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Prokops Haus – Die Stube – Mutter – Tschapek – Eine Magd.
Mutter: Boschka, nimm die Gießkanne und wart draußen im Gemüsegarten auf mich!
Die Magd ab.
Tschapek: So habt Ihr wenigstens ein Mädel wieder aufgenommen, Frau Mutter...
Mutter: Arg genug... Aber was soll ich tun?... Auf den Oberstock weisend. Seitdem das Weib fort ist, bin ich ganz allein im Haus...
Tschapek: Hört, Frau Mutter... Ich kann's dem Prokop nicht sagen... Ich bring's nicht zustand...
Mutter: Lang weiß ich schon, was ihr Helden alle für Helden seid!
Tschapek: Hätt er dieses Weib nur nicht... Der große Prokop ein lächerlicher Hahnrei?... Verdammt für ihn... Und verdammt für uns! Wer soll an einen Führer noch glauben, der seine eigene Familie nicht zusammenhalten kann... Was wird die Welt von uns Tschechen denken... Da steh ich doch ganz anders da... Ich bin zwar kein Prokop...
Mutter: Weiß Gott, das seid ihr nicht, Tschapek...
Tschapek: Erst Basel... Jetzt diese Schweinerei... Wer wird's ihm erzählen?
Mutter: Ich...
Tschapek: Immer schon bewunder ich Eure mütterliche Härte.
Mutter: Hm... Gott scheint den Menschen Augen zu geben, um das Leben besser vor ihnen verstecken zu können.
Tschapek: Habt Ihr je ein weiches Wort zum Prokop und zur Stascha gesprochen?
Mutter: Ja, ja, die Katzen schlecken ihre Jungen und vergessen sie... Sie holt mit tastenden Händen einen Stechspaten aus dem Winkel... Auch wir haben Eltern gehabt, und als das Leben begann, knieten wir hin und nahmen still den Segen fürs Verhängte... Warum hat Gott gerade uns ausgesucht, die Eiseskälte, die Empörung und die Eitelkeit zu gebären?... Tschapek, mit dir red ich, denn du bist einer der Schlimmsten... Aber wozu Worte? Ab in den Hof.
Tschapek rollt eine große Landkarte auf, legt sie auf den Fußboden und kniet vor ihr hin.
Prokop und Pardusch treten ein.
Prokop: Du hast recht gehabt und ich unrecht, Tschapek! Ich bekenn es. Daß wir bei Taus umgekehrt sind, war der größte Fehler meines Lebens. Daß ich an inneren Frieden ohne Waffenzwang geglaubt hab, war die größte Dummheit meines Lebens. Nach Basel zu gehen, war die größte Schwäche... nein Schuld... meines Lebens. So, nun ich dies bekannt hab, gib mir die Hand, Tschapek!... Wo ist die Mutter und meine Frau?
Tschapek: Die Mutter arbeitet im Garten.
Prokop: Und Lischka?
Tschapek: Die wird nach Prag gefahren sein...
Prokop: Wie?... Heut?... Einkäufe?... Habt Ihr mich denn nicht angesagt?... Hoffentlich ist sie nicht allein... Der Klenau wird bei ihr sein...
Tschapek: Ja, der ist bei ihr.
Prokop: Gleichviel! Wir haben Zeit fürs Leben weniger denn je!... Es war gut, Tschapek, daß du sämtliche Feldrotten einberufen hast... Auch die älteren Jahrgänge... Übrigens hört man schon an der Grenze, daß es an allem fehlt...
Tschapek: Dein Bodengesetz, Prokop!... Den Bauern reitet der Teufel. Der Herrengrund ist nun sein. Er aber läßt ihn veröden und weigert sich, Getreide zu liefern... Die Hungersnot...
Pardusch: Die Hungersnot kommt von der schwersten Mißernte seit Jahrzehnten...
Tschapek: Nein! Die Hungersnot kommt von der Grund-Verteilung.
Prokop: So verordnen wir den Blutzehnt... Aus den Dorfgemeinden muß rücksichtslos alles herausgepreßt werden... Die Welt soll uns wiedererkennen!
Tschapek: Hohe Zeit...
Prokop: Das Reich Gottes kommt nicht über Nacht... Wir haben eine Stunde versäumt... Weiter!... Mit Pilsen beginnen wir... Die deutschen Städte folgen... Noch in dieser Woche alle Bruderheere vor Pilsen!...
Tschapek: Sollen wir Prag und den Osten ganz entblößen?... Die Wehren des Herrenbundes wachsen.
Prokop: Lauter Fünfgroschenmänner. Sind andre Leut davongelaufen vor uns. Nur keine Zersplitterungen! Wie Blitz und Donner! Was?... Weiter! Auf und ab. Also: Tschapek mit seinem Heer, fünfzehntausend Brüder, von Kotorow über die Prager Straße bis zum Beraunfluß... Zeichne es ein, Pardusch!
Tschapek und Pardusch knien vor der Karte.
Klenau mit zwölftausend rechts und links der Mieser Straße bei Tuschkau... Hat er seine Leute beisammen? ... Wie?... Ja, und die Geschütze... Hast du den Klenau eingezeichnet?... Gut!... Die Haufnitzen und Bombarden auf den Lochotinhügel wegen guter Einsicht... Weiter!... Halt!... Laß das jetzt, Pardusch... Spürst du Mut und Willen für eine große Sache?...
Pardusch: Und da fragst du, Bruder?
Prokop: Reiter brauchen wir bei der Belagerung nicht... Was hast du gesagt, Tschapek?... Pardusch nimmt... Wieviel Reiter sind's?... Ich glaub sechstausend etwa... Du nimmst die berittenen Genossen, Pardusch, und gehst über die bayrische Grenze... Bis Cham und weiter noch... Mach Beute und brenn ein paar Dörfer zusammen!... Das Wichtigste aber: Proklamier unsre Artikel, wo du kannst!... Weiter!... Was wollt ich nur sagen?... Der Nacht-Ritt hat mich ganz wirr gemacht... Ja, Propaganda, Pardusch... Wie Julian, wie die Kirche... Übers Jahr sollen die Bauern und Werkleute draußen im Reich unsre Brüder sein... Ich hab dem Konzil ein Kreuzheer versprochen... Es kommt jemand... Die Lischka vielleicht... Öffnet die Tür, sieht hinaus und schließt sie wieder... Proklamier die Artikel, Pardusch...
Tschapek: Deine eigene Stellung ist im Plan noch nicht eingezeichnet, Prokop...
Prokop: Später, Brüder!... Mich schmerzt der Kopf... Pardusch, hast du das Schriftliche bei dir? Setzt sich.
Pardusch nimmt Blätter aus einer Mappe: Die Kriegsordnung zunächst. Nach deinem Befehl.
Prokop überfliegt unaufmerksam das Blatt: »Bier und Wein verboten... Abendsuppe gestrichen... Karten und Würfel untersagt... Jede Buhldirne, die sich im Lager betreten läßt, verfällt dem Schwert...« Gut! Unterschreibt.
Pardusch überreicht ein Blatt nach dem andern: Die Ächtungs- und Todesbriefe!
