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Die Tür zum Privatbureau öffnete sich und wurde einen Augenblick später wieder geschlossen. Sie war ausschließlich für den geschäftsführenden Direktor der Firma Schemes Ltd. reserviert. Trotzdem hatte auch eine andere Persönlichkeit das Vorrecht, durch dieses heilige Portal aus- und einzugehen.
Mr. Tibbetts saß über seinen Schreibtisch gebeugt. Er war heftig beschäftigt, und das strenge Aussehen seiner Züge wurde noch durch das Monokel erhöht, das er ins Auge geklemmt hatte. Man konnte sehen, daß er wichtige Briefe schrieb. Seine Locken hingen wirr durcheinander, und seine rote Zunge folgte dauernd den Bewegungen seiner Feder. Er schaute nicht auf.
»Legen Sie es irgendwohin, mein liebes Fräulein«, sagte er halblaut. »Auf den Tisch, oder auf den Fußboden – ganz gleichgültig!«
Es kam keine Antwort. Plötzlich machte Bones eine Pause und blickte düster auf den halbbeschriebenen Bogen, der vor ihm lag. Dann sah er auf.
Er bemerkte einen Herrn mit braunem Gesicht und lachenden blauen Augen. Er war groß und stattlich, trug einen langen Überrock und hielt einen grauen Zylinder in der Hand.
»Ach, verzeihen Sie, mein lieber, alter Einbrecher,« sagte Bones würdevoll, »dies ist ein Privat –« Plötzlich machte er ein ganz verdutztes Gesicht und mußte sich am Schreibtisch festhalten, um sich zu stützen.
»Um Himmelswillen,« rief er. Dann sprang er quer durch den Raum und verstrickte sich dabei in der elektrischen Schnur der Tischlampe, die mit einem Donnergepolter auf den Boden fiel. »Ham, Sie liebes, altes Krokodil!« Er ergriff die Hand des anderen mit seiner knochigen Rechten, schüttelte sie heftig und stieß unzusammenhängende Worte aus.
»Setzen Sie sich, mein lieber, alter Kapitän, ich werde Ihren Überzieher nehmen. – Gut, sehr gut – das ist aber schön! Geben Sie mir Ihren Hut, Sie netter, alter Kerl – das ist aber großartig! Das ist eins der schönsten Ereignisse meines Lebens, mein lieber Sportsmann und Offizier. Wie lange sind Sie schon in England? Wie haben Sie die Gebiete verlassen? Also darauf müssen wir eine Flasche trinken!«
»Nun setzen Sie sich mal erst, Sie Lärmteufel!« sagte Hamilton, drückte seinen früheren Leutnant in einen Sessel und setzte sich in einen anderen ihm gegenüber. »Das ist also Ihr Salon!« Er sah sich bewundernd um. »Es sieht direkt aus wie der Empfangsraum einer Couturière.«
»Aber mein lieber, alter Freund!« Bones war beleidigt. »Ich bitte Sie, erinnern Sie sich doch.« Er dämpfte seine Stimme und deutete mit dem Kopf nach der Tür, die von dem inneren zum äußeren Bureau führte. »Dort draußen sitzt doch noch jemand, Sie alter Weltmann, eine wohlerzogene junge Dame –«
»Was –«, begann Hamilton.
»Seien Sie nicht böse!« Bones' französische Kenntnisse standen auf schwachen Füßen. »Bedenken Sie, mein lieber, alter Freund,« sagte er feierlich und drohte mit dem tintebeklecksten Finger, »daß ich als Arbeitgeber das junge, unschuldige Mädchen in Schutz nehmen muß – mein netter, alter Seemann.«
Hamilton sah sich nach einem Wurfgeschoß um, konnte aber außer einem kristallenen Briefbeschwerer, der ihm zu wertvoll für diesen Zweck erschien, nichts entdecken.
»Couturière«, sagte er spöttisch, »ist ein französisches Wort und heißt Modistin.«
»Französisch ist eine Sprache, der ich immer sorgfältig aus dem Weg gegangen bin – ich sage auch nichts mehr – Sie haben es ganz gut gemeint, Ham.«
Dann folgte ein Sturm von Fragen, manchmal unterbrochen durch eine feierliche Zeremonie, denn Bones erhob sich von seinem Stuhl, ging mit gemessenen Schritten um seinen Schreibtisch herum und schüttelte Hamilton begeistert die Hand.
»Nun, mein lieber Bones, erzählen Sie mir, was Sie hier machen.«
Bones zuckte die Achseln.
»Geschäfte«, sagte er kurz. »Ab und zu einen Kauf oder einen Verkauf, »nein lieber, alter Kriegsmann. Ich verdiene tausend Pfund in einer Woche und verliere hundert in der nächsten.«
»Aber was für Geschäfte treiben Sie denn eigentlich?« fragte Hamilton hartnäckig.
