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Der Briefwechsel

Zur Beachtung:

Ein Sternchen zwischen zwei Briefen besagt, daß diese Briefe unmittelbar aufeinander gefolgt sind.

Ein Strich zwischen zwei Briefen weist darauf hin, daß der folgende nicht die Antwort auf den vorhergehenden ist, sondern daß dazwischen Briefe ausgelassen sind.

Altenhausen, 29.1.1898.

Hochgeehrter Herr Professor!

Verzeihen Sie einen Besuch, der wohl etwas sehr Ungewohntes in Ihrem Studierzimmer sein wird, und haben Sie ein wenig Geduld – ich will versuchen, so kurz zu schreiben, wie es einer Frau möglich ist.

Denken Sie sich ein Mädchen, das ganz still und allein für sich aufwuchs in alten Adelskreisen, ganz in alten Ansichten erzogen. Wie es kam, daß der Geist der neuen Zeit sich in ihm regte, daß, ohne die geringste Anregung von außen, manches Anerzogene und Eingelernte auf starke Zweifel stieß – ich weiß es nicht.

Durch Zufall kam Ihr großes Werk in meine Hände. Welch neue Welt ging mir da auf! Wie ich gelesen habe! Und wie so Vieles, was mich gequält hat, mir klar vor Augen lag! Es war, als ob ein lieber Freund mich an der Hand nähme und mir sagte: Komm, ich will dir helfen, den mühseligen Weg der Erkenntnis zu gehen.

Ist es ein Wunder, daß ich nach Mehr verlange, nachdem ich Ihr Buch las? Aber ich habe Niemand, den ich bitten könnte, mir die für mich passenden Bücher zu empfehlen. Wollen Sie, hochverehrter Herr Professor, mir die Hand reichen, mir sagen, was ich lesen soll, mir vielleicht selbst ein Buch zum Lesen geben? Wenn Sie meiner Bitte Gehör schenken, so bedenken Sie aber, daß ich erst ganz vorsichtig und demütig anfangen muß und daß ich mit meinem Wissen und Verstande nur eine Frau bin und bleiben will.

Welche Antwort (wenn überhaupt eine) Sie mir auch geben werden – Sie haben es weder mit einer Autographensammlerin noch mit einer Zudringlichen zu tun, sondern mit Jemand, der nach Wahrheit sucht.

Franziska von Altenhausen.

*

Hochburg, 1.2.1898.

Hochgeehrtes Fräulein!

Für die freundliche Teilnahme, welche Sie meinen Arbeiten schenken, danke ich Ihnen bestens. Es ist mir immer ein hoher Lohn, wenn ich derartige Beweise von Verständnis meiner Bemühungen um Erkenntnis der Wahrheit bei ehrlich forschenden und strebenden Laien und Frauen finde.

Ihrem Wunsche entsprechend sende ich Ihnen beifolgend einige Bücher und empfehle Ihnen, sie in der auf dem beiliegenden Zettel vermerkten Reihenfolge zu lesen.

Mit den besten Wünschen für Ihre naturphilosophischen Studien Ihr hochachtungsvoll ergebener

Paul Kämpfer.

*

Altenhausen, 3.2.1898.

Hochgeehrter Herr Professor!

Daß Sie meine Bitte so erfüllen würden, habe ich nicht zu hoffen gewagt. Nur auf meinen Brief hin, ohne sonst etwas von dessen Verfasserin zu wissen, senden Sie Ihre wertvollen Bücher in die Welt, weil Sie die Wahrheit lieben und wünschen, daß sie sich weiter verbreitet. Ich danke Ihnen aufrichtig für so viel Vertrauen und Güte, die mich demütig machen.

Sehr dankbar wäre ich, wenn ich einige der Bücher etwas länger behalten dürfte, denn ich lese langsam und gründlich, auch wird mir nicht allzuviel Muße dazu gelassen, und – ich habe zu kämpfen, bitterlich zu kämpfen, da ich mich schwer und nur nach und nach von dem mir seit frühster Kindheit Eingepflanzten frei machen kann und Niemand habe, mit dem ich darüber reden darf.

Ich lebe in einem großen alten Herrenhause mit meiner lieben Mutter und einer meiner Schwestern, ganz abgeschlossen von der Welt. Die Menschen, ihr Denken und Handeln, die mich umgebenden Räume und Möbel, ja selbst die Natur (unsere Gegend ist bis jetzt sehr wenig besucht) sind altertümlich und ehrwürdig. Ich liebe das Alles, aber mein Streben nach neuer Erkenntnis paßt nicht dazu.

Sie müssen nicht darüber lächeln, daß ich eine Photographie von mir einlege, die ich mir vielleicht später einmal zurückerbitten darf. Ich tue es nur, damit Sie ungefähr sehen, wem Sie Ihre Güte erweisen.

Und nun lassen Sie mich Ihnen noch einmal mit warmem Dank die Hand geben. Ich hoffe, Sie werden Ihre Güte nicht zu bereuen haben.

Franziska Altenhausen.

*

Hochburg, 5.2.1898.

Hochverehrtes Fräulein!

Durch die freundliche Zusendung Ihrer Photographie haben Sie mir eine rechte Freude bereitet. Aber zurück dürfen Sie das hübsche Bild nicht verlangen! Eher bin ich bereit, falls Sie es wünschen, Ihnen mein eigenes im Tausch zu senden.

Da meine älteren Freunde sämtlich von hier weitergezogen oder gestorben sind, und da meine Frau seit vielen Jahren sehr kränklich ist, lebe ich in unserer Universitätsstadt wohl ungefähr so einsam, wie Sie in Ihrem alten Hause. Unsere herrliche Umgebung, meine Bücher sowie eine Fülle von wissenschaftlichen Aufgaben, dazu (als meine spezielle Freude) die zahlreichen Landschaftsskizzen in Aquarell, die ich besonders auf meinen vielen Reisen gemalt habe, sorgen aber dafür, daß ich die Menschen entbehren kann.

Übrigens ist trotz meiner Jahre – ich nähere mich der Mitte der Sechzig – und trotz vielen schweren Schicksalen mein Sinn und Herz durch den steten Verkehr mit unserer herrlichen Mutter Natur jugendfrisch geblieben. Sollte ich dem Beispiele meiner lieben Eltern, die beide neunzig Jahre alt wurden, nachleben, so hoffe ich immer noch der nach Wahrheit strebenden (leider kleinen Minorität der) Menschheit durch meine Arbeiten etwas nützen zu können.

Falls Sie später andere Bücher zu leihen wünschen, stehen Ihnen solche gern zur Verfügung. Hochachtungsvoll grüßend Ihr ergebener

P. Kämpfer.

*

Altenhausen, 9.2.1898.

Hochverehrter Herr Professor!

Für einen sehr gütigen Brief habe ich zu danken, und ich lerne immer mehr einsehen, daß der große Forscher und Gelehrte nicht vergessen hat, ein liebenswürdiger, großdenkender Mensch zu sein.

Der Einblick, den Sie mir in Ihr Leben gewähren, fügt so manchen feinen Pinselstrich zu dem Bilde Ihrer Persönlichkeit hinzu, das ich mir im allgemeinen von Ihnen gemacht habe. Wie schön, daß die Natur Ihnen auch noch die Malerei als herrliches Geschenk auf den Lebensweg mitgab! Wie beneidenswert, daß Sie die Bilder unserer schönen Welt nicht nur schauen, sondern auch festhalten und als liebes, unvergängliches Eigentum mit zu Haus nehmen dürfen! Mögen Sie diese Freude noch recht lange genießen! – Das Einzige, was mich in Ihrem Briefe betrübte, ist das Leiden Ihrer armen Frau Gemahlin. Ich habe in meiner Familie soviel mit Krankheit zu tun gehabt, daß ich das wärmste Mitgefühl mit jedem Kranken empfinde, und hier beklage ich die Krankheit doppelt, weil sie auch über Ihr Leben einen trüben Schleier breitet.

Für Ihre Liebenswürdigkeit, meine kleine Photographie behalten zu wollen, habe ich nur von Herzen zu danken. Vielleicht darf ich Ihnen später einmal eine bessere senden und mir jene dann zurückerbitten; sie ist nicht gut, und ich sandte sie nur, damit Sie mich nicht für eine ganz alte Dame halten. Diesen Auftrag konnte das Bild übernehmen, mehr aber nicht.

Sie fragen, ob ich Ihr Bild im Tausche wünsche. Wie gern möchte ich es! Und doch wage ich jetzt noch nicht darum zu bitten. Lassen Sie mir noch ein wenig Zeit, bis ich mich ganz zu Ihrer Schülerin durchgekämpft habe. Den Weg zur klaren Erkenntnis sehe ich, aber noch tut mir der Abschied von so viel Liebem weh. Ich will die Wahrheit nicht nur erkennen, sondern sie auch freudig lieben. Wenn ich erst so weit gelangt sein werde, dann komme ich zu Ihnen und bitte: darf ich ein Bild von meinem lieben Lehrer haben?

Ich hoffe, daß Sie mich recht verstehen. Halten Sie es der Vererbung, meiner Erziehung und dem alten Charakter unseres Volksstammes zu gute, der nur dann sich voll erschließt, wo er rückhaltlos vertraut. In großer Dankbarkeit Ihre

Franziska Altenhausen.

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Hochburg, 14.2.1898.

Hochverehrtes Fräulein!

Heute nur in großer Eile die Photographie des alten Magisters. Es ist die letzte Aufnahme; später hoffe ich Ihnen ein besseres Bild senden zu können. Zu Ihren philosophischen Studien von Herzen Glückauf und frohen Mut! Mit bestem Dank für Ihren freundlichen Brief Ihr ergebenster

P. Kämpfer.

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Altenhausen, 19.2.1898.

Hochverehrter Herr Professor!

Still und weiß liegt unser großer klosterähnlicher Hof da, einförmig dringt der Takt der Drescher, dieses monotone Lied, das so alt und müde klingt wie ein halbvergessener Grabgesang, zu meinem Fenster herüber – rechter, echter Winter ist eingezogen. Ich sehe, um ihn zu vergessen, immer nach meinen lieben Blumen hin: Nelken, Anemonen und Mimosen blühen um mich her und möchten mir Frühlingsgedanken ins Herz zaubern. Und das ist gut, denn ich sehne mich nach Sonne und nach dem Wunderland Italien, das mir ewig unvergeßlich bleiben wird.

Was für ein wunderbarer Mann Sie sind! In meinem letzten Brief schrieb ich, daß ich noch nicht um eine Photographie von Ihnen bitten möchte – ich möchte erst noch einige schwere Steine aus meinem Wege räumen, um dann von ganzem Herzen zu Ihnen kommen zu können. Und nun senden Sie mir doch Ihr Bild, ohne das Bitten des unhöflichen Mädchens abzuwarten. Tausend warmen Dank dafür! Ich möchte annehmen, daß es nicht sehr vorteilhaft ist. Aber drei Dinge, auf die ich viel Wert lege, sagen mir genug: Stirn, Augen und Hände! Und Sie dürfen mir nun nie wieder von dem »alten Magister« reden – daß er nicht alt ist, dafür zeugen die jungen Augen.

Wenn Sie mir später wirklich eine bessere Photographie von sich geben wollen, dann darf aber nicht wieder »verehrungsvoll« daraufstehen, denn wenn man der Wahrheit die Ehre geben will, so kann von Verehrung für mich bei Ihnen doch nicht die Rede sein – womit hätte ich sie verdient?! Wollen Sie mir eine Freude bereiten, so reden Sie mich künftig einfach »Liebes Fräulein« an.

Wenn Sie wüßten, wieviel Sie mir mit Ihren Büchern geben! Mir ist's, als ob mein Blick täglich heller würde und meine Energie fester. Freilich, wieviel Altes muß fallen! Und ob es möglich sein wird, die von Ihnen vertretenen Ansichten mit der Zeit Allen zugänglich zu machen, ohne dem Schwachen seinen letzten Trost zu nehmen, und den Bösen eine Hemmung aus ihrem Wege wegzuräumen? Ich glaube, es ist eine Lehre für die Starken, nicht für die Schwachen, wie die volle Wahrheit wohl überall nur eine Speise für die Gesunden ist.

Leben Sie wohl, hochverehrter Herr Professor! Ich hoffe, das Winterwetter ist nicht ungünstig für Ihre Frau Gemahlin. In warmer Dankbarkeit Ihre

Fr. Altenhausen.

*

Hochburg, 22.2.1898.

Liebes Fräulein!

Ihrem Wunsche entsprechend, ändere ich die »Hochverehrte« in die »Liebe« – um so lieber, als mir Ihr ehrliches Ringen um die Wahrheit wirklich eine tiefe Sympathie für Sie einflößt.

Freilich, es ist nicht leicht, auf so viele trostreiche Vorstellungen zu resignieren, die uns von früher Jugend an lieb und wert geworden sind. Meine beiden geliebten Eltern blieben bis zu ihrem Tode fromme Christen im besten Sinne des Wortes; und auch ich hielt noch als Student, bis zu meinem 21. Lebensjahre – trotz allen Anfechtungen der Wissenschaft! – an meinem teuren Kirchenglauben innig fest. Erst als ich dann immer tiefer in die Geheimnisse des Lebens und seiner Entwicklung eindrang, als ich das ganze Elend der Menschheit als praktischer Arzt, die ganze Herrlichkeit der »gottlosen« Natur als Forscher gründlich kennen lernte, wurde ich unter den schwersten inneren Kämpfen zum Freidenker und Pantheisten.

Da Sie mit meiner letzten Photographie nicht zufrieden waren, sende ich Ihnen ein Photogramm des sehr gelungenen Profil-Reliefs, welches 1890 in Rom entstanden ist. Damit Sie auch etwas von meinen Aquarellskizzen – meinem geliebten Privatsteckenpferde! – zu sehen bekommen, lege ich die Illustrationen zu meinen Indischen Reisebriefen bei; falls Sie auch den Text dazu wünschen, kann ich ihn später senden. – Für Ihren ersten »Frühlingsgruß« (Schneeglöckchen und Primel) meinen besonderen Dank!

Ihr »alter Magister«.

*

Altenhausen, 27.2.98.

Hochverehrter Herr Professor!

Heute sende ich drei Bücher zurück. Wie gern spräche ich einmal mit Ihnen über so Manches, was die neue Gedankenwelt in mir hervorruft, ließe mich belehren und dürfte Fragen stellen, die besonders durch Carneri sich dem Gemüt zu Scharen aufdrängen. Leicht ist's nicht, das Schwerste – das »Losreißen vom Glauben« – mit sich allein abzumachen. Darum danke ich Ihnen auch besonders für die Worte, die sich auf Ihre eigenen Kämpfe beziehen. Sie sind mir dadurch nur noch verehrungswürdiger geworden, denn ich verstehe die Menschen nicht, die dem Höchsten gleichgültig gegenüberstehen oder es ohne Schmerz fahren lassen.

Nun habe ich wieder für viel Güte zu danken, für das bessere Bild meines lieben Lehrers und für die herrlichen Illustrationen. Es wird mir schwer, etwas darüber zu sagen – sie sind so schön, daß jedes Wort wie Schmeichelei klingen möchte, die mir tödlich verhaßt ist. Welche Feinheit der Ausführung! Man sieht, daß Sie die Natur mit den Augen der Liebe umfassen und daß der »Geist des Schönen« in Ihnen lebt. Ich wünschte mir, einmal die Originale zu sehen – wieviel schöner muß das alles noch in Farben sein! Sehr dankbar wäre ich, wenn Sie mir auch den Text senden würden – das schöne Gesicht eines Menschen allein hilft uns nichts, wenn wir nicht auch seinen Charakter kennen und lieben; ebenso geht es mir mit Landschaften.

Sie werden mich hoffentlich nicht für zudringlich halten, wenn ich der Büchersendung ein paar ältere Tagebuchblätter von Norderney und eine kleine Skizze meines Lebens beifüge, die ich vor etwas über einem Jahre für einen mir damals sehr lieben Menschen niederschrieb. Da Sie über mein Kämpfen um das Höchste in der Welt wissen, scheue ich mich nicht, Sie auch einen Einblick in mein Gefühlsleben tun zu lassen.

Ihre Fr. Altenhausen.

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Hochburg, 9.3.1898.

Liebes Fräulein!

Mit aufrichtigem Dank für Ihr Vertrauen sende ich die biographische Skizze zurück. Ich habe sie wiederholt und mit herzlicher Teilnahme gelesen, und Manches darin hat mich geradezu ergriffen. Die Bilder von Norderney haben mich durch ihre köstliche Frische und Poesie entzückt; sie offenbaren mir, wie tief Sie die Schönheit der Natur – meiner Göttin! – erfassen.

Als Gegengabe sende ich heute eine biographische Skizze von mir, ferner den gewünschten Text zu den Indischen Aquarellen und ein Heftchen »Hochburg in Wort und Bild«, damit Sie doch eine Vorstellung von der poetischen Universitätsstadt bekommen, in welcher Ihr »alter Magister« den größten Teil seines Lebens zubringt. Hoffentlich sehen Sie sich selbst einmal unser liebes närrisches Nest an! Mit herzlichen Grüßen

Ihr ergebener P. Kämpfer.

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Altenhausen, 15.3.1898.

Hochverehrter, lieber Herr Professor!

Es war gerade, als ob der Weihnachtsmann bei mir anklopfte, so habe ich mich gefreut, als das Paket kam, und wie ein kleines Kind habe ich's gemacht und es vor mir hingelegt und immer angesehen, ehe ich es öffnen mochte, um meine Freude länger hinauszuschieben. Tausend, tausend Dank dafür! Die Indischen Reisebriefe darf ich jetzt meiner Mutter vorlesen, sie entlocken auch ihr manchen Ausruf des Entzückens.

Die allergrößte Freude aber war mir, daß Sie mir Ihre Biographie mitgeschickt haben. Es mag wohl schwer für den betreffenden »großen Mann« sein, Leid und Freud, wie das Leben es ihm gab, so vor aller Welt Augen dargelegt zu sehen – für mich ist's in diesem Falle eine große Freude, da ich nun doch erfahren durfte, daß Sie Kinder haben, und daß das Leben bei dem vielen, vielen Schweren, das es Ihnen auferlegte, Ihnen doch auch viel Gutes gegeben hat. Und wie freute ich mich, als ich las, daß Sie die Tiere von jeher geliebt haben, und wie Sie den italienischen Vetturinos an die Kehle gefahren sind wegen ihrer abscheulichen Tierquälereien! Als ich dann gar den Namen meines geliebten Portofino entdeckte, habe ich laut gejubelt. Ich war mehrere Monate in der Gegend, kenne Santa Margherita, Rapallo, und habe seitdem die Sehnsucht nach Italien nicht wieder verloren.

Wie schön ist Ihr altes Hochburg, und wie würde ich mich freuen, wenn ein gütiges Geschick mich einmal dahin führen würde! Und wie gern möchte ich einmal mit der Zauberrute meinem teuren Professor die noch ganz unberührte Schönheit meiner alten Heimat mit ihrer Waldeinsamkeit und den reichen Fluren vorführen!

Heute möchte ich meinen Brief mit einem Geständnis schließen. Glauben Sie nicht, daß ich mir nicht völlig klar darüber bin, mit was für einem berühmten Mann ich korrespondiere. Wenn ich trotzdem in meinen Briefen nicht den Ton anschlage, den Sie vielleicht gewohnt sind, so liegt das zu tief in meiner Natur begründet – ich kann verehren, noch besser lieben, aber ich kann nicht viel Worte darüber machen, und es ist mir geradezu ein Greuel, Übermirstehenden viel »Liebenswürdigkeiten« zu sagen. Die Grenze, wo die »Liebenswürdigkeit« aufhört und die Kriecherei anfängt, ist schwer einzuhalten. So verzeihen Sie mir, wenn ich geradedurch gehe und zu Ihnen rede, wie zu jedem Anderen. Ich küsse Ihnen, mein teurer Lehrer, die Hand.

Ihre Franziska Altenhausen.

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Hochburg, 20.3.1898.

Liebes Fräulein!

Ihre warme Teilnahme an meinem persönlichen Geschick wie an meiner wissenschaftlichen Lebensarbeit bereitet mir aufrichtige Freude. Wenn man, wie ich, über 40 Jahre lang gekämpft und neben mancher dankbaren Anerkennung doch überwiegend die gehässigsten Angriffe und den schwärzesten Undank geerntet hat (leider auch oft von seiten bevorzugter Schüler), dann tut solche freudige Teilnahme doppelt wohl, ganz besonders, wenn sie in so liebenswürdiger Weise von einem jungen Mädchen ausgesprochen wird.

Die beigelegten beiden Bilder können Sie, wenn sie Ihnen gefallen, behalten. Das des Sechzigjährigen gilt für das ähnlichste. Das jüngere Bild rechtfertigt vielleicht die Ansicht, daß ich damals ein »hübscher Junge« war – übrigens sehr spröde gegen das schöne Geschlecht!! Tempi passati!

Die Ferien benutze ich diesmal zu einer größeren Arbeit. Nur die letzten Wochen werde ich in Berlin und Leipzig, wo meine ältere Tochter sehr glücklich verheiratet ist, zubringen. Meine jüngere Tochter ist bei uns im Hause; sie macht uns leider viel Sorge, da sie an Melancholie leidet, welche wohl durch den raschen Tod eines lieben Jugendfreundes hervorgerufen wurde. Diese Sorge und andere Schicksale haben meine arme Frau sehr niedergedrückt; ihr altes Herzleiden hat sich kürzlich sehr verschlimmert. Unser einziger Sohn ist Landschaftsmaler.

Damit Sie doch auch einmal etwas von meinen Lieblingsstudien zu sehen bekommen, schicke ich heute zwei Werke, deren Anschauen Ihnen wohl Freude bereiten wird. Mit herzlichen Grüßen

Ihr »alter Magister«.

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Altenhausen, 24.3.1898.

Hochverehrter Herr Professor!

Wie ein Sonnenschein ist Ihre Sendung in das graue Einerlei dieses trostlosen Nachwinters gefallen. Wieviel habe ich wieder zu danken! Und Ihnen gegenüber fühle ich mich nicht einmal bedrückt beim Annehmen von soviel guten und großen Gaben – obgleich ich eine Natur bin, die sich sonst nicht leicht etwas schenken läßt.

Die herrlichen Prachtwerke studiere ich Tafel für Tafel mit dem wärmsten Interesse, oft mit jauchzendem Entzücken. Welches Vertiefen in die geheimnisvolle Natur, welche Künstlerschaft im Wiedergeben!

Und die beiden Photographien darf ich wirklich behalten? Es ist wohl keine Frage, daß sie mir gefallen, schon von rein künstlerischem Standpunkt aus – denn Sie sind ein schöner Mann, und ich freue mich darüber. Es ist das ja etwas, wobei man selbst ohne Verdienst ist, wenn auch das innere Leben ein schönes Gesicht noch schöner machen, ein unschönes veredeln kann. Und ich freue mich, daß Sie spröde gegen das weibliche Geschlecht gewesen sind – ein Schutzmittel, das Ihnen wohl sehr nötig gewesen sein mag!!

Darf ich noch einmal auf das kommen, was Sie über Sich und Ihr Leben schrieben? Ich möchte Ihnen nur still die Hand geben angesichts des vielen Schweren, das Ihnen auferlegt wurde und Sie noch jetzt zu tragen haben. Mit einer Teilnahme, der alle Worte fehlen, denke ich an Ihre arme Frau Gemahlin und Ihre arme, arme Tochter. So verschieden sind wir Menschen veranlagt – nicht jedem ist die Zähigkeit im Ertragen gegeben. Könnte ich doch Ihrer Tochter mit meiner Widerstandskraft aushelfen! Wie gern würde ich es tun.

Ich lege heute eine Photographie ein, die ich nachbestellt habe; sie ist jedenfalls ähnlicher als die andere. Es wird mir eine Freude sein, wenn mein teurer Lehrer sie behalten mag. – Den Namen eines »jungen Mädchens« verdiene ich aber nicht mehr. Ich bin schon 30 Jahre alt.

In tiefer Dankbarkeit und Verehrung Ihre

Franziska Altenhausen.

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Hochburg, 27.3.1898.

Liebes und verehrtes Fräulein!

Aus tiefster Arbeit heraus will ich Ihnen wenigstens mit einem Wort meinen herzlichen Dank für das mich erfreuende vortreffliche Bild sagen. Wenn ich den lebendigen Blick dieser schönen Augen in Ihrem jugendlichen Mädchenantlitz betrachte, muß ich darüber lachen, daß meine liebe Schülerin sich mit ihren 30 Jahren bereits für »alt« hält! Was soll ich »alter Herr« dazu sagen, mit meinen grauen Haaren und mehr als doppelten Lebensjahren?! Glücklicherweise kommt es bei dieser gefährlichen Altersfrage weder auf die Zahl der Jahre noch auf die Farbe des Haares an – wenn nur unsere Seele frisch und jung bleibt!

Gleich nach dem Osterfest reise ich nach Berlin. Mit herzlichen Grüßen

Ihr alter P. K.

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Altenhausen, Ostersonnabend 1898.

Ich war wohl ein recht törichtes, dummes Kind, als ich meinem hochverehrten Herrn Professor zu Ostern eine Sendung buntbemalter Eier auf den Schreibtisch stellen wollte. Das Schicksal fand das doch zu kindisch und sagte: »geh lieber auf ein paar Tage ins Bett« – nun ist's zu spät geworden, und ich kann Ihnen nur noch einen herzlichen Ostergruß zurufen und den Wunsch, daß die karg genug bemessene Erholungszeit Sie erfreuen und erfrischen möge.

Der Vortrag hat mich ganz begeistert. Tausend Dank, daß Sie ihn mir sandten! Stets

Ihre Fr. Altenhausen.

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Altenhausen, 19.6.1898.

Mein hochverehrter Herr Professor!

Haben Sie herzlichen Dank für den Pfingstgruß, den Sie mir aus den Alpen sandten. Ihr Enthusiasmus über das Hochgebirge im Frühlingskleide und über die herrliche Alpenflora sagte mir, daß es erfrischende Tage für Sie gewesen sind.

In der nächsten Woche werde ich endlich mit der »Entwicklungsgeschichte« von Bölsche fertig. Nun weiß ich gar nicht, was ich jetzt vornehmen soll. Ehe ich mich einem Einzelgebiet, etwa meinen lieben Blumen, zuwende, möchte ich doch erst noch mehr über den Stammbaum, d. h. die Entwicklung des Menschen, wissen; dann erscheint mir auch das Kapitel der Vererbungstheorien (Weismann contra Haeckel) besonders wichtig. Wollen Sie mir da wieder raten und mit einem Buche aushelfen? – aber bitte zunächst nur eines, da ich im Juli auf 4 Wochen ans Meer soll, wahrscheinlich nach Helgoland. Ach, mein lieber, teurer Lehrer, ich gäbe viel daran, könnte ich jetzt neben Ihrem Schreibtisch stehen, fragend und um Aufklärung bittend. Meine geistige Einsamkeit und das Losreißen von dem, was meiner ganzen Familie heilig ist, und von den alten lieben Erinnerungen der Kinderzeit ist für eine Frau sehr schwer.

Über den traurigen Zustand Ihrer Frau Gemahlin bin ich sehr betrübt. Täglich denke ich in aufrichtigem Mitgefühl an Sie und Ihr sorgeschweres Leben. Das ist bei mir keine Redensart. So groß auch der Unterschied zwischen dem berühmten, großen Gelehrten und dem unbekannten Mädchen ist, so groß und warm ist die Sympathie, die mich Ihr Leid mit Ihnen fühlen läßt. Schonen Sie sich nur soviel als irgend möglich, damit Arbeit und Leid Ihnen nichts anhaben können! Darum bittet von ganzem Herzen

Ihre Franziska Altenhausen.

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Hochburg, 23.6.1898.

Liebes Fräulein!

Heute nur als Begleitgruß zu der Büchersendung: Wenn Sie im August noch auf Helgoland sein sollten, ließe es sich vielleicht einrichten, daß ich dort einige Tage mit Ihnen zusammen sein kann. Es wäre mir eine große Freude, Sie persönlich kennen zu lernen, und wir könnten dann die mancherlei Fragen, welche Ihre Studien in Ihnen angeregt haben, in Ruhe besprechen.

Indessen sind meine Reisedispositionen im einzelnen noch von mancherlei abhängig. Fest steht nur, daß ich in der vierten Augustwoche in England zu einem Kongreß sein muß und von da auf einige Wochen zur Erholung in die Schweiz gehen werde. Das »Bergkraxeln« ist von Jugend her meine Leidenschaft.

Lassen Sie mich also wissen, wo und wie lange Sie am Meer sein werden. In der Hoffnung auf unsere baldige Begegnung

Ihr alter treuer Magister.

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Postkarte: Bonn, 13. 8. 1898.

Liebes Fräulein!

Zu meinem großen Bedauern kann ich meine Absicht, Ihnen einen Besuch auf Helgoland abzustatten, nicht zur Ausführung bringen. Ich reiste über Heidelberg hierher und muß morgen nach Brüssel und dann direkt nach England. Mit freundlichen Grüßen und besten Wünschen für Ihren Seeaufenthalt

Ihr P. K.

*

Altenhausen, 8.10.1898.

Mein hochverehrter Herr Professor!

Ob Sie heimgekehrt sind? Ob Sie den herrlichen Sommer in der Alpenwelt genossen haben? Ich hoffe das von Herzen und sende Ihnen meine aufrichtigen Wünsche für Sie selbst wie für Ihre Frau Gemahlin und Tochter, denen es nicht allzu schlecht ergehen möge!

Das war eine sehr bittere Enttäuschung für mich, als ich Ihre Karte erhielt, die mir jede Hoffnung nahm, Sie kennen zu lernen. Da erst wurde mir klar, wie sehr ich mich darauf gefreut hatte – vorher war ich selbst fast erschrocken vor dem wunderbaren Gedanken, daß der große Gelehrte auf der Reise zum Internationalen Kongreß das unbedeutende Mädchen, von dem die Welt nichts weiß, aufsuchen könnte.

Nun geht das Leben wieder seinen alten Gang, und ich weiß nicht, ob es mich einmal in Ihre Nähe treiben wird. Meine Mutter plant eine große Verwandtenreise, in deren weiterem Verlauf wir vielleicht auch nach Halle kommen. Zunächst gehen wir zu einem Bruder meiner Mutter, meinem Lieblingsonkel. Wenn wir da, wie ich annehme, mehrere Monate bleiben, so darf ich vielleicht wieder mit der Bitte um Bücher zu Ihnen kommen.

Jetzt trieb es mich nur, Ihnen, mein hochverehrter Herr Professor, einen Gruß zu senden und Sie meiner Dankbarkeit und Anhänglichkeit zu versichern. Aber ich bitte, daß Sie sich nicht die Mühe machen, mir zu antworten – Sie haben Besseres zu tun! Ihre treue

Franziska Altenhausen.

*

Hochburg, 10.10.1898.

Liebes Fräulein!

Nachdem ich vorgestern Abend heimgekehrt war, begrüßte mich gestern Ihr lieber Brief als der erste hier! Ich habe es nicht minder, wie Sie, bedauert, daß ich Sie nicht auf Helgoland aufsuchen konnte. Die Verlockung für mich war sehr groß; ich wäre ihr sicher gefolgt, wenn es möglich gewesen wäre. Aber ein Besuch bei einem alten Freunde in Heidelberg, die Vorbereitung zu der englischen Campagne und die Reise dorthin machten den Abstecher unausführbar.

Der Kongreß ist gut verlaufen; meine Rede schicke ich Ihnen nächstens. Leider hat mein alter Freund, der Gelenkrheumatismus, alle weiteren Ferienpläne zerstört: statt in meine geliebten Alpen mußte ich zur Kur nach Baden-Baden gehen. Hier fand ich bei meiner Heimkehr leider recht trübe Zustände: meine arme Frau und Tochter beide sehr leidend. Da heißt es ewig für mich: Pazienza e resignazione!!

Wenn Ihre Reise Sie nach Halle führt, müssen Sie aber auf jeden Fall auch mich und mein Institut aufsuchen. Es würde mir eine besondere Freude sein, Ihnen meine schönen Sammlungen zeigen zu können. Jedenfalls halte ich an der Hoffnung fest, daß ein Sonnenstrahl des Glücks mir bald einmal die Freude gönnen wird, meine treue und verständnisvolle Schülerin persönlich kennen zu lernen. Mit den besten Grüßen und Wünschen

Ihr treuer P. K.

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Neuenhof, 13.12.1898

... Hier bei unseren Verwandten bin ich nun ganz in die alte Zeit zurückversetzt. Liebe, teure Menschen sind es, ich ehre und liebe sie von Herzen, aber ihren Lebensinhalt sehen sie in alten Adelsvorrechten und einer tiefen, doch ganz alt-strenggläubigen Religiosität. Dabei ertappe ich meinen lieben Onkel, der viel liest, übrigens auch künstlerische Interessen hat und weit über Dilettantenmaß hinaus selbst in Öl malt, zuweilen dabei, daß er ganz ahnungslos moderne Gedanken ausspricht, wie er z. B. heute ein Langes und Breites über den ungeheuren Einfluß der Vererbung sprach, und wir haben noch herzlich darüber gelacht, daß eine Gewohnheit meiner Großmutter, den Suppenlöffel vor dem Essen mit der Serviette abzuwischen, sich auf drei ihrer Kinder vererbt hat, die es täglich, ohne daran zu denken, tun, erröten und lachen, wenn man sie darauf aufmerksam macht, und es doch heimlich abmachen.

Die Lage und Umgebung des großen Gutes ist entzückend und lockt geradezu zum Zeichnen. Da habe ich mir ein Herz gefaßt und gedacht: wo soviel Liebe zur Natur lebt und das Auge soviel Schönes entdeckt, da wird ja auch die Hand willig sein – und hab's gewagt. Die ersten Versuche gelangen nicht übel, und jetzt bringe ich fast täglich eine kleine Skizze zu Papier. Sie finden sogar den Beifall meines Onkels, der mich nun gleich für seine Ölmalerei einfangen will. Schade ist nur, daß ich jetzt so wenig nach der Natur zeichnen kann – Kopieren ist so gar nicht mein Fall. Aber immer schreit gleich aus jedem Fenster eins hinter mir her, wenn ich mich mit meinem kleinen alten, noch von meinem seligen Vater stammenden Zeichnenbuch von dannen schleichen will.

Ich lese jeden Tag einen Vortrag in der neuen Auflage Ihres Buches, die Sie mir so freundlich geschenkt haben – eine sonderbare Lektüre in diesem alten Hause! Möge es in Ihrem Hause nicht allzu trüb aussehen! Dankbar und treu

Ihre Franziska Altenhausen.

Wie stolz muß ich darauf sein, daß mein teurer Lehrer mir seine Sammlungen zeigen will!

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Hochburg, 15.12.1898.

» Anch' io sono pittore!« Also auch Sie Malerin, liebes Fräulein! Sie ahnen nicht, wie diese Nachricht mich erfreut – die Malerei ist mir die liebste aller Künste. Als objektive Kunst erfreut sie uns mehr durch den Genuß der Außenwelt, während die Musik mit ihrem Stimmungsleben in der Innenwelt uns nur zu oft subjektiv niederdrückt. Nun haben wir also einen weiteren Grund, daß Sie bald zu mir kommen müssen. Denn als alter Praktikus werde ich Ihnen manchen guten Ratschlag geben können, wie man mit wenigen Feder- und Pinselstrichen ein malerisches Stück der lieben Natur festhalten und so das Beste, was wir im Leben haben, den Schatz lieber Erinnerungen, vermehren kann.

Als Gegengabe für die beiden mitgesandten Skizzen, die ich als freundliches Andenken an meine treue Schülerin aufbewahren werde, habe ich Ihnen obige Federskizze – in zehn Minuten hingeworfen – Ihres zukünftigen Klosters (nach der Postkarte, die Sie mir einmal schickten) gezeichnet. Ich glaube übrigens noch nicht recht an Ihre Nonnenzukunft. Wäre ich ein junger Ritter, so würde ich jedenfalls eine romantische Entführung ins Werk setzen!

Da Sie jetzt Gelegenheit haben, bei Ihrem »Maleronkel« gleich voll in das Ölmalen hineinzukommen, kann ich Ihnen nur raten, dies nach Kräften zu benutzen, daneben aber auch im Zeichnen der Formen sich fleißig zu üben. Im Ölmalen bringt man es leichter zu einem befriedigenden Erfolge als im Aquarell. Letzteres ist wieder für eilige Skizzen auf Reisen unschätzbar – Sie können es später lernen.

Bei mir sieht es leider sehr trübe aus. Meine arme Frau liegt seit einem Monat wieder zu Bett mit Herzaffektion, Nerven etc. Mir wird wenig Freude – die einzige ist meine Arbeit.

Zu dem bevorstehenden Weihnachtsfeste wünsche ich Ihnen – trotz aller Ketzergedanken! – viel Freude und alles Gute, ebenso zu dem kommenden neuen Jahre, das mir hoffentlich das Vergnügen Ihrer persönlichen Bekanntschaft bringen wird. Mit den freundlichsten Grüßen

Ihr P. Kämpfer.

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Neuenhof, 19.12.98.

Hochverehrter Herr Professor!

Tausend Dank für die reizende Federskizze meines alten Klosters und für die Güte, mir, wie bei meinem wissenschaftlichen Bestreben, so auch bei meinen Kunstversuchen helfend zur Seite stehen zu wollen. Und wie freundlich von Ihnen, meine dummen Bildchen, die Sie doch in den Papierkorb werfen sollten, aufzubewahren! Ich fürchte, Sie idealisieren mich und werden sehr enttäuscht sein, wenn Sie mich einmal wirklich kennen lernen. Mir freilich schwebt ein Besuch in Hochburg als schönste Hoffnung vor, deren Erfüllung ich vom kommenden Jahr erbitte.

Über den Zustand Ihrer Frau Gemahlin bin ich sehr traurig. Werden Sie da Weihnachten überhaupt feiern? Haben Sie auch einen Tannenbaum? Hoffentlich kommt Ihr Herr Sohn zum Fest und bringt mit seiner Frische einen Sonnenstrahl ins stille Haus! Möge Ihnen ein gutes neues Jahr und im Frühling ein sonniger Aufenthalt im geliebten Italien beschieden sein! In Dankbarkeit und Verehrung

Ihre Franziska Altenhausen.

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Halle, 3.2.1899.

Hochverehrter Herr Professor!

Heute darf ich fragen: an welchem Tage der Woche würde Sie mein Besuch am wenigsten stören? Ich hoffe es durchsetzen zu können, daß ich in einer der nächsten Wochen von hier aus auf einen Tag zu Ihnen komme. Als ich meiner Mutter davon sprach, sah sie mich mit ihren schönen lieben Augen traurig an und bat: »Tue mir das nicht zu Leide – die Menschen werden dich für völlig verschroben halten, wenn du gehst, um einen dir ganz fremden Professor und noch dazu einen so berühmten Mann kennen zu lernen.« So sagte sie und wird sie noch öfter sagen, und ich schreibe Ihnen, mein Lehrer, diese Worte nur, um von vornherein entschuldigt zu sein, wenn ich schließlich doch nicht kommen könnte. Leicht ist es nicht, gegen eine unendlich geliebte Mutter – von den anderen Menschen rede ich nicht – anzukämpfen.

Anfang März reisen Sie wohl schon nach Italien? Deshalb komme ich heute schon, gleich nach unserem Eintreffen in Halle, mit meiner Anfrage. Ich wünsche, daß es Ihnen und Ihren Lieben wohl gehen möge. Stets Ihre

Franziska Altenhausen.

*

Hochburg, 4.2.1899.

Liebes Fräulein!

Hocherfreut durch Ihre Anmeldung erwidere ich: Sie sind mir zu jeder Zeit herzlich willkommen. Am besten werden sich Montag, Dienstag und Mittwoch eignen. Sie können dann auch einmal in meiner Vorlesung hospitieren.

Sehr leid ist es mir, daß ich Sie nicht bitten kann, in meinem Hause abzusteigen. Aber leider ist der Gemütszustand meiner armen Tochter und das Befinden meiner zarten Frau so wechselnd, daß wir seit Jahren auf jede Gastfreundschaft und jeden geselligen Verkehr verzichten müssen. Da heißt es täglich das alte Lied: Entbehren sollst du, sollst entbehren! – hätte ich nicht noch einige große wissenschaftliche Aufgaben zu lösen, würde ich gern auf das weitere einsame und leidvolle Leben verzichten.

Machen Sie sich ja keine zu günstige Vorstellung von mir! Sie werden sicher enttäuscht sein, wenn Sie statt des erwarteten Helden einen alten Kriegsknecht der Wissenschaft finden, der im undankbaren »Kampf um die Wahrheit« ergraut und durch viele Trübsale erbittert ist.

Alles Weitere hoffentlich bald mündlich! Mit freundlichen Grüßen

Ihr P. K.

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Halle, 16.2.1899.

Hochverehrter Herr Professor!

Tiefbetrübt muß ich Ihnen melden: ich kann jetzt nicht kommen. Erlassen Sie es mir, Ihnen den Grund zu sagen. Ich habe meinen ganzen Willen daran gesetzt, konnte es aber nicht erreichen.

Es scheint wirklich, als ob ich alles Schwere in meinem Leben allein durchkämpfen muß. Ich hätte bei den ernsten religiösen Fragen und der gänzlichen Umgestaltung meiner Weltanschauung so sehr einer hilfreichen Hand bedurft! Nun muß ich allein wandern.

Möchten Sie viel Freude und reichen Erfolg auf Ihrer Reise ans geliebte Mittelmeer haben! Es wird mir wunderlich sein, so lange nichts von Ihnen zu hören. Aber die zweimonatige Pause wird ein guter Lehrmeister sein, daß ich das Glück, ab und zu brieflich mit Ihnen verkehren zu dürfen, erst recht begreife. In warmer Verehrung und Dankbarkeit

Ihre Franziska Altenhausen.

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Hochburg, 5.5.1899.

Liebes Fräulein!

Als heute Ihr als Willkomm zu meiner Heimkehr gedachter Frühlingsblumengruß mich erfreute, hatte ich mir gerade die Frage vorgelegt, wann ich endlich dazu kommen würde, Ihnen den seit Wochen beabsichtigten Brief zu schreiben. Sie vermuteten mich an der Riviera, im Genusse der südlichen Natur. Leider ist aus der Erholungsreise gar nichts geworden. Eine schwierige philosophische Arbeit, die mir seit Jahren als dringende Aufgabe vorschwebte, sollte bis Anfang März fertig sein; sie hat mich aber die ganzen Osterferien hier festgehalten und ist erst eben abgeschlossen worden. Ich galt hier offiziell seit 8 Wochen als »verreist«, hatte mich in mein Institut eingeschlossen und arbeitete täglich 10 bis 12 Stunden; außer meiner Familie sah ich niemand. So gelang es mir denn, in dieser Zeit 16 Druckbogen zu schreiben; 10 andere waren schon im Winter fertig geworden. Ich habe in diesem populär geschriebenen Buche, das ich »Lebensfragen« nenne, alle Hauptpunkte der Naturphilosophie (im Sinne von Goethe, Darwin, Spinoza) gründlich beleuchtet. Im September denke ich es Ihnen senden zu können. Ich hoffe sehr auf Ihren Beifall!

Hoffentlich habe ich nun bald die Freude, mündlich Ihre Zweifel lösen zu können. Ich habe diesen Sommer jede Woche 3 Tage frei (Samstag, Sonntag, Montag) und bitte Sie, Ihren Besuch so einzurichten, daß wir diese Tage möglichst ausnutzen können. Juni und Juli sind die schönsten Monate für unsere Gegend; ich hoffe, sie Ihnen bei Prachtwetter zeigen zu können. Mit freundlichen Grüßen

Ihr »alter Magister«.

*

Altenhausen, 14.5.1899.

Mein hochverehrter und lieber Herr Professor!

Die Prosa hat mich fest bei der Hand genommen und gesagt: Du sollst mal so viel zu wirtschaften haben, daß dir die Lust zu anderen schönen Dingen vergeht – und so habe ich, weil Hausmädchen und Köchin gleichzeitig krank sind, gekocht, genäht, gekramt und sogar mit meinem alten Freunde, dem Ofensetzer hier im Dorf, einen neuen Ofen, dessen Konstruktion mich interessierte, gesetzt, anstatt Naturgeschichte und Philosophie zu studieren. Daher kommt es auch, daß ich erst heute, am Sonntagmorgen, während meine gute Mutter in der Kirche ist, Zeit finde, Ihnen für Ihren Brief zu danken.

Sein Inhalt hat mich recht betrübt, denn ich hatte so sehr gehofft, daß der Aufenthalt in Italien Ihnen Erholung und doch etwas Freude auf den sonst so ernsten Lebensweg brächte. Statt dessen haben Sie sich den ganzen Tag im Institut eingeschlossen und gearbeitet. Mein teurer Lehrer darf mir nicht zürnen, daß ich als Fernstehende es wage, da hineinzureden und zu ermahnen: So etwas dürfen Sie nicht! Schonen Sie sich und Ihre kostbare Lebenskraft und gönnen Sie sich auch Freude und Erholung, so viel als möglich!

Sie schreiben, daß Sie bei Ihrer philosophischen Arbeit auf meinen Beifall rechnen. Das sind liebe Worte, die mir beinahe den Kopf verdrehen könnten, wenn ich auch weiß, daß ich sie nicht wörtlich zu nehmen habe. Vor allem aber möchte ich das Buch des berühmten und berüchtigten »Materialisten« ganz objectiv, mit gänzlichem Vergessen des Menschen, lesen.

Mir ist etwas bange davor, daß Sie Ihre Lehre »populär« darlegen wollen. Es gehört Mut und Kraft dazu, um sich ganz hinein zu versenken und die äußersten Konsequenzen zu ziehen, und es gehört ein besonders klarer, scharfer Verstand dazu, um zu erkennen, welcher Idealismus in dem liegt, was Sie Materialismus nennen.

Ob unser Geschlecht schon reif dazu ist? Ob es schon den dafür erforderlichen Bildungsstand oder – wohl besser gesagt – die Stufe der sittlichen Reife erreicht hat? Ob es unserm Volke nicht gehen würde wie dem Wilden, der die Größe einer Beethovenschen Symphonie nicht zu würdigen verstünde, auch wenn er sie zehnmal hörte? Wie viele sind so stark, daß sie ein jahrelanges schweres körperliches Leid ohne den Glauben an eine Vergeltung im Jenseits zu tragen vermögen? Wir haben ein altes Mütterchen hier, das seinen Großsohn und jetzt auch den lieben Sohn hat forttragen sehen und selbst unter schweren Qualen seit Jahren bettlägerig ist. Sie sagte zu mir: »Jeden Tag bitte ich den lieben Gott, daß er kommt und mich holt, und er kommt noch immer nicht!« Wenn die arme Seele hörte: Es giebt keinen Gott, sondern nur einen grausamen Zufall, der dich so leiden läßt, wird sie sich nicht den Kopf an der Wand zerschlagen?! Mein Freund, geben Sie dem Volk erst mehr innere Kraft – sonst wird es Ihre Lehre nicht ertragen können.

Ja, wohl sehne ich mich danach, mit Ihnen zu sprechen, gerade weil solche Fragen, die die armen, lieben Mitmenschen betreffen, mir das Herz schwer machen. Ich selbst will mich schon durchkämpfen. –

Unser altes Haus bekommt jetzt wieder seinen schönen grünen Mantel von wildem Wein umgehängt, »Gelbveigelein« und Diclytra blühen vor dem Fenster, und die Staare haben es sehr eilig. Der liebe Frühling macht so dankbar. – Geht es Ihnen auch gut? In Treue Ihre

Franziska Altenhausen.

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Hochburg, 6.6.1899.

Liebes Fräulein!

Endlich habe ich heute das zweite Heft meiner »Wunder der Schöpfung« erhalten und beeile mich nun, es Ihnen zusammen mit dem ersten zu senden. Hoffentlich machen Ihnen die zarten »verborgenen Schönheiten der Natur« Freude; vielleicht liefern sie Ihnen auch ein neues Muster für die feinere Handarbeit, in welcher die weibliche Kunstfertigkeit so erfolgreich mit der herrlichen Mutter Natur wetteifert. »Denn das Naturell der Frauen ist so nah mit Kunst verwandt«!

Zur Lektüre lege ich Ihnen das Buch eines englischen früheren Theologen bei, welches ich im Winter für meine »Lebensfragen« mit ungewöhnlichem Interesse gelesen habe. Ich würde nicht wagen, Ihnen dieses offenkundige Evangelium des Unglaubens zum Lesen zu empfehlen, wenn ich nicht wüßte, daß Sie zu den seltenen Menschen gehören, denen der »reine Wein der Wahrheit« über Alles geht. Saladin ist teilweise etwas derb und burschikos; ich begreife aber seine Erbitterung über die »Kulturlügen« der Gegenwart.

Unser Hochburg prangt jetzt im herrlichsten Frühlingsschmuck. Es wäre schön, wenn Sie Ihren Besuch bald ausführten! Wir könnten dann auch eingehend über Ihre Bedenken sprechen, deren schriftliche Erörterung kaum möglich ist. Mit herzlichen Grüßen

Ihr P. K.

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Altenhausen, 11.6.1899.

Mein hochverehrter Herr Professor!

Meinen Dank für die herrlichen »Wunder der Schöpfung« hoffe ich Ihnen persönlich sagen zu dürfen. Noch in dieser Woche werde ich zu meiner verheirateten Schwester nach Sachsen reisen. Ich könnte den Weg so wählen, daß mich ein Abstecher nach Hochburg führt. Würde ich am Sonnabend einige Stunden mit Ihnen zusammen sein dürfen? Mich soll's wundern, ob uns das Sehen von Angesicht zu Angesicht Enttäuschungen oder angenehme Überraschung schenken wird. Jedenfalls freue ich mich von Herzen darauf.

Ihre dankbare Schülerin.

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Hochburg, 13.6.1899.

Liebes Fräulein!

Ihre Botschaft erfüllt mich mit aufrichtiger Freude, habe ich mir doch die persönliche Bekanntschaft meiner treuen Schülerin schon so lange gewünscht. Es liegt etwas in Goethes Wort: Höchstes Glück der Erdenkinder ist doch die Persönlichkeit!

Sie haben übrigens den Tag Ihres hiesigen Aufenthalts mit der Divinationsgabe einer Seherin gewählt; denn der nächste Sonnabend ist der höchste akademische Feiertag des Jahres, und zugleich der einzige Tag, an welchem Sie mich in officiellem Staate (mit Orden usw., obligatorisch!!) sehen können! Ich entwerfe Ihnen (mit der Bitte um allerhöchste Genehmigung!) gleich ein kurzes Programm für meinen »besonderen (privatissime!) Festtag«: 9-11½ Uhr Demonstrationen im Institut; 11¾ Gang zur Aula und 12-1 Uhr: Akademische Feier; 1-3 Uhr Mittag und Ruhe; 3-5 Anschauen meiner Bildersammlung; 5-7 Spaziergang auf den Försterberg, 7-10 Genuß von Wald, Aussicht und Rostbratwurst daselbst, 10-10½ Abstieg durch den Wald bei Fackellicht und Mondenschein!

Da ich Sie leider nicht in mein Haus einladen kann, freue ich mich, Ihnen wenigstens die Bitte meiner Freunde, bei ihnen absteigen zu wollen, übermitteln zu können. Das Befinden meiner armen Frau hat sich gerade in den letzten vierzehn Tagen wieder sehr verschlimmert, sodaß sie jetzt ganz an das Bett gefesselt ist.

In der frohen Hoffnung auf einen schönen Tag Ihr

»alter Magister«.

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Bahnhof L., 19.6.1899.

Mein teurer Lehrer!

Es wäre möglich, daß Sie, nachdem der Reiz »des Persönlichen« von uns genommen ist, ein Gefühl des Unbehagens empfinden, mir so viel Vertrauen gegeben zu haben. Dieses Gefühl möchte ich Ihnen durch meine Versicherung nehmen, daß das zwischen uns besprochene nur für Sie und mich bleibt, und daß Sie mir dadurch noch viel lieber und teurer geworden sind. Diese beiden Tage bleiben mir für immer unvergeßlich.

Ihre Franziska.

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Hochburg, 19.6.1899.

Meine teure Franziska!

Aus tiefstem Herzen danke ich Ihnen für die zwei unvergeßlichen Tage, die mir das Glück, Sie persönlich kennen zu lernen, geschenkt hat. Sie werden mit Ihrem feinen weiblichen Beobachtungsvermögen an meinem ungeschickten Benehmen gewiß gemerkt haben, wie sehr mich Ihr lieber Besuch aus der gewöhnlichen Fassung des prosaischen Alltagslebens brachte – der Sonnenstrahl einer holden Frühlings-Fee, welche duftende Blumen in den Kerker eines armen einsamen Gefangenen bringt!

Kennen Sie die herrliche Marmorgruppe des »Gefesselten Prometheus« in der Berliner Nationalgalerie? Ich habe die holden Töchter des Okeanos, welche dem duldenden Lichtbringer Trost und Linderung spenden, immer mit besonderer dankbarer Rührung betrachtet.

Ich habe die Hoffnung, daß Ihrem lieben » ersten Besuche« noch viele andere folgen werden. Ihr treuer

Paul K.

P. S. Ich schicke diesen Brief heute noch nicht ab, will damit warten, bis Sie mir Ihre Ankunft auf Schloß S. melden.

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Schloß S., 21.6.1899.

Hochverehrter Herr Professor!

Aus zwei Gründen schreibe ich: erstens weil ich mir Sorge mache, daß Ihnen, dem an Einsamkeit Gewöhnten, mein Besuch etwas viel geworden sein könnte, und zweitens, weil ich noch einmal für alle mir erwiesene Güte und Freundlichkeit danken möchte. Ich weiß wohl, daß das Danken nicht ganz allein auf meiner Seite liegt, sondern daß auch ich so glücklich war, Ihnen etwas geben zu können, sei es auch nur dadurch, daß der einsame Mann sich für wenige Stunden nicht einsam fühlen durfte – aber der bei weitem größte Teil des Gebens liegt auf Ihrer Seite: die Art und Weise, wie Sie meine Fragen aufnahmen und beantworteten, und die Art, wie Sie mir Ihr Vertrauen gaben, ist so groß und schön, daß ich Ihnen nie dafür danken kann.

Das Schreiben geht heute nicht. Mir liegt die Erinnerung an unser Zusammensein noch zu sehr auf dem Herzen. Lassen Sie mich, ich bitte darum, auf einer Karte wissen, daß es Ihnen gut geht. Treu und dankbar Ihre

Franziska Altenhausen.

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Hochburg, 23.6.1899. Freitag Morgen.

Hochgeehrtes Fräulein!

Aus Ihrem soeben erhaltenen Schreiben ersehe ich zu meinem Vergnügen, daß Sie wohlbehalten auf dem herrlichen Waldschloß angelangt sind. Hoffentlich genießen Sie bei dem schönen Sonnwend-Wetter recht die idyllischen Reize jener noch unberührten Gegend.

Da Sie sich für mein neues philosophisches Werk interessieren, erlaube ich mir, Ihnen die 7 soeben gesetzten Bogen desselben zur gelegentlichen Durchsicht zu übersenden.

Indem ich Ihnen für Ihren freundlichen Besuch nochmals bestens danke, bleibe ich in aufrichtiger Verehrung

Ihr ergebener Paul Kämpfer.

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Freitag Nachmittag.

Meine teure Freundin!

Kaum weiß ich, ob ich Sie nun so nennen darf, denn Ihr heute erhaltener Brief redet mich wieder feierlich als »Hochverehrter Herr Professor« an, während ich Sie doch am Sonntag um die Gunst gebeten hatte, mich einfach »Lieber Freund« zu nennen. Denn das hoffe ich doch unter allen Umständen zu sein und zu bleiben – wenigstens bitte ich Sie darum, als um ein Geschenk, das mir sehr wertvoll ist!

Sie glauben nicht, meine teure Franziska, wie sehr mich die beiden mit Ihnen verlebten Tage beglückt haben! Durch offene und ehrliche Aussprache über so viele wichtige Fragen des Lebens und Wissens sind wir uns so nahe gerückt, daß mir wenigstens Ihre freundschaftliche Teilnahme an meinem inneren Leben und Streben für immer ein teures Gut bleibt. Es geschieht so selten, daß dem einsamen Wahrheitsforscher, der seinen dornenvollen Weg unter Leiden und Kämpfen aller Art sich bahnen muß, ein solches Glück begegnet – darum danke ich Ihnen von ganzem Herzen dafür.