Tschapek lauernd: Einst wolltest du Acht und Todesstrafe ächten, Prokop! Sieh da, jetzt hast du die Meinung getauscht.
Prokop starrt ihn abwesend an: Ich hab die Meinung nicht getauscht, Tschapek... Nimmt Blatt für Blatt in Empfang. Rosenberg? Tot! Unterschreibt. Sternberg, Neuhaus, Riesenburg!... Sorgt dafür, daß es nicht Papier bleibt... Unterschreibt. Die Basler Konzilsgesandten? Welcher Esel hat das ausgefertigt? Kein Haar wird ihnen gekrümmt. Zerreißt das Blatt. Rokycana? Weiter! Warum Rokycana? Eine große Seele! Vielleicht?! Wer nicht für mich ist... Unterschreibt. Weiter!... Was ist mit mir? Paß doch auf, Pardusch! Ein leeres Blatt gibst du her und ich hätt's fast unterschrieben... Weiter! Prschibik von Klenau... Was heißt das?
Tschapek hat sich hinausgeschlichen.
Mutter steht da: Bist du nun wieder hier, mein lieber Sohn?
Prokop: Mutter...
Mutter: Laß mich dein Gesicht fühlen! Sie tastet nach seinen Wangen. Ich hab mit dir zu reden. Setz dich! Und gib mir einen Stuhl!
Prokop: Was hast du nur...
Pardusch hat die Dokumente zusammengerafft und ist fort.
Mutter: Bist du allein?... Wo ist deine Hand? Da! Ich glaub, wir sind jetzt allein...
Prokop: So red doch endlich, Mutter...
Gasse in der Prager Neustadt.
Elisabeth mit Zeichen höchster Erregung wartend.
Klenau kommt.
Elisabeth: Zwei Stunden hat's gedauert, Klenau... Ich...
Klenau: Ja, Lischka, auch ich bin enttäuscht, daß ich noch leb...
Elisabeth: Du... Sie faßt seine Hände.
Klenau sich loswindend: Wie schön wär das Leben, hätt Prokop das Todesurteil erlassen wider mich... So aber...
Elisabeth: Müssen wir denn in Böhmen bleiben? Ist die Welt nicht groß genug?
Klenau: Ja, das glaub ich dir... Ein echter Weiberwunsch... Keine Vergangenheit... Kein Gedächtnis... Man übersiedelt in ein andres Leben, nichts weiter... Aber du irrst dich... Es gibt kein Loch für mich, zu entwischen... Jetzt weniger denn je... Er hat mir den Pardusch geschickt...
Elisabeth: Und... Er... Was sagt er von mir...
Klenau: Von dir, Lischka?... Du lebst nicht... Ich aber hab den Befehl bekommen, mit meinen Zwölftausend vor Pilsen zu lagern... Ich und kein andrer... Als wär nichts geschehn... Das ist Er...
Elisabeth: Und du? Du wirst doch nicht, du kannst doch nicht...
Klenau: Ich werde, Lischka! Heut oder morgen zieh ich nach Pilsen... Den Gehorsam hab ich zugesagt... als wär nichts geschehn...
Elisabeth: Und ich bleib allein? Jetzt allein? Wo soll ich denn leben? Und wie? Nein, du willst mich nur quälen...
Klenau: Hör mein Geständnis, Geliebte!... Könnt ich dich hier stehn lassen wie einen ehrlosen Gedanken, dich abschütteln wie einen argen Traum... ich tät's...
Elisabeth: Das sagst du, du?... Und hast mich in dieses Schicksal gerissen?
Klenau: Alte Lügen, Lischka! Das Weib verführt und nicht der Mann.
Elisabeth: Und an dich hab ich geglaubt, und an dein Rittertum... Betrüger dort und hier!!
Klenau: Dumme Worte, Geliebte! Du hast immer nur an deinen eignen Hochmut geglaubt. Sie weint fassungslos. Hätt ich doch auch Tränen...
Elisabeth: Geh zurück... Weg von mir... Zurück zu Prokop ... Rühr mich nicht an... Ich brauch dich nicht... Lieber sterb ich auf der Straße... Fort... Ich will sterben...
Klenau zieht sie an sich: Nein, meine süße Lischka... Ich lieb dich ja so sehr... Alles kommt, wie's kommen muß... Schritt für Schritt weiter in den Dreck... Unsre Liebe kann nicht vergehn... Die Schande ist ein wollüstig Gift... Nie werd ich dich verlassen... Sei ruhig... Komm, wir wollen uns ein höllisch liebes Nest bauen... Warum weinst du?... Ich hoffe zu Gott, daß unsre Seele verweslich ist... Dann gibt's keine Schuld... Komm, süße Lischka, meine Geliebte...
Elisabeth noch immer fassungslos weinend: Weg!... Lieber auf der Straße... sterben... Er führt zärtlich die Schluchzende ab.
Auf dem Hradschin zu Prag. Vorhalle eines großen Festsaales auf der Prager Burg. Durch viele hohe Türen, die in den Saal führen, dringt Musik. Im Hintergrund des Raumes ein langer Tisch mit Erfrischungen und Speisen. Aufwärter bedienen einige Gäste vor diesem Büfett. In der Mitte ein kleinerer Tisch. Rosenberg links vorne mit Ach und Ichgereut.
Rosenberg: Hast du die Wiener Münzen in Umlauf gesetzt, Ach?
Ach: Ja, mein Überwindet sich. lieber Rosenberg... Das österreichische Geld ist gottlob noch weniger wert als unsres. Fünf Wagenladungen davon hab ich über die Grenze gepascht...
Ichgereut: Lauter Blei und kaum mehr ein Quant Kupfer... Lange Menschenreihen stehn vor den Brotläden... Wie soll das weiter gehn?
Rosenberg: Gut wird's gehn, Ichgereut. Nur muß geschwind Gold und Goldeswert aus dem böhmischen Leben verschwinden.
Ichgereut: Mein Gold liegt längst bei den Nürnberger Wechslern... Hier aber wird alles zusammenbrechen...
Rosenberg: Dieser Zusammenbruch ist natürlich die Sehnsucht jedes betrübten Patrioten...
Ach, der zum Erfrischungstisch gegangen ist, kommt mit einem Teller voll Backwerk zurück.
Unser Ach sorgt für die Hungersnot vor... Liebe Freunde, vergesset nicht, daß mit dem Gelde auch der Wert des Bodens sinkt. Ihr werdet mit Gottes Hilfe halb Böhmen für einige Goldgulden zu kaufen bekommen.
Ichgereut: Was für Gedanken?... Ein edler Graf?... Ich als anständiger Kaufmann...
Sternberg hinzutretend: Kein Kaufmann ist anständig.
Ichgereut: Erlaubt...
Sternberg: Wohltüchtiger Wehlaut und ehrenfester Gewissensbiß! Ist es nicht euer sehr gieriges Bestreben, den Haber billiger zu erstehn und teurer zu veräußern, als er wert ist? Unterbieten und überhalten, das ist die eingeborene Wissenschaft des Kommerzes, die Theologie des weltgroßen Geldsacks. Nur kein anständiger Kaufmann! Gegen Betrüger hab ich nichts. Scheinheilige Betrüger sind zum Kotzen! So! Jetzt geh ich an mein Tagewerk. He, Kellner! Setzt sich an den Tisch und beginnt zu trinken.
