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Ich kann mir nicht denken, wie ich die Villa Jasmin je aufgeben, den stillen Frieden dieses Raumes gestört sehen soll. Ich will versuchen, dieses kleine Haus zu kaufen oder wenigstens einen Pachtvertrag abzuschließen, der es uns auf Lebzeiten sichert. Wir wollen hierher immer wieder zurückkehren. Aber fortan wird das Haus nicht mehr das sein, was es mir bisher war. Eine Zeit lang war es mir notwendig, allein zu sein, und ich war hier morgens und abends und nachts allein. Ich war imstande, meine Ideen zu sammeln und meine Welt ungestört zu überschauen. Der Umriß und das Wesentliche meines Buches bestehen; das Ende ist unvollkommen und das fünfte Buch liest sich immer noch wie ein Prospekt; aber in der Hauptsache hat das Werk Gestalt gewonnen. Dies mag für lange Zeit der letzte Abend sein, den ich in Einsamkeit an diesem Tisch verbringe.
Ich habe nie die Gewohnheit gehabt, über meinen Tod nachzudenken. Aber in letzter Zeit ist es mir doch zuweilen eingefallen, daß dem Rechte, sich so zu verhalten, als wäre man unsterblich, gewisse Grenzen gesetzt sind. Wir sollten, indem das Ende sich nähert und wahrscheinlicher wird, an die Bande des Gefühls und der Abhängigkeit zu denken beginnen, die andere an uns ketten. Wir haben nicht gut gelebt, wenn unser Tod eine zu schmerzliche, zu tiefe Lücke hinterläßt. Die reife Frucht sollte abfallen, ohne daß an ihr gezerrt werden muß. Die Nachfolger sollten bereit sein, der Feldzugsplan klar vor ihnen liegen, und niemand sollte so völlig an uns gefesselt sein, wie wir vielleicht in der Jugend jene, die wir lieben, an uns fesseln dürfen.
Seit zwei Jahrhunderten versuchen fortschrittliche Menschen verfrüht, unbedingte Freiheit in der Beziehung der Geschlechter zu erkämpfen, ohne dabei die besondere Lage der Frauen richtig in Betracht zu ziehen. Shelley ist ein typisches Beispiel dafür, daß diese theoretisch durchaus gerechtfertigte Freiheit in der Praxis zu unüberlegter Trennung, zu Grausamkeit und bitterem Unrecht führen kann. Alles, was Shelley den Frauen tat, tat er, davon bin ich überzeugt, in gutem Glauben. Viele aber, die sich Shelley zum Vorbilde nehmen, handeln nicht in gutem Glauben. Wir wollen nach außen hin die Frauen unbedingt als gleichberechtigt behandeln, nicht aber in unseren geheimen Gedanken. Ihnen fehlt das Gewicht unseres Egoismus, fehlt unsere rücksichtslose Zielsetzung. Gewöhnlich sind sie ja jünger als wir. Der Mann muß die Verantwortung für die Frau auf sich nehmen, zu der er in Beziehung steht. Das Zubehör der Freiheit, das ihr an letzter Stelle zuteil werden sollte, Verantwortlichkeit, wird ihr als erstes aufgezwungen. Mögen Frauen eine Frau für alles, was sie tut, zur Verantwortung ziehen: das ist ihre Sache, nicht unsere. Wir haben nicht das Recht dazu.
Was immer für Fortschritte die Welt in Bezug auf Freiheit und Gleichstellung der Frauen gemacht haben mag, Clementina und ich sind als Paar jedenfalls weit zurück. Sie nimmt die untergeordnete Rolle an, nimmt sie gerne an, pflegt sie. Sie gibt sich vorbehaltslos in meine Hände, sie hätte sich allezeit vorbehaltslos in irgend jemandes Hände gegeben. Ich muß sie beschützen und für sie in die Zukunft sehen. Ich muß ihr Leben behüten.
