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2
Der verborgene Schatz

Mrs. Staleybornes erster Gatte war ein Universitätsprofessor und ein Träumer. Ihr zweiter Mann hatte aber sein Leben als Zauberkünstler begonnen und sich allmählich durch natürliche Veranlagung zum Teilhaber einer kleinen Winkelbank heraufgearbeitet.

Als Mrs. Staleyborne noch Miß Clara Smith hieß, war sie die Haushälterin des Mr. Whitland, eines Gelehrten der Biologie, der eines Tages ihre Unentbehrlichkeit entdeckte und nur wenig an die gesellschaftliche Kluft dachte, die zwischen dem jüngsten Sohn des verstorbenen Lord Bortelydine und der einzigen Tochter des Mechanikers Albert Edward Smith lag. Für den Professor war sie Miß Homo Sapiens, ein hübscher, federloser Zweisohlengänger des Geschlechtes Homo. Sie hatte ein häusliches Wesen und konnte kochen wie ein Engel. Die hübsche Frau wußte scheinbar niemals, wie ihr Gatte mit Vornamen hieß, denn sie nannte ihn bis zu seinem Todestage Mr. Whitland.

Nach ihrer Verheiratung wurden ihre Beziehungen zueinander enger, als sie einem kleinen Töchterchen das Leben schenkte, und sie steigerten sich noch, als diese Tochter heranwuchs. Marguerite Whitland hatte die geistige Veranlagung ihres Vaters und die Grazie und wunderbare Schönheit geerbt, die von jeher die Frauen des Hauses Bortelydine auszeichneten.

Als Professor Whitland starb, betrauerte ihn seine Frau in aller Anhänglichkeit, aber sie fühlte sich doch erleichtert. Die Hälfte der Last, die auf ihr ruhte, war von ihr genommen. Ihre Tochter war damals Schülerin des Cheltenham College und mühte sich ab, den binomischen Lehrsatz zu lernen.

Als sie zwölf Monate Witwe war, machte sie in einem Sanatorium in Harrogate die Bekanntschaft des Mr. Cresta Morris. Und wenn man die Wahrheit sagen soll, erfüllte er ihre Vorstellungen von einem liebenswürdigen Mann mehr als der verstorbene Professor. Mr. Cresta Morris trug weiße Kragen und wunderschöne Krawatten, und eine goldene Uhrkette hing über seiner Phantasieweste. Er rauchte große Zigarren, hatte ein offenes und herzliches Wesen und sprach mit der Witwe in einer Sprache, die sie verstand. Es kam ihr dunkel zum Bewußtsein, daß der Professor niemals so zu ihr gesprochen hatte.

Mr. Cresta Morris verfügte über einen Wortschatz von etwa tausend Worten, mit denen Mrs. Whitland gut vertraut war. Auch war er ein Mann, der Einkommen und Vermögen hatte, wie er ihr erklärte. Sie gab Vertrauen gegen Vertrauen und erzählte von ihrem Haus in Cambridge, von ihrer Einrichtung, der großen Bibliothek und der jährlichen Rente von dreihundert Pfund, die von Professor Whitland für die Erziehung seiner Tochter bestimmt war und zu diesem Zweck an die Witwe ausgezahlt wurde. Auch teilte sie ihm mit, daß sie ein Vermögen von viertausenddreihundert Pfund besaß, das in Kriegsanleihe angelegt war und über das sie ohne Einschränkung verfügen konnte.

Mr. Cresta Morris wurde noch freundlicher als vorher. Nach drei Monaten heirateten sie und sechs Monate später war das alte Haus in Cambridge verkauft und die Bibliothek in alle Winde zerstoben. Alles, was Mr. Morris für altmodisch hielt, wurde veräußert, und der Rest der Einrichtung in ein schönes, ansehnliches Haus in Brocklay gebracht, das in mancher Beziehung nach der Ansicht der Mrs. Morris hübscher als das planlos gebaute, alte Gebäude in Cambridge war. Sie fühlte sich glücklich und, obwohl sie nicht wußte, wie ihr Mann seinen Lebensunterhalt verdiente, lebte sie doch zufrieden, ohne um eine Aufklärung zu fragen.

Sie holte Marguerite von Cheltenham zurück, damit sie ihr in dem neuen Haushalt helfen sollte. Aber ihre Tochter teilte ihre Ansicht über Mr. Cresta und seinen Charakter in keiner Weise.

An einem Sonnabend saß Mr. Morris mit zwei Freunden im Speisezimmer vor einem knisternden Kaminfeuer. Mrs. Morris war schon zu Bett gegangen und Marguerite wusch das Geschirr, denn ihre Mutter konnte keinen Dienstboten um sich leiden.

Geschirrklappern unterbrach Mr. Morris gerade bei einem wichtigen Punkt seiner Erzählung. Er wandte den Kopf.

