Jakob Wassermann
Alexander in Babylon
Jakob Wassermann

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Zweites Kapitel

Die Hochzeitsfeier

Am andern Tag fand die den Makedoniern versprochene Schuldenzahlung statt. An vielen Stellen des Lagers wurden große Tische aufgestellt und Hunderte von Sklaven schleppten aus dem Palast goldgefüllte Säcke herüber. Zuerst kamen die Makedonier nicht; sie fürchteten, Alexander wolle nur die Verschwender kennen lernen, um sie nachher ihren Leichtsinn doppelt entgelten zu lassen. Da verkündeten die Herolde, daß keiner seinen Namen nennen oder aufschreiben müsse, es genüge, wenn sie den Schatzmeistern die Höhe der Summe und den Gläubiger angäben. Dies stolze Vertrauen schmeichelte den Soldaten, und die meisten verschmähten es, Vorteile zu erlangen, wo die Gelegenheit zu List und Betrug allzuleicht war. Doch eine vibrierende Mißstimmung verschwand nur bei jenen, die sich sogleich wieder zum Trinken lagerten oder ihren Ausschweifungen ergaben. Die andern liehen den herumschwirrenden, kaum zu fassenden Gerüchten das Ohr. Ein grauer Regenhimmel hatte sich über Stadt und Lager verwoben, und sie betrachteten das Verschwinden der Sonne als ein böses Zeichen. Daß sie von den drückenden Schuldenlasten erlöst waren, erleichterte oder befriedigte sie nicht im geringsten; nur die Wünsche hatten noch Reiz für sie, jede Erfüllung war zugleich eine Enttäuschung. In nüchternen Stunden waren sie die unglücklichsten aller Menschen; der Freund fürchtete im Freund einen Verleumder und Verräter, sie wagten nicht mehr, ihre Gedanken in Worte umzusetzen, an die guten Götter glaubten sie nicht mehr, und die Mächte des Bösen fürchteten sie bis zum Wahnwitz; zu jeder Minute fühlten sie sich preisgegeben; da sie einem fremden Leben niemals den geringsten Wert beigemessen, sahen sie auch das eigene beständig vor dem Abgrund des Todes taumeln. Durch das lange Fernsein von der Heimat waren auch diejenigen entwurzelt, die einst aus dem mütterlichen Boden Kraft und Beständigkeit gesogen hatten; in ihnen war kein Glauben, kein Vertrauen, keine Hoffnung, keine Freude, keine Festigkeit, kein wahrer Ernst. Die Schlacht entflammte sie zum Blutdurst, wie der Wein zur Trunkenheit, und ohne Schlacht und ohne Trunkenheit waren diese Abertausende von erwachsenen Männern wie traurige Bestien, müde an sich selbst, müde an der Welt, aufgeregt durch schwere Träume, gepeinigt von maßlosen, aber leeren Begierden, willenlose Werkzeuge für jeden fremden Willen.

So geschah es auch, daß unter den Edelknaben plötzlich eine Verschwörung gegen das Leben Alexanders ausbrach. Eigentlich um nichts, – die Sonne brütet Maden aus, der Sumpf treibt Blasen, die der leichteste Luftzug zerplatzen läßt. Aus einem trägen Knabengehirn war ein träges Gelüst aufgestiegen, empfangen im übersättigten Behagen, geboren und gehegt in der stachelnden Langeweile einer dumpfen Seele. Der eine fand einen zweiten, und auf dem Bett unnatürlicher Liebe reifte der Entschluß. Wenn die Verwegenheit von Männern nach dem Höchsten greift, wird ihre Tat im Feuer der Leidenschaft geglüht, aber diese vorzeitig ins wilde Leben gerissenen Knaben erlagen ihrem tückischen Trieb wie einer Krankheit. Ein rauhes Wort Alexanders gab den letzten Anstoß. In der Nacht der Hochzeiten sollte der Plan ausgeführt werden, am Morgen vorher wurde Hephästion durch einen Sklaven benachrichtigt, der ein verdächtiges Wort während des Bades der Edelknaben aufgeschnappt hatte. Hephästions erste Sorge war, alle Kunde von Alexander fernzuhalten und das giftige Gewebe in der Stille zu zerreißen. Wenn er davon erfuhr, dann war es aus mit den festlichen Tagen, noch ehe sie begonnen, dann geschah es wie damals in Baktra, daß mit drei Schuldigen dreihundert Unschuldige fielen, daß wochenlang das Gespenst des Verrates alle Lippen verschloß, daß Alexander, rasend gegen Freund und Feind, das Beispiel eines entfesselten Dämons gab. Deshalb pries Hephästion den Glückszufall, der ihm das Geheimnis entschleiert hatte, und ohne eine Minute zu säumen, entfaltete er eine fieberhafte Tätigkeit. Den Sklaven, dessen Mitwissen unbequem war, schickte er mit Aufträgen nach Babylon. Die beiden Edelknaben ließ er gefangen setzen und befahl, sie zu foltern, denn er brauchte Geständnisse, um die Ausdehnung des verbrecherischen Anschlags kennen zu lernen. In seiner Gegenwart wurden die Knaben entkleidet und noch einmal in Milde befragt. Sie schwiegen. Nun wurden sie an Pfähle gebunden und ihre Haut wurde mit glühenden Eisenspitzen durchbohrt. Es waren halbe Kinder, ihre Sündhaftigkeit war keiner Probe gewachsen, sie versprachen, alles zu gestehen, und Hephästion blieb mit ihnen allein.

