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Die Infantin Johanna wurde geboren beim Sterbensgeschrei von mehr als hundert Ketzern, die in derselben Stunde den Feuertod erlitten und unter demselben Fenster, hinter dem die Königin Isabella in Wehen lag.
Des Kindes Haut zeigte eine bernsteingelbe Farbe und seine Augen waren groß, tief, still und düster. Außerdem hatte es unter der Brust ein Mal in Form eines liegenden Kreuzes, von sonderbaren helleren Linien umgeben, die züngelnden Flammen glichen. Am Hof entstand später das Gerücht, daß die Infantin den Anblick des Feuers nicht ertragen könne.
Nicht wie andere Kinder hatte sie Freude an Spiel und Tand und bei festlichen Gelegenheiten verbarg sie sich und suchte die Einsamkeit. Sie lernte spät sprechen und galt bei allen, die sich auf den menschlichen Geist verstehen, alsbald für blöde. Ihren Eltern brachte sie wenig Liebe entgegen, auch sah man sie niemals mit wahrer Inbrunst beten, doch immer wenn die Nacht kam, wurde sie noch scheuer als sonst und im Schlaf schrie sie wie ein Teufel aus peinigenden Träumen auf.
Der König, dem das Kind ein ängstlicher und trübsinniger Anblick war, suchte sie mehr und mehr aus seinen Augen zu entfernen, und als sie elf Jahre zählte, schickte er sie ins Kloster Santa Maria de las Huelgas bei Burgos; sein Entschluß hiezu wurde durch den Vorfall mit dem englischen Windspiel bekräftigt.
Johanna besaß nämlich ein englisches Windspiel von edler Rasse; sie hing mit großer Liebe an dem Tier, es mußte des Nachts neben dem Bette schlafen, sie gab ihm selbst zu fressen und führte es selbst in die Gärten. Das Tier war auch seinerseits der jungen Herrin treu ergeben. Eines Nachts aber geschah es, daß sich Johanna aus dem Schlaf erhob; es war ein Gewitter, und in dunkler Furcht schritt sie zum Fenster. Das Windspiel aber, mochte es nun durch Donner und Blitz erschreckt und erregt sein oder ein Traum seinen Instinkt getrübt haben, knurrte plötzlich und biß Johanna ins Bein. Die Wunde war ungefährlich, doch Johanna, obwohl sie das Tier noch eben so zärtlich liebte, hatte beschlossen, es müsse sterben und nichts konnte sie von ihrem Vorsatz abbringen. Sie wußte sich ein Dolchmesser zu verschaffen, lockte den Hund in einen abgelegenen Teil des Gartens und schnitt ihm dort, während er zu ihren Füßen lag, ruhig und schnell die Kehle durch.
Diese Tat wurde bekannt und erzeugte teils Verwunderung, teils mehrte sie das stille Grauen vor der Infantin. Sie hatte auch eine Art, Menschen anzublicken, daß die betreffenden am liebsten Reißaus genommen hätten, sich jedenfalls aber heimlich bekreuzten.
Das traurige Land um Burgos, seine kahlen Hügel, die nur, wenn die Sonne unterging, in einem Bad aus Purpur wie ungeheure Rubine funkelten; die düstere Stadt mit ihren krummen Gassen, den hohen getürmten Häusern, den alten Palästen mit halbverfallenen Schwibbogen, vergitterten Torwegen und kleinen Fenstern; dazu die Abgeschiedenheit des Klosters selbst, dies alles war dazu angetan, Schleier auf Schleier um das Gemüt der Infantin zu weben. Nur ihre Augen strahlten aus der Dämmerung der Seele wie der Widerschein zweier Sterne aus dem Wasser eines tiefen Brunnens.
Als sie an den Hof zurückkehrte, hieß es, daß sie sich auf die magischen Künste verstehe. Einige sagten offen, daß sie mit Spiegeldeutern, Menschenmachern und Rosenkreuzern zu tun habe, daß sie aus kochendem Wasser weissagen könne und daß sie von einem dänischen Schwarzkünstler gelernt habe, Mumien wieder zu beleben. Sicherlich verstand sie sich auf den Ringgang der Planeten um die Sonne, und eines Tages erzählte der Greffier, der es wiederum vom Turmwart wußte, daß sie oft um Mitternacht regungslos auf dem Balkon liege und in den gestirnten Himmel blicke. Auch befand sich in ihrem Schlafgemach ein Astrolabium und die Marmormaske eines hellenischen Gottes.
Um diese Zeit zog einmal der Hof nach Toledo, wo in der Charwoche eine Reihe von Ketzergerichten abgehalten wurde. Vom Schaugerüste aus erblickte Johanna ein schwangeres Weib am Pfahl. Durch die Heftigkeit der Flammen sprang das Kind aus der Mutter Leibe, doch nach einer kurzen Beratung der Priester schleuderte man es als Ketzerbrut wieder ins Feuer. Niemals vergaß Johanna den tierisch-jammervollen Schrei der Mutter. Ihr in eine weite Ferne, gleichsam auf ein fernes Licht gerichteter Blick suchte nach einem Pfad zu diesem Licht; die Erwartung besiegte die Erfahrung.
Kaum hatte sie das siebzehnte Lebensjahr vollendet, als sich von vielen Ländern und Thronen her Bewerber um ihre Hand meldeten, denn diese Hand verfügte über die Reiche Castilien und Arragon, welche ihr elterliches Erbe bildeten. Was den König betrifft, so hatte er nur einen ins Auge gefaßt: Philipp von Österreich, des römischen Kaisers Sohn. Aber der Kaiser war anfangs nicht zum höchsten von dem Plan erbaut, seinen einzigen Sohn der Spanierin zu vermählen.
