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Erster Teil

Erstes Bild

Im ehemaligen Kloster zu Königsaal. Kahles Refektorium. Man sieht an den Wänden noch die hellen Flecken, die von den Ikonen und Kruzifixen herstammen, die einst, vor den großen Bilderstürmen, hier hingen. Drei nackte Tische geben dem Raum das Aussehen eines Wirtshauses. In der Mitte des Fußbodens ist eine mächtige Falltür aufgeklappt. Männer, die, wiewohl sie keine Kutten tragen, doch unverkennbar Mönche sind, bewegen sich in eilig aufgeregter Arbeit. Einer steht auf der letzten Sprosse der Leiter, die durch die Falltür abwärts führt. Er nimmt Meßgewänder, Heiligenbilder, Reliquienschreine, Folianten, schöne Kruzifixe und andre Kostbarkeiten entgegen, die er hastig hinabreicht. – Die Mönche in ihren braunen und grünen Schürzen gleichen Aufwärtern oder Hausknechten. Manche haben die Ärmel aufgekrempelt. Die meisten sind schon sehr alt. Ihr stummes, angstvolles Schleichen und Schlurfen, ihr gehetztes Hantieren spricht von jahrelang ausgestandenen Qualen und von täglicher Sorge um Leib und Leben. Sie bieten den typischen Anblick einer Kaste, die das Opfer der Revolution ist: Schweigen, Mißtrauen, hinterhältig-ängstliches Lächeln, feiges Schultereinziehen. Die Arbeit beaufsichtigt Hieronymus Hromada, ehemaliger Abt, der mit Schlüsselbund und ungeduldigem Stampfen die nervöse Musik zu dem schweigenden Treiben macht. Regenschweres Spätnachmittagslicht. Fetzen eines fernen Marschliedes. Ein schriller Pfiff ertönt.

Ein Mönch erscheint atemlos in der Tür und macht ein Zeichen.

Hromada hebt den Arm. Der Mensch auf der Leiter verschwindet. Die Falltür kracht zu. Die Mönche verziehen sich lautlos. Kardinal Julian Cesarini tritt schnell ein. Schlanker Mann von dreißig Jahren, wie ein ärmlicher Priester gekleidet. Er befreit sich von dem ganz durchnäßten Kapuzenmantel. Ein bleiches, fast fieberfröstelndes Gesicht leuchtet auf. Pax in nomine patris et filii...

Hromada unterbricht störrisch, ohne den Fremden anzusehen: Was für ein Pax? Keinen Pax gibt's hier...

Julian: So war ich im Hundewetter fehlgeritten? Zwei Stund von Beraun ostwärts: Königsaal, patres cistercienses...

Hromada: Der Herr schweige um Christi willen. Hier ist kein Kloster mehr. Und es gibt keine Zisterzienser, keine Kreuzherren, keine Minoriten. Alte Märchen in Böhmen! Wir haben das Reich Gottes hierzulande. Und im Reich Gottes werden keine Nichtstuer geduldet. Im Reich Gottes muß man sich schinden. Was dies Haus ehmals war, dafür sind andre Häuser bis in den Grund bestraft worden. Jawohl, zweihundertundfünfundvierzig Convente mit Kirchen und Büchereien... Wir leben wenigstens... Zu einem Mönch. Hynek! Häng endlich das Schild aus!

Mönch schleppt ein großes Schild mit der Aufschrift »Herberge« hinaus.

Hromada ablehnend: Ein Einkehrhaus. Kammern vermieten wir, bessere und schlechtere. Heut aber gibt's kein Loch mehr und kein Strohlager im Stall. Einquartierung...

Julian: Und dennoch werdet Ihr mir Euer bestes Zimmer einräumen, domine. Ich hab zwei Nächte nicht geschlafen.

Hromada: Das beste hat Prokop, die nächstbesten Klenau, Tschapek, Pardusch und die andern Hauptleute. Sind alle angemeldet.

Julian: Tut nichts! Ich bin gut aufgehoben bei Euch, Hieronymus Hromada.

Hromada: Habt Ihr meinen Namen auch schon herausgebracht? Nichts als Spione und Provocatores... Immer wieder streichen neugierige Mönche über die Szene. Geht in die Küche! Zdenko soll noch zwei andere Kessel mit Kuttelflecksuppe aufs Feuer stellen, damit wir nicht in Not geraten... Mönche ab.

Julian zieht ein Schriftstück heraus und gibt's Hromada: Ein Brief für Euch! Lest und seht das Siegel genau an!

Hromada erkennt Siegel und Unterschrift. Fällt auf einen Stuhl, als sei er todmüde: Sigismund... Kaiserliche Majestät...

Julian: Lies! Sigismund hat den alten Spielkameraden nicht vergessen... Hromada, Jugendfreund der königlichen Brüder: Wenzel und Sigismund...

Hromada aus leeren Augen starrend: Was war ich, und was bin ich?... Und was ist Wenzel? Er stampft. Hier unten, da, unter meinen Füßen im Keller... Des Böhmenkönigs Wenzel geheiligtes Gebein... Unbestattet wie die Knochen eines Ochsen... In einer Kiste zusammengeschüttelt, versteckt vor ärgerer Entweihung... Zwischen Fässern und Gerümpel...

Die Falltür klappt auf. Ein Mönchskopf wird sichtbar. Fort! Was gibt's hier zu horchen!? Die Falltür kracht zu, der Kopf verschwindet.

Julian: Lies! Solang es Zeit ist...

Hromada das Blatt zittert in seiner Hand. Er hält's weit vom Auge: »Und bitten wir Dich... wie alle Freunde in unserm ungetreuen Erblande Beheim... beizustehn dem Julian... Kardinallegaten Seiner Heiligkeit... auf daß er Ordnung stifte... wider hitzigen Aufruhr und höllische Ketzerei...« Er läßt das Blatt sinken. Julian Kardinal... Ihr... Euer Gnaden...

Julian: Keinen Namen!

Hromada wie ein Träumer: Ihr steht hier... Also lügen die Schauergerüchte... Nicht zerschmettert das Kreuzheer... O Gott... Er will Julian umklammern. Julian: Tretet zurück! Ich bin naß bis auf die Haut.

Hromada ganz verwirrt: Einquartierung... Prokop auf der Flucht... Kaiserliches Kreuzheer rückt gegen Prag... O Gott...

Julian seine Erschütterung zu ruhig-knappem Ausdruck niederringend: Nicht lügen die Schauergerüchte, Hromada... Zerschmettert mein Kreuzheer... Hundertundfünfzigtausend... Die hochmütigste Ritterschaft des ganzen Abendlandes... Nichts als schmutzig-tierische Horden jetzo, in den Wäldern verkrochen, westlich von Taus... mit Augen hab ich's gesehn... ich, der Werber und Führer... In den Wirbel hat's mich gerissen das Entsetzen... Was war das nur, Hromada?... Ein schreckhaft Wunder ist geschehn... Ein Gottesurteil auch an mir... Da bin ich umgekehrt...

Hromada wieder kühl: Und suchet den Tod in Böhmen jetzt... Der ist so gut wie sicher.

Julian: Ich suche... Ich will verstehn, warum Gott ihnen recht gibt.

Wiederum ertönt ein schriller Pfiff. Der Marschgesang ist ganz laut geworden. Pferdegetrappel. Zwei Mönche, die ein großes Bild tragen, stürzen herein. Das Bild wird aufgehängt. Es stellt Hus auf dem Scheiterhaufen dar. Mönche ab.

Hromada: Kommt! Ich werde Euch in einer Geheimzelle verstecken. Morgen dann...

Julian: Verstecken? Ich bin umgekehrt, damit ich seh und erkenn. Er greift sich an die Stirn. Ich? Bin ich denn ich??

Hromada: Schnell! Um Christi willen...

Julian faßt sich. In diesem Augenblick gewinnt sein Wesen überlegene Gelassenheit: Ja! Der Mantel da muß überm Feuer trocknen. Beide ab. Der Chorgesang erschallt nun im Klosterhof unten. Die Außentür wird aufgerissen. Bewaffnete poltern in den Raum. Draußen verstummt das Singen, Lachen, Schreien nicht, sondern ebbt nur manchmal ab. Die taboritischen Krieger sind einheitlich ausgerüstet. Alle tragen die flache Eisenhaube, die dem modernen Sturmhelm so ähnlich sieht. Drei Gestalten heben sich ab: Hostinsky, Stepanek, Tvaroch, alle drei Chargen, Unteroffiziere im hussitischen Heer. Die Leute setzen sich an die Tische. Einige beginnen sogleich Karten zu spielen. Hostinsky und Stepanek rücken zusammen. Tvaroch steht wütend vor ihnen.

Hostinsky ein sehr dicker Riese, Proviantmeister und Laienprediger, schon bejahrt. Seine zärtlich-klangvolle Stimme steht im Widerspruch zur kolossalen Körperlichkeit. Diese Stimme streichelt die Dinge des Lebens, insbesondre, wenn es sich ums Essen handelt: Ergib dich in Gott, Rottmeister Tvaroch, und setz dich zu uns! Der Prokop hat Königsaal zum Quartier befohlen, und Befehl ist Befehl. Hab ich nicht auch von Prag geträumt und vom Brauhaus zum Ungelt und von Schweinsbraten mit Kraut und Knödeln...

Tvaroch athletischer Mann, Ende der Dreißig. Er trägt den lang nach unten gezogenen Schnurrbart und das wetterwilde Hussitengesicht zur Schau, das in Böhmen Mode ist und in der übrigen Welt Gegenstand gruselnder Neugier. Als Held aus der ersten und ältesten Kämpfergarde ist er mit dem Verlauf der Bewegung unzufrieden: Was für »Befehl ist Befehl«? Im Feld hat Prokop zu befehlen. Dazu ist er gewählt vom Brüder-Rat. Der Brüder-Rat sind wir. Uns hat er zu fragen, ob man in Prag quartieren soll, ob nicht. Wir haben gesiegt. Er malt nur seine Faxen auf den Plan und hat nie noch ein Schwert und einen Flegel in der Hand gehalten. Früher war's anders, Burschen! Zu Žižkas goldner Zeit. Da haben wir tagsüber den Sigismund über die Grenze geprügelt und die Nacht dann durchsoffen und durchtanzt. Und Väterchen Žižka saß unter uns. Lustig war unser Gottesreich! Jetzt aber müssen wir die Engel spielen. Wir sind keine Engel, Sakra, keine Deutschen und keine Söldner, wir sind freie Feldgemeinden... Setzt sich.

Hostinsky: Damals verstand man auch noch die Zubereitung von Knödeln...

Tvaroch: Mach mich nicht toll mit deinen Knödeln, Alter...

Hostinsky: Warum lästert er die Knödel, Stepanek? Ein Rottmeister soll ein verantwortlicher Mensch sein. Wird ein verantwortlicher Mensch eine Gottesgabe lästern, die dieses Tränental erträglich macht? Schweinernes? Gut! Manchen Mann erfreut eine Gans oder ein gespickter Hase mehr. Aber Knödel? Ich selbst war doch Wirt in der Neustadt...

Stepanek kleingewachsener Pfiffikus. Man sieht ihm den ehemaligen Herrschaftsdiener an. Er trägt einen Dudelsack über der Schulter, dem er dann und wann Töne entlockt: Der Fresser denkt an Knödel. Männer aber wie wir, sag ich, Männer, vor denen die silbernen und goldenen Ritter davonlaufen seit zehn Jahren, Männer, sag ich...

Hostinsky: »Es geht eine gemeine Red', daß Unzucht unter euch sei, vor der selbst den Heiden grauset.« Paulus an die Korinther... Ich träume von gesegneter Mahlzeit. Euch aber ist Mütterchen Prag die alte Puffmutter auf der Venedigerinsel in der Moldau...

Hromada kommt mit Mönchen, die einen großen Suppenkessel hereintragen. Er beginnt die Suppe in Teller zu schöpfen, die vor die Krieger gestellt weiden.

Hostinsky schnuppernd: Kuttelflecksuppe. Mit Majoran. Es ist Krieg. Die Welt Gottes blutet. Der Mensch soll sich zufrieden geben... Er beginnt laut zu schlürfen. Auch Kuttelflecksuppe ist was Gutes, wenn man eine fröhliche Seele hat...

Tvaroch haut auf den Tisch: Bier!!

Hromada tritt heran: Quartierbefehl der Feldhauptmannschaft: Weder Bier noch Wein darf verabfolgt werden.

Tvaroch aufspringend: Was? Weißt du, wer ich bin? Ich bin der Tvaroch! Wer wagt es, dem Tvaroch sein Bier zu verbieten? Auch die andern Krieger unterbrechen die Mahlzeit und drängen näher.

Rufe: Kein Bier?!... Keinen Wein?!... Nur Wasser?... Nach solchen Tänzen!?... Zehn Schlacht- und Marschtage im Regen... Das fehlt uns noch!!

Hostinsky: Nur Ruhe!... Herbergswirt! Du warst einstmals ein Pfaff. Tut nichts! Hast du der göttlichen Wahrheit gehorcht?

Hromada: Ihr guten Brüder...