Sie erzählten. Ihre Beichte trug den Stempel der Wahrheit, jedes Wort war in Tränen gebadet. Wie es gekommen, warum es gekommen, wußten sie nicht zu sagen. Hephästion schauderte bis ins Mark hinein, als sie anfingen, Namen zu nennen; er schauderte und staunte über den Umkreis, den der finstere Plan in der Kürze der Zeit gezogen hatte. Manche hatten sich herzugedrängt, die nicht einmal wußten, was im Werke war, sie rochen es in der Luft, kamen nur aus dem dumpfen Trieb zur dunklen Tat, aus verruchter Neugier, aus Veränderungssucht. Da waren Leute, denen Alexander nur Gutes erwiesen, Männer von scheinbar erprobter Treue, die man sonst als Freunde, als Kameraden hochschätzen durfte, und nun!

Warum? warum?

In Hephästions Innern verging alles Licht. Er wurde an sich selbst irre. Er haßte den Boden, den sein Fuß betrat, die Luft, die sein Mund atmete. Doch er durfte sich den gefährlichen Regungen nicht hingeben; klar und rasch im Urteil, begann er zu handeln. Er ließ die zwei Knaben auf der Stelle erdrosseln, ihre Leiber in einer Sänfte außerhalb des Lagers schaffen und in seinem Beisein verscharren. Zurückgekommen, schickte er Boten herum und beschied die andern Verschwörer, es waren neun an der Zahl, zu sich in den Palast. Als sie kamen, ertönte im Lager schon die Hochzeitsfanfare. Er begab sich mit ihnen in einen abgelegenen Raum und redete sie an. Er machte ihnen weder Vorwürfe noch zeigte er ihnen seine innere Betrübnis, noch erinnerte er sie an die Wohltaten, die sie von Alexander empfangen hatten, sondern er erzählte ihnen eine kleine Parabel.

Einer der persischen Großen trachtete einst seinem König nach dem Leben und zettelte eine Verschwörung an. Da kam ein Einsiedler aus Syrien zu diesem Mann und brachte ihm einen Schädel, einen ganz gewöhnlichen Schädel von einem Totengerippe. Was soll ich damit? fragte der Mann. Wäge ihn und bewahre ihn, erwiderte der Einsiedler. Der Perser ließ eine Wage kommen und legte den Schädel auf die eine und Gewichte auf die andere Schale. Aber sonderbar, der Schädel war schwerer als alle Gewichte, die man auftreiben konnte, es wurde nichts gefunden, was ihn aufgewogen hätte. Als man darüber ganz ratlos geworden war, nahm der Einsiedler eine Handvoll Staub und verstopfte damit die Augenhöhlen des Schädels. Und da erhob sich plötzlich der Schädel, obwohl nur ein kleiner Stein auf der andern Schale lag. Der Perser wurde darüber sehr nachdenklich, und von der Stunde an ließ er ab von seinem schwarzen Vorhaben.

Die Wirkung der simplen Geschichte war erschütternd. Vielleicht war Hephästions Ruhe schuld, seine Vernunft, seine Klarheit, seine Einfachheit. Die neun Männer gerieten ganz außer sich, sie wehklagten, rauften ihre Haare, weinten, warfen sich auf den Boden und überließen sich ohne Ausnahme dem Schmerz ihrer Scham und Reue. Als sie sich ein wenig beruhigt hatten, da gebot Hephästion, jeder solle den Oberarm entblößen und mit dem Schwert ein blutiges Mal in die Haut ritzen, und jeder solle das gleiche Zeichen eingraben zum Andenken an diese Stunde, damit sie bei künftigen Versuchungen durch einen Talisman gefeit seien. Das geschah, und darauf entließ er die Männer zum Feste.