»Das ist das Mädchen – sie ist schon ziemlich erwachsen.«

»Das beste wäre, wenn du sie verheiratetest«, sagte Job Martin. Er hatte ein scharfgeschnittenes Gesicht und war dafür bekannt, daß er praktisch und klug handelte. Er stand auch noch in einem anderen Ruf, der hier aber nicht näher erwähnt werden soll.

»Verheiraten?« sagte Mr. Morris ärgerlich, »ach nein.« Er blies die dicken Rauchwolken seiner Zigarre zur Decke. »Sie ist nicht zum Abendbrot gekommen, habt ihr das bemerkt? Wir sind ihr nicht gut genug. Sie treibt sich im ganzen Haus herum – überall steckt sie ihre Nase hinein und schnüffelt uns nach.«

»Schicke sie doch wieder zur Schule zurück«, meinte Mr. Timothy Webber, ein Mann von fünfundfünfzig Jahren mit breiten Schultern und glattrasiertem Kinn. Er hatte sich schon in vielen Berufen betätigt und war der Kriminalpolizei nicht unbekannt. Mr. Morris hatte ihn bei einer Reisegesellschaft kennengelernt.

»Wir hätten sie gut gebrauchen können,« fuhr Mr. Morris bedauernd fort, »sehr schade. Sie ist bildhübsch, das gebe ich gerne zu. Nun nehmen wir einmal an, sie –«

Webber schüttelte den Kopf.

»Wir machen es, wie ich vorgeschlagen habe, oder gar nicht. Ich habe diesen Menschen nun einen ganzen Monat lang studiert, und ich sage euch, ich kenne ihn in- und auswendig!«

»Hast du ihn denn aufgesucht?« fragte der zweite.

»Bin ich denn verrückt?« fragte Webber. »Ich habe ihn natürlich nicht besucht – es gibt doch noch andere Wege, etwas ausfindig zu machen. Er gehört nicht zu den Leuten, die man mit einer Frau fangen kann, selbst wenn sie noch so hübsch ist.«

»Wie nennen Sie ihn doch wieder?« fragte Morris.

»Bones!« Webber grinste. »Wenigstens bekommt er Briefe mit der Überschrift: ›Mein lieber Bones!‹ so daß ich vermute, daß er diesen Spitznamen hat.«

»Er hat sehr viel Geld und steckt voll von verrückten Plänen. Außerdem ist er romantisch.«

»Was wollen wir mit Romantik anfangen?« fragte Job Martin.

Webber wandte sich mit einem verzweifelten Achselzucken an Morris.

»Na, wenn ein Mann nur ein Körnchen Verstand hat –«

Job Martin brauste auf, aber Morris brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen.

»Ich verstehe den Plan – das genügt.«

Er verfiel wieder in Grübeln und kaute an seiner Zigarre.

»Ich wünschte, das Mädchen wäre dabei«, sagte er und schüttelte den Kopf.

»Warum?« fragte Webber neugierig.

»Weil sie –« er zögerte – »ich weiß nicht, was sie über mich erfahren hat. Ich vermute wohl, was sie von mir denkt, ich würde sie aber gerne in eine solche Sache verwickelt sehen, hm – hm –« es fehlte ihm das Wort.

»Um sie zu kompromittieren?« ergänzte der belesene Webber.

»Ja, das ist das Wort. Ich möchte, daß es soweit kommt.« Dabei setzte er seinen Daumen mit einer ausdrucksvollen Geste auf den Tisch.

Marguerite stand draußen vor der Tür, hielt den Griff in der Hand und überlegte, ob sie den heißen Kessel mit Grog hereinbringen sollte, den Mr. Morris bestellt hatte. Sie stand still und horchte.

Die Häuser in Brockley waren schnell gebaut worden und deshalb besonders hellhörig. Sie stand eine ganze Viertelstunde, während sich die drei Männer drinnen unterhielten, und alle Zweifel, die sie noch über die Art der Geschäfte ihres Stiefvaters hegte, wurden dadurch zerstreut.

Der alte Kampf zwischen der Anhänglichkeit an ihre Mutter und ihrem eigenen Lebensplan und ihren eigenen Ideen begann wieder. Sie hatte in den letzten zwölf Monaten eine Hölle durchgemacht und hatte sich immer wieder vorgenommen, ein solches Leben nicht weiter zu führen. Nur das Mitleid, das sie für ihre hilflose Mutter empfand, hielt sie davon ab, das Haus zu verlassen. Sie hatte sich schon hundertmal gesagt, daß ihre Mutter in ihrer ruhigen, stillen Weise mit ihrem Los zufrieden sei und daß es eher eine Erleichterung als einen Kummer für sie bedeuten würde, wenn sie wegginge. Jetzt zögerte sie nicht länger. Sie eilte zur Küche zurück, nahm ihre Schürze ab, ging dann die Treppe zu ihrem Zimmer hoch und packte ihre Sachen.