Es war eine Hatz von Intriguen und wurde in der Sache endlos viel Papier verschrieben und Boten reisten hin und her zwischen dem Connetable und dem Hofmarschall. Viele Stimmen erhoben sich dawider, der Prinz selber verhielt sich schwankend, da hatte einer unter den Spaniern den Einfall, die Schönheit der Infantin durch eine poetische Floskel zu beleuchten und er schrieb über sie an den Hof zu Wien: Johannas Haut sei so fein, daß man den roten Wein, den sie trinke, ihr durch den Hals gleiten sehen könne. Die Metapher wurde von den einen belächelt, von den andern für bare Münze genommen, doch wurde Philipp neugierig nach einem solchen Weibe.
Endlich waren die Verträge feierlich besiegelt und beschworen, und mit einem großen Gefolge von edlen Herren, worunter sich auch sein Spezial, der Pfalzgraf Friedrich befand, zog der achtzehnjährige Philipp über Savoyen und Südfrankreich nach dem ehrwürdigen Burgos, wo er zu Beginn des Herbstes ankam. Er trug beim Einzug ein weißes Kleid von offener weißer Seide und ritt auf einem weißen Pferd. In der engen Straße beim Tor stolperte das Pferd und fiel auf die Kniee; darin sahen viele ein Ereignis von übler Vorbedeutung.
Beim ersten Anblick ihres zukünftigen Gemahls blieb Johanna, alles Zeremoniell vergessend, bleich und kühl wie ein steinernes Bild inmitten ihrer Frauen stehen. Sie rührte sich nicht, bis Madame de la Marche sich ihr näherte und mit einer dringlich zugeflüsterten Mahnung der erschreckenden Starrheit ein Ende machte. Gegen den befremdeten Prinzen wurde die Ausrede erfunden, die Infantin habe den Tag über in einem finsteren Gemach in Gebetsandacht verweilt und sei durch den reichen Kerzen- und Fackelschein geblendet gewesen; außerdem habe die Schönheit Don Philipps sie gewiß der Sprache und des Ausdrucks schuldiger Höflichkeit beraubt.
Philipp, nicht gewohnt in den Mienen anderer Menschen zu lesen, legte dem Vorfall keine Wichtigkeit bei, auch nahmen die Vergnügungen einer ununterbrochenen Geselligkeit seine Gedanken völlig ein. Am Tage vor der Hochzeit ward er unter einem köstlichen Baldachin durch neben Triumphbögen in die Kathedrale geleitet und verrichtete dort seine Andacht. Es war schon in der dritten Stunde der Nacht, als er mit der Infantin im geschmückten Saal des Schlosses zusammenkam, darnach folgte der päpstliche Legat, der sie ehelich verband, und der Erzbischof von Toledo hielt die Messe. Als sie ihre Sünden gebeichtet, so erzählt ein namenloser Chronist, haben sie das hochwürdige Sakrament empfangen und nach dem Segen des Kardinals heilig und christlich Hochzeit gehalten.
Aber als die Nacht verstrichen war, sah man den Herzog bleich und wild aus dem Gemach stürzen, während die Infantin von ihren Frauen ohnmächtig aufgefunden wurde. Es hieß alsbald, doch nur im Geheimen wurden solche Stimmen laut, daß Johanna sich der Hingabe an ihren Gatten weigere.
Das Gebot der Kirche drang nicht in Johannas Seele; das priesterliche Wort war ihr nicht viel mehr als eine auf die Mauer gemalte Formel. Ihr Körper lebte, er wurde befehligt vom Blut und das Blut ward entzündet von der Sehnsucht. Der in die weite Ferne gerichtete Blick war des Pfades noch ungewiß, welcher zum Licht führte.
Unter dem Meeresspiegel, unberührt von Stürmen, für Menschen nicht erreichbar, wächst ein Zauberkraut, das den Tod besiegt. So wuchs in Johannas einsamem Gemüt ein Bild von Liebe: eine Blume, die den Tod besiegt. Sie konnte nicht geraubt werden, sie konnte nur langsam bis an die Oberfläche des Lebens wachsen. Völlig vom Zweck entblößt, in Erwartung und Zuversicht so gesammelt, daß es wie Himmelsflammen Geist und Leib durchdrang, der Vision unterworfen, von der Speise des Traums genährt, Wort, Wunsch und Hoffnung musikalisch füllend, so empfand sie Liebe.
Schnell wird Tugend zum Wahn und Wahn zur Krankheit; und wieder ist das Edelste an den Geschöpfen nicht ohne einen Hauch von Krankheit. In einem arragonischen Tal gab es ein Weib, die seit Jahr und Tag auf einem Stein saß, um den Heiland zu erwarten, und die weinend das Gesicht verbarg, wenn einer vorbeiging, der eben nur Mensch war. Dieser war es bestimmt, ihr Herz an ein Etwas zu binden, was nicht aus Erde gemacht ist, und sie webte hin in geheimnisvoller Glut.
Johannas Unschuld hatte sich bewahrt beim Anblick der tückischen Leidenschaften, die ihr Vaterland mit Blut düngten. Sie hatte sich im Frost der Lieblosigkeit wie ein winterliches Kleid um das Herz geschmiegt. Johanna hatte vieles gesehen, was den Schlummer ihrer Jugend zerrissen hatte, und es war Zwang von außen, der ihr das Schicksal an den Lauf der Sterne zu knüpfen befahl. Auch war es eine Zeit, vor der der Nachdenkliche in Bangnis geraten konnte: der Ozean gebar neue Länder, Ost und West gaben unerhörte Mysterien preis, das Wort Christi starb hin, als wäre es nie gewesen, über das Firmament schauerte wie ein Fieber der Gedanke der Unendlichkeit.