Ich brauche Ihnen wohl nicht zu versichern, daß ich alles das, was am 17ten und 18ten zwischen uns gesprochen wurde, als ein teures Heiligtum unseres innersten Seelenlebens betrachte. Ich weiß, meine liebe teure Franziska, daß Sie mich ganz verstehen, und bin darüber glücklich!

Für immer Ihr treuer P. K.

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Schloß S., 25.6.1899.

Mein lieber, teurer Freund!

Habe ich Ihnen weh getan mit meiner Anrede im letzten Brief? Lassen Sie mich beichten: Ich habe Ihnen so viel gegeben, als ich bei Ihnen war – so ganz gegen meine sonstige Gewohnheit –, daß ich angst war, Sie möchten sich selbst darüber gewundert haben; und außerdem traute ich mir nicht ganz, mein Herz war von der Erinnerung an die mit Ihnen verlebten Stunden noch zu weich – die Feder hätte mit mir durchgehen können. Deshalb der »hochgeehrte Herr Professor«, der von heute ab für immer begraben sein soll. Ist's recht so?

Meine Gedanken sind täglich bei Ihnen, ich hatte sogar schon den Wunsch, Ihnen einen tagebuchähnlichen Brief zu senden. Dann aber gedachte ich Ihrer Worte, daß Sie mir nicht viel schreiben würden, und fürchtete, Ihnen lästig zu werden – so hielt denn der Verstand mit fester Hand das Herz zurück. Heute muß ich mich nun selbst auslachen. Ich lese ja aus Ihren Worten, daß unser Zusammensein Ihnen eben so viel war wie mir, und daß ich stets ohne Scheu zu meinem Freunde kommen darf. Wir sind beide einsame Menschen und hungern nach einer Seele, die das versteht, was in den verborgensten Tiefen schläft und nicht immer in Worte gefaßt werden kann. So erklärt es sich wohl, daß ein unwiderstehlicher und unerklärbarer Zauber uns zu einander zieht.

Aufrichtigen Dank für die Korrekturbogen – das ist ein großer Vertrauensbeweis! Ehe ich sie vornehme, möchte ich erst den Saladin fertig lesen. Mir kommen dabei zuweilen die Tränen und ich balle die Hände, weil er gar so boshaft scharf ist; es klingt zuweilen, als wolle er seinen Rachedurst stillen – der Arme hat gewiß nie eine Mutter gehabt, der die Religion teuer war, sonst würde er dasselbe anders sagen, vornehmer.

Ich muß aufhören, meine Schwester wartet schon auf mich. Es trieb mich aber noch heute zu Ihnen, weil ich den Eindruck meines letzten Briefes verwischen möchte. Vielleicht führe ich jetzt eine Art Tagebuch für Sie; es wird wohl ein buntes Durcheinander von allerlei Bildern, Gedanken, Fragen usw. werden – aber nicht wahr, das schadet nichts? soll es doch ein Besuch bei meinem einsamen Prometheus sein. Ich gebe Ihnen in Treue die Hand, mein Lieber, Teurer!

Ihre Franziska.

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Hochburg, 27.6.1899.

Meine teure Franziska!

Innigen Dank für die herzerfreuende Labung, welche die holde Okeanide durch ihren Brief dem einsamen gefesselten Prometheus spendete! Wie freue ich mich schon auf Ihre Tagebuchblätter!

Heute komme ich mit einer inständigen Bitte. Liebe Franziska, wir haben noch so viel auszutauschen und uns zu sagen, daß Sie die Gelegenheit, die Ihre Rückreise bietet, nicht ungenutzt lassen dürfen, sondern Ihren Weg wieder über Hochburg nehmen müssen. In meinen Sammlungen warten noch so viele Seltenheiten, die Sie neulich nicht zu sehen bekommen haben, auf Sie. Ihr »alter Lehrer« verspricht Ihnen, daß er im zweiten Privatissimum seine Pflichten getreuer erfüllen wird als im ersten. Dann möchte ich Ihnen doch auch die klassischen Stätten von Weimar und die Wartburg zeigen. Am schönsten wäre es, Sie kämen auf eine ganze Woche zum Arbeiten hierher; ich ließe Ihnen einen Tisch mit Mikroskop in die Bibliothek stellen; dabei könnten Sie sich auch im Zeichnen nach der Natur üben, und mit besonderer Freude würde ich Sie in die so dankbare Kunst der Aquarellmalerei einführen. Zum mindesten aber müssen Sie meine 3 freien Tage (Samstag bis Montag) hier bleiben.

Soviel ich weiß, wollen Sie Mitte Juli zurückreisen. Zum 15.-17. Juli hat mich mein herzoglicher Gönner auf sein Waldschloß eingeladen – zum Glück ist dieser Termin noch nicht festgelegt; ich werde natürlich die Kollision mit Ihrem Besuche auf jeden Fall vermeiden.

Ich bitte Sie, liebste Freundin, sagen Sie: Ja! Das sollen Festtage für mich werden! Gruß und Händedruck von Ihrem treuen

Paul K.

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Hochburg, 28.6.1899.

Meine teure Franziska!

Ich bin schon so gewohnt, meiner Freundin Alles zu beichten, daß ich Ihnen auch das Unerfreuliche der letzten Woche nicht verschweigen will. Mein armes Herz hat nie viel getaugt – anatomisch nicht, weil Muskel und Nerven desselben von Jugend auf schwach und höchst erregbar waren, physiologisch nicht, weil es im harten Kampfe des Lebens allmählich mürbe geworden ist. Nun muß wohl der sonnige Glücksstrahl, der mir am 17. und 18. Juni durch Ihren unvergeßlichen Besuch hinein gefallen ist, das dumme Ding ganz rebellisch gemacht haben. Denn es fing so gewaltig an zu arbeiten, daß ich seit einer Woche weder ordentlich arbeiten noch schlafen konnte. Gegen dieses dumme »Herzklopfen« wird es nur ein Mittel geben, und zwar ein homoeopathisches!! Kommen Sie möglichst bald wieder und bleiben Sie möglichst lange! Das ist jetzt der höchste Wunsch Ihres treuen Freundes

P. K.

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Schloß S., 1.7.1899.

Mein lieber Freund!

Für zwei Briefe habe ich zu danken. Der erste hat mich durch seine Bitte tief gerührt, der andere in bange Sorge versetzt. – Ja! ich werde zu Ihnen kommen. – Vorläufig plane ich, am Freitag, den 14ten, hier fortzugehen. Wie lange ich bei Ihnen bleiben kann, hängt noch von der Ordre von Mama ab. Von dem neuen Hochburg-Plane weiß sie aber noch nichts, soll's auch erst erfahren, wenn ich zu Haus bin – von Verheimlichen ist keine Rede.

Ob wir wohl beide die Ruhe haben werden, uns ganz in die Situation von Lehrer und Schüler hinein zu versetzen? – chi lo sa! Vor allem müssen wir noch einmal gründlich über uns beide reden, uns über unsere schnell geschlossene Freundschaft klar werden und sie noch fester und klarer begründen – das brauche ich, um mich ganz und freudig geben zu können. Wie eigen wir uns gefunden haben! Wieviel hat mein erster Brief an Sie auf dem Gewissen!

Aus meinem Tagebuche für Sie wird nichts, ich habe den Anfang mit Verachtung in den Ofen geworfen. Meine Natur paßt nun einmal nicht zu Tagebüchern, die uns gar zu sehr in das Gefühlsleben hineinzwingen. So tief und warm ich auch empfinde, so unmöglich ist's mir, mich in Betrachtungen darüber zu ergehen – dabei kommt leicht eine ungesunde Sentimentalität heraus, die mir verhaßt ist.

Die Druckbogen Ihres neuen Werkes lese ich mit dem allergrößten Interesse und freue mich des sezierenden klaren Geistes, der schonungslos mit den Gegnern, schonungslos mit allen Illusionen und dem eigenen lieben »Ich« umspringt und mich leicht und sicher den steilen Pfad zur Erkenntnis hinaufführt. Manche Einzelheit wünschte ich freilich anders, weniger aggressiv, mehr kühl sachlich. Könnte ich doch, neben Ihrem Schreibtisch sitzend, Kapitel für Kapitel, Seite für Seite mit Ihnen durchgehen!

Ich gebe diesem Gruße viel Liebes und Gutes mit auf den Weg.

Ihre Franziska.

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Hochburg, 1.7.1899.

Meine geliebte Freundin!

Heute ist der Geburtstag meiner teuren, unvergeßlichen Mutter – einer herrlichen Frau, deren ebenso liebevoller wie strenger Erziehung ich in erster Linie die Ausbildung meines Charakters und das unermüdliche Pflichtgefühl verdanke. Bis in ihr hohes Alter hat sie an allen meinen inneren und äußeren Erlebnissen den lebendigsten Anteil genommen; sie half mir mit der treuesten Mutterliebe all das Schwere und Bittere tragen, was das grausame Schicksal seit dem Tod meiner heißgeliebten ersten Frau über mich verhängt hat. Wie danke ich ihr dafür!

Warum ich Ihnen das erzähle, meine teure Franziska? Weil ich zu Ihnen unbegrenztes Vertrauen und die volle Zuversicht des innersten Verständnisses habe, und weil ich im offensten Gedankenaustausch mit Ihnen jenes höchste Glück finde, das mir in meinem ganzen Leben nur zwei weibliche Seelen gewährt haben: eben meine liebe Mutter und dann meine unvergeßliche erste Frau.

In den ersten Zeilen, die Sie mir am Morgen nach dem unvergeßlichen Sonntag schrieben, sagen Sie: »nachdem der Reiz des Persönlichen von uns genommen ist« – ich möchte lieber sagen: »uns aufgegangen ist«! Denn von dem Augenblick an, an welchem sich am Morgen des 17. Juni unsere beiden blonden germanischen Persönlichkeiten gegenüber standen und in die treuen blauen Augen sahen, wußte ich, daß unsere Seelen nahe verwandt sind. Lassen Sie uns den seltsamen »unwiderstehlichen und unerklärbaren Zauber, der uns zu einander zieht« festhalten für unser ganzes Leben! Mit innigsten Grüßen

Ihr Paul.

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Schloß S., 2.7.1899.

Mein teurer Freund!

Das sind so große, viel gewährende und – fordernde Worte, die Sie mir schreiben, daß mir sehr ernst ums Herz geworden ist. Sie schenken mir so überschwängliches Vertrauen – möge es meinen schwachen Händen gelingen, das große Geschenk gut zu hüten! Sie haben recht – auch ich glaube, daß ich wahres Verstehen für Sie habe, für Ihre ganze Persönlichkeit mit dem klaren, nach strenger Wahrheit forschenden Verstande, dem Künstlersinn und dem nach Idealen sich sehnenden heißen Herzen. Ich wünsche und hoffe diesem armen unruhigen, einsamen Herzen, das so viel allein hat durchkämpfen müssen, etwas geben zu können, es ruhiger und freudiger zu machen.

Dabei muß es aber mein festes Bestreben sein, mir für uns beide den ruhigen Blick zu bewahren, denn, lieber Freund, Sie sind ein Mann des Impulses und ein grenzenloser Idealist. Wir haben unseren Freundschaftsweg so zu gehen, daß er uns beide zum Höchsten und Besten führt und daß wir uns nie den Vorwurf zu machen haben, einen Anderen dafür darben zu lassen. Unsere erste Sorge muß immer Ihre arme, vom Schicksal so hart geprüfte Frau sein. Wir dürfen nichts tun, was sie verletzen könnte, wenn sie davon erführe. Ich will immer zu Ihnen aufsehen können!

Das alles ist mir in der letzten Zeit schon viel durch den Kopf gegangen; ich versuchte bereits, es Ihnen brieflich darzulegen, aber die Buchstaben gehorchten nicht. Nach Ihrem heutigen Briefe muß ich es Ihnen nun doch schreiben, und wir müssen bei unserem Zusammensein sehr ernst darüber reden – es soll dann nichts bleiben, was unklar und schattenhaft zwischen uns läge. Will man einen so schweren Pfad, wie den der wahren Freundschaft gehen, so muß vor allem Licht und Wahrheit sein.

Am Sonnabend, vielleicht schon am Freitag in acht Tagen werde ich nach Hochburg kommen und zwei oder drei Tage dort sein können. Mama möchte mich am liebsten schon am Sonnabend zu Haus haben, und ich weiß, daß ich ihr mit meinem erneuten Besuch bei Ihnen viel Kummer bereite – ich muß das eben tragen. Ich gebe Ihnen fest die Hand.

Ihre Franziska.

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Hochburg, 4.7.1899.

Meine teure Franziska!

Ihr guter Brief hat so viel ernste Betrachtungen in mir erregt, daß ich Ihnen brieflich unmöglich alles sagen kann, was mein Herz bewegt. Das kann nur mündlich geschehen. Sie haben recht, meine liebe Freundin: ich bin ein schrecklicher »Idealist« und habe es mir selbst zuzuschreiben, wenn mir das grausame prosaische Leben die Wirklichkeit im hellen Tageslichte oft ganz anders zeigt, als meine übermächtige Phantasie und mein vulkanisches Gemüt sie mir im Mondesschimmer der Poesie vorgespiegelt hatten. Ich danke Ihnen für Ihre guten edlen Worte, in denen Sie mich an die notwendige Selbstbeherrschung erinnern und an die heiligen Pflichten, die wir unseren nächsten Lieben immer schuldig bleiben.

Heute danke ich Ihnen vor allem, daß Sie mir das Opfer bringen, auf Ihrer Rückreise noch auf drei Tage nach Hochburg zu kommen. Diese Tage sind für mich so unschätzbar, daß ich Sie inständig bitte, keine Kürzung derselben eintreten zu lassen. Ich hoffe also, daß Sie schon am Freitag, den 14., nachmittags eintreffen. Für diesen Abend habe ich schon vor Wochen meinen alljährlichen Vortrag in unserer Naturwissenschaftlichen Gesellschaft angekündigt. Als Sie mir nun schrieben, Sie kämen vielleicht schon Freitag, hatte ich zunächst den tollen Wunsch, Sie möchten den Vortrag mit anhören – das ist aber ganz unmöglich, ich würde dann immer, hypnotisiert, nur nach dem Platze starren, wo meine Freundin sitzt. So werde ich also den Vortrag verschieben, da ich um keine der kostbaren Stunden kommen möchte, die Sie mir schenken.

Heute schicke ich Ihnen die sämtlichen bisher gesetzten Bogen der »Lebensfragen« und bitte, sie mit schonungsloser Kritik zu lesen und alles, woran Sie Anstoß nehmen, anzustreichen und Ihre Bemerkungen dazu an den Rand zu schreiben. Ich fürchte, daß Sie mit vielen Sätzen gar nicht einverstanden sein und besonders die schroffe Form mißbilligen werden, in der ich mich (leider!) oft Saladin nähere. Das ist nur aus der Bitterkeit, mit der mich mein vieles Seelenleid erfüllt hat, zu verstehen. Seit dem furchtbaren Schicksalsschlage, der mir meine geliebte Frau entriß und damit mein junges rosiges Lebensglück zertrümmerte, habe ich oft mit Saladin gerufen: »Du verstehst dich darauf, die Erde zur Hölle zu machen, o Gott!« –

Meine ganzen Gedanken gehen jetzt auf die drei hohen Festtage, welche mir meine Franziska schenkt. Ihr treuer

Paul K.

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Schloß S., 8.7.1899.

Mein teurer Freund!

Schon ehe Sie meine Kritik wünschten, hatte ich begonnen, mich eifrig in Ihr neues Werk zu vertiefen, und jetzt versehe ich die Korrekturbogen auch mit Randbemerkungen.

Gleich das erste Kapitel der neuen Bogen hat mich in eine ganz verzweifelte Stimmung gebracht – ich brauchte viele Stunden, um den Eindruck zu überwinden. Es ist ein Unterschied, ob ich Saladins scharfe, übertriebene, oft grausame Ausfälle gegen die christliche Religion lese oder ob mein Freund, mit diesem Saladin sich verbündend, den Glauben, den meine Mutter als teuerstes Gut hochhält, einen Aberglauben nennt, der nur zur Verdummung geführt hat, von dem wir befreit werden müssen usw. Sie wissen, daß Sie es mit einer klardenkenden Frau zu tun haben, die sich über die Kulturlügen der Gegenwart nicht hinwegtäuscht und die sich selbst nicht mehr eine Christin nennen kann. Aber das reine Christentum ( nur das!) achte ich so hoch wie möglich, und ich glaube sogar, daß seine wahren Bekenner glücklicher und besser daran sind als wir.

Überall, wo Sie von Ihrer Wissenschaft und deren praktischen Konsequenzen sprechen, erscheint mir Ihr Buch von einer bewunderungswürdigen Klarheit. Ihre Darlegungen über Staat und Kirche, der Rückblick auf die Fortschritte im 19. Jahrhundert sind unübertrefflich. Aber sowie Ihr eigenes Gemüts- und Gefühlsleben hineinspielt, vermisse ich die kühle Objektivität des Gelehrten, wünschte ich mehr Reserve, auch mehr Gerechtigkeit. Ich habe versucht, mich völlig auf Ihren Standpunkt zu stellen, und ich gebe zu, daß sehr viel, was Sie gegen das Christentum wie gegen die Religion überhaupt sagen, nicht ohne Berechtigung ist. Aber Manches, was Sie sagen, atmet doch einen so beißenden, verletzenden Hohn, daß ich viel darum gäbe, könnte ich die Sätze mildern. Auf diese Weise überzeugt man keinen Andersdenkenden, das ruft nur Widerstand und Geschrei hervor, während eine einfache sachliche Darlegung – ohne jedes ätzende Beiwerk – viel stärker wirken würde.

Ebenso vermisse ich die Objektivität bei Vielem, was Sie über Ihre Lehre sagen. Sie sind, mein Freund, ein ebenso großer Schwärmer und Idealist wie jeder andere Prophet, der seinen Glauben für alleinseligmachend hält. Ich bewundere diesen Idealismus und Glauben an Ihre Lehre, aber ich kann ihn nicht unbedingt teilen. Was das wahre Christentum an unschätzbarem Werte in sich birgt, ist der veredelnde Einfluß auf das Gemüts- und sittliche Leben. Sie geben den Menschen eine Religion der Vernunft, Sie befriedigen seinen Verstand, aber das Herz geht leer aus. Der Durchschnittsmensch braucht aber eine moralische Stütze, die stärker ist als die bloße Vernunft. So wird es m. E. immer Menschen geben, die den Glauben an eine leitende Vorsehung, an das Übernatürliche brauchen – sei es nun der christliche oder ein anderer Glaube. Aber bei den klaren und starken Naturen wird Ihre Weltanschauung sich ganz gewiß immer mehr Bahn brechen – wie ich Ihnen schon früher einmal schrieb: »es ist eine Lehre für die Starken, nicht für die Schwachen.«

Sie werden mir vielleicht zürnen über das, was ich heute sage. Aber Sie baten um »schonungslose Kritik«, und wenn ein Mann wie Sie meine Ansicht hören will, so soll er sie unumwunden haben.

Ich wünsche sehr, noch tiefer und bis auf den Grund gehend mit Ihnen darüber zu reden, denn es betrifft etwas, was einst mein Heiligtum war und – auch das Ihre!

Freitag Nachmittag werde ich in Hochburg eintreffen.

Ihre Franziska.

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Hochburg, 10.7.1899.

L. Fr.!

Eben kommt Ihre Nachricht, daß Sie schon Freitag Nachmittag eintreffen, und erfüllt mich mit unsagbarer Freude. Nun möchte ich Ihnen einen köstlichen Vorschlag machen: Sie fahren nicht gleich bis Hochburg durch, sondern steigen schon auf der Station Klostermühle aus – ein reizender Ort, einsame Mühle mitten im herrlichen Waldtal. Sie müssen allerdings dort eine Stunde auf mich warten – ich kann nicht früher, da ich 12 bis 1 Vorlesung habe. Aber der Garten der Mühle bietet Ihnen einen lieblichen Platz, um sich von der Reise auszuruhen. Um 9 Uhr fahren wir dann nach Hochburg. Wenn Sie mit diesem Plane einverstanden sind, genügt eine ganz kurze Antwort. Ich komme dann bei jedem Wetter – bete zu Jupiter und Helios um einen sonnigen Abend. Auf Wiedersehen im Waldidyll!

Ihr »alter Magister«.

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Gotha, 17.7.1899. Abends.

Wir auch schlug die Scheidestunde,
Reißt mich los von diesem Bunde,
Dem sich Herz und Sinn verwebt.
Nach dem Scheiden kommt das Meiden,
Und was bittrer ist von beiden,
Weiß nur der, der es erlebt.

Noch ganz vom Zauber unseres Wartburgtages und vom Abschiedsweh erfüllt, sitze ich einsam in meinem Zimmer und denke unaufhörlich an meinen Freund.

Es ist etwas Großes und Heiliges um ein Trauern, wenn es rein sein darf, wenn kein Tropfen Bitterkeit und Gift, keine Gewissensbisse sich hineinmischen. Dann legt das Leid seine große stille Hand auf unser Herz und ruft uns zu: »Halt still, Menschenkind! Was ich in dir zu wirken habe, wird dich nur größer und besser machen.«

Ich habe heute mehrfach das liebe Gesicht meines Freundes, ohne daß er es wußte, beobachtet und mit Kummer gesehen, wie leidvoll die sonst so liebenswürdigen Züge aussehen können. Ich lege ihm so recht warm ans Herz: einen Pakt mit Frau Hoffnung soll er schließen und dem Leben frohen Mutes ins Auge schauen – so oder so birgt es in seinem Füllhorn immer goldene Gaben für uns.

Danken will und kann ich meinem Freunde nicht für diese köstlichen Tage – wir wissen beide nicht, welcher von uns der gebende oder nehmende Teil gewesen ist, weil wir beide unsere Seele gaben.

Von meinem Heimweh rede ich nicht. Ich möchte meinem großen weichen Kinde gegenüber der starke Teil sein, der sich das Herz ausschütten läßt und tröstet, und so nehme ich Abschied für heute – Tränen möchten mir sonst den klaren Blick verdunkeln. In Liebe und Treue

Ihre Franziska.

*

Hochburg, 18.7.1899.

Meine teuerste »Charlotte«!

»Durch ein paar Züge aus dem Becher der Liebe hält sie für ein Leben voll Mühe schadlos!« Die Wahrheit dieser Worte unseres größten Dichters habe ich noch nie so empfunden wie in den letzten vier Tagen – den unvergeßlichen höchsten Festtagen meines Lebensabends, welche Du, holde Geliebte, mir geschenkt hast! Tausend Dank dafür! Du hast meinen tief gesunkenen Lebensmut neu belebt und mit den vier Tagen Deines zweiten Besuchs mir vier Jahre inneren Glücks geschenkt!

Als ich gestern Abend auf dem Bahnhof in Gotha von Dir Abschied nahm, hast Du wohl gemerkt, wie bitter schwer mir die Trennung wurde. In Erfurt wäre ich beinahe in den entgegenkommenden Zug umgestiegen, um noch einen glücklichen Abend mit Dir zu haben. Wie köstlich war doch unsere gestrige »Brautfahrt«! und wie hat unsere gütige Mutter Natur alles getan, um unsere vier glücklichen Tage zu einem klassischen Idyll zu gestalten, und ihre reizende Tochter Kunst half ihr treulichst dabei!

Heute sonnt sich mein beglücktes Herz noch zu sehr in den süßen Erinnerungen unseres innigen Seelenaustausches, als daß ich arbeiten könnte – die unglücklichen 6 Korrekturbogen liegen noch ebenso unerledigt da, wie seit 6 Tagen – unerhört bei meiner sonstigen Gewissenhaftigkeit! Die nächsten Tage werden fürchterlich werden – dieser Katzenjammer! Morgen will ich versuchen, nicht an Dich zu denken (???). Übermorgen schreibe ich dann an unsere reizende Reisegefährtin Franziska von Altenhausen.

Wie heiter war gestern die Fahrt im D-Zuge, wo unser Freund Kämpfer beinahe das Weinglas geleert hätte, das Du mit den schönen Nymphaeen vergiftet hattest! Da hätte der Arme, der grenzenlos in Deinem Circe-Zauber befangen scheint, rasch das schönste Ende gefunden.

Du wirst über das »große Kind« lachen, meine holde Geliebte, das Dir so tolles Zeug vorplaudert! Wahrscheinlich leidet es noch unter der hypnotisierenden Wirkung des Mondes, den es gestern auf seiner einsamen Heimfahrt stundenlang anstarrte! Nächstens sollst Du einen vernünftigen Brief haben. Heute nur noch einen süßen Kuß und Händedruck! Und nochmals tausend Dank! »Unlösbar«

Dein treuer »Wolfgang«.

*

Hochburg, 19.7.1899.

Meine geliebte Freundin!

Kurz nachdem »Wolfgang« gestern früh seine ersten Worte nach der Rückkehr von der köstlichen Wartburgfahrt an Sie abgeschickt hatte, kam Ihr Gruß mit den Strophen des »Scheidens und Meidens«, die mir ganz aus dem blutenden Herzen geschrieben waren. Wie danke ich Ihnen, teure Franziska, für Ihre Teilnahme an meinem einsamen Seelenleben! Von jetzt an wird es nie mehr einsam sein, denn ich weiß, daß eine treue, feinsinnige, hochherzige Frauenseele bei mir weilt, die meine seltsame und so wenig verstandene Persönlichkeit in tiefster Seele versteht. Ist es nicht seltsam, wie oft in diesen sechs glücklichen Tagen unsere Gedanken gleichzeitig sich im Denkorgan entwickelten und gleichzeitig in derselben Form ausgesprochen wurden?!

Und ist es nicht ein Jammer, daß zwei hochbegabte Menschenkinder, die so ganz für einander geschaffen sind, durch die Schranken des Alters und Standes, der Verhältnisse und der »Sitte« so weit getrennt sind? Trotzdem – Ihr »großes Kind« will sich an seiner herrlichen Muse ein Muster nehmen und tapfer der Zukunft ins verschleierte Auge sehen, wenn auch der Hoffnungsschimmer nur sehr gering ist.

Heute habe ich vom Morgen bis zum Abend gearbeitet und wenigstens 4 von den 6 unerledigten Korrekturbogen fertiggebracht. Dabei stand ununterbrochen eine holde, kluge und milde Freundin an meiner Seite und strich alle die häßlichen Stellen, an denen mir meine Bitterkeit und mein Groll gegen das harte Schicksal schroffe und verletzende Worte in die Feder diktiert hatte. Wenn diese wichtigen Kapitel jetzt wesentlich gemildert und verbessert gedruckt werden, so verdanken sie das in erster Linie dem harten und wohlverdienten Tadel meiner treuen philosophischen Mitarbeiterin. Ganz besonderen Dank für Ihre rückhaltlose Kritik!

Lenbach erwartet mich nun erst Ende Oktober. So habe ich meinen Reiseplan geändert und will vor der Corsikafahrt zum Montblanc – gerade jetzt bedarf ich des Größten und Erhabensten in der Natur, um das völlig zerstörte Gleichgewicht meiner Seele wiederzugewinnen. – Ob wir uns vorher noch einmal sehen können? Wie verlange ich danach! Aber dann der bittere neue Abschied! Ich überlasse die Entscheidung ganz dem feinen Urteil meiner klugen und edlen Freundin.

Wolfgang möchte am liebsten jeden Tag an Charlotte schreiben – ich habe es ihm aber verboten.

Einen Kuß des Dankes auf die liebe feine Hand, die dem armen kämpfenden Herzen in den 6 unvergeßlichen Tagen soviel Gutes und Liebes gegeben hat! Ihr alter (verjüngter!)

Paul.

*

Altenhausen, 21.7.1899.

Mein teurer lieber Freund!

Vielleicht haben Sie schon auf einen Brief von mir gewartet und mich herzlos gescholten. Als aber Ihr erster lieber Gruß kam, konnte ich mich noch nicht zum Schreiben entschließen – diese Wolfgangsche »Epistel der Liebe« von meinem »großen Kinde« brauchte noch eine Ergänzung. Ich wollte erst mit Gewißheit fühlen, daß das, was ich ihm in den letzten unvergeßlichen Tagen gegeben hatte, auch auf »feinen, guten« Boden gefallen war. Diese köstliche Überzeugung gab mir Ihr gestriger Brief, aus dem ich in jedem Worte die Ehre und Hochachtung vor der geliebten Frau lesen kann. Ich habe nun beides von meinem teuren Freunde empfangen: Liebe und Ehre – diese beiden herrlichsten Perlen für eine reine Frau, und ich danke Ihnen aus tiefstem Herzen dafür.

Sie schreiben: »Ist es nicht ein Jammer, daß zwei hochbegabte Menschenkinder, die so ganz für einander geschaffen sind, durch die Schranken des Alters und Standes, der Verhältnisse und der ›Sitte‹ so weit getrennt sind?« Darf ich einmal wieder korrigieren? Nicht Alter und Stand und Sitte trennen uns von einander, sondern einzig und allein die Göttin mit den ernsten Augen: die Pflicht, die zur steten Begleiterin die Treue hat. Lassen Sie uns geduldig abwarten, wie Vieles und wie Schweres die große Göttin von ihren Kindern verlangt. Da wir den steilen Pfad Hand in Hand wandeln dürfen, wird er uns wohl nicht zu schwer werden.

Ich sende Ihnen heute eine Beschreibung unserer »sechs unvergeßlichen Tage« – die »Entwicklungsgeschichte« des Bundes zweier Seelen! Sie werden darin vielleicht ein tieferes Eingehen auf mein Gefühlsleben vermissen, ich mag aber darüber nicht viel Worte machen.

Meine teure Mama hat meine Reiseerlebnisse sehr gütig aufgefaßt, und ich bin dankbar dafür, daß es mir gelungen ist, ihre Angst vor dem bösen »Materialisten« in freundliches Interesse an dem großen Menschen zu verwandeln. Ich habe ihr sehr viel erzählt – die Tiefen sind natürlich unberührt geblieben.

Ich freue mich für meinen Freund, daß er sich zu der Reise nach der Schweiz entschlossen hat. Den Montblanc dürfen Sie aber nicht besteigen – das ist nichts für Ihr Herz. Ich richte überhaupt die sehr ernste und dringende Bitte an meinen Freund: kein übertriebenes Arbeiten und keine zu großen Strapazen mehr! Mein Freund muß jetzt immer daran denken, daß er sein Leben auch für mich zu erhalten hat.

Mögen Goethes Briefe an Charlotte von Stein, die ich heute meinem Freunde »Wolfgang« sende, Ihnen ein willkommener Reisebegleiter sein! Es ist ein Buch, das mir immer von neuem unendlich viel gibt, und doch macht es mich oft traurig – wie ist es möglich, daß eine so große zarte Liebe so kläglich endet?!

Leben Sie wohl, mein Teurer, Lieber! Ich lege meinen Arm um Ihren Hals und küsse die Stirn, hinter der gute, große Gedanken wohnen. In unwandelbarer Treue

Ihre Franziska.

Entwicklungsgeschichte einer Liebe. Von mir für Ihn

Fünfviertel Jahre hatte der berühmte Paul Kämpfer, der sonst die vielen Zuschriften meist mit dem bekannten blauen Entschuldigungsblatt abfertigt, schon mit dem unbekannten Mädchen korrespondiert, und nach und nach hatte sich – uns selbst unbewußt – leise ein wärmerer Ton in unsere Briefe eingeschlichen, als ein gütiges Geschick mir endlich Gelegenheit gab, meinen »Herrn Korrespondenten« persönlich kennen zu lernen.

Ich erwartete einen alten Mann zu finden, der so ganz in seine Wissenschaft vergraben ist, daß für menschlich warme Gefühle kein Raum bleibt. Trotzdem klopfte mein Herz, als ich am Morgen des 17. Juni die Treppe seines Instituts hinaufstieg und mich von dem alten Famulus anmelden ließ. Mit höflicher Verbeugung führte er mich in das Heiligtum seines Herrn, einen ernsten, schmucklosen Raum, mit großen Tischen und Bücherregalen, Stühlen und einem Sofa einfachster Art angefüllt, und dann stand ich dem Manne gegenüber, der für mein Leben eine so große, alles umgestaltende Bedeutung gewinnen sollte.

Das Gefühl der Befangenheit schwand nach den ersten zwei Minuten – ja, waren es überhaupt zwei Minuten, als ich Hut und Schleier abgelegt hatte und vor seinem Schreibtisch, diesem roh gestrichenen, einfachsten aller Möbel, saß, um neue Blätter seiner herrlichen »Wunder der Schöpfung« zu besehen, während mein »hochverehrter Herr Professor« oben auf dem Sitze neben mir thronte und mit den großen, guten Händen, die den Stempel ernster Arbeit tragen, über denen aber zugleich etwas Großes liegt (ich gebe viel auf die Charakteristik dieser »Diener unserer Seele«), mir alle möglichen Schönheiten wies? Ich will hier beichten, daß ich bald bemerkte, wie mein Besuch den großen Gelehrten unruhig machte, seine Hände zitterten leise, wenn er mir etwas zeigen wollte. Mir gab das das Gefühl der Sicherheit, ich konnte mit ihm sprechen wie mit einem vertrauten Freunde. –

Über die ersten beiden Tage weiß ich wenig zu sagen. Schaust du zum erstenmal eine überwältigend schöne Gegend, so hast du so viel mit dem »In sich aufnehmen« und »Sich zu eigenmachen« des Gesamteindrucks zu tun, daß dir die Einzelheiten entgehen. Ich denke mit Vergnügen an die Feier in der Aula, wo ich mich mutig unter die Professorenfrauen setzte, obgleich ein »Ordnung haltender Professor« mir einen anderen Platz anweisen wollte; mit noch größerer Freude an den Abendspaziergang nach der kleinen, ländlichen Mühle, wo wir den »Ordnung haltenden« Professor mit seiner jungen Frau trafen und uns zu ihnen gesellten. An einem schlichten Tischchen auf grünem Rasen tafelten wir, aßen Schinkenbrote, tranken Bier dazu und teilten uns brüderlich in die letzte der berühmten Rostbratwürste. Eine kleine Kapelle spielte einfache Liedchen dazu, freundliche, fröhliche Menschen saßen um uns her, hier und da wurde eine bengalische Flamme abgebrannt – mit einem lieblichen Idyll eröffnete das Schicksal unsere ernste Lebenssymphonie.

Daß dunkle Klänge schon an diesem ersten Tage sich einmischten, dafür sorgte der schmerzliche Eindruck, den ich vor dem Spaziergang in K.s Hause hatte, als ich dort seine zum Teil vollendet schönen Aquarelle bewundern durfte. Wie schmerzlich berührte mich die tote Stille in diesem Heim eines großen Menschen! Auf den Zehenspitzen mußte ich gehen, als ich die Aussicht vom Balkon seines Zimmers sehen sollte, nur im Flüsterton durften wir miteinander reden, um Frau und Tochter nicht zu ängstigen, und ich merkte ihm an, wie er innerlich zitterte, daß seine arme kranke Tochter durch meinen Anblick erschreckt werden könnte. Ich war so sehr müde und bat, als wir mit dem Betrachten der Bilder fertig waren, im Salon unten warten zu dürfen, bis er sich zu dem Spaziergang gerüstet hätte. Aber auch das wurde mir nicht erlaubt, und ich mußte auf der Straße vor dem Hause auf ihn warten – ein heimatloses Heim, vom Geist der Einsamkeit durchzogen! Ich hatte lange mit mir zu kämpfen, ehe ich den Eindruck überwand, und am schmerzlichsten berührte mich die ernste, einfache Weise, in der K. selbst darüber sprach – ein Beweis, wie sehr ihm das Leid zum treuen Hausgenossen geworden ist!

Wie es kam, daß ich am Nachmittag des folgenden Tages, neben ihm auf dem Sofa sitzend, seine traurige Lebensgeschichte erfuhr – wer kann das erklären? So wenig, wie es eine Erklärung dafür gibt, daß mir mein teurer Freund beim Abschied um den Hals fiel und ich ihm erlaubte – das erste Mal in meinem Leben, daß ich einem Manne einen solchen Vertrauensbeweis gab –, mich zu küssen. Damit war unsere Freundschaft besiegelt. Sehe ich aber nun mein Herz an, wie dies wunderliche Ding damals beschaffen war, so muß ich doch ehrlich sagen, daß es keinerlei Wünsche und Hoffnungen hegte – es schlug voll und warm für den geliebten Freund, aber es schlug ruhig und sicher.

Erst die folgenden vier Wochen auf Schloß S. und wunderbare Briefe, die mir das innerste Gemütsleben des seltsamen Menschen aufschlossen, riefen Unruhe und Sehnsucht wach. Ich habe mit Macht dagegen angekämpft und konnte doch die Zeit nicht erwarten, wo ich auf der Rückreise noch einmal mit ihm zusammen kommen würde. Zugleich stiegen Zweifel in mir auf, ob es nicht unrecht gegen ihn, gegen die Seinen, gegen mich gehandelt wäre, ein neues Wiedersehen herbeizuführen – ich habe böse Stunden gehabt und fuhr mit dem festen Entschluß nach Hochburg, erst ernst zu prüfen und vielleicht schon am nächsten Tage weiter zu reisen.

Mein Freund hatte mich gebeten, einige Stationen vor Hochburg bei einer kleinen, malerisch gelegenen Mühle auszusteigen und dort auf ihn zu warten. So geschah es auch. Ich verließ den Zug mit einem wunderlichen Gemisch der widerstreitendsten Gefühle. Wenn meine gute Mutter und meine Verwandten gewußt hätten, daß ihr Kind, das sonst wie ein wertvolles Familienerbstück gehütet wird, an diesem einsamen Orte primitivster Art auf einen fremden Mann, den es bisher nur zwei Tage gesehen hatte, wartete, sie wären starr vor Entsetzen gewesen. Für mich aber hatte die Situation den besonderen Reiz, den jede freie Handlung – wenn sie auf gutem Wege bleibt – in sich trägt.

Ich war sehr müde von der Reise und der schwülen Gewitterluft, aber in der kleinen Mühle bot sich kein Plätzchen zum Ausruhen. Schließlich räumte der Wirt in seinem kleinen Privatkabinett allerlei Wäschekörbe und Kleidungsstücke von dem wachstuchbezogenen, unbequemsten aller Sofas, und hier lag ich, zwischen aufgehängten Röcken und Hosen, und wartete vergeblich auf den bestellten starken Kaffee, der mich erfrischen sollte. Vor einem winzigen, halb zerbrochenen Spiegel machte ich dann, so gut es ging, etwas Toilette, holte mir selbst Waschschale und Tuch zum Händewaschen, nahm in Ermangelung von etwas Besserem eine Flasche Lagerbier unter den Arm und wanderte über einen großen, schmutzigen Hof, wo ein bildhübsches Mädel in bloßen Füßen den Stall ausmistete, nach der großen, seitwärts liegenden Holzveranda. Ab und an kamen leichte Regenschauer, der Fußboden war mit Schmutzlachen von abfließendem Regenwasser bedeckt, auf Tischen und Bänken lagen Papierreste und Spuren früherer Mahlzeiten oder Trinkgelage – aber neben der Laube plätscherte ein klarer Quell, und mein Auge erfreute sich an dem Blick auf saftig grüne Wiesen, begrenzt vom schönsten Laub- und Tannenwald. Der Zug verspätete sich bedeutend, die stille Einsamkeit begann auf meine Nerven zu drücken, und ich frug mich voller Sorge, ob mein Brief nicht verlorengegangen sein könne und ich hier bis zum Abend allein werde sitzen müssen?

Da, ein Läuten, Pusten und Dampfen – langsam ging ich den durchweichten, lehmigen Bergabhang zur Station hinauf und sah schon auf halbem Wege schnellen Schrittes meinen Freund mir entgegen kommen. Er war in der fröhlichsten Stimmung, alles fand er schön – die Laube, den Regen, den Schmutz, die malerische Unordnung. Berge von Plaids und Luftkissen hatte er für mich mitgebracht, eine Flasche Rheinwein, ein halbe Flasche Sekt wurden aus dem großen schwarzen »Ranzen«, seinem alten, treuen Reisebegleiter, ausgepackt, für den Abend wurde bei dem uns verwundert betrachtenden Wirt eine Mahlzeit Forellen bestellt.

Dann wanderten wir in den Wald, einen herrlichen Weg inmitten der schönen Tannenalleen, die sich strahlenförmig nach allen Seiten vor uns ausbreiteten – der liebe Himmel war aber in übermütig neckischer Laune und goß seine Regenströme erst leise, dann aber so übermächtig über uns aus, daß wir mit knapper Not die schützende Halle wieder erreichten. Doch mein großes, gutes Kind ließ sich durch nichts in seinem Frohsinn stören, scherzte mit den Unterschlupf suchenden Arbeitern, bewunderte die Aussicht und war so groß und so rein in seinem Glück, daß nicht nur gleiche Fröhlichkeit in mir geweckt wurde, sondern auch alle törichten Zweifel und Bedenken schwanden und ich mich ungetrübt dem vollen Genusse des Augenblicks hingab.

Lange Zeit saßen wir so, plaudernd und scherzend, zusammen oder wanderten in der Halle auf und ab, atmeten mit Wonne die würzige Waldluft, während das hübsche Mädchen mit kräftigem Schnitt das feuchte Gras auf der Wiese mähte – ein Idyll! Das Forellenmahl war reizend, dazu ließ die geliebte Natur feine, weiße Nebelschleier aufsteigen und zauberte uns alte Mären und Sagen vor – eine Zauberwelt zog uns eng in ihre Kreise und verkürzte uns dann auch die Fahrt in dem prosaischen Coupé.

Als ich am folgenden Morgen in das Institut kam, fand ich alles um meinetwillen in Aufruhr. Damenbesuch in diesen heilig-ernsten Räumen – etwas noch nie Dagewesenes! Das schien auch der gute alte Famulus zu merken, der mich mit väterlich freundlichem Interesse betrachtete und die schönsten Präparate aller Art anschleppte, während der junge Assistent viel Material für das Mikroskop hergerichtet hatte. Ich sah viel Herrliches und Wunderbares und fühlte so recht, wie viel die göttliche Natur ihren bevorzugten Lieblingen, denen sie ihre Schatzkammern öffnet, zu offenbaren hat. Gesegnet sei sie tausend Mal!

Wie diese unvergleichlichen Stunden ausgefüllt wurden, um so blitzschnell dahinzuschwinden, vermag ich selbst nicht mehr zu sagen. K.s Künstlernatur führte mich von einem zum andern, Prachtwerke aller Art türmten sich auf allen Tischen zu Bergen, Sträuße dunkler Rosen und violetter Clematis schmückten das Brett über dem Schreibtisch – Schönheit und Kunst, wohin ich blickte, und neben mir mein großer, guter Freund, dessen Augen in Liebe und Güte leuchteten.

Am Nachmittag fuhren wir nach der Rosenburg. Durch eine Waldschlucht stiegen wir hinauf nach dem Schlosse – einem häßlichen viereckigen, gelbgetünchten Kasten. Aber welcher Blick bot sich dem entzückten Auge, als der alte, halb taube Fremdenführer uns in Goethes einstige Zimmer brachte und wir am Fenster lehnten und uns ganz dem Zauber der Stunde hingaben! Zu unseren Füßen der Fluß in seinen schönen Windungen – er rauscht sein süßes Lied bald süß einschmeichelnd, bald wehmütig klagend. Ob wohl irgend jemand es besser verstanden hat, seit Goethe nicht mehr, am Fenster ruhend, auf das Tal hinabblickte, als die beiden Menschenkinder – der große Gelehrte mit dem Künstlergeist und dem Kindesherzen, so jauchzend froh und so verzweifelt traurig, wie nur ein Kind zu fühlen vermag, und die stille Frau neben ihm?! – Langsam stiegen wir talwärts und landeten in einem kleinen Wirtsgärtchen, wo ein trefflicher Aal für uns schon zubereitet war und K.s herrlicher Rheinwein wieder aus dem geliebten Ranzen hervorgeholt wurde. Daß wir wie die törichten Kinder abwechselnd aus dem gleichen Glase tranken, versteht sich von selbst, auch daß wir dem Schaffner zürnten, der uns ein Coupé anwies, in dem schon ein junger Kriegsgott thronte.

In Hochburg angekommen, wandelten wir noch ein halbes Stündchen im Paradies am Flusse, und hier will ich zum einzigen Male das berühren, was mein Freund längst in meinen Zeilen vermißt haben wird – den »Zauber des Persönlichen«. Er soll wissen, daß es mir köstlich war, von ihm geküßt zu werden, und daß die weiße Blume nicht duftlos ist.

Vom Sonntag will ich nur sagen, daß er ein schöner, heißer Sommertag meines Lebens war. Mit einem großen Strauß herrlicher weißer Nymphaeen nahm ich abends von meinem Freunde Abschied, nachdem er mir noch so viel von seiner Wissenschaft und seiner Kunst gegeben und mich alle Schätze seines reichen Herzens hatte schauen lassen.

Wieder beim hellsten Sonnenschein traf ich am anderen Morgen auf dem Bahnhof mit dem Freunde zusammen, den der lichtgraue Sommeranzug noch mehr verschönte, so daß alle Menschen der auffallenden Erscheinung nachblickten. Wir bekamen ein Coupé allein für uns, und hier war es, daß wir uns zum ersten Male – ganz wie von selbst – das traute »Du« gaben. In Weimar zeigte mir K. zuerst die Wandbilder seines alten Freundes Preller, dann fuhren wir zum Goethe-Hause, in dem mich vor allem das kleine Arbeits- und Sterbezimmer mächtig ergriff. Nie habe ich so sehr das Gefühl der Größe Goethes gehabt als in diesen bescheidenen Räumen, in denen er die herrlichsten Perlen der deutschen Dichtung schuf.

Der D-Zug führte uns der Wartburg entgegen. Wir waren beide hungrig geworden, und mein Freund ließ, in froher Geberlaune, Gänseleberpastete kommen. Wir saßen in einer Ecke des Speisewagens, und ich hatte Muße, die Gesichter der verschiedenen Mitreisenden zu beobachten, denen wir selbst ein Gegenstand des höchsten Interesses waren. Später gesellten sich noch zwei Herren, die an den übrigen Tischen keinen Platz mehr fanden, zu uns – und nun passierte eine hübsche kleine Geschichte. Ich hatte meine lieben Seerosen in mein halbgeleertes Weinglas gestellt, um ihnen während der heißen Fahrt eine besondere Erquickung zu bieten. K. sieht das, sein Künstlerherz wird gepackt, er greift nach dem Glase, um daraus zu trinken – da ertönt die entrüstete Stimme unseres einen Tischgenossen: »Mein Herr, wissen Sie nicht, daß das außerordentlich gefährlich ist?« Ein lustiges Wortgeplänkel mit dem hartnäckigen K., der sich durchaus »umbringen« wollte, folgte, und das Ende vom Lied war, daß der vorsichtige Warner K.s Namen erfuhr. Feuerrot vor Freude sprang er auf und überschüttete meinen Freund mit Lobeserhebungen aller Art – es war ein Breslauer College. Nun folgte ein heiteres halbes Stündchen, und mit Händeschütteln nahmen wir in Eisenach von unserem Tischgenossen Abschied.

Und hier passierte nun gleich eine zweite Episode, über die ich mich zunächst etwas entsetzte, dann aber köstlich belustigte. Ich ließ mir, um mich etwas zu erfrischen und einen Augenblick zu ruhen, ein Zimmer geben. Ohne ein Wort zu verlieren, als ob es ganz selbstverständlich wäre, ging mein »großes teures Kind« (so muß ich wirklich zuweilen sagen) ganz harmlos mit auf das Zimmer, entledigte sich ohne weiteres seines hellgrauen Rockes und seiner Manschetten, wusch sich in meiner Waschschüssel Gesicht und Hände und bürstete sich vor dem Spiegel Haar und Bart glatt. Ich saß unterdessen in Hut und Schleier sprachlos auf dem Sopha, knöpfte vor Verlegenheit meine Handschuhe abwechselnd auf und zu und schließlich – hätte ich K. am liebsten einen Orden 1. Klasse gegeben für seine rührende Kindlichkeit. Ich glaube, nur außergewöhnliche Menschen können so außergewöhnlich einfach und gut sein, und in diesem Augenblick standen wir beide auf einer hohen Spitze über den Menschen.

Aus Rücksicht für mich nahm K. einen Wagen nach der Wartburg, und so fuhren wir der alten sagenumwobenen Burg entgegen – die Fahrt eines Brautpaares! So still und froh war es mir um das Herz, und ich meine, alle Menschen müssen es mir angesehen haben, wie glücklich ich mich fühlte und wie rein und schön ich meinen teuren Freund lieb hatte. Schrecklich war es dann, wie die Herdentiere durch die Gänge und Säle der Burg geschleppt zu werden – meinem Geschmack würde es mehr entsprochen haben, mich in dem herrlichen Schloßhof niederzusetzen und die alte Zeit auf mich wirken zu lassen. Um so schöner war dann die Fußwanderung talaufwärts, immer durch Hochwald und an grünen Abhängen hin.

Der Gedanke an den Abschied stand mir auf diesem Wege so unaufhörlich vor der Seele, daß ich die volle Schönheit der Natur nicht genügend gewürdigt habe. Aber die wunderbare »Drachenschlucht«, als Abschluß unserer Wanderung und dieser glücklichen Tage, hat mir doch einen unvergeßlichen Eindruck hinterlassen. Oft schien es, als ob der schmale, zwischen den engen, düsteren Felsenmauern sich hinwindende Pfad am Ende und kein Ausweg mehr für den Wanderer sei, bis plötzlich ein friedvoll grünes Tal sich vor den Augen auftat. Möge auch unser Lebensweg, dessen Verlauf zwischen den Mauern, die ihn jetzt einengen, wir nicht sehen, zu stillem Glücke und Frieden führen! – –

»Lebe wohl und fühle, daß ich weiß, was du bist!«

Franziska.

*

Hochburg, 23.7.1899.

Meine teure Freundin!

Endlich der sehnlichst erwartete Brief, der mich aus meiner bangen Sorge befreit! Und dabei als holde Gaben meines »Mädchens aus der Fremde« die Geschichte unserer sechs glücklichen Tage, auf deren stillen Genuß ich mich schon »wie ein Kind« freue, und das herrliche Laien-Brevier der Freundschaft, welches mich demnächst auf der Reise nach dem Süden begleiten wird. Tausend Dank für Ihre Liebe! Auch für die Hinweise auf einige für uns besonders passende Stellen der Briefe an Frau von Stein – Sie finden immer mit wunderbarer Sympathie gerade die Stellen unseres größten Dichters heraus, die auch mir seit langem die liebsten sind.

Heute vor acht Tagen um diese Zeit standen wir nebeneinander im Goethezimmer auf der Rosenburg und schauten hinab auf die Schlangenwindungen meines Schicksalsflusses, der mich durchs Leben begleitet. Wie lieblich war sein Rauschen, als wir an seinem Ufer durch das Paradies gingen, und unser stiller Freund, der Mond, Busch und Tal mit Nebelglanz füllte! Ich wiederhole mir Tag für Tag und Stunde für Stunde alle die kostbaren Erinnerungen, mit denen Ihr holder Besuch in sechs kurzen Tagen mich beschenkte!

Von dem traurigen Stimmungsbilde dieser letzten fünf Tage seit unserer Trennung lassen Sie mich schweigen. »Himmelhoch jauchzend« – »zum Tode betrübt« wechselten stündlich mit einander ab, leider das letztere weit überwiegend! Das arme wilde Herz – jetzt krank im doppelten Sinne! – arbeitete bald zu ungestüm, bald zu schwach. Ich hoffe aber, daß es sich allmählich beruhigen und an dem tapferen Vorbilde meiner lieben Freundin aufrichten soll. Ihre wunderbare Seele, meine teure Franziska, erscheint mir immer mehr wie der zauberhafte Spiegelsee im Yellowstone Park, in dessen regloser Flut sich alle Gegenstände nicht nur mit mathematischer Treue und Wahrheit spiegeln, sondern auch mit einem unerklärbaren Glanze, welcher uns ihr inneres Wesen verklärt erscheinen läßt. So finde ich auch in Ihrer Korrektur meines »Sitte« in »Pflicht« meine besten Gefühle gereinigt und verklärt wieder.

Jetzt stehen mir noch zwei fürchterliche Wochen bevor: die beiden letzten des Semesterschlusses, wo sich Besuche, Berichte, Examina (mir die schrecklichste aller Pflichten!) usw. häufen. Dazu ein Berg von unbeantworteten Briefen (wer mag wohl die Schuld daran tragen?), die letzten Korrekturbogen, die mir noch viel Not machen, und die Vorbereitung auf den schwierigen Vortrag am nächsten Freitag in der Naturwissenschaftlichen Gesellschaft, der am 14. Juli eines hohen Besuchs halber verschoben werden mußte. Schließlich noch das schreckliche Packen der Kisten mit Instrumenten und Büchern, die ich übers Mittelmeer vorausschicken muß.

Und bei alledem immer der eine Gedanke: werde ich Sie vor der Reise noch einmal wiedersehen? und sei es auch nur auf einen Tag? Bitte, antworten Sie mir auf diese mich quälende Frage. Und noch eine Bitte: wollen Sie mir auf das beifolgende Geldtäschchen, das ich auf Reisen immer in der linken Brusttasche (»auf dem Herzen«!) trage, die vier Anfangsbuchstaben unserer Namen: P. F. A. K. sticken?

Lebe wohl, meine innigst geliebte Franziska, und fühle, daß ich weiß, was Du bist!

Dein Paul.

Ist der Waldblumengruß, den ich gestern schickte, leidlich frisch eingetroffen? Bei jeder Blume, die ich pflückte, habe ich an Sie gedacht, und jeder habe ich einen innigen Gruß Ihres alten Freundes an seine holde Geliebte mit auf den Weg gegeben. Sie werden an dieser Fülle der Grüße wohl einige Tage zu zehren haben.

*

Altenhausen, 25.7.1899.

Mein lieber teurer Freund!

Ihr Heimweh muß, an der Fülle der Blumen, die in entzückend frischem Zustande hier ankamen, gemessen, allerdings groß gewesen sein. Ich stelle mir Sie vor, wie Sie einsam durch den Wald gestreift sind, den ganzen Arm voll Blüten, das Auge auf die lieblichen Kinder Floras gerichtet und das Herz voll Sehnsucht in die Ferne schweifend. Es ist ein zarter, echter Künstlergedanke, sein Heimweh mit Blumenpflücken zu stillen, und ich danke Ihnen tausendmal für die liebe Sendung, die mir das Herz recht schwer und doch zugleich so froh gemacht hat.

Über Ihren Wunsch, mich vor Ihrer Reise noch einmal zu sehen, habe ich viel nachgedacht. Er hat in mir selbst einen schweren Kampf erregt, denn ich sehne mich nach meinem Freunde, wie er sich nach mir sehnt. Ich darf aber bei dieser Frage nicht an mich denken, sondern nur an meinen Freund und sein Bestes, und da halte ich es nicht für sein Bestes, wenn er jetzt mit mir zusammen kommt, so schwach und krank wie sein Herz eben ist. Ich weiß, daß meine Gegenwart sein Herz jetzt nicht still und ruhig machen kann, und daß der neue Abschied sein Heimweh nur verdoppeln würde. Darum bitte ich Sie: Unterdrücken Sie den Wunsch mit festem Willen und fahren Sie sobald als möglich in die Schweiz. Die hehre Alpenwelt und dann die dreimonatige Reise, frei von allen nahen Sorgen und Berufsgeschäften, werden – schon durch die räumliche Entfernung – beruhigend und klärend auf Sie wirken.

Mit Freuden habe ich Ihren Wunsch erfüllt und auf Ihr Portefeuille unsere Buchstaben gestickt, umrahmt von Blumen des Glücks. Mögen sie von guter Vorbedeutung sein!

Ihre schönen Wasserrosen schwimmen in einer uralten Großmutterschale neben mir. Bis jetzt hat sich aber nur eine einzige erschlossen, und ich fürchte fast, daß die anderen mir ihr liebes Gesicht verbergen wollen. Sie sehnen sich wohl nach ihrer Heimat zurück, und ihrer jetzigen Besitzerin geht's nicht besser. Wie haben Sie's nur angefangen, in so kurzer Zeit mir ein so warmes Gefühl ins Herz zu zaubern? – wahrlich, wenn wir im Mittelalter lebten, ich würde an geheime Tränke glauben; wer weiß, ob mein lieber Hexenmeister mir in den roten Kirschlikör nicht etwas hineingetan hat, daß ich das Heimweh nach ihm nicht wieder los werden kann!

