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Gefängnis.
(Links die Zellenthür, rechts das vergitterte Fenster. An der Rückwand eine emporgeklappte, an die Mauer festgeschlossene Pritsche)
Der König (singt zur Laute).
Mit Epheu trug ich die Stirn umlaubt,
In den Locken blitzte der Tau;
Ein Falkenpaar über meinem Haupt
Stieß kreischend durchs Himmelsblau.
Vom Söller herab mit leuchtendem Blick
Winkte die Mutter und lacht':
Zu Abend kehret dein Vater zurück
In strahlender Siegerpracht . . .
(Er lehnt die Laute an die Mauer, läßt sich im Hintergrund der Zelle auf einen Schemel nieder und flicht an einer Strohmatte)
– – Ich verspüre Durst. – – – Ist es wirklich schon wieder so weit am Tage? – Wie hier die Zeit vergeht! (Er erhebt sich und blickt forschend durch das Fenster nach oben) Weiß Gott! Die Sonne beginnt schon über die Südmauer des Turmes zu gleiten! – Also den Wasserkrug! (Er holt einen irdenen Krug aus der Ecke und wendet sich in erwartender Stellung der Thür zu) – Er kommt schon! – – Hat mir, so lange ich König war, je ein Trunk so gemundet, wie dieser frische Trunk Wasser, den ich nun seit zwölf Monden täglich um diese Stunde erhalte? – Ich glaube, es ist ein großes Glück für mich, daß ich nicht unter meiner eigenen Regierung ins Gefängnis gekommen bin.
(Die Thüre wird klirrend aufgerissen und draußen schreit eine rauhe Stimme. »Wasserkrug!« Der König setzt den Krug hastig vor die Thür und kehrt in die Zelle zurück. Die Thüre fällt ins Schloß, wird aber sofort wieder geöffnet, und der Gefängniswärter tritt ein)
Der Gefängniswärter. Himmelkreuzsakerment, Gigi, was zerschmeißt du den Wasserkrug! Schweig, du Hund! Der Krug hat ein Loch! Gestern war er noch heil! Dir heiz' ich ein, daß dein Blut von der Stirne trieft! Du hältst mich schon für deinen Bedienten, weil ich dir in letzter Zeit nicht mehr so auf die Finger sah! Jetzt sollst du's erleben, daß die Haare dir weiß werden! – Deine Arbeit zeig' vor!
Der König (holt die unvollendete Strohmatte herbei).
Der Gefängniswärter. Das dein Tagewerk?! Du kriegst keinen Happen Brot, eh' du das Fünffache lieferst! (Ihm die Matte vor die Füße werfend) Da! – Und nun werde ich deine Zelle revidieren. Sieh dich vor! Du kommst mir nicht mehr lebendig aus diesem Loch! – (Er geht, die Hände auf den Rücken, von der Thür bis zum Fenster schrittweise der Wand entlang, indem er die Mauer vom Plafond bis zur Erde mustert und sich hin und wieder nach dem Gefangenen umdreht, der regungslos in der Mitte der Zelle steht) Was thut das Spinnengewebe dort oben?! – Vierte Disziplinarstrafe auf acht Tage! (Sich umwendend) Du weißt doch die sieben Disziplinarstrafen noch auswendig? He, Gigi?
Der König. Ich weiß sie auswendig.
Der Gefängniswärter. Erste Disziplinarstrafe?
Der König. Entziehung von Vergünstigungen..
Der Gefängniswärter. Ich werde dir die Laute in Stücke schlagen, mit der du deine Arbeitszeit verplemperst! – Zweite Disziplinarstrafe?
Der König. Entziehung der Arbeit.
Der Gefängniswärter. Dann sieh, womit du die Zeit verbringst! In acht Tagen tragen dich deine Beine nicht mehr! – Dritte Disziplinarstrafe?
Der König. Entziehung des weichen Nachtlagers. – Mein Lager ist so hart, als wär es mit Kieselsteinen gestopft!
Der Gefängniswärter. Schweig! – Der Kerl möchte wohl gern ins Heu schlafen gehen! – Vierte Disziplinarstrafe?
Der König. Schmälerung der Kost.
Der Gefängniswärter. Wasser und Brot von heute auf acht Tage! – Hast du's gehört?! – Fünfte Disziplinarstrafe?
Der König. Einsperrung im Dunkeln.
Der Gefängniswärter. Sechste Disziplinarstrafe?
Der König. Anschließen an die Kette.
