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Thronsaal.
(Der König in höfischer Kleidung. Sein Amt als Hofnarr ist diskret durch eine entsprechende Kopfbedeckung angedeutet; in der schlaffen Hand hält er einen kurzen Narrenstab. Er sieht auffallend gealtert aus; sein blutleeres Gesicht ist tief gefurcht und seine Augen erscheinen doppelt größer als früher)
Der König. Sonderbar ist doch dieses Leben! Während langer Jahre unter Entbehrungen jeder Art fühlte ich die Kräfte meines Körpers täglich wachsen. Jede Morgensonne fand mich munterer an Geist, fand meine Muskeln widerstandsfähiger. Kein Mißgeschick ließ mehr Zweifel an der Unverwüstlichkeit meiner Natur in mir aufkommen. Und seit ich hier in Sorglosigkeit und Wohlsein lebe, schrumpfe ich ein wie ein Apfel im Frühling. Schrittweise fühle ich das Leben sich von mir entfernen; und die Ärzte gestehen einander unter Achselzucken und mit langen Gesichtern, daß sie den Verfall nicht begreifen. – – Sollte ich einst in diesen Hallen geherrscht haben? Täglich seit meinem Hiersein wiederhole ich mir die Frage und täglich erscheint sie mir widersinniger. Mir wird so schwer, daran zu glauben, als wollte mir jemand einreden, ich hätte schon einmal auf einem anderen Himmelskörper gelebt. König Pietro ist der würdigste Fürst, der je einen Thron inne hatte, und ich bin in all seinen Staaten der Letzte, der mit ihm tauschen möchte. Das ist allabendlich mein letztes Wort, ein Wort, das mich nicht von trockener Gefängnisluft träumen läßt, sondern von triefenden, sturmgebeugten, klagend rauschenden Baumwipfeln, von endlosen düstren Haiden, von unberührtem Morgentau auf buschigem Gras und von dem wackligen Karren, der ein tollkühnes Landstreichervolk von Flecken zu Flecken schleppt und auf dessen schwanken Leitern Aller Herzen mir entgegenschlugen, unschlüssig zwischen Bedauern und Ehrfurcht. – Ein eigentümlicher Krampf macht sich seit einigen Tagen in meinem linken Arm bemerkbar. Das ist nicht Gicht; das ist nicht Altersschwäche. Aber eh' die hemmende Membran zerspringt, habe ich ein Werk noch zu vollenden. Laß michs vollenden, o Schicksal, daß wir, einander dankbar, in Freundschaft scheiden! Mit all der Vorsicht, die mein Leben als einzigen Ertrag mir abgeworfen, habe ich es eingefädelt. Oder sollte ich wieder der Genarrte sein? Bedurften die stürmischen jungen Herzen meiner Hilfe gar nicht? Messe ich mir nur in eitler Selbstüberhebung das Verdienst bei, ihre Vereinigung zu fördern? Wer öffnet mir die Augen über mich?! Blind wie ich kam, soll ich gehen?! – – Ich gehe und – horche! Dann brauche ich mich doch später nicht erst auf die Antworten zu besinnen. – (Ab)
(König Pietro und Erbprinz Filipo treten auf)
König Pietro. Ich ließ bei den Medici in Florenz anfragen, ob man geneigt ist, dir eine Tochter zur Frau zu geben. Eben erhalte ich die Nachricht, daß die Medici im Vertrauen auf die Festigkeit unserer Herrschaft eine solche Verbindung sehr willkommen heißen.
Filipo. Bevor Ihr das thatet, mein gnädiger Vater, habe ich Euch schon des allerbestimmtesten erklärt, daß ich niemand anders heiraten werde, als Donna Alma, die Tochter Alexandrions!
König Pietro (aufbrausend). Die Tochter meines Hofnarren! Du gehörst in die Werkstatt zurück, aus der du gekommen bist.
Filipo. Dann laßt mich in die Werkstatt zurückkehren, mein gnädiger Vater!
