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Das Liebesnest

1

Das »Grand Hotel Luxor« liegt in einem Wald von Dattelpalmen wie ein Tempel in einem Hain. Mit weißen Mauern leuchtet es weit hinaus über die Fruchtgefilde, die hier das Land vom Nil bis zur Arabischen Wüste bedecken: Saatland, Zuckerrohrfelder; und immer wieder Wälder von schlanken, hochragenden Dattelpalmen um armselige braune Fellachendörfer.

Etwas abseits von der vornehmen Fremdenherberge, aber noch in ihrem weiten Gartenpark, befindet sich ein einstöckiges Häuschen mit einer Terrasse. Palmenkronen überschatten es; Palmenstämme entsteigen dem Stein der Terrasse, welche Vorhänge aus grauer Leinwand, mit großen farbigen Figuren und Ornamenten benäht, vor Wind und Sonne schützen: vor dem Winde der Wüste, vor der Sonne Ägyptens.

Das Innere des kleinen Hauses ist hell und heiter, behaglich und heimlich: Salon, Schlafzimmer, Bad und Räume für Dienerschaft. Treten seine Bewohner auf die Terrasse, so blicken sie durch einen Blütenschleier von Rosen, Euphorbien und Hibiskus auf üppige Fruchtbarkeit und nackte gelbe Felsenberge. Die Rosen – es sind stolze La France – blühen in einer Fülle, als sei Luxor ihre Heimat; die Euphorbien haben scharlachrote Blattblumen und scheinen aus einem Märchengefilde auf die Erde verpflanzt; der Hibiskus bildet hohe Hecken, in deren dunklem Laub die schön geformten Kelche wie wundersame Flammen glühen. Ein Eden ist's, unter dessen Himmel ewigen Glanzes von göttlicher Gerechtigkeit wegen nur glückliche Menschen leben sollten ...

»Glückliche Menschen« pflegen denn auch das kleine Haus mit der bunten Terrasse unter den Palmenkronen und Blütenbäumen zu bewohnen; denn es wird nahezu ausschließlich an junge Ehepaare, an Hochzeitsreisende, vermietet. Daher heißt es allgemein »Das Liebesnest«; und niemals scheint ein Scherzname für eine Stätte zutreffender.

Ein »Liebesnest« ist nun freilich ringsum die ganze Welt. In den Rosenbüschen nisten die Singvögel des glückseligen Südens, und die Kronen der Palmen enthalten wahre Kolonien von Liebesnestern; denn Scharen von Turteltauben mit metallisch schimmerndem Gefieder haben sich in den schönen Wipfeln ihre Ehebetten gebaut. Den lieben langen Tag über gibt es um das helle Haus ein Zwitschern und Singen, ein Girren und Gurren verliebter Vogelscharen: so recht die Musik für Pärlein, die in dem Paradiese am Nil ihren Liebestraum träumen.

Der Glücklichen sind von allen Nationen. Sie kommen zu Lande und zu Wasser nach Ägyptens Gartenidyll, dicht neben dem großen Ammonstempel und nahe der gewaltigen Ruinenstätte von Karnak. Einige dieser jungen Eheleutlein sind so verliebt und so selig, daß die fünftausendjährige Vergangenheit, deren Erinnerungen sie umgeben, ihnen nicht das mindeste gilt in einer Gegenwart, die für sie Glück ohne Ende bedeutet. Manche sind so verliebt und so selig, daß, wenn sie auf der Nilterrasse unter den alten dunkellaubigen Lebbachakazien stehen und nach den in Goldglanz strahlenden Felsenbergen der Libyschen Wüste hinübersehen, sie mit dumpfem Staunen in ihren Reisebüchern lesen, jene ganze schimmernde Bergkette sei eine einzige gewaltige Katakombe; nichts als Gräber und Grüfte! Was kümmern sie, die Lebenden, sich um die Toten? Obenein Tote, die vor vielen Jahrtausenden an diesen Stätten gelebt und dort drüben begraben wurden. Vielleicht hatten auch sie geliebt, waren auch sie solche jungen seligen Menschen gewesen. Vielleicht? Seltsam, daß der Mensch sterben konnte, sterben mußte. Nun ja wohl: »einmal« sterben mußte. Sie, die Gegenwärtigen, konnten sich nicht vorstellen, daß es auf dieser Welt voller Wonnen den Tod gab.