Der Gefängniswärter. Das hast du nämlich so zu verstehen, daß du krumm geschlossen wirst, so daß dir nach der ersten Stunde schon alle Teufel, die du im Leibe hast, Lebewohl sagen! Siebente Disziplinarstrafe?
Der König. Körperliche Züchtigung.
Der Gefängniswärter (am Fenster angelangt). Du sollst hier dein Fell noch spüren! Du Tagedieb sollst mir diese Himmelsleiter hinauf- und hinunterklettern bis du tot herunterfällst.
(Er geht vor dem König durch, verläßt die Zelle und schließt von außen zu.)
Der König (sieht ihm verwundert nach. Dann vollkommen ruhig, mit sachlicher Überlegung, wobei er in der nämlichen Stellung, der Thür zugewendet verharrt). Was war das? – Worin habe ich mich denn versehen? – – Diese Bestie glaube ich im Lauf eines Jahres zum Menschen erzogen zu haben? – Plötzlich, nach all der Mühe, fällt sie mir wieder ins Tierreich zurück? – Oder habe ich geträumt? – Daß der Krug zerbrochen war, ist ganz unmöglich. – Diesen Morgen trank ich noch daraus. Er wird ihn jetzt draußen zerschlagen und mir dann die Scherben vorzeigen! – Ob er mich heute dursten läßt? – Soll er mich dursten lassen! Ich ertrage Schmerzlicheres! – Auf jeden Fall empfange ich ihn mit einem Blick, vor dem sein Auge sich in die Erde bohrt. (Sich Haltung gebend). Hilf mir, königliche Majestät, daß der Geselle sich seine Niedrigkeit selbst ins Bewußtsein zurückruft! – – (Horchend). Er kommt! – Ein Zweikampf ohne Waffen – Mensch gegen Mensch!
(Die Thür öffnet sich rasselnd. Drauf tritt Prinzessin Alma, gekleidet wie im vorigen Akt, in beiden Händen einen Krug tragend, in die Zelle. Hinter ihr fällt die Thüre krachend wieder ins Schloß.)
Der König (in maßlosem Freudenschreck). Alma?! Mein Kind?! – O tierische Bosheit!
Alma. O Vater, ich kann Euch ja nicht umarmen! Ich bringe Euch diesen Krug mit Wein.
Der König (nach Atem ringend, beide Hände auf der Brust). O satanische Grausamkeit! – (nimmt ihr den Krug ab und setzt ihn beiseite.) Wo kommst du her, mein Kind? – Zwölf Monde lechze ich nach deinem Anblick! Du lebst noch; du bist gesund und wohl. Sprich, wie ergeht es dir unter den elenden Menschen?
Alma. Wir haben nur einen kurzen Augenblick! Endlich gelang es mir, den Wärter zu bestechen; und von nun an läßt er mich jede Woche einmal zu Euch kommen. Sagt mir rasch, wie ich Eure Leiden mildern kann!
Der König. Meine Leiden? – Ja! Welch ein Vater bin ich, daß ich mein Kind der Welt schutzlos überantworte! Das sind meine Leiden! – Sonst danke ich Gott jeden Tag, daß ich durch diese sechsfußdicken Mauern von der Menschheit getrennt und vor ihr in Sicherheit bin!
Alma. Ihr seht mir wohl an, mein Vater, daß die Menschen lieb zu mir sind. Ich stehe noch bei dem Gerichtsschreiber in Dienst. Sagt mir nur, was ich Euch bringen darf, um Eure Kräfte zu stärken. Welch' furchtbare Qualen müßt Ihr hier erduldet haben!
Der König. Nein, nein, mein Kind! Bring mir nichts Fremdes in diese Einsamkeit. Du weißt ja nicht, mit welcher Windeseile die Zeit hier verfliegt! Zu Anfang hatte ich siebenhundertunddreißig Striche in jene Mauer gekritzelt, um jeden Tag die Freude zu haben, einen auszulöschen. Aber wie bald mußte ich sie wochenweise, mondenweise tilgen. Und jetzt sehe ich nur noch mit Grauen, wie rasch ihrer weniger werden, bis der letzte dahin ist und ich wieder unter überhängenden Felsen Obdach suche und mich mit den Wölfen um ihre Jagdbeute reiße! – Aber laß dich meine Worte nicht betrüben! Du kannst ja nicht wissen, wie mich der Wärter auf dein Kommen vorbereitete!
Alma. Mit stummem Entsetzen denke ich, wie teuflisch er Euch martern wird!