Sie träumte von einem Antlitz, das im Schmerz die Züge großer Liebe annahm wie der glühende Stahl sich unter dem Hammer biegt; von einem Auge, nicht getrübt, sondern verklärt durch das Verlangen; von einer Gebärde, vertrauenswürdiger als Eide; von einem Laut aus dem innersten Innern des Herzens; von einer Gewalt, die sie ergriff und trug, Niedriges zerstampfte, Häßliches unsichtbar machte. Ihre Sinne waren geschärft für den Schmerz, den die Gelegenheit erzeugt, und für den, der das Dasein verdunkelt; für die aus Qual und Lust geborenen Versprechungen, welche die Züge der Redlichkeit heucheln, und für diejenigen, die von Gott selbst geheiligt werden und wie ewige Säulen den Bau der Seele tragen.
Oft war ihr, als risse sie eine ungeheure Faust vom Boden empor und hielte sie so zwischen Himmel und Erde, daß sie nicht fallen konnte, jedoch fortwährend zu fallen fürchten mußte. Sie schien hoch über allen zu schweben und verging vor Angst, tief unter alle hinab zu fallen. Es kam vor, daß sie nächtelang auf den Knieen lag und für Philipp betete; aber nicht wie das Weib für den Gatten betet; Philipp stand schattenblaß vor ihrem innern Auge, fast wie ein Gespenst, noch ohne feste Gestalt, wie etwas aus weiten Fernen, was auf einer schwanken Brücke ging oder auf lautlosem Wasser glitt. Sie wünschte, daß Philipp kommen, daß er werden, daß er leben möge.
Sie hatte soviel Finsternis in sich, daß ihr die Nacht bisweilen wie ein leuchtender Nebel erschien. Dann schoben sich alle Dinge auf einfachste Linien zusammen, alles wurde Gesicht, Steine atmeten, tote Räume redeten. Wie unfaßlich und überwältigend war es dann, auf dieses Wesen zu warten, das da wurde, aus dem Wirrsal der Kreaturen emporstieg, zugleich kristall- und pflanzenhaft. Sie selbst spürte sich wie eine Blume, ihr Menschenleib löste sich ab, und sie schaute in ihr eigenes Antlitz, das welk und schlafend schien.
Es liegt den geringen Naturen nahe, daß sie, an das Los einer größeren gekettet, nicht an Schicksalsvollzug glauben wollen, sondern die Flucht ergreifen und zu den niedrigen Neigungen eilen, die ihnen die Herrschaft in ihrem Eigenkreise sichern.
So auch Philipp. Den Spott seiner Leute fürchtend, bemühte er sich, der Alte zu sein, sich selbst zu überbieten, und gab acht, daß die Sache, die insgeheim seine Ehre benagte, nicht durch die Mäuler geschleift werde. Wurde nach und nach seine Hoffnung geringer, die Infantin zur Vernunft zu bringen, so verbarg er doch so gut als möglich die wachsende Ungeduld. Er dachte an Gewalt; dies hatte gute Weile, es brachte zuviel Lärm mit sich, außerdem durfte er die Meinung des Volkes nicht mißachten, dem er noch ein Fremdling war.
Zuviel Kopfzerbrechen. Diesem Jüngling war es nicht gegeben, am Menschen Schwierigkeiten zu entdecken. Er suchte Zerstreuungen und trieb es unverhohlen mit der hübschen Anna Sterel, der Gattin eines schwäbischen Edelmannes. Seine Phantasie malte ihm das Bild einer eifersüchtigen Infantin, die sich so, schlau erdacht, in den eignen Stricken fing. Nächtlicherweise ging er mit dem Freund, dem Pfalzgrafen Friedrich, auf Abenteuer. Sie verkleideten sich und trieben allerhand Unfug.
Der Pfalzgraf war ein Held, eine Leuchte des Rittertums, deutscher Herr, aber ganz nach dem neuen spanischen Schnitt, voller Galanterien, voller Schulden. Er war auch musikalisch und schlug den Herrn von Moncada, der behauptet hatte, die Musik mache weibisch, beim Turnier so darnieder, daß er taub wurde. Als Reiter hatte er nicht seines gleichen; es war sprichwörtlich zu sagen: er reitet wie der Pfalzgraf. Dieser Bramarbas brach in ein höllisches Gelächter aus, als ihm Herr Hughes von Melun, der die Kunde von Frau Molembais besaß, vorsichtig zuflüsterte, wie es um Philipp und Johanna stand. Er rasselte von Kopf bis zu den Füßen, er rasselte mit Kette, Schwert und Augen, als er erwiderte: »Gemach, gemach! der Herzog wird wohl wissen, wie man ein störrisches Frauenzimmer traktiert. Es ist nicht lange her, daß der muntere Philipp zu jedem Nachtessen ein warmes Weiberherz verspeist hat.«
Nun mußte der Pfalzgraf im Frühjahre nach Deutschland zurückkehren. Philipp war traurig wie einer, der beim Wein sitzt und dem plötzlich der Wind Becher und Flasche davonträgt. Er verlor die Sicherheit und begann mißtrauisch und mit verhaltener Wut auf das Wispern zu horchen, in dem sich Herren und Diener gefielen, wenn er vorüberging.