Ach ablenkend: Dürfen wir mit unseren Damen aufwarten?
Die Bürger holen zwei aufgedonnerte Matronen vom Erfrischungstisch, die vor Rosenberg einen schüchternen Knicks vollführen.
Ach und Ichgereut gleichzeitig: Meine Frau Gemahlin... Der Herr von Rosenberg!
Rosenberg überströmend: Schöne und edle Damen! Der Tanz beginnt. Erlaubt, daß ich Euch zum Saal geleite. Mit den Bürgern und ihren Frauen bis zur Saaltür.
Sternberg: Ulrich! Du bist zum Kotzen!
Rosenberg: Wer wahrhaft ein Herr ist, hat auch den Mut zur schlechten Gesellschaft.
Sternberg: Gestern habt Ihr Euch noch vor den Achtbriefen Prokops in stinkigen Winkeln verkrochen. Und heut, da die Brüderbesatzung von Prag abgezogen ist, nur um Pilsen zu zerstören, feiert Ihr Befreiungsfeste! Die gute alte Zeit kehrt wieder für ein Stündchen wie's Rülpsen. Die ältesten Kacker des Königtums kadavern furchtlos herum. Adlige Bettelnasen umschnüffeln den Freitisch. Grinsende Jungfrauen aus dem vorigen Jahrhundert hopsen zu einer Musik, die runzlig ist wie sie selbst. Rosenberg streichelt bürgerlichen Mastweibern die Wurstfinger. Kehrt Prokop aber morgen zurück, fährt alles wieder in die Rattenlöcher hinein... Man könnt hussitisch werden!
Rosenberg: Du bist es schon. Denn hinter der Larve eines Lotters birgst du tugendgeifernde Grundsätze. Warum sollen wir uns nicht vergnügen? Pilsen ist stark, und die Basler Konzilsgesandten sind eingetroffen. Wenn man die Leute durch Festivitäten am Nachtschlaf hindert, legt man sie bis Mittag politisch lahm... Kennst du den Grund der wirklichen Erfolge im Leben?
Sternberg: Ungestüm!
Rosenberg: Nein, Gleichgültigkeit!... Man muß zuwarten können, bis die Ideale des Gegners auf den Hund gekommen sind.
Eine meldende Stimme: Seine Durchlaucht, der Herr Reichsverweser des Königs in Böhmen.
Tusch. Unter Vorantritt eines Herolds und eines Standartenträgers kommen Alesch und Drahomira von Riesenburg mit Schleppträgern und Gefolge.
Drahomira flüstert ihrem Gemahl letzte Mahnungen zu: Denk dran, lieber Freund! Nur keine langen Sätze! Regierende Personen geruhen immer nur kurze und unbestimmte Sätze zu sprechen. Vergiß auch nicht, dich an jedes Gesicht gnädigst zu erinnern, das du nicht erkennst. Regierende Personen erinnern sich immer, wenn sie sich nicht erinnern...
Gäste kommen aus dem Festsaal und bilden einen Zirkel um den Reichsverweser.
Drahomira tritt zu Rosenberg: Lieber Rosenberg, laßt Euch nicht anmerken, daß wir Wichtiges besprechen... Die Leute sollen glauben, ich zieh Euch nur in meine huldvolle Unterhaltung... Ach, wie brauch ich Euren Rat, Rosenberg... Wir, das heißt der Graf, mein Gatte, wir haben sehr gezögert, unser hohes Amt anzutreten... Unsere Macht stützt sich ja nur auf ein paar Burgen, auf Pilsen und jetzt auf Prag... Mein Gott, auf Prag?... Auf den Hradschin... Die Sache steht kläglich... Wann endlich werden Eure Bauernwehren marschieren, Rosenberg?... Zu alldem jetzt noch die Konzilsgesandten... Kardinal Julian ist mit dem Papst zerfallen... Wird er da auf unser hohes Amt gebührend Bedacht nehmen?...
Rosenberg will etwas sagen.
Still! Laßt mich doch um Gottes willen ausreden... Euren Rat brauch ich, Rosenberg... Gesetzt, unsre Partei behält Oberhand... Aber da wird ja Kaiser Sigismund höchstselbst die Regierung antreten... Und unser hohes Amt ist überflüssig... Man trägt doch jetzt sozusagen eine Krone, Rosenberg... Und dann... Gewiß, wir empfinden streng kaiserlich... Aber wir empfinden auch national... National, Rosenberg, ernsthaft... Suchet einen Ausweg... Ich wünsche, daß die Lage sich bessert... Aber sie soll sich nicht zu sehr bessern... Ich bin glücklich, daß Ihr der gleichen Ansicht seid...
Rosenberg versucht wiederum, zu Worte zu kommen.
Ihr meint, daß man aus unserm Amt für alle Fälle eine bleibende Einrichtung machen könnte... Ja, das müßt Ihr beim nächsten Landtag durchsetzen... Dieser glänzende Einfall ist Euer würdig...
Riesenburg nähert sich: Lieber Engel... Unsre Gäste warten im Saal...
Drahomira: Dank, Rosenberg, für Eure vielen guten Ratschläge!! Riesenburg und Drahomira mit Gefolge ab in den Festsaal. Starke Musik drinnen.
Sternberg: Daß du diesen finstern Krippenreiter der Korrektheit samt seiner Schnattergans erhöht hast, Ulrich, versteh ich nicht...
Rosenberg: Nichts einfacher! Geht's schief, wird man ihn früher hängen.
Sternberg: Du bist ein zielbewußtes Schwein, Ulrich!
Rosenberg: Zielbewußt? Nein, spielbewußt!... Was wißt ihr von mir?... Meine toskanische Rosenzucht ist mir wichtiger als ganz Böhmen.
Neuhaus eintretend: Wieder ein lästiger Zwischenfall. Unsre Streifung hat in seiner Altstädter Wohnung den Rokycana aufgegriffen. Rokycana wird gefesselt von einer Wache hereingeführt.
Rosenberg: Es ist mir sehr unlieb, Ehrwürden Rokycana, Euch hier zu sehn. Warum seid Ihr nicht mit den Brüdern fortgezogen oder wenigstens in die hussitische Neustadt übersiedelt?
Rokycana: Sehr erklärlich, da Prokop einen Preis auf meinen Kopf gesetzt hat. Ferner pfleg ich mich von den Welthändeln nicht stören zu lassen, wenn ich ein neues Buch schreib.
Rosenberg: Die Brüder gegen Euch?!
Rokycana: Herrschen Bodensatz und Abschaum, werden nur stiere Jasager geduldet!
Sternberg: So erkennt auch Ihr endlich, daß der Bodensatz herrscht?
Rokycana: Ja, dort der Bodensatz und hier der Abschaum!
Rosenberg: Eure Partei...
Rokycana: Meine Partei ist der Geist.
Rosenberg: Da habt Ihr nicht weit zum Heiligen Geist.
