Ernst Wichert
Ewe
Ernst Wichert

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III.

Ewe sprach nun auch mit den Brüdern und sprach mit dem Vater; aber zu dem gewünschten Ziele kam sie nicht. Am ehesten war noch Jurgis geneigt, ihr zuzustimmen, da er selbst für sich wenig zu hoffen hatte. Ansas aber wollte von der Abtrennung des Kätnerlandes nichts wissen. Es sei eine gute Wiese dabei, und ohne die lasse sich nicht wirtschaften. Purwins war krank und dachte nur darauf, wie er sich ein möglichst großes Ausgedinge sicherte. Nun wußte ihn Ansas zu überreden, die Angelegenheit schnell zu ordnen, damit Ewe ihn in Ruhe ließe. Sie fuhren also aufs Gericht und schlossen den Vertrag ab. Für Ewe wurde eine Summe eingetragen, die erst nach des Vaters Tode fällig sein sollte.

Nun war für Michel Endrullis die Sache entschieden. Er meinte, bewiesen zu haben, daß er genügsam sei. Ewe war nun einmal nicht zu haben; sie selbst mußte es nun ganz natürlich finden, daß er unter solchen Umständen »sein Glück« nicht von der Hand wies. Ehrlicher als er konnte kein Mensch verfahren.

Er wollte nun aber auch recht schlau vorgehen und lieber gebeten sein als bitten. Darum sagte er nach Ostern der Wirtsfrau, bis zum nächsten Martini sei's zwar noch weit hin; er wolle ihr's doch aber nicht vorenthalten, daß er darüber hinaus nicht zu bleiben gedenke. Sie möge sich danach beizeiten einrichten.

Urte fragte verwundert, ob es ihm bei ihr an etwas fehle und wo er's besser zu haben hoffe. Michel antwortete ausweichend; auf die Dauer könne es doch nicht so bleiben, und so sei es besser, er gehe wieder nach Berlin zurück und nehme seines Majors Anerbieten an. Ein tüchtiger Mensch komme draußen schneller und leichter zu etwas. Das sei doch so eilig nicht, meinte sie; sie habe sich an ihn gewöhnt und könne ihn schwer missen. Nun trumpfte er. Er habe gehört, daß sie zum Herbst wieder heiraten wolle. Und sei's nicht zum Herbst, so sei's doch sicher zum Frühjahr. »Bei deinem künftigen Manne will ich nicht als Knecht dienen, da ich jetzt halb wie der Herr angesehen bin.«

Die Naujokene war aber auch nicht auf den Kopf gefallen und merkte, daß er sie ausforschen wolle. Das war ihr ein gutes Zeichen, und sie sah ihn daher freundlich an und antwortete: »Es kommt vielleicht nur auf dich an, Mikelis, ob du ganz wie der Herr angesehen sein willst.«

Das war deutlich genug, aber er tat doch, als ob er sie noch nicht verstünde. »Das Grundstück kann ich dir nicht abkaufen«, sagte er.

»Und ich will's auch nicht verkaufen«, erwiderte sie. »Wenn dir's aber gefällt, kannst du's umsonst haben und auch die Wirtin dazu. Höre, ich will mit dir unter vier Augen ganz offen sprechen, weil ich wohl sehe, daß du zu bescheiden bist, mir's in meinen Jahren anzutragen. Ich brauche einen Wirt, und der muß jung und kräftig sein, damit ich im Alter eine gute Stütze habe. Du hast dich in kurzer Zeit gut bewährt, Mikelis, und ich kann dir auch in Zukunft Vertrauen schenken. Willst du mich heiraten, so kannst du noch vor Martini der Wirt sein, und das Gerede der Leute hört von selbst auf. Dumm wird dich wahrlich kein Mensch schelten, wenn du's tust.«

Das meinte Endrullis auch, und so wurden sie noch in derselben Stunde einig. Am andern Tage wußte es das Dorf, und es war keiner, der dem armen Burschen nicht sein Glück neidete. Er selbst trug den Kopf auch gewaltig hoch. Nur wenn er der Ewe begegnete, senkte er ihn tief und sah zur Seite, als ob er sich schämte. Es ärgerte ihn, daß er ihr nicht dreist ins Gesicht sehen konnte – aber er konnte nicht. Sie sagten ihm alle, daß er klug gehandelt habe, und er war doch selbst davon überzeugt; aber in ihrer Nähe wußte er, daß er eine große Dummheit mache; das sagte ihm das Herz. Er konnte doch nicht los davon.