Das Gerede war nicht mehr zu dämmen. Ein Hoffräulein hatte das Geheimnis dem Granvella anvertraut, der hinterbrachte es dem König nach Madrid. Der König war außer sich und schickte seinen Kanzler zu Philipp, die Königin ihre erste Dame zu Johanna. Scheidung und Kerker wurden der Infantin in Aussicht gestellt; wo heilige Satzungen verletzt würden, dürfe der König das eigene Geschlecht nicht schonen. Im August mußte Don Philipp nach Italien ziehen, und der König befahl der Infantin, sich nach Medina del Campo zu begeben. Sie wurde dort gleich einer Gefangenen gehalten, ein fanatischer Dominikaner, durch ihre Ruhe getäuscht, glaubte mit wilden Predigten ihr Gewissen schrecken zu sollen und krächzte ihr wie ein böser Rabe dreimal täglich das Register der höllischen Strafen vor.
Nach seiner Heimkehr ließ Philipp die Infantin zu sich kommen und versprach ihr aus freien Stücken, sie vor allen Verfolgungen zu schützen. Einige meinten, Furcht vor ihren Zauberkünsten hätten ihn dazu bewogen. Andere sagten, ihre Schönheit habe plötzlich seine Begierde erregt, und aus List habe er sie bestimmt, sich vorerst zum Schein zu fügen.
Indes brachten giftige Zungen sein Blut in Aufruhr, und ihn wurmte der düstere Spott in allen Gesichtern. Dem versteckten Spaniertum war seine aufrichtige Jugend nicht gewachsen. Wie eitel ihre Blicke, wie verräterisch ihr Händedruck, und der Ton ihrer Rede so süß, daß man Honig auf der Zunge zu spüren glaubte. Eingesponnen von wirbelnd-schwüler Luft, des öftern schlaflos liegend, von Gier und Groll gewürgt, ließ sich Philipp von seinem ungelenkten Trieb zu einer Handlung niederträchtiger Art hinreißen.
Er verabredete sich mit den beiden Kämmerlingen, Herrn von Fyennes und Herrn Florys von Ysselstein. An einem Abend drangen sie zu später Stunde durch einen geheimen Gang und, indem sie eine verschlossene Tür erbrachen, in das Schlafgemach Johannas. Mit dem gezückten Schwert stellte sich der Herzog vor das Bett und forderte die Infantin auf, sein rechtmäßig leibliches Weib zu werden; sträube sie sich aber, so müsse sie den Tod erleiden.
Die schöngeflächten Wangen von fahlem Glanz übergossen, richtete sich die Infantin auf und bedeutete den beiden Edelleuten, das Zimmer zu verlassen. Diese dachten nicht anders, als ihrem Herrn geschehe der Willen, und gehorchten. Darauf entkleidete sich Johanna, band ein schwarzes Tuch über die Augen und sagte: »So könnt ihr mich nehmen, sehend nicht, so könnt ihr euren Wunsch befriedigen und zugleich eure Drohung wahr machen. Gott sei mir gnädig.«
Philipp, eben noch toll und heiß, stand eine Weile nachdenklich. Dann fing er an zu zittern und zitternd, mit scheu gesenkten Blicken, verließ er den Raum. Von Stund an war er verwandelt. Im Palast verbreitete sich Sorge und Befremden. Nur für Johanna begann sich sein Körper langsam aus dem Chaos der Ungestalten zu lösen.
Anfangs lag er noch der Jagd und dem Ballspiel ob, erschien auch noch regelmäßig bei der Tafel. Dann schloß er sich ab. Seine Hautfarbe ward grau, sein Auge trüb und krank, sein Gang gebückt. Don Diego Gotor, der Leibarzt, sagte, daß ein Fieber in seinen Knochen wühle. Es schien, als wäre er nicht mehr imstande, ein vernünftiges Gespräch zu führen; jede Aufmunterung nahm er ohne Anteil hin.
Er gab die notwendigen Befehle schriftlich und sprach nur mit Donna Gregoria, Johannas einziger Vertrauten, die täglich zu ihm kam.
Es ist Zauberei, sagten die Hofleute. Wenn Diego Gotor aus dem Zimmer des Herzogs trat, umringten sie ihn neugierig. Das Greisengesicht Don Diegos, das durch ein dauerndes Wechselspiel von tausend Falten und Fältchen Ähnlichkeit mit einem stürmischen Wolkenhimmel hatte, war traurig und ratlos. In einem Leben von siebzig Jahren hatte Diego Gotor das Gemüt der Menschen mit derselben Begierde erforscht, mit welcher der unscheinbare Wurm das Innere der Erde durchhöhlt.
Er sagte: »Im Morgenland erfuhr ich, daß Jünglinge, denen der Gegenstand ihrer Liebe sich entzog, in ein Leiden verfielen gleich dem unseres Herzogs. Ein solcher Mensch lag wie im Starrkrampf da, schwebte zwischen Schlaf und Tod, und sein Geist hatte nicht mehr die Kraft, den Körper zu regieren. Konnte sein Begehren nicht gestillt werden, so siechte er allmählich hin und mußte sterben oder es brauchte viele Jahre und dauernde Entfernung von der geliebten Person, bis er wieder unter Menschen wandeln konnte, der Freude freilich beraubt. So geschieht es wie gesagt im Morgenland, wo das Blut von dicker und schwarzer Beschaffenheit ist. Doch versicherte mich ein gelehrter Mann, daß, wie der Blitz nur in die höchsten Bäume schlägt, bloß Auserwählte von solchem Unheil betroffen werden können, und daß gemeine Fleischeslust damit nicht mehr verwandt ist als das Küchenfeuer mit dem Blitz.«
Die Ritter fluchten der Infantin. Wie kann Johanna einem Jammer ruhig zusehen, dessen Ursache sie selber ist, ließen sie sich vernehmen; wie erträgt sie es vor ihrem Gewissen, den herrlichen Mann so sich verzehren zu lassen, als wäre sie stumm, taub, blind und lahm.