Deswegen werde ich darauf bestehen, daß sie mich heirate. Wenn ich die Geschichte der Menschheit richtig verstehe, war die Ehefrau immer weniger als die freie Fürstin, eine Art Privatbesitz. Ich will den Leser nicht mit archäologischer Weisheit behelligen, will die Frage nicht durch Beispiele von den Spartanern bis zu den Zulus und durch Zitate aus Atkinson und Weismann beleuchten. Ich werde Clementina heiraten, um sie zu leiten und für sie zu sorgen, weil ich älter, stärker und besser gestellt bin. Sie soll nicht länger meine Mätresse bleiben. Ich habe im Laufe meines Lebens die Frauen, die ich liebte, so gut ich es vermochte, als freie und mir gleichgestellte Menschen behandelt. Aber eine Frau in Clementinas Lage muß beschützt, ihr Leben muß gesichert werden.
Das ist die Logik unserer Lage. Die lebendige Wirklichkeit ist, daß ich von Zärtlichkeit und Sorge um Clementina erfüllt bin, daß ich für sie tun möchte, was ich nur kann; wenn mich auch die Logik in die entgegengesetzte Richtung führte, so würde mich das nicht im geringsten von meinem Entschluß abbringen.
Ich weiß nicht, wohin wir uns von hier aus begeben, noch wie wir uns das Leben einrichten werden. Ich werde sie bald heiraten. Die Einzelheiten werden ihr überlassen bleiben. Was sie wünscht, soll sie haben. Wir können unsere Flitterwochen damit verbringen, daß wir in unserem Auto westwärts fahren und uns im Herzen Frankreichs auf die Suche nach einem Hause begeben. Meine Arbeit soll ihr nicht mehr Rivalin und Gefahr bedeuten; ich weiß, daß sie alles tun wird, was in ihrer Macht steht, um diese Arbeit in unserem neu aufgebauten Leben zu fördern.
An diesem lieben Orte im Sonnenschein habe ich mein Gemüt in Ordnung gebracht und bin mir weit klarer als je zuvor über die Frage geworden, was ich mit meiner Welt anfangen möchte. Nachsinnen ist etwas Gutes, da es schließlich zu einem Umsetzen der Ideen in Taten führt. Lange Monate hindurch, während des größten Teiles zweier Jahre, habe ich mich dem Nachdenken hingegeben, habe meine Welt betrachtet und geprüft, bis schließlich die große Revolution klar und bestimmend vor mir stand, als die unvermeidliche Form und das Ziel alles dessen, was ich von nun an tun will. Es war im großen und ganzen nicht viel anders als wissenschaftliche Forschung, die schließlich zu einer Reorganisation der Methoden führt. Ich muß nun an die praktische Anwendung dessen gehen, was diese Prüfung meines Wollens und meiner Erfahrung mich gelehrt hat. Ich muß meine Ideen einer Anzahl von Leuten vortragen und Gleichgesinnte betreffs der Ausführbarkeit meiner Pläne zu Rate ziehen.
Ich erwäge einen konkreten Plan zur sofortigen Neuregelung der Weltregierung. Ich möchte meine Idee einer Weltrepublik als etwas nunmehr Reifes und nach Verwirklichung Strebendes auf die Probe stellen, indem ich sie mit verschiedenen Menschen bespreche. Wenn sie Zustimmung findet oder nur teilweiser Verbesserungen bedarf, dann will ich den Rest meines Lebens dem Streben nach ihrer Verwirklichung widmen. Die aufkeimende Weltrepublik bedarf einer Literatur; sie muß in der Presse zum Ausdruck kommen; sie muß eine Propaganda für die Jungen und die jugendlich Denkenden schaffen; sie muß ihre Anhänger entdecken, erziehen und organisieren, muß alles Mögliche zu ihrer Verbreitung versuchen. Viele untergeordnete Pläne müssen ausgearbeitet werden. Es muß klargelegt werden, welche Unternehmungen, Organisationen und Einrichtungen sich mit dieser oder jener Abänderung in den umfassenden Weltplan einfügen lassen und welche nutzlos, hinderlich oder gar schädlich sind. Die Idee der Weltrepublik muß Publizisten und führende Männer erkennen lehren, daß sie einem schöpferischen Vorgang eingereiht sind, daß ihre Tätigkeit der Entwicklung des Menschheitsdramas zu dienen hat. Wenn sie die Idee erfassen und fördern, dann sind sie von Bedeutung und reif für die Geschichte; wenn sie sie verkennen und mißachten, sind sie unbedeutend, nichts als Schädlinge und Hindernisse, gehören zu den Überzähligen, den Vielzuvielen.