Hostinsky: Nein! Siehst du!? Und der Prokop ist nur ein Mensch. Ein großer gewaltiger Mensch, der über uns große gewaltige Menschen gesetzt ist. Ein Kopf wie Diamant. Hat aber seine Verrücktheit. Er kann keinen Toten und keinen Besoffenen sehn und trinkt lieber Milch als Wein. Sollen sich diese braven Burschen hier eine Amme nehmen deshalb? Diese braven Burschen hier haben gegen den Antichrist Julian Taten vollführt, wie sie wider Sanherib und Nebukadnezar nicht geschrieben stehn. Und diesen braven Burschen hier willst du einen Lebenstropfen, ein kleines Bierchen nicht gönnen?...

Hromada: Ich darf nicht...

Hostinsky: Du darfst nicht? Sieh dort das Bild an! Unser heiliger Märtyrer Hus. Ihr habt ihn verbrannt. Und das habt Ihr gedurft? Schluck das Wort »dürfen« hinunter... Ein Wirt soll ein besonnener Mensch sein. Er soll für seine Gäste sorgen, auf daß sie liebreich und friedlich bleiben...

Tvaroch: Daß unser Vater nicht mehr lebt, der Einäugige! In Franken säßen wir jetzt, hätten Wein auf dem Tisch und keine Kaldaunen! Er zerschmeißt einen Teller.

Hromada will sich davonmachen. Grobe Fäuste stoßen ihn zurück.

Hostinsky: Ist das Besonnenheit? Ein alter Wirt, der Onkel Hostinsky, warnt dich. Am gefährlichsten tobt der nüchterne Rausch. Ein Besoffener ist dir wie ein kleines Kind. Er brüllt und rast, aber der Kellnerjunge setzt ihn vor die Tür. Der durstige Wüterich jedoch...

Hromada: Ich kann nichts geben, ich hab nichts...

Tvaroch: Ho, das wird sich zeigen. Burschen! Wir wollen nachsehn, wo hier Bier und Wein wächst. Beginnt mit den andern Brüdern, bis auf Hostinsky, den Raum zu durchsuchen. Türen und Schränke werden geöffnet, die Wände abgeklopft. Halt! Wer da? Das klingt hohl. Er beugt sich nieder und hebt die Falltür auf.

Hostinsky: Hab ich dir nicht gesagt, ein Wirt soll besonnen sein?

Hromada: Um Gottes willen, Bruder, verhinder das...

Hostinsky: Ich bin ein Mann der Ordnung, Bruder. Aber meine Sterblichkeit hat Übergewicht. Eh ich dieses Körperchen hier erhebe, haben sie dir's Haus überm Kopf angezündet.

Tvaroch: Laternen!

Es kommen immer mehr Krieger herein, die sich um die Falltür versammeln. Laternen werden gebracht. Ein Teil der Leute folgt Tvaroch in den Keller, wo sogleich Geschiebe, Gescharre, Lachen und endlich wildes Gehämmer einsetzt.

Hromada leise, beschwörend zu Hostinsky: Duld es nicht, Bruder! Die elende Ruhestatt des armen Königs Wenzel.

Hostinsky mit tückischer Gutmütigkeit, sehr laut: Was du nicht sagst, Bruder! Der Wenzel! Ein munterer Kauz. Ich hab ihn gekannt. Den mußt du nicht bedauern. Noch im Tod schmunzelt er, wenn er sich seiner Bademägde erinnert. Die Dicken hatte er gern, wie jeder wohlwollende Mann.

Hromada: Erbarmt Euch! Habt Ihr die Leiche nicht schon einmal geschändet, in der Kirche mit Bier begossen...

Hostinsky immer lauter und behaglicher: Ich hab nichts gegen deinen Wenzel. Ein goldenes Gemüt. Wenn er zufrieden war auf seinem Thron, ließ er einen Lauten fahren und die Herren verbeugten sich dankbar. Kein Stolz in ihm. Ein Mensch unter Menschen...

Stepanek hinzutretend: Der Wenzel! Hab ihn auch gekannt. Als ich noch Diener war beim Rosenberg. Sie soffen von Mittag zu Mittag. Alle drei Stunden mußt ich ihm den Kotzkübel hinhalten... Gott beschütze Böhmens König... Er beginnt auf seinem Dudelsack greuliche Mißtöne zu blasen.

Rufe bei der Falltür, schon während des vorigen Gesprächs. Dazu Stepaneks tolles Gedudel: Da sieht man's!... Diese alten Pfaffennester!... Verräterhöhlen!... Den Kelch und Hus hängen sie aus!... Götzendienst verstecken sie... Ausräuchern!... Abtragen!

Aus der Tiefe fliegen Kirchenfahnen, Heiligenbilder, Folianten auf die Bühne.

Kardinal Julian steht plötzlich, beobachtend, da.

Hromada aufschreiend: Schändet nicht euren toten König!

Tvaroch aus dem Keller: Auf den Mist mit allen Königen! Durch die Falltür fliegt jetzt ein hermelinbesetzter Mantel empor, ein goldner Stab, purpurrote Schuhe und schließlich ein Totenschädel. Jeder Wurf von Triumphgeschrei begleitet. Jemand hat eine lange Stange gebracht. Auf die Spitze dieser Stange wird nun der Schädel gesteckt und tanzt über den Köpfen. Hromada stürzt sich auf die Leute und will ihnen den Königsschädel entreißen. Vom Keller aufwärts breitet sich Gesang aus.

Chor: Die ihr Gottes heil'ge Streiter...

Ein scharfer Ruf: Habt acht!

Prokop ist eingetreten; hinter ihm Prschibik von Klenau, Johann Tschapek und Pardusch. Alles steht militärisch angewurzelt. Der Gesang bricht ab.

Prokop im gleichen Alter wie Kardinal Julian. Er ist der einzige, der weder Helm noch Waffe trägt. Sogleich bildet sich ein leerer Raum um ihn. Er wiederholt leise: Die ihr Gottes Streiter seid... Lange Stille. Johann Tschapek! Ich schließe jetzt die Augen. Wenn ich sie wieder öffne, ist dieser ganze Spuk fort...

Tschapek macht eine Armbewegung zur Tür. In einem blitzschnellen Wirbel fegt alles bis auf die Hauptleute aus dem Refektorium. Die Mönche bergen Bilder, Fahnen, Folianten. Hromada entweicht mit dem Schädel und den Königsinsignien. Die Falltür schlägt zu. Zuletzt geht Tvaroch mit aufbegehrendem Schritt ab und Julian, der langsam in der inneren Tür verschwindet. Prokop tritt ans Fenster. Das folgende Gespräch ziemlich leise.

Klenau edelmännische Erscheinung. Gerade darum bemüht er sich in Tracht und Wesen unverfälschtes Volkstum und einwandfreien Radikalismus hervorkehren: So sind die Leute immer, wenn man sie enttäuscht...

Tschapek Klenaus Gegensatz. Aus niedrer Klasse stammend, kennt er keinen Zwiespalt. Er ist eitel und am glänzendsten ausstaffiert: Weiß Gott, mich macht's wütend... Wir hätten morgen in Nürnberg sein können...

Klenau: Gibt man siegreichen Truppen nicht das Feindesland zum Plündern frei, versuchen sie's daheim. Eine fliegende Haufnitz-Kugel zurückholen heißt das...

Tschapek: Man muß im Land Ordnung machen wenigstens. Pilsen ist zweifelhaft... Sonst geht der herrliche Tauser Tag zum Teufel...

Pardusch jugendlicher Enthusiast, Prokop bedingungslos verehrend: Ihr versteht ihn nicht... Er glaubt längst nicht mehr an Kriege und Siege...

Prokop dreht sich unvermittelt um: Wo ist der Italiener?

Pardusch: Welcher Italiener, Bruder Prokop?

Prokop: Dort... Fünf Schritt von mir...

Klenau: Fremdes Gesindel, Spione, gibt's genug in Böhmen. Unnachsichtig aufhängen soll man die Kerle oder zumindest über die Grenze schaffen...

Prokop: Den Hromada!

Pardusch öffnet die innere Tür, hinter der Hromada lauscht. Prokop zu Hromada: Wo ist der Italiener?

Hromada: Welcher Italiener, Herr Bruder?

Julian tritt, Hromada zur Seite schiebend, ein: Meint Ihr mich?

Hromada schnell ab.

Prokop setzt sich an einen Tisch: Es ist dunkel.

Pardusch läuft hinaus und kehrt mit Leuten wieder, die zwei Fackeln in die Mauerringe hängen und ein Öllicht auf den Tisch stellen.

Prokop: Wie heißt Ihr?

Julian: Nennt mich Priester Angelo!

Prokop: Römischer Priester also?

Julian: Wart Ihr's nicht auch, Herr Prokop?

Prokop: Es ist die Wahrheit. Ich und der Bruder Tschapek da sind ausgeweihte Priester... Wohin gehört Ihr?

Julian: Ich gehör zum Kardinal Julian...

Klenau: Da hängt ein Karpfen am Moldauwehr.

Prokop: Still!... Wo ist der Kardinal jetzt?

Julian: Ich weiß nicht. Mitten im fliehenden Kreuzheer ließ ich ihn zurück. Im Wald von Taus. Kein Erbarmen hatt ich mit ihm...

Prokop: Was heißt das?

Julian mit erzwungener Ruhe, fast leise: Auf dem Berg stand ich und sah die Hunderttausend in ihren blitzenden Rotten... Herzöge, Grafen, Ritter, Turnierhelden... Die gedrillten Kriegsvölker ganz Europas, gereiht und gerichtet... Da brachet ihr aus euren Wagenburgen... War's dieser Schrei, der euch vertausendfachte?... Ich verstand es nicht, ich versteh's nicht. Doch auch mich warf der hündische Schreck nieder wie die losen Haufen, mit denen ich rückwärts keuchte... Er schweigt eine Weile, um seine Erschütterung nicht zu verraten. Am nächsten Morgen wandt ich mich um und kam mühselig hierher, um Euch zu begegnen, mein Herr Prokop.

Prokop geht auf und ab: Wie blutig müht sich die Kirche Christi, damit Christus nicht wahr und wirklich werde! Schweigen. Die Proklamation, Pardusch, und das andre! Im Aufundabgehen. Ich weiß nichts von Euch, Priester Angelo. Dahingegen weiß ich einiges von Eurem Meister und Kardinal.

Pardusch kommt mit einem Mann, der einen Kleiderstock hereinbringt. An diesem Stock hängt der seidene Purpurmantel, Hut und Halskette des Kardinals. Auf der Brustseite des Mantels ist mit einer Nadel ein großes Plakat befestigt. Man kann das großgemalte Wort »Proklamation« deutlich lesen.

Prokop: Kennt Ihr das?

Julian: Ja! Mantel, Hut und Kette des Kardinals, die er von sich warf, als ihn die Angst erniedrigte.

Klenau den Stoff befühlend: Herrliche Seide! Leider ist das schöne Beutestück morgen schon verdorben, von oben bis unten vollgespuckt von den Pragern, da es an den Pranger des Altstädter Ringes gehängt wird.

Tschapek wirft die Proklamation auf den Tisch.

Prokop: Und das hier? Warum frag ich? Vielleicht habt Ihr selber den christlichen Satz ausgeheckt, Schlägt aufs Papier, »daß die böhmische Ketzerei in ihrem Blut gelöscht werden muß und daß man keine Gefangenen machen soll!«

Julian: Merkt, Herr Prokop! Der Kardinal und ich sind zweierlei... Auf den Kleiderstock weisend. Er dort... Ich hier! Ich bin nur ein ohnmächtiger Mann, der sich in Eure Hände gegeben hat...

Prokop: Wißt Ihr, ob wir Gefangene machen?

Julian: Ihr habt in Böhmen Christum gefunden, behauptet Ihr... Wenn Euer Weg wahr ist, dann...

Prokop: Dann?... Er nimmt die Öllampe und leuchtet Julian lange und aufmerksam ins Gesicht. Die beiden Antlitze, jetzt die einzigen erleuchteten Flächen des Raums, verharren in gegenseitigem Anschaun. Prokop reißt die Proklamation entzwei und wirft mit einem Stift ein paar Worte auf die Rückseite.

Klenau beim Tisch, während Prokop schreibt: Recht so! Ein paar verläßliche Reiter und über die Nordgrenze mit dem Herrn, Bruder Prokop...

Tschapek ebenso: Das ist eine anständige Lösung...

Pardusch ebenso: Gib Befehl, Bruder...

Prokop reicht Julian das Blatt: Freies Geleite und sicherer Aufenthalt für Euch, Priester Angelo, in Böhmen. Sehet und suchet! Und jetzt, gute Nacht... Halt, noch eins!... Ich möcht Euch wiedersehn.

 

Zwischenspiel auf der Straße

In der Nähe von Prokops Anwesen bei Ostrow an der Elbe. Prschibik von Klenau und Elisabeth, Prokops Frau, kehren von einem Spaziergang heim.

Klenau seine angenommene Hussitenart verwandelt sich der Frau gegenüber in wohlerzogene Anmut: Ich dank Euch, Frau Elisabeth, für die gnädige Gunst dieses Morgengangs. Der erste schöne Tag seit so vielen Regenwochen! Und das Hochwasser der Elbe dort, der reißende Strom, die überschwemmten Wiesen, ein gewaltiger Anblick... Auch dank ich Euch für Euer Vertrauen...

