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Die Nacht war bereits angebrochen und das Kind von der Magd zu Bett gebracht worden, als die wackere Sora Filomela aus der Stadt zurückkam. Clelia hatte keine Lampe angezündet, und da der Mond noch nicht aufgegangen war, so herrschte unter der Rebenlaube große Dunkelheit. Das junge Weib raunte mir zu, mich still zu verhalten und redete die Heimkehrende an:
»Wo bleibt Ihr nur, Großmutter? Angelika mußte ohne ihren süßen Sankt Benedikt zu Bette und war bitterböse auf Euch. Ihr seid gewiß im ›Rebhuhn‹ bei der Wirtin sitzen geblieben?«
Ich hörte die Alte in großer Aufregung erwidern:
»Wärst Du dabei gewesen! Hättest Du das erlebt! Laut jammern hätt' ich mögen, daß Du gerade heute zu Hause bleiben mußtest, weil Dein Mann nach Olevano gegangen ist. Welches Unglück! Immerfort dachte ich an Dich und was Du gesagt haben würdest, wenn Du das mit angesehen hättest, und was Du sagen wirst, wenn Du es jetzt hörst.«
»Was ist geschehen?«
»Wunder über Wunder!«
»Haben die Benediktiner ein Mirakel gethan?«
»Ach, die Benediktiner! Geh mir doch mit den Benediktinern! Was vermögen die! Einen leibhaftigen Heiligen hab' ich gesehen.«
»Aber, Großmutter!«
»Einen leibhaftigen Heiligen, sage ich Dir. Und was für einen! Und wer war es wohl? Nun, so rate doch! Du rätst es nicht. Kein anderer war's als unser gebenedeiter Bruder Angelikus.«
Da kam die Magd mit der Leuchte. Sora Filomela sah mich, da ich gerade aufgestanden war, um der Frau ihre sündhafte Rede zu verbieten: sie stieß einen lauten Schrei aus und wäre zu meinen Füßen hingesunken, wenn ich ihr nicht heftig abgewinkt und sie eiligst gesegnet hätte.
»Ja, da ist er!« rief das unverständige junge Weib mit vor Freude bebender Stimme. »Bei uns ist er! Er ist bei uns eingekehrt, und nun ist zu der irdischen Liebe, die in diesem Hause wohnt, auch die himmlische Liebe gekommen.«
Nachdem Sora Filomela mich mit strömenden Thränen bewillkommt und so lange von meiner Heiligkeit geredet hatte, bis die Clelia, meinen Unmut gewahrend, der Schwätzerin einen Wink gab, zu schweigen, kauerten sich die beiden Frauen auf der Schwelle der Thür nieder und berichteten mir, wie, seitdem ich in Rom von ihnen geschieden, der Segen des Himmels auf ihnen geweilt habe, und was für ein redlicher, prächtiger, glücklicher Mann der Terenzio sei. Sie erzählten noch, als unten in Subiaco zu Ehren des hohen Festtags ein über die Maßen herrliches Feuerwerk abgebrannt wurde, so daß es war, wie wenn ein ganzer Himmel von Sonnen, Monden und Sternen, eine ganze Hölle von roten, weißen und blauen Flammen unter Blitz und Donner in die Luft gesprengt würde. Als es darauf stille ward und nur noch eine silberhelle Dampfwolke über der Stadt lag gleich einer himmlischen Erscheinung, rief die Alte unter lautem Schluchzen:
»'s ist gerade wie in den Oktobertagen jenes gebenedeiten Jahres, wo wir Drei im Häuschen am Monte Mario beisammen saßen und rings um uns die Römer ihre Feste feierten.«
Hierauf erwiderte ich nichts; aber Clelia sagte mit großer Innigkeit:
»Nein, heute ist es viel besser, als damals; denn heute schläft drinnen im Hause mein süßes Kind und jeden Augenblick muß mein wackerer Terenzio heimkehren und unser lieber Bruder Angelikus weilt als ein herrlicher Gottesgeist unter uns.«
Auch auf diese Rede antwortete ich nichts, wie ich überhaupt meinen Mund kaum öffnete, sondern die anderen reden ließ; aber ich fühlte plötzlich einen heftigen Unwillen in mir erwachen, daß es heute besser sein sollte als zu jener Zeit, wo das schöne Weib in sündhafter Liebe für mich entbrannt war, wie ich mich auch sonst mit einer Menge von unwilligen und zornigen Empfindungen trug, wohl dadurch in mir erweckt, daß diese ehemalige Sünderin ihr jetziges Leben so weltlich und leichtfertig nahm und so blühend und glückselig war, wo sie doch voller Zerknirschung und Jammer hätte sein müssen, eingedenk ihrer schändlichen Vergangenheit. Auch gegen ihren Ehegatten richtete sich in meinem Herzen ein heftiger, aber heiliger Zorn. Denn wie konnte er mit diesem Weibe ohne jedes Bedenken so irdisch glückselig sein?!