Ihrer Mutter standen Unglück und herbe Enttäuschungen bevor. Dieser Mann hatte ihr den letzten Schilling, den sie besaß, abgenommen und ihn in seine eigenen, nichtswürdigen Geschäfte gesteckt. Sie hatte eine vage Vorstellung, die später greifbare Gestalt annahm, daß sie wenigstens etwas von ihrem eigenen kleinen Vermögen retten müsse, wenn sie ihre Mutter nicht vor dem unvermeidlichen Zusammenbruch bewahren konnte. Deshalb kümmerte sie sich um alles und entdeckte, daß ihr Stiefvater schon jahrelang nur mit knapper Not dem Zugriff der Polizei entgangen war. Eines Tages würde man ihn doch fassen, und er riß dann in seinem Sturz auch ihre Mutter mit.

Mr. Cresta Morris war mit einem großen Plan beschäftigt, aber das Ausbleiben der Getränke erinnerte ihn daran, daß eine seiner Anordnungen nicht ausgeführt worden war.

»Wartet einmal einen Augenblick! Ich habe dem Mädchen doch gesagt, daß sie den Kessel mit Grog um halb zehn bringen soll. Ich werde hinausgehen und ihn holen. Wie ich vermute, will sich Ihre Königliche Hoheit nicht herablassen, ihn selbst zu bringen.«

Er fand den Kessel auf dem Küchentisch, aber Marguerite war nicht da. Das war der Höhepunkt all ihrer Vernachlässigungen, die sie ihm angetan hatte. In seinem Ärger lief er den Gang entlang und rief mit lauter Stimme ihren Namen die Treppe hinauf.

Es kam keine Antwort, und er eilte zu ihrem Zimmer. Es war leer. Noch augenfälliger war es, daß ihre Kleider und alle die Kleinigkeiten, die sonst ihren Toilettentisch zierten, verschwunden waren.

Als er wieder herunterkam, war er tief in Gedanken versunken.

»Sie ist fortgegangen«, sagte er einsilbig. »Das habe ich schon immer befürchtet.«

Es dauerte eine ganze Stunde, bis er wieder soweit war, daß er sich auf den faszinierenden Plan konzentrieren konnte und selbst die Flucht seiner Stieftochter im Augenblick vergaß.

*

Am folgenden Morgen erhielt Mr. Tibbetts Besuch.

Er saß in seinem prachtvoll ausgestatteten Privatbureau und mühte sich ab, einen Brief an die bedeutende Firma Timmins & Timmins, Agenten für Makler und Jachten, zu verfassen. Das Schreiben betraf einen unglücklichen Kauf, den er gemacht hatte.

»Sehr geehrte Herren,« begann der Brief »ich habe Ihnen doch tausendmal gesagt, daß der Verkauf der Jacht Luana, die ich von Ihrem Klienten übernommen habe (ein netter Klient, muß ich schon sagen!), Betrug und Schwindel ist. Sie ist viel zu schwerfällig. Zweitausend Pfund für so ein Ding zu verlangen, ist ein ausgekochter Schwindel. Nun gut, ich habe sie jetzt und es hat keinen Zweck, über saure Milch ein großes Geschrei zu erheben. Aber ich möchte Sie doch bitten, als Verkäufer von Jachten dafür zu sorgen, daß ich sie wieder los werde. Verkaufen Sie an irgend jemand, selbst für tausend Pfund. Ich war nicht ganz bei Verstand, als ich die Jacht kaufte, aber der Mensch hat mir alles so überzeugend eingeredet ...«

Dies und mehr schrieb er, als die silberne Glocke einen Besuch meldete. Es hatte schon sehr lange geklingelt, als ihm zum Bewußtsein kam, daß er seinen Diener Ali zur Erholung an die Südküste geschickt hatte, um die Nachwirkungen einer heftigen Erkältung auszukurieren. Die Trennung war für beide sehr unangenehm. Viermal läutete die Glocke und viermal hob Bones den Kopf, blickte schmollend zu der Tür und murmelte heftige Worte gegen Ali, der augenblicklich hundertfünfzig Kilometer von ihm entfernt war.

Dann erinnerte er sich plötzlich an diese Tatsache, eilte zur Tür, riß sie weit auf und rief ärgerlich:

»Herein! Was zum Teufel stehen Sie hier draußen?«

Dann starrte er auf den Besuch, erschrak, wurde sehr rot, erschrak noch einmal und klemmte sein Monokel ins Auge.