Elisabeth große, hellblonde Frau. Die Grundeigenschaft ihres Wesens, verletzter Stolz, kommt in der Geste zum Ausdruck, mit der sie ihren Kopf zurückwirft: Ich hab zu viel geredet. Vergeßt es, Herr von Klenau...

Klenau: Nicht ein Wort habt Ihr gesprochen, das ich nicht empfinde und versteh... Aber warum nennt Ihr mich Herr von Klenau?

Elisabeth: Wir sind allein...

Klenau stehen bleibend: Ihr irrt Euch. Ich will kein Herr sein. Ich hasse die Herren, brennender haß ich sie vielleicht als der Prokop... Aber wie treu ich auch bin... Ihr habt recht... Kindheit, Erziehung, erste Träume... Nur der Tod kann die Ritterschaft völlig aus einer Seele brennen... Man findet sich geschwisterlich unter Tausenden...

Elisabeth: Genau dasselbe ist's, warum ich aufrichtiger zu Euch war, als mir lieb ist... Ich bin in einem kölnischen Kloster erzogen...

Klenau: So sagt mir doch, zum Teufel, Elischka... Warum habt Ihr ihn geheiratet?

Elisabeth: Geheiratet? Ist die ganze Welt nicht verrückt gewesen damals? Seid Ihr nicht aus dem Gleichgewicht gekommen, Klenau? Habt doch Vermögen und Stellung geopfert!... Und ich war ein kleines Mädel in Prag... Geheiratet? Ach! Wir haben uns öffentlich vor der Gemeinde erklärt. Irgendein Taugenichts gab uns zusammen. Ein Bursche ohne Chorrock, in Hemdärmeln. Und auch ich durfte kein Brautkleid tragen, weil das römisch ist und althergebracht... Ohne Priester hab ich einen Priester geheiratet...

Klenau: Jetzt versteh ich Euch nicht, Lischka... Wär ich ein Weib, sterben tät ich für Prokop. Der größte Mann Böhmens. Kaiser und Papst fürchten ihn... Wollen wir nicht schneller gehn, damit wir daheim sind, ehe er erwacht?

Elisabeth: Kein Grund zur Eile, Klenau! Prokops Gattin? Bin ich's denn? Wann seh ich ihn? Was weiß ich von ihm? Und er von mir? Halbe Jahre ist er fort. Und wenn er da ist... Ihr seid der erste Mann, mit dem ich seit Jahren gesprochen hab. Ein Bauernhaus mein Kerker! Eine harte Alte und eine verlotterte Junge meine Wächter! Ohne Hoffnung!

Klenau: Ihr werdet sogleich über dies Bekenntnis erschrecken, Lischka. Seid ruhig! Hier ist es aufgehoben. Das Geschwisterliche zwischen uns, das Heimliche, hat's Euch entlockt. Nun wißt Ihr für allezeit, wo Euer Freund ist.

Elisabeth: Kommt endlich! Warum haltet Ihr mich auf? Möcht nicht gern gesehn werden mit Euch. Ihr habt eine sehr verschlagene Art, Frauen-Beichtiger zu sein... Sie gehen weiter.

Zweites Bild

Auf Prokops Hof bei Ostrow. Schmucklose Stube. Stiege in ein oberes Stockwerk. Im Hintergrund eine Tür, durch die man die Küche sieht. Rechts Tür auf die Straße, links Tür auf den Wirtschaftshof.

Prokops Mutter große und magere Frau, die dadurch, daß sie fast blind ist, steif wirkt: Stascha... Stascha...

Stascha, Prokops Schwester, erscheint oben auf der Stiege. Schlank, fast hager: Ja... Ja, Mutter... Schreit nicht so... Prokop schläft noch...

Mutter: Schläft noch? Die Sonne brennt... Alles verkehrt... Wo sind Boschka und Mila, die Mädeln?

Stascha kommt herunter: Fort nach Nimburg seit dem Morgengrauen. Dort ist heut eine große Versammlung aller Knechte und Mägde... Der Knecht Tomek spricht übers Bibelwort: Die Letzten werden die Ersten sein.

Mutter: Was? Heut, wo wir Waschtag haben?... Fort? Und ohne die Hausfrau um Ausgang zu bitten? Diese schmutzigen Trampeln wollen die Ersten sein? Draußen Marschgesang, Pferdegetrappel, Vorüberzug von Truppen.

Stascha zum Fenster stürzend: Feldrotten von Bunzlau... Die mit den Falkenfedern... Nach Nimburg auch... Das sind Euch Kerle... Und so geht's den ganzen Tag... Sie summt mit.

Mutter: Wo bist du? Fort vom Fenster! Immer nachwittern dem stinkichten Sündenpack.

Stascha: Sündenpack? Ihr versteht rein gar nichts mehr von unserer Welt. Und dabei seid Ihr seine Mutter!

Mutter: Ich versteh, daß alles auf mir liegt... Gib den Milcheimer her... Stell das Wasser aufs Feuer!... Ich geh in den Stall.

Stascha: Das ist mein Leben! Und ich bin schon fünfzehn alt.

Mutter: Das ist mein Leben, und ich bin schon sechzig alt... Mach mir die Tür auf! Keine drei Schritt weit seh ich mehr. Ab in den Hof.

Stascha zum Fenster: Stinkichtes Sündenpack... Den ganzen Tag...

Prokop kommt die Treppe herunter.

Stascha ihm entgegen, leidenschaftlich: Also sag mir, Bruder, kurz und klar: Was die Mutter predigt, Sünde, Fegfeuer, ewige Straf, das ist alles altes Pfaffengewäsch, was?

Prokop: Wozu fragst du mich solche Sachen, Schwesterchen?

Stascha: Ich muß es wissen...

Prokop: Das geht unsre sehr gelehrten Brüder in Prag an... Den Rokycana...

Stascha: Nicht Rokycana... Sag, was du denkst!

Prokop: Das Leben ist wichtig und nicht der Tod.

Stascha: Das Leben! Ja!...

Prokop zu Elisabeth und Klenau, die während der letzten Worte eingetreten sind: Habt ihr das gehört?... Sonderbares Mädel... Er nimmt Elisabeths Hand. Frau... wendet sich aber sogleich an Klenau. Klenau, wann kommen Pardusch und Tschapek?

Klenau: Müßten schon hier sein von Nimburg...

Prokop will Elisabeth umarmen. Sie aber biegt den Kopf zurück: Ist das mein Willkomm? Nach dreimal dreißig Tagen?

Elisabeth: Nach dreimal dreißig Tagen...

Prokop: Nachts wollt ich dich nicht mehr wecken, als wir kamen...

Elisabeth: Hab gewartet, daß du mich weckst.

Mutter kommt zurück, hört einen Augenblick der Szene zu und tastet sich dann in die Küche.

Prokop: Willst du mich strafen dafür, daß ich dir nicht mein Leben zumute?... Wie oft verwehr ich mir's selbst, dich ins Lager zu rufen... Zeig deine Augen, Lischka...

Elisabeth gepreßt ausbrechend: Wozu dies alles?

Prokop: Wie meinst du das?

Elisabeth: Wie ich's sag! Sie geht, das Weinen zurückhaltend, schnell, mit erhobenem Haupt, über die Stiege ab.

Prokop: Was hat sie? Geh zu ihr, Klenau! Du verstehst die Frauen. Ich tu immer das Falsche.

Klenau folgt Elisabeth nach.

Mutter bringt einen Becher mit Milch, den sie vor Prokop auf den Tisch stellt.

Prokop läßt sich verstört nieder: Kein Feiertag für mich...

Mutter: Läßt du der Welt ihre Feiertage, lieber Sohn?

Prokop gibt keine Antwort, trinkt.

Mutter: Warum hast du dir denn eine Feine genommen?

Prokop abweisend: Weil sie die Richtige ist.

Mutter: Die Richtige?... Jeden Morgen pflegt sie stundenlang ihre Hände... Die Richtige für Prokop... Sie sucht mit umständlichem Arbeitseifer einen großen Korb und geht durch die Hoftür ab.

Stascha die sich die ganze Zeit still abseits hielt, mit plötzlicher Wildheit: Nimm mich mit dir, Bruder, ins Heer, in die Feldgemeinden, zu den Troßweibern... Ich kann Verwundete pflegen, nähen, waschen, was du willst... Nur nicht länger hier verkommen...

Prokop auffahrend: Nie! Du bleibst!

Stascha: Ach, anders redest du in den Versammlungen, anders zu mir. Da bist du streng wie ein alter Kantor... Allen Mädeln geht's besser als mir. Alle sind freier...

Prokop: Die Mutter erblindet. Sie braucht dich.

Stascha: Soll ich wegen der Mutter um mein Leben kommen, jetzt, wo die große Freiheit erkämpft ist??

Prokop: Du dummer Fratz, komm her! Er faßt sie bei den Händen. Für die Freiheit der Schlumpen, die dreckige, sollen Hunderttausende Männer verreckt sein?! Ich hasse die Freiheit!!... Nein, Staschenka...

Stascha sich losreißend: Ich weiß es längst schon... Du predigst mit zwei Zungen... Und doch... Ich halt's hier länger nicht aus... Schluchzend über die Stiege nach oben.

Prokop auf und ab gehend: Alle... Keiner...

Tschapek und Pardusch kommen.

Prokop: Nun?

Tschapek: Abwatschen könnt ich mich selbst, Prokop, daß ich dich bei Taus nicht überzeugt hab. Wären wir nur vorgerückt, anstatt das Pulver zu begießen! Jetzt ist Pilsen abgefallen. Die Katholischen dort haben den Brüder-Rat auseinander gejagt und verweigern den Kelch...

Prokop ruhig: Und was sonst?

Pardusch: Du zweifelst doch nicht, Bruder, daß Pilsen mit starker Hand vernichtet werden muß?

Prokop: Schwächling, Pardusch! Bei dir hat stets der Letzte recht.

Tschapek: Ja, gibt's da eine Frage noch? Von Pilsen darf kein Andenken übrigbleiben. Und das ist nicht alles. Unsre Partei muß gereinigt werden. Ich verdächtige Rokycana. Ich verdächtige...

Prokop: Vielleicht verdächtigst du auch mich, Auf Klenau weisend, der herabkommt. oder den da...

Klenau: Tschapek hat recht. Ich kenne manchen, der auf beiden Beinen hinkt.

Prokop: Was für Menschen seid ihr? Kein Strahl kommt aus Euren Köpfen. Immer nur das Alte, das Schmutzig-Gewöhnliche.

Tschapek: Welcher Feldherr duldet ein Krebsgeschwür in seinem Land?

Prokop: Ausbrennen will ich's, feuriger, als du Verstand hast, zu fassen... Was ist aus dir geworden, Tschapek?

Eingegangen ist in dich die widerliche Seele der Ritter und Eisenfresser. Haben wir nicht vor der ganzen Welt bekannt, daß der Krieg böse und verwerflich ist? Daß wir nur in Notwehr die evangelische Saat schützen?

Tschapek: Ist das Schutz?... Weiß nicht, ob ich dir auf deinem neuen Weg folgen kann, Prokop...

Prokop: Schweig, Tölpel! Wer bist du? Ich sage dir, du wirst mir folgen, solang ein Atemzug in dir ist... Nach einigen Schritten. No, nimm's nicht übel, Tschapek! Wir schicken ein paar Dutzend Leute nach Pilsen, gute Redner vor allem und darunter dich. Er gibt Pardusch eine dicke Schriftenrolle. Hier der wahre Beginn! Die Verwirklichung! Wird ohne Landtag und großen Rat diktiert! Wir gehen noch heut auf die Prager Landtafel, Pardusch!

Pardusch: Der Entwurf, an dem du seit Jahren arbeitest...

Prokop: Grundenteignung und Aufteilung des böhmischen Landes, Brüder, an die Armen und Leibeignen. Bis zum Tabortag muß Vermessung und Gesetz durchgefühlt sein. Nicht der Krieg überwindet die Welt, sondern diese Erfüllung. Denn überall gibt's Leibeigne und Roboter.

Pardusch: Verzeih mir, Prokop! Keine Stunde sollte man dir fern sein...

Klenau: Enteignung? Da muß man sich des Adels sogleich versichern. Am besten verhaften! Den Rosenberg...

Prokop: Wäre unklug. Bewachen genügt. Adel und Frauen sind dein Fach, Klenau! Die Herren übernimmst du... Klopfen.

Julian tritt ein.

Prokop: Euch erwart ich schon lang, Priester Angelo! Zu den andern. Reitet voraus, Brüder! In Zelenec treffen wir uns. Pardusch, Tschapek, Klenau ab. Wahrhaftig, ich hab Euren Besuch erwartet, Angelo. Findet Ihr's nicht wundersam, daß der Mitarbeiter unseres blutigen Erzfeindes frei im Lande reisen darf?

Julian: Ich find es wundersam. Doch von Prokop überrascht mich das Wundersame nicht.

Prokop: Mir gefällt's zu glauben, daß Ihr wirklich der innigste Mitarbeiter des Kardinals seid.

Julian: Um so inniger kann ich auch beurteilen, wie falsch und töricht er an Böhmen gehandelt hat.

Prokop: Victoria! Habt Ihr gesucht und gefunden?

Julian: Gott erbarmt sich am liebsten der Leidenschaft und am unliebsten der Erstarrung...

Prokop: Und wie steht's mit der Ketzerei in Böhmen, Priester Angelo?