Bald fing Philipp an, Trank und Speise von sich zu weisen, versagte sich dem Gebet, und sonst heilsame Mixturen übten keine Wirkung. Seine Augen erloschen, die Hand schloß sich nicht mehr zum Druck beim Gruß.
Des Nachts richtete er sich auf und streckte die Arme aus, als wolle er ein Luftbild umschlingen. Die heiße Lippe lallte einen zärtlichen Laut. Wenn er in den Spiegel sah, so erblickte er nicht sein eigenes Antlitz und bisweilen küßte er in der Verblendung den eigenen Mund.
Die Infantin trat oft an Philipps Lager, sie erhaschte seinen Blick und hielt ihn fest, sie grub gleichsam das Innere seines Auges auf. Die blauen Sterne schwammen auf der milchigen Iris in einer Art von Wahnsinn langsam von Eck zu Eck. Das korngelbe Haar klebte naß auf der steilen Stirn. Der schmale Körper, auf der Seite liegend, glich einem gespannten Bogen. Donna Johanna schüttelte den Kopf; noch schritt Philipp auf lautlosem Wasser in trüber Ferne.
Aber ihre Sehnsucht wurde so groß, daß es, als wäre die Erfüllung schon geschehen, wie ein Strom der Verzücktheit durch ihre Brust floß. Sie sah den blauen Himmel besät mit smaragdenen Blumen und die myrten- und lorbeerbeladene silberne Erde hob sich schwellend dem Firmament entgegen. Oft eilte sie in der Dämmerung durch die Galerien in die Gärten, so schnell, daß Donna Gregoria kaum zu folgen vermochte. Begegnete ihr jemand auf diesem Weg, so blieb sie stehen und schaute ihn an, streng und wild. Wer ist der Mann? fragte sie ihre Begleiterin mit ihrer wunderlich flötenden oder gurrenden Stimme. Und Donna Gregoria erwiderte etwa: es ist einer von Don Philipps Freunden. Doch Johanna hörte die Antwort nicht mehr; sie war schon weiter geschritten; die gelben dünnen Lider, von zahllosen blauen Äderchen übersponnen, schienen die vollflammenden Augen zu begraben, der Kopf senkte sich nach vorn, von ihrer Schulter wehte der Abendwind den Schleier herab, und der entblößte Nacken leuchtete wie das Holz eines frischgeschälten jungen Baumes . . .
Da geschah es, daß Herr von Carancy und Herr von Aymeries übereinkamen, dem König neuerdings von allem Bericht zu erstatten und dringend zu fordern, daß die Infantin in ernste Rechenschaft gezogen würde, deren Verhalten sie als eine Frucht und einen Beweis der teuflischen Schwarzkunst ansahen. Sie versicherten sich des Einverständnisses der übrigen Granden und Räte, und Herr von Carancy sollte den Wortführer machen. An einem Freitag zu Anfang September ritten sie mit ihren Leuten gen Valladolid, in welcher Stadt der König damals gerade Hof hielt. Am Hoflager angelangt, ließen sie sich melden, und Herr von Carancy trug mit zornverhaltener Beredsamkeit vor, was im Palast von Burgos die Gemüter verfinsterte.
Der König wurde vor Ingrimm totenbleich. Schon lange hegte er der schmählichen Angelegenheit wegen gerechte Besorgnis. Es wurde ein Haftbefehl ausgefertigt, demzufolge Johanna auf das feste Schloß Portillo in Ketzergewahrsam zu bringen sei. Der Kommandant von Burgos habe zweihundert Mann unter den Befehl des Herrn von Carancy zu stellen; mit ihnen und in Begleitung des Ober-Alguazils, damit den Waffen auch das Gesetz zur Seite stehe, solle dieser in den Palast dringen und die Infantin fortführen.
Die zwei Herren waren zufrieden; Ketzergewahrsam hieß so viel, als unter Foltern langsam sterben. Sie kehrten ehestens nach Burgos zurück und handelten ohne Verzug. Der Stadtkommandant, sehr betroffen über den königlichen Befehl, wagte nicht zu widersprechen, trotzdem er eigentlich nur dem Herzog zu gehorchen hatte. Er sandte aber im geheimen Botschaft an den Haushofmeister im Schloß, um die Leute der Infantin vorzubereiten und zu warnen.
Als das Abendläuten von den Türmen der Kathedrale klang, forderte Herr von Carancy mit seinen Bewaffneten im Namen des Königs Einlaß in den Palast, ließ sämtliche Tore besetzen, postierte einen Teil der Leute in den Gängen und auf den Treppen und schritt, von seinem Genossen und dem Oberrichter gefolgt, nach den Gemächern der Infantin. Madame de Bevres, die ihm entgegentrat, antwortete auf seine rauhen und herrischen Worte mit Ruhe, daß sich Donna Johanna im Bade befinde.
