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Kaiser Hadrian, der Herrliche, unternahm die zweite Reise in seine ägyptische Provinz. Den alternden Imperator begleitete die Kaiserin. Es begleiteten ihn Heerscharen von Beamten, Kriegern, Ingenieuren, Architekten und Künstlern, Gelehrten und Hofpoeten, abgesehen von dem sonstigen Gefolge und der Dienerschaft. Diese bildeten ein Volk für sich.
Ganz Ägypten befand sich in Aufregung. Wäre ein Gott auf die Erde niedergestiegen, so hätte das Fieber, das alle Gemüter ergriffen, nicht heftiger auftreten können. Monatelang, bevor der Fuß des Herrn des Römerreichs, also des Herrn der Welt, bei der goldenen Stadt des großen Alexanders den Boden des ältesten Kulturreichs der Menschheit berührte, begannen die Vorbereitungen. Stürzende Tempel wurden aufgerichtet, verschüttete Pharaonengrüfte aus dem Wüstensande gegraben, in alten Städten Bildsäulen des Kaisers aufgestellt, längs des Nils, von Heliopolis bis hinauf nach Elefantine, der Grenze des schwarzen Nubien, Gefilde von Rosen, Lilien und Sonnenblumen aufgepflanzt.
Denn eine Nilfahrt sollte es werden. Das verriet die kaiserliche Flotte der Nilboote, die in Alexandria neu hergerichtet ward. Ihre Pracht übertraf an Glanz die Schiffe der liebeglühenden Königin Kleopatra, auf denen sie in den Armen des großen Cäsars und des schönen Antonius gelegen. Der Boote waren so viele, daß sie den heiligen Strom der Ägypter meilenweit bedeckten. Die Barke des Kaisers hatte Segel aus Purpurlinnen, und Purpur schleppte auf den Wellen nach. Die schönsten Jünglinge des Landes führten die vergoldeten Ruder, und vergoldet waren die Seile, daran fleckenlos weiße Rinder das schwere Fahrzeug stromaufwärts zogen.
Niemand wußte Ziel und Zweck der Fahrt. Auch die Kaiserin nicht. Der Mutmaßungen waren zahllose, und die Kunst der Hofintrigue brachte es bei dieser Gelegenheit zur Meisterschaft. Trotzdem umhüllte Hadrians zweite Nilreise tiefes Geheimnis.
Einige meinten, der Kaiser wolle es Alexander dem Großen nachtun und eine Wallfahrt durch die Wüste zum Ammonstempel in der Ammonsoase unternehmen. Andre glaubten, der Kaiser suche in der Thebaïs das unbekannte Grab des zweiten Ramses, um dessen Mumie nach Rom zu entführen; eine dritte Meinung lautete, der Imperator habe im Sinn, seinen Tempel auf der Insel Philä in eigener göttlicher Person zu weihen oder sich zu Memphis als Helios ausrufen zu lassen.
Zum Preise eines jeden dieser höchst ungewissen Ereignisse verfaßten die Poeten überschwängliche Hymnen, die Gelehrten tiefsinnige Abhandlungen, die Beamten langatmige Ruhmesreden. Das Nämliche tat jede Stadt am Nil; denn jede Stadt hoffte, Hadrian würde ihr die unsterbliche Ehre seines Besuches erweisen. Es war eine Welt der Schmeichelei und Niedrigkeit, wert, daß ihr Herr sie mit dem Fuß von sich stieß.
Der Kaiser langte in Alexandria an. Jene Ägypter, die ihn auf seiner ersten Nilreise gesehen hatten, erkannten ihn kaum wieder; der Cäsar war in den letzten zehn Jahren ein alter Mann geworden. Müde sah er aus, als begehrte er von der ganzen Welt, die ihm gehörte, nur einige Schollen Erde, um sich darauf zur letzten Ruhe zu betten. Doch hatte der Kaiser noch immer seinen Imperatorblick. Nur daß in den Flammen seines Auges etwas glühte, etwas wie eine ungeheure Verachtung. Eine Verachtung war's, die denjenigen, der sie in seiner Brust trug, über alles Menschliche hoch hinaushob, ihn zum Unmenschen wandeln konnte. Oder auch zum – Gott.
Zu dem Kaiserblick gesellte sich um den welken Mund des einstmals herrlichen Angesichts ein Lächeln, wie es Tiberius um die Lippen gezuckt hatte, als er von seinem Capräa aus über das leuchtende Meer hinweg nach der Richtung schaute, wo Rom lag, jenes Rom, das ihn zum Einsiedler auf einem in Rosengärten verwandelten, mit Tempeln und Palästen geschmückten Felsen gemacht hatte.