Rokycana: Ihr vertragt nur Leute, die Ihr einteilen und beziffern könnt wie der Greißler seine Säcke. Die politischen Parteien hätten lieber hundert Halunken und Seelenverkäufer, als daß sie einen unabhängigen Kopf dulden...
Rosenberg: Sehr wahr, Rokycana! Denk ich an die Leute, deren Gesinnung man teilen muß, erscheint mir Gesinnungslosigkeit als einzige Gesinnung!
Meldende Stimme: Die Herren Legaten des Konzils!
Tusch.
Kardinal Julian und Erzbischof Philibert, hinter ihnen einige Kleriker, alle in groben Soutanen.
Julian: Wir kommen in diese Räume, nicht um an Eurem Fest teilzunehmen, sondern weil wir von der Gewalt vernommen, die Rokycana widerfährt. Tretet zu uns, Rokycana. Wo wir sind, ist das Konzil und im Konzil die Kirche.
Rokycana: Ich trete zu Euch. Mögt Ihr auch unrecht im Geiste haben, so ist das Unrecht des Geistes doch göttlich neben dem Recht der Bestie.
Julian: Höret ihr alle! Wie wir hier Rokycana in unsere Mitte nehmen als Beistand und Bruder, so auch würden wir Prokop in die Mitte nehmen ohn Eifer und Rachsucht. Wir kennen keinen Feind in Böhmen. Für alle Ewigkeit verfluch ich die Gewalt, für alle Ewigkeit die Hand, die einen Tropfen Blut vergießt um menschlicher Meinung willen... Wir tun euch kund, daß wir bei Tag und Nacht in unsern Quartieren bereit sind, jedwedem Gewissen Rede zu stehen.
Philibert: Erlaubt, viellieber Rokycana, daß ich Euch von den Fesseln befreie...
Rokycana: Nein, ich dank Euch. An meinen Händen sollen hier alle sehn, daß in dieser Welt der freie Geist gebunden bleibt.
Julian: Ich fordre Euren reinen Namen, Rokycana, damit Ihr mit uns über Burg und Städte Prags eine vierzigtägige Buße für zehntausendtägige Sünden verhänget. Es soll kein Fest gefeiert, kein Gelag gehalten werden. Zu jeder Stunde muß der Beichtstuhl offenstehn und das Gebet darf nicht erlöschen. Lasset uns in diesem Saale mit der Bußverkündigung den Anfang machen!
Ab mit den andern Legaten und Rokycana. Starke Musik im Saal, die abbricht.
Sternberg zu Rosenberg, Neuhaus und andern Herren, die sich versammelt haben: Da habt ihr's. Der Kardinal beleidigt den Adel. Die Kirche wird immer zweideutig bleiben. Auf uns steht die Sach allein. Wir müssen den Hunden bei Pilsen in den Rücken fallen. Es ist Dreinschlagens Zeit, Rosenberg!
Rosenberg: Noch ist der Augenblick nicht da...
Prschibik von Klenau steht plötzlich im Raum. Die Herren fahren zurück und ziehen.
Die Herren: Verrat!
Klenau: Verrat und tausendmal Verrat!
Die Herren dringen auf ihn ein. Er verteidigt sich. So viele Halunken gegen einen einzigen Schurken!? Was wollt ihr von mir, Herrschaften? Er wirft den Degen fort. Sagt mir lieber, was für Wämser und Schuhe ein hoher Adel derzeit bevorzugt... Belehrt mich über die Schweinereien, die in der guten Gesellschaft jetzt die feine Mode sind... Ich bin aus der Übung, denn zehn Jahre hab ich der Wahrheit gedient...
Rosenberg: Seht, wo seine Leute sind!... Neuhaus, schlag in der Stadt Alarm!
Klenau: Bleib, Neuhaus! Unser sauberes Geschäft geht ohne Lärm am schnellsten... Meine Leute? Ihr habt nur eine Stunde Weges. Im Scharka-Tal warten sie auf deinen Befehl, Rosenberg. Ich bezahl euch den Zins mit zwölftausend. Jeder Roßknecht ein Ehrenmann wie ich. Für Freibier und einen falschen Soldgroschen sind wir zu haben. Die Pilsner Belagerung war uns zu langweilig. Da haben wir ein zwölftausend Mann großes Loch in den Heer-Ring gerissen... Ich hab Durst, Sternberg! Setzt sich an den Tisch.
Sternberg schiebt ihm ein Glas zu: Ein reuiger Sünder... et cetera...
Klenau: Nüchtern war ich mein Lebtag... Stürzt den Wein hinunter.
Rosenberg: Was heißt das alles?
Klenau: Das heißt... Wär ich doch zehn Ewigkeiten weit vom Leben! Legt den Kopf auf die Arme.
Rosenberg: Wir überzeugen uns selbst und reiten ins Scharka-Tal. Der Bursche muß mit. Das Ding war nicht übel.
Im Saal leiser Miserere-Gesang.
Klenau: Einen hübschen Grabgesang habt ihr bestellt...
Aus dem Festsaal kommt eine Gruppe Menschen. In ihrer Mitte Ichgereut, der halb ohnmächtig von Frau und Freunden weggeführt wird.
Neuhaus: Dem Bürger-Tier ist schlecht geworden. Der Geizhals möcht drei Mittagessen ersparen, kann er einmal umsonst den Bauch vollschlagen.
Klenau aufspringend: Nein, Herrschaften, das ist die Pest! Betet, daß es die Pest sei! Herrgott, schick die Pest über Böhmen! Die Welt soll in Dreck und Eiter ertrinken!... Dann hab ich keine Schuld...
Rosenberg am Saaleingang: Alles rennt dem Julian nach... Wir können ohne Aufsehn davon... Der Augenblick ist da, Sternberg.
Klenau schreit: Die Pest, o Gott, damit ich keine Schuld hab!
Sternberg ihn niederziehend: Kusch und sauf!
Staubige Landstraße. Stascha, Manja und zwei andre Dirnen kommen.
Manja fast fünfzig fahre alt: Prag oder Pilsen! Kinder, jetzt müssen wir uns entscheiden.
Stascha: Macht, was ihr wollt! Ich geh nach Pilsen ins Lager.
Manja: Nicht so hitzig, liebe Tochter... Wohl, in Prag rast die Pest, und die Huren sind immer die ersten, die drauf gehn. Aber ich weiß einen Keller in der Zeltnergasse, wo sie eine Muttergottes verbergen, die sicherer gegen die Ansteckung hilft als Essigschwamm und Räucherwurz... Man darf auch nicht vergessen, daß Pestzeiten ein starkes Geschäft sind. Wer geschickt arbeitet, kann sich nach einem Prager Seuchenjahr zur Ruh setzen...
Stascha: Setz dich nur zur Ruh, Alte! Ich aber will vor Abend noch im Pilsner Lager sein.
Erste Dirne: Was hast du zu wollen, zu befehlen und uns herumzujagen?
Zweite Dirne: Heiß ist es zum Verzweifeln. Seit Wochen kein Regentropfen... Und wir haben erst April...
Manja: In Prag gibt's angenehme Badestuben und bessere Herren.
Stascha: Das Lager ist mir lieber als ganz Prag mitsamt seinen besseren Herren.