Doch Scherz bei Seite! – es will mir absolut nicht in den Sinn, daß wir unser wunderbares Sichfinden nur dem blinden Zufall verdanken. Weshalb mußte ich unter den vielen Büchern, die in der »Deutschen Rundschau« angezeigt werden, gerade auf Ihr Werk aufmerksam werden – so sehr, daß ich mich bei dritten Personen danach erkundigte, die nun gerade dieses Buch besaßen und mir schickten? Und weshalb mußte ich, einem unerklärlichen Trieb gehorchend, Ihnen schreiben und auch gerade die rechten Worte finden, die Ihr Interesse und dann Ihre Sympathie erweckten? Wie hängen überhaupt diese feinsten Seelenfäden, die uns so nah verbinden, zusammen? Sie sagten mir, daß Sie umworben worden seien von zahllosen Frauen – wie viele von diesen werden hübscher und jünger, vielleicht auch klüger gewesen sein als ich, und doch fehlte das geheime letzte X, ohne das man sich nie von Herzen nahe tritt.

Wenn Sie mir darauf auch antworten werden: »Liebe Franziska, das ist alles ganz natürlich aus der Konstruktion unseres Körpers, aus Anlagen und Vererbungen zu erklären«, so versichere ich Ihnen, daß mir das viel schwieriger und unnatürlicher zu glauben ist, als die Idee eines großen, allumfassenden Wesens, von dem am letzten Ende doch alle Fäden des so mannigfaltig verwickelten Gewebes auslaufen. Wie diese Fäden geknotet und geschürzt werden – das zu erkennen, ist nicht Menschensache, aber es giebt eine Hand, die sie lenkt. Lieber Freund, Ihre ganze Entwicklungsgeschichte, so fein durchdacht, so klar und wunderbar aufgebaut auf dem festen Boden der Naturerkenntnis, entzückt mich – ich glaube an sie und ich glaube auch gern an alle daraus gezogenen Konsequenzen. Aber hinter der ersten Urzeugung ist Etwas, das wir nicht zu erklären vermögen – es redet zu uns, wenn wir einander ins Auge schauen, es steht bei Geburt und Grab hinter uns, es ist zu groß, um sein Wesen zu erfassen, aber es ist in und um uns, und auch Sie, mein Freund, glauben daran. »Nenn's Glück, Herz, Liebe, Gott! Ich habe keinen Namen dafür. Gefühl ist alles; Name ist Schall und Rauch.« In Treue

Ihre Franziska.

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Schloß Altenstein, 4.8.1899.

Liebste Freundin!

Heute Vormittag bin ich zu dem Besuche, welcher vor drei Wochen um eines hohen Besuches in Hochburg willen verschoben werden mußte, hier angekommen, vom Herzog und seiner Gemahlin, die mir beide gleichermaßen gewogen sind, aufs liebenswürdigste begrüßt. Mit welchen Empfindungen ich auf der Fahrt alle Einzelheiten unserer glückseligen Fahrt vom 17. Juli an mir vorüberziehen ließ, brauche ich Ihnen nicht auszuführen.

Der ganze Tag hier war reizend – nur Sie fehlten mir, um denselben zu einem vollkommenen Sonnentage zu machen. Sehr heiteres Diner, Nachmittag schöne Fahrt nach einem einsamen Jagdschloß; Frau Baronin selbst kutschierte mich – Sie hätten eifersüchtig werden können!! Auf dem Jagdhaus trafen wir den Schwager des Herzogs und dessen Sohn, der in Hochburg studiert hat – beide sehr nett, intelligent und fein gebildet. Lebhaftes dreistündiges Gespräch über die »Lebensfragen« – fast ein Privatissimum! Ich geriet in Feuer – Sie würden auf Ihren alten Lehrer stolz gewesen sein; der Kerl sah in dem bekannten hellgrauen Sommeranzug gut aus und fand an der jungen liebenswürdigen Frau Prinzessin eine »neue Bewunderin« (wie eitel!).

Ich bin hier fürstlich einquartiert – was gäbe ich darum, wenn Sie das alles miterleben könnten! Altenstein ist landschaftlich eine Perle – Lage mitten im herrlichsten Buchen- und Eichenwald, Park mit frischen grünen Matten, auf denen Rehe und Hirsche grasen, seltene Fasanen und Pfaue ihr prächtiges Gefieder entfalten; vor meinem Erker ein rauschender Springbrunnen, an den bunten Fenstern daneben meine liebe violette Clematis. Dazu ein wolkenloser Himmel, die große Güte meiner Gastfreunde, um mich fürstlicher Luxus – kurz, es fehlt zum vollen Glück nur eins, aber leider das Beste: meine Franziska, für die ich alles andere gern preisgeben würde.

*

Schloß Altenstein, 5.8.1899.

Meine teure, innigst geliebte Franziska!

Nach einer schlaflosen Nacht, in der ich mich unaufhörlich mit Dir und mit unser beider Schicksal beschäftigt habe, muß ich Dir heute eine sehr ernste, mich tief bewegende Generalbeichte ablegen. Der gütige Herzog hat mir mehrere Stunden zum Briefschreiben gelassen, und ich benutze sie, um Dir heute schon das zu sagen, was ich Dir eigentlich erst acht Tage später aus Heidelberg schreiben wollte.

Ich sitze hier mitten im vollsten Glück, umstrahlt vom heitersten Sonnenschein in der schönsten Natur, umgeben von fürstlicher Güte und feinstem Kunstsinn – müßte ich nicht zum Augenblicke sagen: »verweile doch, du bist so schön«? Statt dessen werde ich auch hier unablässig von heißer Sehnsucht nach Deiner Nähe gequält und schlimmer noch von der schweren Frage: »Was soll aus unserem innigen Freundschafts- und Liebesbunde eigentlich werden?«

Diese Frage hat sich für uns beide zu der schwersten Lebensfrage gestaltet, seit ich heute vor sieben Wochen zum ersten Mal in Dein liebes, seelenvolles Auge schauen durfte und seit jener rätselhafte Zauber uns zu umweben begann, der uns seitdem mit unwiderstehlicher Gewalt an einander kettet – unlösbar! Du hast recht, meine teure Geliebte: wunderbar ist das Geschick, welches uns beide in so seltsamer Weise zusammengeführt und so fest zusammengefügt hat! Ich könnte wahrhaftig durch Dich noch zum Mystiker werden – ich, der Todfeind jeder Mystik und jedes Aberglaubens!!

Doch darüber schreibe ich Dir auf meiner großen Reise in Ruhe, ebenso über Deine reizende Skizze unserer sechs glücklichen Tage. Jetzt aber müssen wir uns klar darüber werden, wie unser inniger Freundschaftsbund sich in nächster Zeit gestalten soll, und ob das süßeste aller Worte: » Liebe« darin Platz finden darf. In den fünfzig schlaflosen Nächten seit unserer ersten Begegnung, in denen ich darüber gegrübelt habe, in diesem schweren Kampf zwischen bitterer Pflicht und süßer Neigung sind mir schließlich nur drei Fälle möglich erschienen, zwischen denen wir zu wählen haben.

Erster Fall: Wir betrachten die sechs wunderbaren Tage unseres persönlichen Zusammenseins als einen schönen Traum, als eine »Fata morgana«, welche uns das denkbar höchste Glück dieses Erdenlebens in den schönsten idealen Farben vorgespiegelt hat, welcher aber in Berührung mit der harten Wirklichkeit, mit der bitteren Pflicht unseren gegebenen Familienverhältnissen gegenüber in Nichts zerrinnt. Wir sagen uns, daß, so wie die Verhältnisse nun einmal fest liegen, unsere innigst ersehnte eheliche Verbindung zunächst unmöglich und auch für die Zukunft wenig wahrscheinlich ist. In diesem Falle, meine teure Geliebte, müssen wir tapfer sein, unser warmes Herz gewaltsam abkühlen und den Zaubermantel der »Persönlichkeit«, der uns so fest umschlungen hat, abzustreifen suchen. Wir sagen uns, daß ich alter Mann nicht das Recht habe, ein mehr als 30 Jahre jüngeres, schönes und liebenswürdiges Mädchen von seltenen Geistesgaben an mich zu ketten, daß Du vielleicht bald einem jüngeren und besseren Mann begegnest, der Dir ein dauerndes Lebensglück gründen kann.

Dann, meine liebste Franziska, muß unser Briefwechsel auf den früheren objektiven und rein freundschaftlichen Fuß zurückkehren, und ich muß mich in den bittersten aller Gedanken finden: Dich nicht wiederzusehen. Ich werde dann in der stillen Klosterzelle meines Instituts meine letzten traurigen Lebensjahre einsam verbringen. – Das Alles wird uns bitter schwer werden – mir noch weit mehr als Dir! Denn Du weißt nicht, wie ich mich täglich – nein stündlich! – danach sehne, noch einmal Deine süßen roten Lippen zu küssen, noch einmal meinen Arm um Deinen schlanken Leib zu legen, noch einmal tief in Deine treuen blauen Augen zu sehen! Ach, Franziska, als Du mir an jenem unvergeßlichen Abend des 18. Juni den ersten Kuß schenktest, da habe ich ein Glück empfunden, das ich, seitdem mir meine teure erste Frau geraubt wurde, nicht mehr gekannt habe.

Zweiter Fall: Wir geben der stillen Freundin Hoffnung Raum und warten geduldig ab, ob vielleicht eine unerwartete Wendung des Geschickes uns beide doch noch zu dem ersehnten Ehebunde führen wird. Meine arme Frau ist durch ihr schweres, nun schon mehr als zwanzig Jahre dauerndes Nervenleiden so geschwächt, durch den melancholischen Gemütszustand unserer leidenden Tochter so angegriffen, daß sie in diesen langen traurigen Jahren selbst sich die Erlösung durch einen sanften Tod schon oft gewünscht und ihn erwartet hat. Aber andererseits schleppen sich erfahrungsmäßig gerade solche Krankheitszustände oft viele Jahre, ja Jahrzehnte hin – es ist leicht möglich, daß ich selbst viel früher sterbe.

Also, liebste Franziska, bitte ich Dich dringend, der Hoffnung, daß ich frei werde, nicht zu viel Raum zu geben. Und dann bedenke, welche schwere Last Du auf Dich nimmst, wenn Du wirklich mein Schicksal in dieser späten Herbstzeit des Lebens mit mir teilen willst! Bedenke, daß ich in ein paar Jahren das siebzigste Lebensjahr erreicht haben werde, welches ich mir früher oft als Grenze der aktiven Lebenszeit gesteckt hatte, obgleich meine beiden Eltern noch als Achtzigjährige frischer und gesunder waren, als die meisten anderen Menschen mit sechzig Jahren. Aber ich bin ein ermatteter Krieger, dem der harte »Kampf um die Wahrheit« die schwersten Schläge versetzt hat und dessen Herz aus hundert Wunden blutet!

Und dann bedenke, meine teure Geliebte, welches Entsetzen die Heirat mit dem mehr als 30 Jahre älteren Mann, dem »bürgerlichen« Professor, dem »berüchtigten« Materialisten, dem Gottesleugner in Deiner frommen und adelsstolzen Familie hervorrufen würde. Ich fürchte, mein neues Buch wird einen ähnlichen oder noch schlimmeren Sturm entfesseln, als vor 30 Jahren mein erstes großes Werk. Meine arme Frau, der meine radikalen Neigungen und meine ungeschminkte Redefreiheit stets höchst unangenehm waren, hat damals schwer darunter gelitten und mir oft die bittersten Vorwürfe gemacht. In welchen Konflikt würdest Du nun gar mit Deiner Familie geraten! – Also überlege es wohl, ob Du diesen zweiten Fall – wie ich vermute – den beiden anderen vorziehst!

Dritter Fall: Wir folgen nur dem heißesten Wunsche unseres Herzens und ziehen zusammen in die » weite, weite Welt«. Ich habe auf meinen großen Reisen so manchen Erdenfleck kennen gelernt, der mir als Paradies für ein junges Liebespaar erschienen ist. Die Inseln Elba und Rhodos, Madeira und Teneriffa sind einsame Eilande, fernab von lästigen Kulturmenschen, von der Natur mit den herrlichsten Reizen ausgestattet. Ich würde dort für meine Lieblingsarbeiten das reichste wissenschaftliche und künstlerische Material finden, und ich bin fest überzeugt, daß wir beide – allein zusammen und ganz auf uns angewiesen – dort wirklich den »Himmel auf Erden« finden würden. Auch würde ich reichlich die Mittel besitzen, um diesen Plan durchführen zu können. Ursprünglich mit bescheidenem Vermögen, sehr einfach erzogen, habe ich nach meiner eigenen Neigung ganz anspruchslos – teilweise asketisch – gelebt und mir durch Sparsamkeit und Fleiß (Schriftstellerhonorare!) ein stattliches Vermögen gesammelt, ausreichend, um meine Familie gut zu versorgen und daneben noch für Dich und mich die nötigen Mittel zu jener Sonder-Existenz zu erübrigen.

Ich lege Dir offen das Bekenntnis ab, meine innigst Geliebte, daß dieser farbenreiche Zukunftstraum mir so ideal vor Augen stand, daß ich ihn wochenlang ernstlich erwogen habe und bereit war, ihm und Dir Alles zu opfern, meine ganze bisherige Stellung, meinen Ruf usw. Indessen muß ich gleich hinzufügen, daß ich ihn jetzt aufgegeben habe – nicht weil ich das Opfer scheute, sondern aus Pflichtgefühl. Wir würden unsere Pflicht gegen Deine und meine Familie verletzen, und ich würde meinem mühseligen Lebenswerke diejenige Stütze nehmen, deren es als mein Werk durchaus bedarf: die Stütze eines fleckenlos reinen Charakters, der sein »Ich« der Sache opfert, der er ein halbes Jahrhundert voll saurer Arbeit mit unendlicher Geduld und Hingebung gedient hat. Auch weiß ich ja, liebste Franziska, daß Du auf diesen Plan auch dann nicht eingehen würdest, wenn ich Dich darum bitten würde.

Bleibt also nur die Wahl zwischen I oder II. Wir sind kein gewöhnliches junges Liebespaar, welches mit der Neigung scherzt und tändelt. Wir sind beide »einsame Menschen« von hoher Begabung, denen das Schicksal schon viele Illusionen grausam zerstört hat. Ich fürchte, daß es auch diese letzte und höchste Illusion in Trümmer schlagen wird! In den vielen schlaflosen Nächten, die ich um Dich gelitten und oft bitterlich geweint habe, frug ich mich vergebens nach dem Grunde der »Lebensfrage«, die für uns beide in unserer Liebe liegt. Warum habe ich, der dreißig Jahre hindurch zahlreichen Angriffen schöner und verführerischer Frauen tapfer widerstanden hat, vor Dir mich in den Staub geworfen, trotz allen Bedenken und Hindernissen?! Liebste Franziska, das ist eben das Rätsel der » Wahlverwandtschaft«, dieses wunderbaren psychologischen »Chemotropismus«, über dessen Macht ich in meinen Büchern wiederholt gesprochen habe – nicht ahnend, daß ich selbst noch im hohen Alter ihm unterliegen würde!

Nun wähle, meine innigst Geliebte, und entscheide mit Deinem klaren Verstande und Deinem reinen Gemüt unser Schicksal! Erwäge es reiflich, Deine Antwort erwarte ich erst in Heidelberg bei Freund Gegenbaur. Einen letzten Kuß von Deinem treuen

Paul.

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Hochburg, 9.8.1899.

Meine teure Freundin!

Mitten im Rüsten der Abreise nur ganz kurz die nötigsten Mitteilungen betr. die beiden Kisten, die heute an Sie abgingen. Die größere (als Eilgut) enthält nur Bücher, die Ihnen die Einsamkeit vertreiben sollen; sie sind im Falle meines Todes Ihr unbestrittenes Eigentum.

Der Inhalt des Postpakets ist, abgesehen von meinem Reliefbildnis, materiell wertlos, mir persönlich aber vom höchsten idealen Wert. Es sind die Memorabilien von meinen Reisen (vgl. Sie zu den Ginkozweigen Goethes reizenden Hymnus und betrachten Sie die Farrenkräuter und die zwerghaften Alpenpflänzchen in den beiden Mappen durch die Lupe) und mein »Schatzkästchen«, das die Andenken an meine erste Frau enthält, darunter den schlichten Schmuck, den ich als Student in Venedig aus meiner knappen Reisekasse kaufte und später meiner Anna als Verlobungsgeschenk gab, und die Mosaikbrosche, die ich als Bräutigam ihr von Rom mitbrachte. Über diese Stücke ist manche Träne geflossen. Ich möchte sie in keinen anderen Händen wissen, als in denen der Frau, die mich so tief versteht, wie einst meine Anna. Sie berauben dadurch, daß Sie sie annehmen, niemand. Als ich mich mit meiner zweiten Frau verlobt hatte, wollte ich ihr die mir kostbare römische Brosche schenken – sie fand sie »unmodern« und wies sie zurück. Ich wünsche diese mir teuersten Erinnerungen auch nicht zurückzuerhalten – ausgenommen, daß der einzige Wunsch, den ich noch für den Rest meines Lebens habe, in Erfüllung ginge: mit der Frau vereinigt leben zu können, die nächst meiner Mutter und meiner Anna mir am nächsten steht.

Am Samstag hoffe ich reisen zu können. Ihren Hauptbrief, die Antwort auf meine Altensteiner Generalbeichte, erwarte ich in Heidelberg, zusammen mit dem versprochenen neuen Bilde, das mich als Talisman begleiten soll. Mit tausend Grüßen

Ihr treuer Paul.

*

Altenhausen, 9.8.1899.

Mein geliebter Freund!

Ich versuche nicht, für Ihren Brief zu danken, denn das kann man dem Manne, der sein Innerstes offen erschließt, nicht mit bloßen Worten. Ich möchte auch von mir und den Kämpfen, die der Brief über mich heraufbeschworen hat, nichts weiter sagen. Hätte ich geahnt, welches Leid ich über Sie brachte, als ich, von einem unerklärlichen Impuls getrieben und von reinster Freundschaft bewegt, Ihnen den Mund zum Kusse bot – ich würde es nie getan haben, würde nie wieder nach Hochburg gekommen sein – denn ich sehe keinen Ausweg, dieses Leid zu heilen.

Den I. und III. Fall des Altensteiner Briefes habe ich überhaupt nicht in betracht ziehen können. Aber auch der II. Fall bedarf einer wesentlichen Korrektur, um einen möglichen Weg zu eröffnen.

Was ihn, so wie Ihr Brief ihn darlegt, unmöglich und ungangbar macht, ist das Peinliche, das Gefährliche, das Unrecht, das darin läge, wenn Sie und ich gewissermaßen auf den Tod Ihrer armen Frau warteten, ja, um es kraß zu sagen, auf denselben hoffen und, wenn er einträte, uns über ihn freuen würden. Das ist eine ethische Unmöglichkeit und würde für uns beide eine schwere sittliche Gefahr bedeuten. Es wäre mit der Treue, die Sie Ihrer Frau schulden, unvereinbar, und es würde unser ganzes Seelenleben und damit die Seele unserer Freundschaft vergiften. Wir dürfen uns nicht an diese Hoffnung auf die Zukunft klammern, sondern müssen in der Gegenwart handeln, wie es unserer würdig ist.

Ich habe die ganze Lage so kühl und klar (mir selbst erstaunlich!) geprüft, daß ich sogar einen Gedanken in betracht gezogen habe, den Sie gar nicht erwähnen: den Ihrer Scheidung – aber ich habe ihn verworfen. Das wäre nur dann ein gangbarer Weg, wenn Ihre Frau selbst ihn wünschte. Aber daß Sie eine arme einsame Kranke, mit der Sie über dreißig Jahre zusammen lebten, die Mutter Ihrer Kinder, im Stiche lassen könnten, das wäre etwas, worüber wir nie hinwegkommen würden – ganz abgesehen von der Verurteilung durch die Mitwelt. Es würde uns auch keinen Segen bringen; denn, wenn der Rausch der ersten Seligkeit verflogen wäre, würden wir immer den nagenden Selbstvorwurf empfinden, daß unser Glück auf einer Untreue aufgebaut wäre – auch das würde unsere Seelen vergiften.

Nein, mein Freund, ich weiß nur einen guten Weg für uns: Sie müssen Ihrer Frau offen die Wahrheit sagen und dadurch unsere Freundschaft sanktionieren. Ihre Gattin muß erfahren, daß Sie in den schwersten Seelenkämpfen stehen, daß Sie aber willens sind, ihr das schwere Opfer der Entsagung zu bringen. Dafür können Sie dann von ihr fordern, daß sie unsere Freundschaft ehrt und achtet, und daß sie Ihnen etwas mehr Sonnenschein in Ihrem freudlosen Heim gewährt. So, wie Sie jetzt dort leben, kann es nicht weiter gehen – das ist kein Leben, sondern seelischer Selbstmord. Der einsame Mann in seinem Institut, wie Sie ihn beim »ersten Falle« Ihres Briefes schildern, ist eine Vorstellung, an die ich nur mit heißen Tränen denken kann.

Ich weiß, daß ich Ihnen Schweres zumute; böse Stunden und Stürme mögen Ihnen beiden bevorstehen (vielleicht wäre es schriftlich während der großen Reise und längeren Trennung leichter und besser als mündlich), aber Sie können Ihrer Frau dann doch ehrlich und fest ins Auge blicken. Von heißer Sehnsucht und Liebe dürfen unsere Briefe dann nicht mehr reden, aber unsere Seelen werden sich, auch wenn uns diese beiden wundersamen Worte verboten sind, genug zu sagen haben. Wir schreiben uns liebe, schöne Freundschaftsbriefe – Wellen eines klaren, reinen Sees, in dessen Fluten sich der Himmel spiegelt und in dessen Tiefe verborgen die köstliche edle Perle schläft.

Und nun komme ich zum Letzten und Schwersten. Haben Sie mit Ihrer Frau den Pakt geschlossen, dann ist es Ihre Pflicht, die Schwache und Wehrlose weiterhin mit Liebe zu tragen. Werden Sie das ehrlich tun können? Werden Sie den Wunsch, daß der Tod Ihrer Frau Sie von einer drückenden Fessel befreien möge, ganz verbannen können? Werden Sie stark genug sein, die Freundschaft mit mir in der rechten Weise zu pflegen, sodaß Nichts das Auge Ihrer Frau zu scheuen hat?

Hier scheidet sich der Weg. Werden wir den steilen Pfad Hand in Hand wandern oder müssen wir einsam gehen? Prüfen Sie das im tiefsten Herzen, mein teurer Freund!

Vielleicht warten wir Wochen, Monate lang, ehe Sie wieder von mir hören wollen, bis die schöne Reise, das Ausruhen in der großen Natur, die Trösterin Zeit den »Zauber des Persönlichen« von uns genommen haben. Sie finden meine Treue immer bereit, wenn Sie wieder anklopfen, und ich habe Geduld zu warten, bis Sie das Schwerste durchgerungen haben.

Möge mein Brief den rechten Weg zu Ihrem Herzen finden! Ich lege meinen Arm um Ihren Hals, liebster Freund, und küsse Ihre Stirn.

Ihre Franziska, die das Herz des besten Mannes zu hüten hat.

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Altenhausen, 11.8.1899.

Mein teurer Paul!

Ihre »Generalbeichte« von Schloß Altenstein hat Sie meinem Herzen nur um so teurer gemacht. Nichts in dem Briefe war mir fremd; es ist mir gewesen, als ob ich jedes Ihrer Worte schon vorher wußte. Nachdem ich Ihren Brief und meine Antwort wohl zehnmal immer von neuem durchgelesen habe, sende ich meinen Brief nun so ab, wie ich ihn vorgestern schrieb – anders, als ich ihn schrieb, kann ich nicht sprechen. Ich weiß, daß ich Schweres von Ihnen fordere, aber unser Verhältnis muß rein und klar auf dem Boden der Pflicht gegründet sein, und wir dürfen nie das Auge Ihrer Frau zu scheuen brauchen.

Mein Gefühl für Sie ist so groß, rein und selbstlos, wie nur die idealste Freundschaft es geben kann. Ich liebe in Ihnen die Seele des größten Mannes, der mir je begegnet ist, und ich habe zugleich das unendlichste Mitleid mit einem über alle Maßen schwergeprüften Menschen und möchte ihm so viel Gutes tun, als ich nur vermag. Ich weiß, daß ich nie für jemand ein reineres edleres Gefühl empfinden werde, und ich weiß auch, daß wir beide in glücklichster Harmonie mit einander leben würden, sei es ganz allein auf einer menschenfernen Insel, sei es im Gewühl der großen Welt. Wir sind beide einsame Menschen, die nach dem Höchsten streben, in Idealen leben, oft verwundet, selten verstanden werden, und in einander das finden würden, was uns gegen die Außenwelt schützen und uns trösten könnte.

Mein Freund, Ihre Liebe mag stärker sein als die meine, die ich kaum mit dem Worte Liebe im irdischen Sinne bezeichnen will – jedenfalls macht sie Ihnen mehr Qual und Unruhe als mir. Durch Ihren ganzen Brief zieht sich das Gefühl der Sehnsucht nach dem Persönlichen, Körperlichen, und dieses Gefühl muß gefesselt werden, wenn Sie in Zukunft noch Freude und Segen von unserer Freundschaft haben, wenn wir nicht allem, was Pflicht und Treue heißt, ins Gesicht schlagen wollen. Glauben Sie nicht, daß Sie mir unverständlich wären – ich habe für Ihre Sehnsucht nach mir das tiefste, blutendste Mitleid, und kein Opfer wäre mir zu groß, wenn ich Ihnen damit ( nicht mit Unrecht) das wahre Glück erkaufen könnte. Darum dürfen Sie auch nie ein Gefühl der Beschämung empfinden, daß Sie mir Ihr Herz so ganz und gar, so groß und so demutsvoll erschlossen haben – ich kann nur mit den Worten der Bibel antworten: ich glaube alles, ich dulde und trage alles mit Ihnen, und ich hoffe für unsere edelste Freundschaft alles von Ihrer sittlichen Größe.

Mit heißen Tränen der Rührung empfing ich heute morgen Ihre Sendung. Welche Liebe, welches Vertrauen! Sie geben mir Ihre heiligsten Erinnerungen, die Andenken an Ihre verstorbene Frau und Ihr verlorenes kurzes Glück – ich werde sie als Heiligtümer bewahren. Tief bewegt hat mich der Schmuck von blauen Perlen und Muscheln: das Verlobungsgeschenk – wie einfach und anspruchslos hat sich diese große Liebe gekleidet! Wie schön sind die goldenen Haare von Paul, dem Kinde und Jünglinge! – Ich habe Ihr »Schatzkästchen« sorgfältig verwahrt – nur ein kleines Stück habe ich ihm entnommen: das silberne Herzchen, das ich fortan immer bei mir tragen will. Und welche unendliche Freude haben Sie mir mit Ihren Aquarellen bereitet und dem schönen Reliefbilde – es hängt schon über meinem Schreibtisch vor mir, ich sehe zu ihm auf und freue mich an den großen edlen Zügen, die nichts Unreines, Kleinliches kennen.

Nun ist noch, wie Sie meldeten, eine große Kiste mit Büchern für mich unterwegs. Das ist mir schwer um Mamas willen, die mit Kummer die vielen Geschenke von Ihnen kommen sieht. Ich freue mich auf die Bücher, die mir Trost und Erhebung in meine Einsamkeit bringen, aber ich habe selbst doch auch Bedenken. Ich kann von meinem treuen Freunde viel annehmen – aber der Freund ist zugleich ein mich grenzenlos liebender Mann, und hier müssen wir eine feine zarte Grenze ziehen, damit sich nichts Unschönes eindrängt, und zumal jetzt, wo sich unser Verhältnis klären soll, müssen wir vorsichtige Hüter unserer Freundschaft sein. Wüßte Ihre Frau oder Ihre verheiratete Tochter, daß ich so große Geschenke von Ihnen annehme, sie würden – ohne mich zu kennen – nur allzu leicht eine ungünstige Vorstellung von mir bekommen.

Ich füge heute, wie versprochen, mein neues Bild bei – nicht ohne Bedenken, da es besonders günstig ausgefallen ist und somit Ihre Sehnsucht nach mir vielleicht von neuem erregt. Nehmen Sie es als Zeichen, daß ich Sie überall, auf Alpenhöhen und übers Mittelmeer, mit meiner Seele begleite. Gott segne und schütze Sie auf Ihrer Reise!

Ihre Franziska.

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Heidelberg, 13.8.1899.

Liebste Freundin!

Heute Morgen gab mir Freund Gegenbaur Ihren mit fieberhafter Spannung erwarteten Brief. Ich wagte nicht, ihn gleich zu öffnen, sondern ging mit ihm aufs Schloß und setzte mich auf die Bank bei Victor v. Scheffels Standbild – auch er war unglücklich verheiratet, mit einer vornehmen Offizierstochter, die ihn aus Bewunderung des Dichters geheiratet hatte und sich dann mit dem burschikosen Menschen nicht zurechtfand. Der Platz unter seinem Denkmal war wohl der rechte Ort für die heißen Tränen, die ich über Ihren Brief und Ihr Bild dort vergossen habe.

Wie herrlich ist dieses wunderbare Bild! Das ist ganz meine Franziska, das holde liebliche Mädchen, dessen reizende schlanke Gestalt mich beim ersten Sehen am Morgen des 17. Juni so ganz gefangen nahm, dessen seelenvolle Augen sich sofort bis in die tiefsten Tiefen meines Herzens senkten, dessen süßer roter Mund mir am 18. Juni den ersten Kuß schenkte! Dieses Bild wird mich als ein unschätzbarer Talisman nicht nur auf dieser Reise, sondern bis an mein Lebensende begleiten. Tausend Dank dafür und für Ihre herrlichen Briefe!

Ihre Antwort auf meine Altensteiner Schicksalsfrage ist ganz so ausgefallen, wie ich es von Ihrem tiefen Gemüt und klaren Verstand erwartet hatte – nur noch viel feiner und edler. Diese Briefe haben mir erst vollkommen klar gemacht, welch unschätzbares Geschenk Sie mir für mein ganzes, noch übriges Leben mit Ihrer echten, reinen Freundschaft und Liebe gegeben haben – was sind alle die kleinen Gaben, die ich Ihnen in der letzten Woche zusandte, gegen das goldene Geschenk eines solchen Herzens?!

Ich bin heute zu erregt, um Ihnen hier im unruhigen Hotel ausführlich schreiben zu können. Um ganz allein mit mir und Ihnen zu sein, fahre ich heute Abend oder morgen für drei Tage an irgend einen stillen grünen Fleck im Odenwald. Von dort schreibe ich Ihnen einen eingehenden Herzenserguß. Wir wollen beide tapfer und groß sein!

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Neckarsteinach, 15.8.1899.

Liebste Fr.!

Ich werde Dich in meinen Briefen jetzt oft nur mit diesen beiden Buchstaben anreden; Du kannst Dir dabei denken: Freundin, Freude, Franziska, Friedensengel, was Du willst. – Seit gestern bin ich hier im bescheidenen Gasthaus »zum Schwalbennest«. Sein Komfort erinnert sehr an unsere idyllische Klostermühle, es liegt aber wunderschön außerhalb des Städtchens unmittelbar über dem Neckar, dessen schöner Spiegel in weitem Bogen einen bewaldeten Berg umzieht, auf welchem ein altes Schloß thront, an unsere Rosenburg erinnernd. Von dem Westfenster meines kleinen Eckzimmerchens genieße ich die romantische Aussicht auf die Ruinen der Burgen der alten Raubritter von Steinach – am liebsten würde ich dieses malerische Bild gleich festhalten und Dir als erstes Aquarell von dieser Reise schicken. Ich halte es aber für wichtiger, diese drei stillen Tage der Einkehr ganz für das Durchdenken und Festlegen unseres Verhältnisses zu benutzen.

Nachdem ich gestern den ganzen Tag einsam über Berg und Tal gestreift bin, ist es heute schon ruhiger und klarer in mir. So kann ich Dir schon jetzt das Gelöbnis geben, daß auch ich in der dunkel vor uns liegenden Zukunft stets den dornenvollen Weg der Pflicht – Hand in Hand mit Dir! – zu gehen entschlossen bin. Du hast allerdings mit dem magischen Einflusse Deines seltenen Liebreizes in mir die heftigste Leidenschaft entfesselt – Empfindungen, Hoffnungen, Wünsche, die ich seit Jahrzehnten begraben wähnte, aber ich will und werde die Kraft finden, diese Leidenschaft zu bezähmen.

In allem will ich dem Wege folgen, welchen Dein herrlicher Brief vom 9. 8. uns vorzeichnet – nur Dein Wunsch, ich solle mit meiner Frau ganz offen über unsere nahe Freundschaft sprechen, ist unausführbar. Das ist schon um ihres leidenden Zustandes willen unmöglich, aber dieses Experiment würde auch nicht zu dem von Dir erhofften Erfolge führen, sondern meine und unsere Lage nur verschlimmern. Meine arme Frau würde mich bei dieser Eröffnung nur verständnislos anschauen. Als ich ihr vor 1½ Jahren Deine ersten Briefe mitteilte, sagte sie nur: »da hat sich wieder mal ein eitles Frauenzimmer an dich gehängt«, und als ich Dich am Nachmittag des 17. Juni in unsere Villa führte, um Dir meine Bilder zu zeigen, sagte sie nachher: »das war auch nicht nötig!« Es ist ein Jammer, daß die unglückliche Frau, die so viele gute Seiten hat, als Hausfrau und Mutter musterhaft ist, überall nur den Schatten sieht, nicht das Licht. Du schreibst, ich solle als Entgelt für mein Opfer der Entsagung von meiner Frau mehr Sonnenschein für meine einsame Häuslichkeit fordern – teuerste Freundin! mit demselben Recht könnte ich von dem stillen kalten Monde fordern, daß er das Licht und die Wärme der glühenden, Leben erweckenden Sonne ausstrahle!

Kennst Du die erschütternde Novelle von Paul Heyse »Himmlische und Irdische Liebe«? – das Schicksal ihres unglücklichen Helden ist auch mein Loos. Und das muß gerade mir geschehen, den sein vulkanisches Temperament immer zu Extremen treibt – schon vor zwanzig Jahren haben die Studenten »Kämpfers Feuergeist« besungen, und Freund Gegenbaur sagt oft zu mir: »Immer zu viel, immer › hyper‹!« Trotzdem habe ich, dank der strengen sittlichen Erziehung meiner Eltern, mir niemals eine geschlechtliche Ausschweifung erlaubt. In meinem 21. Jahre, als bildhübscher blondlockiger Student, schwärmte ich platonisch für ein reizendes junges Mädchen; sie heiratete bald darauf einen meiner nächsten Freunde, den ich bei ihr eingeführt hatte. Dann verlobte ich mich mit meiner reizenden Cousine Anna. Nachdem ihr plötzlicher Tod – ein halbes Jahr, ehe Du geboren wurdest; ich könnte an Seelenwanderung glauben! – mein höchstes Lebensglück grausam zerstört hatte, habe ich die echte, ganz sich hingebende Liebe nie wieder erfahren, bis ich Dich, meine Franziska, fand, die meiner Anna so vielfach gleicht!

16. 8. Was nun? – In dem schweren Kampfe zwischen der süßesten Herzensneigung und der bitteren Pflicht habe ich mich zu dem Entschluß durchgerungen: Laß uns auf den Boden der reinen idealen Freundschaft zurückkehren, wie sie bis zum verhängnisvollen 17. Juni bestand, an welchem der »Zauber des Persönlichen« uns beide in seine Netze verstrickte. Dieser Zauber bleibt natürlich »unlösbar«, aber er soll in dem tiefsten Schachte unserer Herzen begraben bleiben. Wir wollen den zarten jungen Baum unserer Liebe nicht mit der Wurzel ausreißen und schnöde verdorren lassen – wir wollen ihn sorgsam ausgraben, seine feinen Wurzeln sorgfältig einschlagen, und dann geduldig abwarten, ob noch dereinst ein Frühling kommt, der ihn zu neuem, glückseligem Leben erblühen läßt.

Diese wie eine köstliche Perle in der Tiefe geborgene Hoffnung wird mich nicht darin beirren, meiner armen Frau alles Gute und größte Geduld zu erweisen. Sollte ich aber durch eine Wendung meines Geschicks frei werden, so stünde für mich der Entschluß schon jetzt fest, in der ehelichen Verbindung mit Dir die Erfüllung meines letzten und einzigen noch übrigen Lebenswunsches zu suchen. Ich bitte Dich aber inständigst, l. Fr., deute diese vertraulichste (nur Dir gegenüber mögliche) Mitteilung nicht so, daß Du auf mich »warten« müßtest. Du bist frei! Ich habe nicht das Recht, ein junges zukunftreiches Mädchen an mein ungewisses Schicksal zu ketten!

Unsere Briefe wollen wir nun so einrichten, daß sie nur als Ausdruck wahrer reiner Freundschaft erscheinen und kein Auge zu scheuen haben. Dein Wort: »Von heißer Sehnsucht und Liebe dürfen unsere Briefe jetzt nicht mehr reden« unterschreibe ich hiermit feierlich – ausgenommen, daß vielleicht dann und wann kleine »Zettelchen« als beschwingte Phantasie-Vögel die objektiven Briefe begleiten dürfen.

Und nun noch das Bitterste! An ein Wiedersehen dürfen wir, wie die Dinge liegen, nun nicht mehr denken – mein Temperament würde alle guten Vorsätze über den Haufen werfen. Dieser Verzicht ist das Schwerste für mich – schon ein bitterer Vorgeschmack meines bevorstehenden Klosterlebens!

Leb wohl, meine teuerste Freundin, und laß Dich noch einmal in Gedanken umfassen und küssen – und nun tapfer vorwärts! Wer kann sagen, was uns das verschleierte Schicksal noch bringt?

Dein Paul.

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Zürich, 24.8.1899.

Meine teure Freundin!

Innigst danke ich Ihnen für Ihren sehnlichst erwarteten, guten, tapferen und großdenkenden Brief vom 21ten. Ich war bei Ihrem langen Schweigen schon in der größten Sorge, daß die Stürme der letzten Zeit auch auf Sie verheerend gewirkt haben könnten – meine entsetzlich lebhafte Phantasie malt sich immer gleich das Schlimmste aus.

Gestern erhielt ich einen längeren Brief von meiner guten Frau, wonach es ihr und unserer armen Tochter wieder viel besser geht; sie können wieder beide etwas zusammen spazieren gehen und musizieren. Es rührt mich immer, wie meine arme Frau froh ist, wenn etwas Sonnenlicht ins Haus fällt, und wie sie sich nach mir sehnt, wenn ich fort bin. Sie hängt im Grunde sehr an mir und fühlt die Einsamkeit doppelt, wenn ich fort bin. Sie pflegt mich auch und ist um meine Gesundheit besorgt mit jener stillen und anspruchslosen Liebe, welche ihre kühle und leidenschaftslose Natur gestattet. – Ich hoffe, daß ich ihr nach der Rückkehr mehr von Ihnen und von unserer Korrespondenz erzählen kann. Das ist ebenso mein Wunsch wie der Ihrige; auch meinem offenen Charakter ist alles Falsche und Heimlichtun verhaßt!

Die ersten acht Tage meiner Reise: das Wiedersehen alter Freunde und wohlvertrauter schöner Gegenden, das sonnige Sommerwetter und »die Freude an den Dingen«, wie unser Freund Goethe sagt, haben sehr wohltätig auf mich gewirkt. Besonders reizvoll sind für mich auf Reisen immer die Kontrastwirkungen: Erst in Heidelberg das trauliche Zusammensein mit meinem ältesten und liebsten Freunde; ich habe ihm viel von Dir erzählt (aber nicht alles!), auch Dein Bild gezeigt. Er ist ein überaus klarer und bedeutender Geist, dessen Schicksale in seltsamer Weise den meinigen parallel laufen; seine zweite Frau ist seit zwanzig Jahren schwer leidend, auch er lebt ganz einsam, allein mit seiner Wissenschaft. – Dann die drei Tage in Neckarsteinach, im einfachsten Wirtshaus, wo ich fast allein im kleinen Gastzimmer saß – ohne Kragen, Manschetten und drgl. Kulturinstrumente –, nur mit Dir und Deinen Briefen und der Antwort darauf beschäftigt. Dann im vollen Gegensatz dazu drei Tage geradezu fürstlichen Lebens in Basel als Gast meines Freundes Dr. Paul v. Ritter. Endlich die Tage hier in Zürich bei einem meiner treuesten und dankbarsten Schüler, in seinem schönen Hause mit Prachtblick auf See und Alpenkette; seine liebenswürdige Frau und die Kinder verhätscheln mich als »lieben Onkel«.

Als ich am Montag hier ankam, erwartete mich am Bahnhof als Überraschung auch einer meiner liebsten Verwandten, ein holländischer Major a. D., Vetter meiner Mutter. Er ist ein ungemein begabter Mann: historischer und ästhetischer Schriftsteller, Dichter in Holland oft aufgeführter Lustspiele, Komponist und vor allem Landschaftsmaler, dabei höchst liebenswürdig und bescheiden – ich wünschte, daß Sie ihn kennen lernten. Jetzt schon 77 Jahre alt, ist er noch von einer solchen Frische des Geistes und Körpers (das vielbesprochene Erbteil meiner mütterlichen Familie), daß man ihn für 55 halten möchte. Es sind jetzt gerade fünfzig Jahre, daß er mich als jungen Sekundaner zu einer mir unvergeßlichen Fußreise abholte, deren Abschluß die Wartburg (!!!) bildete. Wir haben uns beide von Herzen lieb behalten und oft besucht – noch im vorigen Jahre auf der Rückreise von England war ich drei Tage bei ihm im Haag. Sie können sich denken, wie lieb mir gerade jetzt das Zusammentreffen mit ihm war – ich habe ihm viel von Ihnen erzählt. Morgen will ich mit ihm noch auf das Stanserhorn. Dann beginnt der einsame Teil meiner Reise. Tausend herzliche Grüße von Ihrem treuen

P. K.

*

Altenhausen, 28.8.1899.

Mein lieber Freund!

Wie freue ich mich des wohlgemuten Züricher Briefes! Ich hatte es erwartet, daß das Losgelöstsein von allem Gewohnten Ihnen gut tun würde. – Ich habe es, während Sie im vollen Sonnenschein wandeln, nicht leicht – selten nur ein Sonnenstäubchen! Ein Glück, daß bald Manöver zu uns kommt, da giebt's doch etwas Abwechselung durch die vielen netten jungen Offiziere – nein, glauben Sie das nicht! ich wollte Sie nur ein bißchen necken. Aber Ihre Bücher geben mir Freude, und Ihr Relief, zu dem ich immer wieder aufschaue. Mir ist aber erst jetzt recht klar geworden, daß dieses Bild auch einen hohen materiellen Wert darstellt, und ich frage mich, was Ihre Angehörigen dazu sagen werden, wenn sie (was doch über kurz oder lang kommen muß) entdecken, daß es bei Ihnen fehlt.

Ich halte es nun für durchaus geboten, daß ich, als Ihre nächste Freundin, mich endlich auch Ihrer Gattin nähere. Bitte prüfen Sie den an Ihre Frau gerichteten beiliegenden Brief und senden Sie ihn, wenn er Ihren Beifall findet, an sie. Diese Annäherung muß auf irgend eine Weise stattfinden. Ich denke mit Entsetzen daran, daß Sie zu Hause schwer krank würden, und ich erführe gar nichts davon, daß Du im Sterben liegen könntest, und ich hätte nicht die Erlaubnis, Dir in Deiner letzten Stunde nahe zu sein. –

Viel ist mir auch durch den Kopf gegangen, daß Sie den Gedanken eines Wiedersehens ganz abweisen. Vielleicht haben Sie von Ihrem Standpunkt aus recht. Ich aber vermag nicht einzusehen, warum zwei nahe Freunde, die brieflich im Austausch ihres innersten Lebens stehen, diesen nicht auch persönlich pflegen dürfen. Sollten wir nicht, uns unserer Freundschaft freuend und unsere Erlebnisse und Gedanken austauschend, beisammen sitzen können, ohne daß das leibliche »Ich« den Frieden stört? Es kann ja jetzt überhaupt nur noch von einem Besuche Ihrerseits bei uns oder von mir in Ihrem Hause die Rede sein.

Lächeln, lieber Freund, mußte ich bei Ihrem Briefe, wenn ich mir vorstellte, wie Sie Ihrem Freunde Gegenbaur und dem holländischen Onkel »sehr viel« von mir erzählt haben. Ich bin überzeugt, daß beide meinem lieben »großen Kinde« viel tiefer ins Herz geschaut haben, als Sie denken; während Sie in aller Unschuld glauben, objektiv von einer anziehenden Bekanntschaft zu erzählen, sagt Ihre arglose Seele den klugen Leuten viel mehr, als Sie selber ahnen. Wenn's Ihnen nichts ausmacht – meinetwegen mögen es Alle wissen, daß mich die innigste Freundschaft mit Ihnen verbindet.

Möge, nachdem die alten Freunde und die freundlichen Gegenden so wohltätig auf Sie gewirkt haben, nun die Einsamkeit in der hehren Alpenwelt Ihr Herz vollends gesund und fest machen! Dies ist der aufrichtige Wunsch

Ihrer treuen Franziska.

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Annecy ( Haute Savoie), 3.9.1899.

Liebste Freundin!

Der einsame Verkehr mit unserer treuesten Freundin, der unerschöpflichen Natur, begünstigt vom herrlichsten Sommerwetter und frei von der aufreibenden täglichen Misère, hat Wunder gewirkt und mich wesentlich gekräftigt und ermutigt. Die Krone von allem war der Tag auf dem Col de Balme bei der Wanderung von Martigny nach Chammonix. Sie würden Ihre Freude gehabt haben über Ihren Freund, der im grauen Reisekostüm mit dem großen »Schöpfungshut«, auf dem Rücken den bekannten schwarzen Ranzen, wanderte wie ein Jüngling. Den ganzen Nachmittag verbrachte ich inmitten vieler noch blühender, z. T. seltener Alpenpflanzen (morgen sende ich ein Kästchen voll der schönsten an Sie) auf den grünen Höhen, die sich noch 200 Fuß über dem Sattel des Col de Balme erheben. Dort plauderte ich eine Viertelstunde mit einem jungen französischen Ehepaar, das auch beim Botanisieren war, und erklärte der hübschen und lebhaften Frau die Natur der Alpenflora. Als wir uns verabschiedet hatten, hörte ich, wie sie zu ihrem Manne sagte: » Voilà un homme vraiment extraordinaire.« Werden Sie eifersüchtig? Sie waren ja aber immer unsichtbar neben mir! Es sollte nur eine kleine Revanche für Ihre Manöver-Kriegsgötter sein.

Ich bestieg dann noch die steile Aiguille de Balme (2340 m!). Die wechselnde Beleuchtung war wunderbar, die Aussicht nach allen Seiten ganz klar: im Norden über dem Rhonetal die Kette der Berner Alpen, im Süden die ganze Montblanc-Kette. Der Abend war bezaubernd schön, alle Schneeberge erglühten, blauer Duft in den Tälern. Später der reinste Sternenhimmel, über den die Milchstraße ein weißes Band zog. Unweit des Polarsterns funkelte im Norden ein unbekannter Stern erster Größe, der mir persönlich von Ihnen Grüße zu bringen schien. Nachts träumte ich von meinem »Idol«.

Hier in den stillen drei Ruhetagen am träumerischen See, in dessen kristallklarem, lichtblauem Wasser der Körper, wie in der Blauen Grotte von Capri, ganz silberglänzend erscheint, ist mein Herz schon wieder schwerer geworden. Ich quäle mich wieder mit der Frage: Wäre es nicht für uns beide besser gewesen, wir hätten uns nie gesehen? Antwort: Für unsere Seelen ruhe – gewiß ja! für unser Seelen leben – sicher nein! Mein Leben wäre arm, wenn nicht dieser mein Alter noch vergoldende Sonnenstrahl hineingefallen wäre. Die Tragik liegt in dem Konflikt der sehnlichsten Wünsche und der harten Pflicht, und ich sehe keinen anderen Weg als: »Resignation, dies herbste aller Worte, eröffnet uns allein des Friedens Pforte.«

Geliebte Franziska! Du denkst an ein freundschaftliches Wiedersehen, wo wir beide ruhig beisammen sitzen und unsere Gedanken austauschen. Das ist bei mir, bei meinem Temperament ganz undenkbar. Da kommt wider Wissen und Willen erst Hand zu Hand, dann Arm zu Arm, und dann Mund zu Mund. Ich bin eine seltsame Natur. Auf der einen Seite reiner Idealist, auf der anderen Seite besitze ich einen seltenen sinnlichen Realismus feinster Art. Ich empfinde beim Anblick eines herrlichen Sonnenuntergangs, einer lieblichen Pflanze, einer reizenden Siphonophore, eines schönen Mädchens eine innige Wonne, wie wenige andere Menschen – mein Enthusiasmus darüber wird gewöhnlich als »Narrheit« verspottet. Ich fasse gern die Hände meiner nächsten Freunde, streichle ihren Rücken oder ihr Haar – was Vielen ein Greuel ist. Ich küsse gern schöne Blumen, liebe Andenken usw., ich empfinde beim Schwimmen im blauen Meere – eine besondere Leidenschaft von mir – ein Entzücken, welches mir als Atavismus an unsere Fisch-Ahnen erscheint. Und mit diesem Gefühlsleben soll ich ruhig und kühl neben einem liebreizenden Mädchen sitzen, das mich innig liebt und in dem ich alle Reize holder Weiblichkeit verkörpert finde – unmöglich!!

Von Herzen danke ich Ihnen, teuerste Freundin, für den feinen, guten Brief, den Sie an meine Frau geschrieben haben. Da eine Zusendung durch die Post ohne weitläufige Erläuterungen nicht möglich ist, werde ich ihn nach meiner Rückkehr übergeben und daran gleich eine ausführliche, schonende und zarte Besprechung unseres Freundschaftsverhältnisses anknüpfen.

In vier Tagen werde ich mein geliebtes Mittelmeer wiedersehen und am 8ten nach Corsika fahren, wo dann der Hauptzweck der Reise, die fleißige Arbeit an den lebenden »Wundern der Schöpfung« beginnen soll. Von dort erhalten Sie den nächsten Gruß

Ihres treuen Paul.

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Altenhausen, 7.9.1899

... Ich lese jetzt Renan's »Leben Jesu«. Ich weiß nicht, ob er in allem recht hat, aber die Art, wie Renan die einzigartige Persönlichkeit Jesu auffaßt, berührt mich sympathisch – gerade im Gegensatz zu der mich tief verletzenden unvornehmen, zynischen Art, in der Saladin über Jesus spricht. Ach, hätten Sie sich nur nicht so viel von Saladin beeinflussen lassen! – ich gäbe viel darum, wenn Sie sein Buch nie gelesen hätten! Ich bin auch überzeugt, daß vieles in Ihrem Buche Anstößige gar nicht Ihrer wahren Ansicht entspricht. Die Menschen werden Sie aber nach diesem Buche beurteilen – sie wissen ja nicht, welcher Idealismus in dem Manne steckt, der so grausam und bitter sprechen kann. Hätten Sie doch die »Lebensfragen« erst nach meinem Besuche in Hochburg und nach dieser Ihr Gemüt wieder erhebenden Reise geschrieben!

Sie wissen, mein Freund, daß ich die Lehren der Kirche nicht mehr teile; ich glaube auch nicht mehr an die Bibel, sondern halte sie für ein Menschenwerk, in dem allerdings Vieles zu dem Wertvollsten und Schönsten gehört, das je geschrieben worden ist. Aber in der Person Jesu verkörpert sich für mich das höchste menschliche Ideal, und ich halte seine Predigt von der Liebe und Barmherzigkeit für das Vollkommenste, was je ein Mensch ausgesprochen hat. Ohne diese Grundlage wird nie eine wahre sittliche Religion bestehen können. –

Bei uns weilt jetzt der alte Graf, von dem ich Ihnen wohl noch nicht erzählt habe. Er ist ein Vetter meines Vaters und hat sich nach dessen Tode, als Mama in bedrängter Lage war, ihrer in großer Weise angenommen und ist immer treu für uns besorgt gewesen. Er hat alle Eigenschaften seines alten Geschlechts: Vornehmheit der Gesinnung, strengste Rechtschaffenheit, Adelsstolz, unbeugsamen Eigensinn und Widerspruchsgeist, dabei sehr klug, großes Interesse für Alles, aber immer die Welt nur von seinem Standpunkt betrachtend. Ich verehre ihn hoch, wenn ich ihn auch nicht so lieb habe wie meinen »Maleronkel«. Das aber weiß ich, daß diese beiden die ersten wären, die mich verdammen und verbannen würden, falls ich einen bürgerlichen Gottesleugner heiraten würde, und ich weiß auch, daß ich damit viel an Liebe und Treue, ein Stück meines Herzens verlieren würde. Sollte ein großes Schicksal mich je vor diese Frage stellen, so würde ich sehr viel zu opfern haben, und mein Mann müßte mir viel ersetzen.

Lieber Freund! Das, was Sie mir über Ihre sinnliche Empfindsamkeit schreiben, verstehe ich gut, und auch, daß Ihnen daraus ebenso viel Qual wie Seligkeit erwächst. Bei mir liegt es insofern anders, als ich den meisten Menschen gegenüber von einer herben Sprödigkeit bin, sodaß mich viele für eine » femme vierge« halten. Daß dem nicht so ist, daß unter der stillen Oberfläche ein Feuer brennt, lasse ich nur Wenige ahnen.

Da Sie, lieber Freund, nun einmal so heiß und unmittelbar empfinden – so sezieren Sie doch nicht immer so viel an dem Geheimnis, wie unsere Seelen sich fanden, herum! Schwanken Sie nicht so von einer Stimmung zur anderen! Werden Sie fest! Ich weiß ja, daß Künstlerblut, bald himmelhoch jauchzend, bald zu Tode betrübt, die Lebensadern anders durchflutet als bei gewöhnlichen Sterblichen. Aber Leid hat jedes Lebewesen zu ertragen. Denken Sie einmal daran, wie gut Sie es eigentlich haben: Ihre wissenschaftlichen Erfolge, die angesehene Stellung, das Bewußtsein, mehr geleistet zu haben, als Tausende vor und nach Ihnen, die herrlichen Reisen und die Freude an der Natur, der Verkehr mit den Besten unserer Zeit und dazu – eine geliebte, treue Freundin, die Sie ganz versteht! Haben Sie nicht mehr Anlaß zum Danken als zum Klagen?! Verjagen Sie die trüben Gedanken! »Landgraf, werde hart!« Wenn Ihre Weltanschauung eine Religion für die »Starken« ist, dann muß sie auch die Kraft zum Ertragen des Leids geben – sonst ist es mit dieser Lehre noch nicht ganz richtig.

Denken Sie tapfer an die Zukunft und halten Sie meine Hand, die Ihnen die leuchtende Hoffnung, nicht die trübe Resignation als Leitstern weist! In innigem Gedenken

Ihre Franziska.

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Vizzavona (Corsika), 11.9.1899.

Teure Fr.!

Nun liegt das Meer zwischen uns – wird es abkühlend auf meine Sehnsucht wirken oder mit seinen Winden den Flug all meiner Gedanken gen Norden nur noch lebhafter machen? Vedremo!

Am Samstag in Ajaccio glücklich gelandet, habe ich dort mich nur in dem großen Hotel Continental für die nächsten vier Wochen installiert und bin dann gleich auf der herrlichen neuen Gebirgsbahn in 3 Stunden (als ich vor 24 Jahren hier war, brauchten wir im Postwagen dazu 2 Tage) hierherauf gefahren, um mich vor Beginn der Arbeit etwas zu erfrischen. Das scheint – nach den drei ersten Tagen zu urteilen – zu gelingen; ich spüre schon die alte Elastizität meiner »Wanderjahre«, und auch mein alter Freund, der Humor, kehrt wieder bei mir ein.

Vizzavona und das noch eine Stunde höher auf der Paßhöhe gelegene Hotel Foce, in dem ich einsam wohne, liegen herrlich zwischen hohen Bergen auf der Wasserscheide zwischen der östlichen und der westlichen Hälfte der Insel. Eine Luft, so kühl und frisch, wie oben auf dem Thüringer Wald, großartige Wälder (früher berühmt als Zufluchtsort der Banditen) mit prächtiger Alpenflora; keine Spur von Kultur, hunderte von mächtigen toten Baumstämmen liegen kreuz und quer zwischen riesigen Granitblöcken, von einem Labyrinth von Farnkräutern und Schlingpflanzen überwuchert – so recht die wilde, von Menschenhand unberührte Natur, wie ich sie über alles liebe. Meine besondere Wonne sind die (freilich eiskalten) Bäder in dem kristallklaren Wasser eines Baches, der in einer kolossalen wilden Schlucht am Abhange des Monte d'Oro über mächtige Felsblöcke herabbraust und hie und da Bassins bildet – wahre Bäder für Bergnymphen! Hier gesundet mein Lebensmut wieder.