Julian: Ich hab so viel gesehn, was mein Herz verwirrt... Doch eines weiß ich gewiß: Zwischen Euch und dem Kardinal sind mehr Wege, als Ihr denkt...

Prokop: Meint Ihr, daß ich sie gehn will, diese Wege?

Julian: Ihr geht sie schon. Denn Euer Ziel und seins ist die Einheit!

Prokop: Einheit? Römisches Gaukelwort für katholische Kirche!

Julian: Nicht die Kirche, wie sie ist! Doch nun tritt das Konzil in Basel zusammen, sie zu erneuern! Der Kardinal...

Prokop: Ah! Denkt er etwa wieder an ein neues Kreuzheer?

Julian: Herr Prokop! Ihr habt bei Taus Julian zur Liebe bekehrt.

Prokop: Liebe? In Eurem Mund ein weihwäßriges Wort!

Julian: In Böhmen, scheint's, sind Worte mit Interdikt belegt.

Prokop: Ja, Angelo, Tod den Worten! Ihr sollt Zeuge dessen sein, daß hier in Böhmen das Wort zum Fleisch wird. Weiß nicht warum, aber gerade Eure Zeugenschaft reizt mich gewaltig. Wir reiten jetzt nach Prag. Einverstanden?

Julian: Einverstanden? Ich hab nur dankbar zu sein...

Stascha schleicht vorsichtig, ohne von den Männern bemerkt zu werden, mit einem Bündel über die Stiege hinab und verbirgt sich in der Küche.

Prokop: Ich seh Euch noch eine Frage an...

Julian: Prokop! Warum zerschneidet Ihr drei göttliche Wurzeln menschlichen Glücks?

Prokop: Drei Wurzeln...

Julian: Die Bilder... Das Gebet... Das jenseitige Leben...

Prokop sieht ihn forschend an.

Julian: Die Volkswut hat Kirchen und Klöster zerstört. Die übrigblieben, sind kahl wie elende Feuermauern... Und wär die Menschheit blind...

Prokop abschneidend: Götzendienst!

Julian: Alles, die ganze Welt, Ihr und ich, sind nur Bilder, in denen Gottes Gegenwart wirkt.

Prokop: Aus Euch spricht der Italiener.

Julian: Wer spricht aus mir, so ich ums Gebet jammre, um den Liebesgesang der todbesiegenden Seele?

Prokop: Doppelt der Römer und ein Heide dazu!

Julian: Und das jenseitige Leben, Prokop? Wenn die Ewigkeit ein großes Nichts ist, was wäre dann die Zeitlichkeit?

Prokop: Wenn wir's auch nicht vollenden, wir sterben dafür, daß diese Zeitlichkeit hier hier zur großen Ewigkeit werde!... So, nun wißt Ihr alles!... Wartet einen Augenblick! Ich nehm Abschied... Schnell über die Stiege nach oben.

Julian tritt in den Schatten der Stiege.

Stascha läuft aus der Küche, bleibt einen Atemzug lauschend stehen und stürzt dann hinaus auf die Straße.

Mutter kommt nach einer Weile. Sie stellt den Korb mit Krautköpfen hin und wittert, ob sie allein sei. Fernes Mittagsläuten. Sie bekreuzigt sich, geht zu einer Truhe und holt mit angstvoll eiliger Hand ein Madonnenbild heraus, das sie aufstellt. Inbrünstig betend kniet sie davor nieder.

Prokop erscheint oben auf der Treppe.

Mutter hört den Schritt, erschrickt, steht auf und dreht rasch das Bild um.

 

Zwischenspiel auf der Straße

Wassergasse der Neustadt Prags. Klenau kommt mit Hostinsky, Stepanek, Tvaroch und anderen hussitischen Kriegsbrüdern.

Klenau: Verstanden? Keine Gewalt! Waffen werden nicht mitgenommen. Ihr benehmt euch wie Menschen...

Hostinsky: Hört ihr's Brüder? Wie Menschen! Wie freundliche, wie geschmeidige Menschen. Onkel Hostinsky spricht zu euch, der die Welt kennt. Lasset die Latrinenworte draußen! Bruder Klenau hat euch zu einer hohen Aufgabe auserkoren, zu einer politischen Manier, die das gewisse Etwas erfordert, das zierliche...

Klenau: Noch einmal! Ihr seid arme Leute aus den Rotten der Feldgemeinden, die Prokop jetzt auflöst. Ohn Unterkunft und Nachtlager kommt ihr nach Prag. Der Brüder-Rat beschließt, euch in den Stadtpalästen des Adels unterzubringen, wo Raum im Überfluß ist. Wo denn sonst, da seit Jahrzehnten nicht gebaut wird und Wohnelend herrscht. Hast du die Liste, Tvaroch?

Tvaroch liest: Die Paläste der Herren von Rosenberg, Neuhaus, Riesenburg, Sternberg, Wartenberg, Lobkowitz, Kolowrat...

Klenau: Gut! Eure Pflicht ist es, diese Herrschaften bei Tag und Nacht zu überwachen, genaue Aufzeichnung zu führen über Besuche, Briefe, Boten, die aus- und eingehn.

Tvaroch: Unter Žižka hab ich zwanzig Kriegswagen befehligt. Unter Prokop bring ich's noch zum gräflichen Türhüter.

Hostinsky: Ja, ja! Die Zeit wird feiner von Tag zu Tag. Halte Schritt mit ihr, Tvaroch! Schau mich an! Er versucht sich in einer höfischen Verbeugung.

Tvaroch: Eine feine Zeit, weiß Gott! Sie ist nicht mehr einäugig, sondern schielt mit zwei Augen. Ich beim Rosenberg oder beim Neuhaus!? Mein silbernes Ehrenzeichen da wird anlaufen.

Stepanek: Zum Ulrich von Rosenberg? Verdammt noch einmal! Das war ja mein lieber gnädiger Herr, der mich gewatscht und karabatscht hat...

Hostinsky: Verzeih ihm christlicherweise, Stepanek! Und ihr andern auch erhebet euch zum vortrefflichen Genusse des Verzeihens. Es ist nicht wahr, daß die Rache süß schmeckt. Sie ist eine versalzene Suppe, die den durstigen Zorn nur steigert. Das himmlische Verzeihen hingegen mundet wie geschlagener Rahm mit Zimt und Zucker. Das sagt euch erstens ein alter Mann, der die Genüsse des Lebens sorgfältig unterscheidet. Und das sagt euch zweitens der berühmte Wirt vom »Wachsamen Regenbogen« in der Nekazanka, der mit allerlei Menschheit Umgang pflog und dennoch seine Würde wahrte...

Klenau in die Hand klatschend: Vorwärts, vorwärts, Brüder!

Alle ab nach verschiedenen Seiten.

Drittes Bild

Palast Ulrichs von Rosenberg auf der Prager Kleinseite. Großer Saal. Links Eingang in die Hauskapelle. Im Hintergrund geheime Tapetentür. Rechts reiches Portal, dahinter eine Freitreppe angenommen ist. Holicky von Sternberg sitzt am Tisch, einen Weinbecher vor sich, den er unablässig nachfüllt. Er ist schon in fortgeschritten angriffslustiger Stimmung. Ulrich von Rosenberg und Meinhard von Neuhaus treten aus der Kapelle, gefolgt vom Haushofmeister Spalek und einem uralten Pfarrer, der hastig seinen Chorrock ablegt.

Rosenberg stattlicher, noch junger Mann mit raschen scharfen Bewegungen, in denen Schlagkraft und Spott liegt. Seine graziöse Falschheit ist dadurch gemildert, daß er merklich mit Genuß sich ihrer bewußt ist: Wir danken Euch, Herr Pfarrer, für Euren rechtgläubigen Mut... Habt keine Angst!

Pfarrer mit tiefer Verbeugung ab.

Rosenberg zu Spalek, der dem Pfarrer folgt: Sei auf der Hut, Spalek, wenn sich was zeigt...

Sternberg mächtige Statur, violett gedunsenes Gesicht. Es scheint von Suff und Selbstbewußtsein zerplatzen zu wollen. Trompetige Stimme. Er spricht nicht, sondern schießt seine Sätze ab: Also, das find ich echt hussitisch, daß Ihr mir die heilige Mess' verwehrt.

Rosenberg: Die hört man nüchtern.

Sternberg: Ich trete vor Gott als ein Herr vor den Lehensherrn. Und was den Wein anbetrifft, sind große Herren nachsichtig... Ihr aber verzeiht nur das viehische Fressen, denn Euer Geist zeigt schon ganz das heimische Mehlspeis-Gepräge...

Rosenberg: Nimm die Reste des Deinigen zusamm'. Es geht um den Kopf jetzt. Neuhaus, du mußt fort...

Neuhaus er ist das reine Gegenteil Rosenbergs, langsam, willensschwach, geistesmüd und deshalb eine Marionette in Händen des starken Charakters: Wird's helfen?... Zudem hab ich ein greuliches Erkältungsfieber.

Rosenberg: Da unser böhmischer Adel aus Süffeln und Ornamenten besteht, wird's kaum helfen.

Neuhaus nimmt ein Blatt vom Tisch und liest: »Artikel eins: Die Erde Gottes gehört allen...« Nein, der Prokop!

Rosenberg: Sein gewaltigster Hieb, dies Blatt hier! Uns schadet's mehr als alle Tauser Niederlagen. Wenn der Bauer Land wittert, verzeiht er Prokop seine Leiden. Wir müssen emigrieren. Du, Neuhaus, kannst dann bei Bürgern im Ausland Reitlehrer werden und du, Sternberg, bestenfalls ein angejahrter Schankbursche.

Sternberg erhebt sich feierlich: Ulrich... Ich mach dich geziemend aufmerksam... dreihundertdreiundzwanzig Satisfactionen liegen hinter mir...

Rosenberg: Also Fechtlehrer meintswegen!... Herren, es ist kein Spaß. Uns bleibt nichts übrig, als der Enteignung zuvorzukommen. Wir selbst müssen unverzüglich die Robot aufheben und alle Abgaben erlassen. Dieserhalb reitest du noch heut, Neuhaus. Das Fieber mag dir den Galopp heizen. Pilsen ist unser letzter Rückhalt. Gerade im Pilsner Kreis spielst du den Hussiten. Hast in deiner Jugend ja eh an Darmschwäche der Brüderlichkeit gelitten. Setz also dein dümmstes Gesicht auf und küß die schmutzigsten Bauernschnauzen... Ich selber reit noch diese Nacht nach Frauenberg... He, Spalek! Spalek kommt.

Rosenberg: Sind die Prager Bürger Ach und Ichgereut schon hier?

Spalek: Nein, Herr Graf. Ab.

Rosenberg: Geld brauchen wir, Geld! In die Bauern setz ich noch Hoffnung. Sie sind die unbewegte Erinnerung selbst. Wenn wir die Lasten ihnen abnehmen zeitweilig, hol's der Teufel, eine königstreue Bauernwehr aufzustellen, sollte doch nicht unmöglich sein. Die Deutschen in Böhmen haben wir auf alle Fälle. Und ein paar blöde tschechische Schullehrer müssen wir auch noch auf unsere Seite bringen...

Neuhaus: Warum die?

Rosenberg: Halbwissende Hungerleider neigen immer zu aufgeregter Gesinnung. Und ohne aufgeregte Gesinnung wird nichts ausgerichtet in dieser Zeit. Die Hauptsach aber ist Geld, Geld und blitzige Schnelligkeit!

Sternberg: Hör, Ulrich! Wenn du mir die Robot, die Giebigkeiten und Zehnten entziehst, wie soll ich dann, o Freund, den Juden meine Schulden bezahlen?

Rosenberg: Mein Kummer nicht!

Sternberg: Demnach wär ich gezwungen, in gewissen Städten und Gemeinden Judenverfolgung zu veranstalten. Tät mir leid um die Juden. Sie zaubern Geld und sondern sich ab. Beides gefällt mir.

Rosenberg: Noch eine Bresche im Wall, Herren! Der Rundbrief des Kardinallegaten Julian, der da plötzlich kursiert. Nach der Kreuzzugpredigt dieser demütige Ton der Lieb und Milde! Sonderbar...

Neuhaus: Hältst du den Brief für echt? Ohne Ort und Datum?

Rosenberg: Julians Schrift und Siegel zweifellos... Wenn Prokop... Wenn sie sich umstimmen lassen, wenn sie Gehör nehmen beim Konzil... Herren, ich wag's nicht zu denken...

Neuhaus: Ach, dieses Konzil! Wozu kann's schon gut sein?

Rosenberg: Ich weiß es nicht. Die Kirche aber weiß es gewiß. Überdies hat meine Nase brenzlige Witterung. Ich bin kein Rechenmeister, sondern nur ein Jagdhund der Zusammenhänge... So, und jetzt dürft Ihr rücklings vom Stuhl fallen, Freunde! Rokycana, der große Hussitenpapst, hat sich heimlich ansagen lassen hier...

Spalek meldet: Graf und Gräfin Alesch von Riesenburg.

Rosenberg den Gästen entgegen gehend: Sehr gelegen... Welche Freude!

Alesch und Drahomira von Riesenburg treten ein. Er, todernst, hager, korrekt. Sie, noch jung, läßt mit ihrer ungeheuren Zungenfertigkeit keinen andern zu Wort kommen.