König Pietro. Mag dieses Mädchens Tugend auch über alle Zweifel erhaben sein, die allgemeine Wohlfahrt fordert, daß du eine Fürstentochter zum Weib nimmst. Wolltest du um die Tochter eines Bürgers von Perugia freien, ich könnte darin, ohne unserer eigenen Herkunft ins Gesicht zu schlagen, gleichfalls keine deiner unwürdige Verbindung erblicken. Trotzdem wäre deine Wahl ein Verbrechen am Staatswohl, da sie Parteinahme und Gewaltthätigkeiten unter den Bürgergeschlechtern zur Folge hätte. Wählst du deinem Volk aber eine Königin allerdunkelster Herkunft, dann zeigst du ihm im voraus, daß du die Pflichten des Fürsten mißachtest. Wer will berechnen, welche Erben dir aus einer solchen Verbindung erwachsen! Statt mit Vertrauen wird man deinem Regierungsantritt mit verbissener Scheu, mit Geringschätzung und Überhebung, mit Angst und Widerspenstigkeit entgegensehen. Brachte ich König Nicolo zu Fall und trieb ihn zum frühen Tode, auf daß schon mein Sohn wieder in der heillosen Verblendung beginnt, die ihn Thron und Leben kostete?! Deshalb gerade stellte ich mir Alexandrion zur Seite, weil er über diese ernstesten Fragen nachgedacht hat! (Eine Portiere hebend) Man rufe den Narren! – – Jetzt soll er mir zeigen, ob seine Weisheit auch gegenüber den Banden des Blutes standhält! Jetzt soll er mir zeigen, ob er selber nach seinen Aussprüchen handelt, wie ich es thue, oder ob er auch nur ein kurzatmiger Prahler ist?
Der König (eintretend). Was befiehlt mein teurer Gebieter?
König Pietro. Deine Ratschläge in Stunden furchtbarster Gefahr haben mich dir zu Dank verpflichtet. Hätte ich mich in schweren Entscheidungen nicht willenlos von deiner abwartend besonnenen, heimtückischen Verschlagenheit leiten lassen, wir ständen heute vielleicht unter fremder Botmäßigkeit. Jetzt fordere ich aber ein Opfer, das du dem Staate und unserer Regierung als Vater deines Kindes schuldest. Ich räumte deinem Verstande rückhaltlos die Macht ein, zwischen mir und meinem Blute obzuwalten, ohne zu ahnen, wie bald ich ihn auffordern müßte, sich zwischen dich selbst und dein eigenes Kind zu stellen. Dieser Prinz fordert deine Tochter von mir zum Weibe!
Der König. Mein Kind steht so himmelhoch über mir; seine Sohlen berührten die Erde nie, ohne daß mir des Glückes üppigste Saat aus den schmalen Fußstapfen emporblühte!
König Pietro. Das will ich dir glauben; aber du wirst deiner Tochter befehlen, daß sie jede Bewerbung des Prinzen zurückweist!
Filipo. Das wird sich Donna Alma nimmermehr befehlen lassen!
König Pietro. Schweig!
Der König. Ich habe in diesem Lande nichts zu befehlen.
König Pietro. Wohl wahr! Aber du hast zu gehorchen!
Der König. Wohl wahr! Aber mein Kind hat nicht zu gehorchen!
König Pietro. Genug des Witzes! Ich bedaure, deine Klugheit überschätzt zu haben. Du begreifst, daß bei deiner Weigerung eures Bleibens an meinem Hofe nicht länger ist. Es schmerzt mich, deine ruhige Überlegung an dieser Klippe scheitern zu sehen. Du bist ein schlechter Vater, Alexandrion, daß du dich nicht scheust, dein Kind meiner Gunst zu berauben! Um mich gegen den Vorwurf des Undankes zu sichern, werde ich dir auch fürder dein Gehalt auszahlen lassen . . .
Der König. Ich danke dir, Bruder; ich bedarf deiner Gnade nicht länger.
König Pietro. Bist du von Sinnen?!
Der König. Ich sehe klarer als du! Du kannst des wunderbaren gewaltigen Schicksals Erfüllung so wenig hindern wie ich.
König Pietro. Laß das Geschwätz! Ich frage dich zum letztenmal: Gehorchst du meinen Befehlen?! Sonst fürchte meinen Zorn!!
Der König. Es übersteigt deine sowohl wie meine Macht!
König Pietro. Wohlan denn! Mag mein Sohn, wenn ihn das Verlangen ankommt, euch nachlaufen! So verbanne ich denn dich und dein Kind von diesem Tag an auf Lebenszeit aus dem Lande Umbrien unter Verhängung der Todesstrafe für den Fall jemaliger Rückkehr!
Der König (bricht in anhaltendes munteres Gelächter aus).
Filipo. Heilige Jungfrau, was ist mit ihm!
König Pietro (betreten). Das ist das Lachen eines Wahnwitzigen!
Der König (lachend). Ihr Lieben erlaubt schon, daß ich lache, da ich doch nun einmal dafür bezahlt bin, närrisch zu sein!
König Pietro. Gieb uns eine Erörterung, Alexandrion, was in deinem Innern vorgeht!