Herrlich war auch meine nächtliche Überfahrt nach Corsika. Ich blieb die ganze Nacht auf dem einsamen Hinterdeck, auf das ich mir eine Matratze heraufgeschleppt hatte. Die Sternscharen funkelten vom reinen Himmel so klar, wie vor 12 Tagen auf dem Col de Balme; von der Küste der Provence strahlten noch stundenlang Leuchttürme und Scheinwerfer ihre periodischen Lichtgarben aus. Als großartigstes Schauspiel aber entfaltete sich von 10 bis 4 Uhr ein Wetterleuchten am östlichen Horizont, wie ich es nur im Roten Meer so schön erlebt habe – es war, als ob über den ganzen Apennin eine elektrische Kette gespannt sei, deren beide Pole, im Norden und Süden, beständig ihre »Seelen« tauschten!

Leider konnte ich diese Herrlichkeit nicht mit freiem Herzen genießen. In Marseille hatte ich sehr traurige Nachrichten von Hause vorgefunden. Meine arme Frau war sehr schwer erkrankt an einer Kopfhautentzündung. Mein erster Gedanke war: die Reise abbrechen! Ich habe lange geschwankt, ob ich umkehren sollte – zum Glück habe ich es nicht getan, denn die Nachrichten lauten jetzt schon wieder besser.

In nächster Woche werden Sie nun wohl die »schrecklichen« Lebensfragen erhalten – ich habe meinen Verleger gebeten, Ihnen das erste fertig gebundene Exemplar zuzusenden. Seien Sie eine strenge Richterin meines Buches, aber auch eine gerechte! Ich fürchte, daß es viele Stürme über mich heraufbeschwören wird, und halte es nicht für unmöglich, daß ich abgesetzt oder gar wegen »Religionsstörung« angeklagt werde. Ich habe schon neulich (im Scherz!) die Frau Baronin gebeten, mir für diesen Fall einen Posten als Gärtner auf Schloß Altenstein zu reservieren oder als Stubenmaler auf der Veste Ellenburg, die jetzt restauriert wird. Dann hätten wir ja eigentlich den »dritten Fall« meiner »Gewissensbeichte« von Altenstein!

Nun kommen wohl bald Ihre Manöver-Kriegsgötter? Amüsieren Sie sich gut mit ihnen! Herzlichen Gruß Ihres

Paolo.

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Altenhausen, 17.9.1899.

Lieber Freund!

Mein Herz ist so froh über die Kraft und Frische, die aus Ihrem Briefe spricht, und Ihre schönen Reiseschilderungen entzücken nicht nur mich, sondern auch meine Mutter, der ich aus Ihren Briefen vorlesen darf. Mama wird allmählich immer milder gegen Sie gestimmt. Das ist mir viel wert, denn, wenn es auch nie Unfrieden, den ich hasse, zwischen uns gegeben hat, so war es doch sehr schwer für mich, tagaus tagein ihren tiefen stillen Kummer über unsere Freundschaft sehen zu müssen. Da kann nur die Zeit heilen, aber alles trägt dazu bei, was Mama fühlen läßt, welch natürlicher und herrlicher Mensch der berühmte Professor und gefürchtete Atheist ist.

Das Teuerste aber in Ihrem Briefe war mir, daß er mir sagte, wie Ihr erster Gedanke bei der schweren Erkrankung Ihrer Frau nur der des Mitleids und der teilnehmenden Sorge gewesen ist. Auch ich habe mich geprüft und in meinem Herzen nur das tiefste Mitgefühl für die arme Dulderin gefunden und den innigen Wunsch, daß sie wieder genesen werde. Was sich daneben noch an Gedanken einschleichen könnte, kann ich nicht Erwartungen und Hoffnungen nennen, sondern höchstens leise Träume, was werden könnte, wenn die müden Augen sich für immer schlössen. –

Ja – Sie haben recht vermutet – die »Kriegsgötter« sind da. Mir dienen sie aber weniger zum Amüsement als zu Vergleichen, welche ich zwischen ihnen und Ihnen anstelle, und dabei fühle ich so recht, wie ich dem Alten schon entwachsen und ganz in Ihre Sphäre hineingewachsen bin.

Lassen Sie sich erzählen. Schon vor mehreren Tagen kam als erste Schwalbe ein Major aus der Nachbarschaft herübergeritten, der vor fünf Jahren bei uns im Quartier gelegen und uns aus der kurzen Manöverzeit große Anhänglichkeit bewahrt hat. Ein großer, schön gewachsener Mann, ältester Uradel, fein und liebenswürdig – aber welch engbegrenzter Horizont! Er ist mir zeitweise sehr ergeben gewesen, ist es vielleicht auch noch. Freundlich plaudernd haben wir mehrere Stunden nebeneinander gesessen, ich ließ mir von allen Familienbeziehungen, seinen Aussichten auf Carrière und desgl. berichten – nicht ein einziges Mal erklang eine Saite meiner Seele.

Vorgestern hatten wir ein paar Husaren hier in »Notquartier« – nette, liebe Jungens, die sich bei uns so wohl fühlten, daß sie von 6 bis 11 Uhr abends in Mamas hübschem Wohnzimmer saßen, rauchten, tranken und den »Schneidigen« spielten, und vielleicht jetzt noch da säßen, wenn nicht Mama sehr energisch ihren kleinen Schoßhund auf den Arm genommen und Gute Nacht gewünscht hätte. Am anderen Tag standen in unserem Gästebuch glühende Verse von »feudalem alten Haus«, das die Fremden nach einem dort verlebten Abend als »Freunde« verließen – Sie sehen, es gibt noch mehr impulsive Menschen als Sie und mich.

Gestern sind nun vier Ulanen eingerückt, guterzogene, liebenswürdige Menschen, alle vier Rasseerscheinungen, wie man sie in unserem hochgezüchteten Adel oft findet, alle vier in Standesrücksichten aufgehend und über den »Gotha« und die Rangliste hinaus kein anderes Interesse bekundend, als die Liebe für ihre Pferde und allenfalls noch etwas Politik, das sich im Räsonnieren über das »persönliche Regiment« ihres obersten Kriegsherrn äußert. Ich mußte diese Konversation als artige Haustochter mitmachen und dachte dabei immer an die »Lebensfragen«, die eben angekommen waren und in ihrem wunderhübschen dunkelroten Einband drüben auf dem Tische lagen. Ein junger Leutnant schlug das Buch einmal auf, klappte es aber bald wieder zu – er hatte sich unter »Lebensfragen« wohl was anderes vorgestellt.

Ich brenne vor Ungeduld, das Buch im Zusammenhang zu lesen, aber der Trubel, der mich umgiebt, läßt mir weder Ruhe noch Zeit dazu – nicht einmal dazu, Ihnen heute mehr zu sagen als: Ich habe Sie lieb.

Ihre Franziska.

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Ajaccio, 20.9.1899.

Liebe Fr.!

Wohlgemut, mit einer reichen Beute an Aquarellen, bin ich vor drei Tagen hierher zurückgekehrt. Diese wundervolle einsame Wanderwoche in der gewaltigen Hochgebirgsnatur hatte das gestörte Gleichgewicht meiner Seele wiederhergestellt. Die Strapazen der Bergwanderungen – täglich meine acht bis zehn Stunden, ohne zu ermüden – haben mich schlank und frisch gemacht, und Sie würden Ihre Freude haben, wenn Sie sähen, wie ich von der Sonne gebräunt bin. Unvergeßlich bleibt mir der Samstag, wo ich schon morgens vor 6 Uhr von Corte nach der berühmten Restonica-Schlucht aufbrach und in dieser 5 Stunden aufwärts stieg bis zur halben Höhe des Monte Rotondo – den ganzen Tag in der großartigen Einsamkeit allein mit meiner unsichtbaren Begleiterin, deren Bild mich unablässig umschwebt.

Hier im Stadtleben und unter Menschen wird mir das Herz schon wieder schwerer. Mutterseelenallein sitze ich in dem Riesenhotel als einziger Gast (die Lungenkrankensaison beginnt erst Mitte Oktober) in dem großen Speisesaal; einsam sitze ich abends auf meinem Zimmer und lese in Goethes Briefen an Charlotte. Mir fehlt meine Assistentin! Mit ihr könnte der Aufenthalt hier ein Paradies sein. Die wunderbar lauen Sommerabende, wo »die Brunnen lauter rauschen«, wo heute der Vollmond die phantastischen Formen der Küste versilbert – für den Einsamen sind sie ein steter Quell ungestillter Sehnsucht.

Tüchtige Arbeit wird das beste Mittel dagegen sein. Aber die scheine ich hier nicht so zu finden, wie ich gehofft hatte. Auch fühle ich, daß mein altes Lieblingsstudium für mich doch an Reiz verloren hat; nach den wunderbaren Ergebnissen meiner letzten großen Expedition scheint mir jetzt alles, was sich hier mir noch bieten kann, kaum mehr der Rede wert zu sein.

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25. 9. Alles geht schief! Auch meine Arbeit läßt mich im Stich. Es ist, als ob die Nereiden, meine alten Freundinnen, es wüßten, daß ich ihnen nicht mehr so treu ergeben bin wie früher. In der ganzen Zeit trotz allem mühseligen Suchen kaum etwas mir Neues gefunden! So habe ich mich entschlossen, dieses unfruchtbare Arbeiten schon in den nächsten Tagen aufzugeben und Ende des Monats nach Rom zu gehen. Wenn ich meine Kisten zurückspediere, werde ich mir sagen müssen, daß über dieser Unternehmung das unerfreuliche Motto steht: »Viel Lärmen um Nichts!«

Den Ausschlag gab ein Brief meines Neffen Heinrich, der zur Erholung (seit Neujahr über 600 Operationen!) nach Rom kommt. Ich freue mich darauf, mit diesem mir treuergebenen und feinen Menschen die ewige Stadt (die ich vor 40 Jahren noch als päpstliche zum ersten Male betrat) und die Campagna in ihrer Herbstschönheit recht zu genießen. Von hier ab reise ich nun wieder als pittore mit leichtem Gepäck.

Liebe Franziska, ich weiß wohl, daß meine Abreise wie eine Flucht aussieht. Aber ich halte es hier, allein mit meiner Sehnsucht, nicht länger aus. Ach, teuerste Freundin, was haben Sie aus mir gemacht! In diesen drei Monaten habe ich mehr Tränen geweint als in den letzten dreißig Jahren. Ich bin nicht mehr ich selbst, es ist in mir noch »ein Anderer«. Lesen Sie, was ich in meinem Buche über das »zweite oder alternierende« Bewußtsein geschrieben habe; Paul Lindau hat es in dem Schauspiel »Der Andere« packend geschildert. So geht es jetzt mir. Seitdem am 17. Juni eine Circe mich bezauberte, ist mein persönliches »Bewußtsein« wie weggeblasen, ich bin nicht mehr der kühle, strenge »Jünger der Wissenschaft«, sondern ganz »ein Anderer«. Oft frage ich mich: Ist unser Klostermühlenidyll, unsere Rosenburgfahrt, unser Wartburgmärchen nur ein holder Traum, den mir die freundliche Phantasie vorspiegelt? Und dann besinne ich mich wieder, daß sie die seligste Wirklichkeit sind, die ich je erlebte! Es ist schwer!

Als letzten Gruß von der duftenden Rosmarin-Insel sende ich ein paar Myrthenblättchen, die ich heute pflückte.

Ihr treuer Paolo.

Haben Sie bei unserer geheimen hohen Liebe schon einmal an das klassische Liebespaar Francesca da Rimini und ihren Paolo gedacht? Kennen Sie das herrliche Bild von Anselm Feuerbach? Möge das Schicksal uns holder gesinnt sein!

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Altenhausen, 30.9.1899.

Mein teurer Freund!

Ihre letzten Briefe haben mir das Herz recht schwer und traurig gemacht. Ich hatte gehofft, der frische, fröhliche Geist, den Sie in der Einsamkeit der Berge gewonnen hatten, würde Ihnen treu bleiben. Statt dessen nun wieder solch verzweifelte Stimmung, schlimmer als zuvor! Ich sage Ihnen offen: es kann mir nicht gefallen, daß Sie Ihre mit so viel Vorbereitungen und Hoffnungen begonnene Arbeit im Stich lassen, sich selbst einredend, daß sie Ihnen nicht mehr genüge. Ich hätte gewünscht, Sie wären in Rom als Sieger eingezogen!

Was sind Sie doch für ein merkwürdig weicher Mensch! Gewiß, mein Freund, das Leben ist schwer! Aber es muß doch, so wie es einmal vor uns liegt, mit fester Hand gefaßt und mit starkem Geist ertragen werden; und je schonungsloser gegen sich selbst Sie kämpfen, um so wirksamer wird es für Ihren Seelenfrieden sein. Dieses Fliehen vor den eigenen Gedanken, diese Flucht nach Rom scheint mir nicht die rechte Kampfesweise.

Eben so wenig aber das den Gedanken Nachhängen! Da sitzt nun mein lieber Grübler und seziert an unserem Zusammensein in Hochburg und der Wartburgfahrt so lange herum, bis er mir eines Tages erklären wird, es sei wirklich alles nur ein Traum gewesen, und er glaube nicht mehr daran und sei jetzt wieder als der große vernünftige Mann aufgewacht, und er wolle das dumme kleine Mädchen, das wie Rautendelein in der »Versunkenen Glocke« zu ihm gekommen sei, nun wieder nach Hause schicken. Manchmal scheint es mir jetzt wirklich, als ob Ihr Stolz als großer Mann, Ihr ganzes Wesen sich dagegen aufbäumt, daß da ein Mädel in Herrenschlips und -kragen mir nichts, dir nichts in das Heiligtum Ihres Instituts kommt, sich vom alten Famulus Nymphaeen holen läßt und obendrein das Herz des berühmten Autors der »Lebensfragen« stiehlt! – Lieber, Teurer! Wozu alles Grübeln und Sezieren?! Wir haben eben zusammen kommen müssen, weil es tief im Geheimnis unserer Naturen so vorherbestimmt war.

Meine Tage oder vielmehr ihre freien Stunden sind jetzt ganz durch Ihr neues Buch ausgefüllt. Ich sage Ihnen offen – ohne jede Schmeichelei, daß mir noch nie die Größe Ihres Geistes so klar geworden ist wie durch dieses Buch. Dieser universelle Verstand, der alle Gebiete beherrscht und mit einer Klarheit und Sicherheit die tiefsten Rätsel zu lösen sucht, die mir bewundernswert erscheint! Aber ich werde den Eindruck nicht los, daß unsere Zeit noch nicht reif für Sie sei. Auch möchte ich nicht alles im Buche mit voller Überzeugung unterschreiben; viele Schroffheiten (besonders auch in den Ausfällen gegen Ihre Gegner) und Einseitigkeiten beklage ich, und Manches wirkt auf mich geradezu verletzend. Es gab Abende, an denen ich das Buch sehr deprimiert fortlegte und mich fragte, wie es möglich sei, daß ich Sie so lieb haben kann. Ich kritisiere scharf, streiche vieles an, was mir zu schroff erscheint, und schreibe Ihrem Wunsche gemäß meine Bemerkungen an den Rand, um Ihnen später mein Exemplar zu schicken.

Außerordentlich interessiert hat es mich, zu erfahren, daß die Leidenschaft ihren Sitz in den »Ganglienzellen der Großhirnrinde« hat. Unsere bösen Ganglienzellen! was haben sie uns alles angetan! Sollten sie nicht auf operativem Wege zu entfernen sein?

Nun Glückauf im ewigen Rom! Genießen Sie es freudig mit Ihrem Neffen und bringen Sie von dort ein fröhliches Herz mit, nachdem das geliebte Mittelmeer sich Ihnen als launische Göttin erwiesen hat. »Landgraf, werde hart!« Franziska.

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Subiaco, 7.10.1899

... Da ich in Rom die Nachricht vorfand, daß mein Neffe erst am 10ten eintrifft, ging ich gleich in die Sabiner Berge, um hier – an den klassischen Stätten der Landschaftsmalerei – mich tüchtig als pittore zu betätigen. Nach zwei herrlichen Tagen in Tivoli sitze ich nun seit gestern hier in der altberühmten, sehr primitiven Malerkneipe » Pernice«, auch hier wieder als einziger Gast. Heute war der erste Regentag seit langer Zeit. Ich habe ihm, unter dem Schutze eines Mühlentors, eines Brückenbogens und eines Franziskanerklosters, aber doch 3 Aquarelle abgetrotzt. Hier ist alles unverdorben malerisch: die Lage des Ortes, das Gebirge, der Aufbau des Schlosses, der Fluß mit Brücke und Bäumen, und vor allem die herrlichen Menschen: der echte römische Typus, Männer und Frauen von gleich idealem Körperbau – ich habe noch nie so bedauert, daß ich keine Figuren malen kann!

Nun ist wieder der lange Abend da, der leider mit jedem Tage länger wird – da wandern die trüben Gedanken des übervollen Herzens gen Norden. Ich schreibe Ihnen aber nichts davon – die strenge Strafpredigt meiner lieben Gouvernante hat gewirkt. Sie dürfen, liebe Freundin, solchen Lamentobrief aber nicht so tragisch nehmen – es kommen auch wieder bessere Stunden. Und bedenken Sie, daß ich seit sieben Wochen keine bekannte Seele gesehen, kein vernünftiges Gespräch geführt habe. Stellen Sie sich meine Abende in Ajaccio, in dem Riesenhotel als einziger Gast, vor: wenn ich einsam auf meinem Balkone – mit der herrlichen Aussicht auf das Meer – lesend saß und unten die junge Schweizer Wirtin zum Klavier meine Lieblingslieder von Schubert und Schumann sang, nicht ahnend, daß ich 2 Stock höher andächtig zuhörte – wie das mein »Heimweh« mächtig schürte! Bedenken Sie auch, daß ich es durch den täglich wiederkehrenden Konflikt zwischen Liebe und Pflicht, Hoffnung und Resignation doch noch schwerer habe als Sie. Wenn auf einem Mann, der inmitten harter geistiger Kämpfe steht, so Schweres lastet, wie das Schicksal auf meine Schultern gelegt hat, dann ist es kein Wunder, wenn er sich manchmal mutlos und einsam fühlt, und die vertrauteste Freundin darf seine Herzensergüsse nicht zu streng beurteilen. –

Für Ihr offenes Urteil über mein Buch danke ich Ihnen aufrichtig. Sagen Sie mir nur ganz ehrlich, woran Sie Anstoß nehmen. Sie glauben noch an eine höhere Leitung unserer Schicksale – das ist eine wertvolle und tröstliche Ansicht, die über viel Schweres weghilft. Ich kann sie leider nicht mehr teilen! Aber mir liegt so viel an Ihrer inneren Seelenharmonie, an Ihrer befriedigenden Weltanschauung, daß ich Sie dringend bitte, sich nicht zu sehr von mir beeinflussen zu lassen. Ich bilde mir wirklich nicht ein, in diesem Buche (wie es wohl nach manchen allzu zuversichtlichen Ausdrücken scheinen könnte) den Gipfel der Naturerkenntnis erklommen zu haben. Vielmehr behalte ich immer das unbefriedigende Gefühl, daß ein großer Faktor in der »Weltordnung«, eine Ursache in der Entwicklung uns noch ganz unbekannt ist. Das kann mich aber nicht bestimmen, die Einheit der Natur und die Geltung der mechanischen Kausalität für alle Erscheinungen aufzugeben! ...

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Rom, 17.10.1899

... Lenbach schreibt mir, daß er mich am nächsten Sonntag zur ersten Sitzung erwartet, und am 25ten muß ich wegen des Anfangs der Vorlesungen in Hochburg sein. So ist durch Lenbachs Brief nun die Frage entschieden, welche mir – wie ich Ihnen jetzt gestehen will – seit Wochen viel Qual bereitet hat: der Gedanke eines Wiedersehens! Ich wollte von hier aus vor dem Semesteranfang auf einen Tag nach Altenhausen kommen. Der Maler Paolo sagte: »Ja, tu's!« – von den eisernen Reifen, welche um des Landgrafen Herz geschmiedet waren, ist einer nach dem anderen abgesprungen. Der Professor Paul aber erhob immer wieder den warnenden Zeigefinger. So ist's gut, daß die Entscheidung von außen kam ...

Heute noch ein »Zettelchen« mit diesmal ganz bedenklicher »moralischer Contrebande« – es kommt vom pittore und aus Rom, der Künstlerstadt, nicht vom Hochburger Professor. Da wir uns jetzt nicht wiedersehen können, bitte ich: Will mir meine Madonna nicht wenigstens ein Stückchen von sich, eine Locke von ihrem schönen Haar geben – zur Reliquienverehrung? Der ernste, gewissenhafte Professor hatte auch hier wieder Bedenken, ob sich das mit der harten Pflicht verträgt; der freche pittore dagegen behauptet, solch persönliches ricordo sei durchaus erlaubt und legal. Darf ich meine »Reliquie« in München erwarten? – »Alter schützt vor Torheit nicht«!

Tanti saluti di Roma! Paolo.

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Altenhausen, 24.10.1899.

Mein teurer Freund!

Einen Gruß zur hoffentlich fröhlichen Heimkehr und ein Glückauf zum Beginn Ihres ernsten Pflichtlebens im stillen Institute und in der einsamen Villa! Mögen doch dann und wann einige Sonnenstrahlen hineinfallen!

Während Sie am Sonntag bei Lenbach waren, saß ich in unserer kleinen Kapelle, die meine Vorväter gestiftet haben, »gegen mir über« (Goethe) den Bibelspruch, den mein Vater malen ließ. Alte vertraute Melodien wurden gesungen, altbekannte Worte gepredigt – mir klangen sie fremd. Ich sah die Geister meiner Ahnen vorüberziehen, und wie sie mit vorwurfsvollen, traurigen Augen auf den wilden Trieb unseres alten Stammes blickten.

Sie sehen, lieber Freund, in mancher Hinsicht habe ich es wieder schwerer als Sie. Wäre ich ein Mann, so könnte ich mir mein Leben mit fester Hand selbst gestalten. Als Frau liegt die Zukunft wie die Gegenwart trübe vor mir – ich habe Niemand, mit dem ich über mein innerstes Denken reden kann, und schließlich werde ich als alte Jungfer im Kloster unter strenggläubigen Christinnen zu leben haben, denen ich mein Herz verschließen muß, will ich nicht gesteinigt werden. Mein inneres Leben ist für immer zur Einsamkeit verdammt, das arme Herz wird ewig Hunger haben.

Daran ermessen Sie, welche Seligkeit es für mich bedeutet, daß ich jetzt einen Menschen habe, dem ich Alles sagen kann und der mich ganz versteht, dem ich mich so zeigen kann, wie es sonst Keiner wissen darf, und dem ich wiederum die Leere in seinem Herzen ausfüllen darf – das ist ein so großes Geschenk vom gütigen Schicksal, daß ich ihm vor Dankbarkeit nicht zürnen kann, daß es mir nicht noch mehr gab. –

Nun sind Sie wieder bei Ihrer armen Frau. Ich weiß, ich brauche Sie nicht zu ermahnen: Erweisen Sie der Kranken alles Gute und Liebe, tragen Sie alles in Güte und Geduld! Mit bewunderndem Mitleid denke ich daran, wie schwer diese Pflichterfüllung für meinen Freund ist. Denn, wahrlich, tragisch ist das Geschick, das auf uns liegt: dort eine arme, kranke Märtyrerin, die mit müden Augen nur den Schatten auf Erden sieht und gerne schlafen gehen möchte; aber sie muß an der Seite des Künstlers, der überall blühende Rosen erblickt, weiterleben – und hier eine Frau, die ihm Blüten bieten könnte und ihm verständlich ist in jeder Nervenfaser, und sie muß einsam ihm fern bleiben!

Ade, mein teurer Freund! Fassen Sie meine Hand fest, und wandern wir getrost durchs Schattental!

Franziska.

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Hochburg, 26.10.1899.

Liebe Franziska!

Die ersten Zeilen, die ich daheim schreibe, müssen an Sie gerichtet sein. Ich komme eben erfrischt von einem zweistündigen Marsche, zu dem mich die goldene Spätherbstsonne verlockt hat, zurück, war in meinem lieben Bergwald, der seinen alten Freund im bunten Herbstkleid begrüßte, und auf der Ammerplatte mit dem frohen Blick über das weite Tal, meinem Lieblingspunkte, von dem mein Neffe Heinrich dereinst (wann?!) meine Asche in alle Winde streuen wird!

Die Rückkehr von Rom in das stille Hochburg – offen gesagt, ich hatte mich davor gefürchtet. Doch fand ich gestern Abend bei meiner Ankunft alles besser, als ich erwartet hatte, meine Frau leidlich wohl und voll Freude über meine Rückkehr. Sie hatte sich sehr um mich geängstigt, weil sie meinen Unfall bei Olevano zuerst durch eine (übertriebene) Zeitungsnotiz erfuhr, die ein Reporter aus Rom telegraphiert hatte. Sobald sie sich noch etwas mehr erholt hat, werde ich ihr Ihren für sie geschriebenen Brief übergeben und auch einiges aus unserer Korrespondenz mitteilen.

Nun heißt es: tapfer sein und den wechselnden »Gemütsstimmungen« Widerstand leisten! Ich fürchte, meine teure Freundin, dieser Winter wird für mich sehr schwer werden. Dazu kommen noch die Stürme über die bösen »Lebensfragen«, die schon kräftig einsetzen – selbst hier im frei denkenden Hochburg hat das Buch viel mehr Entsetzen als Freude erregt; wie wird's da erst anderwärts aussehen!

Die drei Tage in München bildeten einen schönen Abschluß der großen Reise. Lenbach war prächtig. Das Porträt, das er in 3 Sitzungen entwarf, scheint sehr gut zu werden. Da Sie nicht nur an meiner persönlichen Psyche, sondern auch an deren leiblichem Behälter ein wenig Gefallen gefunden haben, würden Ihnen die naiven Äußerungen Lenbachs, der seinen Gefühlen immer freien Lauf läßt, Spaß gemacht haben. Während er malte, ging es in einem fort: »So, ausgezeichnet! Welcher Kopf! Famos!! Nein, diese Stirne! Und welche Augen! Prachtvoll! Was haben Sie für einen Haarwuchs!!« – kurz ich hätte eitel werden können, wenn ich das nicht schon durch den Eindruck, welchen ich am 17. Juni auf ein junges »Mädchen aus der Fremde« gemacht habe, geworden wäre.

Das Schönste in München aber war meine kostbare »Reliquie«, welche Lenbach mir mit Ihrem lieben Briefe übergab. Der impulsive pittore Paolo, von dem ich glaubte, er wäre in Rom zurückgeblieben, tauchte auf einmal in Lenbachs Atelier wieder auf und war von der Reliquie so entzückt, daß er sie gleich küßte. Der ernste Professor Paul hat sie aber gut verwahrt; sie soll nur an besonderen Feiertagen verehrt werden.

Wie wenig ich, wenn auch erfrischt von der Reise zurückgekehrt, Herr meiner Kraft bin, ersehen Sie daraus, daß ich mich entschlossen habe, meine öffentliche Vorlesung, auf die ich mich seit Jahren gefreut und vorbereitet habe, aufzugeben und ihren bereits angekündigten Anfang abzusagen – ich bin der schwierigen Aufgabe solcher freien Vorlesungen jetzt nicht gewachsen. Die psychologische Metamorphose, die mit mir vorgegangen ist, greift tief, und ich fühle, daß ich Vieles nicht mehr so kann, wie ich möchte.

Bitte, teuerste Freundin, senden Sie mir so oft als möglich ( wenigstens einmal wöchentlich) mit Ihren Briefen einen Sonnenstrahl – ich bedarf des Trostes und der Aufmunterung jetzt sehr.

Ihr Paul.

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Hochburg, 14.11.1899.

Liebe Fr.!

Heute komme ich zu meiner lebenspendenden Egeria, meiner klugen und aufrichtigen Freundin mit der Bitte um einen guten Rat. Mein Verleger schreibt mir, der Verkauf der »Lebensfragen« gehe so flott weiter, daß er im Hinblick auf den zu erwartenden Weihnachtsabsatz die neue Auflage schon jetzt drucken lassen wolle. Nun möchte ich freilich in der neuen Auflage manche Härten entfernen und Verbesserungen anbringen; ich fürchte aber, daß ich, wenn ich erst einmal anfange, das Buch nochmals durchzuarbeiten, mehrere Monate dazu brauchen werde. So frage ich Sie: Sind Ihre Bedenken und das Mißfallen, das Sie gegen viele Stellen haben, so schwerwiegend, daß ich deshalb die neue Auflage um ein halbes Jahr verzögern soll? Sind Sie mit Ihren kritischen Randbemerkungen schon so weit, daß Sie mir Ihr Exemplar bald senden können? Ich lege auf Ihr ästhetisches wie philosophisches Urteil das größte Gewicht.

Die Wirkung des Buches wächst – natürlich nach beiden Richtungen – von Tag zu Tag. Gegenüber den vielen begeisterten Zustimmungsbriefen beginnen auch schon die Schmähungen durch anonyme Postkarten. Die Zahl der Angriffe in der Presse und der Verdammungsurteile der frommen Kreise nimmt zu – ich lasse sie sämtlich unbeantwortet; vielleicht schreibe ich später, in einem halben Jahr, als Antwort eine scharfe »Kollektiv-Note«. Vorläufig bin ich froh, daß mein armes Gehirn einmal Ruhe hat (das Herz leider nicht!); die sanfte Spielerei mit den »Wundern der Schöpfung« tut mir dabei wohl.

Ach, könnten wir doch mündlich über das Für und Wider der neuen Auflage sprechen! Die Frage unseres Wiedersehens beschäftigt mich unablässig – es ist nicht nur bitter, sondern unnatürlich, wenn wir es meiden. Wir müssen uns noch einmal aussprechen – und sei es zum letzten Male! Leider hat sich der Zustand meiner Frau seit meiner Heimkehr wieder so verschlimmert, daß schon deshalb Ihr Besuch in unserem Hause unmöglich ist. Hingegen wird mir der Gedanke eines Besuches in Altenhausen immer vertrauter; ich möchte an Ihre Frau Mutter schreiben, ob er ihr willkommen ist. Was meinen Sie dazu?

In Treuen Ihr »alter Magister«.

Altenhausen, 16.11.1899.

Das ist eine schwierige Frage, mein Freund, die der »alte Magister« seiner Schülerin vorlegt. Darauf, ob meine Bedenken so schwerwiegend sind, daß Sie sich der Last einer völligen Umarbeitung unterziehen sollen, möchte ich nicht direkt antworten – denn nicht auf meine Ansicht kommt es an, sondern darauf, ob Sie den Inhalt mit Ihrer vollen Überzeugung vertreten können. Im einzelnen ließe sich ja manches Anstößige und Aggressive tilgen oder mildern, aber den ganzen Geist, der das Buch beseelt und in fast jedem Kapitel die stärkste Antipathie gegen das Christentum bekundet, und der Sie zu Schroffheiten, Härten und Einseitigkeiten verführt, werden wir dadurch doch nicht bannen.

Und dann: ob es richtig und klug wäre, gerade jetzt, wo die Gegner sich zu rühren beginnen, Einzelheiten zu verbessern oder das Ganze umzugestalten? Würde das nicht wie ein Rückzug aussehen, als ein Eingeständnis, daß Sie über das Ziel hinausgeschossen haben, gedeutet werden? Schon darum möchte ich jetzt nicht dazu raten. Wenn Sie aber selbst eine Revision für geboten halten, dann will ich gern das Buch noch einmal, Satz für Satz, kritisch durchprüfen und Ihnen alle meine Beanstandungen baldigst mitteilen. Auch ich bin überzeugt, daß das am besten in persönlicher Besprechung geschehen würde.

Daß Ihre Gegner meinem geliebten Goldfasan etwas das Gefieder zausen und ihm einige schöne Federn ausreißen werden, kann wohl nicht ausbleiben – »wie's in den Wald schallt u. s. w.«! Ich wünsche nur, daß Ihre empfindsame Frau Gemahlin möglichst von alledem verschont bleibt. Sehr erfreut mich, daß Sie jetzt zu allen Angriffen vornehm schweigen, sie unberücksichtigt lassen wollen – Sie sind auch viel zu heißblütig, um sich in schweren Turnieren nicht eine dem Gegner willkommene Blöße zu geben. –

Ja, ich halte es auch für den richtigen und einzigen Weg, daß Sie sich Mama nähern – ein Zusammentreffen an einem dritten Ort erscheint mir, wie die Dinge jetzt liegen, unserer nicht würdig. Ich wünschte, daß Sie in unserem Hause nach und nach die Heimat Ihrer liebsten Freunde erblickten, ein Haus, wie es für Goethe das der Frau von Stein war, wo er Allen lieb wurde. Also versuchen Sie es mit dem Briefe. Der Moment ist dafür freilich denkbar ungünstig, da Mama eben so sehr den Eindruck einer kranken, tief hypochonderen Frau macht, daß ich schon einen befreundeten Arzt gebeten habe, zur Untersuchung nach hier zu kommen. Wäre Mama jetzt nicht so elend, so würde ich sagen: Klopfen Sie eines Tages unerwartet – auch mir überraschend, damit ich ehrlich und unbefangen bin – an unsere Tür und sagen Sie Mama in einfachen Herzensworten, Sie hätten den Wunsch gehabt, die Mutter Ihrer Freundin persönlich kennen zu lernen und sich hier, da zu Hause durch die Krankheit der Ihrigen viel Schweres auf Ihnen läge, freundlichere Eindrücke zu holen – ich glaube, es würde dem Zauber Ihrer Persönlichkeit gelingen, auch Mamas Herz zu gewinnen und ihr den Gedanken an unsere Freundschaft weniger schwer zu machen. In dieser freudigen Hoffnung

Ihre Franziska.

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Altenhausen, 28.11.1899.

Teurer Freund!

Ich bin mit Ihnen tief betrübt. Ich kann nicht sagen, wie schwer mir das Herz wurde, als Mama mir gestern sagte, daß und was sie Ihnen geantwortet hat. Sie hält unser Wiedersehen für unrecht, weil sie mit dem Instinkt der Mutterliebe ahnt, daß Sie mir mehr sind als ein Freund im gewöhnlichen Sinne, und ich habe ihr nicht begreiflich machen können, wie ideal unser Verhältnis sein soll, und daß eine nochmalige gründliche Aussprache uns nur Ruhe und Kraft geben würde.

So muß ich mich also, wenn solche Aussprache für uns zur Notwendigkeit wird, entschließen, auch gegen Mamas Wunsch mit Ihnen zusammenzutreffen. Lieber Freund, das ist für mich eine sehr ernste Frage. In der Freundschaft zwischen Mann und Frau ist es eine so feine, zarte Grenze, die die geliebte, hochgeachtete Frau von der »Geliebten« (der Mätresse) scheidet. Sie müssen mir helfen, daß ich in der schwierigen Lage, in der ich mich durch meinen Freund befinde, gut und rein und wahr bleibe.

Nun kommt bald Weihnachten. Ich bitte Sie, schenken und schicken Sie mir nichts, um Mama's willen, die es von neuem betrüben würde. Auch ich möchte Ihnen nichts mehr schenken, bis wir so weit sind, daß Sie meine Gaben Ihrer Frau und Tochter zeigen können. Und ich bitte Sie herzlich: Lassen Sie Ihre Frau wissen, daß wir miteinander korrespondieren, und geben Sie ihr endlich den Brief, den ich nach der Schweiz schickte – es muß sein.

Eins aber möchte ich Ihnen gerade jetzt, wo es Sie nach dieser großen Enttäuschung mit Mama trösten soll, geben: die Gewißheit, daß meine Seele Ihr Eigentum ist, und als Unterpfand dessen einen Ring, den auch ein Freund dem Freunde als Zeichen der Treue geben darf. Als Gegengabe erbitte ich von Ihnen ein Ringlein, das ich stets an einem Kettchen auf meinem Herzen tragen will, das mich in allen Anfechtungen schützen und stärken soll, und wenn ich betrübt bin, will ich mein Ringlein drehen, wie im Märchen, und dann soll es mir schöne Bilder vorzaubern. Sobald Sie Ja gesagt haben, schicke ich meinen Ring. Er ist das einzige Andenken an meinen Vater, der ihn auf seinem Sterbebett für mich bestimmt hat – der Ring hat mich von Kindheit auf begleitet und bringt Ihnen ein Stück von meinem Herzen.

Dieser Freundschaftsring-Wechsel soll nun aber auch die letzte Heimlichkeit sein, die wir vor unseren Angehörigen haben! Mit ihm wird alles Sorgen- und Unruhvolle begraben sein, unsere Treue ist dann besiegelt und wir werden still und tapfer auf dem rechten Wege Hand in Hand vorwärtsschreiten. Für immer

Ihre Franziska.

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Hochburg, 1.12.1899.

Mein Eigentum!

Ihr Brief hat mich durch seine Treue gerührt und beseligt. Freudig und dankbar sage ich zu Ihrem sinnigen Plane »Ja« und sende Ihnen heute, versteckt inmitten der 60 neuen Aquarelle, einen Ring, den meine Anna beständig getragen hat und der zu meinen teuersten Andenken gehört – die Farbe seines Steines ist die der Treue.

Das Ringproblem hat mir zuerst allerhand psychologische und moralische Skrupel bereitet. Ich fragte mich: darf ich Sie, das blühende junge Mädchen, wirklich an mein ungewisses Altersschicksal fesseln? Aber Sie sollen ja auch durch diesen Ring, das Symbol unserer Seelenfreundschaft, nicht unbedingt an mich gebunden sein – ich wiederhole, was ich schon früher schrieb: Sie haben stets freie Hand, wenn sich Ihnen ein anderes schönes und sicheres Glück bietet, obwohl ich selbst fest entschlossen bin, falls ich frei würde, mein Leben ganz mit dem Ihren zu verbinden. Dann fragte ich mich: verstößt dieser Ringwechsel nicht gegen die Pflicht der Treue gegen meine Frau? Aber er ist ja nur eine Besiegelung dessen, was uns längst verbindet, und ich kann ehrlich sagen, daß meine Frau durch meine Freundschaft mit Ihnen nichts eingebüßt hat, daß ich vielmehr seitdem viel geduldiger und nachsichtiger gegen die arme Kranke geworden bin. So nehme und gebe ich den Ring als ein äußeres Zeichen unserer Seelengemeinschaft und zugleich als eine Bürgschaft, daß wir gemeinsam, ohne unsere Pflichten zu verletzen, den rechten Weg wandern wollen. Zwei »außerordentlichen Menschen« ist auch »Außerordentliches« erlaubt.

Über unsere Korrespondenz habe ich schon vor längerer Zeit mit meiner Frau gesprochen, Ihren Brief kann ich ihr aber noch nicht geben – wenn Sie ihren Zustand kennen würden, würden Sie sich selbst sagen, daß das jetzt unmöglich ist.

Und nun tapfer vorwärts! Jeder Skrupel, alle quälende Unruhe soll fortan aus unserem schönen, mich so tief beglückenden Bunde verbannt sein.

Ihr treuer Paul.

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Altenhausen, 17.12.1899.

Liebster Freund!

Gestern hatten wir wieder an unserem behaglichen runden Tische einen sehr hübschen Abend beim Betrachten Ihrer Aquarelle. Meine Mutter war von einzelnen ganz begeistert. Mich interessiert es in hohem Grade, Ihre letzten Wanderungen nun Schritt für Schritt verfolgen zu können, und ich staune über die Zahl der Bilder, die Sie geschaffen haben. Zürnen Sie mir nicht, wenn ich Ihnen aber ehrlich sage, daß ich von manchem der Bilder nicht recht befriedigt bin; viele sind gar zu roh gemalt und zu wenig ausgeführt – ich spüre die Unrast, die damals Ihr Herz erfüllte. Ich habe so viel vollendet schöne Aquarelle bei Ihnen gesehen und von Ihnen zum Geschenk erhalten, daß ich frage und bitte: wollen Sie diese neuen nicht noch etwas ausführen, auch die roten Farben noch etwas mildern, ehe Sie sie bei Ihrem Vortrage anderen Augen vorlegen? Ich möchte, daß mein Freund in Allem sich nur als vollkommen zeigt.

Sehr lieb war es mir, daß Sie mir die Bilder noch hierher und nicht erst zur Weihnachtszeit nach Neuenhof geschickt haben. Mein »Maleronkel« und seine Frau würden es für »höchst unpassend« und »wunderlich« gehalten haben, daß ich derlei von einem Künstler zugesandt erhalte – Sie ahnen ja nicht, Liebster, wie ich armes Geschöpf in ein Netz von tausend »althergebrachten Anstandsregeln« eingeschnürt bin!

Eine große Freude war es für mich, daß Sie die Rezensionen und Briefe mitschickten und mir schreiben, daß Sie mich an Allem, was Sie interessiert, teilnehmen lassen wollen. Ich habe es so oft entbehrt, daß Sie mir von dem, was Sie wissenschaftlich gerade beschäftigt, so wenig mitteilen und meine Fragen danach kaum beantworten. Ich möchte doch auch geistig mit Ihnen mitleben! – Der Brief des Herzogs gefällt mir besonders durch sein Urteil über Saladin; die Schwierigkeiten, die ihm in der Lehre von der Urzeugung zu liegen scheinen, verstehe ich nicht so gut. Der Brief Ihres holländischen Onkels aber hat mich durch sein tiefes Eingehen in die philosophischen Fragen geradezu begeistert – das muß ein ganz außerordentlicher Mann sein. Sehen Sie, auch er hätte Ihnen mehr Objektivität gewünscht!

Am letzten Sonntag bin ich mit den Meinigen zum Abendmahl gegangen. Ich habe mich vorher ernstlich geprüft, ob das Heuchelei wäre – aber es ist keine für mich. Ich tat es aus Liebe und Schonung für Mama, die es nicht überwinden würde, daß ihr liebstes Kind nicht mehr an den Sohn Gottes glaubt. Mir ist Christi Person und Lehre so teuer, ich habe so sehr das Gefühl, daß das reine Christentum (wie er es wollte) nur ein Segen für die Menschen wäre, daß ich gern das Abendmahl genieße – zu seinem Gedächtnis. Ich würde mich nie danach sehnen, wenn ich freie Herrin meiner Handlungen wäre, aber ich nehme an der schönen, zum Herzen sprechenden Handlung um Mamas willen gern teil. Sagen Sie mir Ihre Ansicht darüber, mein Freund; es würde mich sehr glücklich machen, wenn Sie mir zustimmen könnten.

Ich bekam gestern von einem Diakonissenhause eine Sendung zarter weißer Lilien (aus durchsichtigem Papier und Silberfäden), die ich zu Grüßen an Einsame und Leidende bestimmt habe. Ich schickte sie heute nach Hochburg und bitte Sie, den Weihnachtstisch Ihrer Frau damit zu schmücken. Wenn sie auch nichts davon erfährt, von wem die Blumen kommen – ich möchte der Armen so gern eine Freude bereiten.

Sie schreiben von neuem, wie viel ruhiger Ihnen seit der Lösung des »Ringproblems« ums Herz ist. Wie dankbar bin ich dafür! Auch ich halte es für richtig, daß wir endlich Sicherheit und Ruhe in unserem Verhältnis zu einander erlangt haben, und betrachte mich nun in meinem Herzen als fest Dir angehörend und Dich als mein liebes kostbares Eigentum. Möge Gott mir verzeihen, wenn in den Worten ein Unrecht liegt. Ich mache, so lange Deine arme Frau lebt, keinen anderen Anspruch an Dich, als daß ich mir stets Dein unbedingtes Vertrauen erbitte und daß ich hoffe, daß Du meinen Bitten Gehör schenkst, wenn es sich um Deine Gesundheit und Dein Wohl handelt. Nie werde ich eine Bitte haben, die gegen die Pflicht verstößt. – Segne Dich Gott, der größer ist, als wir zu erkennen vermögen!

Franziska.

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Hochburg, 20.12.1899.

L. Fr.!

Heute in größter Eile meinen herzlichsten Dank für die ehrliche Kritik meiner Reiseskizzen – wie bin ich froh, eine so aufrichtige Freundin zu haben! Ich will versuchen, die Aquarelle in den Weihnachtsferien zu verbessern, schreiben Sie, wenn Sie sie zurückschicken, bitte, auf die Rückseite eines jeden Ihre Zensurnummer (I »sehr gut« bis V »sehr schlecht«). Mit der Kritik der »Lebensfragen« hat es keine Eile; ich fange die Revision für die neue Auflage erst im neuen Jahre an.

Ganz wundervoll, fein und tiefeindringend ist Ihre kritische Abhandlung über meine »Wunder der Schöpfung« – sie müßte gedruckt werden! Ich las sie gestern Abend meiner Frau, die sich gerade in ungewöhnlich guter Verfassung und Stimmung befand, vor; sie hat, während sie sonst solche Mitteilungen meist abweist, die ganzen 6 Bogen mit steigendem Interesse angehört. Beinahe hätte ich Ihr auch Ihren Brief an sie gegeben – aber so weit sind wir noch nicht.

Weihnachten bringt mir diesmal die wunderbarsten Überraschungen. Denken Sie sich, vorgestern bekomme ich aus Rom eine fein in Erz gravierte Tafel: die Ernennung zum Auswärtigen Mitglied der Akademie der Wissenschaften – das ist die höchste wissenschaftliche Ehre, die mein geliebtes Italien verleihen kann! – Gestern schickte ich nach Brüssel den Entwurf eines Statuts für eine neue Akademie der physiologischen Moral, deren Organisation (mit sehr großen Mitteln, über 1 Million Francs!!) der Gründer mir anvertrauen will. – Heute versammelten sich hier in meiner Zelle vier Gelehrte (aus Halle, Stuttgart, Freiburg, Berlin), um mit mir die Statuten einer großen Preisfrage festzustellen, deren Publikation mir anvertraut ist; Preis: 30.000 Mark!

Dazu der große Erfolg meines Buches, der von Tag zu Tag steigt – ich könnte übermütig werden, wenn das Herz »des Anderen« sich nicht bei alledem immer nach seinem Besten und Liebsten sehnen müßte. »Es ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen!«

Ihr Paul.

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Neuenhof, Sylvester 1899.

Geliebter Freund!

Haben Sie innigen Dank für die drei lieben Weihnachtsbriefe, die Tag für Tag sich folgten, bei meinen Verwandten freilich großes Staunen hervorriefen, so daß ich eine Ausrede ersinnen mußte, welch schwierige wissenschaftliche Frage wir jetzt gerade zu erörtern hätten. Wenn ich diese rührenden Briefe eben (wie jeden Abend) wieder lese, so möchte ich meinen Arm um Ihren Hals legen und von ganzer Seele bitten: Laß uns alles tun, um diese große, reine, ideale Liebe, wie sie nur wenigen Auserwählten zu teil wird, zu erhalten und vor allem Übel zu schützen! Wird sie uns genommen, dann sind wir arm. Solange wir sie haben, können wir alles tragen. Hilf mir, daß sie gut und groß und schön und wahr bleibt!

Nun läuten uns die Glocken bald das neue Jahr ein. Nichts im ganzen Jahr ist so feierlich herzbewegend als seine Sterbestunde – das Gehen »man weiß nicht, wohin«, ist's Leid oder Freud, Leben oder Tod. Was hat uns beiden dieses wunderbare Jahr gebracht! Mir, deren Herz sich mehr und mehr gegen die Menschen abschloß, die feste Gewißheit von dem Werte und der Schönheit eines edlen Männercharakters, zugleich mit dem Gefühl, einem der größten Menschen des Jahrhunderts Liebe und Achtung einzuflößen – Ihnen schenkte es nach jahrelanger Vereinsamung ein weibliches Herz, das Sie ganz in Ihrer Größe zu würdigen und Ihre Schwächen zu verstehen und lieben weiß. Sie mögen forthin noch so still in Ihrer Arbeitsklause hausen – nie mehr dürfen Sie über Einsamkeit und Unverstandensein klagen, denn mit Ihnen lebt und fühlt, leidet und hofft eine Frau, die Sie ganz versteht.

Zürnen Sie mir nicht, mein Paul, daß ich mit meinem Eintritt in Ihr stilles Leben so viel Unruhe hineingetragen habe. Wir wurden beide geführt und getrieben ohne unseren Willen, aber wir wollen Gott danken, daß sich vor uns eine neue – von Ihnen schon verloren geglaubte, von mir noch nie geschaute – schöne Welt auftat.

1. 1. 1900. Meine ersten Worte im neuen Jahrhundert gelten Ihnen, geliebtester Freund. Wir waren gestern Abend allesamt in der Kirche; ich hatte mich auf den Eckplatz hinter dem Pfeiler gesetzt, hing meinen Gedanken nach und fühlte mich sehr einsam und verlassen. Wie dunkel liegt das Leben vor uns! Jeder von uns hungernd und dürstend, dazu verurteilt, sein wahres Leben in Ketten gefangen zu halten, und, wohin man blickt, eine verschleierte, ungewisse Zukunft. Und doch vertraue ich, daß dieses Jahr uns reich machen wird – im Frühling, wenn die Blumen erwachen, wird auch unser Leben frische Knospen treiben! Gott segne Sie, mein lieber, teurer Freund, und führe unsere Liebe den guten und rechten Weg!

Franziska.

*

Hochburg, Sylvester 1899.

Meine teuerste Freundin!

Am Schlusse dieses bedeutungsvollen Jahres, das uns beiden so viel gebracht hat, muß ich Dir noch einmal sagen, wie tief Du in mein innerstes Herz hineingewachsen bist und wie fest darin die innigste, unzerstörbare Liebe zu Dir Wurzel geschlagen hat. Vergebens, daß meine Vernunft sich gegen dieses Geständnis sträubt und daß unsere strenge Mutter »Pflicht« mir einen ernsten, mißbilligenden Blick zuwirft – ich kann's nicht ändern, sowenig ich der hellen Sonne wehren kann, die in diesen prächtigen Wintertagen meine lieben schneebedeckten Berge in Diamantenglanz schimmern läßt, sowenig als ich den Lauf des Flusses aufhalten kann, an dessen Ufer ich am 17. Dezember bei Vollmond auf unserer Bank unter dem alten Erlenbaum lange schwärmte.

Wenn ich an den Sylvesterabend vor einem Jahre zurückdenke, muß ich staunen über die gewaltige Veränderung, die in meinem Seelenleben vor sich gegangen ist. Damals schwebte mir als einziges Ziel für 1899 die Herausgabe der »Wunder der Schöpfung« und der »Lebensfragen« vor. Ich konnte nicht ahnen, daß um die Mitte dieses arbeitsreichen Jahres in mein Leben eine Himmelstochter treten würde, die es von Grund auf umgestalten würde. Was Du mir, geliebte Fr., in diesem halben Jahr geworden bist, das kann ich nicht in arme Worte fassen; brauche es auch nicht, denn ich weiß: Du fühlst, was Du mir bist, und auch, was ich Dir bin. Seit unsere Seelen innigst verwebt und verlobt sind, habe ich den süßen Trost, endlich das treue Herz voll Hingabe, Vertrauen und Verständnis für mich gefunden zu haben, nach welchem meine einsame Seele sich seit Jahrzehnten so innig sehnte.

Freilich, Franziska, wie dunkel und tief verschleiert liegt das neue Jahr vor uns! Was wird es uns beiden bringen? Ich bin vom Schicksal so oft und bitter enttäuscht worden, daß ich nur mit bangem Mißtrauen in die Zukunft sehen kann. Aber ich drehe Deinen lieben Ring und sage dazu das alte Sprüchlein aus meinem Lieblingsmärchen der Kinderzeit »Gackeleia«: »Ringlein, Ringlein, dreh' dich um! Mach's recht schön! ich bitt' dich drum!«

Gewährte mir das Ringlein doch bald das, wonach mein Herz vor allem sich sehnt: ein baldiges Wiedersehen mit Dir, Geliebte! – das ist die Frage, die mich seit Wochen mehr als alles andere bewegt. Hilf mir, Franziska! Erquicke den Dürstenden!

1. 1. 1900. Die ersten Zeilen, die ich im neuen Jahrhundert schreibe, können nur Dir, geliebte Fr., gewidmet sein. Aus den Rosenknospen, die gestern Abend als Sylvestergruß auf meinem Tische standen, sind über Nacht reizende offene Rosenkelche geworden. Nehmen wir diese Verwandlung als ein zartes Symbol dafür, daß unsere Wünsche und Hoffnungen doch noch einmal »über Nacht« in Erfüllung gehen werden, und sehen wir getrost und tapfer dem neuen Jahr entgegen!

Dein Paul.

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Hochburg, 10.1.1900.

Liebste Fr.!

Der vorige Sonntag war einer von jenen Tagen meines sturmreichen Lebens, die mir den Wechsel von Freud und Leid in greller Beleuchtung zeigen. Er fing schlimm an. Ich war spät zu Bett gegangen und kaum eingeschlafen, als meine Tochter weinend mich weckte: Mama sei plötzlich sehr krank geworden. Ich fand meine Frau in einem jener beängstigenden Anfälle von Herzschwäche, und es dauerte lange, bis sich die Ärmste, die in ihrer Verzweiflung sich das Ende herbeiwünschte, beruhigte. Ich konnte in der Nacht kein Auge mehr schließen. Welche Folter die widerstreitenden Empfindungen bei solchen Vorfällen für mich sind, brauche ich Ihnen wohl nicht zu schildern.

Als ich abends aus einer Sitzung der Geographischen Gesellschaft nach Haus kam, lag ein Gratulationstelegramm da, aus Turin vom Präsidenten der dortigen Akademie, die mir den Großen Preis (10 000 Lire) verliehen hat. Dieser Preis wird nur alle vier Jahre einmal vergeben, als Auszeichnung für die hervorragendsten Leistungen im Gesamtgebiet der Wissenschaft. Nun kommen schon von allen Seiten Gratulationen zu dieser neuen Auszeichnung. Man könnte dem Glücklichen mit dem »Ring des Polykrates« drohen. Wenn die Leute wüßten, wieviel und was mir zum wahren Glücke fehlt! In früheren Jahren, als der wissenschaftliche Ehrgeiz meine stärkste Triebfeder war, hätte dieser glänzende Erfolg mich mit stolzer Siegerfreude erfüllt. Heute läßt er mich ziemlich kalt – ich würde ihn gern hingeben für das einzige Glück, nach dem ich lechzend dürste.

Liebste Freundin, meine Stimmung wird immer trüber und trüber. Gerade angesichts der neuen Ehrungen erkenne ich immer klarer, daß meine Kraft durch die Stürme, die über mein Gemüt dahingehen, gebrochen ist – ich habe den ganzen Winter verzettelt, ohne etwas zustande zu bringen, meine literarische Fruchtbarkeit ist am Ende. Und das einzige Mittel, das mir helfen könnte – ein Wiedersehen mit Ihnen – glauben Sie mir versagen zu müssen!!

Möge es Ihnen gut gehen bei Ihren Verwandten! In Treuen

Ihr armer Paul.

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Mitteldorf, 20.1.1900.

Liebster Freund!

Ich bin um Sie in banger Sorge. Vom einen zum anderen wurden Ihre Briefe düsterer, der heutige hat mich geradezu erschreckt. Das war mehr als Trübsal – es lag eine Bitterkeit und Verzweiflung darin, wie ich sie in solchem Maße noch nie von Ihnen gehört habe. Wie können Sie schreiben, daß Sie dieses Leben nicht mehr aushalten?! Wir sind Streiter, in das Leben gestellt, um den schweren Kampf siegreich zu Ende zu kämpfen! Wehe dem Soldaten, der sein Gewehr von sich wirft und flieht, wenn ihm die Schlacht zu heiß dünkt! Auch wir haben zu fechten und dürfen nicht davonlaufen und den Anderen im Stich lassen. Ich verstehe es, daß ein unheilbar Kranker, der sich und den Seinen nur zur Last ist, Hand an sich legt. Aber Sie, liebster Freund, mit einem jugendlichen Körper von Eisen – Ihre frohen strapaziösen Wandertage im letzten Herbst haben das bewiesen –, in hochgeachteter und exponierter Stellung, eben jetzt von allen Seiten ausgezeichnet, berufen, noch Großes zu leisten und Anderen ein Führer zu sein, der Vater Ihrer Familie und – denken Sie gar nicht an mich, an meinen Schmerz und mein vernichtetes Leben?! Teuerster Freund, ich bitte Sie flehentlich, versprechen Sie mir, sich kein Leids anzutun, ohne vorher Trost und Rettung bei mir zu suchen!