Herr von Carancy war mißtrauisch, mußte sich aber zu warten entschließen. Da jedoch beinahe eine halbe Stunde verfloß, ohne daß weder die Herzogin noch eine ihrer Damen sich zeigte, übermannten ihn Argwohn und Ungeduld, er öffnete die nächste Türe, die in ein leeres Zimmer führte, durchschritt diesen Raum und gelangte zu einer zweiten Türe, die er gewalttätig aufwarf.
Die Infantin saß vor einem Porphyrtisch, auf dem ein goldener Leuchter mit fünf brennenden Kerzen stand. Sie saß in einem Stuhl mit hoher Lehne, doch nicht hingelehnt; ihr Oberkörper war seltsam steif aufgerichtet und diese Steifheit wurde vermehrt durch die regungslos niederhängenden Arme. Sie trug ein kastanienbraunes Kleid, das man für ein Mönchsgewand hätte halten können, wäre nicht die zartgelbe Stickerei am Saum und an den Ärmeln gewesen.
Hinter ihr stand Donna Gregoria und kämmte der Herrin das Haar. Donna Gregoria war klein, schlank, gelenkig, spitzgesichtig. Sie hatte etwas von einer Äffin und etwas von einer Schwalbe. Liebkosend hielt sie das bläuliche Haar in der Linken und lauschte dem knisternden Geräusch, das ihr Kamm hervorbrachte.
Auch der Alguazil und andere Herren waren inzwischen herbeigekommen und starrten nicht ohne Scheu über die Schwelle. Von gegenüber, aus offenen halberleuchteten Räumen eilten Kammerfrauen herzu und blieben mit gefalteten Händen stehen. Donna Gregoria hörte auf zu kämmen und schaute über die Schulter hinweg hochmütig fragend auf Herrn von Carancy, dem die Sprache versagte und der rückwärts griff nach dem Pergament in den Händen des Richters. Donna Johanna erhob sich; sie war weder erstaunt noch erzürnt. Es war, als lausche sie auf den verworrenen Lärm, der von draußen hereinschallte, und ihre gelben dünnen Lider bewegten sich kaum, als sie fragte: »Was hat seine Herrlichkeit der König über mich verfügt? denn nur in seinem Namen kann vielleicht ein solcher Überfall sich rechtfertigen.«
Herr von Carancy zuckte zusammen und über seine Haut rann ein Schauder. Doch antwortete er, was er antworten mußte.
Bei dem Worte Ketzerhaft stieß Donna Gregoria einen gellenden Schrei aus. Die Infantin machte eine abwehrende Bewegung. Ihre Stirn schien beinahe unsichtbar zu werden unter der sinkenden Wolke des Kummers. Ihr Gesicht lag wie ein Stein im Bett des schwarzaufgelösten Haares. »Ich bin bereit,« sagte sie mit einem verlorenen Lächeln, denn der Wille zu leiden umflutete sie wie Wollust.
Donna Gregoria ergriff den Leuchter und wollte damit, planlos, sinnlos, der Herrin vorauseilen. Die fünf brennenden Lichter, im Zugwind wehend und doch emporgehalten, erschienen Johanna auf einmal als untrügliche Verheißung, so daß was nun folgte, ihrem atemlosen Erwarten schon wie ein tiefes, sattes Ruhen war, und indem sie es lebte, spürte sie es schon als Erinnerung, dankbar und müde.
Besorgt über die Wirkung, die Johannas Gefangennahme auf Philipp haben würde, hatte Don Diego Gotor dem Herzog in kurzer Frist von dem was im Werke war Mitteilung gemacht. Zwischen seinem letzten Wort und der Sekunde, die ihn nun Aug in Aug mit der Infantin sah, war nicht soviel Zeit verflossen, als man braucht, um bis fünfzig zu zählen. Der Herzog strauchelte keuchend herein. Sein Auge, das den Eindruck von etwas Morschem, Faulendem machte, haftete auf nichts, auf keinem. Er sank vor Donna Johanna auf die Kniee, und als sie ein wenig zurückwich, sank er noch weiter hin, platt an die Erde. Wie er lag, fing er an zu weinen. Alle dachten, nun sei es zu Ende mit ihm, und starrten bestürzt einander an.
Die Infantin hatte die Fingerspitzen beider Hände zusammengepreßt. Ihr Haupt fiel auf den gedehnten Hals nach rückwärts. Sie lauschte beseeligt dem Weinen, das wie Flügelrauschen zu ihr emporwirbelte. Jetzt sah sie Philipp, jetzt war er da, er lebte. Mit jähem Ruck beugte sie sich herab und drückte sanft die Hand auf sein Haar. Philipp schwieg, schaute auf, ihre Blicke verschmolzen, es hob ihn wie von selbst, er umfaßte mit den Armen ihre Schenkel und trug sie kurz und heiser aufjubelnd durch einen purpurnen Nebel von Glück hindurch.
Johanna lachte lautlos in die Luft hinein, und es war ihr, als ginge es über Mauern, die vor Philipps Schritt zerbarsten, über Wälder, deren Finsternis wie Glas zersprang, und über das Meer, das wie flüssiges Morgenrot schäumte.
Die ganze Nacht hindurch war das Schloß von heiterster Ausgelassenheit erfüllt, auch in der Stadt herrschte alsbald festliches Wesen. Die vornehme Familie der Stuniga ließ auf offener Straße eine Zechtafel für das Volk errichten.
Fahrende Sänger und Liederdichter flochten nun in ihre oft rezitierten Strophen gern einen Vers ein zum Preis der innigen Liebe zwischen Philipp und Johanna von Castilien.