Der König. Was du dir einbildest! Dazu müßte er kein schwacher Erdenwurm sein. Mit meiner Empfindungslosigkeit hält keine Grausamkeit gleichen Schritt. Weißt du, daß er, ohne die geringste Klage von mir gehört zu haben, hier schon Thränen des Mitleids vergossen hat? Wer ist auch so entartet, daß er nicht dankbar wird, wenn sein besseres Selbst unverhofft Anerkennung findet! – Die Freude, dich, mein Kind, wiederzusehen, konnte er mir freilich nicht ungetrübt gönnen. Aber das liegt an der feigen Angst, die sein Beruf ihm einflößt. Der arme Mensch ist so eifersüchtig auf die lächerliche Scheingewalt, die er mit seinem großen Schlüsselbund ausübt, daß er durch die Gnade, die er mir heute erweist, schon völlig überflüssig zu werden fürchtete. Aber, hast du nicht Mangel gelitten, um die Gunst dieses Schurken zu erkaufen?
Alma. Redet nicht von mir, mein Vater! Die Zeit vergeht, und ich weiß nicht, wie ich Euch helfen kann!
Der König. Ich weiß es wahrhaftig auch nicht! – Wäre ich ein tüchtigerer Mensch, dann erschiene mir mein Schicksal vielleicht bedauernswürdig. Armselig, wie ich bin, zittre ich nur vor dem Augenblick, wo mich keine eisenbeschlagene Thüre mehr schützt, wo kein Gitterfenster mehr hindert, daß man zu mir hereinsteigt, wo ich wieder unter Menschen stehe, mit denen ich keine Verständigung finde und von deren Treiben ich nun erst recht durch den Spruch des Gerichtes ausgeschlossen bin. – Wüßtest du, wie schmerzlos in dieser Einsamkeit die klaffenden Wunden der Seele vernarben! Die Richter glaubten meine Strafe zu verschärfen, indem sie mich zu Einzelhaft verurteilten. Wie inbrünstig habe ich ihnen schon dafür gedankt, daß ich hier nicht mit Menschen zusammen zu leben brauche!
Alma (in Thränen ausbrechend). Heiliger Gott im Himmel! Dann mögt Ihr mich hier wohl auch nicht mehr bei Euch sehen!
Der König (sie liebkosend). Ich belohne deine Opfer durch Unmut und Verdrossenheit. Die Gedanken werden schwer und ungefügig, wenn der Mensch tagaus tagein im Gespräch mit sich selbst verharrt. – Nur um das eine bitte ich dich: Wird mir die Freiheit zurückgegeben, dann überlaß mich meinem Geschick – nicht für immer – nur so lange, bis ich mich deiner Seelengröße würdig erwiesen.
Alma. O nimmermehr! Verlangt nicht, daß ich Euch je verlasse! Es kann uns in Zukunft doch unmöglich wieder so schlimm ergehen wie zuvor!
Der König. Dir nicht. Das glaube ich gern.
Alma. In dieser Dunkelheit hat sich Eurer armen Seele die Melancholie bemächtigt. Euer stolzes Herz ist nahe daran, stille zu stehen. In Euren Zügen ist nichts von der friedlichen Ruhe zu lesen, die Ihr zu fühlen vorgebt.
Der König. Ich habe mein Gesicht seit Jahresfrist nicht gesehen; aber ich kann mir denken, wie häßlich es hier geworden ist. Wie muß mein Anblick deine Augen verletzen!
Alma. O redet nicht so, mein Vater!
Der König. Aber du kennst die Unverwüstlichkeit meiner Natur. Und nun trittst du, das Einzige, was meinem Glück vorenthalten wurde, zu mir herein! Nur um Dich, mein Kind, reich und herrlich zu belohnen, müßte ich noch einmal König sein.
Alma. Ich höre den Wärter. Sagt mir, wie ich Eure Qualen erleichtern kann!
Der König (läßt sich ermattet aus den Schemel nieder; halb für sich). Was entbehre ich denn? Wie furchtbar würde dieser Kerker, wenn die Genüsse des Lebens hier Zutritt hätten! Wie soll mich hier nach einem schönen Weibe verlangen, wo sich mein Erinnern die Schönheit nicht mehr vorzuzaubern vermag! Mein Lager dort ist tagsüber angeschlossen. Da mir kein anderer Ruheplatz bleibt, lege ich mich abends so ermattet nieder, als hätte ich einen Acker umgepflügt. Und morgens weckt mich die gellende Glocke aus einem so wunschlos heiteren Traum, wie ich ihn auch als Kind nie geträumt habe. (Da die Thüre geöffnet wird) Wenn du wiederkommst, mein Kind, wirst du keine Klagen mehr hören. Du sollst dich so froh bei mir fühlen, als wärst du draußen in deiner sonnigen Welt. – Leb' wohl!