Aber Bones zuckte nur wieder die Schultern.
»Wissen Sie,« gestand er mit einer Art Selbstbezichtigung, der aber sein ehrliches Gesicht widersprach, »ich bin eine von diesen netten, alten Spinnen, die in der Mitte ihres Netzes sitzen, oder eines dieser vollkommen bösartigen Raubtiere, die in ihren Höhlen liegen und auf Opfer lauern. Ah, ich sage Ihnen, es ist ein grausamer Sport!« Bones spielte mit seinem Elfenbeinbrieföffner. »Aber man muß leben! In der City beutet einer den andern aus.«
»Machen es die andern auch so?« fragte Hamilton.
Bones zog die Augenbrauen hoch.
»Sie versuchen es wenigstens«, sagte er kurz mit zusammengekniffenen Lippen. »Letzte Woche wollte mir ein Mensch sein Grammophon verkaufen, aber ich sah es mir erst an und wie ich vermutet hatte, fehlte die Nadel. Ein Grammophon ohne Nadel! Wie Sie wissen werden, mein lieber Musikant, ist das vollständig unbrauchbar.«
»Aber für einen Schilling können Sie doch eine ganze Schachtel voll kaufen.«
Bones machte ein langes Gesicht.
»Kann man das wirklich?« fragte er. »Wollen Sie mich nicht zum besten halten? Das hat mir nämlich der andere auch gesagt. – Dann spiele ich ein wenig,« fuhr Bones fort, »nicht auf der Börse oder auf den Rennen, verstehen Sie, aber in Devisenkursen.«
»Geldwechselgeschäfte?«
Bones neigte den Kopf.
»Zum Beispiel,« sagte er, »heute ist das Pfund zweiunddreißig Frank wert, morgen vierunddreißig. Heute ist das Pfund 4 Doll. 77 –«
»Tatsächlich steht es aber auf 3 Doll. 97«, unterbrach ihn Hamilton.
»97 oder 77,« sagte Bones gereizt, »was bedeuten denn vier Schilling für einen Mann wie Sie oder mich, Hamilton?«
Ein leises Klopfen tönte von der Tür herüber, und Bones erhob sich aufgeregt.
»Schauen Sie nicht hin, mein lieber, alter Freund«, flüsterte er. »Beachten Sie sie nicht, mein alter Ham, werden Sie nicht nervös – eine wundervolle junge Dame –«
Nachdem er sich geräuspert hatte, rief er laut: »Herein!« In solchem Ton hätte wohl in früheren Zeiten ein hungriger Löwe geantwortet, wenn aus Versehen ein christlicher Märtyrer an seine Käfigtür geklopft hätte.
Trotz aller Ermahnungen sah Hamilton doch hin. Er war verwundert und machte große Augen. Das Mädchen, das hereinkam, war wohl wert, daß man es anschaute. Er schätzte ihr Alter auf einundzwanzig Jahre. Hübsch wäre ein viel zu schwaches Wort gewesen, um damit ihre Erscheinung zu beschreiben. Ihr dunkelbraunes Haar, das in leichten Wellen über ihre Stirne fiel, hob die Lieblichkeit ihrer Augen noch, in denen der ganze Zauber und Charme weiblicher Schönheit lag.
Sie war sehr gewählt gekleidet, trug ein offenes Stenogrammbuch unter dem Arm und hielt einen Bleistift in der Hand. Langsam wurde Hamilton klar, daß diese feenhaft schöne Gestalt – Bones' Sekretärin war!
Bones' Sekretärin!
Er sah Bones groß an. Der junge Mann wurde sehr rot und vermied es, seinen Blick zu erwidern. Er stand am Schreibtisch in der Haltung eines Tischredners, der stecken geblieben ist und nach dem richtigen Wort sucht. In Augenblicken höchster Erregung hatte er entweder eine tiefe oder eine hohe quiekende Stimme. Jetzt hatte er das tiefe Register gezogen.
»Brauchen Sie mich, mein junges Fräulein?« fragte er rauh.
Marguerite zögerte.
»Entschuldigen Sie bitte, ich wußte nicht, daß Sie Besuch hatten. Ich wollte Sie wegen der abessinischen –«
»Kommen Sie herein, gewiß!« sagte Bones noch rauher als vorher. »Ist irgendeine neue Komplikation eingetreten?«
Sie legte ein Blatt Papier auf den Tisch. Von Hamilton nahm sie so wenig Notiz, als ob er irgendein Ornament am Kamin wäre.
»Die erste Rate des Kaufpreises ist heute fällig.«
»So? Ist sie fällig?« sagte Bones mit ungewöhnlichem Erstaunen. »Sind Sie auch sicher, mein liebes Fräulein? Ausgerechnet heute und außerdem ist es ein Donnerstag?« fügte er unnötigerweise hinzu.