Verzeihen Sie, wenn ich selbst aufgeregt bin. Ich verstehe ja, daß Sie schwer zu tragen haben. Aber nehmen Sie es mit Ihrem weichen Gemüt nicht doch noch schwerer, als es ist? Glauben Sie mir: auch ich habe schwer zu tragen, ohne viel Worte darüber zu machen – insofern schwerer vielleicht, als Sie ein freier Mann, ich aber gebunden bin, gebunden durch die Rücksicht der Liebe für meine Mutter, verstrickt in die Fesseln altehrwürdiger Traditionen meiner Familie. Ich weiß nicht, ob Sie es ganz verstehen, was es heißt, mit seiner ganzen Vergangenheit zu brechen?

Daß ich das kummervolle Antlitz meiner Mutter stündlich mit Trauern sehen muß, daß ich meiner engeren Familie mit meiner »Freundschaft« für Sie, für die sie höchstens ein ironisches Lächeln haben, ganz allein gegenüberstehe, daß ich mit meinem Streben in meinem Kreise ganz unverstanden bin und mich vergebens nach einem höheren Geistesleben sehne, das bin ich längst gewohnt. Leicht ist es nicht. Goethe sagt: »Meine Seele schließt sich in sich selbst zusammen«, und ich habe nie ein wahreres Wort gelesen. Sie, lieber Freund, kennen dieses Gefühl ja so gut wie ich: das Heimweh, das uns in den eigenen Hallen beschleicht, ist das bitterste.

Aber nun stellen Sie sich vor, wie ich hier zu dem gütigen Grafen komme, wo mich die Erinnerung an meine aristokratische Großmutter umfängt, und die Erinnerung an meine eigene Kindheit und erste Jugend, die ich hier verlebte, umgeben von strengen Regeln, von alten starren Prinzipien; wo ich meines Vaters Geschwister sah, beide grau und alt geworden, wie sie die Religion als höchstes Gut verehren, den Adel als von Gott eingesetzt und besonders bevorzugt betrachten und in allem und jedem Kinder der vergangenen Zeit sind – da fragte ich mich abends im Bett: wie ist es möglich, daß du so tollkühn bist, dich emanzipieren zu wollen, um von all den Deinen als Ketzerin verstoßen zu werden, bemitleidet und beklagt, nein: gehaßt um deiner Ansichten willen, und unverstanden in all deinem Streben und deinen edelsten Gefühlen?! Wird dir im rechten Augenblick nicht der Mut dazu fehlen?

In solchen Stunden liegt das Leben auch auf mir dunkel und schwer. Aber ich halte durch, denn ich habe Sie lieb. Ertragen auch Sie, lieber Freund, das Unerträgliche aus Liebe zu mir! »Landgraf, werde hart!« In banger Sorge

Ihre Franziska.

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Hochburg, 22.1.1900.

Ja, meine teure Freundin, ich stand und stehe unter einer ganz tiefen Depression. Wohl sehe ich, daß auch Sie schwer zu tragen haben, aber meine Natur ist eben weicher als die Ihre mit dem alten Ritterblut. Als wir vor sechs oder acht Wochen unsere Ringe tauschten, war eine große Ruhe und Zuversicht über mich gekommen – die Hoffnung, daß sie mir dauernd bleiben würde, ist trügerisch gewesen. Seit Wochen ist die alte, mich verzehrende Sehnsucht wieder da, zur Verzweiflung gesteigert durch eine trostlose Hoffnungslosigkeit. Dazu kommt die schreckliche Tatsache, daß ich seit diesem Winter nicht mehr ernsthaft zu arbeiten vermag – ohne wissenschaftliche Fruchtbarkeit erscheint mir mein Leben aber zwecklos. Ich gestehe Ihnen, daß mir der erlösende Gedanke »Nun komm herab, du einzige Phiole!« in diesen Wochen manches Mal erschienen ist.

Die große Frage des »Selbstmordes« (schon das Wort ist Unsinn; es sollte »Selbsterlösung«, Autolyse, heißen) hat mich seit meiner Jugend viel beschäftigt – mein großer, verehrter Lehrer und Meister endigte sein Nervenleiden durch Morphium; ich trug mit bitteren Tränen seinen Sarg zu Grabe. Die armen Autolyten sind nach meiner Ansicht völlig im Recht, wenn sie ein elendes, aussichtsloses Dasein ohne Hoffnung, das nur noch zur Qual bestimmt ist, mit raschem Entschluß endigen. Ich selbst habe auf all meinen Seereisen ein Fläschchen mit Cyankalium und ein zweites mit Morphium in der Tasche gehabt – der Gedanke war mir entsetzlich, daß ich (als ausgezeichneter Schwimmer) bei einem Schiffbruch stundenlang auf dem Meere mit dem Untergang zu ringen hätte ohne jede Aussicht auf Rettung. Ich habe übrigens gefunden, daß gerade die Möglichkeit, in jedem Augenblick dem Elend ein rasches Ende zu machen, von der Ausführung abschreckt.

Ihnen zu Liebe, teuerste Freundin, und um Ihretwillen verspreche ich Ihnen, daß ich nicht ohne Ihr Wissen zur »Selbsterlösung« als ultima ratio schreiten werde. Und so lange ich es vermag, will ich kämpfen! Noch einen solchen Winter in Hochburg werde ich aber kaum aushalten.

Ihr Paul.

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Mein geliebter Paul!

Heute, zum Geburtstage, sage ich: Du!

Ich will Dir einmal erzählen:

Die große Mutter Natur hatte sich ein Lieblingskind geschaffen. Sie schmückte es auf das schönste und reichste nach Außen und Innen, gab ihm goldene Locken und leuchtende Augen, die in alle Tiefen dringen durften, und sagte: »Nun zieh in die Welt, mein Sohn, und gib den Menschen etwas Großes! Sieh, ihre armen Augen sind verschleiert und sehen nur das Dunkel; teile ihnen mit von deinem Licht und gib ihnen auch von der Wärme und Begeisterung, die ich dir in das Herz legte!«

Und der Götterliebling wanderte in die Welt mit seinem reichen Herzen voller Tatenlust und Wissensdrang. Da begegnete ihm auf seinem Wege ein anderes Wesen, das so, wie die Magnetnadel das Eisen anzieht, all sein bestes Wollen und Können auf sich zog und in seine große Liebe versenkte.

Die ernste Mutter aber sah die Gefahr, die ihrem Liebling drohte, und nahm ihm sein köstliches Gut, denn nicht für sich und sein Glück – für die Menschheit hatte sie ihn geboren, und für die Menschheit lebte und schuf er jetzt. Unermüdet wanderte er die steinige Straße, ob auch Dornen und Disteln ihn verwundeten und das Gewürm zu seinen Füßen ihn nicht verstand. –

Die Jahre legten ihren Schnee auf seine Locken, und auch auf das warme, glühende Herz fiel aus dem kalten Weltenraume ein Reif, der es langsam der Erstarrung zuführte. Als die große Mutter die Kälte in den Augen ihres Lieblings sah, jammerte es sie, und sie sprach zu ihm: »Ich will dir jetzt, da du der Menschheit gabest, was ich von dir forderte, wiederschenken, was ich dir nahm, als deine Locken golden waren. Laß dein erstarrtes Herz wieder auftauen und gib Raum dem Großen, Unaussprechlichen, das die Wege des jungen Streiters nicht hemmen durfte, den Sieger aber heimgeleiten darf!« Und sie führte zu ihm – die Liebe.

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Hochburg, 18.2.1900.

L. Fr.!

Die drei Tage bei meinem hohen Gönner haben mich einmal aus meiner Trübsal herausgerissen und mir gut getan, obwohl ich inmitten aller fürstlichen Güte und Pracht immer nur halb dabei war – »der Andere« war mit seinen Gedanken in Altenhausen. Immer wieder mußte ich daran denken, ob es mir wohl vergönnt sein wird, das nächste Mal Sie dort als »meine Frau Herzogin« einzuführen und mit Ihnen all das Schöne zu genießen, was die Gastfreundschaft eines so feinsinnigen und kunstliebenden Fürstenpaares bietet. Der Herzog wie seine Gemahlin fanden beide, daß ich nicht so frisch wie sonst sei, und bedauerten mich, daß meine Arbeit und die Kämpfe um die »Lebensfragen« mich so mitgenommen hätten – wenn sie wüßten!!

Am Freitag mußte ich ein recht ödes Gala-Souper von 40 Personen, alle »höchsten Kreise« der Residenz, über mich ergehen lassen. Vielen, die mich anstarrten, sah ich es an, daß sie den berüchtigten Verfasser der »Lebensfragen« als den leibhaftigen Luzifer fürchten. Um so mehr amüsierte es mich, daß der Herzog mich sehr ostensibel auszeichnete. Er hat in diesen Tagen viele eingehende Gespräche mit mir gepflogen, sowohl über die »Wunder«, für die er (selbst ein Künstler als Zeichner) besonders interessiert ist, wie über die »Lebensfragen«. Aus seinen Einwänden gegen die letzteren (sehr ähnlich den Ihrigen!) mußte ich mich aufs neue überzeugen, wie hoch dieser ausgezeichnete Fürst seine Standesgenossen überragt.

Leider muß ich die anregenden Tage nun schwer büßen. Gleich nach meiner Heimkehr bin ich erkrankt. Ängstigen Sie sich nicht – es ist ungefährlich, aber, wie es scheint, langwierig. Mein alter Freund und Leibarzt Seidel tröstete mich heute damit, daß es ein »schöner, typischer« Influenzafall sei, und daß es ihn außerordentlich interessiere, wie der »zarte« Influenzabazillus sich im Kampfe mit einem kräftigen Manne bewähre. Ich muß mich also mit Geduld wappnen. Am ärgerlichsten ist mir, daß ich meine Kollegien nun nicht zu Ende lesen kann; in diesem akademischen point d'honneur bin ich noch heute so gewissenhaft wie der jüngste Dozent.

Auch insofern ist meine lange Haft nicht gut, weil ich allzu reichliche Muße habe, über unsere Freundschaft und Zukunft nachzudenken. Gestern, als all das Schwere, was Sie um meinetwillen zu tragen haben, lebhaft vor meinem Auge stand, war ich wieder mal so weit, Sie ernstlich zu bitten: lassen Sie uns alles, was wir seit dem 17. Juni erlebten, als einen schönen, goldenen Traum betrachten und unsere Freundschaft auf den objektiven Fuß des wissenschaftlich-freundschaftlichen Verkehrs zurückführen, wie er bestand, bevor der Zauber des Persönlichen über uns kam. Heute wieder hadere ich mit dem Schicksal, daß es Sie nicht 10 oder 15 Jahre früher mir zugeführt hat. Was hätte dann aus meinem Leben werden können, wie viel Verbitterung wäre mir erspart geblieben, wie viele Fehler hätte ich vermieden, wie viel Besseres geleistet, wenn Ihr klarer und kluger Verstand mich geleitet, Ihr feiner weiblicher Sinn für Maß und Sitte mein wildes Feuer gebändigt hätte! Wie danke ich Ihnen noch heute für das kräftige »Pfui«, das Sie im Juni auf die Korrekturbogen der bösen »Lebensfragen« geschrieben und dadurch mehrere Derbheiten des Unglücksbuches verhütet haben!

Der Kampf nimmt immer größere Dimensionen an, und Ihrem »Goldfasan« wird das Gefieder gehörig gezupft. Philosophische und theologische Broschüren werden dagegen gerichtet, und die ganze Meute der orthodoxen und konservativen Presse stürzt sich auf mich. Das berührt mich wenig – was ich aber bedauere, ist die Wirkung auch hier im »liberalen« Hochburg. Meine hiesigen Freunde und Kollegen (mit 2 oder 3 Ausnahmen) bewahren eisiges Schweigen und ziehen sich zurück. Meine arme Frau leidet wieder, wie vor dreißig Jahren nach dem Erscheinen meines ersten Werks, schwer darunter; sie behauptet, wir seien wieder »moralisch boykottiert« – und sie hat leider recht.

Sie fragten neulich, was mein Freund Gegenbaur zu dem Buche sagt? Bisher noch kein Wort! Er teilt meine Ansichten von Anfang bis Ende, ist aber von jeher der Meinung gewesen, daß das esoterische Geheimnisse sind, die nicht vor das große Publikum gehörten; auch hat er schon immer meine scharfe, aggressive Ausdrucksweise getadelt.

Der Brief Ihrer Berliner Freundin, der anbei zurückfolgt, hat mich interessiert. Merkwürdig, wie anthropistisch die meisten gebildeten Menschen über »Gott« denken! Ich habe schon als kleiner Junge meine liebe Mutter, als sie mir die Schöpfung der Welt durch Gott erzählt hatte, gefragt: »Aber wer hat denn den lieben Gott gemacht? und was war vorher da?« Soweit kommen die meisten Menschen im ganzen Leben nicht! Übrigens ist es ja zweifellos, daß die übliche Weltanschauung mit den drei großen Zentralmysterien »Gott, Freiheit, Unsterblichkeit« viel bequemer, für das liebe »Gemüt« befriedigender und viel praktischer ist als unsere naturalistische Philosophie.

Sie sehen, ich bin trotz der Influenza ganz frisch. Also ängstigen Sie sich nicht – meine Frau sorgt in geradezu rührender Weise für mich. Mit innigen Grüßen

Ihr Paul.

*

Altenhausen, 22.2.1900.

Geliebter Freund!

Sie haben gut reden, daß ich mich nicht um Sie sorgen soll. Verbiete das einem Herzen, wenn es von ferne zusehen muß, wie die tückische Krankheit Hand an sein liebstes Eigentum legt! Nun meldet mir Ihre heutige Karte auch noch, daß Ihre Frau und Tochter ebenfalls erkrankt sind und die ganze Villa ein großes Influenza-Lazarett ist. Und in dieser Not darf ich nicht helfen! Dabei empfinde ich einmal wieder so recht, wie unnatürlich unsere ganze Lage ist: der Mensch, der Ihnen von allen am nächsten steht, darf nicht bei Ihnen sein, wenn Sie seiner bedürfen!

Das Entsetzlichste, wenn ich an die Möglichkeit Ihres Todes denke, ist für mich, daß Sie Ihrem Freunde, dem Anatomen, Ihren Körper versprochen haben. Seitdem Sie mir davon erzählten, peinigt mich diese grausame Vorstellung. So sehr ich den hohen wissenschaftlichen Idealismus, der Sie zu jener Anordnung bewog, achte – an die Menschen, die ihn lieb haben, hat der Idealist dabei nicht gedacht. – –

Ach, lieber Herzensfreund, was gäbe ich darum, wenn ich Ihnen das viele Grübeln und Quälen um unsere liebe Freundschaft ersparen könnte! Von Ihren »Influenzabetrachtungen« ist die erste wohl von Ihnen selbst nicht ganz ernst gemeint. Wenn zwei Menschen so wunderbar zusammengeführt werden und so innig verbunden sind, wie wir zwei, dann können sie doch nicht von einander gehen wie »Schiffe, die sich nachts begegnen«. Aber der andere Gedanke ist gut und richtig: auch ich habe oft das Gefühl, daß, wenn ich früher in Ihr Leben eingetreten wäre, nicht diese grenzenlose Bitterkeit über Sie gekommen sein würde, die sich wie ein Krankheitsstoff in Ihrem Gemüt ansammelte und zum Ausbruch drängt – manches hätten Sie dann milder angesehen, und auch Ihre philosophischen Ansichten hätten nicht diese große, pessimistisch alles leugnende Schärfe bekommen.

Was Sie von Ihrem Freunde Gegenbaur schreiben, verstehe ich gut. Auch ich glaube, wie ich Ihnen schon oft sagte, daß Ihre Lehre – so lange die Menschen so sind, wie sie sind – keine Religion für die Menge sein wird. Denn die große Mehrzahl der Menschen gleicht den Kletterpflanzen, die entweder am Boden kriechen oder aber an von Menschenhänden aufgerichteten Mauern und Zinnen festen Halt und Schutz suchen, weil sie nicht aus eigener Kraft in die Höhe wachsen können und in reiner, freier Luft zugrunde gehen würden.

Innige Wünsche für baldige Genesung!

Franziska.

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Hochburg, 24.3.1900.

Liebste Fr.!

Ihr eben eingetroffener Brief hat mich vollkommen elektrisiert. Ich darf Sie wiedersehen, und schon in wenigen Tagen! All meine verzweifelte, graue Stimmung ist im Nu verflogen wie die Nebel vor der siegreichen Sonne, nichts spüre ich mehr von der Schwäche, welche die grausame vierwöchige Influenza zurückgelassen hat. Wie danke ich Ihnen für Ihr Vertrauen, und Sie sollen sehen, daß ich dessen würdig bin! Ganz artig will ich neben Ihnen sitzen, nicht einmal die Hand begehren, geschweige denn einen Kuß – nur unsere Seelen sollen zueinander reden.

Ihr Vorschlag, uns in Leipzig zu treffen, ist aber kaum ausführbar – ich bin dort so bekannt, daß es für mich fast unmöglich ist, dort einen Tag inkognito zu sein. Statt dessen schlage ich Ihnen das schöngelegene Naumburg vor; von dort ist es auch nicht weit nach der Stadt meiner Jugend, die ich Ihnen gern zeigen möchte. Ich will dann, während Sie zu Ihrer Schwester fahren, an mein hohes Franziskafest einen längst geplanten Besuch in Berlin anschließen – es wäre mir unmöglich, gleich in mein düsteres Gefängnis zurückzukehren aus dem hellen, warmen Sonnenschein, dem ich jetzt entgegenjubele.

Ihr glückseliger Paolo.

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Berlin, 2.4.1900.

Liebste, teuerste Franziska!

Das war das Vermählungsfest unserer Seelen, wie unsere Wartburgfahrt am unvergeßlichen 17. Juli ihre Verlobung gewesen ist. Wie soll ich Dir danken für all das Herrliche und Große, für Dein Vertrauen und die süße Liebe, die diesen rauhen Märztag für mich zum strahlendsten Sonnentag meines Lebensherbstes gemacht haben! Wie der Heiland im Evangelium durch bloßes Handauflegen die Kranken gesund macht, so hast Du mit Deinen lieben reinen Händen mein armes einsames Herz geheilt. Du sagst und schreibst mir immer, ich solle Dich nicht so idealisieren – das kann ich ja gar nicht, denn Du bist eben das personifizierte Ideal einer liebenden Frau, meiner geliebten Frau. So darf ich Dich ja jetzt nennen, wo Du mir die ganze Tiefe Deiner herrlichen Seele erschlossen hast. Wenn uns auch Pflicht und Ehre den Genuß des höchsten irdischen Liebesglücks vorerst noch verbieten, so bist Du doch die »Frau meiner Seele«, die ich als meine »himmlische Liebe« verehre und anbete; und wenn ich Dich fortan in meinen Briefen kurz mit »Liebe Fr.« anrede, so denke Dir dabei nun nicht mehr nur »meine Franziska, meine Freundin, meine Freude, mein Frieden«, sondern: »Meine Frau«. Denke an Goethe und Charlotte von Stein: »Ach, Du warst in abgelebten Zeiten meine Schwester oder meine Frau.« Aus dem Aufblick zu Dir, meiner himmlischen Liebe, schöpfe ich Mut und Kraft für mein ferneres Leben.

In diesen ersten köstlichen Flitterwochen unserer »Seelen-Ehe« laß es uns aber nicht so streng nehmen mit dem vereinbarten »Wochen-Brief« – ich sehne mich zu heiß nach einem guten Wort von Dir, und kann nicht anders, als Dir täglich mein »Zettelchen« zu schreiben, wie Goethe seiner Charlotte. »Unlösbar«

Dein Paul.

*

Schloß S., 4.4.1900.

Mein teurer Paul!

In meinem Herzen sieht es wunderbar aus – noch hat sich der Aufruhr der »Wellen der Liebe«, den Du in mir wachgerufen hast, nicht gelegt. Aber mit unaussprechlicher und reiner Freude denke ich an Dich, an die ganze Art, wie Du Dich mir in Deinem innersten Seelenleben offenbartest, an die zarte Weise, wie Du mir Deine Liebe gabst. Ich glaube, unter Tausenden kann kein zweites Menschenpaar Stunden einer so idealen Hingabe erleben – so ganz ohne eigene Wünsche, so selbstlos, ohne Sinnlichkeit, nur dem einen Triebe gehorchend, den Anderen glücklich zu machen, sich ihm in den geheimsten Tiefen der Seele zu erschließen.

Ich reiste nach Naumburg mit dem festen Vorsatz, Dir ruhig und klar zu sagen, daß ich, möge kommen was wolle, Dir treu bleibe, daß sich unser Verhältnis aber nie zu einem lichtscheuen, heimlichen gestalten dürfe. Ich habe Dir das auch gesagt – dann aber kam der »Zauber des Persönlichen« über uns, und wir haben uns ihm ganz überlassen. Ich bereue, so streng ich mich auch prüfe, das nicht – es war alles so rein und gut, was wir uns gaben.

Nun aber, Geliebtester, ist in uns der Mensch erwacht – und hier ist der Punkt, wo wir wachsam sein müssen, damit unsere bis jetzt so reine Freundschaft nicht zu einer sündigen wird. Sünde wäre es aber, wollten wir den Tag von Naumburg wiederholen, wollte ich meiner Mutter – ihre kummervollen Augen, als ich ihr bei der Abreise sagte, daß ich Dich doch sehen würde, vergesse ich nie – etwas vorlügen und dann doch heimliche Zusammenkünfte mit Dir als Deine Geliebte haben. Das würde uns beide in ein Netz von Verstellung und Lüge verstricken – wir müssen aber in allem wahr sein. Darum dürfen wir uns nicht wiedersehen, so lange Deine Gemahlin lebt.

Du wirst diese Worte wohl mit bitterer Enttäuschung lesen. Ich aber will Dir Deine Franziska und unsere Liebe als etwas Heiliges bewahren, und das ist nur möglich, wenn wir streng gegen uns selbst sind und gegen Deine Frau nicht unrecht handeln. Der stete Gedanke »so lange Deine Frau lebt« ist ja an sich schon ein Unrecht, der bittere Stachel in unserer Liebe – da dürfen wir wenigstens in unserem Handeln ihr nicht Unrecht tun, denn sie ist Deine rechtmäßige Gattin, der alles gehört – außer Deiner Seele. Sei immer recht gut gegen die Arme und umgib sie mit mitleidiger Liebe. Ach, es ist schwer, den rechten Weg zu gehen, wenn das Herz voller Sehnsucht ist.

Willst Du nicht für den Rest der Ferien noch nach dem Süden gehen, um Dich von allen Kämpfen und Influenzatücken vollends zu erholen? Ich verspreche Dir auch, daß ich gut für mich sorgen will, damit Du dereinst eine hübsche, gesunde Frau hast. Nicht wahr, Du machst Dir keine Gedanken mehr, daß Du für mich zu alt würdest? Zwischen Dir und mir gibt es überhaupt nichts, was uns trennt – außer dem Tode und der Pflicht.

Und nun sei mir gegrüßt, mein liebes Silberhäschen – ich kann auch im Briefe von dem hübschen Wort nicht lassen. Wie kommt es nur, daß die Menschen ihren Lieben so gern zärtliche Namen geben? Ich glaube, ich könnte Dich gar nicht einfach »Paul« nennen. Ob das immer so bleiben wird? Oder ob ich später, wenn ich in einem ehelichen Zwist einmal »kratzig« werde, dann doch höchst energisch sagen werde: »Aber Paul!«?

Ich nehme Deine teuren Hände in die meinen, küsse sie und bin für immer

Deine Fr.

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Hochburg, 13.4.1900.

Mein süßes Schwälbchen!

Mein neuester Ehrentitel »Silberhäschen«, mit dem Du mich nun auch in Deinen Briefen so verführerisch streichelst, amüsiert mich sehr. Eigentlich ist der furchtsame Hase ja nicht gerade das Tier, mit dem ich sonst verglichen werde – eher der wilde Löwe! Aber der Gedanke, einmal noch mein altes Silberhaupt in Deinen Schoß zu legen und von Dir gestreichelt zu werden, ist so süß, daß ich mich augenblicklich in dies sanfte Häschen verwandeln möchte! Ich werde Dich nun »mein Schwälbchen« nennen, weil ich unter allen Vögelchen diese pfeilschnellen, ätherischen, ganz über den gemeinen Erdenkot der Alltagsmenschheit erhabenen »Segler der Lüfte« besonders liebe.

Heute sind es nun schon vierzehn Tage seit unserem Naumburger Paradiese. Wie danke ich dem Schicksal, das mich noch am Abend meines Lebens diesen entzückenden Blick in die volle Herrlichkeit einer reinen, edlen Frauenseele hat tun lassen! Was haben mir der holdselige Blick Deiner seelenvollen Augen, der sanfte Druck Deiner lieben Hände, Deine süßen, berauschenden Küsse alles gesagt! Liebe Fr., »verliebt« im gewöhnlichen Sinne bin ich ebensowenig wie Du – mein übermächtiges Gefühl für Dich ist so viel mehr als bloße »Liebe«, so viel Bewunderung, Verehrung, daß ich kein einziges berühmtes Liebespaar uns an die Seite stellen kann.

Mein ganzes Wesen ist durch Dich veredelt und verjüngt. Hier halten sie es alle für ein Wunder, daß der alte griesgrämige Mann frisch wie ein Jüngling von der kurzen Reise zurückgekehrt ist – wenn sie ahnten, wo ich den »Jungbrunnen« genoß! Ich bin wieder ganz übermütig geworden. Vor ein paar Tagen wanderte ich mit zwei Kollegen über den herrlichen Horizontalweg auf halber Höhe der malerischen Kernberge; am Ende des Weges erhebt sich eine steile, efeubewachsene Klippe über einer romantischen Schlucht – flink war ich, zum Entsetzen meiner beiden Begleiter, hinaufgeklettert und jauchzte Dir meinen Gruß zu. Und neulich hättest Du mich sehen sollen, wie ich auf meinem Spaziergang an den einsamen verlassenen Steinbruch kam, an welchem ich seit dreißig Jahren mit Vorliebe »ballistische Versuche« anstelle, und dort einen besonders schweren Stein an den Rand schleppte, um zu sehen, ob er hinunterrollend noch über den Wall springen würde, der sich unten im Grunde hinzieht – es sollte mir ein Omen sein, ob mein liebster (einziger!) Wunsch bald in Erfüllung ginge. Und siehe da! mein Stein tat einen Meistersprung und setzte in einem kühnen hohen Schwunge hinüber – Bravo!!

*

14. 4. Heute zu all den Blättern und Zettelchen, die ich Dir als Festgruß sende, noch eine für Dich wie mich sehr wichtige Mitteilung. Der Gedanke, den nächsten Winter nicht hier, sondern in weiter Ferne zu verleben, von welchem ich Dir schon in Naumburg sagte, hat feste Gestalt gewonnen und ist heute Nacht, als ich schlaflos über unsere verschleierte Zukunft grübelte, zum Entschluß gereift: ich werde im September auf ein halbes Jahr nach den Tropen gehen, zunächst nach Buitenzorg mit seinem herrlichen Botanischen Garten. Ich finde dort kultivierte Verhältnisse und Bekannte, ein eigentliches Wagnis ist diese Unternehmung also auch bei meinen Jahren nicht; immerhin gehört ein gewisser Mut zu diesem Entschluß – noch vor 3 Wochen, vor Naumburg, hätte ich ihn nicht gehabt.

Nun, da der Entschluß gefaßt ist, freue ich mich mit wiedererwachtem Jugendfeuer auf die Herrlichkeiten der Tropennatur. Daß das aber nicht mein eigentliches Motiv ist, weißt Du am besten. Es erscheint mir unmöglich, noch einen so qualvollen Winter, wie den einsamen letzten, hier zuzubringen. Wie mir jetzt ums Herz ist, muß ich frei sein von der mich aufreibenden täglichen Familienmisère, entrückt auch der Abneigung der Kollegen und Mitbürger, welche mein letztes Buch hervorgerufen hat, fern von den lästigen akademischen Geschäften und den Dutzenden von langweiligen Briefen und Drucksachen – ein freier Mensch will ich sein, ganz allein mit der großen Natur und – meiner lieben unsichtbaren Assistentin, die mich überall begleiten wird.

Als ich meiner Frau von diesem Plane erzählte, war sie im ganzen damit einverstanden, meinte aber, es sei jetzt überflüssig, davon zu sprechen: sie werde den Winter doch nicht erleben. Die Ärmste liegt nun wieder schon acht Wochen! Ich versichere Dir, ich bin jetzt doppelt geduldig und aufmerksam gegen sie – ich spüre auch hierin, wie Dein Einfluß mich veredelt.

Deine Bedenken gegen ein neues Wiedersehen werden durch meinen Reiseentschluß nun wohl hinfällig? Es wäre unnatürlich, wenn wir angesichts dieser Weltreise uns die Gelegenheit, vor ihr uns nochmals zu sehen, entgehen ließen, und Du würdest Dir, wenn ich von der Reise nicht heimkehrte, ewig Vorwürfe darüber machen. Vergiß nicht, liebste Fr., daß ich die große Reise im Grunde um Deinetwillen unternehme – ohne Deinen wunderbaren Eintritt in mein Leben wäre ich nie auf diesen Gedanken gekommen. Schenke mir noch dieses eine Wiedersehen! Dein Ja auf diese Bitte ist meine Osterhoffnung. Ich grüße Dich, mein holdes Schwälbchen, das mir den Frühling ins Herz gebracht hat. A rivederci! Il Tuo povero pellegrino.

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Schloß S., 17.4.1900.

Der alte Faust ist wieder jung geworden! – rollt Felsblöcke in den Abgrund, um das Schicksal daraus zu lesen, erklimmt zum Entsetzen hochgelahrter Professoren Klippen, um einen Gruß der fernen Geliebten zuzujauchzen, und schmiedet weltumfassende Pläne, um in der Ferne seine Seelenruhe zu suchen.

Liebster, wirst Du sie dort finden?

Ich schweige von mir – leicht wird es nicht sein, Dich durch das Weltmeer von mir getrennt zu wissen, das lange Wochen zwischen Rede und Antwort legt; Du wirst Gefahren und Krankheit ausgesetzt sein, und ich erfahre nichts davon – ich muß mich damit abfinden; hätte ich doch, wenn Du hier stürbest, nicht einmal das Recht, um Dich Trauer anzulegen!

Für Dich wird es sicher gut sein, wenn Du für den nächsten Winter von der Enge und kleinen Sorge des Alltags befreit sein wirst und Dein Künstlerherz sich einmal wieder an der Schönheit einer fremdartigen großen Welt sättigen kann. Und darum stimme ich Deinem Plane zu. Was ich aber nicht glaube, ist, daß Du dort Deine innere Ruhe findest. Nirgends entrinnt der Mensch sich selbst. Du nimmst Deine ungestillte Sehnsucht mit auf die Reise, und in der Einsamkeit, nur auf die Natur und Deine Arbeit angewiesen, wird sie nicht schweigen, sondern wachsen – ich denke mit Kummer an die Briefe, die Du von Ajaccio schriebst. Mir erscheint diese Reise mehr wie ein Fliehen. Besser als ein qualvoller Winter zu Hause wird sie auf jeden Fall sein, aber mache Dir von vornherein klar, daß Du das, was Du eigentlich suchst – Ruhe in Dir selbst – dort nicht finden wirst.

Ich schreibe heute noch nichts über Deinen Wunsch nach einem Wiedersehen – ich muß mir darüber erst klar werden und diese schwere Frage in mir durchkämpfen.

Lieber Freund, Deine letzten Briefe zeigten mir wieder so recht, wie grenzenlos Du meine Person idealisierst – mögest Du Dich nie durch mich, wie ich bin, enttäuscht fühlen! Aber ich habe kein Recht, Dein Idealisieren zu beanstanden – mir geht es ja ebenso, nur mit dem Unterschied, daß ich Deine Fehler und Schwächen sehr wohl erkenne, Dich aber gerade mit ihnen liebe, Dich gar nicht anders, ohne sie, möchte.

Du frugst mich in Naumburg, weshalb ich Dich so scharf beim Essen beobachte. Liebster Paul, ich bin in strengsten Formen aufgewachsen. Ich war fünf Jahre alt, als man mich tadelte, daß ich vor einer Dame zur Tür hinauslief; stets mußte ich sagen: »Wie befiehlst du?«, und meine strenge Großmutter lobte mich besonders wegen meiner guten Manieren. Da fällt es mir nun natürlich auf, daß Du sehr schnell und ohne besondere Formen (wirst Du böse?) ißt, daß Du die Manschetten, am liebsten auch Kragen und Rock, im Zimmer gleich abtust – und willst Du mir glauben, daß Du mir auch darin lieb bist? Man merkt bei Dir so sehr, daß es kein Mangel an guter Erziehung ist, sondern echte Naturwüchsigkeit. Die möchte ich nie antasten; Du bist so ganz Original, so vollkommen nur »Du«, daß ich ein Unrecht beginge, wollte ich je versuchen, in kleinen Dingen an Dir herumzumodeln.

Wenn Du mir aber neulich sagtest, Dir sei alle bloße Form so verhaßt, weil sie das Echte verhülle, weil Dein Blick auf das Große gerichtet sei, die Form aber an dem Kleinen hänge, so frage ich dagegen: Magst Du einen köstlichen Edelstein in unschöner Fassung? Was mich wundert, ist, daß Dein hoher Schönheitssinn Dich nicht auch darauf führt, die schöne Form bei allem zu pflegen. Du kannst Dich tadellos kleiden, bewegen, essen usw., ohne es je als Zwang zu empfinden, sondern das Gefühl, daß überall das Schöne herrschen soll, in Dir und an Dir, ist Dir so zur zweiten Natur geworden, daß es Dich nicht mehr zum Kleinen hinabzieht, sondern dieses zu Dir emporhebt, als den schönen Rahmen zum schönen Bilde. Aber so was formt sich nur in der Jugend – also bleibe, wie Du bist, ungeschminkt und naturecht, wie ich Dich lieb habe, mein lieber Bär! Bekommst Du nun Angst vor Deiner »Gouvernante«?

Du bekommst überhaupt – ich will Dir mal noch ein bißchen Angst machen – eine recht anspruchsvolle Frau. Ich lege Wert auf hübsches Äußere und Komfort, ich mag keine häßliche Zimmereinrichtung, kein häßliches Kleid, kein schlecht serviertes Essen. Alles darf ganz einfach, aber es muß hübsch und anständig sein. Hier regt sich der alte Geist meiner Ahnen, die stets gewohnt waren, in vornehmen Verhältnissen zu leben. Mir ist es geradezu eine Qual, mit taktlosen Menschen zu verkehren, und peinlich, in kleinen bedrückten Verhältnissen zu vegetieren, wo alles nach »Spießbürgertum« riecht. Um mich muß freie Luft sein! Der Begriff ist freilich sehr dehnbar: ich hasse es, bei jedem Pfennig zu überlegen, ob ich ihn ausgeben darf oder nicht, ich mag nicht dritter Klasse fahren! Mir ist so manches selbstverständlich, was Dir bei Deiner rührenden Einfachheit und Anspruchslosigkeit als Luxus erscheinen wird. Sieh, da hast Du gleich schon einen Schattenfleck auf Deinem »Licht«-Bild!

Und da ich einmal von mir rede – wirst Du, der erste Mensch, dem ich mein Innerstes ganz geöffnet habe, es verstehen, daß ich eigentlich die reine Mimosa pudica bin, die vor jeder Berührung ihres inneren Menschen zusammenschreckt? Es widersteht mir, meine innigsten Gefühle zu äußern, ja ich bin imstande, über etwas, was mich sehr tief bewegt, zu spotten oder zu lachen, weil es mir eine Qual ist, mit anderen darüber zu sprechen. An dieser spröden Zurückhaltung liegt es, daß ich keine wirkliche Freundschaft mit Frauen habe; junge Mädchen und Frauen sagten mir schon, bei aller Liebenswürdigkeit sei es doch immer, als ob eine hohe Mauer, die man nicht durchbrechen könne, eine Eisatmosphäre mich umschlösse. Meine Eigenart liegt den Frauen im allgemeinen auch nicht; so gern sie sich das Übergewicht des Mannes gefallen lassen, so wenig lieben sie das an der Frau. Darum habe ich keine eigentliche Freundin – entweder man bewundert mich und sieht zu mir auf, oder man mag mich nicht. Du, mein Paul, bist meine Sonne, vor der das Eis meines Wesens zum ersten Male ganz dahingeschmolzen ist. Aber seitdem Du meinen Geist auf Deine Höhe emporgehoben hast, fühle ich nun vollends, daß ich gar nicht mehr recht unter die Leute passe – ich sehe alles von einem so viel weiteren Gesichtspunkt an. Wohl selten ist es einer Frau vergönnt, so schwindelfrei über alles hinweg zu sehen – möglich, daß ich den kühnen Aufstieg teuer bezahlen muß!

Sei mir gegrüßt, mein lieber Mann, von Deinem Schwälbchen, das Dir den Frühling ins Herz gezwitschert hat – mußt nun auch die Frühlingsstürme hinnehmen!

— — —

Schloß S., 20.5.1900.

Mein armes geliebtes Herz!

Dein alea jacta est, daß der Schiffsplatz bestellt ist, beantworte ich mit dem anderen: Nach schwerem Kampfe habe ich mich entschlossen, in das Wiedersehen nun doch einzuwilligen. Ich glaube es wohl, daß der Gedanke, mich so nahe vorbeireisen zu wissen, Dir ganz unerträglich erscheint – geht es mir doch ebenso. Aber weder dies noch meine heiße Sehnsucht nach Dir hätten mich bestimmen können, Unrecht zu tun. Deine große Weltreise aber gebietet, daß ich mich über alles hinwegsetze: es ist eine moralische Notwendigkeit, daß wir uns vorher noch einmal sehen. Wenn Du von der Reise nicht heimkehrtest, würde ich es nie überwinden, Dir den letzten Abschied versagt zu haben. Das Unrecht – wenn es eins ist? – muß ich eben auf mich nehmen; es wird schwer genug sein, Mama nach meiner Heimkehr das Geständnis zu machen.

Ich werde Ende des Monats hier abreisen und soll dann auf Mamas Befehl die Pfingstwoche bei unseren Verwandten in Altenburg zubringen. Von diesem mir wenig sympathischen Besuche werde ich am Anfang und am Ende je einen Tag abknapsen, und diese Tage gebe ich Dir. Bestimme Du, wo und wie wir uns treffen.

Das brave Silberhäschen fragt so artig an, ob es sich vor dem Wiedersehen seinen Pelz scheeren lassen soll. Liebster, mache das doch ganz, wie es Dir bequem ist resp. Dein eitles Männerherz Dir eingibt – mir bist Du immer recht und lieb, mit Silberlocken und mit kurzem Haar, in dem flotten und verjüngenden Sommeranzug vom vorigen Jahr und in dem alten dicken Winterüberzieher mit dem häßlichen grauen Halstuch, wie Du mir in Naumburg entgegentratest – ja gerade in dieser unkleidsamen Tracht stehst Du mir jetzt immer als geliebtes Bild vor Augen.

A rivederci zwitschert Dir

Dein Schwälbchen.

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Altenhausen, 16.6.1900.

Mein teures Herz!

Es mußten, ehe ich heute ausführlicher schreibe, erst ein paar Tage zwischen Dir und mir liegen, damit das liebe Bild unseres Zusammenseins sich klarer abhebt. Das waren »Höhentage« des Lebens, deren jeder ein ganzes Jahr des Alltaglebens aufwiegt! Und wie lieblich schön war alles! Unvergeßlich ist mir der Blick von dem Loreley-Felsen in die grüne Waldschlucht, wie wir dann, von Sonne umgeben, auf jeder Bank immer wieder »ausruhen« mußten, endlich der trauliche Abend in der lauschigen Mühle an dem brausenden silbernen Flusse. Und dann die zwei köstlichen Tage in Kösen! Wie die Badegäste den »Schöpfungshut« anstaunten und sich nach dem interessanten Künstlerpaar neugierig umsahen; wie im Hofe der Rudelsburg das Schnitzel so herrlich schmeckte, wie noch nie; wie Dich beim Abstieg nach den Saalecktürmen das Bild »packte«, Du sofort die Malertasche auf die Erde warfst und alles auskramtest und dann, auf einmal ganz Künstler geworden, nur an das Bild denkend, wohl anderthalb Stunden maltest, während Dein Vögelchen auf einem harten Stein daneben sitzen und zuschauen mußte. Wie schön und rein war Alles in diesen ganzen vier Tagen – ein Idyll, wie es so einfach und tief nur große Menschen erleben!

Nun sitze ich wieder vor meinem alten dunklen Mahagonischreibtisch, an dem schon mein Vater und Großvater gesessen, die Weinranken klopfen leise an mein Fenster und ich blicke auf zu Deinem Relief, das mein Schwesterlein für meine Heimkehr mit Efeu umwunden hat – ich lasse mein Auge zärtlich über das teure Antlitz gleiten und denke daran, wie es mir vor wenigen Tagen so nahe war und nun auf ein ganzes langes Jahr entrückt sein soll, ich schaue es fragend an, wie das Bild von Sais, ob es mir nicht sein Zukunftsgeheimnis enthüllen will, ob es nicht einmal lächelt – aber immer derselbe weite Blick in die Ferne, nur zuweilen ist es, als ob sich eine Träne aus dem Auge stiehlt. Ach Paul, wüchse irgendwo ein Kraut gegen allzugroße Liebe, ich wollte es barfuß suchen gehen!

Wie soll nur dieser entsetzliche Winter werden, wo das Weltmeer zwischen uns liegen wird, meine Sorge sich tausend Gefahren für Dich ausmalt, wo ich Monate lang nicht weiß, ob Du lebst, krank bist oder tot! Ich bitte Dich inständigst immer wieder: Reise wenigstens nicht allein, nimm Deinen treuen Assistenten als Begleiter mit! –

Bei meiner Ankunft stand Mama unter der Haustür, und am Abend gingen wir noch Arm in Arm durch den Garten, ich mußte jeden blühenden Busch (viel »Tränende Herzen«!) bewundern. Ich erzählte ihr viele Einzelheiten von unserem Zusammensein und merke doch, daß sie allmählich milder gegen Dich denkt; so hoffe ich, daß sie, wenn Du mich dereinst heimführen wirst, ihre Einwilligung nicht versagen wird. Aber dann kommt noch ein großes Hindernis: die kirchliche Trauung! Wirst Du Dich dazu entschließen können? Meine Mutter würde nie darauf verzichten, und auch mir widerstrebt es. Da liegt ein Stein im Weg, den nur die größte Liebe überwinden kann – würde Deine Liebe auch dieses Opfer bringen?

Hier ist jetzt viel Leben im Hause. Unser Vetter, der General von Altenhausen, ist für ein paar Wochen mit der ganzen Familie auf seinem Nachbargute. Die ganze lustige Gesellschaft kommt täglich zu uns. Gestern stürmten meine Cousinen (die ich nur oberflächlich kenne) ohne weiteres in mein Zimmer und standen erstaunt vor Deinem bekränzten Relief. Ich überlegte eben: wie hilfst du dir zwischen Indiskretion und Lüge? – da löste sich die Situation überraschend: Deinen Namen kannten sie nicht (die aller Rennpferde wissen sie genau!) und das †, das als Verzierung hinter Deinem Namen steht, brachte sie auf die Idee: »Ach, wohl ein verstorbener Jugendfreund?« – siehst Du, so jugendlich wirkt der Kopf des »ewigen Jünglings«! Du würdest Dich übrigens wundern, wie verständig Deine Franziska, deren Gedanken ganz wo anders sind, an den üblichen Gesprächen teilnimmt, wenn wir um den großen runden Kaffeetisch sitzen – nur wenn das Gespräch etwa einmal ein ernsteres Thema streift, fliegt wohl ein verwunderter Blick des Generals zu mir herüber, als wolle er sagen: »Na, wie kommt die denn hier herein?«

Ach Paul, Einsamkeit des Geistes kann man ertragen – da stehen einem unsichtbar die großen Geister zur Seite, die um ihrer Größe willen einsam waren. Aber es gibt Schlimmeres: Einsamkeit der Seele, heimatlos im eigenen Heime – wir beide kennen sie! Führte doch ein guter Engel die beiden einsamen, heimatlosen Seelen bald zu einer seligen Heimat zusammen! – Ich bitte Dich aber: Vertiefe Du mit Deiner glühenden Phantasie Dich nicht zu sehr in solche Zukunftshoffnungen! Ich erschrak, als Du Dir neulich so bestimmt ausmaltest, wie das nächste Jahr uns zusammengibt. Wie willst Du dann die Enttäuschung tragen?! Vergiß nicht, daß wir vielleicht noch lange Jahre des Wartens vor uns haben, und daß es dafür unserer ganzen moralischen Kraft bedarf.

Ich lege einen heute früh eingetroffenen Brief bei, der Dich durch seine Gemütstiefe und Poesie erfreuen wird. Er ist von einem armen Verwachsenen, der hinkt und so häßlich ist, daß ich mich zuerst kaum überwinden konnte, ihn anzusehen (ich lernte ihn vor Jahren in Harzburg kennen); dann aber zog mich sein Dichtergemüt an und ich habe mich manchmal freundlich und gern mit ihm unterhalten. Das dankt er mir mit einer rührenden Anhänglichkeit, er schreibt mir immer wieder (in großen Zwischenräumen) solch feinsinnige Briefe, und ich antworte ihm ab und zu, um dem Armen eine kleine Freude zu bereiten. – In treuer Liebe grüße ich Dich zum morgigen Gedenktage.

Deine Fr.

*

Hochburg, 17.6.1900

– ein »kritischer Tag« erster Ordnung! Heute vor einem Jahre um diese Morgenstunde tratest Du mir zum ersten Male entgegen, Du holdestes »Wunder der Schöpfung«! Wie Großes, Herrliches, Ungeahntes hat uns dieses eine Jahr gebracht! Jetzt wieder diese köstlichen »Flitter«-Tage unserer jungen Seelen-Ehe, dieses wunderbare, poetische Pfingstmärchen, das kein Dichter so ideal erfinden könnte, wie wir es erlebten. Ich stehe noch immer ganz unter dem Eindruck dieses Erlebnisses, wandele herum wie ein Träumender. Die 50 Briefe starren mich noch immer so unbeantwortet an, wie ich sie vor 6 Tagen hier vorfand, und haben sich inzwischen um weitere 25 vermehrt; mein Kolleg habe ich in dieser Woche so »unter aller Kanone«, so zerstreut und faselig gelesen, daß ich mich vor den Studenten und mir selber schämte. Dann erschrecke ich wohl manchmal davor, was die Liebe aus mir gemacht hat. Aber was tut das alles, was tut es, daß ich in diesem ganzen Jahr nichts Ordentliches gearbeitet habe?! – »ihr tausend Blätter im Walde wißt, ich habe schön Rotrauts Mund geküßt – schweig stille, mein Herze!«

Ja, Deine Einsamkeit im nächsten Winter! Ich habe schon gedacht, ob Du ihn nicht dazu benutzen solltest, Dich im Malen weiter auszubilden, damit Du mir einmal eine tüchtige Mitarbeiterin werden kannst. Aber auf eine Kunstschule möchte ich Dich nicht ziehen lassen; da sind so viele hübsche, junge Maler, die meinem Schwälbchen nachstellen könnten – ich habe so Angst vor den schlimmen Vogelstellern.

Den Brief Deines Freundes schicke ich mit Dank zurück; einige Stellen haben mir etwas Mißbehagen erweckt, fast so wie »Eifersucht«, zu der ich doch gar kein Recht habe!

Du sprichst von unserer ungewissen, dunklen Zukunft und warnst mich vor Illusionen. Ja, ich wiege mich so gern in den süßen Träumen, welche unwillkürlich meine hoffende Phantasie mir vorspiegelt. Und dann erschrecke ich wieder bei der Vorstellung all der Hindernisse, die ihrer Erfüllung drohend entgegenstehen, bei dem Gedanken, daß ich über das Warten alt und älter werde und auch Deine blühende Jugend vergeht. Liebe Fr., Du hast mir verboten, mir darüber Skrupel zu machen, aber sie kommen eben immer wieder: Ist es recht, Dich an mein ungewisses Schicksal zu fesseln? Ist nicht meine große Reise der gegebene Augenblick, »einen Strich darunter zu machen«, Dich freizugeben und mich mit Resignation in das Verzichten zu finden, das dem Alter geziemt? In unendlicher Liebe

Dein Paul.

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Altenhausen, 22.6.1900.

Mein teurer Freund!

Ich habe die schon oft erörterte und in Deinem letzten Briefe von neuem aufgeworfene Frage nun auch meinerseits nochmals ernstlich und reiflich geprüft und kann Dir nun zu Deiner Beruhigung sagen: Ich verstehe es, daß Du Dir bei Deiner strengen Gewissenhaftigkeit Skrupel darüber machst, mein junges Leben an Deine so unsichere Zukunft zu fesseln, und um Dich ein für allemal davon zu befreien, erkläre ich Dir: Ich werde mich von jetzt ab in keiner Weise für gebunden erachten, sondern ich lasse die Dinge still ihren Gang gehen.

Sollte uns das Schicksal in den nächsten Jahren zusammenführen, so werde ich mit Dir mein höchstes Glück finden. Wenn das Warten aber ins Endlose gehen sollte, sodaß Du darüber ein ganz alter Mann würdest und ich eine Matrone, dann erscheint es mir praktischer und vernünftiger, wenn ich dem sehnlichsten Wunsche meiner Mutter folge und einen jüngeren Mann meines Standes heirate. In unserer Familie bleiben die Frauen lange jung, ich habe außerdem viel Anziehendes für die Männer – ich kann dann immerhin noch ein bescheidenes Glück finden, wenn auch nicht ein so hohes wie mit Dir.

Ich bleibe Dir also treu verbunden, es wird aber auf alle Fälle für Dich wie mich eine Beruhigung sein, wenn wir uns völlig frei wissen. Unser Verkehr muß nun natürlich ganz auf den Fuß der objektiven Freundschaft zurückkehren. All das Große, was wir uns gegeben, wird unvergessen bleiben, aber wir müssen es fortan als einen süßen Traum, als eine Episode in unserem Leben betrachten, als ein Märchen, das in die kalte Wirklichkeit nicht paßt. – – –

So, und nun möchte ich einmal Dein Gesicht sehen, wenn Du so weit gelesen hast. Ich wollte eigentlich, um Dir die verdiente kalte Dusche zu geben, den Brief in dem vorher angeschlagenen Tone bis zu Ende führen und Dich in dem Glauben lassen, daß ich meine Liebe zu Dir nur als eine »hübsche Episode« ansehe – es ist mir aber zu widerlich, so fortzufahren.

Daß unsere Zukunft ganz unsicher ist, daß vielleicht entsetzlich lange Jahre des Wartens unserer harren, ja, daß wir darauf gefaßt sein müssen, darüber hinzusterben – alles weiß ich so gut, vielleicht klarer als Du, habe es Dir auch schon hundertmal gesagt und geschrieben. Aber unsere Liebe ist doch viel zu groß und zu hoch, als daß die äußeren Hindernisse ihr gegenüber irgend eine Rolle spielen könnten. Nur die Pflicht scheidet uns jetzt, und nur der Tod wird uns trennen.

Und nun, mein Paul, lege Dein liebes Haupt an meine Brust, ruhe Dich aus in dem Gefühl Deines Eigentumsrechtes und quäle Deine weiche zarte Seele nie mehr mit diesen dummen Gedanken! Denk lieber daran, wie süß es ist, ein Herz zu wissen, das Dir bis zum letzten Atemzuge in guten und schlimmen Tagen treu und selbstlos angehören wird.

Deine Fr.

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Hochburg, 24.6.1900.

Du schlimme Eva-Tochter!

Das war eben ein schöner Schreck, als ich die grausame erste Seite Deines Briefes las, und Du hättest das verzweifelte Gesicht Deines »alten Lehrers« sehen sollen, wie er sich plötzlich wegen seiner »unsicheren Zukunft« von seinem teuersten Besitztum relegiert fühlte. Was da alles für verzweifelte Gedanken in den wenigen Sekunden durch den armen Kopf jagten! »Nun ist alles aus!« war der erste, und dann gleich der zweite an das bewußte Fläschchen, als »letzten Trost«!

Wir sollten uns von nun an »völlig frei« wissen – und das sollte auch noch eine »Beruhigung« für mich sein! Die entsetzliche Vorstellung, daß Du je einem anderen Manne angehören könntest, ist für mich ja längst schon so unfaßbar geworden, daß ich das nur unter völligem Verzicht auf mein weiteres Seelenleben ertragen könnte – höchstens könnte ich dann als alter Automat meine Schulmeisterpflichten noch kümmerlich erfüllen.

Zum Glück las ich den Brief gleich weiter und ersah daraus die beglückende Gewißheit, daß auch Du so fest von der unlösbaren Zusammengehörigkeit unserer Seelen überzeugt bist, daß kein äußeres Geschick daran noch etwas ändern kann. Die bittere Lektion war aber wohlverdient. Du holder Schelm!

So laß mich denn meinen Kopf an Dein treues Herz legen und uns guten Mutes auf die Stunde hoffen, die uns auch vor der Welt für immer vereinigen wird!

Dein Paul.

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Altenhausen, 9.7.1900.

Mein Liebster, laß uns nun das Hin und Her über meinen »Schelmenbrief« abschließen, mit dem beglückenden Ergebnis, daß mir Dein Herz ebenso für immer angehören wird, wie Dir das meine. Eins muß ich Dir aber noch sagen: Es bekümmert mich tief, daß Du mit dem Gedanken an den freiwilligen Abschied vom Leben so leichtfertig umgehst, bei jedem großen Schmerz, der Dir widerfährt oder widerfahren könnte, sofort an das Äußerste denkst. Da lobe ich mir doch unser Christentum, das den Menschen stark macht für den Kampf gegen das Leid dieser Erde!

Überhaupt das Christentum! Du lächeltest neulich, als ich zu Dir sagte: »Gott schütze Dich!«, und amüsiertest Dich über die Frauenlogik, die Gott, an den sie nicht glaubt, um Schutz für ihr Liebstes anfleht. Laß mir diese süße Inkonsequenz! Sieh, Du wirst es erleben, daß ich auch als Deine Frau ab und zu in die Kirche gehe, so wie ich gern die Hände falte, wenn Mama den Schwestern und Dienstboten die Morgenandacht liest und bei Tisch betet: »Komm, Herr Jesu, sei unser Gast«. Mir ist die Religion mit dem Kinderzauber umkleidet – nur sehr schwer und mit Betrübnis könnte ich mich ganz von diesem Stück Poesie losreißen, das mich auch umfängt, wenn ich unsere schönen alten Kirchenlieder singen höre.

Du schriebst neulich, ob ich Dein geringes Verständnis für höhere Musik, daß Du Freude nur an einfachen Liedern habest, nicht als Mangel empfinden würde. Mache Dir darüber doch ja keine Sorge! Ich liebe Musik auf das innigste und glaube, daß ich Verständnis für sie habe. Ich kann, in einem Konzerte sitzend, mich so völlig in die großen Tonwerte vertiefen, daß ich glaube, dem Komponisten bis in die kleinsten Einzelheiten und zartesten Feinheiten folgen zu können. Dagegen bin ich musikwissenschaftlich und technisch ganz ungebildet, habe nie gelehrte Bücher darüber gelesen und kann mich auch hier lediglich auf meinen Instinkt berufen, der eben für alles Schöne und Große stark entwickelt ist. Ich spiele Einiges von Beethoven und Chopin vielleicht besser, mehr im Sinne des Komponisten, als mancher bedeutende Musiker – sowie aber technische Schwierigkeiten kommen, scheitere ich. Also mache Dir keine Skrupel – ich werde mich freuen, wenn Du mit mir Eure »akademischen Konzerte« wieder besuchen wirst, aber unsere verschiedene Stellung zur klassischen Musik soll uns nie einen Schatten ins Leben werfen.