Viele, die Hadrians Blick und Lächeln sahen, faßte ein Grauen.
Allein fuhr der Kaiser auf seiner Barke den Nil hinauf. Sabina, die immer noch schöne Kaiserin, erlitt einen Anfall von Raserei, als sie das Gebot ihres Gemahls vernahm: »Ich will allein sein!« Er hatte ihr die Nilreise nicht verwehrt, hatte die gemeinsame Fahrt von Ostia bis Alexandria geduldet, schweigend erduldet, beständig mit diesem Blick, diesem Lächeln, auch der Kaiserin gegenüber mit diesem Blick, diesem Lächeln. Dann aber scheuchte er sie mit einer lässigen Handbewegung von sich, wie man eine Mücke scheucht.
Und jetzt war der Kaiser allein ...
Auf seiner mit Purpur ausgeschlagenen Barke thronte er unter einem Himmel von Purpur, und niemand durfte ihm sich nahen. Die Jünglinge, die das Boot ruderten, saßen, seinen Augen unsichtbar, auf ihren Bänken. Er wollte sie jedoch hören. Also sangen sie, stets die nämlichen Worte, die bereits vor Jahrtausenden die Nilschiffer sangen; stets die nämliche tausendjährige Weise. Eintönig, unsäglich schwermütig, schwebte der Gesang über den Wassern des wunderbaren Stromes, der verdient hätte, göttlich gesprochen zu werden.
Zu beiden Seiten der Ufer, inmitten der Gefilde von Rosen, Lilien und den strahlenden Blumen des Sonnengottes, stand Ägyptens blühende Jugend, bekränzten Hauptes, in bunten Festgewändern. Die Scharen der Geschmückten neigten wehende Palmenblätter vor dem vorüberziehenden Herrn. Es war jedoch das Gebot ergangen, ihre Huldigung unter tiefem Schweigen darzubringen – wie in den Tempeln den Göttern geopfert ward.
Nicht einen Blick warf der Imperator auf die schlanken jungen Gestalten an den Ufern des Stromes, der von dem Widerschein all des Purpurs sich färbte wie bei Sonnenuntergangsgluten.
Regungslos saß Hadrian. Geradeaus blickte er, immer, immer geradeaus. Aber seine Seele wanderte, und sein Auge schaute in sich hinein, tief in sein dunkles Inneres.
Und Kaiser Hadrian schaute die verflossenen Jahre zurück ... Aus Griechenland war er nach Ägypten gekommen und den Nil aufwärts gefahren. Nicht Rom nannte er seine Heimat, sondern Hellas. Er liebte dieses edelste Land unter der Sonne, liebte es so leidenschaftlich, wie ein erhabener Künstlergeist Großes und Göttliches lieben konnte. Das war damals gewesen. Nach seiner ersten Nilfahrt liebte er nichts mehr. Auch nicht die Götter, deren einer er selbst sein sollte; auch die Götter verachtete der Kaiser.
In Hellas baute er Tempel und Theater, Akademien und Gymnasien, Basiliken und Stadien, über ganz Hellas goß er Marmorglanz aus. Seinen Namen schrieb er durch das ganze Land an Triumphpforten und Tempelmauern und bevölkerte es mit seinen Bildsäulen. Schon damals begann es in ihm zu keimen, zu wachsen – die gräßliche Krankheit aller Cäsaren Roms: Cäsarenwahnsinn.
In Delphi war es alsdann geschehen, an der berühmtesten Orakelstätte der Welt, in Delphi war sein Wahnsinn ausgebrochen. Das wußte jedoch nur der Kaiser allein.
Antinous war mit ihm, der Menschen schönster und ihm der liebste der Menschen. Aber auch an ihn glaubte der Imperator nicht mehr, nicht mehr an den Einen und Einzigen, der für ihn Mensch war, ihm zugleich die Menschheit bedeutete, die er schon damals verachtete, wie nur ein Kaiser zu verachten vermochte.
Auch die Götter waren bestechlich. So bestach denn der Kaiser den delphischen Gott, den ewig untrüglichen, ewig strahlenden Apollon Pythion. In dem Tempel, unter dem Gipfel des Parnassos, über dem heiligen Erdspalt, am qualmenden Weihrauchbecken verkündete die Priesterin:
»Cäsar – deinem Leben droht allen Unheils allergrößtes, wenn dein liebster Mensch für dich, o Kaiser, sein Leben nicht läßt.«
Aber der Kaiser lächelte sein böses Lächeln bei dem Orakelspruch, den sein »liebster Mensch« mitanhörte. Solches geschah damals zum erstenmal. Hadrian lächelte, weil auch der Gott sich als käuflich erwiesen hatte und seinem Cäsarenwahnsinn dienstbar gewesen war ...