Die junge Dame lächelte und zog die Lippen einen Augenblick zusammen.
»Nun wohl. Es ist eine Sache von größter Wichtigkeit. Wir werden den Scheck unterschreiben, mein liebes, gutes, junges Fräulein, und Sie werden ihn absenden. Schreiben Sie ihn in voller Höhe aus –«
»Dreitausend Pfund?«
»Dreitausend Pfund«, wiederholte Bones korrekt. Er klemmte das Monokel ein und schaute sie an. »Dreitausend Pfund«, sagte er noch einmal.
Sie stand und wartete, und Bones stand auch und wartete. Er war etwas verlegen, wie er diese Unterredung beenden und seine Sekretärin, ohne sie zu verletzen, aus dem Zimmer hinauskomplimentieren sollte.
»Glauben Sie nicht, daß wir den Scheck auch morgen absenden könnten?« fragte sie.
»Sicher, sicher, morgen ist Freitag – das stimmt doch?«
Sie neigte den Kopf und ging aus dem Raum. Bones räusperte sich wieder.
»Bones –«
Der junge Mann drehte sich um und sah, wie Hamilton ihn vorwurfsvoll anschaute.
»Bones,« sagte Hamilton höflich, »wer ist diese junge Dame?«
»Wer ist diese junge Dame?« wiederholte Bones und hustete. »Diese junge Dame ist meine Sekretärin, Sie netter, alter Inquisitor.«
»Sie ist meine Sekretärin. Eine außerordentlich gefühlvolle junge Dame, kolossal gefühlvoll.«
»Seien Sie nicht verdreht. Viele Leute sind gefühlvoll. Wenn Sie von gefühlvollen jungen Damen sprechen, so meinen Sie doch nur junge Damen?«
»Das stimmt. Daran habe ich noch nie gedacht. Was für einen alten, nichtsnutzigen Verstand haben Sie doch, Ham!«
Man merkte, daß er das Thema gern verlassen hätte.
»Und nun, mein lieber, alter Sohn,« sagte er, indem er plötzlich eine Geschäftsmiene aufsetzte, »was kann ich für Sie tun? Sie sind doch gekommen, um mich um Rat zu fragen?«
»Erstaunlicherweise haben Sie recht!«
»Schon gut!« Bones versuchte hintereinander drei Schubladen seines Schreibtisches aufzuziehen, bevor er eine fand, die sich sofort öffnete. »Nehmen Sie etwas zu rauchen – dann wollen wir miteinander reden!«
Hamilton nahm eine der angebotenen Zigarren und betrachtete sie mißtrauisch.
»Ist das eine Zigarre, die man Ihnen geschenkt hat, oder eine, die Sie gekauft haben?«
»Sie ist von einem Quantum, mein lieber Kamerad, das ich sehr preiswert gekauft habe. Ich habe nämlich eine feine Nase für ein gutes Geschäft –«
»Haben Sie denn auch eine feine Nase für Zigarren? Das ist hier die Frage«, bemerkte Hamilton, als er das Ende der Zigarre abschnitt und sie bedächtig anzündete.
»Glauben Sie, ich würde Ihnen eine schlechte Zigarre anbieten?« fragte Bones beleidigt. »Mein tapferer, alter Kriegsoffizier und all so was – mein lieber, guter Ham!«
»Ich werde es Ihnen gleich verraten können«, sagte Hamilton und tat zwei tiefe Züge.
Bones, der nur Pfeife rauchte, beobachtete diesen Vorgang etwas ängstlich. Hamilton legte die Zigarre sehr höflich wieder auf die Kante des Schreibtisches.
»Sind Sie mir böse, wenn ich sie nicht zu Ende rauche?« fragte er.
»Ist sie nicht gut? Um Himmelswillen – ich habe fünfzig Schilling für das Hundert bezahlt. Ich bin doch nicht etwa beschwindelt worden?«
»Ich verstehe nicht, wie Sie solches Zeug kaufen konnten«, sagte Hamilton und warf die Zigarre in den Kamin. »Es stimmt, ich bin hierhergekommen, um Sie um Rat zu fragen, Bones«, fuhr er dann fort. »Erinnern Sie sich, daß ich Ihnen vor einigen Monaten einen Brief schrieb und Ihnen mitteilte, daß mir ein Aktienpaket von einer Automobilgesellschaft angeboten wurde?«
Bones hatte eine dunkle Erinnerung, daß sich so etwas ereignet hatte, und nickte ernst.
»Es schien mir ein ganz gutes Angebot zu sein«, sagte Hamilton nachdenklich. »Sie besinnen sich doch darauf, daß ein Direktorposten mit dem Kauf der Aktien verknüpft war?«
Bones rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her und fühlte sich nicht recht wohl.