Weißt Du wohl, daß wir eigentlich entsetzlich ungebildete Leute sind? Die wichtigsten Ereignisse spielen sich in der Politik ab, Mama studiert mit Feuereifer die Zeitungen mit den Schreckensnachrichten aus China – und wir beide reden nicht ein Wort mit einander darüber! Denke Dir, mir sind die Chinesen verständlicher als die Japaner, die sich so leicht in der fremden Haut zurechtfinden. Was unsere Politiker und Missionare an dem Volke gesündigt haben mögen – Gott weiß es, aber ich begreife, daß das Gefühl der Rache sich langsam und immer giftiger aufgesammelt hat und nun als wilde Bestie zu Tage tritt. Auf Deine Reise hat der Krieg doch keinerlei Einfluß?

Mit großem Interesse las ich den Artikel über Dich und Deine Gegner. Ist auf der einen Seite zu viel blinder Haß, so scheinen mir Deine Anhänger wieder nicht objektiv genug; die einen sehen Dich in blinder Begeisterung nur als Gott, die anderen als reinen Teufel. Ich vermisse die Bergeshöhe, von der aus allein gerecht geurteilt werden kann. Fände sich doch einmal ein lieber klarer Freund, der, philosophisch und naturwissenschaftlich geschult, Dir neben dem Lob des »Verstehenden« auch den Tadel nicht vorenthielte! Was ist das übrigens mit der falschen Jahreszahl? Hast Du Dich wirklich geirrt oder durch Saladin irreführen lassen? Wie mich das beunruhigt und wie ich wünsche, daß Deinem großen Namen keinerlei Fehler vorgeworfen werden können! Verzeih mir – aber wahre Liebe sucht ihr Juwel vor jedem trüben Hauch zu hüten.

Wenig erfreut hat mich, was Du mir von dem Besuche der Dich anbetenden »schönen stattlichen« Kärntnerin schreibst, und ihr exaltierter Brief, den Du mir mitschickst, hat mich wirklich geärgert – nicht aus Eifersucht, sondern weil ich solche Lobeserhebungen und Huldigungen nicht mag, die noch dazu oft nur aus der Eitelkeit, sich einem großen Manne nahen zu dürfen, geboren sind. Für derlei stehst Du zu hoch, und es ist auch nicht ungefährlich – mir sind alle zu sehr Menschen, als daß nicht doch etwas von dem berauschenden Opferduft der Schmeichelei hängen bliebe. Lieber Paul, gewöhne Dich ja an den Gedanken, daß Du in mir nicht die Frau findest, die begeistert in alles einstimmt, was Du sagst, vielleicht entbehrt Deine Feuernatur das einmal schmerzlich, und Du sehnst Dich nach bedingungsloser Anbetung, wie sie so viele Frauen ihrem Manne geben, ich aber nie geben kann.

In diesen Tagen habe ich mich mit lebhaftem Interesse in die Gedichte des »Göttinger Musenalmanach« vertieft, herausgegeben von jungen Studenten, unter denen mich besonders das unverkennbare Talent eines Barons von Münchhausen anzieht. Ich hatte große Lust, ihm zu schreiben und meine warme Anerkennung auszusprechen, habe es aber doch lieber gelassen; meine Feder könnte wieder etwas anrichten, und es könnte zu »Mehr« führen – ich erinnere mich noch zu gut, was einmal ein solcher Brief an einen großen Gelehrten alles angerichtet hat!!

Heute ist eine warme Nacht. Die Linden duften stark zum Fenster herein, die Rosen vor dem Hause sind erblüht, weiße Lilien stehen auf meinem Schreibtisch, an dem ich, im Nachtkleid sitzend, meinen Abendgruß an Dich schreibe. Hochsommer ist's – wie wird es nächstes Jahr um diese Zeit sein?

Deine Fr.

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Hochburg, 13.7.1900.

L. Fr.

Ich stecke in diesen Tagen so tief in unaufschiebbarer Arbeit und akademischen Pflichten, daß ich Dir heute nur kurz für Deinen reichen Brief danken kann. Zum 17ten, dem Jahrestag der Verlobung unserer Seelen, schreibe ich Dir ausführlich. Ich werde in diesen Julitagen jede Minute, welche das Glück mir in den vier Tagen Deines Besuches gönnte, vom Klostermühlenidyll bis zur Wartburgfahrt, in der Erinnerung zärtlich nacherleben.

Mit dem, was Du von der Überschwänglichkeit meiner etwas überspannten Verehrerin sagst, hast Du ganz recht. Glaube mir, auch ich mag solches Übermaß von Verehrung keineswegs, und stehe jedesmal, wenn eine Frau mich so vor Ekstase anbetet, mit einem entsetzlich dummen Gesicht da und weiß nichts darauf zu sagen.

Der Hauptpunkt, um deswillen ich heute schreibe, ist eine bittende Frage und flehentliche Bitte. Ich muß Dir nun endlich den Gedanken beichten, der mich seit unserem Abschied am 11. Juni ständig bewegt hat, den ich angesichts Deiner festen Erklärung, daß jener Abschied der letzte sein müsse, Dir bisher aber nicht zu äußern wagte. Darf ich Dich vor der langen Trennung nicht doch noch einmal wiedersehen, mir Deinen Segen für die weite Fahrt holen? Ich bitte Dich aus tiefstem Herzen darum. Es wären, da der Geburtstag meines Heidelberger Freundes am 21. Aug. der gegebene Beginn meiner Reise ist, die Tage vorher. Ich bitte Dich: sage Ja! In sehnsüchtiger Liebe

Dein Paul.

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Altenhausen, 17.8.1900.

Mein lieber armer Freund!

Wenn ich Deine Briefe der letzten vier Wochen bedenke, so krampft sich mir das Herz zusammen, wie der finstere Geist der verzweifelten Hoffnungslosigkeit und müden Resignation Dich immer mehr beherrscht. Einen so trostlosen Brief wie den heutigen habe ich wohl noch kaum von Dir bekommen. Der Satz, daß, wenn Du überhaupt von dieser Reise zurückkehrtest, Du nur »als verwelkter Greis in den Hafen treiben« würdest, schnitt mir ins Herz. Lieber Mann, wir müssen doch fest bleiben und dürfen nicht weich werden. Selbst wenn wir ganz absehen würden von unserer Pflicht gegen Deine Frau – auch um Deiner- und meinetwillen wäre solch kurzes Wiedersehen unvernünftig, es würde uns den Abschied nur noch schwerer machen, unsere Sehnsucht während des langen Winters würde dadurch nicht geringer. Tragen wir stark, mit Römersinn, das, was uns auferlegt ist, was wir uns selbst auferlegt haben!

Behalte nur jetzt den Kopf oben! Wenn Du erst aus Hochburg heraus bist, wird es besser. Denke – schon der erste schöne Abend in Heidelberg mit Deinem alten Freunde! Bei ihm sollst Du auch einen Trostbrief von mir finden. Dann wird die lange Seereise Deine Nerven kräftigen, sodaß Du frisch bist für die großen Eindrücke, die Dich in den Tropen erwarten. Tausende wären selig, wenn ihnen eine so herrliche Reise bevorstände. Nun denn: Glückauf zur schönen Fahrt! und: daß uns ein gutes Wiedersehen beschieden sei! In innigster Liebe und Treue für Zeit und Ewigkeit

Deine Franziska.

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Heidelberg, 21.8.1900. Abends.

Franziska, meine teuerste, innigst geliebte Herzensfrau!

Das erste Wort, das ich heute beim Antritt meiner großen Reise schreibe, ist Dein Name, wie er gestern kurz vor Mitternacht das letzte Wort war, das ich in Hochburg geschrieben habe.

Auf der ganzen Fahrt hat Dein Bild vor mir gestanden – erst beseligend im Gedenken an meine Begleiterin am 17. Juli 1899, dann gramvoll bei dem Gedanken, daß ich Dir so nahe war, daß die Bahn mich in wenigen Stunden zu Dir hätte führen können, und daß ich doch an Dir vorüberfahren mußte.

Hier ging ich alsbald zu Gegenbaur, um ihm zum Festtage zu gratulieren. Er gab mir gleich Deinen herrlichen Brief, der ein rechter Balsam für mein wundes Herz ist. Ja, wir wollen an unserer reinen Freundschaft – sie ist mehr, viel mehr als das, was die Menschen gewöhnlich »Liebe« nennen –, an dieser wunderbaren, mächtigen »Wahlverwandtschaft« für immer festhalten als an unserem kostbarsten Gute! Unlösbar

Dein Paul.

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Paris, 25.8.1900.

Mein geliebtes Herz!

Vorgestern abend bin ich hier angekommen, mein Neffe Heinrich traf fast zu gleicher Stunde ein. Freund Rottenburg, der liebe Kerl, der seit dreißig Jahren meine »Reise-Vorsehung« spielt, verwöhnt mich wieder nach allen Regeln als seinen verhätschelten Gast. Wir wohnen alle drei höchst komfortabel in einem sehr behaglichen Abteil des großen Westminster-Hotels mit 6 Zimmern, Badezimmer usw.

Nun bin ich schon zwei Tage mit den beiden lieben Freunden durch diesen ungeheuren Weltjahrmarkt gewandert: ein Chaos von tausend interessanten Dingen, Kunstwerken, Wunderwerken der modernen Technik und Industrie usw. – das Ganze höchst großartig, das Einzelne geradezu verwirrend. Die vier Tage werden kaum ausreichen, um auch nur eine flüchtige Übersicht zu gewinnen.

Ich glaube aber, es wird wenige Besucher der Ausstellung geben, die so gleichgültig das alles ansehen. Mein Herz weilt ganz wo anders. Auch hier ist all mein Sinnen und Trachten ununterbrochen mit Dir beschäftigt. Wie gern würde ich auf alle Herrlichkeiten von Paris verzichten, wenn ich im kleinen Altenhausen weilen dürfte – bei Dir! ...

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Altenhausen, 26.8.1900.

Hab' Dank, mein Teuerster, für Deine guten Abschiedsworte aus Hochburg wie für den Heidelberger Gruß, der mich eigentlich etwas enttäuscht hat. Ich hatte gehofft, Du würdest mir recht hübsch über das Fest bei Gegenbaur erzählen und was er zu Deinem Buche sagt. Ich habe so etwas das Gefühl, als ob Du dort eine Enttäuschung erlebt hättest. Wie kam es, daß Du am Abend, statt mit dem alten Freunde zusammen zu sein, im Hotel Briefe schriebst?

Ich hoffe, Du erfreust mich nun auf der Reise, wo Du Zeit dazu hast, durch Briefe, in denen Du frisch von Deinen Erlebnissen und Eindrücken berichtest. Es ist merkwürdig: in Deinen Büchern hast Du die Gabe, die Menschen gleich sehr durch Deine Sprache wie durch Deinen Geist zu fesseln – hingegen ist Dein Briefstil zuweilen trocken und steif, und der Inhalt beschränkt sich, wenn Du nicht über unsere Liebe jubelst oder über unser Schicksal grübelst und über Deine Misère klagst, so oft auf die bloße Mitteilung des Tatsächlichen. Ich hörte gern mehr von Deinem inneren Menschen, nähme so gern an Deinen Gedanken und Interessen teil!

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27. 8. Heute kam Dein Pariser Brief, und am Nachmittag die beiden großen Kisten mit den Büchern und Prachtwerken und Deinen herrlichen Aquarellen, dem Album Deiner Anna und so vielem anderen, das Du so zart und sinnig für mich ausgesucht hast – wo hast Du bei der unendlichen Arbeitslast der letzten Wochen nur die Zeit hergenommen für dieses Liebeswerk? Wie stöhntest Du in Deinen Briefen über das »schreckliche« Packen der 14 Reisekisten – nun hast Du dazu noch zwei mit eigener Hand für mich gepackt, liebevoll jedes Stück ausgesucht und hineingetan! Ach, Paul, Deine große Liebe! Wenn ich denke, daß selbst in Paris, von Deinen liebsten Freunden umgeben, mitten in der großen Welt, Deine Gedanken doch immer wieder zu mir zurückkehren, daß es Dich um meinetwillen einsam in die Ferne treibt, dann blutet mein Herz – ich will Dir vergelten, was Du um mich gelitten, wenn ich Dein Weib sein werde.

Und nun zieh mit Gott, Du mein Heiligstes auf dieser Erde, und alle guten Geister seien mit Dir! Deine

Franziska.

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Basel, 31.8.1900.

Mit Deinem wunderbaren Ahnungsvermögen, liebste Fr., hast Du es – leider nur allzu wahr! – erkannt, daß ich in Heidelberg eine bittere Enttäuschung erlebt habe. An seinem 74. Geburtstage, um deswillen ich gerade an diesem Tage meine große Reise angetreten hatte, habe ich meinen ältesten Freund verloren, ist unsere 47jährige Freundschaft zerbrochen – wegen meines Schicksalsbuches, der »Lebensfragen«! Gegenbaur empfing mich schon sehr kühl, lud mich auch nicht, wie sonst immer, ein, den Abend mit ihm zu verleben, und lehnte schließlich sogar meine Bitte ab, ihn am folgenden Tage noch einmal besuchen zu dürfen. Im Laufe des recht erregten Gesprächs ergab sich, daß er (offenbar von anderer Seite beeinflußt) mein Buch für ein »elendes Machwerk« hält – ohne es selbst ordentlich gelesen zu haben. »Solches Zeug sehe ich nicht an.« – Ich: »Lieber Freund, du hast ja doch ganz dieselbe Weltanschauung wie ich.« – Er: »So was läßt man aber nicht drucken.« Da ich weiß, daß Gegenbaur prinzipieller Gegner jeder Popularisierung höherer wissenschaftlicher Erkenntnisse ist, war ich darauf gefaßt, bei ihm keinen Beifall für mein letztes Buch zu finden. Aber diese schroffe Ablehnung in einer so verletzenden Form hat mich aufs tiefste gekränkt. Als ich mich von ihm verabschiedete, sagte ich mir, daß ich ihn nie wieder sehen würde. Ich ging dann im Regen auf der Neckarbrücke auf und ab und habe bitterlich geweint – solch ein Ende einer solchen Freundschaft nach 47 Jahren!

Seltsam, daß dieser bittere Verlust meines nächsten Freundes mich gerade jetzt treffen muß, wo schon so vieles auf mein armes Herz einstürmt! Aber welch ein Glück, daß ich nun Dich habe, Du treueste Freundin und kluge Beraterin – hätte ich Dich mit Deinem tröstenden Zuspruch doch auf der Neckarbrücke neben mir gehabt!

Auch der Tag vorher, der letzte in Hochburg und zugleich unser Hochzeitstag, war schwer. Meine Frau war ebenso wie ich in sehr gedrückter Stimmung – in ihrer pessimistischen Art gedachte die Arme nur des vielen Schweren, das ihr unsere Ehe gebracht hätte. Sie ist bei solchen Gesprächen so traurig, daß sie mir in tiefster Seele leid tut, und doch kann ich nichts ändern; ich bin im letzten Jahre, dank Deinem Einflusse, doppelt gut und geduldig gegen sie gewesen, was sie auch anerkennt. Ihr körperliches Befinden ist jetzt leidlich; aber bei unserem traurigen Abschiede in der Morgenfrühe des 21ten wiederholte sie doch immer wieder ihre Überzeugung, daß wir uns nicht wiedersehen würden. –

Daß Dich meine Briefe nicht ganz befriedigen, tut mir leid – Du darfst aber nicht vergessen, daß ich sonst eigentlich nur wissenschaftliche Korrespondenz führe. So viele und so lange Freundschaftsbriefe, wie an Dich im letzten Jahre, habe ich in dreißig Jahren zusammen nicht geschrieben. Hoffentlich kann ich Dir von der Reise Briefe senden, die Dir genügen und Dich erfreuen.

Der Inhalt der Kisten hat Dich erfreut – das ist für mich die größte Freude. Ich habe viel Liebe mit hineingelegt, jedes einzelne Buch, jedes Stück war ein heißer Gruß von mir zu Dir! Wenn ich von dieser Reise nicht zurückkehre, bleibt alles Dein unbestrittenes Eigentum. Erlebte ich es doch, daß Du selbst (mit Dir!) es mir zurückbringst!

Ich sitze hier, dank der Gastfreundschaft meines verehrten Gönners, in den »Drei Königen«, dem schönsten Hotel von Basel, vor meinen Fenstern rauscht der Rhein, drüben liegen die Berge, die noch zu Deutschland gehören – ich darf nicht zurück, sondern muß weiter in die Fremde. Aber ich scheide in der Zuversicht, daß das Schicksal uns doch noch zusammenführt – zwei seltene, für einander geschaffene außerordentliche Naturen, die getrennt als Einsame durchs Leben gehen müssen, vereint das höchste Glück genießen würden! ...

— — —

An Bord der Oldenburg, 4. 9. 1900.

Meine teuerste Franziska!

Als wir vor 2 Stunden unter den Klängen des »Muß' i denn – und du, mein Schatz, bleibst hier!« den Hafen verließen, machte mir das Lied das Herz so weich, daß wohl ein paar verstohlene Tränen in das blaue Mittelmeer fielen. Nun aber geht der Kurs vorwärts, guter Mut und frische Zuversicht erfüllen meine Brust. Gewiß ist die lange Trennung bitter schwer, aber sie ist leichter zu ertragen, wenn das Weltmeer zwischen uns liegt und jede Möglichkeit eines Wiedersehens ausschließt, als in dem langen einsamen Winter in Hochburg, wo ich Dich nur kurze Stunden Bahnfahrt von mir entfernt wußte und Du doch für mich unerreichbar warst.

Meine Reise hat glückverheißend angefangen. Als ich schon gestern Abend an Bord des stattlichen, schönen Schiffs kam, begrüßte mich der liebenswürdige, joviale Kapitän, dem mich die Direktion speziell empfohlen hat, höchst feierlich; die schönste, luftige Kabine oben auf Deck war für mich reserviert, und unser Schiffsarzt (Verehrer meiner Schriften) hatte sie so reizend und geschmackvoll mit frischen Blumen, Farnen und anderem Grün geschmückt, wie ich es bisher eigentlich nur meiner feinsinnigen Künstlerfreundin zugetraut habe.

Eben sitze ich ganz allein auf dem Oberdeck auf einer Bank an Backbord. Der Rückblick auf meine (und Deine!) geliebte Riviera, die doch das schönste Stück von Europa bleibt, ist entzückend. Nahe vor mir liegen Margherita und das herrliche Portofino (Dir und mir so teuer!) – welche Erinnerungen an die schöne Vergangenheit und welche Wünsche für eine noch schönere Zukunft! Von Neapel aus sollen sie morgen als letzter Gruß aus Europa zu Dir fliegen ...

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Altenhausen, 4.9.1900.

Geliebter Paul!

Heute lichtet die Oldenburg die Anker, und das Weltmeer legt sich zwischen uns – mögen seine Wellen Dich glücklich tragen! Wenn uns die Trennung gar zu unerträglich lang erscheinen wird, dann laß uns an die Ritter und Jungfrauen im Märchen denken, denen von den guten Feen auch lange Probezeit auferlegt wurde; wie oft mußten die Helden in ein fernes Land ziehen, um einen Schatz zu holen oder einen Drachen zu töten – dann erst wartete ihrer das Glück! – Aber schwer ist mir's doch ums Herz, wenn ich mir ausrechne, daß vielleicht der erste Schnee schon auf unseren Dächern liegt und die Bäume traurig ihre letzten gelben Blätter fallen lassen, bis ich die Antwort auf diesen Brief habe, den ich bei Sommerwärme schreibe.

Tief betrübt hat mich Deine Mitteilung über Gegenbaur. Es bleibt mir völlig unverständlich, wie es ihm möglich ist, selbst wenn er Dein letztes Buch für einen Mißgriff hält, deshalb seinen alten Freund zu verleugnen. Ich beklage es tief, daß Dir nun auch diese Prüfung noch auferlegt wird. Aber glaube mir: nur die Besten haben so viel zu leiden – das Gestrüpp läßt der Sturm in Ruhe.

Von hier kann ich Dir wenig erzählen. Wir leben so ganz still für uns hin – ich am stillsten. Aber Du brauchst Dich nicht um mich zu sorgen, es geht mir gut.

Nun muß ich Dir noch etwas sagen, wenn es vielleicht auch besser wäre, es jetzt nicht zu schreiben – aber es beschwert mein Herz und ich wäre unwahrhaftig, wenn ich es verschweigen würde. In voriger Woche besuchte mich meine Berliner Freundin, die Du schon durch einen ihrer Briefe, den ich Dir einmal schickte, kennst. Sie fing bald an, Deine »Lebensfragen« scharf zu kritisieren, und berief sich dabei auf die Gegenschrift eines Hallenser Professors. Ich schämte mich, daß ich als Deine Schülerin nichts davon wußte, sagte aber, bei den »Ungenauigkeiten« handele es sich doch wohl nur um ganz nebensächliche Dinge. Als sie nun aber erwiderte, ein Mann wie Du dürfe es auch mit kleinen Dingen nicht leicht nehmen, da man von diesen auf den wissenschaftlichen Ernst und Wert seiner ganzen Arbeit zurückschlösse, mußte ich schweigen. Ich habe mir nun die Broschüre besorgt und sie studiert, und war betrübt, zu sehen, daß nicht alle Vorwürfe, die der Hallenser Dir macht, ungerecht zu sein scheinen. Weshalb hast Du mir diese Gegenschrift nicht geschickt, mir nie auch nur ein Wort darüber geschrieben? Meine Freundschaft für Dich ist doch keine solche, die nur schönes Wetter verträgt und die Fehler und Schwächen des Freundes nicht erfahren darf, damit sie nicht wankend wird! Verzeih mir, wenn ich Dir weh tue – aber ich muß offen sein.

Und nun noch ein anderer großer Schmerz, über den Du wahrscheinlich lächeln wirst. Denke Dir, ich habe das silberne Herzchen, das ich als einziges Stück Deinem »Schatzkästlein« entnahm und seitdem immer bei mir trug, verloren! Ich trug es wie ein Amulett, es hatte für mich symbolische Bedeutung. Darum schmerzt mich sein Verlust, wenn ich auch nicht so abergläubisch bin, zu fürchten, daß Du mir nun auch verloren gehst. – Leb wohl, mein Liebstes! Sei gut, groß, tapfer und mild, und bleibe mir, was Du mir bist!

Deine Franziska.

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Indischer Ozean, West von Ceylon, 19.9.1900

... Mehr als 4000 Seemeilen liegen nun schon zwischen uns. Ich hatte gedacht, daß die räumliche Entfernung von Dir, täglich um 300 Seemeilen wachsend, meine Sehnsucht mildern würde. Aber im Gegenteil: je weiter die Trennung in Raum und Zeit wird, desto mehr sehe ich ein, daß ich Deinem berückenden Zauber (Du arge Hexe!) unrettbar verfallen bin, gleichviel wo ich atme. Mit der gleichen Inbrunst, wie daheim vor meinem Altar der heil. Franziska, verrichte ich täglich meine Verehrung vor Deinen drei Bildern, die auf meinem Tische vor mir stehen: die entzückende Franziska von 31 Jahren, mein täglich angebetetes Idol, und die beiden Jugendbilder; die Franziska von 21 Jahren finde ich nicht so schön als die von 31, sie ist mir aber hochinteressant durch den kritisch-forschenden klugen Blick, der für Dich so charakteristisch ist, und durch die hohe Stirn, hinter der so viele gute, große, liebe Gedanken wohnen – mein Schatz!

Schmerzlich entbehre ich die süße Gewohnheit Deiner lieben Briefe – Du ahnst ja nicht, was sie mir sind, diese freien, natürlichen Äußerungen Deiner großen Seele! Du wirst von mir nun schon ein ganzes Paket haben, aus Paris, Basel, Genua, Neapel, Port Said – überall, wo die Möglichkeit bestand, Dir ein Lebenszeichen zu senden; Aden berührten wir nicht wegen der dort herrschenden Pest. Nun wirst Du eine lange Pause haben, bis dieser Gruß Dich von Colombo aus erreicht, und mit Schaudern denke ich daran, daß wenigstens sieben Wochen vergehen, ehe ich auf ihn Antwort haben kann.

Meine Reise verlief bisher so gut, als ob Deine Fürbitten wirklich vom Schicksal gewissenhaft erfüllt würden. Seitdem wir von Port Said abfuhren, genossen wir ununterbrochen das schönste Septemberwetter. Die gefürchtete Fahrt durch das Rote Meer war allerdings sehr heiß, für mich, da meine schöne Kabine besonders luftig ist, aber erträglich. Dann wehte der Südwest drei Tage lang uns so kräftig in die Steuerbordseite, daß alles seekrank wurde – ich blieb frisch und gesund und sah stundenlang dem gewaltigen Spiel der rollenden Wogen zu. Ich fühle mich überhaupt so frisch, daß ich hoffe, ich bringe Dir doch nicht einen verwelkten Greis, sondern einen verjüngten Mann aus den Tropen zurück. Selbst die tiefe Trauer über den Verlust meines liebsten Freundes, die mich stark affiziert hatte, habe ich fast überwunden – ist nicht dieser größte Verlust meines Geisteslebens durch Dich, meine Fr., reichlich ersetzt?!

Das Leben auf unserem schwimmenden Riesenhotel ist sehr behaglich, die Unterhaltung im ganzen recht nett. Die Kabine neben mir bewohnt ein deutscher Arzt aus Shanghai mit seiner jungen Frau, die er eben frisch von der Hochzeit dorthin führt. Sie ist eine reizende Erscheinung, ganz Deine schlanke, anmutige Gestalt, dasselbe blonde Haar, dieselben feinen Bewegungen – Du kannst Dir denken, mit welchem giftigen Neid ich die Zärtlichkeiten dieses glücklichen Ehepaares ansehe!

Schrecklich ist die eigentümliche Trägheit, die bei einer längeren Seefahrt wie eine ansteckende Krankheit alle Passagiere befällt! Ich hatte die schöne Muße recht fleißig zum Schreiben benutzen wollen – bisher ist nicht einmal ein vernünftiger Anfang meiner Reiseerinnerungen zustande gekommen. Mit welcher Begeisterung habe ich das vorige Mal den Indischen Ozean begrüßt! Jetzt gäbe ich alle tropischen Palmenhaine dahin, könnte ich mit Dir durch Euren Eichenwald wandern! In unlösbarer Liebe

Dein Paolo.

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Singapore, 29.9.1900.

Liebste Franziska!

Nach 23 tägiger Seefahrt bin ich wohlbehalten hier angelangt. Auch der letzte Teil der Fahrt war prächtig, stets von schönstem Wetter begünstigt, was ich wohl dem Einfluß meiner »Nymphaea« zuzuschreiben habe. Die liebenswürdigen Nereiden, denen Du offenbar als höchste Göttin gebietest, glätteten die blauen Wogen, die unser gutes Schiff sicher und rasch durchschnitt, und an den Abenden illuminierten sie sogar die dunkle Fläche, indem sie Tausende von kleinen Seetierchen leuchten ließen. Am letzten Abend wurde mir zu Ehren ein hübsches Abschiedsfest gegeben, zu welchem der liebenswürdige Kapitän sogar ein Gedicht geliefert hatte, das ich Dir nächstens mit anderen Drucksachen schicke.

*

4. 10. Eben kommt Dein ersehnter Brief und sagt mir, daß ich mich um Dich wenigstens nicht zu sorgen brauche. Wegen der Angriffe auf mein Buch mache Dir keine Skrupel. Ich habe Dir die meisten Gegenschriften nicht geschickt, weil Du Dich nicht unnötig darüber ärgern solltest. Mündlich wäre es mir leicht, Dir zu zeigen, daß es nur unwesentliche Nebendinge sind, an denen die Gegner herumnörgeln. Brieflich ist das leider nicht möglich; auch liegt dieses kleinliche Gezänk mir hier so fern – es war ja auch einer der Gründe zu meiner Reise, daß ich ihm entgehen wollte.

Es geht mir gut hier. Ich wohne in dem reizend in einem großen Garten gelegenen Hause des Direktors des hiesigen Museums, der vor zwanzig Jahren mein treuer Schüler und Assistent war, und fühle mich in dessen Familie äußerst behaglich. Das Klima bekommt mir vortrefflich. Einladungen (gestern großes Fest mir zu Ehren beim Deutschen Konsul), Exkursionen und Spazierfahrten, welche die hiesigen Deutschen für mich arrangieren, sorgen für Abwechselung. Die überwältigende Pracht und Fülle der Tropen-Wunderwelt entzückt mich aufs höchste. Nur Eins fehlt mir hier: Du, die verständnisvolle Gefährtin meines innersten Denkens und Fühlens! Was gäbe ich darum, wenn ich Dir alle die farbenreichen Bilder aus dem Pflanzen-, Tier- und Menschenleben zeigen und erklären könnte, die hier beständig in buntem Wechsel an mir vorüberziehen!

Bitte, streichle mal meinem lieben Schwälbchen sein Gefieder – das liebe Ding ist reizender als alle bunten Vögel Indiens!

Dein Paolo.

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Buitenzorg, 15.10.1900.

Den ersten Gruß von der südlichen Erdballkugel – nur ein kurzes Wort, denn die Post nach Europa geht in einer Stunde ab. Am Samstag Abend 9 Uhr habe ich den Äquator passiert, bei stiller See und funkelndem Sternenhimmel. Das erste Wort, das ich auf dieser herrlichen Insel schreibe, auf der ich heute Mittag gelandet bin und nun mehrere Wochen, vielleicht Monate hausen werde, gilt Dir, Du Liebste, und soll Dir sagen, daß ich auf der südlichen Hemisphäre ebenso wie auf der nördlichen bin und bleibe

Dein treuer Mann.

Denke Dir, daß mir heute bei der Ankunft mein liebes gelbes Portefeuille, auf das Du mir unsere Anfangsbuchstaben sticktest, und das ich seitdem auf jeder Reise auf dem Herzen getragen habe, gestohlen worden ist, mit etwa 300 Mark. Der materielle Verlust macht mir keinen Kummer – aber der Affektionswert ist mir unersetzlich! Nun begreife ich Deinen Schmerz über den Verlust des silbernen Herzchens.

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Altenhausen, 15.10.1900.

Mein liebstes Herz!

Endlich, gestern, kam Dein heißersehnter Brief aus Colombo – seit fast einem Monat das erste Wort von Dir! Wie sehr habe ich gelitten unter der langen Stille, die über Dich gebreitet war wie ein grausamer, undurchdringlicher Schleier, der mein Liebstes verbarg! Wahrlich, es ist keine Kleinigkeit, wochenlang nichts voneinander zu hören! Jetzt erst merkt man so recht, wieviel Trost doch die lieben Briefe gaben, die jede Woche geflogen kamen und uns meldeten, was in den sieben Tagen an Leid und Freude geschah. Oft bin ich so traurig, daß ich mich nur mühselig weiterschleppe, und doch lebt die Hoffnung, bald für immer mit Dir vereint zu sein, so fest in mir, daß sie auch in den trübsten Stunden nicht ganz sterben will. Schwache, kleine, erdgeborene Liebe würde jetzt nach und nach absterben, wie eine Blume, die keine Sonne hat – unsere wahre, vom Himmel gekommene Liebe wird durch diese Prüfungszeit nur noch stärker und breitet ihre großen Flügel schützend um das schwache Menschenkind aus.

Ich lese augenblicklich Briefe von der verstorbenen Großherzogin Alice von Hessen an ihre Mutter, die englische Königin. Nach dem Tode des Prinz-Gemahls schreibt sie ihr: »Das Los der Witwen ist das bitterste auf Erden.« Hätte sie, die glücklich verheiratet war, gewußt, was es heißt, wenn zwei Menschen, die zueinander gehören, durch Welten, durch Verhältnisse und Pflicht getrennt sind, ohne jede gewisse Zukunftshoffnung – sie würde anders geurteilt haben, denn eine Witwe hat das Glück doch gekannt.

Ich lebe jetzt ganz still und flüchte mich in meiner tristen Einsamkeit zu meinen lieben Büchern, doppelt lieb, weil von Dir ausgesucht. Wie dankbar bin ich, daß Du mir diesen Trost zurückließest! Vorgestern habe ich mich aber doch einmal aufgerafft und bin zu einem Beethovenkonzert gefahren. Es war wundervoll – besonders die Es-dur-Sonate wurde so großartig gespielt, daß man unwillkürlich mit angehaltenem Atem saß und vermeinte, vor einer mächtigen Naturgewalt zu stehen; die gleichen Schauer, die ich bei einem starken Gewitter, beim Anblick der Schneeberge empfinde, erfassen mich bei großer Musik. Ich kann es Dir nicht beschreiben, was das für ein Gefühl ist, wenn man so ganz von sich befreit dasitzt und nur noch Harmonien hört, gleichsam jeden Ton vorausfühlt. Nicht bei allen Komponisten geht es mir so, aber Beethoven übt jedesmal diesen Zauber auf mich aus – es ist wie eine Art » Trance«. Das hindert mich übrigens nicht, nebenbei mein Publikum zu beobachten, und ich muß heute noch lachen, wenn ich an den berühmten Professor N. denke, der vor mir saß und vor Aufregung zuletzt nicht mehr auf einem Stuhl, sondern auf zweien tanzte und immer hin und her rutschte, als ob nicht nur sein Ohr, sondern auch sein Sitzapparat zu arbeiten hätte, um die Musik zu bewältigen.

Mein guter »Maleronkel« hat mich eingeladen, mit ihm nach Italien zu reisen, ich habe ihm aber abgeschrieben. Das war wohl eigentlich töricht von mir. Aber ich möchte meine geliebte Riviera nur mit Dir wiedersehen, und eine leise Stimme sagt mir, daß Du mir noch alle Herrlichkeiten des Südens zeigen wirst.

Vor ein paar Tagen las ich in unserer streng orthodox-konservativen Zeitung, daß Du das Präsidium über den Verein der Freidenker ausgeschlagen habest, weil Du nicht aus der evangelischen Landeskirche austreten wolltest; daran geknüpft war eine bittere Bemerkung, was ein Mann, der das Christentum derart befehde, noch in der Kirche zu suchen habe. Ich irre wohl nicht, wenn ich annehme, daß ein Grund Deiner Ablehnung darin liegt, daß Du mir und besonders Mama den Weg dereinst ebnen möchtest, und ich danke Dir dafür; denn Dein Austritt aus der Kirche würde Mama aufs stärkste erbittern.

Die schreckliche Fehde gegen Dich tobt hier immer weiter – wie bin ich froh, daß Du dem entrückt bist! Neulich stand im »Pilgerbrot«, das Mama sich hält, wieder ein wütender Artikel gegen Dich. Ach, wenn die Menschen Dich doch richtig kennen würden! Aber wer kennt denn den Menschen in Dir wirklich richtig: dieses Gemisch von Künstlertum, Idealismus, Weltfeindschaft und Menschenliebe, Selbstlosigkeit und Verschlossenheit?! Wie es nur kam, daß ich da eindringen durfte, wo so Wenige Einlaß finden?! Und wie Du nur den Schlüssel zu meinem Vertrauen fandest, die ich mich mit meinem Seelenleben so völlig gegen jedermann abschließe? – »Wahlverwandtschaft«!

Auf meinem Schreibtisch stehen blasse Herbstzeitlosen, bald kommt für Deutschland der Winterschlaf der Natur – und Du unter Purpurblüten in der hellen Sonne! Mögen sie Dir leuchten und Dein Herz erwärmen! ...

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Buitenzorg, 21.11.1900.

Teuerste Freundin!

Du wirst aus meinen Briefen der letzten vier Wochen ersehen haben, wie es mit meiner Stimmung immer weiter bergab gegangen ist – nun scheint der Tiefpunkt erreicht! Und das gerade hier, wo mich ein Paradies umgibt! Aber gerade weil ich das Paradies vor Augen habe, verläßt mich keine Stunde der sehnsüchtige Gedanke: Wie herrlich müßte es sein, mit Dir vereint in ihm zu leben! In Singapore, wo ich die ganzen Tage von früh bis spät beschäftigt war, ließ ich solche Gedanken nicht aufkommen; hier in dem idyllischen Stilleben ist die Frische, die ich von dort mitbrachte, rasch verflogen. Es ist wirklich, als ob mit dem Verluste Deines lieben Portefeuilles mein guter Stern von mir gewichen sei – ich könnte abergläubisch werden.

Ich weiß wohl, daß ich undankbar bin. Es ist hier wirklich ein Paradies, der Botanische Garten von einer Herrlichkeit, die meine hochgespannten Erwartungen weit übertrifft. Der angenehme, behagliche holländische Komfort umgibt mich. Mein gütiger Gastfreund (der Direktor des Gartens) ist nicht nur mit rührender Aufmerksamkeit ständig bemüht, mir den hiesigen Aufenthalt so angenehm und nutzbringend als möglich zu machen, sondern ist mir auch in dem täglichen Zusammenleben ein wirklicher Freund geworden. Der ungeheure Reichtum der Natur, die kolossale Üppigkeit der tropischen Vegetation, seltene prachtvolle Pflanzenformen entzücken mich und locken zum Malen; im Laboratorium gibt es viel Merkwürdiges zu beobachten. Wie enthusiastisch würde ich das alles früher genossen haben! – jetzt fesseln mich die Beobachtungen nicht, die Großartigkeit der Natur wirkt bedrückend auf mich, die Aquarelle wollen mir nicht gelingen. Mir fehlt die alte Unternehmungslust, und ich bilde mir ein, daß ich eigentlich nichts Rechtes mehr leisten kann. Die Abnahme des Interesses an vielem Einzelnen, die Unfähigkeit, Neues aufzunehmen, dazu eine bedenkliche Gedächtnisschwäche – die fremden Worte des Malayischen (hier die einzige Verkehrssprache) wollen in meinem alten Kopfe nicht mehr haften – mahnen an das Greisenalter.

Bei dem allen spielt wohl auch das übermäßig feuchte Klima eine Rolle, die beständige Treibhaustemperatur wirkt auf mich höchst erschlaffend. Ich wollte darum so bald als möglich in die kühleren Berge hinauf – das ist nun auch vorbei. Mein alter Freund Rheumatismus, der mich schon mehr als ein Dutzend mal, meist auf Reisen, mit seinem Besuche beehrt hat, meldete sich leise schon seit ein paar Wochen an, jetzt hat er sich zu einer sehr schmerzhaften Entzündung des rechten Kniegelenks entwickelt. Ich werde wohl mehrere Wochen liegen müssen. Ein Glück, daß ich hier so gut geborgen bin! Mein Gastfreund ist rührend um mich besorgt und tut alles, um mir meine Leidenszeit zu versüßen, und mein guter malayischer Diener Dschaba hockt beständig auf der Türschwelle, um meine Wünsche zu erraten – denn wir können uns nur pantomimisch verständigen.

Aber innerlich sieht es um so trüber aus. In den qualvollen Nächten, in denen ich vor Schmerzen kein Auge schließen konnte, zog immer wieder die lange Reihe der traurigen Erinnerungen an all das Mißgeschick, das mich seit dem Tode meiner Anna unablässig verfolgt, vor mir vorüber, und dieses letzte seltsame Jahr mit seinem Wechsel von höchstem Glück und trostloser Verzweiflung. Die nagende Sehnsucht nach Dir, die mich, seit ich hier bin, martert, steigerte sich zur Siedehitze – immer wieder starrte mich unsere Schicksalsfrage an: Was soll aus uns, aus Dir werden? Darf ich Dich an mich, der ich ja selbst nicht frei bin, weiterhin binden? – und dann kamen die Momente, wo ich denke: Ach, hätten wir uns doch nie gesehen! Ach, Franziska, wie recht hattest Du, als Du im Frühjahr schriebst, ich würde auch durch diese Reise meinem Leid nicht entfliehen!

Und dann immer wieder der Zentralgedanke, der mich, seitdem wir uns am 11. Juni mit dem Entschluß trennten, so lange meine Frau lebt, uns nicht wiederzusehen, unablässig beschäftigt: die Frage eines Wiedersehens mit Dir! Ich wäre hier ein ganz anderer Mensch, ich würde die herrliche Tropenwelt (die ich gern dafür preisgäbe!) mit ganz anderen Augen sehen, wenn ich nach meiner Rückkehr im April auch nur auf einen glücklichen Tag mit Dir hoffen dürfte. Dieser Verzicht auf jedes Wiedersehen in greifbarer Nähe ist für einen liebenden Mann von meinem Temperament unerträglich. Warum darf ich, der ich um Deinetwillen aus Europa geflohen bin und nun am anderen Ende der Welt einsehe, daß Du mir hier ebenso nahe bist, Dich nicht wiedersehen?!

Und doch darf es wohl nicht sein – unsere Pflicht, die Göttin mit den harten Augen! Nach den Nachrichten von zu Hause befindet sich meine Frau dauernd sehr gut, wohler als seit vielen Jahren. Ich freue mich darüber für die Arme – aber doch, welcher Zwiespalt der Empfindungen! Als wir uns im Sommer 1899 kennen lernten, war meine Frau so hinfällig, daß sie selbst ihr baldiges Ende mit Sicherheit erwartete. Sonst hätte ich es nie gewagt, Dein Leben an mein Schicksal zu ketten. Nun muß und will und werde ich meiner Frau die Treue wahren. Verstehst Du nun, wie ich auf den grausamen Gedanken kommen kann: Ach, hätten wir uns doch nie gesehen!?

Verzeih mir, Liebste! Du weißt am besten, daß ich damit mein eigenes Leben vernichte, ihm das raube, was allein es mir noch lebenswert macht. Zur Arbeit tauge ich nichts mehr, vor der Rückkehr in meine alte Misère und das enge Hochburg, wo jetzt der erste Geistliche der Stadt nicht müde wird, mein böses Ketzerbuch in Predigt, Rede und Schrift zu bekämpfen, graut mir. Aber ich will tapfer sein und mein Leben, obwohl es mir kaum mehr lebenswert erscheint, nicht wegwerfen. Ich werde in der letzten (hoffentlich kurzen) Lebensspanne, die noch vor mir liegt, mich völlig in meine Klosterzelle einspinnen, meine Vorlesungen noch einige Jahre fortsetzen und versuchen, ob ich an wissenschaftlicher Arbeit noch etwas leisten kann.

Ein trauriger Weihnachtsbrief! wirst Du denken. Könnte ich Dich doch mit tausend Gaben der Liebe umgeben, mit meiner Liebe selbst umhüllen! Sei innig gegrüßt, Du Liebste, Beste, und bleibe gut Deinem armen

Paul.

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Altenhausen, 1.12.1900.

Mein Herzlich!

Du wirst Dich gewundert haben, daß ich Deine letzten beiden schwermütigen Oktoberbriefe nur mit kurzen Bleistiftblättchen beantwortete. Um Dich nicht zu ängstigen, wollte ich Dir den Grund nicht sagen – nun muß ich es: Ich bin vor vierzehn Tagen schwer gestürzt und habe mir dabei das Knie so verletzt, daß ich seitdem, mit der Eisblase darauf, zu Bett liegen muß. Da es nicht besser werden wollte, hat unser Hausarzt einen Spezialisten hinzugezogen, der soeben mit ein paar geschickten Griffen konstatiert hat, daß das Gelenkband im Knie zerrissen ist. Nun soll ich auf längere Zeit in die Klinik, morgen fahren sie mich, in Betten gepackt, zur Bahn. Ich muß mich mit Geduld wappnen, an Weihnachten und Neujahr zu Haus ist nicht zu denken, der Professor hofft aber, daß mein Bein nicht steif bleiben werde. Das ist jetzt meine große Sorge. Wie würde es Dir, der immer meinen elastischen Gang bewunderte, wehe tun, wenn ich neben Dir hinkend einhergehen müßte! Und wie habe ich mich darauf gefreut, später mit Dir, dem rüstigen Wanderer, in Deinen geliebten Bergwald und in die weite Welt marschieren zu können! –

Wie gern möchte ich Dich auf Deine trüben Briefe hin so recht von Herzen trösten! Ich kann jetzt aber nicht viel schreiben, und ich käme, da Deine wechselnde Stimmung inzwischen hoffentlich längst schon wieder umgeschlagen ist, mit meinem Trost bei der schrecklichen Entfernung wahrscheinlich doch zu spät.

Nur eins will ich heute noch sagen: Rede Dir doch bloß nicht vor, daß Du Deine Liebe zu mir unterdrücken und in kühle Freundschaft umwandeln könntest – das ist ja nur ein Versteckenspiel mit dem eigenen Herzen! Je mehr Du ein solches Feuer unterdrückst, desto heftiger brennt es unterirdisch fort, bis es einmal gewaltsam explodiert und großen Schaden anrichtet. Uns bleibt kein anderer Weg, als tapfer auszuharren. Und wenn Dir das Warten zu lang erscheint, so sage ich Dir, daß Du mir mit 80 Jahren noch ebenso teuer sein wirst, wie als Sechzigjähriger, und daß auch nur ein Jahr des Zusammenlebens uns mehr geben wird als anderen ein halbes Jahrhundert. Hab Geduld! – das Schicksal läßt sich nicht erzwingen.

Nun quäle Dich nicht, mein Herz, sondern überlasse Dich voll dem Zauber der Tropenwelt, und wenn Du nicht mehr die Kraft zu großer Arbeit in Dir fühlst, so betrachte Deinen Aufenthalt als ein Heilmittel für Deine müde Seele. Kopf hoch, mein Liebling, genieße den Augenblick und gewinne frischen Mut und festen Sinn!

In treuer Liebe Deine Franziska.

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1.1.1901.

Den ersten Gruß im neuen Jahre sende ich Dir, liebste Fr., aus einem einsamen Gebirgshaus, unmittelbar am Urwald mit dem schönsten Ausblick auf die herrliche Gebirgsgegend gelegen, in dem ich mit einem österreichischen Botaniker für ein bis zwei Wochen hause. Der sehnsüchtigste Traum meiner Jugend, ein längerer Aufenthalt im tropischen Urwald, ist hier voll erfüllt. In wenigen Minuten hole ich mir aus diesem Märchenwald die kostbarsten botanischen Schätze; überall die schönsten Motive zu Aquarellen, interessante neue Vorlagen für die »Wunder der Schöpfung«. Dazu das kühlere Klima – ich bin hier ordentlich aufgelebt und gewinne beim Umherstreifen in der wunderbar schönen und großartigen Gebirgsnatur meine alte Elastizität wieder ...

2.1.1901.

Damit mir aber nicht zu wohl zumute werde, erreicht mich eben Dein Brief mit der Kunde von Deinem schweren Unfall. Ich kann Dir nicht sagen, wie mich das erschreckt und wie ich mich um Dich sorge. Nun kommt es mir fast wie ein Unrecht vor, daß ich hier so frei und froh auf sonniger Höhe umherstreife, während Du in Deiner einsamen Zelle festgeschient auf Deinem Schmerzenslager liegst. Ach, könnte ich Dir doch helfen!

Ist das nicht sonderbar: während ich im fernen Süden mit meinem rheumatischen Knie festlag, tatest Du im heimatlichen Norden diesen schlimmen »Kniefall«!! ...

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Indischer Ozean, 24.1.1901.

Liebste Fr.!

Auf dieser zweitägigen Seefahrt habe ich nach der dreiwöchigen Gebirgsreise zum erstenmal wieder Muße, Dir ausführlicher zu schreiben; meine vielen kurzen Grüße werden Dir aber gesagt haben, daß meine Gedanken unablässig bei Dir auf Deinem traurigen Krankenlager sind. Gestern, unmittelbar vor der Abreise, erhielt ich Deinen Brief vom Weihnachtsabend, die Antwort auf meinen großen Klagebrief aus der Zeit des tiefsten Jammers. Du bist völlig im Recht, daß Du mir darauf mit einem »kühlen Vernunftbrief« antwortest – aber, ach Franziska, der Verzicht auf jedes Wiedersehen ist so schwer, so bitter schwer!

Eine große Beruhigung ist es mir, daß Du Dich wenigstens in so guter Behandlung befindest, aber traurig bin ich mit Dir, daß die Kur so langwierig sein wird. Du arme Geduldige! Weihnacht und Sylvesterer allein, nur von Deinen guten Barmherzigen Schwestern betreut, in Deiner Krankenzelle!

Mir haben die freien Wanderwochen auf der grünen »Smaragdinsel« eine Fülle der herrlichsten Natureindrücke erschlossen und das Gleichgewicht der Seele so ziemlich wiederhergestellt. Zuerst die unvergeßlich schöne Zeit im Urwald, dann weiter durch das vulkanische Gebirgsland, schließlich auf weltfernen kleinen Küsteninseln. Die tüchtigen Strapazen dieser Reise haben mir meine alte Frische und Tatenlust, die ich in dem erschlaffenden Buitenzorg ganz verloren hatte, wiedergegeben.

Nun hoffe ich noch einen schönen Monat auf Sumatra zu verbringen, wo ich zuerst mehrere Wochen dem Studium widmen und dann in dem berühmten malerischen Hochland (Hochgebirgsseen!) die beiden noch disponiblen Skizzenbücher mit Aquarellen füllen will. Anfang März will ich die Heimreise antreten und die beiden ersten Aprilwochen noch in Kairo verleben. Dort erst kann ich Antwort von Dir auf diesen Brief erwarten – schrecklich! Ich muß nun während der Heimfahrt die gleiche Karenz im Briefwechsel erleiden, wie Du, als ich bei der Ausreise mich immer weiter entfernte.

Ach dürfte ich doch sagen: Auf Wiedersehen! ...

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Padang, 27.1.1901.

Wieder eine Fata Morgana, die in Nichts zerrann! Welche Hoffnungen hatte ich auf diesen letzten Monat meiner Reise gesetzt! Und nun – liege ich mit festgeschientem Knie auf dem Krankenbett. Ganz gerade so wie Du!! Sonderbar, höchst seltsam, diese »Sympathie«, die zwei Liebende auf den entgegengesetzten Erdhälften erleiden!! – man könnte allerlei mystische Konsequenzen daraus ziehen!

Mein hiesiger Gastfreund (sein Vater war der intimste Freund meines holländischen Onkels), einer der angesehensten hiesigen Notabeln, Direktor der Staatsbahnen, holte mich am Schiffe ab und führte mich, um mir gleich etwas Interessantes zu zeigen, alsbald in seine große Maschinenwerkstätte. Ein paar Minuten später stolperte ich über eine Schiene und fiel so unglücklich mit dem linken Knie gegen einen Eisenkasten, daß ich kaum noch bis zum Wagen gehen konnte und nun für mehrere Wochen hier festliege, anstatt meine schönen Pläne ausführen zu können. Ist das nicht wirklich grausame Schicksalstücke?

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1.2.1901. Zu sorgen brauchst Du Dich nicht um mich. Es geht mir so gut, als es in meiner elenden Lage möglich ist. Mein Gastfreund und seine liebenswürdige Frau sind treulich um mich besorgt; sie hat mir ihren besten Diener als Krankenpfleger gegeben, abends, wenn ich auf meiner schönen luftigen Veranda liege, leisten sie mir beide Gesellschaft. Die ersten schmerzvollen Nächte waren freilich schlimm. Das Übelste ist, daß jede Hoffnung zu schwinden scheint, daß ich hier vor meiner Rückreise noch wieder beweglich werde. Damit scheitern alle Hoffnungen, die ich auf diesen Aufenthalt gesetzt hatte. Von den Ausflügen ins Hochland, für welche mein Gastfreund schon großartige Vorbereitungen getroffen hatte, kann schon gar nicht mehr die Rede sein – und somit wird auch der Abschluß dieser Reise zu einem kläglichen Fiasko.

Zu diesem Kummer über den Mißerfolg der Reise kommt nun noch das Grauen vor der Rückkehr nach Hochburg und die doppelte Sorge um Dich (fängst Du nun schon mit Gehversuchen an?) und um unsere Zukunft. Resignation, trübe Resignation! – das ist für mich immer wieder der Refrain. Wenn ich doch nur zu Dir »Auf Wiedersehen!« sagen dürfte, es wäre alles leichter – aber das Wort gilt ja als moralische Contrebande! Ich grüße Dich, Du ferne Geliebte, innigst

Dein armer Paolo.

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Indischer Ozean, 18.3.1901

... Gestern bestieg ich den prachtvollen neuen Lloyddampfer »Kiautschou«, der seine erste Fahrt macht, ein schwimmendes Hotel erster Klasse mit 6 Stockwerken und 800 Bewohnern. Ich habe auf dem Oberdeck eine hübsche Kabine für mich allein und fand sie mit Blumen und dem Bilde Darwins geschmückt von dem liebenswürdigen Schiffsarzt, der vor acht Jahren in Hochburg mein eifriger Schüler gewesen ist. Er behandelt mein steifes Bein mit großer Sorgfalt. Ein sehr interessanter Reisegefährte (bis Port Said) ist der russische Maler Wereschtschagin, zu dessen aufrichtigen Bewunderern ich gehöre; er hat meine 160 Aquarellskizzen durchgesehen, einige sehr gelobt und mir manchen guten Wink gegeben.

Die letzte Woche auf Sumatra hat mir doch noch einigen Ersatz für die im Krankenzimmer verlorenen vier Wochen gebracht. Mit dem Regierungsdampfer, den mir der Gouverneur zur Verfügung gestellt hatte, konnte ich wenigstens noch einen Ausflug machen; die Küstenfahrt längs der Korallenbänke und kleinen Inseln bei schönstem Wetter war prächtig – wärest Du doch dabei gewesen, als Kommandeuse eines holländischen Kanonenboots! Dann hatte mein Gastfreund eine viertägige Fahrt in das Hochland arrangiert, in dem bequemen Direktionswagen seiner Eisenbahn. Ich mußte zwar, da mein Bein noch geschient war, getragen werden, habe aber durch die Fahrt doch wenigstens einen Eindruck von der höchst eigentümlichen und großartigen Landschaft gewonnen. Am Tage nach unserer Rückkehr wurde die Schiene entfernt, und seitdem humpele ich wenigstens wieder durch das Dasein.

Wenn ich nun auf diese achtmonatige Unternehmung zurückblicke, so ergibt sich als Fazit: 2 Monate Seefahrt, 2 Monate Krankenlager, 3 Monate wissenschaftliche Arbeit mit sehr mäßigem Erfolg, endlich ein Monat großartigen Naturgenusses; auch für meine allgemeine Welt- und Menschenkenntnis habe ich viel gewonnen. Die großen Opfer und Mühen dieser anstrengenden, an Mißgeschick reichen Reise sind also doch nicht ganz umsonst gebracht. Nur in einem hat sie völlig versagt: von meinem Herzeleid hat auch sie mich nicht befreit. Wie richtig sagtest Du voraus: »Nirgends entrinnt der Mensch sich selbst«!

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Mittelmeer, 31. 3. 1901.

Nun bringe ich diesen indischen Brief selbst nach Europa. Immer noch Halbinvalide (das Kniegelenk ist noch steif, 9 Wochen nach dem Unfall!), habe ich mich entschlossen, auf Kairo zu verzichten und von Genua direkt nach Baden-Baden zu fahren, dessen warme Wildbäder und Heilgymnastik vor 6 Jahren nach dem Bruche desselben Beines mir sehr gut getan haben. Könntest Du Dir nicht dieselbe Kur in Baden verschreiben lassen?

Ob Du noch in der Klinik bist oder Dich in Altenhausen des nahenden Frühlings erfreust? Acht Wochen sind es nun her, daß ich von Deinem Ergehen nichts weiß. Ich weiß noch nicht einmal, ob Dein »Kniefall« auch das linke oder eigensinnigerweise das rechte Knie betroffen hat – ersteres wäre Harmonie, letzteres Symmetrie!

Ob Dein strenges Herz nun, da ich Dir bald wieder nahe bin, weicher wird? Aus der Ferne, so lange keine Möglichkeit dazu besteht, ist es ja schließlich nicht so schwer, zu sagen: » Nicht Wiedersehen!« Durch alle Resignation, mit der ich mich gewappnet habe, bricht bei mir doch immer wieder die holde Hoffnung hindurch. Zunächst aber werde ich, sobald ich wieder auf Europas solidem Boden stehe, mich bemühen, nur die von Dir gewünschten »kühlen« Briefe zu schreiben. »Wie oft?« befiehlt meine Gebieterin? Ungefähr monatlich einmal?!

Dero getreuer Knecht Paulus.

Denkst Du auch daran, daß heute der Jahrestag von Naumburg ist? Ich feiere ihn mit Andacht.

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Altenhausen, Palmarum 1901.

Teurer Paul!