Ich saß noch in solche Betrachtungen versunken, als Clelia einen lauten Freudenruf that, in die Höhe sprang und ihrem heimkehrenden Mann entgegenlief, rufend:
»Bruder Angelikus ist da!«
»Bruder Angelikus, unser Bruder Angelikus!«
Damit zog sie ihren Gatten zu mir hin und kaum, daß ich in dem breitschulterigen, stattlichen und sicheren Manne den überschlanken, leidenschaftlichen Jüngling von ehemals wieder erkannte.
Auch er zeigte – oder heuchelte – bei meinem Anblick eine große Freude, ja, er küßte mir sogar, obgleich er ein recht hochmütiger Christ zu sein schien, voller Demut die Hand und stand dann mit abgezogenem Hute vor mir, setzte diesen auch später in meiner Gegenwart nicht auf. Ernsthaft hörte er auf die wortreichen Berichte der beiden Frauen über das heutige Mirakel und über meinen Besuch in seinem Hause, das eine scheinbar durchaus gläubig aufnehmend und über das andere in hohem Maße beglückt. Als die Weiber endlich im Loben und Preisen inne hielten, wendete er sich zu mir und sagte mit allem Anschein einer wahrhaftigen und tiefen Empfindung:
»Wir wußten, daß Ihr, hochwürdiger Bruder, in unserer Nähe weiltet und daß Ihr um der Leiden des Herrn willen vieles erduldet. Auch hat mein Weib Euch einmal gesehen. Wir haben dann oft darüber geredet, ob einer von uns, oder wir beide, Euch aufsuchen sollten, um Euch zu berichten, wie es bei uns steht und zugeht, denn wir meinten immer, unser Glück müßte Euch freuen. Gern hätten wir auch das Kind zu Euch gebracht, damit Ihr es segnet. Aber wir vernahmen von Eurer großen Frömmigkeit, daß Ihr als ein heiliger Einsiedel lebtet und Euch gänzlich von der Welt abgewendet hättet. Da fanden wir nicht den Mut, mit unseren irdischen Freuden vor Euch zu treten. Nun Ihr aber selbst gekommen seid, mögt Ihr mit eigenen Augen Euer Werk sehen und wie in diesem Hause Euer Name hoch und heilig gehalten wird.«
Nach diesen Worten trat ein langes Schweigen ein, welches Terenzio unterbrach. Er sagte zu seinem Weibe:
»Von dem Wein, den wir bei der Taufe unseres Kindes getrunken, steht noch ein Krug im Keller. Diesen hole. Denn heute ist für unser Haus ein größerer Festtag als damals.«
Sogleich ging die Frau und die Alte begleitete sie. Seinem Weibe mit den Augen folgend, sprach der Mann in tiefer Bewegung:
»Es ist alles so gekommen, wie Ihr es vorausgesagt; womöglich noch besser und herrlicher. Denn nicht nur, daß ich mein Weib, die Mutter meines Kindes, von Herzen liebe, ich halte sie auch hoch in meinem Herzen. Ja, sie ist für mich so von aller Schuld entsühnt und rein von jeder Sünde, als ob sie mir als Jungfrau vermählt worden wäre. Und denkt Euch: auch sie liebt mich ehrlich und herzlich, ganz so, wie Ihr es verkündet habt, und es ist alles wie ein Wunder gewesen. In der ersten Zeit war es freilich ein großes Elend und noch Schlimmeres, doch dann – Aber das soll sie selbst Euch erzählen, denn ich vermag's nicht.«
Nun kamen die beiden Frauen zurück. Während Sora Filomela den Wein und die Gläser brachte, pflückte Clelia eine Menge der roten Nelken, die sie auf den Tisch warf, daß derselbe ganz davon bedeckt war. Auf dieses duftige Tafeltuch stellte die Alte den Krug; doch weigerte ich mich, Wein zu trinken, weshalb auch die anderen den Feiertrank nicht anrührten.