Erste Dirne: Sie hat dort gewiß einen Geliebten.
Stascha: Ich hust auf jeden Geliebten. Keinen Menschen hab ich dort.
Manja: Es ist auch gefährlich. Die Feldordnung verhängt den Tod über die freien Huren, weil sie das Geschäft der angetrauten Kriegerweiber stören.
Stascha: Ich hust auf die Feldordnung. Wo ich krepier, ist mir gleich. Das ganze blöde Ringelspiel ist mir gleich.
Manja: Warum willst du dann...
Stascha: Muß man immer wissen, warum man will...
Erste Dirne: Es ist klar. Sie hat einen Geliebten im Lager...
Zweite Dirne: Es könnt der Prokop sein, so aufgeblasen ist sie.
Erste Dirne: Irgendein Fuhrknecht genügt auch. Was, Stascha?
Stascha: Sag das noch einmal!
Erste Dirne: Du hast einen Fuhrknecht im Lager...
Stascha stürzt sich auf sie.
Manja wirft sich zwischen beide: Wenn jemand kommt!... Habt ihr gar kein Standesbewußtsein?... Wer Frieden hält, kriegt was Gutes... Sie zieht eine Schnapsflasche hervor. Die Dirnen greifen darnach. Stascha entfernt sich.
Manja: In dem Mädel steckt etwas... etwas... Was täten wir ohne sie?... Sie braucht uns nicht... Wie sie geht, das Mädel!
Zweite Dirne: Vor Pilsen können wir schon heut abend sein, in Prag erst morgen mittag...
Manja: Der Grund ist gut. Kinder, mir tun die Fuß sehr weh. Bis nach Prag könnt ich's gar nicht aushalten. Müd bin ich, denn hinter mir liegt ein arbeitsames Leben... Seht ihr dort die Prozession? Die Bauernweiber tragen die Mořena, die Totenpuppe zum Fluß. Das bedeutet Glück für uns... Kommt, holen wir die Stascha ein!
Alle ab.
Lager vor Pilsen. Eine Scheune, Prokops Hauptquartier. Schlafpritsche, Tisch mit Büchern und Schriften, mehrere Ausgänge, Prokop am Tisch, Hostinsky davor.
Hostinsky: Bruder Prokop! Kein leichter Bursche spricht zu dir, sondern der Onkel Hostinsky, der gestern sechzig alt geworden ist und alle Speisen gegessen hat, die das Leben zubereitet. Meiner Tage war ich nicht weinerlich, nein, ich bin ein kriegstüchtiger Bruder trotz dem Bauch da, den mir Gott zugewogen. Dennoch bitt ich dich, Prokop, von der Härte der Kriegsgesetze abzulassen in diesem Fall.
Prokop: Ein für allemal: Nein! Reinheit und Mannszucht sind gefährdet.
Hostinsky: Wären es nur Männer! Aber es sind doch vier arme Weiber, die in diesen hungrigen Zeiten auch zu ihrem Brot kommen wollen. Vier böhmische Seelchen. Ich red nicht als Wollüstling, denn ich bin nichts als ein freudiger Esser vor dem Herrn... Lassen wir die Täubchen fliegen...
Prokop: Nein! Aufs einzelne Leben kommt's nicht mehr an jetzt.
Hostinsky: Wo ist da die Grenze?... Ich hab die Weiblein in ihrem Kotter besucht... Ein Mädel ist darunter, ganz jung und seltsam... Du sollst sie alle sehn... Geht zum Ausgang und gibt einen Wink.
Stascha, Manja und die zwei Dirnen werden hereingeführt.
Manja: Gnädiger Herr Bruder! Das ist doch alles ein Unsinn. Warum wollt Ihr vier unschuldige Frauenzimmer umbringen?
Prokop: Habt ihr die Kriegsordnung gekannt?
Manja und die zwei Dirnen durcheinander: Nein... Ježischmária... bei der heiligen Jungfrau, nein... beim heiligen Märtyrer Hus... Nichts haben wir gekannt... Gnade, Gnade, Herr Bruder... Hab mich geplagt mein Lebtag... Meine Ersparnisse... Gnade...
Prokop: Die Straf müßt ihr erleiden...
Stascha bisher hinter den andern versteckt, tritt vor: Bruder Prokop!
Prokop nach einem langen Schweigen: Stascha...
Stascha: Bin ich wirklich so sehr schuldig, lieber Bruder, daß ich sterben muß...
Stascha greift nach seinen Händen: Es ist lange her... So lange... Erinnerst du dich...
Prokop: Ja, Staschenka...
Stascha: Erst hab ich's nicht verstanden... Aber diese Nacht heut... Schick mich zu Mutter... Wichtig ist nur das Leben... Deine Worte... Dreh das Leben zurück... Leise, wie trunken. Heut nacht... Es sind ja nur drei Jahre... Wir wollen sie vergessen... Schick mich zur Mutter...
Die Dirnen knien winselnd nieder.
Prokop: Ich kann nicht...
Stascha: Ich bin doch nur zu dir hierher gekommen... Von sehr sehr weit nur zu dir... Gestern hat man uns geschlagen... Das tut nichts, Prokop... Wir wollen vergessen... Schick mich nach Haus... Bist du denn nicht mein Bruder...
Prokop: Gerade darum... kann ich nicht...
Stascha Singsang: Gerade darum... Erwachend. Gerade darum kann er's nicht... Aufkreischend. Gerade darum... Hört ihr's?... Er fürchtet sich... Man wird ihn für ungerecht halten... Da seht ihr wieder, was für Feiglinge die Männer sind... Eitle Schwindler... Feige Gaukler... Schweine...
Alle Dirnen: Schwindler... Gaukler... Schweine...
Prokop: Fort!
Die Weiber werden hinausgeschleppt.
Hostinsky: Gleich??
Prokop winkt kaum merklich mit der Hand. Hostinsky ab. Prokop wirft sich auf die Pritsche.
Tschapek tritt ein: So geht's nicht weiter, Prokop... Vorhin begegnet mir der Hundsfott von einem Rottmeister, der Tvaroch, und grinst mir ins Gesicht, ohne zu grüßen... Das ist Meuterei... Schuld ist die ekelhafte Geschichte mit deiner Lischka... Sie bringt uns um alle Achtung... Hättest du den Klenau verurteilt und seine Rotten zurückgeholt...
Prokop richtet sich auf: Wichtig ist nur der Tod...
Tschapek:... Fieberst du?
Prokop: Vielleicht kann man das Unglück noch aufhalten...
Tschapek: Nur eins kann das Unglück aufhalten, Prokop... Fort von Pilsen!... Wir richten nichts aus... Jetzt schießen sie den ganzen Tag schon von der Stadtmauer Fässer mit Unrat ins Lager... Ich selbst ertrag den Gestank nicht mehr... Hungernde Truppen brauchen Erfolge... Die Prager Neustadt ist mit uns... Gib Befehl gegen Prag...
Prokop: Was leierst du da?... Ich faß kein Wort davon... Laß mich allein...