»Treten Sie, bitte, näher, meine Dame –«, sagte er verwirrt. »Die nette, alte Glocke ist nicht in Ordnung. Es tut mir furchtbar leid und all so was. Wollen Sie, bitte, Platz nehmen?«

In dem äußeren Bureau war kein anderer Stuhl sichtbar. Ali zog es immer vor, auf dem Fußboden zu sitzen, und die Besucher wurden auf diese Weise nicht ermutigt, zu bleiben.

»Bitte, kommen Sie in mein Privatbureau«, sagte Bones. »In mein Privatbureau.«

Die junge Dame musterte ihn mit einem schnellen Blick, und ein flüchtiges Lächeln zitterte noch auf ihren Lippen, als sie dem bestürzten Bones in sein Allerheiligstes folgte.

»Das ist meine kleine Höhle – bitte, nehmen Sie doch Platz, mein nettes, altes – Verzeihung, junges Fräulein. Setzen Sie sich, bitte, in meinen Stuhl – er ist der beste. Geben Sie aber acht, wenn Sie über den Telephondraht steigen.«

Sie hatte aber glücklich ihre Füße schon in den Draht verwickelt, und er eilte ihr zuhilfe.

»Hoppla, meine liebe, alte – junge Dame, meine ich!«

Es war eine etwas atemlose Begrüßung. Sie war sehr erstaunt über den warmen Empfang. Aber er sah nur ihre grauen Augen, ihren wunderschönen Mund und fühlte nichts als den zarten Duft ihrer feenhaften Gegenwart.

»Ich bin gekommen, um Sie zu sprechen«, begann sie.

»Das ist äußerst liebenswürdig von Ihnen«, sagte Bones begeistert. »Sie glauben gar nicht, wie fürchterlich einsam ich mich fühle. Ich sage öfter zu den Leuten: Besuchen Sie mich doch einmal in der Zeit zwischen zehn und zwölf oder zwei und vier – genieren Sie sich nicht –«

»Also ich bin gekommen, um Sie zu sprechen.«

»Sie sind eine liebenswürdige, junge Dame«, sagte Bones und lächelte.

»Sie sind nicht gewöhnt, Damenbesuch in diesem Hause zu empfangen?«

»Sie sind die erste, die jemals hierher kam«, sagte er mit pathetischer Geste.

Sie glaubte, daß ihr Besuch falsch aufgefaßt worden sei, und das vergrößerte ihre Verlegenheit noch.

»Ich bin gekommen, um eine Stellung zu suchen«, sagte sie verzweifelt.

Er schaute sie groß an und klemmte sein Monokel ins Auge.

»Sie sind gekommen, um eine Stellung zu suchen, mein liebes, nettes, junges Fräulein?«

»Ja – deshalb bin ich gekommen.«

Bones' Gesicht wurde sehr ernst.

»Sie wollten eine Stellung annehmen?« Er dachte einen Augenblick nach. »Was für eine Stellung? Aber natürlich,« fuhr er dann aufgeregt fort, »hier gibt es furchtbar viel Arbeit, glauben Sie mir. Sie wissen gar nicht, was ich alles hier in meinem Sanktum erledigen muß – das ist nämlich der lateinische Name für Privatbureau. Und das verdammte alte Bureau ist niemals sauber – niemals! Ich denke schon ernstlich daran –« er legte seine Stirne in Falten – »ich denke sehr ernst darüber nach, die Frau, die hier Staub wischt, zu entlassen. Also heute morgen –«

Ein Lächeln blitzte in ihren Augen auf. So erschien sie Bones übermenschlich schön.

»Aber ich bin wirklich nicht hierhergekommen, um Staub abzuwischen!«

»Natürlich sind Sie nicht deswegen gekommen.« – Bones bekam einen Schrecken. »Meine liebe, alte Dame – meine hochverehrte, junge – Dame – natürlich sind Sie nicht deshalb gekommen. Sie sind gekommen, daß ich Ihnen eine Stellung gebe – Sie sind gekommen, um hier zu arbeiten! Nun wohl, Sie sollen Arbeit haben. Fangen Sie nur gleich an!«

Sie schaute ihn groß an.

»Was soll ich denn tun?«

»Ja, was würden Sie denn gerne tun? Was denken Sie über Pläne ausarbeiten? Dazu braucht man Verstand, Initiative und klare, kluge Gedanken –« Er hörte sofort auf, als er sah, daß sie den Kopf schüttelte.

»Brauchen Sie nicht eine Sekretärin?« fragte sie. Bones' Begeisterung stieg auf den Siedepunkt.

