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Die Anfechtung des Protasius Poleitner

Der Protasius Poleitner schwankt aus dem Haus heraus, das einen dicken, vergoldeten Tannenzapfen im Schild führt. Herzlich ungern verlässt er die Rotte der trinkfesten Bauern, zudem hat der Wirt ein neues Fass angestochen. Aber der Protasius will noch bei Lichten heimkommen. Er hat einen gewissen Grund dazu.

Die Sonne scheint schon sehr schräg und matt durch die Tannen, als er durch den Wald trottet. Ein Specht trommelt eine Weile wie besessen. Dann ist es aber unheimlich still. Fast ist es, als lauere etwas hinter den kupfergoldenen Stämmen. Der Protasius Poleitner fängt an zu denken. Wenn er nur schon an dem alten Schloss vorüber wäre! Dort ist es nicht ganz sauber. In der Zeit, wo die Bauern die Erdäpfel noch nicht gekannt haben, haben dort die Raubritter ihre dürren Rösser gezäumt und gesattelt, sind ausgeritten und haben den Krämern in der Hohlgasse den Kaufschatz aus dem Wagen gerissen, die Dörfer mit grober Faust unterjocht und die Grenzsteine ausgerupft. Drum darf das Gesindel nicht ruhig im Grab hegen und muss umgehen. Es geistert um das alte Schloss.

Der Protasius bleibt stehen und schlägt nachdenklich seinen Brunnen ab. Unsinn! An der Sache ist kein wahres Haar. Es gibt heutzutage kein Gespenst nimmer. Der Schuster Simon hat es aus dem freisinnigen Kalender herausgelesen. Unter dem guten Kaiser Joseph hat es die Polizei mit der Trommel ausgekündet, dass es keine Geister nimmer geben darf. Nachdem also der Protasius seines Behufes getan hat, geht er weiter. Er besinnt sich, was gegen diese freisinnige Meinung einzuwenden sei. Im abgewichenen Jahr hat der Schmied Thomas ganz nahe dem Schloss einem begegnet, von dem ist ein schwefelblaues Licht ausgestoßen, und er hat dem Schmied den Hut hingeworfen und gesagt: Wenn du dichtraust, so heb mir das Hütel auf!« Der Thomas hat sich aber nicht getraut, so keck und so protzig er sonst tut. Er ist die Funken gewöhnt, damals aber hat er sich die Finger nicht verbrennen wollen.

Der Protasius Poleitner lacht hellauf. Er lacht sich selber aus. Der Thomas ist ein Spitzbub, er lügt Gott und die Welt an. »Soll nur der Teufel daher fahren!« sagt der Potasiuis so laut, dass es jeder hören kann, der etwa versteckt im Walde lauscht »Soli mich nur der Teufel anschnaufen! Ich pack ihn beim Spitzfrack, ich nehm ihn bei den Hörnern. Ich richt ihn derartig, zu, dass er in keine Hosen nimmer hineinpasst. Ich bin ein Mordskerl!«

Er horcht, vor sich, selber erschrocken, hoch auf. Niest nicht irgendwo ein, Waldgeist? Trabt es nicht daher wie ein Rossfuß? Nein, es lässt sich nichts hören. Er atmet tief auf, fügt aber sogleich der obigen Rühmrednerei tapfer hinzu, er wolle jeglichem Gespenst, das sich ihm nähere, mit Züchten gesagt, die schädliche Blöße seines hinteren Teiles zeigen. Auf einmal erinnert er sich, dass die Botenfrau Rosalias im Herbst bei dem Schloss hat eine Anfechtung erleiden müssen. Die Ritterin ist aus den Stauden heraus gegeistert eine lange, brennende Schleppe hinter sich, ein Brett in Händen und darauf ein Kuchen, der noch geraucht hat von der Ofenröhre.. Sie hält der alten Rosalia den Kuchen hin. »Nimm, nimm!« lispelt sie. In ihrer Furcht greift die Botin nach einem Stück. Darauf lachte die Geistin schrill auf und lässt den Kuchen fallen. Pfuitausend da ist ein frischer Kuhdreck auf die Erde gepflatscht!