Alma. Lebt wohl, mein Vater! – (Sie verläßt die Zelle. Die Thüre fällt hinter ihr zu)
Der König. Noch ein ganzes langes Jahr! – – (Er geht an die Mauer) Ich werde doch mal wieder genau die Striche nachzählen, wie viele ihrer noch zu tilgen sind!
Nacht. Wildnis.
(Der König, Prinzessin Alma, die Laute ihres Vaters über der Schulter tragend, und ein Kunstreiter treten auf)
Der König. Haben wir noch weit zu gehen, Bruder, bis zu dem Platz, wo die Elendenkirchweih abgehalten wird?
Der Kunstreiter. Bis Mitternacht sind wir längstens dort. Vorher beginnt die eigentliche Kirchweih gar nicht. Ihr Beide macht wohl zum erstenmal diese nächtliche Wallfahrt zum Hochgericht?
Der König. Wir sind erst seit wenigen Monden beim fahrenden Volk, haben aber trotzdem schon manchen Hexensabbat mitgetanzt.
Der Kunstreiter. Mir scheint, Bruder, man hat dir irgendwo das Marschieren abgewöhnt! Du bist doch sonst ein ganz strammer Geselle!
Der König (sich auf einen Felsblock setzend). Mein Herz stößt wie ein gefangener Raubvogel gegen die Rippen. Der Weg geht bergan; das nimmt mir den Atem.
Der Kunstreiter. Wir haben reichlich Zeit. – Dein Bub, Bruder, ist dafür um so besser auf den Beinen. Jammerschade um das junge Blut! Bei mir könnte er noch was Einträglicheres lernen, als Gassenlieder zur Laute singen. Das wird doch überall nur dem Betteln gleichgeschätzt. Gieb ihn mir mit, Bruder, nur auf ein halbes Jahr! Bei mir hat er es jedenfalls nicht schlechter, als wenn er in deine Fußstapfen tritt; und ich mache dir einen Kunstreiter aus ihm, um den sich die Zirkusmeister die Hälse brechen!
Der König. Halte mich nicht für einen Esel, geliebter Bruder! Wie willst du meinem Buben das Kunstreiten beibringen, wo du selber auf Schusters Rappen reisest!
Der Kunstreiter. Du bist mißtrauisch, als hättest du Fässer voll Gold zu Hause liegen! Dabei weißt du allem Anschein nach nicht, wo und wann du zum letztenmal warm gegessen hast! So bringt man's freilich zu nichts! Wir treffen in dieser Nacht auf der Elendenkirchweih mindestens ein halbes Dutzend Zirkusmeister. Sie alle kommen dorthin, um Künstler zu finden, die bei ihnen auftreten. Dann wirst du armer Teufel sehen, wie man sich um meine Person reißt und wie einer den andern mit dem Handgeld überbietet! Denen bin ich Gott sei Dank nicht so unbekannt, wie euch Bänkelsängern! Und stehe ich wieder bei einem im Dienst, dann habe ich Pferde genug, daß sich dein munterer Bub, wenn er Lust dazu hat, gleich am ersten Tage den Hals brechen kann!
Der König. Sag' mir, Bruder, finden sich auf der Elendenkirchweih auch Theaterbesitzer ein?
Der Kunstreiter. Auch Theaterbesitzer, jawohl! Aus dem ganzen Land kommen die Theaterbesitzer zusammen. Wo wollten sie sonst ihre Tänzerinnen und Hansnarren hernehmen! – Freilich, Bruder, ob dich einer in Dienst nimmt, scheint mir sehr zweifelhaft. Du siehst mir nun wirklich gar nicht darnach aus, als ob du Possen reißen könntest!
Der König. Es giebt aber auch eine erhabene Kunst, die man Tragödie nennt!
Der Kunstreiter. Tragödie, ja! Den Namen habe ich gehört! – Auf diese Kunst, lieber Bruder, verstehe ich mich ganz und gar nicht. Nur eines weiß ich von ihr, daß sie herzlich schlecht bezahlt wird. – (Zu Alma) Nun, mein braver Knabe, trachtet dein Gaumen nicht nach besserem Futter? – Willst du die Kunstreiterei bei mir erlernen?