Tschapek: Und dich nennt man einen großen Führer, Prokop?!... Warum muß ich dir ein Leben lang nachstehn?... Bei meinem Zug nach Danzig gab's kein Hin und Her... Aber einen selbständigen Mann duldest du ja nicht... Wär nur der Pardusch mit seinen unvergifteten Reitern schon aus Bayern zurück...
Lärm draußen. Die Scheune füllt sich mit bewaffneten Brüdern, die erregt durcheinander schreien. Pardusch, den viele Fäuste festhalten, wird hereingestoßen. Zuletzt kommen Stepanek und Tvaroch.
Tvaroch setzt sich breitspurig auf einen Stahl: Da hätten wir also die lieben Verräterchen alle beisammen.
Pardusch: Loslassen!... Ich steh meinem Feldherrn Rede, sonst keinem... Bruder Prokop... Ich hab dein Vertrauen getäuscht. Ob ich schuldig bin, weiß ich nicht... Die Verantwortung trag ich... Verhäng nach Kriegsrecht die Strafe über mich... Wir sind in eine blutige Herren-Falle geraten... Bei Holtersried... Sie hatten Wagen und Geschütz... Von sechstausend Reitern bring ich zweihundert ins Lager...
Die Brüder: An den Galgen, du Hund!
Prokop: Laßt ihn los!
Tvaroch: Wie die Herrchen zusammenhalten! Braucht ihr einen besseren Beweis? Der eine verkauft sein Weib dem Verräter, der andre führt unsre Brüder in den dreckigen Tod. Abgekartete Sache! Seht, sie verzeihen einander, die großen Herren! Schläft aber ein gemeiner Bruder auf Posten ein, wird gleich der Truppenhenker geholt... Stepanek!!
Stepanek: Damit ihr's wißt, ihr da! Von heut an, sag ich, seid ihr abgesetzt! Der Brüder-Rat ergreift die Macht, um den Verrat Tabors zu hindern. Entwaffnen!
Dem Tschapek und Pardusch werden die Waffen abgenommen. Dicht neben Prokop, der geistesverloren dasteht, treten zwei Brüder.
Dem Bruder Tvaroch, unserm Helden aus Žižkas goldner Zeit, wird der Oberbefehl übertragen!
Die Brüder: Tvaroch lebe!
Tvaroch: Ich übernehm hiemit den Oberbefehl. So!... Doch mit euch, ihr Pfaffen, hab ich noch ein Wort zu reden. Ja, verkleidete Pfaffen seid ihr. Auf unserm Rücken, auf dem Rücken des wahren Volkes wollt ihr groß und fein sein. Wir sollen im Gleichschritt marschieren, damit ihr frei tanzen könnt. Was? Ihr Heuchler und Zweifler habt uns verschachert. Er fegt wütend alle Bücher vom Tisch und tritt auf sie. Bücher, nichts als Bücher! Mit dem tintigen Hochmut prellt ihr uns... Brauchen wir euch denn? Einen Dreck brauchen wir euch! Das, was ihr mehr gelernt habt als unsereins, brauchen wir vielleicht. Deshalb dürft ihr auch, wenn ihr euch unterwerfet, als gemeine Feldbrüder in den Rotten weiterdienen... Den Pardusch vorführen! Pardusch wird zu ihm hingestoßen. Der Strafe entgehst du nicht. Doch will ich sie aufschieben, wenn du niederkniest...
Pardusch: Nein, du linker Schächer! Es lebe Prokop!!
Tvaroch: Abfertigen! Pardusch, der um sich schlägt, wird hinausgetragen. Tschapek! Man stößt Tschapek vor. Was ist mit dir, Tschapek? Hältst du was vom Leben?!
Lange Pause.
Tschapek: Um der guten Sache willen... unterwerf ich mich... Laßt mich in mein Lagerviertel gehn...
Tvaroch: Bleib ihm auf den Fersen, Stepanek! Tschapek ab, Stepanek hinter ihm. – Geschützdonner. Die Pilsner Herren beehren uns wieder mit ihrer Scheiße. Stolzierende Schritte. Jetzt wird's anders werden. Jetzt hab ich den Oberbefehl. Žižkas Zeit kommt wieder. Sie sollen nicht spielen mit mir!... Oha! Ein Brüderchen ist übriggeblieben... Hostinsky kommt.
Prokop ihm entgegen, als würde er in diesem Augenblick aus einem Traum erwachen: Mein Befehl gilt nicht mehr. Aufhalten, Hostinsky...
Hostinsky: Das hätt ich früher wissen müssen...
Prokop: Hostinsky...
Tvaroch: Seht den betrüblichen Pfaffen... Er kann's nicht verschmerzen... Was gilt ihm das Ganze, wenn er nicht oben ist... Du, Prokop, warum nimmst du nie ein Schwert in die Hand?... Dominus vobiscum, was?... Aber der Generalsplatz hinter der sechsten Linie ist halt so sicher, wenn's vorne schneibt und hagelt...
Prokop: Es ist noch nicht... Hostinsky...
Tvaroch: Regieren, sekkieren, malträtieren... Das schmeckt... Steuern ausheben und wie ein König leben... Wir aber haben nichts zu fressen, nichts zu saufen... Außen der Rock des Feldbruders, innen seidene Wäsch... He, Prokop... Wie geht's deiner Frau...
Prokop aufbrüllend: Wer spricht mit mir?
Tvaroch: Ich! Er hebt den Stuhl und läßt ihn auf Prokop niedersausen, der zusammenbricht.
Die Brüder dumpf: Pfui Teufel, Tvaroch... Was tust du... Es ist doch Prokop... Prokop... Schäm dich... Du Rohling...
Tvaroch: Ich glaub, hier muckt jemand auf... Ich will euch zeigen, was Befehl heißt... Bei mir geht alles einfach... So wie den da werd ich alle Halben und Lauen zerschmettern... Habt acht!!... Und hinaus zum Sturm!
Die Brüder totenstill ab. – Tvaroch hinter ihnen. – Starker Geschützdonner.
Hostinsky über Prokop gebeugt: Lebst du, Prokop... Kannst du aufstehn... Ich bin's, Hostinsky...
Prokop macht eine wilde Armbewegung zur Tür.
Hostinsky zögernd rechts ab.
Prokop erhebt sich abgewandt, verhüllt sein Gesicht mit dem Mantel und taumelt links hinaus.
In Prag. Es ist Nacht. Einige alte Weiber beginnen die Straße mit großen Besen laut zu kehren.
Erstes Weib: Die Prager Ratsherren haben noch zweihundert andre alte Baben aus den Armenhäusern zum Straßenkehren befohlen...
Zweites Weib: Warum grad aus den Armenhäusern?
Erstes Weib: Weil sich selbst die Pest vor uns ekelt.
Zweites Weib: Das glaub ich. Bei der Ernährung! Weswegen muß denn gekehrt werden?
Erstes Weib: Ein Gelehrter hat auf dem Rathaus vermeldet, daß nur absonderliche Reinlichkeit die Pestilenz beschwören kann.
Zweites Weib: Meister Blödian!... Kehraus und kehrein! Wir stänkern die Luft voll, und die Erd wird nicht rein... Nichts als Papier, verwestes Papier...