Ach was, das ist doch alles nur Altweibergeschwätz und hat keine Handhabe! Wer lässt sich davon uin den Trichter jagen? Ein Mannsbild, wie der Protasius Poleitner gewiss nicht. Und die Toten tun niemandem nichts, nur die Lebendigen sind zu scheuen. Und Geister gibt es überhaupt nimmer, basta! Aber schließlich nichts Gewisses weiß keiner nicht. Es ist zwar glaublich dass vorzeiten der Teufel durch die Dörfer gemeckert hat, die alten, vielerlebten Leute behaupten es, und seine Klaue ist noch an dem Wegstein bei der Mühle genau abgeprägt. Aber heutzutage in unserer helllichten Zeit? Der Protasius wirft sich in die Brust. »Ich glaub nicht alles. Ich habe kein Wasser im Hirn. He, und soll; es nur ein Geisterritter mit mir probieren! Er geratet an einen Argen«, sagt er ziemlich laut.

Der Wald nimmt ein Ende, und der holperige Weg lenkt in eine freie Heide hinein. Die Hütte des Poleitner steht weit abseits des Dorfes.

Aus einem wilden Feld erhebt sich eine gemauerte Kreuzsäule. Daran muss der Protasius vorüber. Auch sie ist seit altersher schlimm beleumundet: ein feuriger Pudel soll dort die Wandersleute schrecken. Eine Tafel ist daran genagelt, darauf sind in wildgrellen Farben drei Gepeinigte zu schauen, wie sie mit nackten Oberleibern und mit Ketten an den Händen aus dem zackigen Fegfeuer tauchen.

Dem Protasius wird unbehaglich zumute. Er überdenkt in aller Schnelligkeit seinen Lebenslauf. Seine Bauernsünden fallen ihm ein. Ein Tugendspiegel ist er gerade nicht. Zwar gehört er nicht zu den Ärgsten, aber – freilich beim Rosshandel, da ist er mit allen Salben geschmiert, mit der Laussalbe und mit der Krätzsalbe. Und seine Ehe? Gebrochen hat er sie ja nicht, aber doch stark gebogen. Und dem Bier hat er allzeit hart zugesetzt, ja, man könnte sagen, er hat übernatürlich gesoffen. Er kann keinen vollen und noch weniger einen leeren Krug sehen. Das Bier ist ihm lieber als der Weihbrunn. Aber, du lieber Himmel, kein Mensch ist heilig! Und jedes Holz hat seinen Wurm.

Doch unser Herrgott ist zwar ein langer Borger, aber ein gewisser Zahler. Kreuzsakerment, wenn einem die Seele einmal im höllischen Backofen gebäht würde! Wenn sie voller Brandblattern unerlöslich müsste herum hüpfen in dem Satan seinem Grummet! Alleweil und alleweil!

Der Protasius Poleitner jagt an der Kreuzsäule vorüber, er wirft die Fersen hoch, als könne er der drohenden Ewigkeit entfliehen.

Der Steig wird immer öder. Keine Hütte ist daran zu sehen, kein Wegzeiger. Kein Mensch begegnet einem. Nur weit drunten im Tal kreischt die Sägemühle, dort soll der Leibhaftige jede Freitagnacht eine Menschenseele durchsägen. Vor dem Protasius tut sich jetzt der Hohlweg auf. Daran ist vormals die Burg gestanden. Heute ist sie noch ein Restlein Mauer, vom Wust des Unkrautes ganz überstrüppt. Wer es nicht weiß, der findet die Stelle kaum. Die hohen Wälle sind gesunken, die tiefen Gräben sind verebnet. Der Donnerstrahl hat das alte Schloss verdorben.

Kreuzsakerment, was Schwarzes springt dort im Hohlweg herum? Was wimmelt dort? Der Protasius steht und reibt sich die Augen.

Kraken sind es, ihrer zwanzig, ihrer dreißig, unglaublich viel.

Sie hüpfen hin und her, schlagen mit den Flügeln, zetern, streiten, vollführen ein ungeheures Geschrei. Raufen sie um ein Trumm Wasenfleisch? Was haben sie in der Hohlgasse zu schaffen?

Der Protasius zupft sich an der länglichen Nase.

Ganz wild gebärdet sich die schwarze Zunft. Und jetzt sind sie auf den Protasius aufmerksam geworden, die Galgenvögel! Sie schauen ihn mit ihren stechenden Augen an. Er spürt, sie reden jetzt von ihm. Sie halten Rat über ihn. Was haben sie vor? Die Knie werden ihm plötzlich kalt.