Der König (sich erhebend). Vorwärts, Bruder, daß wir die Elendenkirchweih nicht noch versäumen! Nur einmal im Jahre bietet das Glück uns die Hand.
(Alle drei ab)
Hochgericht.
(Nacht. – Im Hintergrunde ragt der Galgen empor. Links vorn, am Fuß einer knorrigen Eiche, liegt ein riesiger Felsblock, der den Auftretenden als Podium dient. Davor flackert ein großes Reisigfeuer, um das herum die Zuschauer, Männer, Weiber und Kinder, in phantastischen Trachten lagern)
Chorus. Auf dem Dorf und in der Stadt
Schnarchen alle Menschen hinter dichtgeschloss'nen Fenstern;
Und was Haus und Bett nicht hat,
Dreht sich unterm Hochgericht mit fröhlichen Gespenstern!
Aus der Sonne Glanz verbannt,
Finden leisen Schrittes wir des Glückes Spur im Dunkeln
Und sind Herrn im weiten Land,
Wenn vom hohen Himmel die Gestirne freundlich funkeln.
Ein Theaterbesitzer (mit Baßstimme redend, zu einem Schauspieler). Zeig mir, was du gelernt hast, mein werter junger Freund! Hic Rhodus hic salta! Was ist dein Fach?
Der Schauspieler. Ich mache den Bajazzo, verehrter Meister.
Der Theaterbesitzer. Dann mach den Bajazzo, junger Freund. Aber mach ihn gut! Difficile est, satiram non scribere! Mein Publikum ist nur das Allerbeste gewöhnt!
Der Schauspieler. Ich werde sofort eine Probe meiner Kunst ablegen.
Der Theaterbesitzer. Wenn du Gefallen vor meinen Augen findest, junger Freund, dann hast du hundert Soldi pro Monat. Pacta exacta – boni amici! Geh, junger Freund, und leg deine Probe ab!
(Der Schauspieler besteigt den Felsen. Er wird von der Menge mit Klatschen und Bravorufen begrüßt)
Der Schauspieler (bricht zuerst in Gelächter aus; dann spricht er die nachfolgenden Verse, jeden derselben mit einer anderen Art von Gekicher begleitend).
Graf Onofrio war ein Graf,
Dumm war er wie ein Schaf.
Er hatte sieben Töchter,
Die gerne verheiraten möcht er;
Es zeigte sich aber kein Freier –
Faule Eier! Faule Eier!
Die Zuschauer (haben den Vortrag mehrfach durch Zischen und Pfeifen unterbrochen. Bei den letzten Worten bewerfen sie den Schauspieler mit Erdschollen, indem sie unter schrillem Pfeifen die Worte wiederholen). Faule Eier! – Faule Eier!
Der Theaterbesitzer (den Lärm überbrüllend). Nieder mit dem Kerl! Apage! Gott der Herr hat ihn in seinem Zorn geschaffen! Alea est jacta!
(Der Schauspieler verläßt den Felsen)
Chorus. Glaub nur nicht, o Menschenbrut,
Daß in eitel Träumen unser Dasein wir verläppern!
Weißt doch nicht, wie Liebe thut,
Wenn vom lichten Galgen die Gerippe dazu scheppern!
(Der König, Prinzessin Alma und eine Kupplerin treten auf.)
Die Kupplerin. Nun, Bänkelsänger, wieviel verlangst du von mir für deinen hübschen Buben? – Höre den lieblichen Klang der Goldstücke in meiner Tasche!
Der König. Soeben hat ihn mir hier schon ein Kunstreiter abkaufen wollen. Laßt mir doch nur meinen Buben in Frieden! Deshalb komme ich nicht hierher auf die Elendenkirchweih. Was kannst du denn überhaupt mit dem Buben wollen!
Die Kupplerin. Halt mich doch nicht für so dumm, Bänkelsänger, daß ich dem Buben nicht ansehen sollte, daß er ein Mädel ist! Das süße Kind bekommt in mir eine Mutter, wie sie sie liebevoller nirgends in der weiten Welt findet. (Zu Alma) Zier dich nicht so, mein hübsches Täubchen! Ich fresse dich nicht! Wenn man so ebenmäßig gewachsen ist wie du und ein rundes rosiges Gesicht mit so frischen Kirschenlippen und so dunklen Glutaugen hat, dann schläft man unter seidenen Decken statt auf freiem Feld. Die Laute zu schlagen brauchst du bei mir nicht. Nur lieb sein! Was kann sich das muntre junge Blut Schöneres wünschen! Du findest Minister und Barone bei mir; brauchst nur zu wählen. Hast du dich schon einmal von einem richtigen Baron küssen lassen? Das schmeckt besser als eines Landstreichers Bartstoppeln! – Schau her, Bänkelsänger! Hier sind zwei unbeschnittene Dukaten! Das Mädel gehört mir! Abgemacht!
