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Vorzeiten gehörte die Sippe der H... zu dem vornehmsten Glas- und Waldadel, der nordhalb des Arbers saß. Holz und Kies waren die Grundfesten ihres feurigen Gewerbes, und darum setzten sie ihre rauchenden Hütten mitten ins Grenzgebirge, wo sie in den ragenden Wäldern und ausgedehnten Windbrüchen genügend Holz zum Verschüren und Veräschen und reinen Quarz in den Felsen des weißen Pfahles gewannen.
Es schickte sich, dass in der blutrünstigen Zeit des Kaisers Napoleon das Fräulein Elisabeth von H.... die Hand über Schloss und Waldgut Deffernik hielt und alldort eine Hütte, betrieb. Sie hieß im ganzen Umland gemeiniglich nur das Fräulein Liesel. Obwohl zeitlebens unbemannt, war sie doch Mannes genug, ihre Glasmacher zu bändigen, die sich gar üppig und rau gebärdeten hier in der Aböde, wo die Wölfe das Flennen und die Bären das Heulen lernten.
Das Fräulein Liesel trug das grobe Mark ihrer Ahnen in sich, kaum durch einen Schuss Weiblichkeit gemildert. Doch war sie eine fromme Jungfrau, und je mehr sie in die gesetzten Jahre hineinwuchs, desto mehr steigerte sich ihre Ehrbarkeit, und sie wünschte nichts anderes, als dass alle Welt sich so züchtig und erbaulich halte wie sie. Aber die Glasmacher gaben ihr alltäglich Ärgernis und betrübten sie mit bübischen Streichen, bösen Schwüren und vor allem mit lästerlichem Trunk, der aller Übeln Dinge Keimkern ist. Es tranken alle: die in den Stampfmühlen den Kies zerbrachen und zermalmten und die ihn schmelzten, weiters die das Glas schliffen, die es in Stroh banden, die es ins Land führten, und die die Ofen schürten. Besonders aber die Glasbläser, von der Hitze der glühenden Hafen ausgedorrt, tranken wie dürre Schwämme.
Das Fräulein Liesel fühlte sich für das Treiben dieser Leute verantwortlich, die mit den Glasscherben klimperten, wenn sie kein Geld mehr im Sack hatten. Aber als sie merkte, dass sie dem Unwesen des leichtfertigen Gesindleins nicht so steuern konnte, wie sie es zu dessen irdischem und jenseitigem Heil für notwendig fand, beschloss sie, den Glasmachern außer dem Beispiel ihres vorbildlichen Wandels noch etwas Kräftigeres, Anschaulicheres vor die Nase zu setzen. Und so ließ sie die braunen Rösser einspannen und reiste in der ledernen Kutsche durch den Wald nach Süden. Hinter dem Berg Rusel übersetzte sie auf einer Plätte die Donau und fuhr durch Altbayern und Alpenklüfte gegen Welschland. Auf dem Bock hockte Thimusel der Knecht, wohlbewehrt mit einer zweifach geladenen Pistole, denn das Fräuleln führte einen ganz tollen Haufen von Dukaten mit. Doch wie verwegen und klüftig auch das Gebirge sich gebärdete und wie verrufen und hinterhältisch auch das Land war, die Räuber trauten sich nicht an den Wagen heran. Vielleicht schraken sie vor den scharfen, herrischen Augen des Fräuleins, vor ihrem herben Kinn, vor dem dunkeln Anflug über ihrem Mund und vor ihrer derben Mannesnase zurück, die nichts Gutes versprach, und sie taten wohl daran, denn die harten, leicht zur Faust sich schließenden Hände der mannhaften Reisenden hätten den Bösewichten jegliches Gelüst gründlich vertrieben.
In Rom nahm sie Herberge und erstand für ihre blanken Goldtaler die Gebeine eines bescheidenen Heiligen. Dieser mochte als unerwachsenes Knäblein den Martern der Heiden erlegen sein, denn sein gläserner Sarg war sehr kurz und ließ sich ohne Mühe in der Defferniker Kutsche unterbringen, und er lag nun seiner neuen Herrin auf dem Sitzbänklein gegenüber, als sie wieder nordwärts fuhr.