Als ich mich erhob, um zu gehen, thaten alle, als ob ihnen ein Unglück geschehen sollte und baten mich flehentlich, die Nacht in ihrem Hause zu bleiben: ich wäre gänzlich ermattet, der Weg weit und beschwerlich und in der Dunkelheit gar nicht zu finden. Ich wies aber auf den Mond, der soeben aufging und der wie ein Feuerbrand hinter den schwarzen Bergen hervorbrach, bedeutete ihnen, daß ich die Nacht in keinem fremden Hause zubringen dürfte, und wendete mich zum Gehen. Der Mann sagte zu seinem Weibe:
»Du könntest unserem hochwürdigen und lieben Bruder das Geleit durch die Vignen geben.«
Das Weib erwiderte nichts, auch ich schwieg still. Aber dann bat sie:
»Auf einen Augenblick tretet in das Haus und an das Bett unseres Kindes.«
Sie ergriff die Lampe und schritt voraus und ich folgte ihr mit den anderen; aber in das Schlafgemach trat ich mit der Mutter allein ein.
In seinem zierlichen Bettlein lag das liebliche Kind der Sünderin, friedlich schlummernd, das Antlitz ganz heiß von gesundem Schlaf und beide Händchen über der bunten Decke gefaltet. Es war, als sähe ich das Jesuskind in heiligem Schlummer liegen und bei diesem Anblick gelobte ich mir, die Seele dieses Kindes zu retten und sie dem Himmel zuzuführen, doch ohne daß ich mir bewußt war, wie das geschehen könnte. Nachdem ich das Kind eine Weile betrachtet und über seinem Haupte das Zeichen des Kreuzes gemacht, verließ ich das Gemach und das Haus, nahm von dem Mann und der Großmutter raschen Abschied und ging mit dem jungen Weibe davon.
Es war eine schwüle Sommernacht und gerade die Zeit, da die Johanniskäfer ihr leuchtendes Wesen trieben. Um unsere Gestalten zog sich ein dichtes Gewimmel winziger, smaragdgrüner Lichter. Es war, als rieselte ein Regen zitternder Funken vom Himmel herab. Das glühende Gewürm hing an allen Gräsern, lag in den Kelchen der Blumen, schwebte unter den Rebengängen dahin, flog um Leib und Haupt des jungen Weibes und ließ sich auf ihrem goldigen Scheitel nieder, daß es die Sünderin wie mit unirdischem Glanz umstrahlte. Am Flusse, an dessen Ufer wir langsam und schweigend dahinwandelten, war ein Gewoge von Funken, wie ich nie zuvor gesehen; die Lichtlein erfüllten die ganze Luft, ja sie verdeckten schier das Heer der Sterne, die, wenn sie einmal durch das Gewirr aufblitzten, als die höchsten Schwärme der Sommerkäfer erschienen.
Da die stumme Gegenwart der Frau mich bedrückte, redete ich sie endlich an:
»Was habt Ihr mir zu sagen?«
Sie erwiderte:
»Mein guter Mann ist nicht mitgekommen, Euch das Geleit zu geben, weil er wußte, daß es mir eine große Wohlthat sein würde, Euch berichten zu dürfen. Wenn Ihr mich also anhören wolltet –«
»Redet!«
Und sie begann:
»Ihr erinnert Euch wohl noch, daß ich, als die gute Filomela Euch die Geschichte meiner Mutter, der Dionizia Baldi, erzählte, diese am offenen Fenster mit anhörte, was ich Euch später auch mitgeteilt habe. Seht, diese Geschichte meiner Mutter war das größte Unglück, welches ich aus meinem vergangenen, schändlichen Leben meinem wackeren Terenzio mit in die Ehe brachte; denn ich brütete so viel und so lange darüber, bis ich nahe daran war, von Sinnen zu kommen. Immerfort mußte ich denken: Was hilft es, daß du dir zugeschworen hast, deinem Manne ein tugendhaftes und getreues Weib zu sein? Das Böse liegt nun einmal in deiner Natur, und nach seiner Natur muß der Mensch leben. Du magst wollen oder nicht, es nimmt mit dir noch einmal ein Ende mit Schrecken. Denn gegen seine gute oder böse Natur vermag der Mensch nichts. Meine Mutter, die Dionizia Baldi, hat ihren Carlo heiß geliebt und mußte doch von ihm hinweg – noch dazu mit seinem Kinde unter dem Herzen. Ebenso wird auch dir geschehen, die du deiner Mutter echte Tochter bist.