»Mein lieber, alter Freund«, begann er schwach.
»Nun warten Sie doch einen Augenblick. Ich bat Sie in einem Brief um Ihren Rat, und Sie antworteten mir, daß ich mich mit der Kiebitz-Compagnie unter keinen Umständen einlassen sollte.«
»Habe ich das getan? Nun ja, mein Eindruck war damals, daß ich Ihnen raten sollte, möglichst umgehend das Geschäft zu machen. Haben Sie meinen Brief noch?«
»Ah, sehen Sie,« triumphierte Bones, »jetzt habe ich Sie, Sie netter, alter Ham! Sie machen mir hier bittere Vorwürfe, daß ich Sie abgehalten habe –«
»Wollen Sie wohl warten, Sie verfluchter Schwätzer! Ich habe Ihnen damals geschrieben, daß die Aussichten mir sehr verlockend erscheinen. Die Compagnie war mit einem kleinen Kapital gegründet –«
Wieder unterbrach ihn Bones. Diesmal sprang er auf und ging feierlich um den Tisch herum, um ihm die Hand zu drücken.
»Hamilton, mein lieber, alter Krieger,« entschuldigte er sich, »ich war damals mit Geschäften überhäuft. Ich gebe zu, daß ich einen Fehler gemacht und Sie möglicherweise um ein Vermögen gebracht habe. Aber ich wollte Ihnen eigentlich raten, die Sache anzunehmen. Wie ich dazu kam, Ihnen das Gegenteil zu schreiben, mein lieber Spekulant, weiß ich jetzt nicht mehr!«
»Die Gesellschaft –«
»Ich weiß, ich weiß.« Bones schüttelte traurig den Kopf und klemmte sein Monokel ein. »Es war ein Irrtum von mir, mein Lieber. Ich kenne die Gesellschaft gut. Sie macht einen ungeheuren Profit! Sie können den Wagen überall in der Stadt sehen. Ich denke, der hübsche, kleine Elsterwagen –«
»Kiebitzwagen!«
»Kiebitz meine ich natürlich. Es ist einer der besten Wagen auf dem Markt. Ich wollte mir selbst schon einen kaufen. Und der Gedanke, daß ich Sie von diesem Geschäft abgehalten habe, ist mir schrecklich!«
»Warten Sie doch – wollen Sie mich nicht einmal einen Augenblick zu Wort kommen lassen?« Hamilton war verzweifelt. »Ich wollte Ihnen von meinen Erfahrungen erzählen. Ich legte das Geld – viertausend Pfund – bei dieser verteufelten Gesellschaft an.«
»Ich steckte gegen Ihren Rat das Geld in die Gesellschaft. Die ganze Geschichte ist mehr oder weniger Schwindel.«
Bones setzte sich langsam in seinen Stuhl und machte ein feierliches Gesicht, was er immer tat, wenn es sich um Geschäfte handelte.
»Mit dem Staatsanwalt ist nichts zu machen, die Geschäftsführung hält sich in den Grenzen des Gesetzes. Aber mehr oder weniger ist alles ein großer Betrug. Die Gesellschaft hat eine zerfallene, verkommene Fabrik irgendwo im Norden und der einzige, jemals hergestellte Kiebitzwagen wurde von einem schottischen Unternehmer für doppelt soviel Geld gebaut, als man dem Publikum als Kaufpreis abnehmen dürfte.«
»Was habe ich gesagt?« sagte Bones ruhig. »Arme alte Seele, ich gebe meinen besten Freunden keinen Rat, ohne die Dinge zu kennen. Die Kiebitz-Gesellschaft ist ein aufgelegter Schwindel. Sie können bei dem Anblick der Wagen sehen –«
»Es ist nur ein einziger fertig geworden«, unterbrach ihn Hamilton.
»Ich hätte des Wagens sagen sollen«, fuhr Bones unbeirrt fort. »Sein Aussehen zeigt schon, daß die ganze Sache von Anfang bis zu Ende Schwindel ist. Ah, warum haben Sie nicht auf mich gehört, Hamilton? Warum?«
»Sie Humbug!« sagte Hamilton wütend. »Vor einer Minute haben Sie sich entschuldigt, daß Sie mir diesen Rat gegeben haben!«
»Da hatte ich Ihre Geschichte noch nicht gehört!« sagte Bones munter. »Ja, Ham, Sie sind beschwindelt worden.« Er dachte einen Augenblick nach. »Viertausend Pfund!«
Bones hatte in der letzten Zeit mit großen Summen gehandelt und hatte beinahe die Bedeutung vergessen, die viertausend Pfund für einen armen Offizier hatten. Er war zu feinfühlend, um seine Gedanken in Worte zu kleiden, aber es überkam ihn plötzlich die Erkenntnis, daß es das ganze Geld war, das Hamilton besaß.