Und so verliebt und selig sind manche Bewohner des kleinen weißen Hauses, daß sie dessen Zauber gar nicht merken: tragen sie doch das Paradies in sich. Auf die Liebesmusik, die das Liebesnest umrauscht, lauschen sie aber dennoch. Sie lauschen, sehen sich an und lächeln über die gefiederten Sänger.

Wie können Geschöpfe Gottes so närrisch verliebt sein?

2

Als in dem ägyptischen Frühlingsmonat, dem Februar, die Rosen ihre glanzvollen Wunder webten, die Euphorbien gleich einem blühenden Feuerzauber aufloderten, die Hibiskushecken über und über von brennenden Kelchen flammten und die Turteltauben sich an Gurren kein Genüge tun konnten – gerade um diese wonnige Jahreszeit traf in Luxor ein junges Ehepaar ein, über das unter den Gästen des Grand Hotel viel Flüsterns und Kopfzerbrechens entstand. Selbst die braune Dienerschaft des Hotels, die in ihren langen weißen Gewändern mit breiten hochroten Binden um die Hüften die malerische Staffage zu dem Landschaftsbild des exotischen Gartens abgab und die an die verschiedensten Arten junger Paare gewohnt war, tauschte über die neuen Gäste allerlei leise Bemerkungen aus.

Sie kamen den Nil herauf in einer Dahabije; wollten auf dem Hausboot weiter nach Assuan schiffen; besuchten das Hotel; sahen das kleine weiße Haus, welches zufällig keine verliebten glücklichen Menschen beherbergte; mieteten es auf »unbestimmte« Zeit.

Die Dame brachte eine erstklassige Zofe, der Herr einen perfekten Kammerdiener mit. Beide waren elegante schöne junge Menschen, und »Monsieur François Meunier« mußte sehr reich sein. Sie kamen aus Paris und befanden sich auf der Hochzeitsreise.

»Monsieur François Meunier« ... Der Name klang sehr bürgerlich. Aber gleich in erster Stunde erfuhr das Hotelpersonal durch die Kammerfrau, ihre Herrin entstamme einer der ältesten Adelsfamilien Frankreichs; ja, Madame sei direkt mit dem vertriebenen Königsgeschlecht der Bourbons verwandt. Und dann war sie – »Madame Meunier« geworden.

Jedermann sah der jungen Frau die edle Rasse an. Sie war ganz wundervoll vornehm. Eine englische Hocharistokratin wäre, mit dieser schlanken Erscheinung verglichen, parvenühaft erschienen. Aber ihre Haltung besaß etwas Statuarisches, ihre Miene etwas Steinernes. Das fiel selbst den Eingeborenen auf, den Söhnen der Nubischen Wüste; und selbst diese wunderten sich, wie ein so blutjunges und bildschönes Frauenwesen etwas derartig Starres haben konnte. Noch dazu auf der Hochzeitsreise. Sie war sehr weiß im Gesicht, und kaum, daß sie sprach. Bei allen, die irgendwie mit ihr zu tun bekamen, ja, bei jedem, der sie nur sah, erregte sie eine Empfindung, wie solche nur eine Unglückliche einzuflößen vermag. Aber sie befand sich ja doch auf der Hochzeitsreise und bewohnte mit ihrem jungen Gatten zu Luxor das berühmte Liebesnest, das nur für Glückliche erbaut worden schien.