»Ja, das ist das Richtige – ich habe heute morgen eine Annonce in der Times – haben Sie die vielleicht gelesen?«

»Sie sagen nicht die Wahrheit!« Sie sah ihn bei diesen Worten ruhig an. »Ich habe die ganzen Anzeigen in der Times heute morgen durchgelesen, und ich bin sicher, daß Sie keine eingesetzt haben.«

»Aber ich wollte eine einsetzen!« behauptete Bones. »Gestern abend hatte ich wenigstens die feste Absicht. Hier ist das Papier, auf das ich die Annonce schreiben wollte.« Er zeigte auf ein Blatt, das vor ihm auf der Tischplatte lag. »Eine Sekretärin – ja, richtig – lassen Sie mich einmal nachdenken!«

Er stützte das Kinn in die Hand und legte den Ellbogen in die andere.

»Da brauchen Sie also Papier, Federn und Tinte – das haben wir alles – wir haben sogar einen großen Vorrat im Schrank. Dann brauchen Sie auch noch einen Gummi – ich bin nicht sicher, ob wir einen Gummi haben, aber den können wir leicht besorgen. Und ein Lineal,« sagte er, »um gerade Linien zu ziehen, und all so was –«

»Und eine Schreibmaschine –«

Bones schlug sich unnötig heftig auf die Stirne.

»Eine Schreibmaschine! Ich wußte doch, daß in diesem Bureau noch etwas fehlt. Ich habe Ali gestern gesagt –«

»Ach, Sie haben schon ein Mädchen engagiert?« fragte sie enttäuscht.

»Ali ist der Name eines eingeborenen Dieners, der mir mit Leib und Seele treu ergeben ist. Er ist sozusagen schon seit Jahren in der Familie.«

»O, es ist ein Mann?«

Bones nickte.

»Ali, A-l-y – es ist nämlich Arabisch!«

»Ein Eingeborener?«

Bones nickte wieder.

»Aber er wird Ihnen nicht im Wege sein«, beeilte er sich zu erklären. »Er ist augenblicklich in Bournemouth, er ist schwer erkältet. Und dann pflegt er zu schlafen und zu schnarchen. Ich hasse Leute, die schnarchen. Sie nicht auch?«

Sie mußte lachen. Das war der netteste und lustigste Chef, den sie sich vorstellen konnte.

»Natürlich schnarche ich auch etwas – alle großen Denker tun das – ich meine, alle Kopfarbeiter. Schnarchen Sie nicht auch ein wenig?«

»Danke, nein.«

Andere Mieter oder deren Angestellte, die das palastähnliche Gebäude bewohnten, in dem das Bureau von Bones lag, sahen einige Minuten später einen jungen Mann ohne Hut die Treppe hinuntersausen. Er nahm drei Stufen auf einmal. Nach einer halben Stunde keuchte er dieselbe Treppe wieder empor und schleppte in der einen Hand eine teure Schreibmaschine und in der anderen einen kostbaren Stuhl im Stile Ludwig XV.

»Ich muß Ihnen gestehen, daß ich noch nicht sehr schnell stenographieren kann.«

»Stenographieren ist ganz unnötig, meine liebe, nette Stenographin«, sagte Bones entschieden. »Ich bin im Prinzip überhaupt gegen Stenographieren und ich werde immer dagegen sein.«

»Einen Augenblick, Mr. Tibbetts«, sagte sie. »Ich kann auch noch nicht sehr viel Schreibmaschine schreiben.«

»Da kann ich Ihnen helfen.« Bones strahlte. »Selbstverständlich ist es nicht notwendig, daß Sie alles wissen, was Schreibmaschinenschreiben angeht, aber ich kann Ihnen einige Winke geben. Wenn Sie dieses Ding auf und ab drücken, dann läuft das Ding da oben entlang. Und jedesmal, wenn Sie auf diese Buchstaben tippen – ich will es Ihnen mal zeigen ... Nehmen wir einmal an, ich will ›Sehr geehrter Herr‹ schreiben, dann muß ich mit einem großen ›S‹ anfangen. Nun, wo ist denn dieses nette, große S?« Er schaute düster auf die Tastatur, schüttelte den Kopf und zuckte die Schultern. »Ich dachte es mir ja, auf der Schreibmaschine gibt es kein großes S. Ich dachte mir schon gleich, daß diese böse, alte Schreibmaschine –«

»Hier ist das große S!« Sie zeigte es ihm.

Bones verbrachte einen angenehmen Vor- und Nachmittag. Er war schon fast bei seiner Wohnung in der Curzon Street angekommen, als ihm plötzlich einfiel, daß er die wichtigste Frage, ihr Gehalt, nicht geregelt hatte. Aber er freute sich auf den nächsten schönen Morgen, wo er diesen Fehler wieder gutmachen konnte.

Bones hatte die Gewohnheit, mindestens an drei Abenden in der Woche spät abends im Bureau zu bleiben, denn er war begeistert von seinem neuen Beruf.