»Ham,« sagte er mit hohler Stimme, »ich bin doch ein netter, alter Bösewicht! Hier habe ich nun mit Ihnen geschwätzt und Schwänke erzählt, anstatt darüber nachzudenken, wie man die Sache wieder in Ordnung bringen kann!«
Hamilton lachte.
»Ich fürchte nur, Sie können hier nichts in Ordnung bringen, Bones. Ich wollte nur etwas über die Firma von Ihnen erfahren.«
Bei jeder anderen Gelegenheit hätte Bones behauptet, eine möglichst eingehende Kenntnis der Firma, ihrer Arbeitsweise, ihrer Geschäftsverbindungen usw. zu besitzen, aber jetzt schüttelte er nur den Kopf. Hamilton seufzte.
»Sanders riet mir, zu Ihnen zu gehen. Er hat großes Vertrauen zu Ihnen, Bones.«
Bones wurde rot, hustete, nahm seine lange, schöne Feder auf und legte sie dann wieder auf den Tisch.
»Aber immerhin wissen Sie doch genug und kennen die City, um mir zu sagen, ob ich irgendeine Aussicht habe, mein Geld wieder zu bekommen.«
Bones erhob sich mit einem Ruck.
»Ham!« Hamilton hörte, daß er gerührt war. »Das Geld bekommen Sie zurück – oder der Name Augustus Tibbetts taugt nichts mehr!«
Einen Augenblick später verabschiedete sich Hamilton mit einem kräftigen Händedruck.
Das war eine Gelegenheit für Bones. Er stützte beide Ellenbogen auf das Pult, fuhr mit den Händen durch das Haar und dachte eifrig und angestrengt über diese Sache nach. Später sagte er, daß es das schwerste Problem war, dem er jemals begegnete.
Nachdem er sich eine halbe Stunde lang die Haare zerzaust hatte, ging er langsam durch seinen schönen Raum und klopfte leise an die Tür, die zum äußeren Bureau führte.
Miß Marguerite Whitland bat ihn nicht mehr, ohne Klopfen einzutreten. Sie sagte nur noch »Herein!« Bones trat näher, schloß die Tür hinter sich und stand in einer achtungsvollen Haltung zwei Schritte von der Tür entfernt.
»Mein junges Fräulein,« sagte er ruhig, »darf ich Sie um Ihren Rat fragen?«
»Sie können mich auch um meinen Rat fragen,« sagte sie ebenso ernst.
»Es ist ein merkwürdiges Problem, meine liebe, gute Marguerite«, sagte er mit leiser Stimme. »Es betrifft die Zukunft meines besten Freundes – des besten Freundes auf der ganzen Welt«, sagte er bedeutungsvoll. »Freundschaft zwischen zwei netten, alten Offizieren ist etwas ganz anderes – ich hoffe, daß Sie mich verstehen – als die Freundschaft zwischen – ich möchte Ihnen nämlich sagen, mein liebes Fräulein, daß ich nicht persönlich werden oder Vergleiche zu den Gefühlen ziehen will, die ich für Sie hege –« Hier gingen ihm die Worte aus.
Sie kannte ihn nun schon gut genug und ließ sich nicht mehr in Verwirrung bringen, wenn er plötzlich von seinen persönlichen Gefühlen und Stimmungen erzählte. Auch war sie nicht weiter böse darüber. Ruhig und besonnen brachte sie die Unterhaltung wieder in das richtige Geleise.
»Es ist also eine Angelegenheit, die einen guten Freund von Ihnen betrifft«, sagte sie aufmunternd. Bones nickte und strahlte.
»Sie haben es erraten«, sagte er voll Bewunderung. »Sie sind die netteste Sekretärin, die jemals lebte. Ich vermute, keine andere junge Dame in London hätte das –«
»O ja, das hätte sie schon. Sie haben mir die Sache doch eben erzählt – haben Sie das schon wieder vergessen?«
»Also, um die Sache kurz zu machen, meine liebe Miß Marguerite«, sagte Bones und lehnte sich vertrauensvoll an den Tisch. »Ich muß alle Einzelheiten über einen bestimmten Schuft oder über mehrere Schufte herausbekommen –« Er hielt an und zog die Stirne kraus. »Nun, wie zum Teufel hieß doch dieser Vogel? Fasan, Rebhuhn, Strauß, Vampyr, Sperling – es hat irgend etwas mit Eiern zu tun! Was für Eier essen Sie eigentlich?«
»Ich esse nur selten Eier, aber wenn ich sie esse, sind es ganz gewöhnliche Hühnereier.«
»Nein, nein, Huhn ist der Name nicht.« Bones schüttelte den Kopf. »Warten Sie einmal – jetzt habe ich es – Kiebitz – Kiebitzwagen-Gesellschaft!«
Marguerite notierte es auf ihrem Block.
