Wilhelm Busch
Schein und Sein (zusätzliche Gedichte)
Wilhelm Busch

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Am Vorabend von Rosens Geburtstag

                Lauschend am Fenster sitzt der Poet. –
Draußen die Blumen und Pflänzchen
Halten ihr Abendkränzchen
Auf dem Gartenbeet.
Der Mond in Silberlivree,
Leise geschäftig,
Kredenzt den Tau, den Blütentee,
Anregend und kräftig.
Und von Kelch zu Kelche
Geht ein Geflüster:
»Also morgen ist er!«

Frau Ehrenpreis (Veronika): Ja, morgen feiert sie
Ihren werten Entsprießungstag –

Taubnessel (mit dem Hörrohr): Hä was? Hä welche?

Frau Ehrenpreis (lauter): – Drüben im Garten die schöne Frau Rose –

Taubnessel: Ah! Mit den zwei Knospen die!

Frau Ehrenpreis: – die tadel- und dornenlose –

Distel (für sich): Wer's glauben mag!

Frau Ehrenpreis: – Von Duft und Glanz umwoben.

Distel: Man weiß, man weiß!
Die gute Frau Ehrenpreis
Muß immer loben.
Und doch hat unser Röschen, das feine,
Allerlei kleine
Grillen und Räupchen
Unter dem zierlichen Häubchen.

Gänseblümchen: O wie reizend!

Distel: Bald steht sie da so mildiglich
Und senkt die Blätter,
Bald rüttelt, schüttelt und spreizt sie sich,
Je nach dem Wetter.

Gänseblümchen: O wie reizend!

Klatschrose: Ja reizend, das wollt' ich meinen!
Drum sieht man auch häufig den Löwenzahn,
Den Rittersporn und den Baldrian
Dort wachsen und erscheinen.

Gänseblümchen: O wie reizend!

Klatschrose: Ja reizend, ganz recht!
Und dann dieser Musenknecht,
Dieser Dichter –

Distel: Der Versetrichter –

Klatschrose: – mit langen Locken –

Distel: – mit dem Loch im Socken.

Gänseblümchen: O wie reizend!

Klatschrose: Alltäglich kläglich mit Gefühl
In ihrer Nähe
Entlockt er seinem Saitenspiel
Lieblich Getön
Und singt so schön –

Distel: – wie n'e Mantelkrähe.

Klatschrose: Zum Beispiel, noch gestern –

Lilie (sanft): Geliebte Schwestern! –

Frau Ehrenpreis: Ihr Muster der Milde!
Ihr Tugendgebilde!

Lilie: Wen sollte der festliche Tag nicht rühren!
Ich denke doch –

Levkoje, Tulpe, Päonie, Phlox: Jaja, wir alle gratulieren!

Frau Ehrenpreis: Ein Schöngeist blüht in unsrer Mitte,
Ein hochgeschickter –
Fräulein Federnelke –

Federnelke: O bitte!

Distel (für sich): Blaustrumpf, verrückter!

Frau Ehrenpreis: – Federnelke, die wundersame,
So lautet ihr holder botanischer Name.
Vielleicht läßt sie sich freundlich erweichen
Und schreibt und dichtet ein Billett,
Duftend, geistvoll und nett.
Das möge dann die dienende Biene,
Unsere süße geflügelte Schleckerkathrine,
Hinschwebend im frühesten Morgenwind,
Dem hohen Geburtstagskind
Ehrfurchtsvoll sumsend überreichen.

Gänseblümchen: O wie reizend!

Federnelke (schreibt und liest): »Veredelte Rose und Nachbarin!
Nehmet dies Brieflein gnädig hin,
Sintemalen dasselbe geschrieben
Von allerlei Pflanzen, welche Euch lieben.
Verleihe der Himmel Euer Gnaden
Beständig ein sanftes Sonnenlicht
Und frischen Tau und meinetwegen
Auch hie und da ein wenig Regen,
Nur Sturmwind nicht,
Denn dieser tut der Schönheit Schaden.
Ergebenst mit Herz und Honigmund
Das Blumenkränzchen: Tugendbund.«

Gänseblümchen: O wie reizend!

Federnelke: Ich denke, es macht sich so!

Alle: Bravo bravissimo!

Mond: Noch 'n Täßchen Tee gefällig?

Levkoje: Ich trank schon drei.

Phlox: Ich fünf.

Tulpe: Ich acht.

Päonie: Mein Mieder kracht!

Alle: Gute Nacht, gute Nacht!

(Die Blumen nicken. Der Mond geht unter. Der Poet,
nachdem er noch einen Blick in die Nacht hinaus gebohrt,
schließt leise das Fenster.)

 


 


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