»Wenn dein liebster Mensch für dich, o Cäsar, sein Leben nicht läßt.«
Er hatte diesen »liebsten« Menschen groß gemacht vor allen andern der Erde. Aus dem Staub hatte er ihn erhoben. Seine Kaiserseele, die unnahbar war, hatte er diesem Menschen zu eigen gegeben, und sprach er zu ihm, so redete er zu sich selbst. Er hätte am liebsten aus den Tempeln die Bildnisse der Götter – aller Götter – entfernen lassen, um statt ihrer in Marmor, Elfenbein und Gold das Abbild dieses einen Menschen aufzurichten. Denn die Götter waren menschliche Lügen, und nur dieser eine Mensch göttliche Wahrheit. Aber jetzt wähnte er sich auch von diesem Einen und Einzigen getäuscht und betrogen. Denn ein Kaiser kann nicht in Wahrheit geliebt werden.
Stumm hatte Antinous den Spruch des Gottes vernommen, stumm war er geblieben. Das war so seine Art. Auch wenn fortan Hadrian in seiner Gegenwart den Spruch des Gottes laut lästerte, verharrte der Jüngling schweigend. Seit dem Tage in Delphi verrichtete er jedoch seine Gebete womöglich noch inbrünstiger, und wenn er den Kaiser betrachtete, so leuchtete etwas Unirdisches, etwas Mystisches in seinen traurigen Augen auf und verklärte die Züge, deren Schönheit auf Erden ihresgleichen nicht hatte.
Von Griechenland kommend, schiffte Hadrian nach Ägypten, den Nil aufwärts. Er wollte nach Theben, wollte in Theben die Memnonssäule erklingen hören. Auch das würde Lüge sein. Wenn der Kaiser die klingende Lüge hörte, sollte sich sein böses Lächeln in ein böses Lachen verwandeln!
Antinous hatte in Delphi jenes Kaiserlächeln gesehen, und er wußte seitdem, das allergrößte Unheil, das den Kaiser treffen konnte, wäre, wenn sein Mund dieses Lächeln behielt ...
Kaiser Hadrian lachte.
Als die Morgenröte das Land der Tbebaïs mit Rosenglut überschwemmte, als das Grabgebirge der alten Könige in zartem Purpur erglänzte, als der Nil zu flutendem Opal ward, stand Kaiser Hadrian mit seinem »liebsten« Menschen vor dem Koloß der Memnonssäule, und das gewaltige Bildnis des zu Stein gewordenen Sohnes der lieblichen Eos, benetzt von den Tränen seiner Mutter, erklang für den Cäsar, und Kaiser Hadrian lachte über die Lüge, die auch dieser aus dem betauten Gestein quellende, zitternde Wehlaut war.
Dreimal erklang damals für Hadrian der Fels, dreimal sprach aus ihm zum Kaiser ein Gott, dreimal wurde das große Wunder mit großen Worten auf das mit Inschriften bedeckte Bein der Statue eingegraben, dreimal lachte der Kaiser sein fürchterliches Hohnlachen.
Antinous hörte den leisen Klageton des Gesteins. Er hörte das gellende Lachen Hadrians, sah in des Imperators Augen den Cäsarenwahnsinn aufglühen, und er wußte: »Jetzt ist es Zeit!«
Von Theben fort schiffte damals Kaiser Hadrian, vorüber an Tempelstätten und tausendjährigen Wüstengräbern, vorüber an Sphinxalleen und Obelisken, vorüber an feierlichen Palmenwäldern und nachtdunkeln Hainen heiliger Sykomoren, vorüber an Ägyptens unterjochten Völkern, die zu beiden Seiten des Stromes sich aufgestellt hatten, um den Imperator zu grüßen, jeden Augenblick bereit, den Fremden als Gott auszurufen und anzubeten, hätte der Herrliche nur gewinkt.
Eine tolle Laune überkam Hadrian. Er ließ auf sämtlichen Schiffen Feste feiern, wie solche der ehrwürdige Nil selbst unter seinen Pharaonen niemals gesehen. Jede Barke ward zu einem Tempel wahnwitziger Lebenslust. Auf dem Kaiserschiff aber sollte Antinous mit blauem Lotos als Adonis gekrönt werden.