Drahomira: Wir wollten nicht verabsäumen... Nur im Vorüberflug... Ah, lieber Neuhaus, lieber Sternberg, wie geht's?... Unsre vielen Verpflichtungen... Mittags sind wir bei Wartenbergs... Zur Vesper führt der italienische Tanzmeister der Lobkowitze die neuen Kontraschritte vor... Dann noch Kolowrat, Kunstatt... Abend... Mein Gott, was ist nur abends?... Der Kopf schwirrt uns... Ihr verzeiht, Rosenberg, wenn wir nur einen Augenblick verweilen können...

Rosenberg: Darf ich mit Trunk und Imbiß aufwarten?

Drahomira: Nein, nein... Mein Gatte, der Graf, dankt... Der Leibarzt warnt vor Zwischenmahlzeiten...

Riesenburg küßt Drahomira die Hand: Mein lieber Schutzengel!... Manches ist zu besprechen, Rosenberg...

Drahomira ins Wort fallend: Zu besprechen, ja natürlich... Wissen die Herren schon von kaiserlicher Gnade... Seine Majestät haben uns, das heißt dem Grafen, meinem Gatten, den goldenen Drachenorden übersandt... Es ist die höchste Auszeichnung der Welt... Nur vierundzwanzig Ordensritter... Die allergrößten Namen... Schatz, willst du den Herren nicht die Insignia vorweisen...

Riesenburg: Laß das, meine gute Drahomira!... Ich...

Drahomira: Immer steht er sich selbst im Licht... Ihr kennt ihn, Rosenberg... Diese edle Bescheidenheit... Wirst du vielleicht auch den Herren verschweigen, daß ein Brief kaiserlicher Majestät beigelegen ist, der uns, das heißt dir, falls Ordnung wiederkehrt, die Reichsverweserschaft in Böhmen zusichert?

Sternberg: Keine Angst vor Ordnung in Böhmen, schöne Frau!

Drahomira: Seht ihn doch an! Taugt ein andrer zu solchem Amt? Auch haben wir uns ja zur Nation bekannt...

Sternberg haut auf den Tisch: Ich hoffe, kein Glied des Adels tut das! National? Das ist die Gemeinschaft der erbosten Esel, die nur eine einzige Sprache beherrschen. Das austauschbare Nichts ist national, damit es überhaupt Etwas sein darf. Ich bin kein Deutscher, kein Tscheche, ich bin ein Herr!

Riesenburg einlenkend: Ich wollt etwas anderes... Der Rundbrief des Kar...

Drahomira: Man muß doch die eigne Zeit verstehn lernen. Das große Heute...

Sternberg: Dieses große Heute, meine Dame, ist spätestens morgen schon vorgestern.

Rosenberg mit erhobener Stimme: Das Rundschreiben Julians...

Drahomira unterbrechend: Ja, das Rundschreiben... Man kann's doch nicht billigen, daß Ketzer und Empörer flehentlich gebeten werden, sich gnädigerweise durchs Konzil versöhnen zu lassen...

Rosenberg: Irrtum! Der höchste Vorteil, vielleicht unsre Rettung liegt darin. Und Ihr, holde Klugheit, seid ganz die Frau, den törichten Hochmut der Paläste zu bekämpfen und damit den Boden vorzubereiten für die Ordnung in Böhmen und die Reichsverweserschaft Eures Gatten.

Drahomira: Wenn Rosenberg so spricht... Der größte Mann böhmischen Adels... Aber natürlich... Mit Leidenschaft übernehme ich die Aufgabe... Sie macht mich überglücklich... Der Rundbrief ist ein Segen... Wer kann noch zweifeln?... Auf zu Wartenberg, Lobkowitz, Kolowrat... Wir wollen keinen Augenblick verlieren... Komm, Schätzchen... Lebt wohl... Ab.

Rosenberg geleitend: So schnell? Wollt Ihr nicht...

Riesenburg hält ihn im Portal zurück: Diese Frau! Sag, bin ich nicht glücklich zu preisen?!

Rosenberg: Du verdienst dein Glück.

Beide ab.

Sternberg: Eine Funsen!

Neuhaus: Sechzig Jahre und sechsundzwanzig. Auf dem Feuer der Entbehrung kocht ihr Ehrgeiz über...

Sternberg: Vergiß nicht, sie ist aus kleiner Familie.

Rosenberg kommt mit den Bürgern Ach und Ichgereut zurück.

Sternberg: Der Umsturz hat alles beseitigt, nur die Titel nicht. Um Gottes willen, Neuhaus, wie spricht man einen Selcher oder Wirkwarenhändler an?

Neuhaus: »Eure Wohltüchtigkeit«, mein ich...

Rosenberg: Die ehrenwerten Bürger Prags, Ach und Ichgereut...

Man setzt sich.

Ihr wißt also, wessen wir gewärtig sein müssen?

Ach und Ichgereut: Voll und ganz, Euer Hochedelgeboren!

Rosenberg: Man wird uns alles nehmen... Wir Standesherren freilich haben unser Vaterland überall. Ich bleibe Rosenberg und Grundherr am Rhein und in Toscana... Jedoch der Bürger? Was besitzt ihr, lieber Ach und Ichgereut?

Ach lebenslustig-weicher Bürger: Mit Vergunst, Euer Hochedelgeboren, Gott war mir gnädig... Die drei Häuser in der Altstadt, die Weinberge bei Melnik, bei Unhoscht die Wälder, die Fuhrwerkerei, die Wursterzeugung im Goldnen Engel...

Ichgereut hagerer, sorgenbeschatteter Bürger: Ja, ja, Euer Herrlichkeiten, er ist reich, und ich bin ein Schlucker...

Ach zornig: Wie kannst du das sagen, Ichgereut? Du bist ja reicher als ich... Euer Hochgeboren, das ist sein Wahnsinn... Immer hat er die Angst, einmal als Bettler zu enden...

Ichgereut und Ach fangen zu zanken an: »Wie? Ich bin reich?«... »Du rechnest immer herunter«... »Und du rechnest immer hinauf«... »Was, und meine fünf Kinder?«... »Was, und dein Brauhaus in Michle?«

Rosenberg: Wozu Streit? Machet ein Kreuz darüber!

Neuhaus schiebt ihnen das Blatt mit Prokops Verordnung zu: Da! Lest Prokops heiligen Text!

Ichgereut liest: »Die Erde Gottes gehört allen Menschen«... Aufjammernd. Ja, was gehört dann mir?... O Gott, o Gott, und wir haben uns doch zum Kelch bekannt... Helft uns, Eure Herrlichkeit...

Rosenberg: Hab an euch beide gedacht, lieber Ach und Ichgereut, unter allen Kaufleuten einzig an euch beide!

Ach dem merklich ein kalter Schauer über den Rücken läuft: Oh, unverdiente Ehre...

Rosenberg: Doch ihr müsset schwören, über die hohen Staatsgeheimnisse zu schweigen, in die ihr demnächst eingeweiht werden sollt! Die Bürger schwören.

Nun höret! Ich hab's durchgesetzt, daß ihr als vollgültige Mitglieder unsres heimlichen Adelsbundes zu gelten habt. Von diesem Augenblick an dürft ihr uns hier alle »du« nennen.

Ach in seliger Bestürzung: Adelsbund!... Gott steh mir bei!... Ihr und wir...

Rosenberg: Unser Kampf gilt dem Wiederaufbau des Vaterlandes und somit der Erhaltung eures Vermögens. Die Gegenleistung ist mäßig. Hier ein leeres Blatt: Ihr eröffnet die Subskription. Der Beitrag für euresgleichen beträgt hundert Goldgulden!

Ichgereut erschrickt zu Tode: Hundert Goldgulden!!... Ach, das Elend!... Euer Hochgeboren... Die schlechten Geschäfte... Der Steuerdruck... die unverschämten Löhne...

Ach: Die hohe Ehre... Der Adelsbund... Zieht Ichgereut abseits und spricht wild auf ihn ein.

Rosenberg: Bist du noch immer hier, Neuhaus?

Neuhaus: Wenn's denn sein muß! Dein Temperament, Rosenberg, kostet mich meine Gesundheit... Schickt mir Botschaft nach Pilsen! Ab.

Rosenberg: Sternberg! Du schreibst dieser Tage an Kaiser Sigismunds Majestät. Vergiß nicht der allzeit getreuen Prager Ach und Ichgereut zu erwähnen.

Sternberg: Schließlich sind auch unsre hohen Vorfahren von Carolus Magnus in den Herrenstand versetzt worden. Nur andre Namen müßt ihr annehmen, Eure Wohltüchtigkeiten! Ach, du heißest wie ein Wehlaut und du, Ichgereut, wie ein Gewissensbiß! Sind das Namen für so muntere Ahnherren?

Ach zieht den widerstrebenden Ichgereut zum Tisch, zwingt ihn zu unterschreiben und unterschreibt selbst. Dann macht er sich mit gewaltiger Überwindung Luft: Du, Rosenberg!!... Du, Sternberg!!... Ich lad euch für Sankt Gallitag gebührenderweise in mein Prager Stadthaus auf einen Löffel Suppe...

Spalek meldet: Der Bewußte!

Sternberg: Welchen Wein spendierst du zu deiner Wassersuppe, o Ach?

Ach: Burgunder vom Elferjahr!

Sternberg: Ach, ich komme.

Spalek komplimentiert auf einen Wink Rosenbergs die Bürger schnell hinaus.

Rosenberg öffnet die Geheimtür und läßt den Magister Jan Rokycana eintreten: Hochwürdiger Magister, ich dank Euch. Trotz allem, was uns trennt, findet Ihr in mir einen Bewunderer und guten Freund... Der Sternberg!

Rokycana hoher Mann in mittleren Jahren, mit schmalem Gesicht, Spitzbart und ironisch verschleierten Augen: Ich finde gute Feinde hier, mein Herr Graf. Können uns in mancher Lage des Lebens dienlicher sein als Freunde. Ich komme...

Rosenberg: Wegen des Julian-Briefs!

Rokycana: Was denkt der Adel darüber?

Rosenberg: Ich will die reinste Wahrheit sagen.

Rokycana: Sie war noch immer die listigste Politik.

Rosenberg: Der Adel, Magister Rokycana, ist gegen den Brief des Kardinals, gegen das Basler Konzil, gegen Einigung und Frieden. Er schwärmt wie immer für Schwert, Kreuzzug und blutige Bereinigung. Ich jedoch liebe mein Vaterland, mein süßes Böhmen...

Rokycana: So geht's Euch wie mir. Auch meine Brüder sind für Schwert und Feuer. Sie haben bewiesen, daß keine Gewalt der Welt je dem göttlichen Gesetz gewachsen sein wird, für das sie seit Jahrzehnten siegen. Ich aber meine, die Zeit sei gekommen jetzt, unsere Ernte zu bergen. So will ich denn am großen Tabortag unter die Brüder treten und mutig für Basel wirken. Machen wir's uns klar. Einen Augenblick lang berühren sich unsere feindlichen Kreise, Herr von Rosenberg. Drum bitt ich, alle Machenschaften zu unterlassen und mir nicht in den Rücken zu fallen. Denn ich muß gegen alle kämpfen, selbst gegen die Kollegen der Universität.

Sternberg: Haben meine hohen Vorfahren nicht recht gehabt, als sie sich wider Stiftung der Universität sträubten? Alles Übel kommt von der Bildung. War Christus, der Herr, gebildet?

Rokycana: Sagt ein Sternberg, Christus, »der Herr«, läßt er sich hörbar herab, den Zimmermannsohn für ebenbürtig zu halten. Die Herrschaften haben den Geist immer gehaßt.

Sternberg: Der einzige Geist, den Universitätsprofessoren besitzen, ist der Parteigeist...

Rosenberg: Laßt ihn! Er verrät seine Mutter für einen schlechten Witz.

Rokycana: Der Witz der Herren hält genau die erlauchte Höhe ihres Wissens.

Lärm draußen.

Spalek atemlos: Ein Bruderhaufen mit Quartierblatt vom Rathaus... Begehren Vorsprache...

Rosenberg lachend, als hätte er's erwartet: Herein mit ihnen!

Rokycana: Ist mir peinlich über die Maßen...

Rosenberg führt ihn in die Kapelle: Hier in die Hauskapelle, Meister! Und nehmt keinen Anstoß an meinen schönen italienischen Bildern! Keine Angst! Es sind nur Kunstwerke.

Sternberg aufschwankend: Du läßt den Pöbel über die Schwelle, Ulrich?! Dann werd ich... Er zieht halb.

Rosenberg: Einstecken, Ochse!

Klenau mit Stepanek und andern Hussiten.

Klenau: Wir kommen in Frieden, Rosenberg! Die Not zwingt uns, für diese tapfern Brüder Herberge anzufordern.

Rosenberg überströmend liebenswürdig: Willkommen! Ich betracht euch als liebwerte Gäste!

Sternberg auf Klenau zu: Gäste?!... Dich kenn ich ja, Ritter vom Hurenstrich?... Hast du nicht am Kaiserhof zu Ofen den angejahrten Cour-Damen beruflich den Podex getätschelt, bis man dich hinauswarf?... Bedienst du eine andre Sau jetzt, Arschkriecher des Pöbels!?...

Klenau Hand am Degen: Was will der Kerl?

Sternberg brüllt: Arschkriecher des Pöbels alle!