Mit ihrem jungen Gatten –

Monsieur François Meunier war, wie bereits gesagt, ein auffallend stattlicher Herr, ungemein elegant, äußerst soigniert, im übrigen jedoch – Auch Monsieur war seine Herkunft anzusehen: »Meunier«. Wie kam der schöne Plebejer zu der Vollblutaristokratin, die ihre Haltung einer Königin behauptet hätte, selbst wenn sie eine tief unglückliche, eine unselige Frau gewesen wäre.

Der Kammerdiener von Monsieur war Zoll für Zoll jener Herr, für den es keine Helden gibt, der jedoch weiß, was er sich selbst schuldig ist. Also war der ganze Mann Ehrensache und Diskretion. Das wäre gewiß auch die Kammerfrau gewesen. Aber die leidenschaftliche Provenzalin haßte den Gemahl ihrer angebeteten Herrin, und ihr Haß war stärker als ihre Diskretion. Durch sie wurde daher manches nach und nach ruchbar.

Monsieur Meunier war, was die Welt einen Streber zu nennen pflegt, einen »Snob«. Er war es im Superlativ. War geboren, um ein Snob im gewagtesten Sinne des Wortes zu sein, in des Wortes schlimmstem Sinn. Dieser, sein Snobismus – ernannte ihn höheres »Streben« – war sein Denken bei Tag, sein Träumen bei Nacht, sein Lebensinhalt, sein Menschentum, seine Religion. Der Snob war reich. Da sein Reichtum sehr groß war, so ward er ein sehr großer Snob, der allergrößten einer. Wäre er ein Jünger des Mannes von Nazareth gewesen, so hätte er, seines Snobismus willen, den Messias nicht um dreißig Silberlinge, sondern für eine Dinereinladung bei Pontius Pilatus verraten.

Seines Strebertums so genau bewußt wie seines Plebejertums, kannte er nur ein Lebensziel, nur einen Daseinszweck: aus seiner Sphäre herauszukommen, in eine höhere, eine höchste hinein. Mit erstaunlicher Willenskraft; all sein Sinnen auf das eine gerichtet; vor keinem Hindernis, keiner Demütigung zurückscheuend, selbst Erniedrigung ertragend, die Macht seiner Millionen kennend und benutzend, sie ausbeutend, brachte er es fertig in die ersten Gesellschaftskreise des republikanischen – des aristokratischen Paris zu dringen. Es blieb jedoch eine Erniedrigung; er blieb ein Geduldeter, und er wollte einer der ihren sein.

Er wollte ...

In Monte Carlo geschah es alsdann, im Kasino, am Spieltisch, daß Monsieur Meunier die Bekanntschaft des bourbonischen Grandseigneur machte. Der Mann aus Königsstamm war ein wütender Spieler. Zugleich ein vollkommen Degenerierter. Seine Spielwut machte ihn zu einem Verspieler, und seine Dekadenz ließ ihn schließlich bis zum Verbrecher hinabsinken. Er fälschte Wechsel, wurde als Fälscher entdeckt, wurde angezeigt, sollte verhaftet werden, stand vor Entehrung und Schande, wurde durch die Millionen seines jungen Freundes gerettet. Als Dank verkaufte der große Herr jenem seine einzige Tochter, ein Edelgeschöpf, das alle Eigenschaften eines wahren Königtums in sich bewahrt hatte.

Ein Kauf war's, ein richtiger Handel, ein Wucher mit Menschenfleisch und einer Menschenseele.

Und jetzt befanden sich Madame und Monsieur auf der Hochzeitsreise, und bewohnten in Luxor das »Liebesnest«.