Meine Auffassung einer Weltrepublik als möglicher Lebensform wird sich, wenn ich sie klugen und tätig im Leben stehenden Menschen vortrage, entweder als falsch erweisen oder ich werde finden, daß sie latent, in ähnlicher Form oder etwas anders geartet oder vielleicht noch nicht ganz voll entwickelt, auch in anderen Köpfen bereits besteht. Es gibt ohne Zweifel ungezählte Männer, die ebenso fähig und intelligent sind wie ich selbst, und viele sind weit fähiger und intelligenter als ich; ihr Gehirn muß dem meinen sehr ähnlich sein, sie müssen Tatsächliches, wenn auch von einem etwas anderen Standpunkte aus, ebensogut erkennen wie ich. Wahrscheinlich haben viele unter ihnen niemals Zeit zu umfassender Betrachtung gefunden. Sie sind getrieben und mitgerissen worden und zählen fünfzig oder sechzig Jahre und mehr, ohne daß sie jemals Muße zu einem Überblick über das Leben ringsum fanden. Nun aber, nun, nach dem Krieg, inmitten lehrreicher Störungen und Verwirrungen, nun, da die Nöte der Welt deutlich geworden sind? Nun müssen sie erwachen, so wie ich aufgewacht bin, und Möglichkeiten erkennen, die über Nation, Kaste, Partei, Beruf oder Firma hinausführen.
Zuweilen scheint es mir, daß Männer, die heute auf verschiedenen Gebieten führend sind, unbedingt gescheiter und weitaus scharfsinniger sein müssen als ich, daß sie alles sehen, was ich sehe, und noch weit mehr, daß sie aber infolge besonderer Feinheiten des Denkens nicht zu einer Verständigung untereinander gelangen können. Auf jeden Fall muß ich nun aus der Zurückgezogenheit heraustreten, die mich befähigt hat, das Netz meines Weltstaates zu spinnen, und muß ausfindig machen, welcher Mangel meinem Plane oder dem meiner Genossen anhaftet und seine bewußte Anwendung zur Umgestaltung des öffentlichen Lebens verhindert. Wenn dann etwa nötige Verbesserungen vorgenommen sein werden, muß ich daran gehen, die in Betracht kommenden Leute zu sammeln, erst im kleinen durch persönlichen Kontakt, dann durch literarische und journalistische Betätigung und schließlich durch eine bewußte schöpferische Beeinflussung des Geldwesens und der Industrie.
Ich werde diese Aufgabe nicht gut leisten können, ich weiß das ganz genau. Ich habe weder die Überzeugungskraft noch die Anpassungsfähigkeit des alten Roderick. Ich bin ein geselliger Mensch, aber nicht anpassungsfähig. Ich bin von Natur aus ein einsamer Arbeiter und meine besten Erfolge habe ich an unbeseeltem Material erzielt, am Material, das nicht boshaft sein noch erstaunliche Gefühle bezeugen kann. Im Laboratorium arbeite ich am besten, auch im Freien oder eingefügt in den Apparat einer Fabrik. Mein Glaube befiehlt mir jedoch, mich an jene Arbeit zu machen, bis schließlich ein fähigerer Mensch sie mir aus den Händen nimmt und sie besser macht. Der alte Lubin hätte wohl gesagt: ›Das Wort des Herrn ist zu mir gekommen, die schöne Wildnis zu verlassen und nach London, dem mächtigen Babylon, hinunterzusteigen und zu prophezeien.‹ Das Unangenehme an der Sache ist nur, daß Prophezeien heutzutage gelernt sein will. Die glücklichen Tage sind vorüber, da ein Prophet nicht viel mehr brauchte als einen hohen Stab, eine einfache Prophetenformel und ein Ziegenfell über den Schultern und weiter nichts zu tun hatte, als zum König zu gehen und sich bei ihm dadurch unbeliebt zu machen, daß er seine einfache Formel rauh und unermüdlich wiederholte. Ich bin mir voll bewußt, daß ich die Anfänge einer verwickelten, schwierigen und riesenhaften schöpferischen Propaganda schaffen muß, die schließlich mit dem Weltstaat enden wird, und ich bin mir ebenso bewußt, daß ich durch dieses Beginnen vielleicht auch mehr Schaden anrichten kann als Gutes tun.