»In dieser Weise tobte ich gegen mich selbst, daß mein armer Terenzio ein wahres Höllenleben mit mir führte. Er durfte mir nicht nahe kommen und hätte sich zu jener Zeit am liebsten eine Kugel durch den Kopf geschossen. Aber ich konnte ihm nicht helfen, obschon ich den besten Willen dazu hatte und im Geiste immerfort mit Euch verkehrte, Euch jeden meiner Gedanken bekannte, Euch um Rat befragte und Eure Hilfe anflehte, wie ich denn überhaupt – –
»Mein armer Terenzio hatte eine heilige Geduld mit mir, begegnete mir wie ein Freund und Bruder, war fleißig und unglücklich.
»Eines Tages stellte ich mir wieder einmal mit tausend Martern so recht eindringlich vor, wie ich ein treuloses Weib werden und von neuem in Schande und Lasterhaftigkeit verfallen müßte. Da packten mich Jammer und Entsetzen und ich beschloß, dieses Leben nicht länger fortzuführen. Ohne an etwas anderes zu denken, sprang ich von meiner Arbeit auf, aus dem Hause, durch die Vigna zum Fluß, und an dieser nämlichen Stelle, wo wir jetzt stehen, warf ich mich in den Strom.
»Mein Mann war bei den Reben beschäftigt, als er mich aus dem Hause stürzen sah. Er folgte mir, konnte mich indessen nicht mehr erreichen, sprang mir nach und brachte mich aus den Fluten und ins Leben wieder zurück.
»Ich lag immer noch wie tot auf meinem Lager, als mir war, ich vernähme Eure Stimme, die mit lauten, feierlichen, mächtigen Worten mich mahnte, von meinem Wahn zu lassen, die Gnade des Herrn zu erkennen und mich meinem Gatten zum Weibe zu geben, was ich Euch ebenfalls mit lauten, feierlichen Worten gelobte. Während Ihr noch zu mir spracht, unter dem Klang Eurer Stimme, kam ich zum Bewußtsein, sah meinen Terenzio mit todbleichem Antlitz neben meinem Bette stehen und lächelte ihn an. Da weinte er vor Leid und vor Freude.
»Doch das Wundersamste war, daß ich mich zu jener Zeit meines ganzen vergangenen Lebens und aller meiner sinnlosen, dunklen Gedanken nur wie eines Traumes erinnern konnte; ja selbst, nachdem mir alles wieder deutlich geworden, schien es mir immer noch als etwas gänzlich Unwirkliches, so daß ich gar nicht zu begreifen vermochte, wie ich dazu hatte gelangen können, einem solchen schrecklichen Wahn zu verfallen. Sobald ich etwas bei Kräften war, vertraute ich mich meinem Manne an, gerade als kniete ich vor Euch im Beichtstuhl. Nachdem ich ihm alles bekannt hatte, küßte ich ihn.
»Seht, von nun an begann für uns beide ein neues Leben. Die ganze Welt däuchte mir verwandelt und schöne Blumen dort zu blühen, wo ich bis dahin nur Disteln und Dornen erblickt hatte. Ich gewann Freude an meinem Dasein; ja, ich fing an, mein Leben zu lieben, da es meinen armen Terenzio so hoch beglückte, nicht anders, als ob jeder Tag, mit mir verbracht, ihm ein himmlisches Gnadengeschenk wäre. Und da er ein über die Maßen guter Mensch ist, redlich und wahrhaftig und mit einer göttlichen Liebe für mich im Herzen, so ward auch er mir von Tag zu Tag lieber, wie ich mir denn auch täglich Mühe gebe, in einer Weise zu leben, die seiner nicht unwürdig ist.
»Auch sonst klopfte das Glück bei uns an und wir thaten dem Himmelsgast alle Thüren auf. Die Früchte gediehen, die Reben, die Oliven und das türkische Korn; wir umpflanzten das Haus mit Rosen und Ranken, Terenzio baute den Rebengang, ich pflegte die roten Nelken, alles, damit das Haus der Vigna am Monte Mario gliche, woselbst Ihr uns verlobt hattet. Dann zog die gute Filomela zu uns und zuletzt sandte der Himmel uns ein Englein, unser süßes, geliebtes Kind, das wir nach dem Heiligen unseres Hauses benannten.