Er selbst eilte ins Bad, ließ sich abreiben und salben und mit dem reichen Perserkleid schmücken. Es war spät. Der Zug der Bräute war schon aufgebrochen. Sein Fernbleiben konnte nicht unbemerkt geblieben sein. Mit überstürzter Hast, so daß seine Sklaven weit zurückblieben, verließ er den Palast. In der Hauptgasse des Lagers geriet er in ein so dichtes Menschengewühl, daß er eine Zeitlang weder vor- noch rückwärts konnte. Einige Griechen, die ihn erkannten, halfen ihm heraus. Doch auch die Seitenwege zwischen den Zelten waren voll von Menschen, die freien Plätze voll von Kaufleuten, Sängern, Tänzerinnen und Komödianten. Wie Orkanbrausen war das Getöse der Stimmen, die vielfachen Rufe, das Weibergeschrei, das schmeichlerische Girren der Perser, die düstere Sprache Babylons, die dumpfen Laute Thessaliens. Da war der Libyer im Lederwams, der dunkelfarbige Sohn Gedrosiens, der zierlich-würdevolle Araber, der ernste Meder, der Inselbewohner vom Roten Meer mit Goldstaub in den Haaren, der bewegliche Parther, der wilde Hyrkanier, der bäurisch plumpe Paphlagonier, der Arkader mit der Ledermütze, und wie sehr auch alle in Bildung und Gehaben verschieden waren, ein Zug war ihnen gemein: jedwedes Gesicht zeigte den Ausdruck der zügellosen Lüsternheit, des Rausches um seiner selbst willen, einer seelenlosen Ekstase. Fast alle Augen hatten einen unheimlich starrenden Ausdruck; es war bei all dem frechen Überschwang etwas angstvoll und angespannt Horchendes in den Gesichtern; ihre Rauheit war nicht kriegerisch, sondern glich der von Helfershelfern bei einer Schandtat.

Hephästion hatte es längst gewußt, aber seine Beobachtung war nie von solcher Furcht begleitet gewesen. Mit heftiger Anstrengung schüttelte er das Nachdenken von sich ab. Seine Sklaven hatten ihn eingeholt, liefen schreiend vor ihm her und bahnten eine Gasse im Gewühl. Vor dem großen Hochzeitszelt ertönte zum drittenmal die Fanfare. Durch ein Spalier von siebenhundert Edelsöldnern in purpurnen Gewändern zogen die persischen Bräute ein, voran die Fürstentöchter mit Kronen im Haar.

Das riesige Zelt, in dem sich mehr als zehntausend Menschen befanden, ruhte auf achtzig vergoldeten und versilberten, mit Edelsteinen ausgelegten Säulen. Von blinkenden Elektronstäben hingen kostbare Teppiche herab. Die Ruhelager hatten goldene Polster und goldgestickte Purpurdecken. Als Hephästion eintrat, wurden von den Makedonien an der Hochzeitstafel schon die Brote mit dem Schwert zerteilt, das Ende der Vermählungshandlung, und die Perserinnen entschleierten sich. Fremd und wunderbar tauchte manches schmale Gesicht auf, die Augen von mineralischer Schwärze, ein Traumlächeln auf unbeweglichen Scharlachlippen. In Gebärden und Worten schienen sie willig, der befohlenen Liebe geneigt, doch manche der kleinen glatten Elfenbeinstirnen bebte von düsterer Erinnerung. Die eine hatte durch den selben Mann, den sie jetzt umarmen sollte, ihre Brüder verloren, die andere gedachte der Mutter, die auf den Trümmern des heimatlichen Hauses geschändet und erschlagen worden, die dritte sah die Stadt, in der sie geboren, in Flammen stehen, die Schätze geraubt, die Tempel erbrochen, die heiligen Bücher fortgeschleppt. In ihrer Phantasie lebten noch die Bilder zertretener Saaten, verwüsteter Dörfer, verwesender Leichname von Kindern und Greisen. Ihr Mund lachte und regte sich dem Kuß entgegen, doch ihre Blicke flohen den Schauplatz aberwitziger Freuden. Neben Alexander saß Stateira, die Tochter des unglücklichen Dareios. Sie war in herrliche babylonische Gewebe gekleidet, über ihre Schläfen liefen Perlenschnüre, um den Hals trug sie an silberner Kette ein Amulett, das vor üblen Träumen schützte. Ihr Gesicht war von einer merkwürdigen bösen Regungslosigkeit. Vielleicht dachte sie an ihre Nebenbuhlerin Roxane, die im Königspalast zu Babylon auf Alexander wartete. Bisweilen tauschte sie einen schnellen Blick mit Drypetis, ihrer Schwester, die für Hephästion bestimmt war und die wie eine scheue Sklavin sinnlich beunruhigt vor sich hinlächelte.