Ich werde mit der Welt der Engländer beginnen, weil ich mich da am besten verständlich mache. Hier auf dem Kontinent kann ich nur mit Menschen reden, die gut Englisch verstehen. Ich spreche zwar Französisch, Deutsch, Italienisch und Spanisch ganz leidlich, was aber nicht heißen will, daß meine Kenntnisse zu einem tiefer gehenden Gespräch ausreichen. Ich kann hier in Frankreich mit Männern wie Caillaux und Citroën eine Unterhaltung führen, die mir zeigt, daß sie derselben Geistesrichtung angehören wie ich, spreche aber lange nicht gut genug, um einen wirklichen Gedankenaustausch mit ihnen zu pflegen. In Deutschland bestehen für mich dieselben Schwierigkeiten. Das nächste Feld der Tätigkeit nach dem Englischen ist daher für mich das Amerikanische. Dorthin muß ich meine Forschungen und meine Versuche ausbreiten, sobald ich in England etwas ins Rollen gebracht habe. Das intellektuelle Leben der Amerikaner ist mir immer ein Rätsel gewesen. Es ist nicht leicht, ihm nachzuspüren, denn es hat kein Zentrum und hat noch keine periodische Literatur, keine Methoden des Gedankenaustausches entwickelt, wie sie für geistige Zusammenarbeit bei räumlicher Entfernung notwendig sind. Grundlegende Ideen verbreiten sich in Amerika wie ein Trompetenstoß durch eine Menge, aber man kann nicht herausfinden, was die besonderen, was die einflußreichen Männer denken. Sie sprechen sich nicht miteinander aus. Diese Gewohnheit haben sie nicht. Manche reden zwar, aber sie diskutieren nicht mit anderen.
Ich bin jedoch von der Überzeugung erfüllt, daß die Idee einer wirtschaftlichen Weltrepublik und einer einzigen Weltzivilisation drüben in Amerika bereits mehr Menschen als hier vorschwebt und sich weiter entwickelt haben muß als hier bei uns. Die sentenziöse Leerheit, die tönende Hohlheit, die so viele amerikanische Geschäftsleute im Gespräch und in Reden an den Tag legen, kann unmöglich etwas anderes sein als Maske oder Schüchternheit. Ich kann mir ebensowenig vorstellen, daß sie ihre gesegnete Konstitution, den prahlerischen Nationalismus, den man in ihren Volksschulen lehrt, den kaltblütigen, eifersüchtigen und eigensüchtigen Patriotismus ihrer Presse als etwas anderes denn einen Übergang zu einer größeren Bestimmung auffassen, wie ich zu glauben vermag, daß die Lords Birkenhead, Buckmaster und Beaverbrook in romantischer Begeisterung auf dem Schlachtfeld für ihren rechtmäßigen König sterben würden. Sie wissen vielleicht noch besser als wir, daß diese Dinge provisorisch sind. Was aber jetzt notwendig ist, das ist mehr als Wissen und stillschweigende Erkenntnis; offene Anerkennung ist notwendig, laute Zustimmung. Die Propaganda, der ich mich nun hingeben muß, gilt nicht nur dem Begreifen der Ziele, sondern der öffentlichen Anerkennung.
So ist die Arbeit beschaffen, der ich nun meine Kräfte werde zuwenden müssen. Ich habe mich eben mit einem Propheten verglichen, aber das ist doch nicht das, was ich sein muß, das wäre eine zu grandiose Rolle für mich. Ich kann weder ein Prophet noch ein Führer noch ein Organisator der Weltrevolution sein. Ich beobachte, wie sie fortschreitet, und versuche auf sie hinzuweisen. Es ist auch nicht jene Art Revolution, die Führer und Organisatoren braucht. Mein Werk soll ein Ferment sein, ein aufpulverndes Mittel, eine Herausforderung. Es ist eine schwierige und heikle Aufgabe, unbestimmt und unberechenbar in ihren Wirkungen. Niemals werde ich wissen, was ich vollbracht habe, niemals, was mir mißlungen ist. Es ist eine Arbeit, an die ich nicht gewöhnt bin und für die ich meiner Wesensart nach nicht geeignet bin. Sie liegt aber klar vor mir. Ich habe sie mir sozusagen selbst aufgedrängt und muß sie tun. Ich muß herausfinden, wie sie zu tun ist, und mich schulen, wenn die Schulung notwendig sein sollte.