Rosenberg: Ihr seht ja. Bring ihn zu Bett, Spalek!

Sternberg: Keinen Spalek brauch ich... Sternberg bringt sich selbst zu Bett... Freiheit, ha ha?!... Ihr seid Sklaven der Sklaverei, nicht ich!... Ihr schneuzt euren winselnden Hirnrotz aufs Kommando gehässiger Selbstbeflecker... Sternberg allein ist frei... Sternberg bleibt Sternberg. Taumelt durch die Geheimtür ab.

Stepanek der sehr verlegen ist, wird von den Brüdern vorwärtsgestoßen: Rosenberg... he he... Brüderchen, gottverfluchtes... Wie geht's?...

Rosenberg: Sieh da, alte Bekannte!... Was, Spalek?... Dem hier übergib die Kellerschlüssel!... Er kennt sich aus... Ihr sollt bei uns nicht nur wohnen, sondern auch bewirtet werden...

Stepanek versucht vorsichtig, Rosenberg auf die Schulter zu klopfen: Da schaust du... Herzchen goldenes...

Rosenberg: Ich weiß. Du warst mir ein fingerfertiger Diener und ich dir ein handfertiger Herr... Jetzt aber hab ich gelernt, daß die Erde allen gehört. Ich will mit euch teilen, Brüder! Gießt zwei Becher voll und reicht Stepanek den einen. Stoß an, Kleiner! Die Teilung soll leben! Und jetzt, Spalek, aufgekocht und aufgetischt! Laßt mir keinen Wein übrig, liebwerte Gäste!... Ritter Klenau, du gibst mir, deinem neuen Bruder, doch die Ehre?

Stimmen: Hoch, Rosenberg!

Rosenberg leise zu Spalek: Wenn sie alle voll sind, die Pferde vor! Laut. Und nun in den Speisesaal, meine herzlieben Gäste!

 

Zwischenspiel auf der Straße

Landstraße vor Tabor. Der Starosta (Aldermann) von Nemischl kommt rechts und der Starosta von Jilowitz links.

Jilowitz: Bist du nicht der Mikulasch aus Nemischl?... Schönes Wetter heut!

Nemischl: Mir gefällt's nicht. Hochwasser im Frühling, dürrer Sommer. Im einundzwanziger Pestjahr war's genauso.

Jilowitz: Die Pest kommt nicht vom Wetter, sondern von unbegrabenen Leichen... Nach Tabor, he?

Nemischl: Dumme Frage! Mir scheint, du bist irgendwoher aus dem Süden. Von der österreichischen Grenze. Weiche Leute, unzuverlässige, dort! Halbe Deutsche!

Jilowitz: Der Adam von Jilowitz bin ich. Meine treue Gemeinde kommt hinter mir mit Fahnen, Weibern und Kochkesseln...

Nemischl: No, hab ich dir den Süden nicht angerochen, Adam?

Jilowitz: Ich hab dich früher erkannt. War einmal in Nemischl vor Jahren. Wie geht's bei euch?

Nemischl eingelernt pathetisch: »Das göttliche Gesetz ist wieder hergestellt, und die Außenständer sind gereutet.« Geschäftsmäßig. Von der Herrschaft haben wir den alten und den jungen Herrn aufgehängt, die andern laufen lassen... Land hat die Gemeinde nun, viel hundert Hufen für jedermann. Aber dennoch stinkt's. Nichts als Streit und Keppelei. Pflug und Zugvieh fehlen. Dazu müssen wir den Städten und Kriegsrotten für jeden neuen Acker drei Malter Getreide abliefern. Wenn ich nach der nächsten Ernte meinen Kopf noch aufhab, wird's mich wundern... Und wie werdet ihr Jilowitzer mit dem göttlichen Gesetz fertig?

Jilowitz: Das ist dir so eine Geschichte, Bruder Mikulasch. Verhungert waren wir ganz und gar. Da läßt eines Tages der Rosenberg, unsere Herrschaft, austrommeln, daß keine Robot gilt, daß alle Zehnten aufgehoben sind und nichts mehr abgeliefert werden muß auf den Burgen. Dann hat er uns drei neue Pflüge und Eggen geschenkt...

Nemischl: »Ungetreue Heuchler«, nannte unser Väterchen Žižka Leute euresgleichen. Ihr geht mit den Herren. Anzeigen sollt ich euch beim Brüder-Rat! Viel mehr sollte man anzeigen! Große Nachlässigkeit reißt ein. Vielleicht werd ich euch anzeigen, damit sich Prokop einmal Jilowitz anschaut! Pflüge vom Rosenberg! Das fehlte noch, daß es den Ungetreuen besser ergeht als uns, »die wir sonnenhell und fleckenlos wandeln«... Habt ihr euer Hab und Gut aufgeteilt, wie's geboten ist? Gibt's keine Reichen mehr bei euch?

Jilowitz kleinlaut: Wo sollen die Reichen herkommen? Fünfmal wurde das Dorf angezündet. Dreimal von den Tabor-Brüdern! Das göttliche Gesetz, Bruder, oje, ich scheiß dir drauf. Vom Gesetz haben nur die Folterknechte und Schinder ein Vergnügen... Und ihr? Ihr habt aufgeteilt?

Nemischl: Wir? Die Strengen und Reinen im Lande? Jede Sichel gehört der Gemeinde, jede Spindel, jeder Topf. Der Rock, den ich hier anhab, gehört der Gemeinde, die Mütze, der Gurt... Er schlägt sich so leidenschaftlich auf die Brust, daß sich ein verborgener Beutel von seinem Gürtel löst und herunterfällt.

Jilowitz blitzschnell aufhebend: Oha! Und dieser vollgefressene Beutel auch?

Nemischl: Gib her! Ich bin der Vorstand. Mit diesem schmutzigen Gelde kauf ich für die Gemeinde alles, was sie braucht.

Jilowitz: Heut ist doch kein Wochenmarkt.

Nemischl: Heut ist Wochenmarkt der Gerechtigkeit, Mensch! Tabortag! Und dieses stinkige Geld opfre ich in die Kufe der großen Gemeinde, damit neue Bombarden und Haufnitzer gegossen werden können, um die Welt zu bekehren. Wenn aber die Welt durch unsre Geschütze bekehrt ist, wird es überhaupt kein Geld mehr geben. Verächtlich. Das hier sind nur drei Schock Prager Groschen... In die Kufe!

Jilowitz: Dabei laß du mich zuschaun, Bruder!

Inzwischen sind von beiden Seiten mit Gesang und Dudelsackmusik die Gemeinden von Jilowitz und Nemischl aufgetaucht. Männer, Weiber, Kinder. Voran die Fahnenträger mit den Kelchfahnen, auf denen die Inschrift zu lesen ist: »Veritas omnia vincit«. Viele Bewaffnete mit Spießen und Dreschflegeln sind unter den Leuten.

Der Vorhang hebt sich.

Viertes Bild

Hügelkuppe bei Tabor. Vordergrund: Waldlichtung der Hochfläche. Rechts am Waldesrand ein Holzstoß. Mittelgrund: Das große, für den Zuschauer unsichtbare Tal, wo das taboritische Volk lagert. Musik und dumpfes Stimmengewirr von fünfzigtausend Menschen dringt empor. Hintergrund: Entrückte Hügelwellen. Auch auf ihnen die Ahnung von Fahnen, Aufzügen, Bewegung.

Pardusch hinter dem einige Ordner stehn, ruft den Gemeinden zu: Legt eure Waffen ab, Brüder! Prokop befiehlt's. Wir feiern einen Tabortag wider die Gewalt. Kein Bewaffneter wird zugelassen zur Versammlung. Hier, Brüder! Auf diese Haufen rechts und links, Gemeinde für Gemeinde!

Die Ordner nehmen den Leuten ihre Spieße und Dreschflegel fort und legen sie zuhauf. Rokycana kommt auf der Straße. Vor ihm ein Mann, der auf einer langen Stange ein großes Kelchsymbol trägt. Rokycanas ansichtig werdend, rufen einige: »Rokycana! Seht, Rokycana! Gott grüße dich, Väterchen.« Sympathie, aber keine Begeisterung liegt in den Rufen.

Rokycana: Dank, geliebte Brüder! Folgt mir, ich bitt euch, den kurzen Weg zum Taborstein, den Gott selbst uns zum Altar errichtet hat. Ein Altar ohne Kirche, ohne Prunk und menschlichen Zusatz. Dort sollt ihr das Sakrament des Kelches empfangen, von dem wir nicht ablassen, und wenn die ganze Welt uns darob ausrotten will. Dann aber möcht ich zu euch ein freies Wort reden über Psalm neunundsechzig, Versus fünf: »Sie hassen mich ohne Ursache.« Gott möge uns Gedanken schicken, wie wir's abwenden, daß die Welt uns nicht mehr hasse. Kommt! Ab.

In diesem Augenblick hört man von der Straße her donnernden Jubel einer sich näher wälzenden Menge: »Prokop, Prokop, Bruder Prokop!« Prokop erscheint auf der Straße, von einem frenetischen Menschenknäuel umdrängt. Julian hinter ihm. Die Bühne füllt sich sogleich mit einer berauschten Masse. Fahnen werden geschwungen, Dudelsäcke rasen. Prokop, der nur langsam vorwärts kommt, ist sehr ernst. Alte Leute knien vor ihm und küssen sein Gewand. Frauen heben ihre Kinder ihm entgegen. Kranke und Krüppel auf Krücken umschwärmen ihn wie einen Wundertäter.

Stimmengewirr: Bruder Prokop, unser Engel! – Du unser Stolz! – Dieser Bub ist nach dir benannt. – Denk an mich, Bruder, ich bin ein Bettler. – Auch mir ein Stück Land, Bruder! – Hilf mir, Bruder! – Bei Taus verwundet! – Prokop! Prokop! – Sei stark, Wohltäter! – Wir Frauen wollen Frieden endlich! – Mach ein Ende mit den Ausbeutern! – Rühr diesen Arm an, Mensch Gottes! – Prokop!

Pardusch der die Hilflosigkeit Prokops sieht, gibt den Ordnern einen Wink und ruft über die Menge: Brüder und Schwestern, geht! Hier auf der Kuppe darf niemand verweilen. Ins Tal, zur Versammlung, Brüder und Schwestern!

Die Menge wird von den Ordnern abgedrängt und verschwindet im Tal. Prokop und Julian allein.

Julian: Die große Liebe der Menschen hat Euch erschöpft, Prokop...

Prokop: Wenn sie so nahe kommen... Antlitz für Antlitz... Seht, seht... Dies dort unten ist größer, viel größer... Er bleibt im Anblick des wimmelnden Tals versunken. Fünfzigtausend... Und es könnten hundert- und zweihunderttausend sein... Dort, seht, bis nach Chotovin lagern sie und an der Luschnitz hinauf, an den Ufern unsres lieben Jordan... Und alle Ein Leib... Spürt Ihr das große Geheimnis?... Dort unten ist die Einheit, die wahre Kirche, das Sakrament, darob sich nicht zweifeln läßt... Sieht Julian an. Ihr seid gänzlich unbewegt. Das hätt ich mir denken können.

Julian: Nein, Prokop! Ich sehe dies schöne Bild und doch ein andres zugleich. Die festliche Masse dort unten. Und im nächsten Augenblick eine schwarze brüllende Wolke...

Prokop: Die Witterung des Edelmanns. Ihr werdet uns nie begreifen.

Julian: Heiß müh ich mich, mein Selbst zu vergessen und Euch zu begreifen.

Prokop immer ausblickend: Seht Ihr dort zwei Finger östlich von Chotovin den großen Flecken?... Es ist Bergstadt, ein deutscher Ort... Die Deutschen im Land sind Tabors bitterste Feinde... Unausrottbar steckt der Herrendienst in ihnen... Die Inbrunst unsres Volkes hassen sie... Und dennoch, unbehelligt dürfen sie leben... Eine Wegstunde weit von Tabor... Dieses Bergstadt, Angelo, ist mein großer Stolz... Auch die Deutschen werden erwachen... Auch sie wird die Wahrheit zusammenschmelzen mit uns...

Klenau kommt von rechts auf der Straße: Mehr Volk als wir geahnt. Hier ist die Straße schon frei. Aber von Borotin sind alle Wege noch verstopft vom Zuzug.

Im Mittelgrund taucht Rokycanas Gestalt auf, als stünde sie auf einer freiragenden Felsplatte überm Tal. Dem Zuschauer ist nur sein Viertelprofil sichtbar. Niedriger als er erscheinen ekstatische Brüderköpfe, an deren Lippen er den Kelch führt.

Tschapek kommt von links auf der Straße: Immer die gleiche Unordnung bei uns! Viel zu wenig Redner sind vorgesehen. So bekommt der Beschwichtigungs-Salbader, der Rokycana, alles in die Krallen. Und er verkauft die Wahrheit um den nächstbesten politischen Vorteil.

Prokop: Ja, ich weiß, Tschapek. Nur dort, wo du stehst, ist die lautere Wahrheit.

Klenau: Ein Wort, Bruder Prokop! Er zieht ihn zur Seite. Du mußt dich vor den Rotten des Tschapek in acht nehmen. Zusammengewürfeltes Raubzeug, wir wissen's ja. Ich hab Wind bekommen, daß sie den Festtag stören wollen. Deshalb hab ich fünfhundert meiner eignen Leute in den Wald gelegt...