3

Madame und Monsieur Meunier verkehrten in Luxor mit niemand. Das war natürlich. Junge Eheleute, die auf der Hochzeitsreise bemüht sind, Bekanntschaften zu machen, sollten lieber gleich sich scheiden lassen. Für die Pärlein menschlicher Turteltauben im Liebesnest bestand gewöhnlich die Menschheit nur aus Zweien: Sie und Er. Also war die völlige Abgeschiedenheit, darin die Neuvermählten aus Paris lebten, durchaus nicht auffällig. Bemerkt wurde nur, wie sie sich gegeneinander abschlossen. Der junge Gatte schien für die junge Gattin überhaupt nicht da zu sein; und Gäste des Hotels beobachteten, daß die Dame stundenlang auf der Terrasse im Liegestuhl lag und unbeweglich in den Glanz des Tages hinausstarrte, über die Blumengluten hinweg auf die schimmernden Wüstenberge. Es war eine Herrlichkeit ohne gleichen, die sie jedoch nicht zu sehen schien. Wenigstens verriet keine Miene, daß ihre weit offenen, unverwandt in die Ferne gerichteten Augen auch sahen, was vor ihnen lag.

Stundenlang befand sich Monsieur auf der Terrasse Madame gegenüber. Auch er sah nicht das Paradies, das hier die Welt war. Die Tochter des Pairs blickte er an: beständig sie, nichts andres als sie. Es war ein Blick, als beobachtete ein Raubtier die Beute, auf die er sich im geeigneten Augenblick stürzen würde. Auf diesen Augenblick schien er zu warten, stundenlang, tagelang. Noch kam der rechte Augenblick nicht. Doch die Bestie konnte warten; konnte beobachten, belauern: einmal mußte der günstige Augenblick kommen und dann –

Bisweilen begab es sich, daß Monsieur seinen Wachposten plötzlich verließ, bleichen Gesichts, zuckenden Mundes. Es war nichts geschehen, als daß die Dame ihren Blick von der Landschaft langsam abgewandt und ihn angeschaut hatte, seine Hände, nur seine Hände. Ihr Blick auf seine wohlgepflegten Hände machte den Mann jedesmal schier sinnlos vor Wut.

Die Mahlzeiten nahmen die Herrschaften in ihrem Hause ein. Die Nubier brachten die Speisen und der Perfekte servierte. Monsieur sprach viel und laut; Madame saß daneben, als hörte sie kein Wort. Nach dem Lunch hielt vor der Nilterrasse der Wagen. Der dekorativste Dragoman von ganz Luxor saß neben dem schwarzen sudanesischen Kutscher. Die Herrschaften fuhren aus, zur Tempelstadt von Karnak. Immer wieder zur Tempelstadt! Monsieur fand es unsäglich langweilig, immer wieder durch das weite wüste Trümmerfeld zu gehen; Madame jedoch zeigte wenigstens einen Schatten von Teilnahme für die zerstörte Herrlichkeit einer Welt, deren Menschen Giganten gewesen sein mußten. Denn nur ein Geschlecht von Riesen konnte solche Felsmassen übereinander gewälzt, solche turmhohen Säulen und Obelisken errichtet, solche Kolosse von Statuen, Pharaonen und Götter, gebildet haben; und allein Titanen waren imstande gewesen, solche Welt in Trümmer zu schlagen.

In Wahrheit hatten Sklaven sie geschaffen, Heerscharen von Sklaven; und Heerscharen wütender Feinde hatten sie zerstört. Christen waren die rasendsten Zertrümmerer gewesen. Nur der Fanatismus einer ihre Feinde tödlich hassenden Religion konnte diese Untat vollbringen.

Der in kostbare bunte Stoffe drapierte syrische Dragoman »erklärte« den Herrschaften die Rätselwelt an Wänden und Säulen – so viel davon übrig geblieben. Es waren die Gestalten von Göttern und Göttinnen, von Pharaonen und besiegten Völkerschaften, war in Stein gegrabene Weltgeschichte in Hieroglyphenschrift: Königsnamen und Königstaten; nichts andres als Königsnamen und Königstaten. Nur solche schienen auf Erden dagewesen und für die Ewigkeit in diesen Riesenarchiven, die Tempelmauern waren, niedergelegt worden zu sein. Und alle diese durch ihre Allmacht wahnsinnig gewordenen Herrscher verkehrten einzig und allein mit Göttern, denen sie mit geheimnisvollen Gebärden zuraunten, Opfer darbrachten und mit welchen sie Zwiesprache hielten, als den Einzigen ihnen Ebenbürtigen ...