Hephästion kam. Alexander, er saß gegenüber, schaute empor. Ein einziger Blick zwischen beiden, und Hephästion wurde bis in die Lippen bleich. Er weiß alles, dachte er erstarrend. Ja, Alexander wußte von dem Anschlag und wußte auch, daß Hephästion davon unterrichtet war. Im Gedräng der Vorhalle, nach dem Frühstück, war ihm ein Zettel in die Hand gespielt worden. Wahrscheinlich war es einer der Übeltäter selbst gewesen, hatte den Genossen und dem Verratenen zugleich dienen wollen; kein Auge hatte ja noch ein festes Ziel, noch weniger irgend ein Herz einen Mittelpunkt, zu jeder Stunde geschah gerade das Unerwartete, ein Luftbild, ein Nichts zerstörte die feste Abrede zwischen Freunden, und wer die letzte Sproße auf der Leiter seiner Wünsche erklimmen wollte, verlor lieber sich selbst als die gute Gelegenheit. Bleiern und lähmend spürte Hephästion, wie das Mißtrauen in Alexander tobte, so daß er nur mit Anwendung aller Kraft an sich halten, den Zutrinkenden danken, den Fragern antworten konnte. Manchmal flog sein Blick fragend zu Hephästion hinüber, aber Hephästion war zu stolz, diesen vermessenen Argwohn zu stillen. Er schwieg und tat, als bemerke er nichts. Aber er mußte es immer deutlicher gewahren, wie Alexander litt, wie er die Zähne aufeinander rieb und an den Lippen nagte, wie er mit beiden Händen die dichten Haare gleich einem geduckt Lauschenden gegen die Ohren hielt, wie sein Auge dahin und dorthin flog, wie seine Faust krampfhaft und immer krampfhafter den Becher umklammerte, wie durch jedes Wort, das er sprach, die knirschende Wehklage tönte: Seht, auch Hephästion hat mich verraten, Hephästion ist im Einverständnis mit denen, die mir nach dem Leben trachten . . .

Nackte Knaben liefen hin und her; sie schöpften Wein aus den großen Behältern in die kleineren Amphoren. Sie kletterten wie Zwerge an ehernen, auf kolossalen Statuen ruhenden Kratern herum, die mit dunklem chalydonischen Wein gefüllt waren. Sie trugen die auf Würfeln ruhenden Eimer, die mit Inselweinen gefüllt waren, zu den Tischen. Wie beflügelt eilten sie dahin mit ihren Trinkhörnern, Schöpfgefäßen, Doppelbechern und Schalen aus Onyx, Achat, Alabaster und Porphyr. Seltsam wie das Rascheln vieler kleiner Tiere im Gras klangen ihre Schritte auf dem mit Blüten und Laubwerk bedeckten Boden. Lange Züge von Sklaven reichten die Speisen: das gebratene Fleisch kappadokischer Schafe, Rinderkeulen am Spieß gebraten, Vögel auf phönikische Art zubereitet, seltene Fische aus dem schwarzen Meer, flache Gerstenkuchen aus Babylon, euböisches Obst, bernsteinfarbene Riesendatteln aus den karäischen Dörfern, ägyptischen Käse und sizilische Leckereien.