Ich wünschte, ich wäre nicht sechzig; ich wünschte, ich hätte mehr von Dickons Gemütlichkeit; ich wünschte, ich hätte einen unerschöpflichen Vorrat an Nervenkraft, um Phasen der Gereiztheit besser zu überwinden. Sechzig. Vielleicht bleiben mir noch fünfzehn Jahre, vielleicht gar zwanzig. In einer solchen Zeitspanne kann viel getan werden, bei freier Bahn und gutem Glück.
Aber wenig Zeit bleibt für Aufschübe und Rückschläge. Als ich dieses Buch vor anderthalb Jahren begann, sagte ich, daß das Leben zu kurz sei. Immer mehr werde ich mir dessen bewußt. Es ist zu kurz, viel zu kurz am Maßstab moderner Dinge gemessen. Heute abend fühle ich, daß meine ganzen sechzig Jahre nur eine Einleitung waren und mein eigentliches Leben und mein Werk erst jetzt beginnen.
Ich muß mit dem, was ich zu tun habe, vorsichtig, bedächtig, sorgfältig vorgehen. Es ist möglich, daß sich bald Dutzende von Männern finden werden, die dasselbe oder Ähnliches wie ich versuchen. Ich muß an meinem Glauben festhalten und mich doch immer erinnern, daß der Plan, den ich zur Ausführung bringen will, in seinem Umriß, in den Einzelheiten provisorisch und experimentell ist. Ich muß geduldig sein, wenn ich sehe, daß Männer an Plänen arbeiten, die dem meinen verwandt sind, jedoch in mancher Hinsicht ärgerlich von ihm abweichen. Ich bin in solchen Fällen bis jetzt nicht geduldig gewesen. Es ist schwer, in strittigen Punkten sein Äußerstes zu tun und doch auf seinem Standpunkt zu beharren; zu wissen, daß alles aus einem herausgeholt werden soll und man eigentlich doch nichts ist, daß keine Sache groß oder der Hingabe an sie würdig ist, wenn sie nicht auch auf viele andere ebenso wirkt, anstatt von einem einzelnen Menschen abzuhängen.
Ich habe mich sehr verändert, seitdem ich zum ersten Mal hierher kam. Damals war mein Wille erschöpft, jetzt ist er erneut. Ich habe mich ausgeruht und mich gesammelt und sehe nun Jahre der Arbeit und ein Heim vor mir. Ein recht heimatloses Geschöpf war ich, fern nahezu allem, was es im Leben gibt, damals in Paris vor anderthalb Jahren. Ohne Clementina stünde ich nicht, wo ich heute stehe. Wieviel verdanke ich doch Clementina oder den Göttern des Zufalls, die sie mir geschenkt!
Meine Gedanken kehren zu ihr zurück, zu ihr, der fast neuen Clementina, der endgültig wirklichen Clementina, die in den letzten Wochen in meinem Bewußtsein erstanden ist. Im November letzten Jahres schrieb ich den Bericht über unser erstes Zusammentreffen in Paris; es ist gut, daß ich es damals tat, denn nun wäre ich wohl nicht mehr imstande, mir die abenteuerliche Clementina wieder so strahlend vor Augen zu bringen, die unterhaltende Clementina, die ich in jenem Abschnitt geschildert habe. Auch die Clementina, die dieses Haus solange belagerte, entschwindet mir, die Clementina der Angriffe und der erstaunlichen Auftritte. Die neue Clementina ist nahe, ist wärmer und größer; sie erfüllt die Landschaft und den Himmel mehr. Immer noch ist sie die schlanke, rothaarige Frau, immer noch hat sie bernsteinfarbige Augen und jene besondere, reizende Bildung der Brauen, Lippen und Nasenflügel, die ihr etwas Koboldhaftes gibt. Ihre Stimme ist immer noch wie ein Faden hellen Silbers im Gewebe all der anderen Töne, die in der Welt erklingen. Nun aber läßt sie sich hier nieder und ergreift Besitz von der Zukunft, und meine Zukunft ist die ihre.
