Gustav Weil
Tausend und eine Nacht, Vierter Band
Gustav Weil

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Der Todesengel vor zwei Königen und einem Frommen.

Man erzählt ferner: Einer der älteren Könige wollte sich einst im höchsten Glanz, von allen Großen des Reiches umgeben, seinem Volke zeigen. Er befahl allen seinen Freunden und Emiren, sich zu einer Musterung vorzubereiten, ließ sich von seinem Kammerdiener die kostbarsten Kleider bringen und von seinem Stallmeister die schönsten Pferde vorführen, und nachdem er das schönste gewählt hatte, ritt er, ganz in Gold und Perlen und allerlei Edelsteine gehüllt, mit glänzendem Gefolge von seinem Schloß weg und begab sich mitten unter seine Truppen. Hier ließ er seinen Renner stolz umhertummeln, Satan blies Eitelkeit und Hochmut in seine Nase, so daß er voll Selbstgefallen zu sich selbst sagte: Wer in der Welt kann sich mit mir vergleichen?

Während der König so stolz umhersprengte und vor Hochmut niemanden ansah, kam auf einmal ein Mann in zerrissenen Kleidern auf ihn zu und grüßte ihn. Der König erwiderte seinen Gruß nicht. Da ergriff der Mann die Zügel seines Pferds. Als der König dies sah, sagte er ihm; »Ziehe deine Hand zurück, du weißt nicht, wessen Zügel du ergriffen.« – »Ich habe ein Anliegen.« – »Warte, bis ich absteige, dann magst du mir dein Anliegen vortragen.« – »Ich kann nicht warten, bis du absteigst, mein Geschäft leidet keinen Aufschub.« – »So sprich denn!« – »Ich muß es dir geheim sagen.« Da neigte der König sein Ohr zu ihm hin und der Mann sagte ihm ins Ohr: »Ich bin der Todesengel und komme, um deine Seele zu holen.« – »Warte doch, bis ich nach Hause gehe, und meiner Frau und meinen Kindern und meinen Nachbarn Lebewohl sage.« – »Das kann nicht sein, die siehst du nie mehr wieder; deine Lebenszeit ist vorbei, ich muß sogleich deine Seele haben.« Sobald der Todesengel dies gesagt hatte, fiel der König von seinem Pferd tot zur Erde. Der Todesengel begab sich hierauf zu einem frommen, gottgefälligen Mann, grüßte ihn und sagte ihm: »Ich habe dir, o frommer Mann, ein Geheimnis anzuvertrauen.« – »Sage mir es ins Ohr.« – »Ich bin der Todesengel.« – »Sei mir willkommen! Gelobt sei Gott, der dich zu mir gesandt; ich erwarte deine Ankunft schon seit langer Zeit mit vieler Sehnsucht.« – »Wenn du vorher irgend ein Geschäft zu verrichten hast, so tue es.« – »Ich kenne kein wichtigeres Geschäft, als meinem Herrn zu begegnen.« – »Wie soll ich deine Seele holen? Denn Gott hat mir befohlen, ich möchte dir die Wahl lassen.« – »So warte, bis ich mich wasche und bete, dann töte mich beim Niederfallen.« Der Mann wusch sich nun und betete, und als er betend niederfiel, nahm der Engel seine Seele und brachte sie an den Ort des Erbarmens, der Verzeihung und der Seligkeit.

Ebenso wird erzählt: Ein gewisser König sammelte einst unzählbare Schätze und schaffte sich alles in der Welt an, was zu seinem Vergnügen und zu seiner Bequemlichkeit dienen konnte; er ließ sich ein großes, hohes Schloß bauen, wie es die mächtigsten Sultane nur hatten, mit zwei festen Toren, die von vielen Dienern und Soldaten und Pförtnern bewacht wurden. Eines Tages befahl er seinem Koch, eine Mahlzeit von den ausgesuchtesten Speisen zuzubereiten, und lud alle seine Freunde, seine ganze Familie und viele seiner Beamten dazu ein. Als er bei der Mahlzeit auf seinem königlichen Sofa an ein Kissen gelehnt ganz stolz da saß, sagte er zu sich selbst: Du hast dir alle Annehmlichkeiten der Welt verschafft, jetzt genieße sie auch und freue dich des Lebens und des Glücks, um das du dich solange bemüht. Kaum hatte er dieses Selbstgespräch geendet, als ein Mann in zerrissenen Kleidern, mit einem Bettelsack am Hals hängend, so stark an die Tür des Schlosses klopfte, daß das ganze Schloß zitterte und der Thron des Königs wankte. Die Diener liefen erschrocken zur Tür und riefen dem Klopfenden zu: »Wehe dir! Was ist das für eine Ungezogenheit und Frechheit? Warte, bis der König gespeist hat, dann wird man dir etwas geben von dem, was übrig bleibt.« Der Fremde sagte zu den Dienern: »Saget eurem Herrn, er soll zu mir herauskommen, ich habe ihm etwas sehr Wichtiges mitzuteilen.« Die Diener versetzten: »Wer bist du, Elender, daß du den König zu dir herausbitten läßt?« Er erwiderte: »Sagt ihm nur, was ich euch aufgetragen.« Sie gingen nun zu ihrem Herrn und meldeten es ihm. Da sagte der König: »Habt ihr ihn nicht angeschrieen und fortgejagt?« Während aber der König dies sagte, klopfte es noch einmal an die Tür, heftiger als zum ersten Male. Die Diener sprangen auf die Türen zu mit Stöcken und Waffen, um den Klopfenden zu schlagen. Aber er schrie sie an: »Bleibt an eurer Stelle! Ich bin der Todesengel.« Da zitterte ihr Herz, ihr Verstand und ihr Mut verließ sie, und sie konnten vor Angst kein Glied mehr bewegen. Der König rief ihm zu: »Töte jetzt einen anderen statt meiner!« Aber der Todesengel erwiderte: »Ich bin nur deinetwillen gekommen und werde keines anderen Leben nehmen. Ich will dich von allen Schätzen, die du aufgehäuft, und von allen Annehmlichkeiten, die du dir verschafft, trennen.« Als der König dies hörte, seufzte und weinte er und schrie: »Gott verdamme das Geld, das mich verblendet und abgehalten hat, meinem Herrn, gepriesen sei sein Name, zu dienen. Ich glaubte, es würde mir nützen, aber es war zu meinem Verderben, denn nun soll ich mit leeren Händen abziehen und es meinen Feinden überlassen.«

Da verlieh aber der erhabene Gott dem Geld eine Sprache und es rief aus: »Warum fluchst du mir? Fluche dir lieber selbst! Denn Gott hat uns beide, dich und mich, aus Staub geschaffen; mich hat er aber in deine Hand gegeben, damit du dir durch mich Vorrat für jene Welt verschaffest, damit du den Armen und Schwachen Almosen gebest, und Moscheen und Brücken und andere Gebäude zum allgemeinen Wohl errichten lassest; statt dessen hast du mich aber eingespeichert und nur zu deinem Vergnügen verwendet; du hast meinen Wert nicht anerkannt, darum mußt du mich jetzt deinen Feinden überlassen, und dir bleibt nur Verderben und Reue; aber was kann ich dafür, daß du mich anklagest?« Sobald das Geld so gesprochen hatte, nahm der Todesengel des Königs Seele, während er noch auf seinem Thron saß. So spricht Gott der Erhabene im Koran: »Während sie sich freuen mit dem, was ihnen gegeben worden, nehmen wir sie plötzlich weg und geben sie der Verzweiflung preis.«


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