Alle, die in Alexanders Nähe waren, wurden jetzt aufmerksam und verfolgten mit wachsender Unruhe das aufregende Spiel seiner Mienen. Da suchte auch der Unschuldige in seinem Innern nach einer Schuld und der nicht ganz Reine gedachte seines Makels. Sie peitschten deshalb ihre Laune an, warfen mit prahlerischen Worten um sich, schlangen die Arme um die Frauen; der graubärtige Krateros richtete sich vom Lager empor, wie ein Satyr tauchte er auf mit weinschmatzendem Mund, pries lallend Alexander, riß ein Stück der Rosenguirlanden von der Säule nebenan und warf es Alexander zu. Der einzige Perdikkas bewahrte seine Besonnenheit. Seine Augen sahen aus wie gefroren, ihn gelüstete es unaufhörlich nach blutiger Abrechnung, und über diesem Verlangen trug er die Maske der Gerechtigkeit; stets zu Anklagen fertig, war ihm der Ton friedlich scherzenden Genusses lästig, und nur eine Stunde wie diese spannte seine Erwartung höher.

Plötzlich erhob sich Alexander. Er schloß die Augen, so daß das Gesicht wie schlafend aussah, und die Stimme brach dunkel aus den bebenden Lippen: »Hast du mir nichts zu sagen, Hephästion?«

Ringsum entstand jähes Schweigen. Hephästion schüttelte den Kopf und verneinte stolz und entschlossen. Da öffnete Alexander die Augen. Sein Blick flackerte. Er riß mit der Linken das Diadem vom Kopf, beugte sich hinüber und legte den königlichen Schmuck mit einer wildverachtungsvollen Gebärde, ganz außer sich vor Groll und Gram, Hephästion um die Stirn, als wolle er sagen: wenn du mich verraten willst, dann will ich nicht mehr Herr sein, dann sei du es.

Feierliche Ruhe breitete sich aus. Die Speiseträger blieben stehen, die Musiker unterbrachen ihr Spiel, die Witzlinge stockten in ihren Zoten, die Knaben hörten auf, ihre von Wohlgerüchen dampfenden Schalen zu schwingen, den Tänzerinnen entsanken die Schleier, den Trinkenden die Pokale. Hephästion drückte die Hand auf die Brust, als schmerze es ihn im Innern. Er war wie eine Bildsäule anzusehen, doch schaute er mit einem aufmerksamen und fragenden Blick zu Alexander empor.

Durch die Eingänge und oberen Lichtöffnungen des Zeltbaues strömte die Glut des Sonnenunterganges. Sie färbte die Gesichter von Männern und Frauen dunkelrot, überzog die ölglänzenden Leiber der Weinmischer, durchleuchtete die Alabasterkannen, daß sie wie mit Flammen gefüllt aussahen, spielte im Geschmeide und im Gold der Gewänder, umlohte die hohen Säulen und verbreitete, als die Sonne in der Falte zwischen Himmel und Ebene versunken war, eine rosige, bewegliche, schwere Dämmerung. Vor dem Hauptausgang entstand eine stauende Bewegung unter den Menschenmassen, ein heftiges Drängen nach einem Punkt. Ein Ruf drang von draußen herein, oft wiederholt und sich steigernd im Ausdruck: »Der Inder! der Inder!« Die blinde und treibende Menge riß einen der mächtigen Wandteppiche des Zeltes ab und wälzte sich gegen die Tische. Die Gäste erhoben sich. Viele, durch die Sonnenröte geblendet, hielten die Hand vor die Augen. Der Himmel erschien jetzt wie geöffnet, er war so mit Purpur übergossen, daß der herabflutende Glanz die Bäume, die Wasser, die Gräser und die Steine färbte; um die Tiefe des Horizonts aber lief ein gläserner, smaragdgrüner Saum, auf den sich die ganze Himmelswölbung wie eine von Blut rauchende Glocke stützte.

Hephästion blickte hinaus. Dann griff er langsam nach dem Diadem und gab es Alexander lächelnd zurück. Es war ein herrliches Lächeln voll Bittersüße und vermochte mehr als alle Worte der Welt, mehr als Beteuerungen und Beweise, denn es enthielt mehr, es enthielt die Zusage des Vergessens dieser Stunde. Alexander schämte sich, er errötete und schämte sich.

Die meisten begriffen nicht, was vorgegangen war. Sie hatten gehofft, nun sei es vorbei mit Hephästion; die unerwartete Wendung erweckte Erstaunen und Unwillen. Doch ihre Aufmerksamkeit wurde durch den Tumult abgelenkt, der draußen entstanden war.