Lotos gab man den Toten in ihre Grüfte mit, und in den Adonismysterien mußte der Gott sterben ...
Und Antinous war gestorben. Mit der Lotoskrone hatte er sich hinab gestürzt in den heiligen Strom. Er tat es in einer schwülen Sommernacht, tat es wortlos, lautlos, tat es ganz heimlich.
Der Jüngling erfüllte den Orakelspruch des delphischen Gottes und brachte, trotz aller Herrlichkeit, mit welcher der Kaiser ihn überschüttete, sein junges Leben der Gottheit zum Opfer dar, damit diese von Hadrians Haupt das allergrößte Unheil abwende, damit der Kaiser sein schreckliches Lächeln nicht mehr lächle, damit er den Glauben an die Menschheit wiedergewinne, der ihm durch sie verloren gegangen war.
Des Kaisers »liebster« Mensch opferte sich für ihn auf eine Lüge hin, zu Delphi von Hadrians ausbrechendem Wahnsinn ersonnen.
Eine Liebesprobe sollte es sein ... sie wurde von dem Geprüften bestanden.
Doch Hadrian fuhr fort, sein Wahnsinnslächeln zu lächeln.
Und jetzt schiffte der Kaiser zum zweitenmal den Nilstrom aufwärts, schaute während der Fahrt in tiefer Einsamkeit in seine umdunkelte Seele, ließ die Bilder vergangener Tage aufsteigen, ließ ihre Gestalten an seinem inneren Blick vorüberziehen; und er erkannte.
Der Kaiser erkannte, daß Antinous vergebens den Liebestod gestorben ...
An der Stelle, wo der mit Lotos Bekränzte im Nil versunken war, hatte der Imperator eine Stadt erstehen lassen, die des Toten Namen trug, um dessen Namen unsterblich zu machen. Unsterblich machen sollten den Gestorbenen die Legionen der Statuen, die er in seinem Weltreich erstehen ließ; wo Rom herrschte, sah man in Marmorglanz des Jünglings schlanke Gestalt, sein schönes schwermütiges Antlitz, sein gesenktes Haupt, als neige er es zu dem Flusse hinab, der sein ewiges Grab sein sollte. Denn des Antinous Leichnam wurde niemals gefunden.
Hadrian hatte den Strom aus seinem Bette leiten, hatte dieses bis in seine Tiefen durchwühlen lassen, hatte demjenigen, der ihm den Toten brächte, Kleinodien und Schätze versprochen. Aber Antinous blieb versunken, als hätte die vom Kaiser gelästerte Gottheit die sterbliche Hülle des Jünglings der Erde entrückt, um sie in ewiger Schönheit unter den Sternen erstrahlen zu lassen ...
Als die kaiserliche Flotte der Stadt Antinopolis sich näherte, gebot der Imperator, sämtliche Fahrzeuge sollten hinter seiner Barke weit zurückbleiben! Auch das Schiff Sabinas! Von den Ufern wurde die Menge der Huldigenden vertrieben. Die Ruderer mußten ihren Gesang abbrechen. Sanfte Harfen und feierliche Eboën setzten ein, und das Kaiserschiff ward mit blaßblauen Lotosblumen, weißen Lilien und Rosengluten hochbeladen, daß es einem auf Purpur schwimmenden Blütenberge glich. Eine Meile vor der Stadt des Antinous erwartete Hadrian den Anbruch der Nacht.
Über der arabischen Wüste stieg in Rosenröte der volle Mond empor. Nicht mattes Silber war sein Schein, sondern sprühendes Gold. Es überrieselte die Blütengefilde und Haine der Ufer, wirkte seinen Schimmer in den Purpur der Segel, warf das Licht einer mystischen Sonne auf die Fluten, die das Opfer in ihrem feuchten Schoß aufgenommen hatten.
Langsam glitt die Kaiserbarke über die Todesstätte, auf welche die Blumenmassen lautlos hinabsanken ...
Aufrecht stand Hadrian am Bug und sprach zu den blütenbedeckten Wassern hinab:
»Ich erkannte! Die göttliche Liebe erkannte ich, die ihr Leben hingibt. Vom Unheil erlösen sollte mich dein Tod; aber siehe, o Antinous – er hat mich verdammt. Zur Erkenntnis meiner Schuld verdammte er mich! Wehe der Welt, deren Herr sich schuldig fühlt: er möchte sie zertreten, zermalmen. Auch die göttliche Liebe, die sich selbst zum Opfer darbringt, kann den Menschen von Unheil und Schuld nicht erlösen.«
Und Hadrian schiffte vorüber.