»Schemes Ltd.« war kein leerer Titel. Bones hatte wirklich Pläne, die jedes Gebiet der Industrie, philanthropische Dinge und soziale Tätigkeit betrafen. Er hatte Pläne, Häuser zu errichten und Rosenhecken den Eisenbahnstrecken entlang zu pflanzen, er wollte Automobile bauen, Arbeiterkolonien gründen, die Energien von Flut und Ebbe ausnützen. Er wollte ein Theater schaffen, auf dem das ganze Auditorium auf einer großen Drehscheibe saß, die man am Ende eines Aktes, ohne die Besucher des Theaters zu belästigen, herumdrehte, so daß sie auf die hinter ihnen aufgebaute Bühne sehen konnten. Der letzte Verkehrsstreik hatte ihn geärgert, weil er ihm viele Unannehmlichkeiten verursachte, und er saß nun eine ganze Nacht lang und arbeitete einen Plan aus, wie die Stadt von sich aus diesen Mißständen abhelfen könnte.

Er war so in seine Pläne und Berechnungen vertieft, daß er lange Zeit die erregten Stimmen vor seinem Privatbureau gar nicht hörte.

Aber plötzlich wurde der Lärm draußen derartig laut, daß selbst er ihn hörte. Ärgerlich schaute er von seiner Arbeit auf.

»Zu dieser Nachtstunde! ... Das ist doch unglaublich ... In einem so vornehmen Gebäude!«

Seine abgerissenen Ausrufe wurden von der Schlägerei unterbrochen. Er hörte Flüche, dann polterte etwas, und es gab ein furchtbares Krachen an seiner Tür. Er vernahm ein Seufzen, sprang auf und riß die Tür auf.

Dabei fiel ein Mann, der von außen dagegen lehnte, in das Zimmer hinein.

»Schließen Sie schnell!« keuchte er, und Bones gehorchte.

Der Besucher, der unter so merkwürdigen Umständen in Bones' Bureau gekommen war, trug rauhe Seemannskleidung. Er war ein Mann mittleren Alters, seine Mütze war mit Staub bedeckt.

Der Fremde griff nach seinem linken Arm, als ob er große Schmerzen fühle. Eine kleine, dünne, rote Spur lief auf dem Rücken seiner dicken Hand herunter.

»Setzen Sie sich, mein netter, alter Seemann!« sagte Bones besorgt. »Was ist denn mit Ihnen los? Was bedeutet denn der ganze Spektakel, Sie alter Seebär?«

Der Mann schaute ihn mit einem breiten Grinsen an.

»Sie hätten mich beinahe gekriegt, die Schweine!«

Er schlug seinen Ärmel zurück und band sein Taschentuch um einen roten Flecken. Dann lachte er in sich hinein.

»Es ist nur ein Kratzer – sie sind zwei Tage hinter mir her gewesen, Harry Weatherall und Jim Curtis. Aber Recht bleibt Recht auf der ganzen Welt. Ich habe gerade genug ausgehalten, um endlich das zu bekommen, was mir zusteht. Habe auf der hohen See gehungert – und habe auf Lomo Island gehungert – und ich soll noch mit denen teilen?«

Bones schüttelte den Kopf.

»Setzen Sie sich erst einmal, mein netter, alter Kerl«, sagte er mitleidig.

Der Mann steckte die Hand umständlich in seine innere Tasche und zog einen flachen, in Öltuch eingeschlagenen Kasten heraus, aus dem er ein altes, oft gefaltetes Stück Papier nahm.

»Ich kam in dieses große Gebäude, um einen Gentleman aufzusuchen – einen Gentleman mit Namen Tibbetts.«

Bones wollte seinen Mund schon öffnen und sprechen, aber er schwieg still.

»Ich und Jim Curtis und der junge Harry, wir waren zusammen auf der ›Serpent Queen‹. Ich heiße Dibbs. Da haben wir zuerst Wind von Lomo Island bekommen, obwohl wir nicht glaubten, daß etwas Wahres an der Geschichte sei. Aber als Dago starb –«

»Welcher Dago?« fragte Bones.

»Dago, der alles darüber wußte«, sagte Mr. Dibbs ungeduldig. »Als wir seine Sachen durchsuchten, fand ich das.« Er schüttelte den Kasten vor Bones' Gesicht. »Nun gut, wir kamen nach Sidney, ich desertierte und überredete einen Mann von Wellington, mir Geld zu borgen. Ich mietete ein Boot nach Lomo – und dann hatten wir Schiffbruch auf Lomo.«

»So, sind Sie dorthin gegangen?« sagte Bones mitfühlend.