»Also, nun hören Sie gut zu. Sie müssen die besten Leute in London engagieren, um diese Gesellschaft ausfindig zu machen. Wenn nötig, nehmen Sie zwei gute Privatdetektive oder auch drei. Setzen Sie sie sofort an die Arbeit und sparen Sie keine Ausgaben. Ich will wissen, wer der Direktor der Gesellschaft ist. Ich würde ja die Sache selbst in die Hand nehmen, aber ich habe so furchtbar viel zu tun. Und dann will ich auch wissen, wo die Bureaus der Gesellschaft liegen – sagen Sie den Detektiven auch, daß sie in den Automobilgeschäften in Westend nachfragen sollen, dort werden sie vielleicht hier und dort eine Bemerkung auffangen und –«
»Ich verstehe schon«, sagte Marguerite. Bones streckte seine magere Hand aus und reichte sie der jungen Dame.
»Wenn eine Sekretärin in ganz London zu finden ist, die mehr weiß als Sie«, sagte er, und seine Stimme zitterte vor Begeisterung, »dann will ich nicht mehr Tibbetts heißen!«
Nach dieser bedeutsamen Feststellung verließ er ihr Bureau.
Fünf Minuten später trat Miß Whitland in sein Bureau und hielt einen kleinen Zettel in der Hand.
»Die Bureaus der Kiebitz-Gesellschaft befinden sich in der Gracechurch Street 604. Sie ist mit einem Kapital von achtzigtausend Pfund gegründet, von denen vierzigtausend eingezahlt sind. Sie besitzt eine Fabrik in Kenwood im Nordwesten Londons und der geschäftsführende Direktor heißt Charles O. Soames.«
Bones starrte sie mit offenem Munde an.
»Woher haben Sie denn diese überraschenden Informationen, mein liebes Fräulein?« fragte er erstaunt. Marguerite lachte ihn an.
»Ich kann Ihnen auch die Telephonnummer verraten«, sagte sie, »denn ich habe sie im Telephonbuch gefunden. Die übrigen Angaben stammen aus dem Börsenjahrbuch.«
Bones schüttelte den Kopf in schweigender Bewunderung.
»Wenn es eine Sekretärin in London gibt«, begann er wieder. Aber sie war seinem Redeschwall schon entflohen.
Eine Stunde später hatte Bones eine glänzende Idee ausgearbeitet, die seinem großmütigen Herzen und seinem erstaunlichen Optimismus alle Ehre machte.
Mr. Charles O. Soames saß in Hemdsärmeln an seinem Schreibtisch, der mit Schriftstücken übersät war. Er hatte dichtes, schwarzes Haar, einen stattlichen, schwarzen Schnurrbart, ein dunkles Kinn, und er rauchte eine große, schwere Pfeife. Als Bones angemeldet wurde, schrieb er eben mit Bleistift einen Prospekt für eine neue Gesellschaft, die er ins Leben rufen wollte. Er versprach darin reichen jungen Leuten glänzende Aussichten auf ungeheure Verdienste.
Seine Stenotypistin reichte ihm die Karte, und er unterdrückte einen Freudenschrei, als er den Namen las. Denn Bones war in der City bekannt, und es war der stille Traum eines Charles O. Soames, daß Mr. Augustus Tibbetts eines Tages mit großen Paketen von Banknoten unter jedem Arm in sein Bureau träte.
Er sprang von dem Stuhle auf, schlüpfte schnell in seinen Rock und steckte den Prospekt, an dem er schrieb, unter einen Stoß anderer Dokumente. Eins von ihnen hatte eine sonderbare Ähnlichkeit mit einer Vorladung vor das Kriminalgericht. – Dann begrüßte er seinen Besuch großartig und begeistert.
»In Sachen Kiebitz-Auto«, sagte Bones rauh. Er war stolz darauf, daß er in denkbar kürzester Weise und ohne jede Verzögerung auf den Gegenstand seiner Unterredung kam.
Mr. Soames machte ein langes Gesicht und war sehr enttäuscht.
»Ach, Sie wollen einen Wagen kaufen?« fragte er. Wenn er ehrlich gewesen wäre, hätte er sagen müssen: »Sie wollen den Wagen kaufen?« Aber unter den gegebenen Umständen hielt er diese Form für taktlos.