Gestern bin ich endlich aus der fast viermonatigen Klinikhaft heimgekehrt – das muß ich Dir doch noch nach Kairo melden. Von meiner lieben alten Mama, die bitterlich unter der langen Trennung gelitten hat, wurde ich mit heißen Tränen empfangen, die Leute im Dorf hatten unser Haus mit Girlanden geschmückt und Schneeglöckchensträuße geschickt, und in meinem lieben alten Zimmer fand ich allerhand Überraschungen von den Meinen vor. Mama hat mir ein paar entzückende schneeweiße Tauben in einem schönen großen Bauer geschenkt. Es gibt nichts Hübscheres, als diese Tierchen in ihrer Liebe zu beobachten. Der Trommeltäuber stößt die süßesten Locktöne aus, kauert sich ganz auf den Boden des Bauers und legt den Kopf auf die Erde; dann kommt Frau Pfauentäubchen leise an, zupft ihn an der weißen Holle, die er am Köpfchen trägt, und kriecht mit der Brust über ihn, so daß sein Kopf ganz unter ihre Federn gebettet ist. Ich hoffe, daß sie mit der Zeit ganz zahm werden; das Pfauentäubchen ist jetzt schon recht zutraulich, aber Herr Tauber kollert immer ganz erbost, wenn ich ihm die Hand hinhalte.

Du wirst begreifen, daß ich nach der langen Einsamkeit unendlich froh bin, wieder in der Heimat zu sein. Leider will es mit dem Gehen noch gar nicht recht vorwärts, ich humpele noch immer am Stock. Es ist eine langwierige Geschichte, der Professor will mich noch in ein Bad schicken. Hoffentlich ist Dein Knie nun wieder ganz in Ordnung und hindert Dich nicht mehr am Gehen, so daß Du in Ägypten noch viel Interessantes sehen und schöne Exkursionen machen kannst.

Über Deine vielen Zweifel und die Ermahnungen, mich zu voller Resignation zu bekehren, schreibe ich jetzt noch nicht. Ich muß mir erst selbst darüber klar werden, weiß ja auch gar nicht, wie es jetzt in Dir aussieht – der letzte Brief, den ich von Dir erhielt, war vom 22. 2. datiert. Gott sei Dank, daß wenigstens diese weite Trennung nun vorbei ist!

Heute am Jahrestage unseres Naumburger Glückstages fliegen meine Gedanken mit besonderer Innigkeit zu Dir übers Meer ...

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Baden-Baden, 6.4.1901.

Teure Franziska!

Soeben beglückt mich Dein Willkomm- und Ostergruß, das erste Wort, das ich seit Ende Februar von Dir erhalte – meine ganze nach Kairo geschickte Post erwarte ich noch. Ich bin froh, daß Du wieder daheim bist, beklage aber von Herzen, daß Dein Gehen noch immer »sehr mangelhaft« ist. Wäre es nicht wirklich das Vernünftigste, Du gebrauchtest auch die hiesige Kur, die bei mir wieder gut zu wirken scheint? Der Gedanke, hier einige Wochen mit Dir zusammen zu sein, ist so schön, daß ich ihn kaum auszudenken wage.

Auf der ganzen Heimreise empfand ich es immer als Seligkeit, daß ich Dir mit jeder Stunde näher rückte. Und nun bist Du mir doch so fern – so fern! Es ist mir unmöglich, den Gedanken des Wiedersehens fortzuscheuchen, soviel ernste Mühe ich mir auch täglich gebe. Ja, das Herz ist ein schwaches Ding – fasse das meine hart an und zerbrich es in Stücke! ...

Baden-Baden, 8.4.1901.

Heute kam endlich das ersehnte Briefpaket aus Kairo. Hab Dank, liebste Franziska, für die drei guten Briefe, die Du mir nach dort schriebst. Wie tritt mir aus ihnen wieder einmal Deine herrliche, mit klarem Verstand und entzückender Phantasie ausgestattete Seele entgegen, die mir noch weit mehr ist als Deine schöne reizende Gestalt, Du wunderbare Frau!

All mein Sinnen und Trachten ist jetzt von der mich bezaubernden Vorstellung erfüllt, daß wir hier die nächsten Wochen zur Kur zusammen verleben könnten. Versuche doch, es durchzusetzen! Ich vergehe vor Sehnsucht nach Dir.

Du wirst vielleicht fragen, wie sich das damit verträgt, daß ich Dir seit Monaten bis zum Überdruß »Resignation!« predige. Ja, liebe Fr., das Gebot »Resignation!« ist für mich das Endergebnis all der tausend Reflexionen, mit denen ich mich seit Monaten geplagt habe – wir müssen uns der Macht der tatsächlichen Verhältnisse fügen. Der Zustand meiner Frau hat sich im letzten halben Jahre so auffallend gebessert, daß wir jetzt, der Pflicht gehorchend, auch den bloßen Gedanken an unsere eheliche Verbindung für, wer weiß, wie lange ganz ausschalten müssen. Das kann uns aber nicht abhalten, unsere uns beglückende Seelenfreundschaft liebevoll weiter zu pflegen, und ich kann – gerade wenn wir jenen, unseren liebsten und höchsten Wunsch ausschalten – auch kein Unrecht darin finden, wenn wir ab und zu unseren freundschaftlichen Seelenaustausch auch im persönlichen Zusammensein genießen.

Gerade jetzt nach meiner großen Reise scheint mir ein Moment zu sein, wo unsere Freundschaft ein Wiedersehen geradezu erfordert. Ich will Dich aber nicht drängen; Du bist so viel besser und vernünftiger als ich – also überlege es reiflich und weise. Wenn sich Deine Kur in Baden nicht ermöglichen ließe, mache ich Dir noch den Vorschlag, daß wir uns am 25ten (an dem ich hier abreise) in Cassel oder wo sonst es Dir paßt, begegnen. Ich hoffe sehnsüchtig auf Dein Ja!

Dein Paolo.

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Altenhausen, 13.4.1901.

Mein teurer Freund!

Länger will ich Dich nicht auf Antwort warten lassen, so schwer sie mir auch fällt; Tag und Nacht habe ich mich damit abgequält. Vor mir liegen Deine beiden Briefe vom 6. und 8ten. Dein »Fasse mein Herz hart an und zerbrich es in Stücke!« schneidet mir ins Herz – und doch muß ich fest bleiben und antworten: Nein! So, wie es jetzt ist, dürfen wir uns nicht wiedersehen! Glaube mir, daß das auch für mich grausam bitter ist, denn meine Sehnsucht nach Dir ist ebenso groß und heiß, wie die Deine nach mir. Aber so schwer es mir auch ist, Deine Hoffnung zu enttäuschen und mir selbst den Wunsch zu versagen: es muß sein!

Zunächst: ein wochenlanger gemeinsamer Aufenthalt in Baden ist ja von vornherein ausgeschlossen – dazu bin ich weder alt noch häßlich genug. Du selbst aber bist viel zu jugendlich lebhaft und harmlos, als daß die Leute eine rein platonische Freundschaft zwischen uns für glaubwürdig halten würden. Du brächtest mich dort nur in eine völlig schiefe Lage – und auch Dich selbst, denn Du bist ein berühmter und durch seine Erscheinung die Blicke auf sich lenkender Mann. Ich habe mir schon damals in Kösen Gedanken darüber gemacht, wie Du in Deiner Harmlosigkeit gar nicht an die Möglichkeit von Begegnungen mit Bekannten dachtest, die sich über Deine »Nichte« vielleicht verwundern könnten.

Eine Begegnung am dritten Ort ist schon dadurch unmöglich, daß mein (eigensinnigerweise rechtes!!) Bein noch immer steif ist, ich also keine Vergnügungsfahrten unternehmen kann; auch würde Mama es mir nie gestatten.

Jetzt handelt es sich aber überhaupt nicht um praktische Möglichkeiten, sondern darum, daß wir uns prinzipiell über unser Verhältnis klar werden. Was ist nun eigentlich ein »Seelenbund«, eine »Seelenfreundschaft« zwischen Mann und Frau? Ist es Freundschaft oder Liebe? Wenn es letztere ist, verträgt sich das mit Deiner Pflicht gegen Deine Frau? Täuschest Du nicht Dich selbst, wenn Du Dir einredest, Du übtest aus Treue gegen Deine Frau große Resignation, und gleichzeitig begehrst Du ein Glück abseits vom geraden Wege und verlangst nach heimlichen Zusammenkünften mit einer Geliebten? – ganz abgesehen davon, daß ich dafür nicht die geeignete Frau wäre! Täuschest Du Dich nicht über Dich selbst, wenn Du vergißt, daß es Dir bei einem Wiedersehen nicht nur auf meine »herrliche Seele«, sondern ebenso auf mein Äußeres und auf meine Zärtlichkeit ankommt? Und ich bin dann, wenn der Zauber Deiner Persönlichkeit auf mich wirkt, selbst zu schwach und ich habe Dich viel zu lieb, als daß ich Dir den armen Trost eines Kusses verweigern möchte, weil ich weiß, wie sehr Du danach hungerst. Mir sagt aber eine innere Stimme, die sich nicht töten läßt, daß das, wie die Dinge liegen, Unrecht ist. Und Dir geht es ja genau so; denn alle Deine Skrupel wurzeln auch in Deinem guten, wahren Instinkte, daß unser Verhältnis der innigen Liebe so nicht fortgeführt werden kann, wenn wir nicht beide daran zugrunde gehen sollen.

Das, was ich hier schreibe, klingt hart. Aber es hilft nichts – wir müssen uns klar werden. Du betonst die Notwendigkeit der Resignation gegenüber unseren schönen hochfliegenden Plänen, und ich unterschreibe das. Nun müssen wir aber auch die Konsequenzen daraus ziehen. Wir müssen erkennen, wo die Gefahr für uns und die Reinheit unserer Gesinnung liegt, und müssen unseren Verkehr in die Bahnen der reinen, wahren Freundschaft, die frei ist von jedem Eros, lenken. Sobald wir diese Höhe erreicht haben, dürfen wir uns wiedersehen; Du darfst dann meine Hand nehmen und mir sagen, was Dein Herz bedrückt, und ich will alle Deine Sorgen teilen – aber als Deine Freundin, nicht als Deine heimliche Geliebte! Solange wir uns aber noch nicht so stark und sicher fühlen, daß wir nicht doch von dieser Höhe heruntergleiten, müssen wir das Alleinsein miteinander vermelden und uns durch die Gegenwart eines lieben Dritten einen Schutz und Halt verschaffen.

So kann ich Dir nur einen Weg vorschlagen, um unsere zur Resignation verurteilte Liebe in die rechte Bahn zu lenken: Sage Deiner Lieblingstochter, die Dich versteht und liebt, daß Du eine Freundin hast, die Du nicht sehen kannst, weil ihre Mutter, Deiner religiösen Richtung feind, Deinen Besuch nicht wünscht, und veranlasse Deine Tochter, mich einzuladen. In ihrem Hause und in ihrer Gegenwart werden wir den rechten Ton anschlagen lernen; und wird es uns schwer, so müssen wir kämpfen, und siegen oder – auseinandergehen. Von diesem Wege, zu dem Du, wenn Du es ernstlich willst, schon die rechten Mittel finden wirst, mache ich unser Wiedersehen abhängig. So schwer Dir der dazu nötige Entschluß zunächst auch sein wird, so sehr wirst Du mit der Zeit seinen Segen empfinden, gleich wie über mich Ruhe und Frieden kommt, während ich dies schreibe. In inniger treuer Liebe Deine

Franziska.

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Baden-Baden, 15.4.1901.

Meine teuerste Freundin!

Heute Morgen hat mir Dein mit verzehrender Ungeduld erwarteter Brief die Entscheidung gebracht, die unser Schicksal bestimmt. In den letzten Tagen immer zwischen Furcht und Hoffnung schwebend, war ich, Deiner Briefe über diese Frage vom Juli und August v. J. gedenkend, auf Deinen jetzigen Entschluß doch schon gefaßt. Nun ist der Würfel gefallen, und wir müssen beide sehen, wie wir mit unserer völligen Resignation fertig werden. In den nächsten Monaten wird uns das wohl bitter schwer werden – mir vielleicht noch schwerer als Dir, die Du mit Deiner tapferen und abgeklärten Heldenseele Dich leichter in unser hartes Los finden wirst.

Du schlägst noch einen Ausweg vor: im Beisein Dritter freundschaftlich miteinander zu verkehren. Liebste Franziska, solche kühle Freundschaft Dir gegenüber ist für mich eine Unmöglichkeit. Du weißt nicht, wie maßlos in meinem warmen Herzen die Sehnsucht nach Deiner einzigartigen Person loht – nicht etwa das sinnliche Begehren als solches, sondern die innige Sehnsucht, Dein wunderbares Wesen, mit seinen seelischen und körperlichen Vorzügen vereint, zu genießen. Du könntest ebensogut dem Eisenspan verbieten, sich vom Magneten anziehen zu lassen, oder dem verdurstenden Wanderer in der Wüste gebieten, sich am Anblick des herrlichen Quells zu laben, ohne davon zu trinken! –

Ich habe Deinen schicksalsschweren Brief soeben zum vierten Male gelesen, ruhig und gefaßt. Ich muß Dir fast in allem recht geben und bewundere die Größe und Reinheit Deines edlen Frauencharakters, Du Beste, Reinste!

So wäre also der zauberhafte Traum, der uns seit dem unvergeßlichen 17. Juni gefangen hielt, vorüber – Fata Morgana! Ich betrachte diesen Traum, den ich mit Dir träumen durfte, als die süßeste Erinnerung, aber auch als die bitterste Erfahrung meines ganzen schicksalreichen Lebens. Der elf wunderbaren Tage höchsten Glückes werde ich bis zu meiner Todesstunde gedenken.

Mein Weg liegt nun klar vorgezeichnet vor mir: ich werde in meine einsame Klosterzelle mit dem Entschluß zurückkehren, die wenigen mir noch übrigen Jahre ausschließlich der Arbeit zu widmen; meine Frau wird mir täglich ihr Leid vorklagen, auf Freundschaft rechne ich nicht mehr, für mein Herz und Gemüt habe ich keine Erquickung mehr zu erwarten – aber der Mönch Ekkehard wird seine »Frau Herzogin« nimmer vergessen. In unvergänglicher Liebe Dein treuester Freund.

*

16. 4. In dieser traurigen schlaflosen Nacht kam mir die Frage, ob es nicht unsere trostlose Lage für uns beide doch etwas mildern würde, wenn wir wenigstens nicht ohne Abschied auseinander gingen. Wäre es Dir recht, wenn ich am 25ten – für Deine Mutter (die ich ebenso wie Deine Heimat zum Schluß doch auch noch kennen lernen würde) überraschend – nach Altenhausen käme, um Dir ein letztes Lebewohl zu sagen?

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Altenhausen, 19.4.1901.

Mein armer lieber Paul!

Dein Leid ergreift mich in der tiefsten Seele und, glaube mir, ich leide mehr um Dich als um mich. Seitdem ich den Brief an Dich abgesandt, habe ich Tag und Nacht mich gefragt: warst du grausam? hast du unrecht getan? – aber ich konnte und kann nicht anders.

Heute will ich Dir nur sagen: Ja, wir wollen nicht ohne Abschied auseinander gehen. Aber komme nicht hierher – der gütige Himmel ( nicht das blinde Schicksal) hat uns einen anderen Weg gezeigt. Ich war gestern noch einmal zur Untersuchung bei meinem Professor. Er war sehr unzufrieden über die langsame Heilung und verordnete eine sofortige längere Kur in Wiesbaden. Bereits am 23ten (Dienstag) reise ich hin. Dort wollen mir uns noch einmal ins Auge schauen – zum letztenmal, wenn nicht doch noch das große Glück über uns kommt. Stets

Deine treue Franziska.

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Hochburg, 29.4.1901.

Meine innigst geliebte Franziska!

Du hast einen müden Wanderer, der eben dem Verschmachten nahe war, gelabt mit köstlichem Trunke, der mir neues Leben, Mut und Kraft und Frieden eingeflößt hat. Hab' innigen Dank! Wie viel Herrliches haben wir uns in diesen beiden Tagen gegeben, und wie wahr, wie edel und rein war alles! Wie Du mich verstehst, wie Du die geheimsten Gedanken im Innersten meiner Seele zu lesen vermagst! Du bist mir in diesen Tagen noch viel teurer geworden, und ich fühle mich Dir auf immer angehörig und leibeigen, was auch die Zukunft bringen mag.

Unser wunderbares Rhein-Märchen am 27ten war aber auch so reizend, so vom gütigen Geschick in jeder Beziehung begünstigt, daß nur ein Goethe imstande wäre, seine Poesie wahrheitsgetreu zu schildern (ich las auf der Heimfahrt – unter der Wartburg!! – mit neuem Entzücken seine »Römischen Elegien«!). Unser Frühlingsmahl im Garten zu Aßmannshausen, den mächtigen Strom vor Augen, dazu der warme Sonnenschein, die blühenden Bäume, das liebliche Gezwitscher der Vögel und – Du mir zur Seite! – alles das erfüllt mein Herz noch heute mit seliger Wonne.

So ist denn die hochpoetische Trilogie unseres »Seelen-Brautstandes« (mit den drei Zaubermärchen: Wartburg 17. Juli 1899, Rudelsburg 10. Juni 1900, Aßmannshausen 27. April 1901) in strahlender, fleckenloser Reinheit und Schönheit abgeschlossen – und in weiter blauer Zukunftsferne winkt uns leuchtend das dauernde Glück.

Nun ist alles gut, und mein Herz wieder froh und frei. – Der Empfang hier im Hause wie im Institut von seiten meiner Familie und Freunde war sehr herzlich, ebenso viele Willkommbriefe von auswärts. Es gibt doch noch viele gute Menschen, die Deinen »alten Onkel« gern haben.

Unseren Briefwechsel wollen wir, wie früher, so regulieren, daß ich Dir jeden Freitag schreibe. Du mir am Dienstag; wenn das übervolle Herz es gebietet, sind »Extrablätter« gestattet, die dem Verbot der zärtlichen Worte nicht unterliegen (wir könnten sie ja verbrennen, ich bringe das aber nicht fertig). Mit innigen Grüßen und Küssen (diesen Brief betrachte ich als »Extrablatt«, in dem solche moralische Contrebande erlaubt ist) bin ich für alle Zeit

Dein treuer Mann.

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Wiesbaden, 29.4.1901.

Mein geliebter Paolo!

Ist es nicht, als ob wir einen schönen Traum gehabt hätten? Die lieben Tage unseres Zusammenseins erscheinen mir wie ein Märchen, das zu schön war, als daß es hätte von Dauer sein können. Die Erinnerung hält mich noch so zauberisch umfangen, daß es mir schwer wird, das in Worte zu fassen, was mein Herz bewegt. Nur dessen sei gewiß: Du bist mir in diesen wenigen Stunden noch viel, viel teurer geworden. Ich bin ganz in die Tiefe Deiner wundersamen Persönlichkeit eingedrungen und danke Dir innig, daß Du mir jede Falte Deines Herzens offengelegt hast. Es ist ein so wunderbares Gefühl, wenn man kein Geheimnis mehr vor einander hat und sich mit seinem innersten Inneren völlig frei hingeben darf. Gerade für Dich und mich – für Dich, der Du so sehr der Teilnahme bedarfst, und für mich, die ich mich mit meinem Inneren so ganz von den Menschen abschließe, ist solche rückhaltlose Hingabe ein unaussprechliches Glück und ein Segen, der uns, was auch kommen möge, niemals genommen werden kann.

Nun aber, mein lieber Mann, laß uns einmal eine Zeit lang nicht mehr von unserer Liebe und Pflicht, von Schicksal und dunkler Zukunft reden! Schreibe Du mir alles, was Du erlebst und arbeitest, Dich erfreut und betrübt, und ich werde Dir zunächst mal nur davon erzählen, was ich hier auf diesem bunten Jahrmarkt der Eitelkeit und des Genusses als stiller Gast erlebe und beobachte. In inniger Liebe

Dein Eigentum!

*

Wiesbaden, 2./6.5.1901.

Damit der nächste Mittwochbrief Dir das versprochene Bild meines hiesigen Daseins recht bunt bringt, fange ich schon am Donnerstag mit ihm an.

Das Hotel füllt sich immer mehr. Franzosen, Schweizer, Engländer, preußische Leutnants – alles wimmelt durcheinander. Es ist nicht leicht für mich, durch die Menge immer gleichgültig hindurchzugehen und für mich allein zu sitzen, zumal wenn man merkt, wie sich mancher Blick auf die hübsche und interessante Erscheinung richtet und sie verfolgt. Wie sehr bedarf eine Frau doch des männlichen Führers! Wie sehne ich mich oft, nein: stündlich nach Deiner machtvollen Persönlichkeit!

Wenn ich den Trubel um mich herum beobachte, dann denke ich oft: wie hohl ist doch die Welt! Alles dreht und wendet sich um das Äußere, jeder möchte gern mehr erscheinen, als er ist, jeder Dame merkt man es an, daß sie gesehen und bewundert werden möchte – alles ist oberflächlicher Schein. Wenn ich dann an Dein schweres, schönes Leben denke, so tun mir die Menschen leid, die allein für Nichtigkeiten Interesse haben, und ich fühle auch, wie sehr ich selbst schon außerhalb der Anderen stehe. Das, was mir früher wohl imponiert hätte, läßt mich jetzt ganz kalt, und ich denke bei allem nur daran, so zu werden und zu sein, wie ich Dich am glücklichsten machen kann, mein einfacher, großer Liebling, der Du mit eigener Kraft so viel erwarbst und doch so anspruchslos bliebst, der Du eine große Rolle spielen könntest und still im kleinen Hochburg lebst, dritter Klasse fährst und in den einfachsten Zimmern wohnst, weil Dir nichts Irdisches mehr imponiert – außer Deinem Schwälbchen!

Heute mittag war ich in der Bilderausstellung, wo ich einen sehr schönen Achenbach und ein reizendes Mädchen von Gabriel Max fand. Lenbach war mit einer Pastellstudie vertreten, die, glaube ich, niemand angesehen hätte, wäre sie nicht eben von ihm; so aber fand eine dicke, seiderauschende Dame, die sehr kunstverständig tat, den Kopf ganz bezaubernd und lorgnettierte ihn von allen Seiten. Ich habe übrigens heute bemerkt, wie unsicher mein Urteil über Bilder doch noch ist. Das beste Mittel zum Verstehen eines Gemäldes ist, es zu kopieren, und Du glaubst nicht, wieviel Freude ich, obwohl ich ungern kopiere, schon oft gehabt habe, wenn mir, während ich den Pinsel in der Hand hielt, eine Feinheit nach der anderen aufging.

Jetzt ist's Abend und bitterkalt im Zimmer. Ich werde hinuntergehen und im Salon Gregorovius' Italien (wie lieb war es von Dir, mir so viel Lektüre zu schicken!) lesen, bis mein kalter Aufschnitt dem stillen Tag einen würdevoll gemäßigten Schluß verleiht.

Abends ½10. Der »Aufschnitt« verlief interessanter als ich dachte. Eine ältere stille, blasse Dame aus Hamburg, die beim Diner mein Vis-à-vis ist, sich aber bisher ebenso schweigsam verhalten hat wie ich, interessierte mich heute Abend durch einige kluge Bemerkungen über die Bilderausstellung, und erzählte mir dann, wie sie vor 6 Jahren Mann und einzigen Sohn bei einem Schiffsuntergang verloren hat und dadurch krank und unglücklich geworden ist. Das erweckte nicht nur mein Mitleid, sondern die Art, wie sie es erzählte, machte sie mir sympathisch; ich werde mich ihr näher anschließen.

Bei Tisch frug mich übrigens heute eine Dame, ob ich verlobt sei – ich habe »ja« gesagt. Am liebsten hätte ich geantwortet, ich wäre verheiratet – denn seelisch sind wir beiden, mein geliebter Paul, ja unlösbarer verbunden als alle Ehepaare der Welt.

3. 5. Viel Spaß hat mir heute gemacht, als ich dem Professor Deine mir gesandten Hefte mit einem Gruß von »meinem Onkel« überreichte – er zerschmolz in Verehrung für Dich, hat aber keine Ahnung, daß ich geistig Deine Gefährtin bin, und denkt, daß ich Deine Schriften abliefere wie ein Jude das Neue Testament verkauft. Aber ich bin ihm dankbar, daß er mein Knie in Ordnung bringt. Ich habe ja jetzt keinen anderen Gedanken, als daß Du eine gesunde Frau brauchst, die mit Dir wandern kann. Heute habe ich den ersten größeren Spaziergang gewagt. Es ging zwar langsam, aber ohne Ermüdung. Mir war wie einem Vogel, der nach langer Gefangenschaft wieder fliegen darf.

Zur Belohnung habe ich mir nachmittags eine Wagenfahrt geleistet. Der Weg, den mich mein netter Kutscher die Berge hinauffuhr, war entzückend. Eine Luft ist hier und eine Farbenfrische, wie man sie sich nicht zauberhafter zu denken vermag. Es amüsierte mich, wie viel ich angestarrt wurde. Zwei sehr elegante Herren, anscheinend Franzosen, stellten sich in Positur und schrien »Ah!« – für die Romanen haben blonde Frauen viel Attrait. Ich habe mir aber vorgenommen, nun doppelt einfach zu gehen und doppelt unnahbar auszusehen – vielleicht imponiert aber gerade meine Einfachheit. Jedenfalls merke ich, daß Dein Vögelchen noch immer ein hübsches Gefieder hat.

Lieber Paul, ich habe, glaube ich, wirklich zu allem Anlage, bloß nicht zur Koketterie. Aber es freut mich, mein Liebling, um Deinetwillen, wenn ich sehe, daß nicht Du allein die Menschen bezauberst, sondern daß auch Deine Frau freundlich angesehen wird. Du bist der berühmte Mann, in einer Stellung, die in der ganzen Welt geachtet oder gefürchtet wird – ich habe nur mich selbst zu geben und wäre, wenn dieses Selbst nicht auch einen Wert hätte, zu arm gegen Dich.

Heute Mittag saß ich bei Tisch neben einem sehr sympathischen jungen Herrn, der mir so außerordentlich gefiel, daß wir uns sofort auf das lebhafteste unterhielten. Er ist Arzt, anscheinend in brillanten Verhältnissen, denn er will sich hier eine Villa kaufen. Am Abend führte uns das Schicksal wieder zusammen. Bis ¾10 haben wir uns noch im Salon – zum Staunen der anderen, denen ich als noli me tangere gelte – unterhalten, Erinnerungen an Norderney ausgetauscht, gefunden, daß wir die glühende Liebe für Beethoven teilen – kurz und gut: beim Abschied sagten wir »Auf Wiedersehen!« Dieses offene Bekenntnis bin ich Dir schuldig.

Liebes Herz, wenn ich jetzt Dein Gesicht sehen dürfte, wie es lang und immer länger wird, und wenn ich Dein »Du Hexe!« hören könnte – es ist ja kein »Er«, sondern eine reizende junge Doktorsfrau aus Köln (Österreicherin, mit dem hübschen Dialekt), die mir so gut gefiel, aber leider morgen früh schon wieder fortgeht.

4. 5. Heute sah ich im Kurtheater »Johannisfeuer«. Man muß es aufführen sehen, um die ganze Niedrigkeit zu begreifen; erst wenn Du es selbst gesehen hast, kann ich mit Dir darüber sprechen. Wir sind in ähnlicher Lage, aber wir bleiben Herr über unsere Liebe – dort ist der geschlechtliche Instinkt Alles. Sieh das Werk, wenn Du nach Berlin kommst – oder vielmehr warte, bis wir es zusammen sehen dürfen, dann wirst Du mit mir eines Urteils sein.

Meine kleine Doktorsfrau ist nicht abgereist, sondern hat ihren Mann wegen des Villenkaufs telegraphisch herbeordert. Sie hat sich heute – zu meiner Freude – sehr an mich attachiert. Auch zwei feine, liebenswürdige Französinnen aus Neuchâtel sind mir sehr zugetan – nur wollen sie mich etwas chaperonieren, was ich gar nicht liebe, von den verschiedensten Seiten wird mir Schutz und Hilfe angeboten. Wunderbar, wie Dein Vögelchen Güte empfängt, wohin es auch flattert! Nicht ich habe zu werben, sondern man bringt mir alles entgegen – oft mehr, als ich wünsche.

Denke Dir, meine Hamburgerin, mit der ich viel und gern zusammen war, ist Jüdin. Die Antipathie gegen die Rasse ist mir anerzogen, und hätte ich's vorher gewußt, würde ich mich ihr nicht angeschlossen haben. Aber jetzt, da ich sie kenne und als eine selten tief und frei denkende Frau schätze, würde ich mich schämen, mich deshalb von ihr zurückzuziehen. Ist's recht so, mein Paul? Lerne ich nach und nach zu Deiner großen, freien Anschauung aufsteigen?

5. 5. Der Mittelpunkt des Tages war das Sonntagsdiner. Die armen Kellner sahen förmlich verhetzt aus, den ganzen Vormittag hat man geschafft und vorbereitet, um für eine Stunde die Augen und Magen der Gäste zu befriedigen. Ob es würdig ist, die Feste durch Essen und Trinken zu feiern? Wodurch unterscheiden wir uns dann noch von den Tieren, die auch nach der Krippe drängen?

Aber ich hatte nette Nachbarn bei Tisch. Zur Linken einen alten schneeweißen Herrn, Freund von Bismarck und Reichstagsabgeordneter. Er gefiel mir gut, erinnert im Profil ein wenig an Darwin und hat eine so feine, durchdachte Art, über Menschen und Leben zu reden, daß es mir war, als läse ich Gregorovius.

Bei »Lesen« fällt mir ein, daß ich mich jetzt mit Spinozas »Ethik« quäle. Ich denke daran, daß Goethe das wunderbare Rätselbuch mit Frau von Stein las. Ach, Herzlieb, mir fehlt auch ein Goethe zum wahren Verstehen. Unser Frauenverstand reicht nicht für diese scharfe Logik. Mir leuchtet nur ein Satz vollkommen ein: »Alles, was ist, ist entweder in sich oder in einem andern.« Dazu mache ich mir meine eigene Erklärung und sage: Ich bin nur in Dir und durch Dich verständlich und groß. Ohne Dich gehe ich wie eine Abnormität unter den Frauen umher. Wenn man aber wüßte, daß Du mich liebst und mir gehörst, so würde man auch verstehen, weshalb diese Frau so anders und in sich abgeschlossen lebt.

Rechts von mir saß ein preußischer Landrat, der mich sehr lebhaft und interessiert über Schmetterlinge und ihre Entwicklung unterhielt; er sprach gut über die Farbenentfaltung, über »Mimicry«, wenn er sie auch nicht vom entwicklungsgeschichtlichen Standpunkt aus ansieht. So heimste ich auch dabei etwas ein. Jetzt aber falte ich meine Flügel fest zusammen und krieche in mein Bettchen – – – – ich wollte Dir das hier anschaulich darstellen. Bitt' schön, mal' mir mal einen Schmetterling, der zu Bett geht! Ich kann's nicht.

6. 5. Gestern abend ist der Kölner Doktor angekommen, wir waren heute fast den ganzen Tag zusammen. Ein sehr eleganter und galanter Weltmann mit sehr feinen Manieren – viel feiner, als Du sie hast, mein Liebling. Gott sei Dank, daß Du so bist, wie Du bist! Ich kann solche »Damenherrn« mit den ewigen Komplimenten nicht vertragen – bei Dir fühle ich immer den Atem der unverfälschten Natur. Immer mußte ich bei des Doktors gepflegten weißen Damenhänden mit dem herrlichen Brillantring an Deine lieben großen, fleißigen, sonngebräunten Hände denken – ich brauche einen Mann, der mich mit Herrscherhand fest hält, nicht einen weichlichen Salonhelden.

Ich wundere mich übrigens über mich selbst, wie sicher und unnahbar ich mich jetzt auch Herren gegenüber fühle. Es ist, als ob mich ein unsichtbarer Schutzwall umgibt, es ist so etwas frauenhaft Ruhiges über mich gekommen. Ist es nicht merkwürdig, daß die Menschen mich jetzt immer »Gnädige Frau« anreden? – dann erschreckt man, sieht in mein Gesicht und hält mich für zu jung dazu, und kehrt dann doch wieder zu dem Frauentitel zurück. Es muß doch etwas in meinem Wesen liegen, was mir den Schein gibt, als gehöre ich nicht mehr zu den Mädchen. Wie könnte es auch anders sein! Ist mir selbst doch immer zumute, als sei ich längst Deine Frau und jetzt nur durch eine Badereise von Dir getrennt.

Frau – und doch Mädchen! Der Seele nach eine Frau – irdisch noch ein Mädchen! Welch wundersames Zwitterwesen hast Du aus mir gemacht! Wie hast Du all mein Denken und Fühlen umgestaltet, Du seltsamer Mann! Wie bin ich innerlich gewachsen, seitdem ich Dich kennen und verstehen lernte! Ich fühle, daß ich erst durch Dich mich zu dem entwickele, was aus mir hat werden sollen, und so der Vollendung meines Daseinszweckes entgegen gehe.

Deine Franziska.

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Hochburg, 8.5.1901.

Du herrliche Frau!

Dieser entzückende Brief verlangt sofort ein »Extrablatt«. Wenn jemand, der gar nichts von Dir wüßte, diesen Brief läse, er würde bewundernd ausrufen: welcher Geist, welche Seele, welch großer Charakter!

Und nun gleich etwas recht Nüchternes: Da ich weiß, daß Du mir (neben dem großen) gern auch ein kleines Opfer bringst, schicke ich Dir heute beifolgendes Manuskript mit der Bitte um strenge kritische Revision. Streiche und bessere, was Du für gut hältst, und schicke es dann gleich an den Verlag.

Inzwischen haben sich nun auch meine Pfingstpläne geklärt. Da mein lieber holländischer Onkel sowohl wie mein Neffe beide nach Berlin kommen, will ich dort mit ihnen bei unserer prächtigen alten Tante zusammentreffen, deren frisches lebendiges Wesen und reges Interesse an allem Großen ihre 85 Jahre in 60 verwandelt und den unverwüstlichen Stahlcharakter meiner mütterlichen Familie glänzend bewährt.

Was würdest Du dazu sagen, wenn ich am Ende der Pfingstwoche von dort aus noch für zwei Tage nach Wiesbaden käme? Mit Bangen harrt der Antwort auf diese Frage

Dein Silberhäschen.

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Hochburg, 5.6.1901.

Dein Brief versetzt mich in einen Jubelrausch – nach Deiner bisherigen festen Ablehnung hatte ich das nicht mehr zu hoffen gewagt. Wie danke ich Dir, daß Du mir »den Erfolg der Kur ad oculos demonstrieren« willst! Aber mit den »einigen Stunden« auf einem Bahnhof begnüge ich mich nicht. Wir wollen an das Wartburgmärchen ein neues Thüringer Wald-Märchen anschließen und uns am Samstag Nachmittag in Friedrichroda treffen. Da gibt es schöne ebene Waldwege, das Hotel »Waldhaus« liegt selbst mitten im Park und Wald, und das nahe Jagdschloß Reinhardsbrunn ist ein Idyll, unserer würdig. – Meinem Verleger, der sich für Sonntag angemeldet hat, telegraphiere ich, daß ich für 3 Tage verreisen muß. A rivederci!

Paolo il felice.

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Altenhausen, 11.6.1901.

Mein geliebter Mann!

Ich bin noch ganz von dem Zauber umsponnen, der über unserem letzten Zusammensein vom ersten bis zum letzten Augenblick gelegen hat. Welche Liebestiefen tragen wir im Herzen und wie fest und heilig sind wir aneinander gekettet! Mit jedem Wiedersehen wird unsere Liebe reicher und tiefer. In Aßmannshausen dachten wir: darüber hinaus gibt es keine Steigerung! – und nun gab uns dieses Wald- und Schwanenidyll doch noch mehr. Wohin, in welche Höhe soll nur unsere Liebe noch wachsen?!

Ich sehe noch immer die stillen Wasser vor mir mit den wunderschönen Hainbuchen und den ruhig gleitenden Schwänen, und ich sehe Dich mit dem silberweißen Haar auf dem kleinen Steg stehen und den stolzen Schwan füttern – ein Bild im Bilde! Dann der entzückende Weg unter den Baumriesen, das Waldesrauschen, der stille Abend – wenn ich auf das Ganze zurückschaue, so meine ich, in ein Zauberland zu blicken, einen Roman zu lesen, dem keine Wirklichkeit entsprechen könnte.

Hier wurde ich mit stürmischem Jubel begrüßt; alle Geschwister sind jetzt wieder einmal daheim vereint, und die prachtvollen Jungens meiner Schwester bringen viel Sonnenschein ins Haus. Mamas Gesicht strahlt vor Stolz über ihre Enkel, augenblicklich aber noch mehr über mich – sie kann es gar nicht fassen, daß die Kur mich in der kurzen Zeit so weit geheilt hat, und weinte gestern viele Tränen vor Freude und Dankbarkeit.

Lebe wohl, mein Paul, und bleibe mein Heiligtum für Zeit und Ewigkeit!

Dein Eigen.

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Schloß Altenstein, 4.8.1901.

Meine teure Frau Herzogin!

Da sitze ich in der sonnigen Morgenfrühe des Sonntags nun wieder in demselben reizenden Parterre-Erkerzimmer, vor mir den farbigen Blumengarten, an demselben Palisander-Schreibtisch, an dem ich Dir vor 2 Jahren den langen, langen »Altensteiner Brief« mit den berühmten »drei Fällen« schrieb! Ob Du wohl, wenn nochmals 2 Jahre vergangen sein werden, an meiner Seite sitzen wirst, wenn die Herzogliche Equipage (mit Jäger!) mich von der Station abholt?! Welche süße Hoffnung!

Liebste, beste Franziska, was bist Du mir in diesen zwei Jahren geworden! Mein Glück und mein Sonnenschein, mein Trost und mein Halt in der Misère des Alltaglebens, gegen die mir energische Arbeit jetzt nicht mehr so, wie in früheren Jahren, den Schutz vor Verzweiflung bieten würde!

Keiner von den »drei Fällen« ist eingetreten. Wir müssen zwar äußerlich noch getrennt bleiben, aber innerlich sind wir so fest mit den Wurzeln unseres Daseins ineinander gewachsen, daß uns Nichts mehr trennen kann. Was haben wir in diesen zwei Jahren an Glück und Leid alles erlebt! Wenn ich bedenke, daß unser romanhaftes Schicksal uns bisher nur 15 Glückstage des persönlichen Zusammenseins gegönnt hat, dann will mir dieser reale Roman ganz unglaublich erscheinen.

Am Mittwoch begleite ich meine Frau und Tochter nach Bad Elster, für das sie sich nach wochenlangem Schwanken, ob sie nach der Ostsee oder nach Bad Driburg gehen sollten, nun entschlossen haben. Von da aus will ich ins Fichtelgebirge und dort zum Ferienanfang ein paar Tage wandern. Innigen Gruß Deines

Paolo.

*

Hochburg, 12.8.1901.

L. Fr.!

Das war eine kurze Ferienreise – gerade 36 Stunden! Du vermutest mich auf der Wanderung im Fichtelgebirge – statt dessen war ich in Schwarzburg; vorgestern Morgen 10 Uhr fuhren wir hin und gestern Abend um 10 waren wir schon wieder hier!

Als ich Montag Abend daheim anlangte, überraschte mich meine Frau mit der Nachricht, daß sie Bad Elster wieder aufgegeben und die dort bestellte Wohnung schon abgeschrieben habe. Nun wurde beschlossen, Samstag nach Schwarzburg zu fahren. Ich nahm dort für meine Damen zwei sehr schöne Zimmer (ich selbst schlief in einem bescheidenen Hinterzimmer) und war froh, daß es ihnen dort gefiel. Der Sonntagmorgen war herrlich; ich war schon um 5 Uhr auf den Beinen und ging nach dem Trippstein, der eine berühmte Aussicht auf das Tal bietet; nach meinem Frühstück saß ich unten im Grunde und malte zwei Aquarellskizzen. Als ich dann meine Damen begrüßte, fand ich sie zu meinem nicht geringen Erstaunen beim – Einpacken! Die Betten waren ihnen nicht gut genug, die Unruhe im Haus sei unerträglich, der Zimmerkellner gefiel ihnen nicht und, was weiß ich, noch alles; sie wollten schon am selben Nachmittag wieder nach Haus. Und so geschah es natürlich – das Endresultat wochenlanger Reisepläne und -vorbereitungen!

Ich bin an solche Katastrophen ja längst gewöhnt und ertrage sie mit Resignation, schreibe Dir auch nie solche Einzelheiten; in diesem Falle tue ich es auch nur, damit Du einmal siehst, wie ich mich in Geduld üben muß, und nicht etwa glaubst, meine häufige Klage über meine »häusliche Misère« sei nur eine Phrase, welche ich mir angewöhnt hätte.

Die nächsten Wochen bis zur Hochzeit meines Sohnes sollen nun in absoluter Ferienstille ganz den »Wundern der Schöpfung« und dem Auspacken und Ordnen meiner Reisetrophäen, die gut hier angekommen sind, gewidmet sein. Besondere Freude macht mir mein Korallenschatz, an welchem, da ich den weitaus größten Teil selbst gesammelt habe, viele schöne persönliche Erinnerungen haften. Ich werde Dir eine Kiste mit einer Auswahl der schönsten und interessantesten Arten senden und denke mir, es wird Dir später in der Einsamkeit Deines Klosters eine liebe Unterhaltung sein, diese herrlichsten Gebilde der »Blumentiere« zu studieren und zu genießen. Glaubst Du wirklich, daß schon im nächsten Jahre die Stelle im Stift für Dich frei wird?

Heute beginnt nun der große Kongreß. Ich sollte dabei eine Hauptrolle spielen, habe mich aber nach reiflicher Überlegung entschlossen, abzulehnen; ich hätte mich dabei zu sehr aufgeregt und angestrengt – mehr als meinem jetzt so schwachen Herzen gut ist. Nun kommen mir aber doch wieder Skrupel, ob das richtig war – ich hätte der guten Sache doch viel nützen können. Viel wichtiger ist mir jetzt aber die Frage, ob ich in den nächsten Wochen auf einen »Kongreß« mit meiner geliebten Regina hoffen darf – bitte flüstere ihr das ins Ohr als den sehnsüchtigen Wunsch Deines

Paolo.

*

Altenhausen, 14.8.1901

... Ich kann mich so gut in Deine Seele versetzen, mit welchen Empfindungen Du jetzt die Berichte über den Kongreß lesen wirst. Dabei schleicht sich so leicht der Gedanke ein, daß man schon zum alten Eisen geworfen wird, und das ist doppelt schwer, wenn man die Rolle des Führers gespielt hat, wie Du es tatest und noch tust. Aber bedenke: ein General kann nicht im Handgemenge sein, sondern leitet vom sicheren Posten aus die Schlacht. So Du! Darum freue ich mich, daß Du nicht hingegangen bist. Wie leicht könnte ein Wort der Gegner Dich zu einer unüberlegten Antwort reizen, die Deiner Sache nur schaden würde! Ein Schweigen zur rechten Zeit wirkt oft mehr als alle Kampfesreden. Du gabst der Welt Dein Bestes – nun mögen sich die Anderen streiten – ohne Dich, ob Du recht oder unrecht hattest. Mag sich dereinst manches von Deiner Weltauffassung als noch nicht abgeklärt, ja als irrig erzeigen – die Größe und den Idealismus können Dir wahrhaft ernste, vorurteilsfreie Denker nie bestreiten.

Große Menschen verstehen oft so schwer, den rechten Zeitpunkt zu finden, wo sie der Welt genug gesagt haben, wo alles, was sie noch geben können, zurückfällt gegen viel Besseres aus der Zeit ihrer vollen Kraft. Denke an Bismarck, der nach seinem Abgang selbst noch seinen Ruhm schmälerte. Ich bitte Dich, Paul, bleibe Du groß bis zum Ende! –

Die Aussichten für einen »Regina-Kongreß« stehen leider schlecht. Wir werden bis in den Oktober hinein das Haus voll Gäste haben – da kann ich nicht fort. Jetzt sind der Onkel Graf und die Gräfin hier, dann kommt der Maleronkel mit Familie, der sich schon darauf freut, mit mir wieder recht tüchtig zu malen. – Wie oft denke ich an unser erstes gemeinsames Malen am Schwanenteich zu Reinhardsbrunn!

Mit Rücksicht auf unseren Besuch bitte ich Dich, die Korallenkiste jetzt wenigstens nicht zu schicken – ich könnte ihre Ankunft doch nicht verheimlichen. Aber ich bitte Dich überhaupt: schicke mir nicht solchen Schatz, sondern nur ein paar kleinere schöne Stücke, über die ich mich innig freuen werde. Aber eine größere Sammlung – wo sollte ich die lassen? Ich dürfte sie ja keinem zeigen, weil jeder gleich fragen würde: wie kommst du dazu? An derlei Schwierigkeiten denkst Du lieber weltferner Idealist in Deiner unendlichen Güte, die mir nur Liebes erweisen will, gar nicht.

Ach dieses stete entsetzliche Heimlichtunmüssen! Meine arme Mutter weiß allein Bescheid und ergibt sich mit stillem Kummer in das Unvermeidliche – alle anderen aber dürfen bei der Unsicherheit unserer Zukunft doch um Deinet- und meinetwillen nichts davon wissen. Wenn Du ahntest, welche Qual es ist, stündlich sich verstellen zu müssen! Wenn wir abends zusammensitzen und ich schweigend zuhören muß, wie über die Leute scharf hergezogen wird, die sich vom »Kirchenglauben« abgewendet haben! Ich bin der angebetete Liebling von Onkel und Tante, aber ich weiß, daß sie mich verachten würden, wenn sie ahnten, daß ich Dir angehöre. Und so wird es mein Leben lang weiter gehen. Im Kloster mit den alten, strenggläubigen Stiftsdamen – wieder heucheln müssen! Freilich das Gute wird das Klosterleben wenigstens haben, daß ich dann doch äußerlich mein freier Herr bin, reisen kann, wann und wohin ich will. Es ist aber noch ganz unbestimmt, wann die Stelle für mich frei wird.

Liebster! ich frage mich oft, ob es recht ist, daß ich Dir so große Liebe schenke, daß meine Briefe an den Mann einer anderen Frau oft so voll warmer Zärtlichkeit sind. Die Welt würde mich wohl verdammen – aber mein heiligstes Empfinden sagt mir, daß ich kein Unrecht begehe, und ich würde furchtlos vor einen richtenden Gott treten. Handele ich schlecht, so geschieht es nicht aus Liebe zum Bösen, sondern zum Guten.

Nur Eins könnte mich wankend machen: wenn ich je befürchten müßte, Deiner Frau etwas zu nehmen, Dich in Deiner Geduld und Deinem Mitleid für sie erlahmen zu lassen, anstatt Dir neue Kraft zu geben. Fühlst Du jemals, daß Du den jetzigen Zustand nicht mehr tragen kannst, so laß uns von einander gehen und schweigend, getrennt von einander, fortleben. Solange ich Dir aber helfen kann und darf, laß mich Dein Seelenleben mit Dir teilen! In treuer Liebe

Deine Franziska.

— — —

Sonthofen, 21.10.1901.

Liebe Fr.!

Mein kurzer Gruß hat Dir schon gesagt, daß ich von der Hochzeit gleich zu meinem Freund und Gönner Ritter gefahren bin, der mir schrieb, er habe persönlich mir eine »wichtige Mitteilung« zu machen. Heute will ich Dir diese – vorläufig als strengstes Geheimnis! – anvertrauen. Ritter hat in seiner enthusiastischen Verehrung für mich 100 000 Franken ausgesetzt, um in Hochburg ein Denkmal von mir in Erz (Standbild, ganze Figur) zu errichten. Ein Komitee von 5 Vertrauenspersonen soll über die Ausführung beschließen und wachen. In erster Linie werde ich Dich für dieses Komitee bestimmen. Was sagst Du dazu?

Ich verlebe hier jetzt ein paar schöne Tage bei meinem Sohne, der in seinem jungen Eheglück schwelgt. Mit einem wunderlichen Gemisch von väterlicher Freude und stillem Neide sehe ich das an – Du wirst mich verstehen, aber es ist sonderbar, wie in einem Roman.

Das folgende Gedicht stammt von Pettenkofer, kurz bevor er, 82 Jahre alt, seinem Dasein und Leiden ein Ende machte. Auch das wirst Du verstehen, warum ich Dir gerade dieses Gedicht, das mir in München mitgeteilt wurde, aufgeschrieben habe.

Ich fühl's, ich bin nicht für die Welt geboren,
Ich könnte sonst sie nehmen, wie sie liegt;
Hätt' nie an Traumgestalten mich geschmiegt,
An die mein Herz unrettbar nun verloren.

Zu sehr verweichlicht hab' ich meine Ohren,
Mit sanften Melodien sie nur umwiegt.
Wie falsch! Ein wildes Kampfgeschrei durchfliegt
Die Welt, und Harmonie ist Traum der Toren!

O glücklich, wer ein kleines, niedres Haus
In eines Tales Grund sich könnt' errichten,
Nichts hört' als Vogelsang und Waldgebraus!
Entfesselt schnöden Zwangs und harter Pflichten,
Zög' ich des Lebens schwere Rüstung aus
Und schlummerte im Schatten hoher Fichten!

*

Altenhausen, 24.10.1901.

Also »auch Du, mein Sohn Brutus?«! Es war immer mein Stolz, daß der weltberühmte Mann doch ein so schlichter Professor geblieben war, der, allem äußeren Schein abhold, trotz der vier Berufungen an große Universitäten sein liebes Hochburg nicht verlassen mochte. Und nun willst Du wirklich Dich zu Deinen Lebzeiten in Erz vor Dein Institut hinstellen lassen und jeden Tag da Dich selbst in Positur stehen sehen?

Lieber Paul, das hast Du noch nicht recht bedacht – die Idee hat Dich überrascht und zunächst etwas geblendet. Mein liebes großes Kind freut sich so unbefangen an seinen Triumphen und denkt gar nicht daran, daß er hier den Menschen einen Anlaß geben könnte, ihn für eitel zu halten. Du brauchst kein Denkmal von Erz in Hochburg – im Herzen der Besten der Nation, der Welt soll und wird Dein Denkmal sein.

Ich freue mich mit Dir der großen Verehrung und Güte, die in dem Plane Deines Freundes liegt. Aber wäre es nicht viel schöner und edler, wenn er die große Summe zu einer Stiftung verwendete, die Deinen Namen trägt? Mir widerstrebt es, daß Du zu Deinen Lebzeiten da als totes Schaustück ausgestellt werden sollst – vollends in unserer Zeit, wo jetzt jedes alte Kamel in Marmor oder Erz verewigt wird.

Verzeih, daß ich so offen rede – Du wirst mich vielleicht wieder einmal eine unmoderne alte Gouvernante schelten. Aber wer abseits vom Wege lebt, wie ich es tue, bewahrt sich über manche Dinge ein gesunderes Urteil, das dem der Allgemeinheit, die mit der Mode mittrottet, fremd gegenübersteht. Übrigens können meine Worte ja gar nichts anderes wollen, als daß Du Dir die ganze Idee erst noch einmal ruhig und reiflich überlegst.

Über das ergreifende Gedicht Pettenkofers und alles andere schreibe ich baldigst; heute wollte ich Dir nur schnell meine Ansicht über die Denkmalsfrage und einen herzlichen Gruß zur Heimkehr sagen.

Deine Franziska.

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Frankfurt am Main, 31.12.1901.

Meine geliebte Franziska!

In dieser stillen Morgenstunde, die mir mein Gastfreund heute freiläßt, laß Dir nochmals aus tiefstem Herzen danken, daß Du dieses Wiedersehen kurz vor Jahresschluß doch noch ermöglicht hast. Es hat mir mitten im Winter den Frühling ins Herz gegossen. War es auch nur ein halber Tag und kein Rhein- oder Wald-Märchen – dazu war das Bahnhofshotel doch zu öde –, so hat doch gerade dieses Beisammensein uns gezeigt, wie unsere Liebe und unser Glück von allen äußeren Umständen ganz unabhängig ist. Die süße Harmonie dieser Stunden tönt noch unaufhörlich in meiner Seele nach.

Gestern habe ich mit Freund Ritter einen mehrstündigen heißen Kampf gehabt. Den Gedanken einer Stiftung statt des Denkmals lehnt er strikt ab, und sein Denkmalsplan wird immer abenteuerlicher. Er will mich in Überlebensgröße, womöglich dreifacher Größe, in Erz verewigt sehen, in der Toga und Haltung des Empedokles, einen goldenen Lorbeerkranz auf dem Haupt. Nur mit vieler Mühe gelang es mir, meinem enthusiastischen Gönner diese phantastische Idee auszureden und ihn für das vernünftige Projekt zu gewinnen, welches Heinrich und ich in den Weihnachtstagen mit dem Bildhauer Magnussen entwarfen und das nun durch Deine feinsinnigen Anregungen noch so viel gewonnen hat. So hat die heikle Idee nun wohl eine erträgliche Form bekommen.

Glück auf zum neuen Jahre! Weißt Du, was ich mir von ihm wünsche? Die Erfüllung des Traumes, den ich heute Nacht hatte: der Mönch aus der Hochburger Klosterzelle und die »Chanoinesse« aus dem Adligen Damenstift auf einer gemeinsamen Pilgerfahrt nach Italien im Herbst 1902! Lebewohl, Du Liebste, Beste!

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Altenhausen, 13.1.1902

... Auch meine Gedanken sind noch immer bei unserem lieben Weihnachtsfest am 29. Dezember. Eine lustige kleine Beobachtung, über die ich immer noch lächeln muß, möchte ich Dir doch noch beichten. Als wir neulich am Kaffeetisch saßen, passierte Dir ein Fleck auf das weiße Tischtuch. Ein Blick flog zu mir herüber: »hat sie's gesehen?« – dann flink Brotstückchen darauf gelegt. O Du Tor, werde rot und schäme Dich! Nicht über den Kaffeefleck, sondern daß Du so kleingläubig gegenüber meiner Liebe bist. Ist sie denn ein so zerbrechlich Ding, daß sie sich von Äußerlichkeiten leiten läßt? Sei Du und bleibe, wie Du bist – einen Eichenbaum beschneidet man nicht wie Formobst.

Mir geht noch immer Deine Idee für die Schlußtafel der »Wunder« im Kopfe herum. Sie soll doch gewissermaßen die Krönung dieses Schönheitswerkes werden. Darum erscheint mir der Gedanke gut, das Ideal einer weiblichen Gestalt zu ihrem Mittelpunkt zu machen. Aber daß Du diese Gestalt mit Affen umgeben willst, will mir nicht in den Sinn. Überleg's noch einmal! Ich bitte Dich darum ...

P. S. Was ist das eigentlich für ein Wappen, mit dem Du zuweilen siegelst? Stammst Du aus altem Patriziergeschlecht?

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Hochburg, 17.1.1902

... Du fragst nach dem Wappen, mit dem ich öfters siegele. Es ist das alte Wappen meiner mütterlichen Familie; mein Großvater stammte aus einem alten holländischen Patriziergeschlecht. Mein Großvater Kämpfer (schlesischer Gutsbesitzer) hingegen stammt von Salzburger Bauern (Emigranten) ab. Übrigens war die eine meiner Urgroßmütter eine geb. von Nordmann – vielleicht beruhigt das Dein Interesse an meiner Abstammung etwas.

Am Montag und Dienstag war der Bildhauer Magnussen hier. Er war von dem Dir wohlbekannten Platz vor dem Institut, wo das Standbild stehen soll (sich im »Nymphaea«-Teiche spiegelnd), ganz entzückt und ergreift seine Aufgabe mit Begeisterung. Als Sockel will er einen Granitblock nehmen, als Kostüm, Deiner Anregung folgend, den Wandermantel; seine Idee ist, daß ich, in der Hand den Wanderstab, eben eine Berghöhe erklommen habe und weit in die Ferne schaue. Da mein schwärmerischer Verehrer hartnäckig auf seinem Plane besteht und von dem Vorschlag, statt des Denkmals eine Stiftung zu gründen, nichts hören will, bin ich froh, daß die unvermeidliche Apotheose nun wenigstens praktisch in eine gute Bahn gelenkt ist.

In den Osterferien muß ich dann auf einige Tage nach Berlin, um bei Magnussen »Modell zu stehen«. Dabei hoffe ich im Stillen auf einen Abstecher gen Westen; ich möchte gern ein sehr kluges und sehr kunstsinniges »altes Fräulein« über die »Wunder der Schöpfung« konsultieren. Wie wertvoll ist für mich wieder Deine offene, tiefeindringende Kritik des neuen Heftes! Ich danke Dir, daß Du Dich trotz Deiner Influenza dieser mühevollen Arbeit unterzogen hast. Ich verfüge übrigens jetzt auch über einen ganz respektablen Katarrh – merkwürdig! sogar die Fehler unserer Uhrwerke gehen im gleichen Tempo!!