Eine Anzahl Soldaten, Makedonier, Kreter und Epiroten hatte ein Gerüst erbaut und es als eine Art riesigen Wagens von sechzehn Pferden durch das Lager ziehen lassen, während sie oben ruhten, vom grünen Gezweig überschattet, ununterbrochen schmausten und aus zusammengebundenen Schläuchen tranken. Ihre nackten Weiber saßen dabei, jubelten zum Saitenspiel und tanzten um einen gewaltig großen Phallos. Da war ihnen ein langer Zug von Kindern entgegengekommen, an der Spitze der Inder Kondanyo. Er hatte sich der verwahrlosten, hungernden, obdachlosen Geschöpfe angenommen, deren Eltern bei dem Wüstenzug das Leben verloren hatten, und wollte sie zu Alexander führen, damit er sich ihrer erinnere in der Stunde des Glücks. Aber der Wagen der Söldner versperrte den Weg zum großen Zelt; auf der einen Seite war der Fluß, auf der andern lagen in hölzerner Umzäunung die Opfertiere. Die Soldaten schleuderten Verwünschungen und Flüche herab, die wilden Pferde vor dem Schaugerüst drohten die Kinder niederzustoßen, da trat Kondanyo vor den Wagen. Er trug ein härenes Gewand, war bloßfüßig und sein weißes Haar hing unbedeckt bis auf die Schulter. Die Söldner fingen an zu spotten. Aber das Gesicht des Alten zeigte einen so befremdlichen Ausdruck von Güte, eine solche todesüberlegene Kraft, daß ihre Witze zu Boden fielen wie vom Blitz versengte Vögel.

Alexander wandte sich dem Ausgang des Zeltes zu. Hephästion trat an seine Seite. Jetzt beschloß er zu reden, und er hoffte von der günstigen Stimmung, daß Alexander das Geschehene leicht nehmen würde, denn er schien ganz von Tat entlastet, vom treibenden Feuer des Willens gelöst, schien im tiefsten Genuß seiner selbst völlig dem Augenblick ergeben. Bezaubernd war die Milde seiner Miene und das feuchtaufblickende, schmachtende Auge. Hephästion begann also seine Erzählung, aber er kam nicht bis zum dritten Wort. Alexander nahm den Ring vom Finger und drückte das Siegel zum Gebot des Schweigens auf Hephästions Mund, und beide empfanden es, wie sich am Mißverständnis das Leben entzündet.

Indessen waren sie hinausgetreten. Die Menge machte Platz. Kondanyo gewahrte Alexander und löste sich aus der Schar der ihn ängstlich umdrängenden Kinder. »Verkünde mir Gutes, du Seher!« rief ihm Alexander lebhaft entgegen.

Kondanyo neigte sich und erwiderte sanft. »Selig sind, die nicht hassen, Alexander. Selig sind die Armen, süß ist die Einsamkeit. Besseres kann ich nicht verkünden.«

Alexander blickte sinnend in die halbverglommenen Abendgluten. Er suchte nach einer Antwort für den Inder, aber es zeigte sich, daß alles, was er hätte sagen können, leer und haltlos war. Er hatte die eigentümliche Empfindung, als ob ein gewaltiges Wesen vor ihn hinträte, um ihn nach dem Ziel seiner Handlungen zu fragen, jedoch in einer Sprache, die er nicht verstand.

Die Nacht sank herab.

Vor den Zelten glühten die Hornlaternen, in den Becken brannten Flammen, Fackeln flackerten und allmählich wurde es stiller im Lager. Von der Ebene her waren drei dürftig aussehende Reiter vor die königliche Halle gekommen und verlangten Alexander zu sprechen. Man wies sie schroff ab, erst nach langen Unterhandlungen mit dem Obersten der Wache ließ dieser Hephästion herbeiholen.

Hephästion kam, und einer der Boten überreichte ihm einen doppelt versiegelten Brief, worin Arrhidäos, der Sohn Philipps und Halbbruder Alexanders in ziemlich erhabenen Wendungen den glücklichen Verlauf seiner Reise von Pella bis Sardes mitteilte und um Übersendung von zwölf Silbertalenten zur Weiterreise ins Lager ersuchte.

Hephästion zuckte die Achseln und blickte die drei Leute, die inzwischen vom Pferd gestiegen waren, der Reihe nach forschend an. Sie waren sichtlich müde. Ihre Mützen waren zerschabt, die Riemen ihrer Schuhe zerrissen. Plötzlich erinnerte sich Hephästion an diesen Arrhidäos, er sah ihn: einen dunkelhaarigen dürren Träumer, einen ängstlichen Beiseitesteher und grüblerischen Phantasten. Es floß wie ein Tropfen Unheil aus der sonderbaren Botschaft.


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