»Nein, mein lieber, alter Gesellschaftsgründer«, sagte Bones, »ich will Ihren Wagen nicht kaufen, denn ich bin ganz genau informiert, daß Sie keinen Wagen zu verkaufen haben.«
»Wir hatten sehr viel Hindernisse zu überwinden«, sagte Mr. Soames schnell. »Sie haben ja keine Ahnung, wie schwer es ist, heute eine Fabrikation einzurichten. Alle die vielen Vorschriften der Regierung wegen Rohstofflieferungen usw. – aber in ein paar Monaten –«
»Ich bin ganz genau im Bilde – außerdem bin ich ein Geschäftsmann.«
Er sagte das so bestimmt, daß es beinahe wie eine Drohung klang.
»Ich spreche jetzt zu Ihnen wie ein Geschäftsmann in der City von London zu einem andern. Ist es möglich, in Ihrer Fabrik Wagen herzustellen?«
Mr. Soames nahm die Gelegenheit wahr.
»Gewiß, Mr. Tibbetts«, sagte er ernst. »Das ist möglich. Wir müssen nur etwas mehr Kapital haben, als bis jetzt eingezahlt worden ist.«
Das war die Schwierigkeit, die sich bei allen Gesellschaftsgründungen Mr. Soames' herausstellte, die in einer langen Liste auf einem Messingschild an der Tür des Bureaus aufgezählt waren. Keine von ihnen hatte genügend Kapital, um überhaupt etwas zu unternehmen, es sei denn, daß sie Mr. Soames, dem geschäftsführenden Direktor, Gehalt auszahlten.
Bones holte ein hübsches, kleines Notizbuch aus seiner Westentasche und las seine Notizen oder vielmehr, er machte einen Versuch, sie zu lesen. Dann gab er es auf und verließ sich ganz auf sein Gedächtnis.
»Also, vierzigtausend Pfund sind bei Ihrer Gesellschaft gezeichnet worden. Ich will Ihre Aktien zu einem gewissen Preis übernehmen.«
Mr. Soames schluckte schwer. Hier zeigte sich die Erfüllung eines seiner Träume, auf die er sein ganzes Leben gehofft hatte.
»Es sind vier Millionen Aktien ausgegeben«, fuhr Bones fort und sah wieder in seinem Notizbuch nach.
»Wie?« fragte Mr. Soames.
Bones schaute genauer hin.
»Nein, nein – vierhunderttausend sind es.«
»Vierzigtausend!« sagte Mr. Soames höflich.
»Auf diese Kleinigkeit kommt es nicht an. Es fragt sich nur, ob Sie verkaufen wollen?«
Der geschäftsführende Direktor der Kiebitz-Gesellschaft biß sich auf die Lippen.
»Natürlich!« sagte er. »Die Aktien sind gestiegen – nicht, daß sie an der Börse gehandelt würden – wir haben uns nicht die Mühe gegeben, sie anzumelden – aber ich versichere Ihnen, mein lieber Herr, die Aktien stehen über pari.«
Bones sagte nichts.
»Sie haben allerdings nur einen geringen Überpreis«, fuhr Mr. Soames hoffnungsvoll fort. Bones erwiderte immer noch nichts.
»Zweieinhalb Schilling stehen sie über Kurs«, erklärte Mr. Soames.
»Zu pari«, sagte Bones fest und geschäftsmäßig.
Der Kauf wurde nicht gleich abgeschlossen, weil große Geschäfte in der City niemals hastig erledigt werden. Bones ging mit einem großen Stoß von Prospekten und Katalogen zu seinem Bureau zurück. Er telegraphierte an Hamilton und bat ihn, am nächsten Tag zu ihm zu kommen.
Er arbeitete am Abend mit Hilfe der wenig überzeugten Miß Whitland einen großartigen Plan aus. Der Schreibtisch war mit dicken Stößen technischer Publikationen aus der Automobilindustrie bedeckt. Die Tatsache, daß er die Gesellschaft kaufte, um das Geld seines Freundes zu retten, war vollkommen vergessen. Seine etwas zweifelhaften Berechnungen beschworen einen glänzenden Traum herauf. Das Kiebitzauto sollte die Oberfläche der ganzen Erde bedecken. Er las in einem Aufsatz über Massenproduktion, wie ein berühmter Amerikaner tausend oder hunderttausend Wagen am Tage fabrizierte und wie das Auto auf dem endlos langen Fabrikationsband zusammengestellt wurde. Arbeiter warteten in Reihen, und jeder brachte eine Schraube an oder nahm etwas ab, so daß der Wagen schließlich mit eigener Kraft die Fabrik verließ.