Der König. Häng dich an den Galgen mit deinem Geld! – (Zu Alma) Das alberne Weib sieht dich in seiner Dummheit wirklich für ein verkleidetes Mädel an! Warum bist du es nicht! Wärst du jetzt ein Mädel, du hättest die beste Gelegenheit, dir den struppigen Bänkelsänger vom Halse zu schaffen! Schlimmeres giebt es nun doch einmal nicht, als den Hut hinhalten und Pfennige auffangen! Hast du nicht vielleicht schon Pfennige aufgenommen, die uns die mitleidigen Pflegetöchter dieser würdigen Dame herabwarfen?! Dabei haben sie immer noch Aussicht, der erhabenen bürgerlichen Gesellschaft wieder als vollwertig aufgenötigt zu werden. Der Stern leuchtet über unseren Wegen nicht!
Die Kupplerin (zu Alma). Laß dir, mein Herzblatt, um Gottes willen von dem Strolch den Kopf nicht heiß machen! Du glaubst nicht, wie wonnig mein Haus ist! Den ganzen Tag verbringst du mit einer Schar der muntersten Gespielinnen. Wenn dich der Bänkelsänger mir nicht verkauft, dann laß ihn hinter uns herjammern. Fürchte dich nicht vor ihm! Du bist unter meiner Obhut so sicher, als wenn dich ein ganzes Kriegsheer begleitete!
Alma (sich aus den Armen der Kupplerin frei machend). Ich werde mit ihm reden. (Geht an ihr vorüber zum König, mit zitternder Stimme) Ihr wißt doch noch, mein Vater, weshalb wir auf die Elendenkirchweih kamen!
Der König. Ich weiß es, mein Kind. (Er besteigt den Felsen. Von den Zuschauern wird er mit trockenem Husten empfangen. Darauf spricht er mit klarem Ton, aber innerlich bewegt)
Ich bin der Herrscher hier in diesem Land,
Von Gott ernannt, von niemand anerkannt!
Und wenn ich's schriee, daß die Felsen dröhnen,
Daß ich in diesem Lande Herrscher bin,
Der Vögel Zwitschern würde mich verhöhnen! –
Wozu gereicht mein königlicher Sinn?
Daß ausgehungert ich mit gierigen Zähnen
Aufschnappe, wie zur Winterszeit das Tier. –
Doch nicht, um meiner Leiden zu erwähnen,
Red' ich, mein Volk, mit dir!
Die Zuschauer (brechen in schallendes Gelächter aus, klatschen stürmisch in die Hände und rufen begeistert). Da capo! Da capo!
Der König (angstvoll und beklommen). Geehrte Zuhörer! Mein Fach auf der Bühne ist die große ernste Tragödie!
Die Zuschauer (laut auflachend). Bravo! Bravo!
Der König (mit Anstrengung aller Seelenkraft). Was ich euch soeben vortrug, ist mir das Teuerste, das Heiligste, was ich bis jetzt in den Tiefen meiner Seele verschlossen hielt!
Die Zuschauer (erheben einen neuen Beifallssturm, aus dem man deutlich die Worte heraushört). Ein großartiger Komiker! – Ein unbezahlbarer Charakterkomiker!
Der Theaterbesitzer (hat, um besser sehen zu können, im Rücken der Menge einen Feldstein erstiegen). Sprich deinen Monolog zu Ende, mein teurer junger Freund! Oder beherbergt dein armes Hirn nur diese paar Brocken? – Si tacuisses, philosophus mansisses!
Der König. Wohlan denn! Dann aber bitte ich euch inbrünstig, meine lieben Zuhörer, bringt meinen Worten die ernste Würdigung entgegen, die ihnen gebührt! Wie sollte es mir gelingen, eure Herzen zu rühren, wenn ihr den Klagen, die aus meinem Munde kommen, keinen Glauben schenkt!
Die Zuschauer (lachen und klatschen begeistert in die Hände). Welch eine Stellung er dabei einnimmt! – Und sein drolliges Mienenspiel! – Weiter in deiner Posse!