»Ach, meine Angelika –«
Das Weib schwieg. Wir standen am Ufer des Flusses, über dessen rauschenden Wellen das Spiel der Leuchtkäfer hin und her ging, daß es war, als sprängen Funken aus dem schwarzen Wasser. Des Weibes Geschichte hatte mir aber die Seele nicht bewegt. Denn ich fand darin zu viel irdische Leidenschaften, zu viel Glück und Freuden, für welche der Mensch nun einmal nicht auf der Erde ist. Und da des Weibes ewiges Wohl mir am Herzen lag – hatte ich doch die Frau aus der ärgsten Sünde errettet – so beschloß ich bei mir, mich ihrer Seele zu erbarmen und diese zur Erkenntnis des Himmlischen, zur Buße und Abtötung des Fleisches zu führen, was mir wohl gelingen sollte, denn meine Macht über sie war immer noch schier übergewaltig. Ich rang noch mit diesen Gedanken, als sie mir weiter bekannte:
»Denkt, lieber Bruder, was für ein Geschenk mein Mann mir gemacht, bald nachdem ich ihm eine Tochter geboren. Der Gute hatte sich heimlich hinauf nach Olevano begeben, welche Stadt meiner Mutter Heimatsort ist; dort hatte er in sichere Erfahrung gebracht, daß meine Großmutter eine überaus rechtliche und tugendhafte Frau gewesen, die im ganzen Ort in Ansehen gestanden. So mußte ich denn vollends erkennen, welcher Thorheit ich mich hingegeben hatte, daß ich darüber fast zu Grunde gegangen wäre und mit mir ein sicherlich reineres und besseres Leben. Dafür bin ich aber auch jetzt, als wäre mir von den Augen eine Binde gefallen. Ach, lieber Bruder, es ist das menschliche Leben, trotz allen Jammers, doch eine gar heilige Sache.«
Sie schwieg und wir gingen weiter, immer den Fluß entlang, der Schlucht zu, darin sich die Klöster Sankt Benedikts und die Ruinen der Villa des Kaisers Nero befinden. Ich lauschte auf das Rauschen der Wellen, auf das Geflüster des Nachtwindes in den Wipfeln der Erlen und Ulmen und auf den leisen Schritt des jungen Weibes, dessen Haar ich immer noch auf meinem Herzen trug. Dann sprach ich zu ihr:
»Vieles ist anders geworden: Du bist nicht mehr die Clelia, die meine schweren Wunden verband und pflegte, und ich bin nicht mehr der Angelikus, der mit Dir im Garten Deiner Verwandten Blumen und Früchte pflückte; und keines von uns beiden vermag seinen alten Menschen wieder anzuthun. Es war eine sündhafte Zeit, in der meine Seele sich noch in großer Blindheit befand. Nun bin ich geweckt worden und nun weiß ich, was auf Erden meines Amtes ist. Auch an Dir werde ich es üben, an Dir und Deinem Kinde. Vieles an Dir ist noch vom Uebel und könnte von der Mutter auf das Kind übergehen. Denn es steht geschrieben: Der Eltern Missethaten sollen heimgesucht werden an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied. Daran denke.«
Das Weib war stehen geblieben. Der Mond schien auf ihre Gestalt und ihr Antlitz. Ich sah, daß sie heftig zitterte und aus großen, entsetzten Augen auf mich blickte.
Ein Stöhnen kam aus ihrem Munde und sie stammelte mir nach:
»Der Eltern Missethaten sollen heimgesucht werden an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied.«
Ich erwiderte:
»So steht es geschrieben.«
»Aber,« fuhr sie auf, »mein Kind ist rein von Sünden.«
Da mahnte ich sie:
»Rein von Sünden warst auch Du, da Du noch ein Kind warst; und die Missethaten Deiner Mutter wurden dennoch an Dir heimgesucht.«
Da sank das Weib vor mir nieder, nicht anders, als hätte sie einen mörderischen Schlag empfangen.
»Du Gottgeliebter, Du Gebenedeiter, Du Heiliger, rette mein Kind!« schrie sie mich an. »Bewahre es davor, daß es durch die Missethaten seiner Mutter vernichtet werde an Leib und Seele.«
Und sie fiel mit dem Gesicht auf meine Füße, lag wie leblos, nur daß ihren Leib Schauer schüttelten. Ich aber erkannte daran, wie Gott selbst diese sündige Seele in meine Gewalt gegeben hatte und daß ich mit ihr verfahren sollte, wie es mich gut dünkte. Und ich sprach:
»Was in meiner Macht steht, soll geschehen, meine Hand wird Dich führen. Wann kannst Du zu mir kommen?«
»Wann Ihr gebietet.«
»Dann will ich Dich treffen am Eingang der Schlucht, unterhalb der Ruinen, nach drei Tagen. Aber komme nicht vor Anbruch der Nacht.«
»Wollt Ihr nicht lieber in unser Haus kommen?«
»Nein. – Du willst nicht kommen?«
»Ich komme.«
»Allein.«
Ich schied von ihr und sie dankte mir mit heißen Thränen.