Bones entwarf aber einen runden Fabrikationstisch. Wenn ein Arbeiter vergaß, eine Schraube oder eine Stange anzubringen, konnte der Irrtum dann in Ordnung gebracht werden, wenn der Wagen an der Stelle wieder vorbeikam. Der Name Kiebitz-Automobil sollte ein gebräuchliches Wort auf der ganzen Welt werden. Die Fabriken, die den Wagen herstellten, mußten allmählich über Nord-London hinauswachsen und jedes Jahr sollte ein Festessen abgehalten werden. Bones saß dann in dem Direktorsessel und seine schöne Sekretärin an seiner Rechten. Bones hielt die Tischrede und kündigte an, wieviel Verdienst auf die Aktien an Tausende von Arbeiterhänden in Gestalt von Gutscheinen verteilt werden sollte. –
Hamilton war pünktlich um zehn Uhr da. Er flog geradezu in das Bureau und warf mit einem Knall ein großes Papier auf Bones' Schreibtisch. Er zeigte die Begeisterung eines Mannes, der plötzlich Geld bekommt, das er nicht verdient hat.
»Mein lieber, alter Freund,« sagte Bones empfindlich, »erinnern Sie sich doch und wahren Sie den Anstand, mein lieber Ham. Sie sind hier nicht in Südwest!«
»Bones, Sie sind ein Engel!« rief Hamilton. »Wissen Sie, was sich ereignet hat?«
»Reden Sie doch etwas leiser und brüllen Sie nicht so, mein alter Freund«, protestierte Bones. »Meine Sekretärin denkt sonst, wir schlagen uns die Köpfe ein.«
»Er kam gestern abend«, erzählte Hamilton, »als ich gerade zu Bett gehen wollte.« Er sprach fast zusammenhanglos in seiner Freude. »Er bot mir dreitausendfünfhundert Pfund für meine Aktien an –, und ich habe sie sofort angenommen.«
Bones sah ihn erstaunt an.
»Er hat Ihnen dreitausendfünfhundert Pfund geboten? Großer Gott, Sie wollen doch nicht etwa sagen –«
Man stelle sich die Tragödie dieses Augenblicks vor. Da stand Bones und wälzte die größten und stolzesten Probleme in seinem Kopf. Er wollte eine Automobil-Gesellschaft gründen, die den Weltmarkt eroberte. In seinem Kopf hatte er schon große Fabriken entworfen, vor seinem Auge sah er lange, weißgedeckte Festtafeln, und er hörte schon die begeisterten Zurufe, wenn er aufstand, um seine Rede zu halten und von dem guten Geschäftsgang der Firma zu berichten. Man denke auch, daß er schon den Scheck ausgeschrieben hatte, der auf seinem Schreibtisch vor ihm lag, denn er erwartete die Ankunft des Mr. Soames. Und man denke sich, wie in dieser Situation Mr. Charles O. Soames durch die Türe des äußeren Bureaus trat und wie vom Blitz getroffen dastand, als er Bones und Hamilton in freundschaftlichem Gespräch miteinander sah.
»Guten Morgen«, sagte Bones.
Mr. Soames stieß einen unterdrückten Schrei aus und ging schnell in die Mitte des Zimmers. Höchste Erregung stand auf seinem Gesicht geschrieben.
»So war die ganze Sache nur eine Prellerei, ein Schwindel, wie? Sie haben alles nur angezettelt, um Ihren Freund aus der Patsche zu ziehen?«
»Mein lieber, alter –«, begann Bones verdutzt.
»Ich sehe schon, wie alles zugegangen ist. Nun gut, Sie haben mich um dreitausendfünfhundert Pfund geneppt, und Ihr Freund kann lachen. Das ist alles, was ich zu sagen habe. Es ist das erstemal, daß mich jemand hereingelegt hat. Noch dazu so ein Grünhorn wie Sie!«
»Mein lieber, alter Kerl, mäßigen Sie doch Ihre Sprache!« sagte Bones.
Mr. Soames atmete schwer, stülpte seinen Hut auf den Kopf und ging aus dem Bureau, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Sie hörten, wie er die Tür hinter sich ins Schloß schmetterte.
Bones und Hamilton sahen sich lang an. Dann nahm Bones den Scheck vom Tisch und zerriß ihn langsam. Es hatte fast den Anschein, als ob er sein Leben damit zubringen sollte, große Schecks zu zerreißen.
»Was bedeutete diese ganze Sache, Bones? Was, zum Teufel, haben Sie angestellt?« fragte Hamilton verwundert.
»Mein lieber, alter Ham«, sagte Bones feierlich, »es war ein kleiner, gut ausgearbeiteter Plan, wirklich so ein kleiner, netter Plan. Nehmen Sie Platz, mein alter Offizier«, fuhr er nach einer feierlichen Pause fort, »und lassen Sie dies eine Warnung für Sie sein. Legen Sie Ihr Geld nie wieder in Industriepapieren an. Der Arbeitsmarkt steht derartig schlecht, die verfluchte Undankbarkeit der arbeitenden Klassen – es ist tatsächlich herzzerbrechend – wirklich, mein lieber Ham!«
Und dann änderte auch Bones seinen großen Plan, legte ihn beiseite und beteiligte sich nie wieder an Industrieunternehmungen.