Der König (sich hoch aufrichtend). Weißt du, daß du mich hier in diesem Saale schon einmal unter Verhängung der Todesstrafe aus Umbrien verbanntest?!
König Pietro. Ich kann mich unmöglich aller Urteile erinnern, die ich bestätigte!
Der König. Dein erstes Urteil sprachst du über König Nicolo, und der bin ich!
König Pietro (erschüttert). Das ließ sich längst voraussehen, daß es solch ein Ende mit ihm nehmen werde! (Zum König) Willst du uns aus deinem früheren Beruf eine tragische Scene aufführen?
Der König. Ich, der ich hier stehe, bin König Nicolo!
König Pietro (in scheinbarem Zorn). Ich habe mit Betrügern nichts zu schaffen! Hoffst du wirklich mit solchen Bubenstreichen etwas auszurichten?!
Der König. Ich bin König Nicolo! Ich bin König Nicolo!
König Pietro (zu Filippo). Es ist um ihn geschehen! Sei Gott seiner Seele gnädig!
Filipo. Sein armes Kind! Barmherziger Himmel, wenn es davon Kunde erhält!
Der König (in höchster Verwunderung). Warum steht ihr denn nicht gebannt vor Staunen?? – Ihr glaubt mir wohl nicht?! – Ihr fordert wohl gar, daß ich euch noch beweise, was ich seit meinem Sturz nur durch übermenschliche Seelenkraft geheim hielt?!
Filipo. Wir glauben dir, Alexandrion! Laß dich von mir auf dein Zimmer führen. Wir glauben dir!
König Pietro. Wollte sich dein armes Herz nur erst beruhigen!
Der König (angstvoll). Nein, nein! Ich beruhige mich nicht! Ihr traut meinen Worten nicht! Ihr zweifelt an meinem Verstand! – Allgewaltiger Gott, wo nehme ich Beweise her, die mir die Wahrheit bestätigen?! – Laßt meine Tochter rufen! – Es ist hohe Zeit; lange schaue ich das Licht nicht mehr! – Laßt meine Tochter rufen! – Ich bin zu schwach, um sie selbst zu holen. – Laßt mein Kind rufen! – Mein Kind!
Filipo. Ich beschwöre Euch, mein Vater, willfahrt seiner Bitte nicht! Das Mädchen vergeht vor Schmerz, wenn es ihn unvorbereitet in seiner Umnachtung sieht!
Der König. Mein Kind laßt rufen! Ich habe ihm nichts zu hinterlassen als seine fürstliche Herkunft; und nun soll es durch meine unermeßliche Thorheit auch um dies letzte Gut betrogen sein! Wer schenkt dem Mädchen Glauben, wenn meine Augen gebrochen sind! Freilich, an einen König erinnert nichts mehr an mir! Und meine Bilder, meine Statuen sind zerstört! Und fände sich auch noch ein Bild, wer läßt Ähnlichkeit für einen Beweis meiner ungeheuerlichen Behauptung gelten! Ähnlichkeit, von der die Zeit keine Spur mehr übrig ließ! Erleuchte mich, o Herr im Himmel, in dieser zehnfachen Todesangst!
König Pietro. Hast du denn ganz vergessen, mein teurer Alexandrion, daß König Nicolo tot ist?!
Der König. Tot? – Wie gütig du redest, weil du mich für wahnsinnig hältst! – Tot? – Wo liegt er begraben?! Ich kämpfte mit den empörten Fluten und rettete mich vor der Stadtmauer ans Land. Aber wer glaubt mir das! Ruft mein Kind her! Es wird mir Rat erteilen, wie es mir hundert und tausend Mal durch seine Klugheit geholfen hat!
Filipo. Ich eile, Euren Leibarzt zu holen, mein gnädiger Vater!
Der König. Mein Kind ruft her! Mein Kind!
Prinzessin Alma (hereinstürzend). Mein Vater! Allmächtiger Gott, ich höre Eure jammervolle Stimme das Haus erfüllen!
Der König. Bin ich König Nicolo oder nicht?!
Alma. Ihr seid König Nicolo, mein Vater! Ängstigt Euch nicht! Was kann man uns heute noch anthun!