»Sechs Wochen war ich auf Lomo. Hatte nichts zu essen als Krabben und nichts zu trinken als Regenwasser. Aber es hatte schon seine Richtigkeit, nur« – er sprach zu theatralisch für einen einfachen Seemann – »war es nicht unter dem dritten, sondern unter dem vierten Baum. Ich stieg in die erste Grube hinunter und es war soviel, daß ich zu tun hatte, es herauszuheben. Ich konnte keinem der Kanaka-Leute trauen, die bei mir waren.«

»Natürlich – und ich will wetten, daß sie Ihnen auch nicht getraut haben, die nichtswürdigen, alten Kanakas.«

»Sehen Sie.« Mr. Dibbs nahm aus seinem Kasten eine Handvoll Goldmünzen, die die Porträts fremder Königinnen und Könige trugen. »Das ist spanisches Gold, davon waren viertausend in dem Kasten. Ich füllte meine beiden Taschen und nahm sie nach Sidney mit, als wir von einem dort landenden Schiff aufgenommen wurden. Ich machte in Australien keinen Versuch, das nötige Geld zur Hebung des Schatzes zusammenzubringen. ›Das Gold wird da bleiben‹, sagte ich zu mir. ›Ich will nach England gehen und einen Mann suchen, der eine Expedition ausrüstet‹ – einen Gentleman, verstehen Sie?«

»Ich verstehe vollkommen.« Bones zitterte vor Aufregung.

»Und dann traf ich Harry und Jim. Sie sagten, sie hätten jemand, der das Geld gäbe – einen Amerikaner, Rockefeller. Haben Sie schon von dem gehört?«

»Ja – er hat ein Paraffinbergwerk.«

»Mag sein, mag auch nicht sein.« Mr. Dibbs erhob sich. »Nun, mein Herr, ich bin Ihnen sehr verbunden für Ihre Liebenswürdigkeit. Wenn Sie mir jetzt vielleicht noch das Bureau von Mr. Tibbetts zeigen könnten –«

Es war ein dramatischer Augenblick.

»Ich bin selbst Mr. Tibbetts«, sagte Bones schlicht und einfach.

Mr. Dibbs sah ihn ungläubig an.

»Sie? Ich dachte, Mr. Tibbetts sei ein älterer Herr?«

»Mein lieber Schatzfinder, seien Sie überzeugt, ich bin Mr. Tibbetts. Dies ist mein Bureau und dies ist mein Schreibtisch. Die Leute denken, daß ich älter bin, weil –« Er lächelte ein wenig traurig, dann fuhr er fort: »Setzen Sie sich, wir wollen die Sache in aller Ruhe besprechen.«

Bones ging gleich auf seinen Plan los, und die Glocken der City schlugen eins, als er seinen neuen Freund auf die Straße brachte.

Er kam am nächsten Morgen spät ins Bureau, weil er jung und gesund war und neun Stunden lang tief in Morpheus' Armen geruht hatte.

Das Mädchen mit den schönen, grauen Augen tippte mit beachtenswerter Schnelligkeit die Briefe, die Bones ihr am vorigen Abend diktiert hatte. Ein Telegramm wartete auf ihn, und er las es mit großer Befriedigung.

»Unterbrechen Sie einmal Ihre Arbeit, meine liebe Sekretärin«, sagte er bedeutungsvoll. »Ich habe eine Sache von größter Wichtigkeit mit Ihnen zu besprechen. Sehen Sie nach, ob alle Türen geschlossen sind. Schließen Sie alles zu.«

»Ich glaube kaum, daß das notwendig ist. Bedenken Sie, wenn jemand kommt und alle Türen geschlossen findet –«

»Idiot!« platzte Bones heraus und wurde sehr rot.

»Ich bitte um Verzeihung!« sagte sie verwirrt.

»Ich sprach von mir selbst«, entschuldigte sich Bones schnell. »Es ist eine große Vertrauenssache, meine liebe, gute Marguerite –« Er machte eine Pause und schüttelte den Kopf über seine Verwegenheit, denn er hatte erst am Tage vorher ihren Vornamen kennen gelernt. »Es ist eine Sache, die Takt und Verschwiegenheit verlangt, meine junge Marguerite –«

»Das brauchen Sie nicht zweimal zu sagen«, entgegnete sie.

»Also gut, nur einmal.« Bones' Züge hellten sich auf. »Das ist ein Geschäft – ich werde Sie also nur einmal am Tage Marguerite nennen. Nun, meine liebe Marguerite, hören Sie zu.«

Sie hörte mit dem größten Interesse zu und notierte dabei die vorläufigen Kosten: Kauf eines Dampfers fünftausend Pfund, Ausrüstung desselben dreitausend Pfund, usw. usw. Sie wollte sogar eine Kopie des Planes machen, den Mr. Dibbs ihm zur Aufbewahrung gegeben hatte. Bones hatte ihr erzählt, daß er ihn Tag und Nacht bei sich gehabt habe.