Aber der Hof zu Burgos wurde allmählich eine Stätte des Schweigens. Den Pagen, Rittern und Edelfrauen ging der Stoff zu schwatzen aus. Ein vereinzeltes Lanzenstechen half auch nur über ein paar Tage hinweg. Die Herren saßen oft betrübter da als nach verlorenen Schlachten, und manche erbaten den Abschied, um nach Rom, Madrid oder Flandern zu ziehen.
Kamen die spöttischen Granden zusammen, so hieß es: was macht Philipp? schläft er noch? Und es wurde erwidert: wenn der Dürstende trinkt, so spricht er nicht.
Der Herzog zeigte sich selten öffentlich. Sobald die Ratsgeschäfte erledigt waren, bei denen er ein ernst-wohlwollendes Betragen an den Tag legte, zog er sich wieder in seine Gemächer zurück. War eine Jagd angesagt, so ließ er die Geladenen oftmals allein ziehen oder entfernte sich von der Gesellschaft, wenn es gerade am lustigsten war, und ritt davon. Dann berichteten Hirten, daß sie ihn in einem einsamen Tal angetroffen hätten, wo das Pferd sich selbst überlassen an einem Abhang graste, indes Philipp ruhvoll auf der Erde lag und den Blick in die Wolken sandte.
Einige ließen schüchtern verlauten, er sei eben im Bann gewisser Zauberkünste. Doch mit Bestimmtheit wußte man nur, daß Johanna ihm italienische Gedichte vorlas, auch die Berichte der Seefahrer über die indischen Länder und die neuen Traktate über den Sternenhimmel, die in Deutschland gedruckt wurden. Das Gerede blieb haltlos; zudem war der Herzog nach wie vor ein eifriger Kirchengänger und bei den geistlichen Umzügen zeigte er solche Andacht, daß es ergreifend war, in sein helles Jünglingsgesicht zu schauen.
Es kam aber die Zeit, wo in diesem Gesicht bisweilen eine rasche Angst aufzuckte. Da wurde dann die glattgespannte Stirn schlaff und warf eine ermüdete Falte. Doch mußte Philipp allein sein, um den Mut zu finden, diesem Ziehen außerhalb der Haut nachzugeben. Etwa wenn er in der Dämmerung am Fenster stand und über die Baumwipfel hinwegspähte, in deren Ästen der Frühling prickelte. Auch geschah es vor dem Einschlafen in der Nacht, daß ein Seufzer über seine Lippen eilte.
Vor dem Traum flog sein Geist an die fernen Ufer der Donau. Dort war das Leben viel leichter; es schien, als könne man dort mit plötzlich unbelasteter Schulter wandeln.
Philipp sehnte sich nach einem Spiel. Nicht nach ritterlichem Spiel, – er hatte häufig Lust, sich mit Landsknechten an einen schmutzigen Kneipentisch zu hocken und mit ihnen Karten zu spielen. Es reizte ihn, an ihren rohen Scherzen teilzunehmen, für sich allein trieb er Rede und Widerrede, vergnügte sich innerlich an einer unflätigen Wendung und kicherte, wenn er den Beifall der eingebildeten Hörer erworben zu haben glaubte.
Ja, er trug Begierde nach etwas Gemeinem, Lüsternem, Schmutzigem und Verruchtem. Diese Begierde wuchs, da er sie vor der Welt und sich selbst mit Sorgfalt zu verbergen trachtete.
Nach längerem Beisammensein mit Johanna fielen ihm vor Erschöpfung die Augen zu, und er sah aus, als schlafe er im Gehen und im Stehen. Denn sie spannte seine Seele, sie dehnte seine Seele über alles Vermögen. Wenn sie sprach oder schwieg, war es gleich schwer, immer gegenwärtig zu sein. Ihr Schweigen war wie ein Marmorblock, den er auf seinen Händen tragen sollte. Hände, Arme und der ganze Leib gerieten durch das Gewicht des Blocks nach und nach ins Zittern, und die Kraft versagte. Sie ahnte nichts davon, die mit aufgereckter Inbrunst ihm zur Seite ging, beständig trunken von derselben dünnen Luft.
Hier war ein geheimnisvoller Kreis, in dem zu schreiten die Nerven bis zum Klingen auseinanderzerrte. Ihn zu verlassen, schien bedenklich, denn jenseits war vielleicht der Tod. Philipp fürchtete sich vor seinem Weib.
Einst gedachte er der nächtlichen Streiche, die er verkleidet in Gesellschaft des Pfalzgrafen verübt. Er verkleidete sich ebenso, und als es Nacht war, trieb er sich in den Gassen herum, mischte sich in die Händel zwischen ein paar französischen Buschkleppern, brach einem schwarzen Hund, der ihm bellend an die Schulter sprang, mit einem Griff das Genick, fand eine Schenke voll schwäbischer Söldner, denen er soviel Wein auftischen ließ, daß sie schließlich allesamt wie tot auf der Erde lagen, und gelangte beim Morgengrauen unerkannt wieder ins Schloß. Es war ein Auf- und Ausatmen.
Eine Woche vor Johannas Niederkunft kam der Connetable mit einer vertraulichen Botschaft des Königs. Er gab dem Herzog zu verstehen, wie große Bedenken es habe, das Kind in den Händen einer Frau zu lassen, die nach dem Zeugnis aller Urteilsfähigen der gesunden Vernunft entbehre. Wenn auch neuerdings das Unwesen sich gemildert habe, so bestehe doch keine Sicherheit, schon der nächste Tag könne den Geist der Infantin wieder verdunkeln. Der Herzog möge besserer Einsicht Gehör schenken und das Kind aus dem dämonischen Bereich entfernen; der Hof von Madrid erklärte sich bereit, die Erziehung zu übernehmen.