Prokop: Schick sie nach Haus!

Tschapek: Ein Wort, Bruder Prokop. Zieht ihn auf die andre Seite. Ich warne dich vor dem Klenau. Herr bleibt Herr trotz allem...

Prokop: Laß mich in Ruh mit dem Lied...

Pardusch kommt von hinten: Brüder! Rokycana hat begonnen. Prokop und wir Feldhauptleute sollen zum Kelch.

Prokop: So gehn wir!... Priester Angelo, du wirst das Sakrament mit uns empfangen.

Julian: Nein! Das werd ich nicht.

Prokop: Was heißt das? Warum?

Julian: Weil ich nicht zu euch gehör. Weil ich ein Gast bin in Böhmen.

Prokop: Du lebst nunmehr lang schon unter uns, Priester Angelo. Willst du jetzt beweisen, daß du ein kaltrechnender Heuchler bist?

Julian: Ich bin ein gehorsamer Sohn der heiligen Kirche.

Prokop: Priester Angelo! Christus selbst hat Brot und Wein eingesetzt. Die ursprüngliche Kirche verfuhr nach seiner Satzung. Erst schweinische Päpste haben den Kelch unterschlagen. Wir konnten dir's klar beweisen. Und du hattest keine Wahrheit, sie dawider zu halten.

Julian: Ich bin nur ein Mensch des Irrtums. Wenn Ihr aber vor die Kirchenversammlung in Basel tretet, vors Konzil, das unter der Leitung des Heiligen Geistes steht, und den gerechten Vätern dort Eure Wahrheit beweiset,... ja, ich schwör's,... ich will der erste sein, der den Kelch empfängt.

Klenau: Die Wahrheit ist jenseits eitler Menschen.

Julian: Seid ihr keine eitlen Menschen?

Tschapek: Der Kelch bedeutet Euren gebeugten Hochmut.

Julian: Dann bedeutet er Euren ungebeugten Hochmut.

Prokop: Und wenn ich dich zwinge, Angelo?

Julian heiter: Du wirst mich nicht zwingen, Prokop. Lärm wälzt sich näher. Ein Brüderhaufen führt Andreas Leithner, Kaufmann aus Krumau, gebunden auf die Kuppe. Tvaroch hält ihn am Kragen gepackt.

Stimmengewirr: Der deutsche Hund... Der Pfaffenkrämer... Er hat vor der Kelchfahne ausgespien... Er hat das Volk beleidigt... An den Bratspieß mit dem Deutschen... Schneidet ihn in Stücke...

Rokycana kommt: Ruhig, Brüder!

Leithner zu Prokop: Hilfe, Herr Bruder... Ich bin der Leithner aus Krumau... Das ganze Land kennt mich...

Prokop: Du hörst die Anklage, Deutscher!... Unsre Fahne hast du gelästert.

Leithner: Ich, ein gesetzter Mann!?... Wär ich doch seitab gefahren mit meinem Wagen... Eure Fahne... Was hab ich mit eurer Fahne zu schaffen... Ausbrechend. Ein Überfall... Ein frecher tschechischer Überfall... Meine Waren stehlen... Hussitisches Gesindel...

Aufheulen der Menge, Leithner will sich losreißen.

Prokop Ruhe gebietend: Wer zeugt gegen diesen Menschen?

Tvaroch vortretend: Ich!

Julian geht ruhig und unbemerkt über die Rampenstraße ab.

Prokop: Leithner! Ein alter Krieger unseres Vaters Žižka zeugt wider dich. Einer, der für Gottes Wahrheit oft geblutet hat. Er trägt das höchste Ehrenzeichen unsres Krieges auf der Brust. Wird er lügen?

Stimmen: Der Deutsche muß brennen!... Nehmt ihn!... Aufs Holz! Die Menge will Leithner auf den Holzstoß heben.

Prokop: Halt! Der Tabortag darf nicht durch Tod entweiht werden... Straflos aber soll er nicht bleiben... Zwölf Stockhiebe!

Stimmen: Glück hast du, Hund... Wir wollen dir Hosen anmessen...

Leithner: Heilige Mutter Gottes...

Er wird fortgeschleppt.

Prokop zu den Hauptleuten: Sorgt, daß kein Unrecht geschieht!

Alle ab bis auf Prokop und Rokycana.

Rokycana: Noch bin ich Christ und Priester... Sakrament wird heut nicht gespendet mehr... Sie schlagen einen unschuldigen Menschen...

Prokop: Der Deutsche ist nicht unschuldig...

Rokycana ins Tal schauend: Ich bin sehr kurzsichtig, Prokop... Scheint es mir nur so?... Aber ich sehe alles verwandelt... Keine Begeisterung mehr... Staub und Haß...

Prokop schweigt.

Du wolltest die Deutschen für uns gewinnen, Prokop... Ja, ja... Muß sich der Weise ewig vor dem Raufbold beugen?... Sieht so das Reich Gottes aus?

Prokop schweigt.

Und dies alles nur, damit wir herrschen? Nein, Prokop! Kein Volk kann wie ein abgebundenes Glied leben. Der versperrte Flußarm versumpft, und nur die Stechmücken freuen sich. Entweder wir bekehren die andern... oder... Julians Brief ist wohl zu erwägen...

Tvaroch, Hostinsky und andere kommen.

Tvaroch: Der steht nimmer auf, denk ich...

Hostinsky: Schweig, Tvaroch! Roheit schlägt sich mir auf den Magen.

Pardusch schnell auftretend, weist auf Tvaroch: Um der Gerechtigkeit Gottes willen muß ich diesen hier anklagen, Prokop. Er hat falsches Zeugnis abgelegt wider den Deutschen...

Prokop leise: Ist das wahr, Tvaroch?

Tvaroch: Falsches Zeugnis?... Ein Deutscher muß schon dafür gestraft werden, daß er ein Deutscher ist... Feind ist Feind... Ich kann nicht den ganzen Tag Predigt hören... Haltet Ihr uns für Kerzelweiber?... Wir wider die Gewalt?... Sakra noch einmal, wir sind die Gewalt!!... Mit Gewalt haben wir Tabor geschaffen... Vor Eurer Zeit...

Lange Stille.

Prokop springt auf, wie um sich auf Tvaroch zu stürzen. Reißt sich aber zurück. Ruhig: Das Ehrenzeichen ablegen!!

Tschapek kommt.

Tvaroch: Am Witkowberg... Zwanzig Ritter hab ich erschlagen... Väterchen Žižka...

Prokop: Ihm das Ehrenzeichen abnehmen!... Tschapek!

Tschapek erstarrt: Žižka selbst hat's ihm verliehn...

Tvaroch die Medaille mit der Hand umkrampfend: Ich war der erste im Heer.

Prokop: Pardusch!

Pardusch wirft sich auf Tvaroch und wird von ihm zur Seite geschleudert.

Prokop geht langsam auf Tvaroch zu.

Tvaroch knickt zusammen und wirft die Medaille Prokop zu Füßen. Aufheulend: Dank dir, Prokop... Ab.

Scharfer Ruf: Bergstadt brennt! Rauch aus der Tiefe. Alles wendet sich zum Tal.

Stepanek kommt atemlos: Bergstadt brennt... Sie plündern... Alles wie irrsinnig... Die Deutschen haben einen Bruder erschlagen... Nach Bergstadt... Sie holen die Spieße... Näherbrausender Lärm.

Prokop: Tschapek, Pardusch zu den Waffenhaufen!! Tschapek und Pardusch mit den Ordnern stellen sich rechts und links zu den aufgeschichteten Spießen und Flegeln. Klenau! Wo sind deine Rotten?

Klenau: Keine tausend Schritt weit... Will ab.

Prokop hält ihn an dei Hand zurück: Halt noch! Indes hat das Volk, zuerst in Trupps, dann in dichter Masse die Kuppe erreicht. Es entsteht sogleich ein wilder Kampf zwischen den Ordnern und der rasenden Menge. Weiber- und Kinderschreie gellen.

Die Menge: Unsere Spieße... Laßt uns doch, Brüder... Auf die Deutschen... Zurück da... Die Deutschen... Mit der Axt haben sie ihn erschlagen... Zurück... Das ist ja nicht wahr... Den Benesch... Lüge... Beruhigt euch... Hilfe... Ah... Ihr erdrückt mich... Maminko, Maminko... Gebt acht... Die Kinder... Zu den Waffen... Ihr Hunde... Unsre Flegel... Zurück... Bringt sie um, die Verräter... Hilfe, Hilfe... Vorwärts... Der Wind weht mächtige Rauchwolken her, die Szene verfinsternd.

Prokop sehr weit vorn mit Rokycana, Klenau, Hostinsky: Angelo... Wo ist Angelo?

Hostinsky: Längst verritten. Weißt du's nicht?

Rokycana hebt erschüttert die Arme: Der Tabortag wider die Gewalt!! In diesem Augenblick zersprengt die Menge mit einem gewaltigen Triumphgeschrei die Ordnerkette und bemächtigt sich der Waffen.

Prokop: Klenau! Weg abschneiden! Niedermachen, wer sich widersetzt!! Klenau stürzt ab. Immer dichter die schwarzen Rauchwolken. Flegel, Stangen, Spieße, Fahnen. Das »Hussitenlied« durcheinander von allen Seiten: Die ihr Gottes heil'ge Streiter...

Noten

Zwischenspiel auf der Straße

In der Nähe der Moldau. Eine Horde junger Leute, Burschen und Mädchen, stürmt unter der Führung Jiraks, des neunzehnjährigen spindeldürren Lehrgehilfen, und Staschas über die Bühne. Auch einige Halbwüchsige sind darunter. Der jüngste, Milosch, ein zwölfjähriger Knirps.

Stascha zu den jungen Leuten: Nun habt ihr gehört, was ich daheim ausstehn mußte und warum ich davongelaufen bin... In den ersten Tagen war's ein bißchen schwer... Dann aber hab ich diesen Jirak hier gefunden... Und jetzt weiß ich erst, was die Welt überhaupt ist und das Leben... Hört ihm gut zu, unserm Führer...

Jirak: Ja, Kinder, die ganze Welt ist nur ein Lügennetz, das eure Väter und Lehrer gesponnen haben, damit ihr Weißfische drin zappelt. Gleich mit Gott fängt es an. Es gibt keinen Gott. Das will ich euch sofort auf wissenschaftliche Art beweisen. Steht nicht geschrieben: »Gott straft die Gottlosen?« Paßt auf. Ich ruf jetzt eine Kleinigkeit in den Himmel: Er pfeift. »Du, Alterchen, hör mir gut zu! Ich glaub nicht an dich. So! Und jetzt bestraf mich!«... Na, hat er mich bestraft? Ist ein Blitzstrahl niedergefahren? Also ist es nicht wahr, was geschrieben steht, und wenn nicht wahr ist, was geschrieben steht, ist Gott auch nicht wahr. Jetzt hab ich euch auf wissenschaftliche Art bewiesen, daß es keinen Gott gibt.

Stascha: Nun? Ist das nicht wunderbar? Hat jemals jemand so gescheit zu euch gesprochen?

Die jungen Leute: Jirak! Wir gehn mit dir, wohin du willst...

Jirak: Die Alten wissen grad so gut wie ich, daß kein Gott lebt, daß Geist, Seele, Christus hohle Worte sind. Doch sie betrügen sich und uns. Ob römisch, ob hussitisch, es ist der gleiche Schwindel. Aber die Betschwestern des Fortschritts sind die ärgsten. Unser jugendlicher Bund fällt auf den Schwindel nicht herein... Wer bist du, Milosch?

Der Knirps: Ich bin der neue Mensch.

Jirak: Gut memoriert! Du bist der jüngste und bleibst am längsten neu, Milosch! Mit fünfundzwanzig Jahren wird eh jedermann zum brauchbaren Trottel. Diese Verblödung ist das Fundament der Staaten. Mein Wort aber ist: Lasset euch nicht verführen! Alle Süßigkeit des Menschen steckt einzig in seinem Körper... Ist das wahr, Stascha?

Stascha: Das ist wahr, mein Geliebter...

Jirak: Mein Geliebter? Nur kein Mein und Dein in der persönlichen Beziehung. Diese ebenso gefühlvollen wie besitzanzeigenden Fürwörtchen sind die Wucherzinsen der Liebe. Ich bin nicht dein, und du bist nicht mein. Wir gehören einander alle und keiner.

Stascha: Verzeih, Jirak, wenn ich was Dummes gesagt hab, aber Plötzlich ausbrechend, aber, schaust du von mir weg, kratz ich dir die Augen aus und beiß dir die Gurgel durch...

Jirak: Da seht ihr's! Auch wir kommen ohne Verfassung nicht aus... Also los, Leute! In den Wäldern hier bei Chlum gibt es verlassene Weiler. Dort wollen wir unser Dorf bauen. Die Moldau fließt in der Nähe. Wir werden schwimmen und baden. Kommt, tut eure Kleider ab! Wir springen gleich ins Wasser.

Der Kantor Brezina kommt wehklagend: Gib mir meine Kinder zurück, Elender, die jüngsten wenigstens! Kinder, war ich denn nicht ein liebreicher Lehrer? Nie hab ich euch geschlagen...

Der Knirps: Das ist nicht wahr, Herr Kantor, am letzten Dienstag habt Ihr mich gemein versohlt.