»Ich steckte ihn in die Tasche meines Pyjamas, als ich zu Bett ging,« erklärte er unnötigerweise, »und –« Er begann alle seine Taschen zu durchsuchen und man sah die Erregung auf seinem Gesicht.

»Sie haben ihn in Ihrer Pyjamatasche stecken lassen – ich will nach Ihrer Wohnung telephonieren.«

»Pfoch! Das ist unerhört! Ich bin beraubt worden!«

»Das glaube ich nicht. Wahrscheinlich liegt das Blatt unter Ihrem Kissen. Verwahren Sie Ihren Pyjama unter Ihrem Kissen?«

»Das ist eine Sache, die ich niemals öffentlich diskutiere. Ich möchte Sie nicht in Verlegenheit bringen, meine liebe, gute Marguerite –«

»Es tut mir leid.« Das Mädchen heuchelte so natürliches Bedauern, daß Bones vollständig zerknirscht war.

Ein Bote in einem Auto brachte den Plan, der dort entdeckt wurde, wo die verständige Marguerite ihn vermutet hatte.

»Ich bin noch nicht sicher, wieviel Geld ich dabei verdienen werde,« sagte Bones. »Nach einer eingehenden Prüfung des Objektes sind es ungefähr dreitausend Pfund – es kann aber auch eine Million oder zwei sein. Und das ist gut für Sie, meine liebe Sekretärin.«

Sie schaute ihn an.

»Ich habe mich entschlossen,« sagte Bones und spielte mit seinem Brieföffner, »Ihnen eine Provision von siebeneinhalb Prozent auf alle Verdienste einzuräumen. Siebeneinhalb Prozent von zwei Millionen macht roh gerechnet fünfzigtausend Pfund –«

Sie lehnte es lachend ab.

»Aber ich möchte Ihnen gegenüber fair handeln.«

»Sie möchten großmütig sein«, verbesserte sie ihn. »Und weil ich eine hübsche, junge Dame bin –«

»O,« sagte Bones schwach, »o wirklich, Sie sind überhaupt nicht hübsch. Ich bin nicht beeinflußt von Ihrem vollkommen häßlichen, alten Gesicht. Glauben Sie mir, liebe, alte Marguerite, ich habe einen Sinn für faires Betragen und Gerechtigkeit.«

»Nun hören Sie mich einmal an, Mr. Tibbetts.« Sie drehte ihren Stuhl um und schaute ihm direkt ins Gesicht. »Ich muß Ihnen eine kleine Geschichte erzählen.«

Bones hörte mit zusammengepreßten Lippen und verschränkten Armen zu. Marguerite wunderte sich, daß er weder bestürzt noch überrascht war.

»Nun warten Sie einmal, junges Fräulein«, sagte er ruhig. »Wenn das ein netter, alter Schwindel ist und wenn der niederträchtige Seemann –«

»Er heißt Webber und spielt Ihnen etwas vor«, unterbrach sie ihn.

»Donnerwetter, der spielt seine Rolle aber gut«, gab Bones zu. »Nun, wenn es so ist, was ist denn der andere Kerl, der zehntausend Pfund hergibt, wenn ich fünfzehn gebe?«

Dies war dem Mädchen ein Schlag ins Gesicht und Bones sah sie triumphierend an.

»Das hat mir doch der alte Seemann selbst gesagt. Er zeigte mir das Geld. Er sagte, daß er an der Börse einen hat, mit Namen Morris.«

»Morris?« seufzte das Mädchen. »Das ist mein Stiefvater.«

Bones sprang auf. Ein glänzender Gedanke kam ihm.

»Dieser alte, nichtswürdige Kerl, der Ihre verehrte Mutter geheiratet hat, meine junge, liebe, hübsche Marguerite?«

Er setzte sich an den Schreibtisch, zog eine Schublade auf und nahm sein Scheckbuch heraus.

»Dreitausend Pfund«, sagte er schnell, als er den Scheck ausfüllte. »Es ist besser, wenn Sie es für Ihre Mutter in Verwahrung nehmen, meine liebe Freundin von Faust.«

»Ich verstehe den Zusammenhang nicht«, sagte sie verstört.

»Lesen Sie das Telegramm.«

Sie nahm das Formular und las. Es war in Cowes aufgegeben. »Gemäß Auftrag habe ich Schonerjacht an Mr. Morris und Mr. Dibbs verkauft, die dreitausend Pfund bar gezahlt haben. Ihren Namen habe ich nicht genannt. Käufer besichtigten Schiff nicht, sie wollten nur Quittung über gezahlte Summe.«

»Heute nachmittag wollen sie kommen und sich ihre fünfzehntausend Pfund holen«, sagte Bones zufrieden. »Läuten Sie das nette Polizeipräsidium an und bitten Sie, daß man mir alle verfügbaren Polizeimannschaften schickt, um die beiden festzunehmen.«


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