Philipp sträubte sich zuerst, gab aber bald nach. Es kam ein Mädchen zur Welt, das am siebenten Tag seines Alters der mütterlichen Hut entwendet wurde. Als die Infantin sich aus ihrem Bett erhob, konnte ihr der Sachverhalt nicht verheimlicht werden. Man stellte aber alles so dar, als ob ein Beweis der gnädigen Gesinnung des Königs vorliege.
Johanna hörte ruhig zu. Sie verlangte den Herzog zu sprechen. Es wurde ihr bedeutet, Don Philipp habe in dringenden Geschäften verreisen müssen.
In Wirklichkeit hielt sich Philipp auf einem Schloß in Arragon versteckt, bis er annehmen durfte, Johanna habe sich dem Unvermeidlichen ergeben. Er hatte ein paar gesellige Kumpane mit sich genommen, darunter den Ritter Franz von Kastilalt, einen Abenteurer und Possenreißer. Dieser wurde sein unzertrennlicher Trabant; auf die Gunst des Herzogs bauend, verübte er mancherlei Untaten und wurde der Schrecken friedlicher Bürger. Er war ein so gewaltiger Fresser, daß ihn einst der Graf von Aranda um Gottes willen ersuchte, sein Gebiet zu verlassen, weil er und seine Leute eine Hungersnot herbeiführen könnten.
Dem Herzog wurde die Stadt zu eng und von Castilien sprach er als von einer Provinz des Teufels. Verhaßt wurde ihm sein Haus, verhaßt der Himmel, der es bedeckte. Schien die Sonne, so beklagte er sich über ihre Glut, fiel Regen, so meinte er höhnisch, ein Land, das Wasser gebäre statt Wein, müsse man fliehen. Und er floh. Als die Unruhen in Flandern ausbrachen, begab er sich übers Meer nach Antwerpen, dort blieb er aber auch nicht lange, sondern zog den Rhein hinauf nach der fröhlichen Stadt Köln und zu seinem getreuen Pfalzgrafen. Dann hetzte es ihn weiter, er suchte die Heimat auf und verließ sie wieder, enttäuscht, beklommen und grundlos erbittert. Die Herren am kaiserlichen Hof wunderten sich über die unverträgliche Natur des Prinzen und seine hitzige Art; denn Philipp war ehedem sanft gewesen.
Im ersten Monat des neuen Jahrhunderts, als die Kometen Unheil ankündeten und die schwarze Pest aus Asiens Wüsten hauchte, machte sich Don Philipp abermals auf und zog nach der niederländischen Stadt Gent. Wie er nur noch eine Stunde von den Mauern entfernt war, kamen ihm der Audiencier und Meister Jakob von Goudebault entgegen und teilten ihm mit, daß Donna Johanna, hochschwangeren Leibes, seiner im Schloß harre. Sie war wenige Tage zuvor von Spanien eingetroffen, voll Sehnsucht nach dem Gemahl.
Don Philipp klopfte das Herz. In den sieben Monaten seiner Abwesenheit hatte er Johanna gleichsam aus seinem Innern verloren. Er wußte nicht mehr, wie sie aussah, wie sie sprach; er erinnerte sich nicht mehr an die Farbe ihrer Augen und an die Form ihrer Schultern; ihre Stimme klang ihm nicht mehr im Ohr, seine Gedanken hatten sich ihrer entwöhnt. Geblieben war nur die zunehmende Bangigkeit, wenn er sich vorstellte, eines Tages wieder Angesicht in Angesicht mit ihr sein zu sollen.
Er hatte ihren Namen durch die Länder geschleppt; nichts weiter als ihren Namen. Sie mit Leib und Geist in der Stadt Gent zu wissen, überraschte und erschreckte ihn. Er verzögerte den Einzug auf alle Weise, so daß seine Leute nicht wußten, was sie davon denken sollten.
Dennoch durchflammte ihn gleichzeitig die äußerste Ungeduld und suchte ihn zu bereden, daß die alte Leidenschaft wieder erstanden sei.
Als er Johannas Lippen auf den seinen spürte, starrte er offenen Auges und stockenden Atems auf ihre bernsteingelben Lider, die sich tief herabgesenkt hatten wie in einem Schlaf der Liebe. Ihm war, als müsse er mit einem Messer die beiden zitternden Hautkugeln durchritzen, um Sonnenlicht durch diese Behälter der Finsternis zu gießen.
Das große Gent gab dem Herzog zu Ehren ein Fest. Um Mitternacht, als Tanz und Lustbarkeit im besten Zuge waren, fühlte sich die Infantin sehr unwohl. Ehe man sie hinwegführen konnte, gebar sie im dichten Kreis ihrer Damen ein Kind. Es war ein Knabe und er wurde Carlos genannt. Die Herzogin Margarete nahm ihn in Obsorge. Diesmal kam der Entschluß, das Kind in der flandrischen Stadt zu lassen, von Philipp selbst.
Als man das Schiff zur Rückkehr nach Burgos betrat, war die Infantin noch des Glaubens, ihr Knabe sei mit an Bord. Erst auf hohem Meer erfuhr sie, daß dem nicht so war. Mit einem langen Schrei stürzte sie aufs Verdeck, um sich in die Wellen zu werfen, um zurückzuschwimmen und das Kind zu holen. Ein Matrose packte sie noch am Arm. Bewußtlos fiel sie hin.