Monsieur dachte während solcher Wanderungen und Erzählungen an die Pariser Boulevards, die Pariser Restaurants, Pariser Lebensfreuden, Pariser Kokotten. Aber über das regungslose Antlitz von Madame flog ein Schimmer von Teilnahme – nicht mehr als ein Schimmer. Doch allein dieser Hauch gab den schönen Zügen einen Ausdruck, als belebte sich eine Statue.

Sie hörte die wandelnde Dekoration an ihrer Seite von einer großen Königin, Hatschebsowet-Makere, erzählen; immer wieder von dieser. Diese trug die Krone von Unter- und Oberägypten und führte um ihre Herrschaft über die beiden Königreiche einen Kampf mit ihrem eigenen Gatten, der nicht von ihrem echten Königsblut war. So mächtig sie war, unterlag sie dennoch dem Manne, nachdem sie in Karnak Tempel auf Tempel erbaut und die beiden gewaltigen Obelisken errichtet hatte, von denen der eine durch die Zeiten zu Boden gestreckt ward, wie sie selbst durch ihren Gemahl. Und das bleiche Gesicht der Frau aus königlichem Stamme färbte bei dieser Erzählung des schlauen Syrers eine leise Röte.

Bei jedem Besuche Karnaks ließ sich die Dame zu einem von der Ruinenstätte entfernt liegenden kleinen Heiligtum führen, in dessen Kapelle sich die Bildsäule der Göttin Sechmet befand: aus schwarzem blankem Granit ein lilienschlankes junges Frauenwesen, den Leib von der Anmut einer Psyche, das Haupt grauenvoll. Es war ein Löwenhaupt, dem feinen Hals mit bewundernswürdiger Kunst aufgesetzt, und es hatte einen Ausdruck von solcher Grausamkeit, solcher Erbarmungslosigkeit, daß die Sage, die das Volk über dieses Bildnis sich zuraunte, begreiflich erschien: Nachts sollte das Steinbild herabsteigen und aus dem Tempel schreiten, sollte sich die Göttin in eine Werwölfin verwandeln und auf Raub von Menschen ausgehen, von deren Blut sie sich nährte.

Vor der Statue der Gräßlichen stand die junge Frau und schaute ihr ins Gesicht, welches das eines Raubtieres war mit einem Blick, wie ihn – jener Mensch, ihr Gatte, haben konnte.

In einer Mondscheinnacht besuchten die Neuvermählten wiederum Karnak. Sie erstiegen den großen Pylon am Anfang der Ruinenstadt, dort, wo man vom Nil her durch die Sphinxallee hierhergelangt. Der Glanz, der auf die Tempel und auf das ganze große Gebiet der Palmenwälder vom Himmel herabsank, war Glorienschein. Die Dame trug ein weißes Kleid und schien Körper gewordener Mondstrahl zu sein; in unirdischer Schönheit stand sie auf dem gewaltigen, von den Mondwellen umwogten Eingangstor der Tempelpaläste, und wie eine Erscheinung starrte der Mann sie an, dem sie gehörte.

Da trat er auf sie zu mit schwerem Atem und heißem Blick und gedachte um sein Eigentum seinen Arm zu legen. Sie aber wich vor ihm zurück, als wollte ein Reptil sie berühren. Der Syrer stand daneben, sah ihren Blick und erzählte später, ihn habe bei dem Blick der wunderschönen Frau ein Grauen angewandelt.

