, nur einen Mann zu nehmen, der das Brummeisen zu spielen verstünde. Aber Träume seien Schäume, und besonders Jugendträume! Sie sähe ein, daß sich ihr Wunsch nicht erfüllen ließe, und da der König ihr sonst sehr gut gefalle, so wolle sie ihn schon zum Manne nehmen.
Da fuhr der Minister zurück, was die Pferde jagen wollten, und der König umarmte ihn und gab ihm den großen Schranzenorden mit Brettern, den Orden am Hals und die Bretter noch höher zu tragen. Bunte Fahnen wurden in der Stadt ausgehangen, Girlanden von einem Haus zum andern quer über die Straßen gezogen und die Hochzeit so herrlich gefeiert, daß die Leute vierzehn Tage von weiter nichts sprachen.
Der König und die junge Königin aber lebten in Lust und Freude ein ganzes Jahr lang. Der König hatte die Pfeffernüsse und die Königin das Brummeisen gänzlich vergessen.
Eines Tages jedoch stand der König früh mit dem falschen Beine zuerst aus dem Bette auf, und alles ging verkehrt. Es regnete den ganzen Tag; der Reichsapfel fiel hin, und das kleine Kreuz, was oben drauf ist, brach ab; dann kam der Hofmaler und brachte die neue Karte vom Königreiche, und als der König sie besah, war das Land rot angestrichen statt blau, wie er befohlen; und endlich, die Königin hatte Kopfschmerzen.
Da geschah es, daß das Ehepaar sich zum ersten Male zankte; warum, wußten sie am anderen Morgen selbst nicht mehr, oder wenn sie es wußten, wollten sie es wenigstens nicht sagen. Kurz, der König war brummig und die Königin schnippisch und behielt stets das letzte Wort. Nachdem sie sich beide lange Zeit hin und her gestritten, zuckte die Königin endlich verächtlich mit den Achseln und sagte: »Ich dächte, du wärest nun endlich still und hörtest auf, alles zu tadeln, was dir vor die Augen kommt! Du selbst kannst ja nicht einmal das Brummeisen spielen.«
Aber kaum war ihr dies noch entschlüpft, als der König ihr schon ins Wort fiel und giftig antwortete: »Und du kannst nicht einmal Pfeffernüsse backen!«
Da blieb die Königin zum ersten Male die Antwort schuldig und wurde ganz still, und beide gingen, ohne weiter ein Wort zu wechseln, auseinander, jedes in seine Stube. Hier setzte sich die Königin in die Sofaecke und weinte und dachte: Was du doch für eine törichte Frau bist! Wo hast du nur deinen Verstand gehabt? Dümmer hättest du es gar nicht anfangen können!
Der König aber ging in seinem Zimmer auf und ab, rieb sich die Hände und sagte: »Es ist doch ein wahres Glück, daß meine Frau keine Pfeffernüsse backen kann! Was hätte ich ihr sonst erwidern sollen, als sie mir vorwarf, daß ich das Brummeisen nicht zu spielen verstünde?!«
Nachdem er dies wenigstens drei- oder viermal wiederholt hatte, wurde er immer vergnügter. Er fing an seine Lieblingsmelodie zu pfeifen, besah sich dann das große Bild der Königin, welches in seinem Zimmer hing, stieg auf einen Stuhl, um mit dem Taschentuch einen Spinnenfaden abzuwischen, der der Königin gerade über die Nase herabhing, und sagte endlich: »Sie hat sich gewiß recht geärgert, die gute, kleine Frau! Ich werde einmal sehen, was sie macht!«
Damit ging er zur Tür hinaus auf den langen Gang, auf welchen alle Zimmer mündeten. Weil aber an diesem Tage alles verkehrt ging, so hatte der Kammerdiener vergessen die Lampen anzuzünden, obgleich es schon acht Uhr abends und stockdunkel war.
Daher streckte der König die Hände vor sich, um sich nicht zu stoßen, und tappte vorsichtig an der Wand hin. Plötzlich fühlte er etwas Weiches. »Wer ist da?« fragte er.
»Ich bin es,« antwortete die Königin.
»Was suchst du, mein Schatz?«
»Ich wollte dich um Verzeihung bitten,« erwiderte die Königin, »weil ich dich so gekränkt habe.«
»Das brauchst du gar nicht!« sagte der König und fiel ihr um den Hals. »Ich habe mehr Schuld als du und längst alles vergessen. Aber, weißt du, zwei Worte wollen wir in unserem Königreiche bei Todesstrafe verbieten lassen, Brummeisen und –«
»Und Pfeffernüsse,« fiel die Königin lachend ein, indem sie sich heimlich noch ein paar Tränen aus den Augen wischte – und damit hat die Geschichte ein Ende.
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