Der Theaterbesitzer (zischend). Kinder, Kinder! Nichts ist für den Mimen verderblicher als der Beifall! Zwingt ihr ihn sich zu überbieten, dann ist der arme Schlucker nur noch auf niederträchtigen Schmieren zu verwenden! Odi profanum vulgus et arceo! (Zum König) Sprich weiter, mein Sohn! Mir scheint, deine Parodien würden mein erlauchtes Publikum erheitern können!
Der König (indem er mit allen Mitteln den Ernst seiner Rede hervorzuheben sucht).
Ich bin der Herrscher! – In die Knie mit euch!
Was soll das ungebärdig tolle Lachen! –
Durch meine Schuld zwar weiß in meinem Reich
Kein Mensch von mir. Es schlafen meine Wachen;
Mein tapfres Kriegsheer steht in fremdem Sold,
Es fehlt die höchste irdische Macht, das Gold! –
Doch hat ein echter König je gelebt,
Um Thalerstück an Thalerstück zu reihen?
Dies Amt vertraut er gnädig dem Lakaien!
Der Heller, dran der Schmutz der Menge klebt,
Ward nicht geprägt, daß er die schneeigen Hände
Der Majestät von Gottes Gnaden schände!
Die Zuschauer (in wildes Gelächter ausbrechend). Da capo! – Bravo! – Da capo!
Der Theaterbesitzer. Dieser Mensch ist ein glänzender Satiriker! Ein zweiter Juvenal!
Der König (wie oben).
Ich bin der Herrscher! – Wer das hier nicht glaubt,
Der trete vor! Er mag mich drauf erproben!
Sonst liebt' ich's nicht, mein eignes Ich zu loben;
Doch hat die Welt mir diesen Stolz geraubt. –
Wer einen Degen führt, dem will ich weisen,
Wie er mit Anmut das gespitzte Eisen
Mild lächelnd senkt in seines Gegners Brust,
Auf daß der Zweikampf, statt mit Angst und Grauen,
Als muntrer Elfenreigen ist zu schauen,
Und Jenem auch der Tod noch süße Lust! – –
Ich bin der Herrscher! – Aus der Berberherde
Bringt mir das bissigste der Wüstenpferde!
Ich leg' ihm Zügel nicht noch Sattel an;
Spürt es nur meine Fersen in den Weichen,
Wird's unter mir in span'scher Gangart keuchen
Und ist fortan dem Reiter unterthan! –
Ich bin der Herrscher! – Laß zum Fest euch laden!
Die Welt bleibt fern mit ihrer garst'gen Qual;
Die Abendsonne leuchtet uns zum Mahl,
Gesang ertönt aus luftigen Arkaden;
Der Gast dringt hoffnungsfroh ins düstre Grün,
Wo neben traulich plätschernden Kaskaden
Ihn Nymphen kosend zu sich niederziehn. –
Ich bin der König! Schafft ein Mädchen her!
Doch sei es wie der Morgenreif so keusch!
Ich weck ihr nicht der Unschuld Wehgekreisch;
Als Bettler komm' ich, meine Taschen leer;
Sechs Schritt bleib ich ihr fern; vor Satansschlichen
Sei sie gewarnt – und eh ein Stern verblichen,
Erlag in ihr die Seele schon dem Fleisch! –
Bringt mir die treu'sten aller treuen Frauen!
Sie zweifeln bang, ob Grauen, ob Vertrauen
Mehr Kuppler sind zu sündigem Genuß;
Und zweifelnd bieten sie sich mir zum Kuß! – –
Ich bin der König! – Wo war je so schmal
Ein Kind an Hand' und Füßen in den Knöcheln:
Verächtlich seh' ich euch, ihr Hörer, lächeln:
Die Füße tänzeln und die Hände fächeln;
Was oben sich im Schädel birgt, ist schal!
Sei's drum! Das schlankste Mädchen hier mag wagen,
In luft'gem Tanz den Sieg davon zu tragen!
Nie zuckte sie zu blut'gem Kampf den Stahl,
Und ihre Knöchel sind wie meine schmal . . .
(Da sich niemand meldet, zu Alma)
Reich mir eine Fackel, mein Kind!
Alma (reißt einen helllodernden Zweig aus dem Reisigfeuer und reicht ihn dem König hinauf. Darauf spielt sie, am Fuße des Felsens stehend, eine getragene Tanzmelodie auf ihrer Laute).
Der König (tanzt mit Anmut und Vornehmheit einige Schritte aus einem höfischen Fackeltanz, worauf er den brennenden Zweig ins Feuer zurückschleudert).