Und später erzählte der Mann von jenem kleinen Vorfall in der Mondnacht auf dem großen Pylon des Ammontempels zu Karnak: »Die weiße Frau führt stets einen Revolver bei sich, als müsse sie sich gegen einen Räuber und Mörder verteidigen. Sie trägt das Pistol, wie andre Frauen einen Schmuck tragen. Obgleich sie in dem weißen Kleide aussah wie die Frau des großen Ramses in den Gräbern der Königinnen, so dachte ich bei ihrem Anblick doch: Willst du einmal einen ins Herz treffen, so triffst du diesen ins Herz!«

4

Auch in dieser Mondnacht begab sich Herr Meunier nicht sehr bald in das kleine weiße Haus, das stets bis nach Mitternacht hell erleuchtet war: Frau Meunier pflegte sich erst spät zur Ruhe zu begeben, häufig erst, wenn der Tag graute und ihr Mann bereits in tiefem Schlaf lag.

Der Herr aus Paris ging vor dem Hause, das den zärtlichen Namen führte, auf und ab, als hielte er davor Wache, als wartete, beobachtete, lauerte er.

Der Mond vergoldete Kronen und Stämme der Palmen; streute Schimmer auf Blüten und Blumen, die ihre glühenden Farben behielten, als schiene eine zweite unirdische Sonne. Er ließ sein Licht über das grüne Fruchtland leuchten; verwandelte den schwermütigen Nil in flutenden Opal und die erhabene Tragödie der Felsengräber der Könige in der Libyschen Wüste in ein glänzendes Märchenschauspiel.

Unter den vom Nachtwinde leise bewegten Wipfeln schritt der Ruhelose auf und ab, auf und ab; bewachte, belauerte. Es geschah nicht oft, daß er an Vergangenes dachte, und er gab die Schuld seiner Gedankenflucht der gespenstischen Mondnacht, die in seiner Seele Geister aufsteigen ließ.

Wie das Weib auf dem Pylon von Karnak vor ihm zurückgewichen, vor ihm zurückgeschaudert war! Und sie war doch sein Eigentum, von ihm teuer genug bezahlt. Nicht allein mit Millionen, sondern auch mit Kränkungen, Demütigungen, Erniedrigungen, wie solche schlimmer ein Knecht nicht ertrug. Und jetzt, wo er glaubte, sein Ziel erreicht zu haben, wo das Weib sein war – wenigstens dem Namen nach sein – auch jetzt noch ließ es ihn jeden Tag, jede Stunde empfinden: »Du hast an mir keinen Teil; du gehörst nicht zu uns – wirst niemals Teil an uns haben, niemals zu uns gehören, Plebejer, der du bist; Plebejer, der du bleibst. Jawohl: Plebejer – Plebejer!«

Und wie das Weib war, so waren sie alle, würden sie alle bleiben, diese ganze Rotte von Aristokraten, zu denen er hatte gehören wollen und die ihn zu sich nicht heranließen – nicht um einen einzigen Schritt.

»Plebejer – Plebejer!«

Er glaubte, das Weib vor sich stehen zu sehen mit ihrer infamen Haltung einer Königin, glaubte ihren verächtlichen Blick auf sich zu fühlen: auf seine Hände; glaubte ihre leise kalte Stimme zu hören, mit der sie ihn beschimpfte, ihm das verdammte Wort wie einen Peitschenhieb ins Gesicht warf: »Plebejer – Plebejer!«

Er zuckte zusammen, als hätte ihre schmale Aristokratenhand in Wahrheit einen Schlag nach ihm geführt; hob seine Hand wie zu einem Gegenschlage, diese Hand, die das einzig Unelegante an seiner schönen Person war, eine zwar weiße und sorgfältig gepflegte, aber immerhin eine gemeine Hand, eben die Hand eines Plebejers ...

Das Weib sollte sie zu fühlen bekommen. O, sie sollte! Nur mußte er auf den rechten Augenblick warten. Vielleicht, daß er heute gekommen war – endlich, endlich! – gekommen nach jenem nichtswürdigen Vorfall auf der Tempelterrasse.

Aber daß gerade heute jene Reihe schwankender Gestalten in ihm heraufbeschworen wurde ... Es befanden sich darunter Frauen, in deren Leben seine Hand gegriffen, deren Seelen seine zur Faust geballte Hand einen tödlichen Schlag versetzt hatte; denn sie besaß etwas von der rohen Gewalt eines Bändigers. Nur an dieses eine Weib konnte sie nicht rühren, nicht einmal rühren! Und gerade dieses eine Weib war sein Weib.