Erstes Weib: Ja, Papier, Papier... Zwanzigjähriger Ketzermist... Kehrt, kehrt!... Plakate, Aufrufe, Artikel, Proklamationen... »Die Erde Gottes gehört allen Menschen«... »An das Prager Volk«... »An das tschechische Volk«... »An alle Völker«... »Nieder mit den Besitzern und den Pfaffen«... »Kein Bauer soll schuften für den Herrn«... »Kein Mensch soll hungern mehr«... Kehrt, kehrt!... Faules Wort-Laub... Hunger, Hunger, Hunger...
Alle Weiber indem sie wütend kehren: Hunger... Hunger... Hunger...
Zweites Weib: Kehrein und kehraus! Wir sind die ersten und letzten im Haus. Habt ihr's überlegt schon? Immer, eh aufgesperrt und wenn geschlossen wird, rücken wir ein. Wir sind der Anfang und das Ende. Und dafür zahlt uns der Stadtrat nur einen Stundengroschen... Ein blecherner Glockenschlag. Die Pestträger!
Erstes Weib: Ich glaub, wir haben unsern Stundenlohn ehrlich hereingekehrt und der Reinlichkeit Genüge getan... Hier in der Näh kenn ich einen Nachtwirten. Vielleicht schenkt er uns einen Sautrank, wenn wir die Säuberung in seine Höhle tragen...
Weiber ab. Blecherner Glockenschlag.
Leerer Raum. Nacht. Zwei Lichtkegel. Im rechten: Hohes offenes Fenster. Davor Julian. Im linken: Ein Bett. Darauf der kranke Prokop. Langsam schweres Tacken eines unsichtbaren Pendels.
Julian in die Sterne blickend: Gott... Gott...
Prokop wirft sich hin und her: Schlaf... Schlaf...
Julian: In dieser Nacht will ich nicht schlafen... Ich will wachen allein mit Dir, o mein Gott... Nie war ich stärker durchströmt von Deiner Gnade und Gewißheit...
Prokop: Warum... Wozu... Diese ewige Uhr... Ruhe... Abstellen...
Julian: Sie leben nur in Zeit und Bewegung... Daraus quillt der Irrtum... Ich aber trinke jetzt Deine ewige Festigkeit, Deine unwandelbare Stille...
Prokop: Carolinum, großer Hörsaal... Gegenbeweise... Mein Milchglaube... Haha... Mutters angebrannte Milch... Jetzt hab ich auch keinen Milchunglauben mehr... Milch-Unglauben... Nicht einmal Wasser hat man mir für die Nacht hergestellt.
Julian: Ich will wachen und beten... Ich will mich unterreden mit Dir wegen dieses Volkes... Ich liebe dieses herbe Volk... Wegen seiner Empörung lieb ich es... Denn diese Empörung, auch sie ist Sehnsucht nach Dir...
Prokop stützt sich auf: Reich Gottes auf Erden?... Machen wir's uns klar, sagt Rokycana... Warum? Damit es allen wohlergehe... Warum soll's dem Pack wohlergehn?... Damit jeder zu fressen hat?... Damit das Vieh ins Heiligste hereinreden darf?... Damit der Tvaroch emporkommt... He, was?... Tvaroch, überall Tvaroch... Alles für Tvaroch... Tvaroch das Hochziel!... Und darum... fällt zurück. Vielleicht hat Tvaroch recht... Vielleicht ist Fressen und Stinken der Sinn des Weltalls...
Julian: Sie sind wie Kinder, die im Staub spielen... Und so überschätzen sie den Staub...
Blecherner Glockenschlag.
Prokop: Die Pestglocke...
Vermummte Pestleichen-Träger gehen mit einer Bahre vorn über die Rampen-Straße. Voran ein Mann mit Vogelschnabelmaske und einem langen Stab.
Julian: Du strafst sie hart... Erbarm Dich ihrer, o Herr...
Prokop: Nein... Ich bin nicht angesteckt... Ich nicht... Nur die Motten waren im Pelz... Ich?... Bin ich denn noch ich?
Julian: Du weißt, daß ich vor wenig Stunden den Herren und Großen dieses Landes den Segen verweigert hab für ihren Kampf... Gewähr mir den Ruhm, dieses Volk zurückzuführen ohne Schwertstreich...
Prokop kniet im Bett auf: Totenmotten... Was geht ihr mich an?... Ich bin Prokop... Bin ich's vielleicht nicht?... Žižkas Vollender... Zwei Kreuzheere geschlagen... Städte und Burgen zerstört... Bis zur Ostsee hinauf, damit Böhmen das Meer berühre... Damit mein Volk... Warum gerade mein Volk... Ist es was Besseres... Kusch, Gedanke... Neue Schlachtordnungen hab ich erdacht... Geschütz und Wagen verbessert... ja... Und sie wären noch weiter zu verbessern... Die Wagen panzern... Für die Geschütze kein sprödes Metall mehr... Man müßte... Aha... Pfui... Er wirft sich zurück. Das ist das Dümmste, das Widerlichste... Stöhnend. Fliegen... Fliehen... Verschwinden...
Julian: Prokop, wo bist du?... Ich rufe dich aus der unendlichen Nacht!... Mögen uns auch die Räume trennen, nur eine kleine Spanne liegt zwischen dir und mir... Bruder Prokop, ich will dir helfen, du einzige Unruhe meines Herzens... Ich suche dich... Tu den kleinen Schritt, und meine Seligkeit ist dein...
Prokop: Nie nie nie wieder... Und wenn sie auf Knien kommen... Nie nie wieder... Keinen will ich sehn... Nicht Lischka, nicht Stascha... Stascha... Nie, nie, nie...
Julian: Hörst du mich, Prokop? Er breitet die Arme aus. Prokop, komm!
Das Licht mit Julian verschwindet.
Prokop: Nie nie komm ich wieder... Nie, nie...
Prokops Licht verschwindet. Blecherner Glockenschlag. – Lange Stille.
Prokops Stimme in der Finsternis: Ist das die Elbe?... Den Brettersteg kenn ich nicht... Der kann ja keinen Menschen tragen... Leises Klopfen. Stascha, du... Stärkeres Klopfen. Du lebst... Lebst du?... Sehr starkes Klopfen... Achtung, nicht auf den Steg!... Was sagst du?... Ich auch?... Ja, wart auf mich... Erstickter Aufschrei. Ah...
Krachendes Zerbrechen von Holz. – Die Tür ist gesprengt worden. – Laternenlicht dringt herein. – Eine kahle, enge Stube wird sichtbar. – Tschapek, Hostinsky, Stepanek vor Prokops Bett. – In der Tür noch andre Brüder.
Hostinsky: Prokop... Bruder... Jetzt ist die Zeit nicht zu Krankheit und Groll...
Stepanek: Der Tvaroch baumelt... gnädiger Bruder Prokop... Dir zur Genugtuung...
Hostinsky ihn fortstoßend: Geh damit... Was bedeutet ein Tvaroch für Prokop?...
Tschapek: Bruder Feldherr... Ich als dein Hauptmann von Anbeginn führ dir das Heer zu... Die Herren rücken mit großer Kraft von Osten heran... Es geht um Tabors Leben... Die Adelswehren stehn schon bei Königgrätz...