Jetzt vernahm die Welt, wohin der Kaiser das zweitemal den Nilstrom hinauffuhr. Nach Theben ging die Fahrt, zur Memnonssäule; Kaiser Hadrian wollte sie noch ein letztes Mal in seinem todmüden Herrscherleben erklingen hören. Und dieses Mal würde er nicht lachen, denn dieses Mal sollte ihr Erklingen für ihn ein Zeichen sein, dessen Bedeutung er allein kannte.
Vor der Tempelstadt von Karnak warf die Flotte Anker, und eine Stunde vor Tagesanbruch stieg der Kaiser ans Land. Sabina durfte jetzt bei ihm sein, wieder geduldet – erduldet: Hadrian hatte über dem Wellengrabe des Antinous seine Totenfeier gehalten ...
Von den geheimnisvollen Schatten der ersten Frühe umhüllt, wand sich der kaiserliche Zug durch die Gassen und über die Plätze des westlichen Thebens, welches vom Flußufer bis zu dem Felsengebirge der libyschen Wüste eine einzige Vorstadt von Thebens Nekropole war, auch sie den Toten geweiht. In diesem westlichen Theben hatten sich die Pharaonen ihre Totentempel errichtet, von denen aus ihre einbalsamierten Leichname in die Wüstengrüfte geführt wurden. Wenn jener von der Dämmerung umwebte blaßrosige Gebirgszug, dem Hadrian in goldener Sänfte entgegengetragen wurde, sich öffnete, wenn seine Katakomben barsten, die Sarkophage aufsprangen, die Mumien aus ihrer Umhüllung sich befreiten und die Wüste alle die in ihren Schoß versenkten Leiber ausspie – es wären Legionen und aber Legionen Gestorbener gewesen, gleich dem Sand der Wüste diese bedeckend.
Das die »Memnonssäule« genannte Riesenstandbild stellte einen Pharao dar, der nebst einer zweiten Statue desselben Herrschers, einem zweiten Giganten, den Eingang zu einem Totentempel bewachte, und zwar war es der König selbst, der, an der Pforte seines Heiligtums thronend, Wache hielt.
Beide Füße, beide Arme eng an seinen Leib gepreßt, schaute der Pharao starren Angesichts weit hinaus, wo über der arabischen Wüste die Morgenröte auflohte. Bald würde das Steinbild leise, leise erklingen. Es würde ein Schmerzenslaut sein, als seufze ein Gott bei dem Erwachen des Tages über den Jammer der Welt, die er doch erschuf ...
Hadrian langte an, harrte der Morgenröte, harrte des göttlichen Seufzers –
Aber der Koloß schwieg. Es schwieg der Gott dem kaiserlichen Lästerer und Leugner der Gottheit.
In der nächsten Frühe erschien der Kaiser wiederum vor dem Steinbilde, harrte er wiederum. Aber der Gott blieb wiederum stumm.
Viele Male kam der Kaiser, harrte, und – harrte vergebens: stumm blieb der Stein.
Stumm blieb der Gott!
Die Morgenröte leuchtete auf, überschwemmte die Welt mit Himmelsglanz, küßte dem Pharaonenbildnis die Stirn und verkündete den Tag.
Als Triumphator, im Strahlengewande, stieg der Gott empor, gleich einem Kaiser des goldenen, des ewigen Rom.
Nicht mehr eines Lautes Hauch vernahm der fieberhaft Harrende, schier angstvoll Lauschende, von dessen Seite der gute Jüngling gewichen war, von ihm selbst in den Abgrund der Fluten gescheucht. Aber das Hofgeschmeiß schwur darauf, der Koloß sei auch dieses zweitemal für den Imperator erklungen, als sänge der Stein einen Hymnus auf Seine Gottheit den Kaiser ...
Vor der für alle Zeiten klanglos gewordenen Memnonssäule begab es sich, daß Kaiser Hadrian sein Menschentum erkannte.
Seit jenen in der Thebaïs zugebrachten Sommertagen schwand das Cäsarenlächeln um seine Lippen, erhielt sein Blick einen Ausdruck, als erschaute er in seiner Seele ein blasses, mit blauem Lotos bekränztes Jünglingshaupt, dessen auf ewig verstummter Mund dem Herrn der Welt zuflüsterte: »Also doch nicht vergebens geopfert!«