Brezina: Zu deinem Seelenheil geschah's, Milosch...

Jirak: Seht den runzligen Kadaver! Das sind die Männer, die euch zum Hausvieh präparieren. Nehmt ihn mit! Er soll schwimmen lernen. Und dabei will ich ihm mein Abc beibringen. Der Kantor wird von den jungen Leuten unter Schreien und Lachen umringt und fortgerissen.

Fünftes Bild

Prokops Haus. Die Stube.

Klenau mit einem Blumenstrauß... läuft die Stiege empor... legt die Blumen vor Elisabeths Schwelle... Schnell wieder herunter.

Prokop kommt von der Straße her: Du bist hier, Klenau... Suchst du die Lischka?

Klenau: Nein... Ja... Ich... Das heißt... Ich reit nach Prag... Wollte die Frauen fragen, ob sie einen Auftrag haben...

Prokop: In einer Weile versammelt sich hier der Ältesten-Rat... Die verdammte Geschichte mit Basel... Ich bin allein... Der Tschapek ist im Pilsner Kreis und Pardusch arbeitet auf der Landtafel... Es war gut... Bleib in der Nähe... Ich kann dich vielleicht brauchen...

Klenau: Ein zäher Bissen... Froh bin ich, daß ich nicht zu den weisen Parteigöttern gehör... Wenn ihr fertig seid, bin ich wieder hier... Ab.

Mutter tritt aus der Küche. Prokop reicht ihr die Hand, um der Blinden zu helfen: Nein, lieber Sohn... Deine Hand brauch ich nicht... Noch unterscheid ich Licht und Finsternis ... Das genügt... Im Haus, draußen auf dem Hof und in den Ställen kenn ich mich mit geschlossnen Augen aus... Ich habe keine Hilfe nötig, Gott sei Dank... Kann auch ohne die Stascha auskommen...

Prokop: Das unglücksel'ge Mädel... Hab halb Böhmen auskundschaften lassen nach ihr... Vielleicht kommt sie von selbst zurück...

Mutter: Deine Schwester kommt nicht von selbst zurück, lieber Sohn... Ich hab trotzige Kinder...

Prokop: Haben wir nicht auch eine trotzige Mutter?

Mutter: Meine Reden und Lehren haben die Stascha nicht um den Verstand gebracht...

Prokop: Allzuviel häuft sich jetzt... Es dürfte keine Menschen geben, die mir nachts auf die Seele fallen...

Mutter: Mein Sohn Prokop! Warum zerstörst du dir dein Leben? Gott ist lang, und du bist kurz...

Prokop: Sein Leben wählt niemand... Es ist so, und ich muß... Und du, liebe Mutter?... Auch du gibst keine Ruh... Von früh bis abend plagst du dich... Warum...

Mutter: Meine kleine Pflicht ist es, Ordnung zu halten...

Prokop: Ja, deine alte Ordnung!... Ich... Unterbricht sich.... Hat dir noch niemand gesagt, wer ich bin, Mutter?

Mutter: Sie reden immerfort von dir... War mein Glauben nicht fest, könnt ich eitel werden... So aber muß ich beten... Hält inne.

Prokop: Was denn hätte nach deinem Sinn aus mir werden sollen, Mutter?

Mutter: Ein Arbeiter, der sich nicht in Gottes gefährliche Sache mischt... Ein glücklicher Mensch... Und... Sie hat die Hoftür aufgeklinkt. Schamhaft. Man müßt auch weniger Angst haben um dich... Ab.

Elisabeth ist schon während der letzten Worte der Mutter oben erschienen. Sie trägt Klenaus Blumen in der Hand: Bist du wieder einmal gekommen, Prokop?

Prokop: Lischka! Pause. Diese frischen Blumen... Daß die Dürre sie leben läßt!... Wachsen sie draußen im Garten? Elisabeth: Ja... Auch im Garten... Schweigen.

Prokop: So... Und damit wär unser Gespräch wieder zu End.

Elisabeth: Es ist so viel zu sagen, daß nichts mehr zu sagen ist.

Prokop: Lischka... Wenn ich nicht nach Basel geh... Wenn ich hier bleiben kann... Ich hab in der Nacht drüber nachgedacht... Es muß anders werden zwischen uns... Du lebst jetzt allein mit der unverträglichen Frau...

Elisabeth: Das ist arg, aber nicht das Ärgste.

Prokop: Das Ärgste ist die Entfremdung... Und doch, wenn ich dich vor mir seh... Es ist wie vor zehn Jahren...

Elisabeth: Hast du auch nachgedacht über diese zehn Jahre?

Prokop: Ich hab dich lieb wie am ersten Tag.

Elisabeth: Liebhaben... Mein Gott, Prokop... Was verstehst du davon?... Liebhaben... Das klingt wie ein falscher Lautengriff... Du kannst den Priester nicht ausziehn... Vielleicht liebst du das Volk, die Masse, deine Pläne und Siege... Ich weiß es nicht... Aber einen Menschen?

Prokop: Sind diese Pläne und Siege so gering, daß dieser Mensch nicht Nachsicht haben könnt?... Wär's nicht die Pflicht dieses Menschen, mir zu helfen?

Elisabeth: Du hast dir eine Herrin gesucht und kannst eine Magd nur brauchen.

Prokop: Da haben wir's... Herrin... Hoffnungslos!... Du kannst deine hochnäsige Herkunft nicht vergessen... Zehn Jahre lebst du mit mir und hast noch keinen Hauch begriffen...

Elisabeth: Ich lebe zwar recht wenig mit dir, Prokop... Doch hab ich mehr als einen Hauch begriffen... Anfangs ja, da bezwang ich mich... Jetzt... Ich will offen sein... Jetzt haß ich das alles... Eure Taten und Reden, den Greuel deiner Gefolgschaft... Die freche Roheit... Die Lästerung... Diese Gesichter... Das Gift...

Prokop ausbrechend: Ja, das Gift! Ruhig. Sichtbar steigt's auf in dir! Auf und ab. Es ist vielleicht ein Fehler, Feindin Lischka... Aber ich will gerecht sein... Wir haben beide Schuld aneinander... Zu wenig hab ich dich teilnehmen lassen... Dein Stolz ist beleidigt... Wenn... Es soll anders werden... Warum hältst du die Blumen so krampfhaft in der Hand?... Wenn ich hier bleibe... Wart, wo ist es nur... Sucht in seiner Tasche. Ich hab dir etwas mitgebracht... Ein nichtig Ding, aber ein Zeichen meiner Gedanken... Das Kettchen hier... Verlegen und ungeschickt will er ihr den Schmuck umhängen.

Elisabeth: Dank dir, Prokop, daß du an mich gedacht hast... Sei nicht bös... Es geht nicht gegen dich... Aber ich möcht das nicht tragen... Seh ich Schmuck an böhmischen Weibern, muß ich immer an Kirchenraub denken.

Prokop schleudert wortlos die Kette aus dem offenen Fenster. Stimmengewirr draußen.

Elisabeth: Madonna! Die Brüder! Sie flieht über die Stiege hinauf. Rokycana kommt mit zehn taboritischen Parteiführern, älteren Männern, zumeist aus dem Bauern- und Handwerkerstand. Scharf unterschiedene Charakterköpfe.

Rokycana: Nunmehr sind unser zwölf, liebe Brüder und Häupter der Partei. Durch Zahl und Ansehn sind wir Rechtens bestellt, in der sorgenvollen Frage der Basler Kirchenversammlung zu entscheiden. Ihr kennt meine Meinung und unsres Feldherrn Prokop Widermeinung. Machen wir's uns noch einmal klar: Die Briefe des Kardinallegaten, in denen wir inbrünstiglich zum Konzil gebeten werden, sind die allersüßeste Frucht unsrer Siege und Kriegstaten. Denn nicht treten wir jetzt vor die Väter als hartnäckige Ketzer und Angeklagte, ja nicht einmal mehr als Verteidiger unsrer Wahrheit, sondern als freie Schöffen und Beisitzer der Weltkirche, die sich selbst reformieren will an Haupt und Gliedern. Dürfen wir diese Hand ausschlagen?! Nein und tausendmal nein!! Wir würden uns selbst damit zu Erzfeinden der gesamten Christenheit erklären und ihr das Recht zu neuen Kreuzzügen geben. Von der Verketzerung unsrer Nation will ich schweigen. Aber wen betrübt's nicht, daß in Frankreich die Zigeuner und Halunken mit unserm Namen »Bohemer« genannt werden?... Ruhe brauchen wir, Brüder! Prokops großer Gedanke, die Landverteilung, wie steht's damit? Halb Böhmen liegt brach. Pilsen ist abgefallen. Der Adel rührt sich wieder, und die Welt beginnt unsre Grenzen zu verstöpseln. Brüder, stimmet darum für Basel!... Und jetzt sprich du, Prokop!

Prokop: Es ist wahr, Brüder! Die Landverteilung hat uns enttäuscht, wenngleich auch ein solcher Umsturz niemals auf den ersten Hieb glücken kann. Es ist wahr: Die Bestien im Land haben eine gute Zeit. Der letzte Tabortag beweist es. Sorgenvolle Zukunft! Aber unsere Zukunft! »Basel«, sagt Rokycana. Gut! Mein Kopf kann irren. Entscheidet, und ich will mich diesmal beugen. Bedenket aber: Trotz unsrer Siege stehn wir am Anfang erst. Das Konzil kann nur unser Feind sein. Alle scheinheilige Milde täuscht mich nicht. Süßer Köder! Der Feind ist noch nicht ermattet und will uns schwächen. Wozu also verhandeln, schachern, schielen und lügen? Dringet tief in euch und suchet scharf die Antwort! Er holt aus der Küche einen Krug. Hier ein Krug! Hier diese Linsen bedeuten »Ja« und »Basel«. Hier die roten Bohnen »Nein« und unsre »unverfälschte Zukunft«. Ohne Pakt und Lüge! Die Parteihäupter beginnen zu debattieren. Halt, Brüder! Bleibet stumm! Keiner rede mit den anderen, damit eure Gedanken sich nicht mischen und Einfluß nehmen. Prüfet euch still, ehe ihr zwischen den Früchten wählet!

Die Männer beginnen mit gesenkten Köpfen in sonderbar rhythmischer Versunkenheit aneinander vorbei auf und ab zu gehen. Nach und nach tritt jeder zum Tisch und wirft seine Stimme in den Krug, auch Prokop und Rokycana.

Rokycana der den Krug in seine hohle Hand geleert hat: Stimmengleichheit! Was nun? In diesem Augenblick tritt Klenau ein.

Rokycana: Ein Bote der Vorsehung! Prschibik von Klenau! Edelmann! Und dennoch kämpft er seit Jahren als Held für Tabors Fahne. Nun sind wir dreizehn. Bist du einverstanden, Prokop, daß dieser reine, unbestochene Mann die Entscheidung bringt?

Prokop: Du weißt, worum es geht, Klenau! Wähle zwischen Basel und der unverfälschten Zukunft!

Klenau erschrickt: Muß es sein?

Prokop: Wähle!

Klenau nach einer Pause, leise: Basel...

Rokycana: Kommt! Wir sind fertig. Verkünden wir den Brüdern draußen bei der Linde den Entscheid!

Alle ab.

Rokycana hält Prokop in der Tür zurück: Machen wir's uns klar, Prokop! Gelingt die Einigung in Basel, ist kein Angriff mehr auf Böhmen zu fürchten. Du kannst dich ganz dem Werke der Erneuerung weihn.

Prokop: Gelingt sie aber nicht...

Rokycana: Die Sterne sind errechenbar, nicht der Mensch. Ein Mückenstich wird zum Völkerschicksal. Laß uns das Ziel nicht verlieren! Die feste Brücke zwischen göttlicher Wahrheit und irdischer Wirklichkeit zu sein, dies ist die Aufgabe unsrer Nation. Versprich mir, Prokop, daß du in Basel kalt und gelassen bleibst.

Prokop: Ich verspreche dir alles, Rokycana, nur eines nicht: Lüge! Beide ab.

Elisabeth kommt nach einer Weile herunter. Sie hat die Blumen noch immer in der Hand. Rasch sieht sie sich in der Stube um, entdeckt den Abstimmungskrug auf dem Tisch, geht in die Küche, füllt ihn mit Wasser und gibt den Strauß hinein.

Klenau steht starr in der Tür: In meinem Mund lag Böhmens Geschick. Ich hab »Basel« gesagt. Alles in mir schrie und schreit noch: Nein! Basel ist der Tod! Und doch hab ich »Basel« gesagt. Zwei Schritte. Sehr leicht ist es, für eine Frau ritterlich zu sterben. Ich aber hab mich besudelt mit unaussprechlichem Schmutz vor dem ewigen Gericht, nur damit Prokop, mein Bruder, fernhin nach Basel ziehe und ich frei und allein bleibe bei dir... Schweigen. Jetzt kennst du meine Niedrigkeit und meine Liebe. Stoß mich für ewig fort...

Elisabeth nähert sich ihm zögernd, berührt ihn leicht mit der Hand, sie versinken in einen Kuß.

Mutter kommt vom Hof: Ist jemand hier?

Elisabeth schrickt auf, erkennt und sagt mit unterdrücktem Jubel: Nur ein einziger Mensch, Mutter! Ich!


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