Prokop der ruhig aufgestanden ist und sich ankleidet: So? Und wieviel Kriegswagen habt ihr noch?
Tschapek: Fünfhundert Wagen und dreißig Geschütze mit den Kolinern...
Prokop: Zwischen Kolin und Böhmisch-Brod... Tschapek... Wie heißen diese Dörfer?... Wir haben einmal genächtigt dort...
Tschapek: Meinst du Planan und Lipan?
Prokop tritt in die Schuhe: Ja, Lipan! Unsre Stellung!
Hostinsky: Prokop, mein Sohn... Hab gezweifelt an deiner Verzeihung... Sieh nicht her... Ich bin ein abgelagerter Mann... Aber...
Prokop: Mir fehlt etwas in der Hand...
Tschapek: Nimm! Er gibt ihm sein Schwert.
Stepanek starr: Bruder Prokop... Ein Schwert!
Die Brüder die nach und nach die ganze Stube erfüllen: Prokop... Ein Schwert...
Hostinsky, Stepanek und die Brüder: Das erstemal...
Prokop: Das erstemal.
Draußen und drinnen Gesang: »Die ihr Gottes heil'ge Streiter«. Dann Trommeln.
Zwischen Böhmisch-Brod und Kolin. Gesang, Trommelschlag, Geschützdonner verlieren sich nach und nach. – Lange Stille. Ein Zug von Verwundeten in blutigen Notverbänden schleicht vorüber. Stöhnendes Gesumm.
Prokops Haus – Die Stube. Prokop, von Tschapek gestützt, tritt ein.
Prokop: Wer ist das tote Weib im Hof?
Tschapek: Ich hab Boschka, die Magd, erkannt.
Prokop: Sieh nach der Mutter, Tschapek... Sei leise... Tschapek auf Fußspitzen in den Oberstock... Sie haben Brandfackeln ins Haus geschleudert... Er stößt mit dem Fuß eine Brandfackel zur Seite.
Tschapek: Kaum zu glauben... Die Mutter atmet tief und ruhig... Zum letztenmal, Prokop. Ich treib einen Wagen für dich auf, wenn du nicht mehr weiter kannst... Komm mit nach Kolin... Die Stadt ist noch treu...
Prokop: Nein, Tschapek... Geh du allein nach Kolin... Ich bin zu Haus...
Tschapek: Prokop... Wie's auch geworden ist... Für Gutes und Schlimmes, hab Dank... Ab.
Prokop macht einige unentschiedene Schritte gegen die Stiege. Sehr leise: Mutter...
Julian tritt ein: Priester Prokop...
Prokop: Angelo?... Ja... Es ist an der Zeit...
Julian: Einen Tag und eine Nacht lang such ich dich... Auf der Walstatt von Lipan... In verbrannten Städten und Dörfern...
Prokop: Holst du dir meinen Kopf?
Julian: Prokop... Es war nicht mein Krieg, und ich hab ihn verflucht... Nun komm ich zu dir mit demselben Willen wie einst... ich ruf dich mit der gleichen Stimme wie immer... Erlaub, daß ich dich vor den zornigen Rächern schütze... Teil mit mir meine Wohnung!
Prokop: Dank dir, Angelo, daß du gekommen bist... Du bringst mir neue Kraft...
Julian: Heil uns beiden! Trümmer und Irrtum sind nun fortgeschwemmt zwischen uns.
Prokop: Wie du dich irrst, Angelo! Nie war der Abgrund größer. Mich hat die Schwachheit übermannt, und die Toten zogen ein in mich mit ihren Gedanken. Jetzt aber hab ich die Toten begraben. Ich bin wieder gesund. Siehst du nicht, wie gesund ich bin, Angelo? Von unten steigt die rote Gewißheit empor in den Gliedern. Ich bin ein Knabe wieder und unbeirrt. Hörst du, Angelo? Mein Kampf war gut, unser Kampf war gut, und der gute Kampf, er geht weiter...
Julian: Widersprich nur deinen Augen! Aus ihnen weint Licht und Gott...
Prokop nicht laut, fast gepreßt: Gott hin, Gott her! Wahrheit? Gerechtigkeit? Alles nur Worte der Kampflist! Hier, hier! Weichliche Stellen überall, Fallen des Untergangs. Aber es kommen die Harten bald, die über ihr Gewissen nicht stolpern... Schärfer, aber nicht lauter. Hört mich! Hört mich! Von vorn beginnen! Das Ganze noch einmal! Heraus aus den Keuschen! Hervor aus den Höfen! Die Flegel geschultert! Die Äxte geschwungen! Zertrümmert den Gott und zerdrescht diese Erde, die den Reichen und Glücklichen nur gehört!... Was ist eine verlorne Schlacht? Der Krieg geht weiter... Das ganze noch einmal...
Julian: Und sagst du tausendmal Blut und Krieg, sag ich zehntausendmal Geist und Friede!
Prokop: Friede? Friede!?? Hahaha... Hooh... Sein Gelächter geht in einen furchtbaren Wehlaut über.
Julian: Um Christi willen... Du bist verwundet... Du verblutest... Warum hast du nichts gesagt... Dein Leib ist zerfetzt. Fängt den Sinkenden auf... Prokop, vergiß die Welt... Denk an dich... Ein Priester hört dich... Beichte... Damit ich dich leicht und frei hinüber entlasse...
Prokop: Nein!
Julian nestelt das Kruzifix von seiner Brust los: Küß das Kreuz...
Prokop: Fort, goldener Christus...
Julian: Weisest du jeden Dienst zurück...
Prokop sich aufrichtend: Nein, Bruder... In der Küche... Auf dem Bord... Ich verbrenn... Dort hebt die Mutter einen Milchkrug auf...
Julian läuft in die Küche und bringt den Milchkrug.
Prokop: Julian... Er trinkt gierig, setzt ab und stürzt tot zusammen.
Lärm. Rosenberg, Sternberg, Neuhaus dringen in die Stube. Hinter ihnen Bewaffnete mit Fackeln.
Sternberg: Will mir den Burschen von vorn anschaun...
Rosenberg: Prokop... Julian macht ein Zeichen. Es wird still.
Mutter oben auf der Stiege: Boschka!... Was ist das wieder für ein Lärm... Die ganze Nacht... Werden diese Mannsleute nie mehr Ruh geben... Boschka... Wo bist du, Mädel... Stell das Wasser auf... Immer mehr Bewaffnete mit Fackeln... Die Sonne brennt ja schon in die Stube...
Julian: Mutter...
Mutter: Die Stimm kenn ich nicht... Sie tastet sich vor bis zum Tisch.
Julian: Mutter... Seht Ihr nicht Euren Sohn?
Mutter am Tisch festgekrampft: Nein...
Vor dem Feind laßt uns nicht zittern,
Vor Herrn und vor Rittern!
Unser Schrei wird sie zersplittern.
Schreit: Vorwärts! Hrr! Vorwärts!
Gott wird mit Schrecken alle niederstrecken,
Den Tod laßt sie schmecken!
Schlagt sie, erschlagt sie und schonet kein Leben!
In der anderen Strophe vom * wiederholt