Die Zuschauer (erheben ein langanhaltendes Beifallsgetöse).
Der Schauspieler (sich unter den Zuschauern erhebend, in parodistischem Ton).
Ich bin der König hier in diesem Reich . . .
Der Zuschauer. Nieder mit dem Barbiergesellen! Er hat kein Herzblut! Schlagt ihn zu Boden!
Der Theaterbesitzer. Quod licet Jovi, non licet bovi! – (Zum König, der den Felsen verlassen hat) Ich nehme dich als Tanzmeister und als Tharakterkomiker in Dienst und biete dir hundert Soldi pro Monat
Ein anderer Theaterbesitzer (spricht in Fistelstimme). Hundert Soldi, hihihi? Hundert Soldi will dir der Schaute geben? – Ich schmeiße dir hundertundfünfzig ins Gesicht, du Schuft! Was sagst du, hihihi? – Willst du nun oder willst du nicht?!
Der König (zum ersten Theaterbesitzer). Glaubt Ihr denn nicht, verehrter Meister, daß ich mich besser zum Tragöden als zum Komiker eigne?
Der erste Theaterbesitzer. Zum Tragöden fehlt dir jede Spur von Begabung; als Tharakterkomiker hingegen kann es dir überhaupt nicht mehr schlecht ergehen in dieser Welt. Glaub mir, mein teurer Freund, ich kenne die Könige. Ich habe schon mit zwei Königen auf einmal zu Mittag gespeist! Dein Königsmonolog ist die Karikatur eines wirklichen Königs und muß als solche gewürdigt werden.
Der zweite Theaterbesitzer.. Laß dich von dem Pferdehändler nicht anpfeffern, du Schuft! Was versteht der vom Komödienspiel! Ich habe meinen Beruf an den Universitäten von Rom und Bologna studiert. Wie ist es mit zweihundert Soldi, hi hi hi?
Der erste Theaterbesitzer (Dem König auf die Schulter klopfend). Ich gebe dir dreihundert Soldi, mein teurer junger Freund!
Der zweite Theaterbesitzer. Ich gebe dir vierhundert Soldi, du dreckiger Schuft, hi hi hi!
Der erste Theaterbesitzer (giebt ihm seinen Geldbeutel). Hier hast du meine Börse! Steck sie ein und behalte sie als Andenken an mich!
Der König (den Beutel einsteckend). Würdet Ihr denn auch meinen Buben in Euren Dienst nehmen?
Der erste Theaterbesitzer. Deinen Buben? Was hat er gelernt?
Alma. Ich mache den Hanswurst, verehrter Meister.
Der erste Theaterbesitzer. Gleich laß ihn mich sehen, deinen Hanswurst!
Alma (steigt auf den Felsen und spricht in frischem, munteren Ton).
Seltsam sind des Glückes Launen,
Wie kein Hirn sie noch ersann,
Daß ich meist vor lauter Staunen
Lachen nicht noch weinen kann!
Aber freilich steht auf festen
Füßen ja der Himmel kaum,
Drum schlägt auch der Mensch am besten
Täglich seinen Purzelbaum.
Wem die Beine noch geschmeidig,
Noch die Arme biegsam sind,
Den macht Unheil auch so freudig,
Daß er's innig lieb gewinnt!
Die Zuschauer (spenden Beifall).
Der erste Theaterbesitzer. Dieses Hühnchen nehme ich als jugendlichen Hanswurst in Dienst. – Wir wandern diese Nacht noch per pedes Apostolorum nach Siena, wo meine Gesellschaft Trauerspiele, Lustspiele und Tragikomödien zur Aufführung bringt. Von dort geht es nach Modena, nach Perugia . . .
Der König. Eh' wir nach Perugia kommen, müßt Ihr meinen Kontrakt lösen, da ich auf Lebenszeit aus der Stadt verwiesen bin.
Der erste Theaterbesitzer. Unter welchem Namen passierte dir das, mein junger Freund?
Der König. Ich heiße Ludovicus.
Der erste Theaterbesitzer. Ich nenne dich Epaminondas Alexandrion! Diesen Namen trug ein bewundernswürdiger Charakterkomiker, der vor kurzem mit meiner Frau durchgebrannt ist. Nomen est omen! – Kommt, meine Kinder! – (Mit dem König und Alma ab)
Chorus. Sonne bald den Berg erklimmt,
Uns bis übers Jahr in alle Winde zu verschlagen,
Die vom Schicksal wir bestimmt,
Unerreichte Truggebilde krampfhaft zu erjagen!