Die Zukunft bedeutet für sie ebenso wie für mich Arbeit, Anstrengung und wenig Muße. Sie wird viele Enttäuschungen erleben, denn sie gehört zu denen, die inbrünstig hoffen; vieles wird sie unerträglich finden, ihre Geduld wird harte Proben zu bestehen haben. Die Gründung eines Hausstandes wird ihr ungeheure Schwierigkeiten bereiten. Bis jetzt ist sie eine Nomadin gewesen, ist planlos umhergezogen. Und ich werde oft versagen. Just wenn sie einen geduldigen Tröster braucht, werde ich körperlich oder mit meinen Gedanken abwesend sein, überreizt durch die Anstrengung meiner eigenen Arbeit, traurig und völlig absorbiert von meinen Kümmernissen, nicht bereit, meine schwierige Lage dadurch leichter zu machen, daß ich darüber spreche – nicht einmal mit ihr. Es ist immer meine Gewohnheit gewesen, bis an die Grenzen meiner Fähigkeiten, bis an die Grenzen meiner guten Laune zu arbeiten. Wir kehren beide zu Tätigkeit, zu Anstrengung, zu Mühe zurück. Keiner von uns beiden ist vollkommen und unbedingt sanftmütig. Sie ist über Tränenausbrüche und Bitterkeit gewiß noch nicht völlig hinaus und auch ich werde meine Zornanfälle haben.
Doch das werden vorübergehende Störungen sein, Wind auf der Heide des Lebens. Die Liebe, die Clementina erfunden und genossen hat, die sie ausgebreitet und um uns gehüllt hat, wird alle diese Stürme überdauern. Manchmal kann sie ihre Verzweiflung mitten im Zornanfall in schöne Taten verwandeln.
Ich kehre zu dem Punkt zurück, von dem ich heute abend ausgegangen bin. Ich muß uns dieses ›Mas‹ auf irgend eine Art erhalten; wir müssen zuweilen hierher zurückkommen können, um der Erinnerungen an eine Zeit guten Einverständnisses und einfachen Lebens zu pflegen. Es muß unser Asyl bleiben, wenn wir uns aus kleinlichem Ärger und übler Laune fortretten oder den Anforderungen der Welt für eine Weile entgehen wollen.
Mein kleines graues Zimmer ist still wie der Tod, meine Papiere scheinen im Lichtkreis der Lampe eingeschlafen zu sein, und draußen ist die Nacht ganz ruhig. Es ist spät. Ich weiß nicht, wie spät, denn meine Armbanduhr ist stehen geblieben.
Das ist vielleicht die letzte von zweihundert oder mehr ruhigen Nächten, die ich vor diesem Fenster verbracht habe, um Klarheit über meine Welt zu gewinnen. Niemals ist das Bild, das sich mir bot, ganz dasselbe gewesen. Eine noch nie geschaute Lieblichkeit liegt eben nun darin. Alles ist still, nicht ein Flüstern in den Zweigen der Palme. Wenige Sterne sind am Himmel zu sehen, kleine Pünktchen in dem hohen Bogen seidenweichen Mondscheins. Der Hügel von Peyloubet scheint zu träumen: ich sehe ihn sehr sanft, aber sehr klar. Ich kann die blassen Häuschen unterscheiden, die Terrassen, die Baumgruppen. Den Mond kann ich nicht sehen, er muß eben über dem Hügel hinter dem Hause untergehen; alles, was im Vordergrund steht, ist in Schatten getaucht und tief undurchdringlich schwarz. Die Palme, die Olivenbäume, die auf meiner schwarzen Terrasse stehen, heben sich von den leuchtenden Hügelabhängen in entzückend scharfen Silhouetten ab.