Sind denn das überhaupt Vögel? Sind das nicht verzauberte Seelen der Ritter und ihrer Knechte? An den pechschwarzen Flügeln glitzert der Ruß der Hölle!

Der Protasius schnuppert in den Wind. Ob es nicht brandelt? Ob die Seelen nicht nach dem Rauch stinken, den grausamen? Was verstellen sie ihm den Steig? Wollen sie ihm, vom höllischen Schadenfroh angestiftet, die ewige Seligkeit hintertreiben?

Droben über dem umgeisterten Burggemäuer steigt schüchtern der Mond auf.

Dem Protasius Poleitner bricht der eisige Schweiß aus. Wie rettet er sich aus dieser Anfechtung? Er reißt ein gewaltiges Kreuz in die Luft, weit holt er dabei mit dem Arm aus. Der Schwung wirft ihn schier um.

Doch die verwunschenen Seelen weichen nicht. Sie sperren die Schnäbel gegen den Beschwörer auf, schreien immer gieriger und flattern ungebärdig hin und her. Sie tun, als hielten sie Gericht!

Der Protasius zittert wie ein Hund nach dem Bad. »Fahr aus, Gespenst!« ruft er. Er hebt das Vaterunser an. Neunmal hintereinander plärrt er es.

Es hilft nichts. Immer verworrener brodeln die feindlichen Seelen durcheinander, ihre Augen werden immer kecker, immer listiger, unheimlicher, drohender. Sie scheinen das ganze Leben des Protasius Poleitner zu wissen!

Einen Augenblick lang beschließt er, wenn er glimpflich davonkäme, wolle er an dieser Stätte eine Kapelle bauen und sie ausrüsten mit einem hübschen Altar. Doch als er eilends die Kosten dazu überschlägt, unterlässt er seufzend das Gelöbnis. Ach, wenn er nur einen Weihkessel, zur Hand hätte! Weihwasser ist den Geistern Gift. Soll er denn wirklich eines gähen Todes verfahren? Nein, das will er nicht zu lassen. Das vergönnt er seinem Weib nicht. Lieber soll sie eine Hexe werden, als eine Wittib!

Er bricht ins Knie und betet mit weinerlicher, verzagter Stimme den Englischen Gruß, und als dieser nichts fruchtet, die Litanei zu den vierzehn Nothelfern, er spricht in seiner Not den Blasius-Segen, der wider den Kropf heilsam ist, und hernach redet er den höllischen Krächzern zu mit allerlei lateinischen Wörtern, die ihm von, seiner Ministrantenzeit her noch geläufig sind. »Dominus vobiscum! Pax tecum! Oremus!« Die Sonne stürzt in den Berg hinein. Aus dem Dorf her himmelt das Betglöckel. Wie blechern schnöd, wie aufreizend es läutet! Jetzt kriegen die bösen Seelen Macht. Immer grässlicher schnattern sie, ihr gottsträflicher Lärm wird immer ärger. Die Ohren gellen ihm, himmelseelenangst ist ihm ums Herz. Es huscht ihm übers Genick. Die Augen reißt er auf wie der Bock am Sterbebett.

Er merkt, jetzt wird es ernst. Die wilden Seelen rüsten sich, ihre Beratung ist aus. Sie werden über ihn herfallen und ihn mit den harten Schnäbeln erstoßen. Jetzt heißt es: »Die Schuh ab und hinunter in die Hölle!«

In seiner Todesangst klatscht der Protasius Poleitner die Hände zusammen und schreit: »Gschah, gschah!«

Das hat gezunden!

Die bösen Vögel stieben in die Höhe, eine schwarze Wolke, und fliegen krächzend den Wäldern zu.

Der Protasius schaut ihnen eine gute Weile verdutzt nach. Hernach rennt er über die Heide zurück, an, der Kreuzsäule vorüber, durch den verfinsterten Wald ins Dorf.

Am Wirtshaus leuchtete der vergoldete Tannenzapfen im Mondschein.

Der Protasius Poleitner reißt die Tür auf. Die Bauern sitzen noch beim Krug.

»Männer!« schreit er. »Männer! Ich sag euch, ein einziges Gschah-gschah ist mehr wert als neun Vaterunser!«


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