Nun wohl! Wenn es denn an sich nicht rühren ließ, so würde er seine Hand zur Faust ballen; würde er seine geballte Hand heben; würde er zuschlagen. Dann würde sie diese verachtete, grob und gemein gefundene Hand an ihrem hoheitsvollen Leibe fühlen.

»Plebejer – Plebejer!«

Fort und fort hörte er sie das Wort sagen, es ihm ins Gesicht schleudern; fort und fort fühlte er auf sich ihren Blick, mit dem sie in dieser Nacht vor ihm zurückgewichen – zurückgeschaudert war.

Was aber war das? Gab es auf Erden etwas wie göttliche Gerechtigkeit, wie Wiedervergeltung?

Gewiß nicht! Die Bösen hatten es auf Erden gut. Am allerbesten hatten sie es. Um es im Leben herrlich zu haben, mußte man sein, wie – er war: Schändlich und schlecht.

Dennoch in der langen Reihe jener Frauengestalten die eine Gestalt. Sie löste sich von den andern, trat auf ihn zu, blieb vor ihm stehen, wollte nicht weichen, hob ein weißes Antlitz auf, einen winkend ausgestreckten Arm, schaute auf ihn aus weit offenen, stummen, toten Augen.

Aus toten Augen –

In den Tod hatte seine Hand sie getrieben. Erst vor ganz kurzem: gleich nach seiner Vermählung. Auf seiner Hochzeitsreise hatte er die Nachricht empfangen: in Kairo, im Savoyhotel, als es das erstemal zum Diner läutete. Er hatte das Telegramm gelesen und – hatte sich von seinem Kammerdiener für das Diner ankleiden lassen: Frack mit weißer Krawatte ...

Also tot war sie, Selbstmörderin war sie geworden ... Diese Frau, die in ihrer Liebe zu ihm eine Dulderin, Märtyrerin, Heilige gewesen war, deren Liebe ihn von allen Sünden hätte erlösen können, um deren Liebe willen ihm alle seine Sünden vergeben worden wären. Und nun war sie tot ...

»Laßt die Toten die Toten begraben!« Er lebte! Er wollte leben! Wollte sein Leben genießen! Und jetzt befand er sich auf der Hochzeitsreise mit dem Weibe, für das er den Kaufpreis erlegt hatte, und das sich trotzdem von ihm nicht anrühren ließ.

Aber sie sollte, sollte!

Ihre leise verächtliche Stimme, ihr sein Gesicht und seine Seele peitschender verächtlicher Blick zwangen ihn dazu. Jenes blasse Frauenwesen hatte er aus seinem Leben verjagen können; und wenn es jetzt mit winkend erhobenem Arm als Mahnerin und Warnerin vor ihm stand, so war das eben ein Trugbild seiner wild erregten Sinne, von diesem widerwärtigen Mondschein ihm vorgegaukelt. Denn eine Gerechtigkeit und Wiedervergeltung gab es nicht, weder auf Erden, noch im Himmel. Keine innere Stimme rief es ihm in dieser Stunde zu; dafür vernahm er beständig eine andre Stimme zu ihm sagen: »Plebejer – Plebejer!«

Die leise verächtliche Stimme trieb ihn von Sinnen; und sie trieb ihn, jagte, hetzte ihn jetzt in das Haus.

 

Als der Tag graute, stand die junge Frau in ihrem weißen Kleid auf der Terrasse. Sie lehnte gegen die Mauer und schien sich nicht rühren zu können. Drinnen aber im »Liebesnest« lag ein blutiger Toter, dessen Herz eine Kugel durchbohrt hatte.

Als die Leute voller Entsetzen zusammenliefen, sagte die regungslose weiße Frau: »Der Mensch wollte mich schlagen. Da schoß ich ihn nieder. Ruft die Polizei.«


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