Diese Heimreise wurde zum wunderbarsten, zum krönenden Erlebnis in dem einförmigen Lebender Altjungfrau. In allen Pfarrdörfern, die ihre Reise berührte, schwangen sich frohlockend die Glocken, und die Geistlichen, angetan mit ihren blumigsten Mänteln, grüßten mit erhobenen Monstranzen aus ihren Kirchtoren und winkten mit wolkenden Weihrauchfässern dem reisenden Heiligen zu, die Schnitter in den Wiesen senkten die blitzenden Sensen, Weiber und Kinder knieten am Weg. Und der Thimusel am Bock hielt seine lustige, etwas überstülpte Nase hoch, und das Fräulein Liesel saß gleich einer Brautfahrerin mit stolzgeschürzten Lippen. Wenn sie in der Nacht herbergte, ließ sie sich immer den Heiligen in die Schlafkammer schaffen, denn sie sorgte, die kostbaren Gebeine, womit sie die heimische Schlosskapelle ausstatten wollte, könnten ihr von frommen Menschen gestohlen werden. ]n der letzten Nacht nun, die sie unter fremdem Dach verbrachte, musste sie, weil ein Rad an der Kutsche schadhaft worden war, mit einem winzigen Wirtshaus vorlieb nehmen, und weil Schenke, Stall und Heuboden bereits von den vielen Leuten, die wunderneugierig ihr von daheim entgegengewallt waren, belagert und überfüllt waren, so musste sie diesmal außer dem Heiligen auch den Kutscher in ihre Kammer aufnehmen.
Überlaut zirpte die Hausgrille, und der Mond glühte durchs Fenster und ließ die Perlenschnüre und gläsernem Steine an dem Geripp des Heiligen aufleuchten. Trotz dieses andächtig-wilden Gefunkels nahte der Versucher, und der Thimusel richtete sich von seiner Schütte Stroh an dem Bett des Fräuleins auf und – ach! es ist eine Schande, davon zu erzählen – und tappte zu dem magdlichen Lager hinüber. Sie aber, da sie des verliebten Griffes inne wurde, erhob sich eilends im Nachtgewand, schnob den lüsternen Knecht an und strafte ihn, der sich duckte und gar kümmerlich darein sah, mit kräftiger Vermahnung. Und er musste mit ihr bis zum grauen Morgen vor dem gläsernen Schrein knien, mit ihr das Vaterunser beten und dessen Kehrreim »Und führ uns nicht in Versuchung!« immer wieder mit erhobener Stimme ausstoßen.
Noch am selbigen Tag wurde der Heilige im dem Kirchlein zu Deffernik ausgestellt. Mit neugiertollem Grausen drängte sich das Volk um den Sarg. Da bleckten die grässlichen Rippen, nur spärlich von dem mit Perlen, falschen Edelsteinen und Glasflitter durchwirkten Mantel verhüllt. Auf dem Totenkopf lag schmalwangig eine wächserne Larve mit glotzenden, kohlschwarzen Augen; aus dem offenen Mund brachen ungeschlachte Zähne, eine Sonnenbrosche glomm auf der Stirn. Die Knochen der Schenkel waren mit seidenen Blumen und silbernem Feingeflecht umfasst, und weiße, goldfadendurchstickte Bandschuhe verbargen die Füße. »Wenn er im Himmel auch so angezogen ist, ist er der schönste Heilige«, meinte das Fräulein Liesel.
Doch wie der Heilige den Thimusel nicht zurückgeschreckt hatte, versagte er auch an den Glasmachern, zu deren Bekehrung er herbeigeholt worden war. Die Männer fluchten, rauften, soffen, spielten Zither und sangen ihre Almenlieder nach wie vor, und die Kapelle selber wurde gemieden: die Kinder fürchteten das Geripp, das dort mit seinem schwarzen, glasigen Blick zur Schau gestellt war, und auch die Weiber scheuten es, seitdem eine von ihnen ein sehr mageres, glotzäugiges Bürschlein geboren hatte.
Da blieb dem enttäuschten Fräulein nichts anderes übrig, als eine seidene Decke mit hübschen Blaublumen zu besticken und damit die kraftlosen Reste des Heiligen vor den Blicken der Welt zu verhangen.
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Die Jahre schwanden, wie Perle um Perle sich von einer Schnur löst. Da erwachte die Sehnsucht des Weibes in dem alternden Fräulein, und ihr unerfülltes Leben trieb eine wunderliche Abendblüte.
Einmal nachts ging sie im Halbtraum, in der Hand ein Kerzenlicht, durch das Schloss in die Kapelle und hob den Vorhang von dem Glasschrein und sah nach langer Zeit wieder in das wächserne Gesicht. Die schwarzen Augen darin lebten und waren ungeheuer stark, und dem Fräulein war, sie sähen durch sie hindurch, und sie schrie laut auf und floh.
Seit jener Nacht stand sie oft verzückt unter den Liebstöckeln, Schwerteln und Lilien ihres Gartens und lauschte in sich hinein und kränzelte sich das Haar mit langem Gras. Den Mägden gebot sie, Wickelbänder zu sticken und Windeln und Hemdlein zu schneidern. Beim Tischler bestellte sie eine Wiege, die sollte mit lieben Rosen und tanzenden Englein bemalt sein und ein seidenes Himmelsdächlein tragen.
In ihren letzten Tagen stickte sie an einem Taufhäublein, darein sie ein freundliches, lichtblaues Band wob. Über dieser Stickerei wurde das Fräulein Liesel eingenickt aufgefunden. Sie wurde in der Kirche zu Eisenstein unter großen Zulauf des Volkes bestattet.