Mit ganzer Energie stürze ich mich jetzt auf die zusammenhängende Vollendung der »Wunder der Schöpfung«. Die Arbeit ist mir so lieb, weil ich dabei immer an Dich denken darf und Deinen feinen Schönheitssinn meine schwachen Versuche verbessern höre. Oft meine ich, Dich leibhaftig an dem Arbeitstische sitzen zu sehen, an dem wir an dem unvergeßlichen 16. Juli zusammen Böcklin bewunderten – das erstemal, daß ein weibliches Wesen an diesem allerheiligsten Altar im Tempel der Wissenschaft verweilen durfte!

Die Dir bedenkliche Schlußtafel – in der Dein Bild die Hauptrolle spielen sollte! – wird mir noch viel Kopfzerbrechen machen. Ich möchte die Frauenfigur (als höchste Schönheit) nicht allein der phyletischen Entwicklung zu Liebe mit anderen Primaten (Affen und Halbaffen) umrahmen, sondern auch um die Schönheit durch den Kontrast um so stärker zu heben. Diese malerische und charakteristische Gruppierung der Formen (in ihrer morphologischen und stammesgeschichtlichen Beziehung!) kann auch allein dem Schlußbilde Interesse verleihen, denn schöne Frauenkörper sind ja schon zu Millionen abgebildet – schöner, als ich sie geben kann. – Ich grüße Dich, Du köstlichstes, liebstes, schönstes »Wunder der Schöpfung«

Dein Paul.

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Altenhausen, 20.1.1902.

So hat mein lieber Freigeist also doch auch ein Quentchen blaues Blut in seinen Adern! Ich werde mal in unserem Stammbaum nachsehen – vielleicht ist da auch eine Nordmann dabei, und wir sind am Ende gar blutsverwandt – worauf Du aber wohl weniger Gewicht legen wirst als auf unsere Wahlverwandtschaft?

Eigentlich ist's mir heute gar nicht zum Scherzen. Eine schwere Woche liegt hinter mir. Meine Schwester hatte an einen reichen Herrn in Amerika, der hier in Altenhausen geboren ist, geschrieben, ob er nicht etwas für unsere Kirche geben wolle. Darauf kam jetzt die Antwort: das tue er nicht, weil er ganz antikirchlich und ein Anhänger von Paul Kämpfer sei. Darüber ist Mama nun ganz außer sich geraten, und wir haben bittere Szenen gehabt – zum erstenmal habe ich sie dabei ahnen lassen, daß ich selbst sehr frei denke. Meine arme Mutter ist nun darüber wie versteinert. Ihre Liebe treibt sie immer wieder zu mir, aber doch wird die Kluft nach und nach größer. Wie sie den Tag ertragen würde, an dem ich von ihr zu Dir ginge, weiß ich nicht. Nun quäle ich mich halbe Nächte mit den schwersten Gedanken. Nach keiner Seite ein Ausweg, ein Lichtschimmer – überall innere Konflikte und Hoffnungslosigkeit. Manchmal denke ich: wie ahnungslos bist du, Glück heischend, in dein dunkles Schicksal hineingelaufen!

Ach Paul, mir ist immer so traurig ums Herz, daß Dein Name so mit der Idee der Ausrottung des Christentums verknüpft wird. Ich weiß, daß man Dir Absichten unterschiebt, die nicht in Deinem Willen lagen, aber – kennst Du das kleine Gedicht von der Gärtnerin, die zur Biene sagt, sie solle sich hüten, denn »manche Blume trägt auch Gift«? Das Bienchen antwortet: »Das Gift laß ich darin.« So das Insekt. Die Menschen aber machen's umgekehrt, sie suchen sich den Giftstoff aus den edelsten Blüten. In Deiner Weltanschauung sehen sie nicht die Größe, die Himmel und Erde verbindet, sondern sie graben eifrig nur nach dem, was verneint.

Könntest Du das letzte Blatt der »Wunder« nicht von Lenbach entwerfen lassen? Ihm würde es eine Ehre und Freude sein, und Du kämest zu einer Tafel, die mit der zarten Huldigung für die Frauen zugleich einen würdigen Beschluß Deines herrlichen Werkes bildete. Wie Du siehst, bin ich obstinat – mir wollen Deine Primaten nicht in den Kopf. Dein Werk will uns doch die verborgene Schönheit der Natur offenbaren. Mag der Affe noch so hoch entwickelt sein – für eine Schönheit hältst doch auch Du ihn nicht! Und wozu diese Affenverherrlichung? Doch nur, um Deinen Standpunkt zu betonen! Den kennen die Menschen doch auch ohne dies, dazu bedarf es nicht, daß Dein Schönheitswerk mit einer häßlichen und verletzenden Tafel abschließt. Denn ich bin überzeugt, daß nicht nur viele Frauen, sondern gerade auch Männer sich durch diese Zusammenstellung in ihrem feinsten Empfinden verletzt fühlen werden. Doch genug hiervon! Ich möchte Dich nicht beeinflussen in einer Sache, die Du besser verstehen mußt, und deshalb antworte mir auch nicht weiter darauf ...

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Hochburg, 22.1.1902.

Meine teure Franziska!

Dein eben eingetroffener Brief erfüllt mich mit tiefem Schmerze darüber, daß Du um mich so schwer in Deinem frommen Familienkreise zu leiden hast. Kannst Du Deiner lieben Mutter nicht begreiflich machen, daß meine Weltanschauung keine andere ist als die von Spinoza, Goethe und Friedrich dem Großen? daß ich aus reinster Überzeugung an meinem ehrlichen Glauben ebenso festhalten muß, wie sie an ihrem christlichen, wie Millionen Andere an ihren so verschiedenen »Glauben«?

Über meine Stellung zum Christentum bist Du Dir durch unsere offenen Gespräche und meine Bücher hinreichend klar. Du weißt, daß ich den hohen sittlichen und praktischen Wert seiner Ethik sehr hoch schätze (wenn auch diese Lehren viel älter sind als Christus). Aber Du weißt auch, daß ich als ehrlicher Forscher und Denker das ganze Wundergebäude der christlichen Glaubenslehre verwerfen muß, daß ich namentlich an die drei großen Zentraldogmen nicht glauben kann. Ich kenne die Welt leider zu gut und sehe die Geheimnisse der Natur leider zu klar, um mich durch mystischen Weihrauch betäuben zu lassen. Daß die blind Gläubigen (Christen ebenso wie Mohammedaner und Buddhisten) glücklicher sind in ihrer Täuschung, in ihrer Hoffnung auf das bessere Jenseits, als wir denkenden kritischen Vernunftmenschen, mag in gewissem Sinne richtig sein – aber besser sind sie deshalb nicht.

Zum Sonntag mehr. Innigen Gruß!

Dein Paul.

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Hochburg, 24.4.1902

... Diese unselige Denkmalsgeschichte ist nicht nur die Ursache gewesen, daß ich auf die paar Wochen Italien verzichten mußte, sondern sie hat mir auch die zweite Ferienhälfte gründlich verdorben. Diese fortgesetzten unerquicklichen Vermittlungsbriefe haben mir die ganze Sache zuwider gemacht. Ritter beharrt eigensinnig auf seiner Ablehnung des Magnussenschen Modells, das dank Deinen Anregungen doch so hübsch geworden ist. Ich bin nun Deinem Rate gefolgt und habe Ritter geschrieben, er möge doch direkt mit dem Künstler verhandeln – eventuell das ganze Projekt aufgeben.

Um mich von all dem Ärger einmal auszulüften, habe ich heute eine große einsame Wanderung unternommen, mit unserer Klostermühle seligen Andenkens als Ziel. Trotz des entzückenden Frühlingswetters mit wolkenlosem Sonnenhimmel, Vogelsang und Frühlingsblumen begegnete ich auf der ganzen Wald-Wanderung keinem Menschen. Um so ungestörter konnte ich mich ununterbrochen mit Dir beschäftigen und an die Tage denken, die uns im vorigen Jahre nach der langen Trennung und den bösen Zweifeln so herrlich zusammenführten. Denke am nächsten Sonntag an unser Rhein-Märchen!

Ach, wie schön ist doch diese formen- und farbenreiche Welt, und wie stehst Du für mich im Zentrum aller Schönheit, aller Güte, aller Liebe! Ich gehe mit gutem Mut in das neue Semester. Bleibe Du mir auch in ihm meine gute Fee, meine »heilige Frau«!

Dein Paolo.

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Hochburg, 15.7.1902

... Anfang August, vor meiner Wanderung in Tirol, möchte ich endlich meinen längst versprochenen Besuch »auf dem Hügel« ausführen, nachdem ich heute von dort die Nachricht empfing, daß diese Zeit gut passe. Damit ist die Frage brennend geworden, ob Du mir gelegentlich dieser Reise das Glück eines Wiedersehens gönnen willst und kannst, vielleicht könnten wir uns im Harz oder auch im Teutoburger Wald (den ich noch nicht kenne) vor oder nach jenem Besuche für einige Tage treffen? Ich will Dich um diese »Stunden des Glücks, Stunden der Ruhe« nicht bestürmen, weiß ich doch, welche Bedenken und Hindernisse ihnen entgegenstehen – ich bitte Dich nur und lege, in sehnsüchtiger Hoffnung, die Entscheidung in Deine Hände ...

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Altenhausen, 2.8.1902.

Mein teurer Paul!

So haben sich die Wogen, zu denen die Stürme seit meinem »bösen« Brief vom 17. Juli die Wellen unserer Liebe aufgewühlt hatten, nun wieder besänftigt! Ich beklage es noch heute, daß ich Dich durch meinen Brief so schwer gekränkt habe, daß Du ihn in Deiner Enttäuschung über meine Absage als »Scheidungsbrief« auffassen konntest. Das geschriebene Wort klingt und wirkt oft so ganz anders, als es gemeint ist. Aber vergiß auch nicht, wie hart mein Los ist – dann kannst Du Dich nicht wundern, daß ich die mädchenhafte Weichheit allmählich einbüße und auch einmal bitter werde. Und ich mußte es Dir doch einmal ganz offen und klar sagen, daß es nicht angeht, daß Du mich zu heimlichen Zusammenkünften am dritten Ort aufforderst – jetzt, wo das nur durch eine direkte Täuschung meiner Mutter geschehen könnte. Das mutet kein vor aller Öffentlichkeit verlobter Bräutigam seiner Braut zu – nur Mätressen tun so etwas. Doch wir wollen das Lied nicht noch einmal von vorn anfangen – es kommt nichts dabei heraus, wenn Menschen, die sich lieb haben, mit einander rechten.

Ich danke Dir aus tiefstem Herzen, daß Du mir über die »tiefe Kluft«, die sich aufgetan, die treue Hand reichst, die ich fest fasse. »Die Liebe überwindet alles.« Wenn im Herbst die Hochzeit in Altenburg stattfindet und ich hinfahre, wollen wir uns wiedersehen. Eine solche Gelegenheit zu einer Begegnung zu benutzen, erscheint mir viel weniger bedenklich, als wenn ich mich um einer Zusammenkunft willen von Haus wegstehlen müßte.

Unbeschreiblich leid tut es mir, daß Dr. Ritter so starrsinnig ist. Nicht, weil das Denkmal nun unausgeführt bleibt – Du weißt ja, daß ich von Anfang an dagegen war, und nur aus der Not eine Tugend machend habe ich geholfen, die unmögliche Idee in eine sinnige und geschmackvolle umzugestalten. Aber daß Du schreibst: »So geht ein alter Freund nach dem anderen verloren« – das empfinde ich mit Dir bitter. Wäre ich an Deiner Stelle, so suchte ich den alten Freund auf, um, ohne das Denkmal überhaupt zu erwähnen, die Freundschaft zu retten. Vergiß nicht, wie lieb und treu er zu Dir war!

Und nun reise wohlgemut nach dem stolzen »Hügel«, nimm das »Martyrium«, mir nahe zu sein, ohne mich sehen zu können, nicht so schwer, und fliege dann fröhlich in die Alpen, wohin Dich in Gedanken begleitet Dein treues

Schwälbchen.

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A., 16.8.1902.

Hochverehrter Herr Kollege!

Hoffentlich findet Sie dieser Brief im schönen Sonthofen. Lassen Sie sich vor allem sagen, wie aufrichtig ich es bedauert habe, Sie bei Ihrer Durchreise nicht begrüßen zu können – ich glaube, es würde Ihnen bei mir gefallen haben. Sodann liegt mir als Ihrem alten Freunde am Herzen, Sie dringend zu ermahnen, sich auf Ihrer Alpenreise keine großen Strapazen zuzumuten; bei Ihrer Schwäche des Herzmuskels ist jedes Übermaß, zu dem Sie Ihre beneidenswerte Jugendfrische so leicht verleitet, von Übel. Und Sie müssen sich der Wissenschaft und Ihren Lieben doch so lang als möglich frisch und gesund erhalten. Ruhen Sie sich zunächst mal recht schön bei Ihrem Herrn Sohne aus und lassen Sie sich von der prächtigen Schwiegertochter ein bißchen verziehen!

Ich bin in diesem Sommer leider ganz an mein Haus gefesselt, finde aber in meinem schönen Garten viel Freude, besonders an der Rosenzucht. Schade, daß ich Ihnen die von mir gezüchtete hochedle Rose nicht habe zeigen können: schneeweiße zarte Blüte mit rotem Laub – ein Sinnbild zarter Weiblichkeit.

Bei »Weiblichkeit« fällt mir etwas ein, was ich Ihnen schon längst mitteilen wollte. Als ich im Juni bei Ihnen war und auf der Rückreise unsere liebe alte Rosenburg besuchte, fand ich dort eine Verehrerin von Ihnen, die sich Frl. von Altenhausen nannte – ein etwas extravagantes Frauenzimmer mit hängenden Locken und einem Kneifer auf der ziemlich dicken Nase. Sie war aus dem einen Fenster nicht fortzukriegen, von dem sie behauptete, dort hätte Goethe gesessen und dort hätten Sie ihr ein freundliches Wort gesagt und sich auch in ihr Gedenkbuch eingeschrieben. Gewiß hat sie das alles selber, frei nach Goethe, erdichtet. Solche Weiber sind schrecklich. Wenn Sie, verehrter Kollege, in Ihrer Herzensgüte dem Frauenzimmer nicht gerade den Rücken gekehrt haben, so bildet sie sich nun womöglich ein, Ihre Freundschaft zu besitzen.

Ich bin glücklich, das von mir mit besserem Recht sagen zu können, und verbleibe in alter Verehrung Ihr getreuer

Dr. Franz Schwalbe

Der ganze Brief ist – das muß jetzt bemerkt werden, weil er vielfach nicht verstanden worden ist – ein Scherz von Franziska, genannt Schwälbchen..

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Sonthofen, 19.8.1902.

Sehr geehrter Herr Kollege!

Haben Sie besten Dank für Ihren Brief, der gestern gleichzeitig mit mir hier eintraf. Glauben Sie mir, es ist auch mir eine harte Entbehrung gewesen, Sie auf meiner Vorbeireise nicht begrüßen zu können. Um so mehr freue ich mich darauf, bei der nächsten Gelegenheit Ihre Rose mit der »schneeweißen zarten Blüte« schauen zu dürfen.

Meine Reise ist bisher sehr glücklich verlaufen. Nach den interessanten Tagen »auf dem Hügel« wanderte und malte ich einige Tage im Vulkangebiet der Eifel; das einfache Malerwirtshaus Heck in Gerolstein war ein merkwürdiger Kontrast zu dem fürstlichen Aufenthalt im Schlosse Krupp – mir aber gerade sehr behaglich. Dann über Straßburg und den Bodensee hierher, wo ich mich jetzt einige Tage in der Liebe meiner Kinder sonne.

Für Ihre wohlgemeinte Ermahnung danke ich Ihnen. Es ist aber merkwürdig: sobald ich aus meiner gewohnten Umgebung heraus bin, überkommt mich eine Unternehmungslust und Leistungsfähigkeit, um die mich mancher dreißig Jahre Jüngere beneiden könnte. Erschrecken Sie also nicht über mein weiteres Programm: Val di Genova, Madonna di Campiglio, Tonalepaß, Iseosee.

Höchst interessant war mir Ihre Mitteilung über das Fräulein von Altenhausen. Zufällig machte ich gerade vorgestern auf dem Bodensee die Bekanntschaft eines jungen Malers, namens Wolfgang, der diese Dame auf einer Rheinfahrt in Aßmannshausen zufällig auch kennen gelernt hat und der mit solcher Verehrung und Bewunderung von ihr sprach, daß ich fast vermute, er hat sich in sie verliebt. Das war mir deshalb interessant, weil ich Ihnen bekennen muß, daß auch auf mich kaum je ein weibliches Wesen einen solchen Eindruck gemacht hat, wie diese reizende Frau – nicht »schön« im gewöhnlichen Sinne, aber welcher Geist! welch seltene Verbindung von reiner holder Weiblichkeit, Zartgefühl und hinreißender Anmut mit männlicher Seelenstärke und voller Geistesfreiheit! Ich war so von dieser »Hexe« bezaubert, daß ich – der kalte Weiberfeind und Verstandesmensch – nicht unterlassen konnte, ihr beim Abschied die Hand zu küssen. Sie sehen: »Alter schützt vor Torheit nicht!« Bemitleiden Sie darob Ihren alten Toren

Paul Kämpfer.

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Garbo, 8.9.1902.

Meine teure Regina!

Seit vorgestern bin ich hier in dem kleinen »Albergo di Garda«, der richtigen einfachen und poetischen Malerkneipe, so ganz nach meinem Geschmack, und ruhe an meinem alten Lieblingssee von den Strapazen meiner Wanderfahrt aus – allerdings bei afrikanischer Hitze. Um so köstlicher ist das Schwimmen in der kristallklaren Flut des blauen Sees. Heute hatte ich in der poetischen Villa der Gräfin Guarneri auf dem malerischen Vorgebirge San Vigilio ein romantisches Abenteuer. Als ich dort einsam am Seeufer saß und malte, überraschte mich die Gräfin; sie fand an meinen Skizzen großes Gefallen, war sehr liebenswürdig, erquickte mich auch mit köstlicher Limonade und lud mich zu längerem Wiederkommen ein – wirst Du eifersüchtig?

Diese ganze Reise hat mich sehr befriedigt – nur daß mir immer das Beste an meiner Seite fehlte, meine holde Nymphaea! Die achtstündige Wanderung durch die wilde Dezzo-Schlucht (über 1000 Meter steigen! bei glühender Sonne) hat mir bewiesen, daß ich noch etwas leisten kann. Diese » via mala« der Lombardei ist großartig, ebenso der schöne Iseosee (köstliches Bad!). Aber das alles tritt für mich, seitdem mir Dein Brief nach Campiglio die freudige Kunde brachte, daß Du zu der Hochzeit fährst, weit zurück hinter der einen Frage: wann und wo werden wir uns wiedersehen?

Ich rechne fest darauf, sowohl auf Deiner Hinfahrt wie auf der Rückreise Dir begegnen zu dürfen. Bitte: für recht lange! Du mußt doch auch die 44 neuen Aquarelle (in gerade 6 Wochen!) sehen. Ich bin natürlich täglich für Dich bereit. Gib mir, wenn irgend möglich, schon nach München Nachricht, damit meine stürmische Hoffnung sich zu froher Erwartung glättet.

Dein Paolo.

Die beiden Gentianen (»unlösbar« mit ihren Wurzeln verbunden!) sind in der Dezzo-Schlucht gepflückt.

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Altenhausen, 23.9.1902

... Mein Katarrh ist nun so weit gebändigt, daß meine Fahrt nach Altenburg sicher ist. Es tut mir leid, daß die Ungewißheit Dich so sehr in Unruhe versetzt hat. Ich habe mich nun entschlossen, mit dieser Reise einen Besuch bei meiner russischen Freundin, die für diesen Winter in Dresden lebt, zu verbinden. Das ändert aber nichts an Deinem Vorschlag, daß wir uns in Leipzig treffen wollen ...

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Dresden, 3.10.1902.

Liebster Paolo!

Welche Kontraste bringt mir dieses wundersame Leben! Erst dieser ungebundene Tag in Leipzig mit meinem so ganz naturwüchsigen Freunde im großen Künstlerhut, ganz in Kunst und Künstlermilieu, fast Bohème; die köstliche Stunde, als wir Hand in Hand auf dem roten Diwan vor den schönen großen Calame-Landschaften saßen, unser übermütiges Mahl in Auerbachs Keller, dann der stille Genuß Deiner schönen neuen Aquarelle – und jetzt bewege ich mich unter Menschen der höchsten russischen Aristokratie, konservativ vom Scheitel bis zur Sohle, von vornehmstem äußeren und tadellosen Manieren, jeder Zoll altes blaues Blut! Sie lieben mich wie ihr eigenes Kind, und ich bin ihnen in warmer Sympathie zugetan, fühle das geheime Band, das uns harmonisch verbindet – und doch, sobald ich an Dich denke, weiß ich, daß mein innerstes Herz nur bei Dir ist, der Du so ganz anders bist, daß nur bei Dir mein echtes Glück sein kann ... Ich muß abbrechen, eben läßt der Graf fragen, ob ich fertig sei. Wir gehen heute abend in eine große Soiree, Du würdest Dich freuen, welch hübsches Gefieder Dein Schwälbchen dazu angelegt hat. Übermorgen fahre ich nach Altenburg, Rückfahrt von dort also am 13ten. Ganz besonders freue ich mich darauf, daß Du mir die Stadt Deiner Jugend zeigen willst.

Deine Franziska.

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Altenhausen, 20.10.1902.

Mein teurer Paul!

Erst heute vermag ich ausführlicher zu schreiben und Dir für Deine große Liebe zu danken – bis gestern war ich zu elend dazu. Es tut mir leid, daß meine Erkältung einen Schatten über das letzte Zusammensein warf – verzeih mir, wenn ich mal etwas »kratzig« gewesen sein sollte. Es freut mich aber, daß ich auch Dich nun einmal von der ungeduldigen und weniger liebenswürdigen Seite kennen gelernt habe. Das freut mich, denn es gehört zu einer rechten Ehe, daß es auch einmal Mißverständnisse gibt und die Liebe doch darüber triumphiert. So lernt man sich immer besser verstehen, und unsere Freundschaft gleicht jetzt nicht mehr einem Brautstand, sondern seelisch einer Ehe. Wie selig ist es mir, die, wo sie hinkommt, zu herrschen gewohnt ist, mich Deiner Übermacht zu beugen, mich von Dir beherrschen zu lassen, ganz in Dir aufzugehen!

Das gilt, obwohl mir klar geworden ist, daß ich in unserer Ehe mich in Vielem werde unterordnen und stille sein müssen, wo es mir nicht ganz leicht fallen wird – durch unser ererbtes Blut und unsere verschiedene Erziehung drängt sich doch manches mir Ungewohnte zwischen uns. Ob Du mich dann öfter eine peinliche Viertelstunde auf dem Perron allein stehen und warten lassen wirst? Und ob ich dann immer ruhen muß, wenn Du es befiehlst, essen muß, was ich nicht mag?

O ich Tor! Da rede ich, als ob ich einen sicheren Wechsel auf die Zukunft in der Tasche hätte – und wie weit sind wir davon entfernt! Ach Paul, unser Schicksal ist grausam und unnatürlich: Ich sehe und liebe in Dir Alles, was groß, gut und schön ist – Du hast kein Heim, keine Frau, liebst mich und findest in mir Trost und Stütze – und dabei müssen wir unsere Liebe wie ein Verbrechen geheim halten und fern von einander leben! O über dieses narrenhafte Possenspiel: Leben genannt! Aber dies Possenspiel reizt nicht zum Lachen, sondern bleicht das Haar und furcht die Stirn!

Doch ich will nicht bitter werden. Laß uns lieber an das liebliche Bild denken: Ich mit Dir in Deiner Jugendheimat! Wenn ich Dich nicht lieb hätte, dort hätte ich Dich lieb gewonnen. Diese naive Rührung, diese kindliche Freude, diese Unbefangenheit, mit der Du Euer altes Haus und den Garten wieder begrüßtest und darüber die alte freundliche Dame, die uns alles zeigte, ganz vergaßest! »Hier war Mutters Zimmer! ... Dort habe ich gelernt! ... Hier bin ich aus dem Fenster gesprungen! ... Hier die steile Mauer bin ich kopfüber hinuntergestürzt!« – jeder Winkel rief Erinnerungen in Dir wach. Dann der Gang durch die Straßen! In diesem alten Haus wohnte der Lehrer, der Dir Privatstunden gab; dort war der Buchladen, wo Du Deine Bücher kauftest. Das warst ganz Du, mein liebes, großes Kind, Du sonderbares Gemisch von jauchzendem Genießen des Augenblicks und tiefer – ach, zu tiefer Melancholie! –

Viel habe ich in diesen Tagen über Deine Idee, ein neues Buch als Fortsetzung der »Lebensfragen« zu schreiben, nachgedacht. Bitte, überlege Dir ja, ob Du dabei nicht in die Gefahr gerätst, Gedanken, die Du bereits klar ausgesprochen hast, weiter auszuführen, Dich zu wiederholen; prüfe Dich gründlich, ob Du der Welt wirklich etwas Neues zu geben hast. Hüte Dich vor dem Fehler, in den die, welche eine neue Idee verkünden, so leicht verfallen, daß sie meinen, den Menschen ihre neue Auffassung nicht genug einschärfen zu können. Damit nützen sie ihrer Sache nicht. Man soll das, was man zu sagen hat, knapp und klar sagen, und dann die Wirkung – gleichsam die Verdauungsarbeit – den Anderen überlassen.

Und dann, mein Paul, hast Du die Gewohnheit, schnell zu arbeiten. Du faßt eine Idee – genial, kraftvoll, völlig unmittelbar, und dann wird sie mit fieberhafter Schnelligkeit ausgeführt. Dieses schnelle Arbeiten ist in Deiner Jugend eine der Ursachen Deines Weltruhmes gewesen. Jetzt, wo die volle Frische nicht mehr vorhanden sein kann, liegt darin die Gefahr, daß manche Mittelmäßigkeit und Wiederholungen mit unterlaufen. Tue ich Dir weh, wenn ich Dir das sage? – ich halte es aber als Dein anderes Ich für meine Pflicht; und ich bin auch überzeugt, Deine treuesten Freunde würden mir recht geben – nur daß sie nicht wagen, so zu sprechen.

Versteh mich recht: ich möchte Dich nicht vom Schreiben abhalten, ich bitte Dich nur, daß Du gerade jetzt, wo Du Dich in exponierter Lage befindest, doppelt strenge Selbstkritik übst und jeden Satz genau überlegst und feilst. Mein Instinkt treibt mich freilich zu dem Wunsche, Du möchtest es fürs erste bei Deinen Memoiren bewenden lassen. Verzeih mir, daß ich Dir alles so ehrlich sage – es geschieht aus reiner Liebe. Ich weiß ja, wie hoch Du über mir stehst – aber die kleine Maus in der Fabel hat auch den großen Löwen aus der Falle befreit. Leb wohl, mein Herz! Gott behüte Dich mir!

Deine Franziska.

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Hochburg, 20.10.1902

... Heute sind es schon acht Tage, daß wir die »heiligen Stätten« aufsuchten, an denen ich die ersten achtzehn Jahre meines Lebens verbracht habe, als wilder Junge mit roten Pausbacken und langen blonden Locken in dem Garten herumsprang, den Du gesehen, und in dem ländlichen Hause, das Du nun betreten und geweiht hast, als fleißiger Schüler gearbeitet und in den Mußestunden Herbarien geklebt und kleine Vögel gepflegt habe. Ich wiederhole mir noch täglich jede Stunde unseres Zusammenseins und habe dabei manchmal Gewissensbisse, daß ich Dir bei Deinem leidenden Zustande vielleicht zu viel zugemutet habe. Obwohl diesmal einige Wolkenschatten den Sonnenschein unseres Glückes vorübergehend trübten, habe ich unsere seelische Zusammengehörigkeit – allen widrigen Störungen und Hindernissen zum Trotz – doch noch niemals so tief empfunden. »Ach, Du warst in abgelebten Zeiten meine Schwester oder meine Frau!« – Schwester, Freundin, Frau, und alles sonst, was Du aus diesen Anfangsbuchstaben der Freude, des Friedens herauslesen willst, Du meine Franziska!

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Altenhausen, 3.1.1903.

Geliebter Paul!

Mein erster Gruß im neuen Jahre – wie wird es in uns und mit uns aussehen an seinem Schlusse?!

Daß Du mich sogar mit einem Sylvester-Gedicht beglückt hast, rechne ich Dir hoch an; behauptest Du doch immer, daß Dir bei Deinem »ungebundenen« Wesen die Kunst des Reimens versagt sei – also muß diesmal die Liebe Dich inspiriert haben. Wie Du, so halte auch ich – trotz allem! – an unserer seligen Hoffnung fest – gehört die Hoffnung doch so eng zum Leben, daß man sich selbst das Todesurteil schreibt, wenn man sie aufgibt! –

Wie schrecklich und Deiner unwürdig, daß Du Ärmster nun gar noch Dienstbotensorgen mitmachen mußt! Als ich das las, mußte ich an meine prächtige Großmutter denken, die, wenn sie ausgebeten war und andere Damen über Dienstboten-Misère klagten, zu sagen pflegte: »Ich lasse meine Domestiquen zu Hause.« ...

Denke Dir, ich habe jetzt einen neuen Freund, der sehr zärtlich ist und mir die lange Zeit gar lieblich vertreibt, seinen Kopf an meine Brust legt und sich ganz fest an mich schmiegt – – – es ist ein entzückender Kakadu, den mir die gute Mama noch nachträglich zu Weihnacht geschenkt und damit einen uralten Lieblingswunsch von mir erfüllt hat. Er ist bildschön, hellgrau auf dem Rücken, hat eine rosenfarbene Brust und zartrosa Holle auf dem Kopf, ist ganz zahm, fliegt auf meine Hand und Schulter; eben läuft er auf dem Fußboden umher und ruft unaufhörlich » Kiss Cokey!« Wenn ich nun noch eine Villa an der Riviera, ein Reitpferd und echte Perlen hätte, so wären alle meine Kinderträume erfüllt. Du siehst, das zunehmende Alter macht wieder kindisch. – Ach, wie gern wollte ich das Alles, wenn ich es hätte, dahingeben für das eine Glück, das unerreichbar mir vor Augen liegt! ...

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Hochburg, 10.3.1903

... Die Wogen des Schicksals schlagen einmal wieder hoch über meinem Kopf zusammen und die letzten Wochen gehören zu den schlimmsten meines schweren Lebens. Seitdem meine Frau endlich dem Drängen der Ärzte nachgegeben hat, unsere Tochter in ein Sanatorium zu bringen, quält sie nun sich und mich unaufhörlich damit, ob das auch recht gewesen sei. Die Ärmste kann sich in das einsame Haus schwer finden, und ich habe nun alle die Klagen, die sonst die beiden Kranken sich mitteilten, allein über mich ergehen zu lassen. Meine Frau tröstet sich jetzt mit dem Plane, den ganzen nächsten Winter mit mir an der Riviera zuzubringen. Dieser Gedanke ist für mich schwer – er trifft aber insofern mit meinen Wünschen zusammen, als ich auf jeden Fall der Feier meines 70. Geburtstages entgehen möchte.

In all dem Ungemach ist es gut für mich, daß mir eben eine neue Aufgabe gestellt wird. Mein Verleger will so bald als möglich eine gekürzte Volksausgabe der »Lebensfragen« herausgeben, nachdem die billige englische Ausgabe einen enormen Erfolg gehabt hat. Dazu muß ich jetzt ein »Nachwort« schreiben – eine recht schwierige und heikle Aufgabe, die mir viel Kopfzerbrechen macht; jeder Satz will sorgfältig überlegt sein, wie bei einer »Thronrede«. Ich rechne dabei sehr auf Deine bewährte Hilfe; Du weißt, welches Gewicht ich auf Dein feines Urteil lege und auf Deinen unbefangenen Sinn – in diesem Falle besonders wichtig! Ich möchte alles Scharfe und Gehässige vermeiden und den Ton vornehm und ruhig halten. Darf ich Dir mein Manuskript zusenden? ...

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Bad Harzburg, 10.6.1903.

Lieber Paolo!

Seit Deinem Pfingstgruß vom Semmering habe ich kein Wort mehr von Dir gehört. Nicht einmal eine Ansichtskarte hast Du mir mehr geschrieben! Was soll ich nun eigentlich mit Dir machen?! Wehe, wenn ich einen Mann hätte, der mich so miserabel behandelte! – den werde ich mir anders erziehen. Ich könnte ja mal versuchen, ob ich nicht hier, wo die beste Gelegenheit dazu ist, einen finde. Hübsch, vornehm, klug, nicht ganz ohne Vermögen – was braucht's noch mehr! Soll ich? –

So recht will es mir hier noch nicht gefallen. Das ganze Haus ist voller Gäste, mit denen man verkehren muß – das fällt mir schwer. Es soll mit Gewalt ein familiäres Leben in der Pension sein, aber die Elemente passen nicht recht zusammen. Am angenehmsten ist mir noch mein Tischnachbar, ein junger Berliner Regierungsrat, der strenge Magendiät braucht und aussieht wie ein Pfifferling, aber einen trockenen Witz nach dem anderen reißt, so daß man nicht aus dem Lachen kommt.

Na, die Hauptsache ist, daß ich die törichten Reste der Influenza bald ganz los werde. Ich fühle mich bereits wieder recht frisch, bin gestern sogar schon auf den Burgberg gestiegen. Der Wald ist hier ganz herrlich. Wenn ich da mit Deinem festen Stock, den ich seit der Rudelsburg auf allen meinen Spaziergängen trage, einhergehe, dann male ich mir aus, wie traumhaft schön es wäre, könnten wir beide Arm in Arm unter den hohen Tannen wandern. Da's aber nicht kann sein, so grüße ich den nun hoffentlich gut Heimgekehrten in Treuen

Deine Fr.

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Bad Harzburg, 7.7.1903.

Mein teuerster Paul!

Von ganzer Seele laß mich Dir danken für die Fülle Deiner Liebe, die Du, wie die liebe warme Sonne, über mich ausgegossen hast. Noch nie habe ich so großes Heimweh empfunden wie gestern, als ich in Goslar dem Zuge, der Dich mir entführte, nachblickte; wie im Traume bin ich zurückgefahren, kaum des großen Straußes von schönem roten Fingerhut achtend, den der nette Kutscher mir unterwegs pflückte.

Es lag ein Glanz über diesen zwei Tagen, wie ich ihn so noch nie empfunden habe. Du hast recht: Bei jedem Zusammensein denkt man: höher geht's nicht, und das nächste ist doch eine Steigerung. Waren diese Tage nicht größer, inhaltreicher, beglückender als alle früheren? Nicht mehr so himmelhoch jauchzend, wie zuerst – aber wie hat sich unser Seelenbund vertieft, veredelt, wie hat sich die stürmische Liebe abgeklärt zur reinen Liebe! Wie haben wir uns in unseren 21 »Glückstagen« in einander eingelebt, daß keine Schwäche am Anderen uns mehr enttäuschen könnte! Wahrlich, jeder Schriftsteller könnte uns um unseren unvergleichlich zarten, schönen, kraftvollen, schweren, traurigen und last not least wahren Roman beneiden!

Ich bin so dankbar, daß ich auch Dir wieder neue Lebenshoffnung einflößen konnte. Der Sonntagmorgen, an dem wir in der tauigen Frische und Waldesabgeschiedenheit zum Torfhaus hinauffuhren, und dann die stillen Stunden, die wir beim traulichen Forsthaus Oderbrück in der hehren Einsamkeit unter den Tannensäulen verlebten – sie werden uns während der langen Wintertrennung in mancher trüben Stunde tröstend vor Augen stehen. Wir haben so viel zu danken, daß wir nun doppelt gut, geduldig und tapfer sein und das kostbare Leben, das uns noch so viel schuldet, so teuer als möglich verkaufen wollen!

Deinem Wunsche folgend, habe ich mich heute bei dem Spezialarzt genau untersuchen lassen. Der meinte, das Herz sei nicht in Ordnung. Ich glaube nicht daran – wie könnte ich dann so frisch und fröhlich wandern! Ein Wunder wäre es freilich nicht – es war doch etwas viel, was auf dem armen Ding in den letzten 4 Jahren gelastet hat. Aber wie es auch sei. Dir schlägt es allezeit in steter fester Treue!

Deine Fr.

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Schloß Altenstein, 3.8.1903.

Diese eiligen Seiten sollen Dich bei Deiner Ankunft in Nauheim begrüßen und Dir meinen innigen Wunsch bringen, daß Du dort – an der »rechten Quelle« – bald Deine volle Gesundheit wiedergewinnen mögest!

Sonderbar! Nun sitze ich wieder im gleichen Zimmer an demselben Schreibtisch, von dem ich Dir vor vier Jahren den langen Brief schrieb. Als ich vor zwei Jahren hier war, malte ich es mir köstlich aus, wie es sein würde, wenn Du das nächste Mal als »meine Frau Herzogin« an meiner Seite wärest. Statt dessen bist Du fern von mir – krank im Bade! Den ganzen langen Winter muß ich, weit von Dir getrennt, in Italien sein, das Dir Genesung bringen würde, während Du im grauen Norden einsam Dich nach mir sehnst – ach Franziska, die Geduldsprobe, welche uns das Schicksal auferlegt, ist grausam schwer! Heute, als ich in der Morgenfrühe eine einsame Wanderung durch den Park machte, kam mir wieder einmal der kühne »dritte Altensteiner Fall« in den Sinn: mein ganzes bisheriges Leben über den Haufen werfen und mit Dir, Geliebte, in die Sonne fliehen! Aber ich jagte diesen verführerischen Traum fort – ich weiß ja, daß wir beide unserer harten Pflicht treu bleiben müssen ...

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Bad Nauheim, 3.9.1903.

Du schreibst an Deine »Regina« – ach, lieber Paul, welch armselige Herrscherin bin ich jetzt! Vielleicht über ein unsichtbares Reich – über Herzen, ja! Aber nicht einmal über meinen eigenen schwachen Leib bin ich Herr. Statt daß ich hier Genesung finde, werden die Beschwerden nur schlimmer. Nachts klopft das Herz wie eine Maschine, der das Öl fehlt, so daß ich ganz nervös werde, wenn ich seinen müden Ton höre. Was wird die Zukunft bringen: Gesundheit, Glück – oder Tod? Um mich ist mir deshalb nicht bange – ich wünsche mir einmal einen raschen Tod; aber um Dich, und ob wir uns noch einmal wiedersehen. Und nun kommt der lange, lange Winter, wo Du an der Riviera bist, ich nicht weiß, ob Du lebend wiederkehrst, ob ich leben bleibe. Wenn Du Deiner müden alten Freundin einen Sonnenstrahl schenken willst, dann suche mich hier noch einmal auf.

Deine Franziska.

*

Hochburg, 4.9.1903.

Liebste!

Dein Brief erschüttert mich. Natürlich komme ich sobald als möglich zu Dir. Ich hoffe zuversichtlich, Du siehst in Deiner trüben Einsamkeit Deinen Zustand zu schwarz.

Interessieren wird Dich, daß ich jetzt den verbesserten Entwurf der Schlußtafel von Gabriel Max zurückerhielt. Er ist durch seine Meisterhand zu einem sehr originellen und schönen Kunstwerk geworden: die ideale Frauengestalt tritt weiß und schimmernd, zart und rein aus der dunklen Grotte in der Mitte hervor, während ringsum 7 Affenfiguren (4 Menschen-Affen, 3 niedere) die Herkunft des schönsten »Wunders der Schöpfung« symbolisch andeuten. Ich denke, die Tafel wird einen großen Eindruck machen – viel Liebe und Mühe habe ich auf sie verwandt.

Ende nächster Woche hoffe ich bei Dir sein zu können. Mögen alle guten Engel ihre schützenden Hände über Dir halten. Du mein Engel!

Dein Paul.

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Bad Nauheim, 18.9.1903.

Geliebter Paul!

Nun sind es schon fünf Tage, daß Du bei mir warst. Noch nie ist mir ein Abschied so schwer geworden. Als ich frühmorgens, längst schon wach, hinter der Gardine stand, um Dich noch einmal zu sehen, als Du nach dem Hause herübergrüßtest und dann Dein lieber Schritt verhallte, da habe ich bitterlich geweint – es war mir, als ob Du für immer von mir gingest, ich Dich nie wiedersehen würde.

Muß ich Dich denn immer lieber gewinnen? Aber diese zwei Tage waren auch eine Harmonie, so voll, so rein – fast schon überirdisch, wie im Jenseits! Du hast recht: warum dürfen wir unser Glück immer nur tropfenweise genießen?! Aber vielleicht ist es eben darum so schön. Und bedenke: was unsere 23 Tage uns an Glück und Seligkeit gaben, erleben andere in ihren müde gewordenen Ehen nicht in 23 Jahren. Es kommt nicht darauf an, was man erlebt, sondern, wie man es erlebt.

Mit großem Mitgefühl erfüllt mich Deine heutige Nachricht, daß Dein Verleger die Schlußtafel, über die Du so stolz und glücklich warst, als anstößig ablehnt. Ich beklage um Deinetwillen diese Dir schmerzliche Enttäuschung – in der Sache aber muß ich den Anderen recht geben, und mir ist es lieb, daß diese Tafel, die, wie ich überzeugt bin, einen Sturm der Entrüstung hervorgerufen hätte, nicht veröffentlicht wird. Es ist das erste Mal, daß wir nicht einer Meinung sind.

Nun bitte ich Dich aber: Wirf die Flinte nicht ins Korn, überwinde Deinen Mißmut und nimm die letzte Tafel noch einmal mit doppelter Liebe vor. Sie soll doch die Krönung Deines schönen und mühseligen Werkes sein, das nicht mit etwas Minderwertigem abschließen darf. Die Idee, uns Frauen zu huldigen, ist so schön, daß ich wünschte, Du könntest sie dennoch in zarterer Form verwirklichen. Wie wäre es, wenn Du mit der Frauengestalt zwei zarte Kinderkörper – die höchste Anmut der Natur! –, Knabe und Mädchen, zur Gruppe vereinigtest und so auch der Frau als Mutter huldigen würdest? Auf jeden Fall umgib die Frauengestalt mit dem Schönsten, was die Natur bietet, mit Frühlingsblüten, bunten Schmetterlingen, schönen Vögeln, mit was Du willst – bloß nicht wieder Korallen und Medusen, deren es nun genug sind. Ich hoffe, Du hast noch Freude an diesem Blatt.

Ich lese jetzt mit Feuereifer in dem Buche von Carpenter. Vieles ist sehr gut, und die von Dir unterstrichenen Sätze unterschreibe ich fast Wort für Wort. Überall, wo er Kritik übt an der Oberflächlichkeit der Frau, wie sie jetzt ist, und an der falschen Erziehung unserer Mädchen zur Oberflächlichkeit, trifft Carpenter den Nagel auf den Kopf. Wenn er dann aber die Frau ganz vermännlichen, sie die männlichen Berufe ergreifen und am öffentlichen Leben teilnehmen lassen will – da widerspreche ich mit Nachdruck. Nein, macht uns Euch geistig ebenbürtig, eröffnet uns auch einen Einblick in den Kampf ums Dasein, den die Frauen jetzt meist für etwas außerhalb ihrer Sphäre Liegendes, das sie nichts angeht, halten – oder laßt uns unsere eigentliche Sphäre in Haus und Heim, das wir dem Manne, den wir lieben, bereiten und schmücken wollen. Es ist schade, daß ich nicht darüber mit Dir sprechen kann – wenn ich jetzt die Kraft dazu hätte, würde ich am liebsten Carpenter öffentlich antworten. Das Recht dazu hätte ich schon, als Frau, die die ganze Oberflächlichkeit unserer Frauenwelt durchschaut, die sich selbst – durch Dich! – auf ein höheres Niveau erhoben hat, und die doch nichts anderes will, als in Liebe Dienen dem Manne, den sie erwählt hat. –

Sehr traurig bin ich, daß Du wieder so trübe in die Zukunft schaust und gar schreibst, wenn Du überhaupt aus Italien zurückkehrtest, würdest Du als gealterter Greis Dich ganz in Deiner Klosterzelle vergraben. Nein, mein Paul, Du bist der Welt noch viel zu leisten schuldig. Wenn Du aus Italien zurückkehrst, schreibst Du Deine Lebensgeschichte und eine Geschichte der Philosophie vom entwicklungsgeschichtlichen Standpunkt aus – immer hübsch langsam und mit fester Selbstkritik! Laß den Kopf nicht hängen, rüste wohlgemut zur Fahrt nach der schönen Riviera, und sei tapfer, wie ich trotz allem tapfer bleiben will. Wir wollen kämpfen, und siegen oder – fallen.

Deine Franziska.

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Hochburg, 12.10.1903.

Teuerste Franziska!

Du wähnst mich längst jenseit der Berge, und ich sitze noch immer hier und warte. Es ist schrecklich, seit einer Woche für eine lange Reise fertig gerüstet zu sein und nicht fortzukommen. Meine arme Frau klagt über Herzschwäche und verschiebt die Abreise von einem Termin zum anderen – ein hübscher Anfang der Unternehmung!

Ich habe diese unfreiwillige Muße zu einem schönen und mich erhebenden Kultus der Freundschaft und Liebe benutzt – habe all die Hunderte Deiner Briefe vom Anfang an wieder einmal in Ruhe durchgelesen – die ganzen nun bald sechs Jahre sind dabei in voller Lebendigkeit vor meinem Auge vorübergezogen. Dabei fühlte ich förmlich Deine weiche Hand in der meinen, ich hörte Deine liebe sanfte Stimme und schaute Dir in Deine tiefen, seelenvollen Augen.

Wie schüchtern ist der Anfang, wie zart die Entwicklung unserer Freundschaft, wie stürmisch die Erkenntnis unserer nicht von uns gewollten, sondern vom Himmel gefallenen Liebe! Dann das Erschrecken, als wir uns über die Konsequenzen und unsere Lage klar wurden – die Versuche, dieser Liebe zu entfliehen – diese Seligkeit, sie bei jeder neuen Begegnung von neuem zu finden, jedesmal gewachsen und schließlich zur vollkommensten Seelenharmonie geworden – all die köstlichen »Märchen«, die wir in unseren 23 »Glückstagen« erlebten – dieses ewige Hangen und Bangen in schwebender (süßer!) Pein, dieser stete Kampf zwischen Liebe und Pflicht – Du hast recht: es ist ein vollkommener »Roman«, der wohl wert wäre, von einem großen Dichter geschildert zu werden.

Wie wird dieser mit unserem Herzblut erlebte Roman enden? Hoffen wir, daß es nicht heißt: Und wem es just passieret, dem bricht's das Herz entzwei! ...

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Altenhausen, 25.10.1903.

Geliebter Paul!

Nun, da Du in Rapallo bist, darf ich es Dir sagen, wie schwer mir den ganzen Sommer über der Gedanke gewesen ist, Dich ohne mich an die Riviera ziehen zu lassen. Nicht als ob ich Deiner Frau die Freude nicht gönnte – ich wünsche sogar aufrichtig, daß sie diese Freude wirklich genießen möge und sie sich und Dir nicht durch kleine Sorgen verdirbt. Aber es ist immer im stillen mein seligster Traum gewesen, dieses Paradies, nach dem ich, seit ich es gekostet, mich unablässig zurückgesehnt habe, mit Dir wiederzusehen – nur deshalb schlug ich vor drei Jahren die Einladung meines Onkels, mit ihm nach Italien zu reisen, aus. »Fata Morgana!« würdest Du sagen.

Nun die Dinge aber einmal sind, wie sie liegen, laß uns nicht dem Gedanken nachhängen, was hätte sein können, sondern laß uns tapfer sein! Verbanne die deprimierte Stimmung, die aus Deinem ersten Briefe von dort so kraß spricht, freue Dich – wenn Du auch nicht so frei und ungebunden bist, wie sonst auf Deinen Reisen – der Schönheit, die Dich umgibt, Deines Meeres, der herrlichen Farben, und nutze die Muße zu behaglicher Arbeit.

Ich bitte Dich, schreib mir recht oft und eingehend – Deine Briefe sind ja jetzt meine einzige Freude. Am schönsten wäre es, Du würdest mir tagebuchartig schreiben. Laß mich alle Deine kleinen Erlebnisse mit Dir teilen, mich mit geistigem Auge das sehen, was Du wirklich siehst. Du weißt, daß mich jedes Stück Brot interessiert, was Du ißt, und wenn Du gar Gedanken über Deine neue Arbeit einflichtst, so trägst Du mir frisches Leben in das graue Einerlei meiner Tage. Ich bitte Dich, versuche es mir zu Liebe. Es wird Dir bald zur lieben Gewohnheit werden; und wenn es zuweilen am Tage auch nur ein Satz ist – ich lebe dann doch mit Dir fort.

Dein Münchener Brief machte mir durch seine anschauliche Schilderung des Besuches der Ausstellung viel Spaß. Ich sehe Dich ordentlich mit Deinem »fernen Blick« durch die Säle wandern, den großen Hut auf dem Kopf, alle Blicke verstohlen auf Dich ziehend, selbst aber niemand beachtend. Es amüsiert mich, daß Du mit den Bildern nicht zufrieden warst – ich glaube, Du bist nie zufrieden, wenn nicht eine kleine Hand, die nur Du kennst, Dich auf manche Feinheiten aufmerksam macht. Wenn ich mir mich so als zarte Folie neben Deiner imposanten Erscheinung vorstelle, dann komme ich mir vor wie eine Ranke, die sich um den mächtigen Baum schlingt, ihn schmückt und doch nur an ihm ihren Halt hat. Denn Du bist eben doch mein geistiger Erschaffer!

Mein Herz ist noch immer recht unartig und macht mir manche Beschwerden. Aber bei dem milden Herbstwetter konnte ich doch immer etwas ins Freie, fahre auch zuweilen spazieren. Freilich ist das kein Ersatz für mein liebes Wandern, das ich schmerzlich entbehre.

Heute gibt's goldenen Regen bei uns. Die alten Linden im Hofe sind über Nacht ihres Sommerkleides überdrüssig geworden und streuen die Blätter so dicht, daß ich, wenn ich aufschaue, wie durch einen goldenen Schleier sehe. So sinken die Wünsche und Hoffnungen leise und langsam nieder, wenn sie nicht in einer rauhen Nacht durch einen Sturm abgeschüttelt werden! ...

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Rapallo, 5.11.1903.

Liebe Fr.!

Die ersten zwei Wochen meiner hiesigen Gefangenschaft sind nun schon überwunden – ich hoffe, daß es die schwersten gewesen sind; es war nicht leicht, meiner leidenden Gattin hier eine sie befriedigende Existenz zu schaffen. Das ist nun glücklich erreicht; sie fühlt sich ganz behaglich und freut sich besonders über die ebenen Spaziergänge. Um so unerfreulicher ist meine Stimmung. Das seelische Doppelleben, das ich seit dem verhängnisvollen 17. Juni 1899 führe, scheint hier noch schwerer zu ertragen als daheim bei der Arbeit.

Dazu kommt nun noch die tiefe Betrübnis über den geringen Fortschritt Deiner Genesung. Wenn ich Dir doch helfen könnte! Unablässig quält mich der Gedanke, daß Du hier bei mir, in dem herrlichen Klima, in sorgenlosem Naturgenuß und im beglückenden Seelenaustausch Genesung finden würdest. Und wie anders, wie herrlich würde für mich hier Alles sein, wenn ich mit Dir in diesem Mittelmeerparadiese weilen dürfte! Aber immer wieder das alte Lied: die harte Pflicht! Resignation! – immer der »gefesselte Prometheus«!

Gern würde ich Dich durch tagebuchartige Briefe erfreuen – ich hab's versucht, aber gleich wieder vernichtet. Es fehlt die Stimmung, und mein hiesiges Stilleben ist so einförmig und unerfreulich, daß ich Dir nichts Interessantes und was Dich erfreuen könnte, zu schreiben habe. Ich habe deshalb sogar daran gedacht, ob ich Dir nicht vorschlagen soll, daß wir jetzt nur alle 2 oder 3 Wochen Briefe wechseln wollen.

Nicht einmal über meine Arbeit kann ich Dir Erfreuliches berichten. Mir ist, als ob die Elastizität meines Gehirns abnehme. Dazu ängstigen mich Deine freundschaftlichen, sehr richtigen Warnungen vor Wiederholungen, Breiten usw. Selbst zum Malen fehlt mir alle Lust – seit ich an dem unvergeßlichen Harz-Sonntag neben Dir im Walde saß, habe ich den Pinsel für Landschaftsskizzen noch nicht wieder berührt. Mit dem Arbeiten wird es hoffentlich besser gehen, wenn ich erst meine Bücherkisten hier haben werde. Ich war gestern in Genua auf dem Zollamt; die sonst immer schwierige Operation vollzog sich diesmal glatt in zehn Minuten, da der Chef der Dogana sich, als er meinen Namen hörte, als Gesinnungsgenosse entpuppte und nur einen einzigen Koffer » per formalità« öffnen ließ.

In den Nächten, wenn ich schlaflos liege, rauscht mir das Meer lauter Grüße von Dir zu. Dann ziehen alle die Märchen, die wir erlebt, vor mir vorüber, und ich denke an die »köstliche Perle«, die jetzt tief unten am Meeresgrunde schläft, ob sie uns nicht doch noch einmal beglücken wird. In dieser Hoffnung grüße ich Dich mit einem: Ich will tapfer sein, wie Du es bist, meine liebe Kampfgenossin!

Dein treuer Paul.

*

Altenhausen, 9.11.1903.

Mein geliebter Paul!

Böses graues Novemberwetter ist bei uns eingezogen. Seit acht Tagen bin ich nicht aus dem Zimmer gekommen, wäre auch viel zu schwach dazu. Bei all meinem Elend habe ich auch noch den Schmerz erlebt, daß mein süßer Kakadu, der mir in meiner Einsamkeit so schön die Zeit vertrieb, gestorben ist, nach einem Tage qualvollen Leidens, wohl an einer Vergiftung. Zuletzt saß er bewegungslos auf dem Boden in einer Ecke seines Bauers, das bunte Gefieder blaßte ganz ab, aber wenn ich herantrat, drängte er sein Köpfchen hilfesuchend ans Gitter nach meiner Hand. So kuschelt sich Dein Schwälbchen jetzt auch müde in seine Ecke und sehnt sich nach einer lieben Hand, die es streichelt.

Vorgestern wäre es beinahe mit mir zu Ende gewesen. Ich hatte abends so schreckliche Atemnot und Angstzustände, daß ich nach dem Morphium greifen mußte. In meiner Aufregung habe ich wohl zu viel genommen – meine Schwester und der rasch geholte Arzt haben mich noch gerettet. Vielleicht wäre ein rasches Ende für mich das Beste gewesen!

Ich lese jetzt ein eigenartiges Buch: »Briefe, die ihn nicht erreichten«. »Sie« schreibt an »Ihn«, der als Forscher in China weilt – viel Feines, Geistvolles, aber auch viel Sentimentalität; gute Schilderungen von Peking und New York. Zuletzt brechen die chinesischen Wirren aus, und die arme Frau erhält all ihre Briefe zurück mit der Nachricht, daß ihr Freund bei der Gesandtschaftsbelagerung erschossen sei. Das Ende ist »natürlich« ihr Tod.

Geliebter Paul, tue mir das nicht an, daß Du mir meinen wöchentlichen Brief nicht mehr gibst! Es ist das Einzige, worauf ich mich in diesen trüben Wochen noch freue – Du nähmst mir damit den letzten Trost. Wenn Du Dich doch nicht gar so sehr Deiner niedergedrückten Stimmung überlassen wolltest! Du hast doch Sonne und Wärme, Meer und Blumen, und bist im Besitz Deiner Gesundheit! Wenn Du wüßtest, was es heißt, wenn der Leib dem Willen nicht mehr gehorcht! Aber ich verstehe ja, daß Du Dich als »gefesselter Prometheus« fühlst und immer daran denkst, wie schön es wäre, wenn wir beide dort im Paradiese lebten.

Ja, es ist schwer! Ich hier krank und schwach, den langen, grauen, einsamen Winter vor mir – Du dort an der sonnigen Riviera mit trübem Herzen! Aber wenn uns jetzt auch finsterste Nacht umhüllt – es muß doch auch wieder hell werden um und in uns, und vielleicht strahlt uns doch noch einmal die volle Sonne des Glücks!

Ewig Dein Eigentum.

— — —

Telegramm. 11.11.1903.

Schwester Franziska heute Nacht plötzlich verschieden.

Ursula Altenhausen.


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