Der König. So bist auch du vom Wahnsinn befallen oder eine elende Betrügerin! Sie glauben uns nicht! Womit können wir es ihnen beweisen, damit ich mein Haupt auf den Block legen darf und dir damit ein Zeugnis deiner Geburt hinterlassen?! Schickt ins Gefängnis! Dort hat man die Narben an meinem Körper zu Protokoll genommen. Ich hatte des Königs Namen entweiht. Fluch dem König! hatte ich gerufen. Dieser König war ich! – Aber wo lebt ein Mensch von gesunder Vernunft, der an solche Schicksale glaubt! Daß ich das während all der Jahre nicht bedachte! Wer führt denn Dokumente darüber mit sich, daß sein Haupt zweimal dem Henker verfallen ist! Und nun soll ich der Allmacht Spuren tiefer ergründet haben als je ein Mensch, um schließlich als wahnwitzig zu gelten? – Aber so ist das Leben! So ist das Leben!
König Pietro. Der Anblick deines Schmerzes ist herzerschütternd, Alexandrion! Aber deine Behauptung ist lächerlich!
Alma. Er ist König Nicolo!!
Filipo. Bedenkt Eure Reden, Donna Alma!
Alma. Er ist König Nicolo!!
Der König. Forsche in deinem Hirn, mein kluges teures Kind, ob du nicht irgend ein Mittel weißt, das ihnen die Wahrheit leuchtend wie Sonnenlicht vor Augen bringt!
Alma. Ich schaffe Euch Beweise die Menge, mein Vater, sobald das Urteil von Eurem Haupt genommen ist.
Filipo. War der Name von König Nicolos Tochter nicht Alma?
König Pietro. Tausend Kinder werden auf fürstliche Namen getauft!
Der König. Hörst du's, mein Kind? Einen untrüglichen Beweis! Sonst beschließe ich meinen unseligen Kampf mit der Welt noch im Narrenturm und belade dich auf Lebenszeit mit dem gräßlichsten aller Flüche, mit dem Fluche der Lächerlichkeit!
Alma. Man führe uns zu den Ursulinerinnen!
Filipo. Wäre es möglich! Der König in seines Überwinders Diensten! – Redet, mein Vater! Sprecht ihn frei!
König Pietro. Wer Ihr auch sein mögt, ich enthebe Euch jeder Strafe, die Euch bedroht.
Der König. Und nun die Beweise, mein Kind! Rasch die Beweise! Denn seien sie auch klar wie der Tag, wenn ich tot bin, helfen sie deiner Abkunft so wenig zur Anerkennung, wie es jetzt meine leeren Worte können!
Alma. Die Frau Oberin bei den Ursulinerinnen wird Zeugnis ablegen . . . (Entsetzt) Mein Vater! Jesus Maria, Eure Blicke! Wen sucht Ihr so hilflos! Um Gottes Barmherzigkeit, redet!
Filipo (ist dem König zu Hilfe geeilt). Geht, Donna Alma! Die Kraft droht seine Glieder zu verlassen.
Der König (mit dem Tode ringend, während er von Alma und Filipo auf den Stufen des Thrones gebettet wird). Beweise such' ich! – Beweise! – Wer kann durch seinen Leichnam beweisen, daß er König war! – Es ist die letzte Frist! – Ich bin nicht wahnsinnig! – Eile dich, mein Kind! – Beweise! – – Zu spät! Zu spät! – – So ist das Leben!
Alma (jammernd über ihn gebeugt). Vater! Mein Vater! Hört Ihr mich nicht? Seht mir ins Auge, mein Vater! Wonach langt Eure Hand? Hier kniet Euer Kind neben Euch!
Der König. – Ich danke ab – aber nicht als König – sondern nur – als Mensch . . . (Er stirbt)
Alma. O weh, o weh, seine Augen! – Vater! Bewegt Eure Hand! O weh mir, giebt es keine Hilfe? O Jammer über mich, er hört meine Stimme nicht mehr! Seine Wangen fühllos! Wie erwärme ich sein Herz? Eure gewaltige Seele, mein Vater, wo ist sie, daß sie Euch rette! Laßt mich nicht allein, mein Vater! Laßt mich nicht allein! – O weh mir, weh mir, er hat mich verlassen!
König Pietro (für sich). Ich stehe wie ein Geächteter hier!
Filipo. Bezähmt Euren Schmerz, Donna Alma!
König Pietro. Ich will ihr nach meinen besten Kräften den Verlust zu ersetzen suchen, wenn sie gewillt ist, durch dich mein Kind zu werden.
Filipo. Das danke Euch Gott, mein Vater!
König Pietro. Wir bestatten ihn, sei er wer er sei, in der Fürstengruft. Aber kein Mensch erfahre ein Wort von dem, was sich in dieser Stunde hier zwischen uns zugetragen hat. Die Geschichte soll von mir nicht melden, daß ich einen König zu meinem Hofnarren gemacht habe!
Ende