Schon nach einigen Wochen wurde das Aufgebot bestellt. Zu Johanni gab's Hochzeit, und alle Nachbarn waren dazu geladen. Ewe blieb nicht zu Hause und war so ausgelassen lustig, als ob ihr nichts Glücklicheres hätte begegnen können. Als sie aber mit dem Bräutigam tanzte, flüsterte sie ihm zu: »Jetzt lache ich vor den Leuten; diese Nacht, allein in meiner Kammer, werde ich weinen. Denn ich weiß doch, daß du an mich denkst, Mikelis.« – »Es hat nicht anders sein können, Ewe«, antwortete er leise, »du mußt das vergessen.« – »Versuch's doch selbst«, sagte sie. »Wenn du hättest wollen, wir wären irgendwo zusammen in Dienst gegangen.« – »Es wäre ein elendes Leben geworden, Ewe.« – »Wer weiß . . .?« Sie machte sich los und tanzte mit andern. Die Urte Endrullene redete sie immer »junge Frau« an und zog dabei den Mund so spöttisch, daß die Gäste wohl merkten, wie's gemeint war.

»Du wirst deine Tochter besser in Zucht nehmen müssen«, sagte Urte innerlich verärgert dem alten Purwins, »sie hat eine lose Zunge.« Nachts gab es argen Lärm vor dem Hause, mehr noch, als es selbst der Brauch in Litauen will. Ewe hatte die jungen Burschen angestiftet, und nun flogen die alten Töpfe gegen die Fensterladen und trommelten die Weidenknüttel auf der Haustür. Gegen Morgen mußte der Gemeindevorsteher aus dem Bett und Ruhe gebieten.

Vom andern Tage ab ging's in der Wirtschaft wie zuvor. Es war keine Veränderung zu bemerken, außer daß Endrullis nun der Wirt hieß. Er wollte es freilich auch sein; deshalb hatte er ja geheiratet, und Urte schob ihn in den ersten Wochen gern überall vor, damit er als der Herr bei denen zu Ansehen komme, mit denen zusammen er zuvor gedient hatte. Nur die Schlüssel behielt sie, und alles mußte durch ihre Hand. Darüber kam's dann zum ersten Streit. Und als erst einmal die Kräfte sich gemessen hatten, galt's auch ferner für beide Teile sich zu behaupten. Bei der Wirtsfrau war die alte Gewohnheit, das Regiment zu führen, allzu stark geworden, und Endrullis wollte gerade beweisen, daß er nicht nur zum Schein der Herr sei. Fuhren sie zusammen nach der Stadt oder zur Kirche oder arbeiteten sie auf dem Felde, so verkehrten sie ganz gut und freundlich miteinander. Es war ihm nur nicht ganz wohl dabei zumute, wie sie ihm auf Schritt und Tritt aufpaßte, daß er sich im Kruge nicht zu lange verweilte und während der Predigt nicht nach den hübschen Mädchen hinüberschielte und auf dem Felde nicht mit den jungen Mädchen scherzte. Am liebsten hätte sie ihn fortwährend unter Augen gehabt. Manchmal besuchte er das Wirtshaus, nur um zu zeigen, daß er sich »von der Alten nicht einsperren« lasse.

Den Sommer über ging's bei alledem leidlich. Die Ernte fiel reichlich aus, und der Acker wurde wieder mit aller Sorgfalt bestellt. Als dann aber der Herbst mit seinen frühen Abenden und finstern Nächten herankam, und die Juden anfragten, mit wieviel Pferden man ihnen helfen wolle, da schüttete Endrullis seinem Fuchs die doppelte Portion Hafer, klopfte den Hals und sagte: »Wir müssen auch dabei sein.« Die Urte wollte davon nichts wissen. Es gefiel ihr nicht, daß ihr Mann sich die Nächte durch mit dem Judenpack herumzutreiben gedachte; auch fürchtete sie von dem Verkehr mit den wilden ledigen Burschen üble Folgen. Ob er's dann nötig habe zu reiten? Und es schicke sich für ihn auch nicht. Darauf aber wollte er nicht hören; er meinte nur, sie gönne ihm die Freiheit nicht und wolle nicht, daß er ein Stück Geld in die Tasche bekomme, das sie ihm nicht nachrechnen könne. Deshalb fruchteten ihre Bitten nichts, und als sie sich erzürnte und ihn mit Scheltreden anfiel, wurde er nur um so hartnäckiger und sagte: »Schweige still! Den Fuchs habe ich in die Wirtschaft eingebracht und habe mir vorbehalten, ihn zu satteln, wenn es mir gefällt, schon als ich zu dir zog. Hast du darin deinem Knechte nicht Vorschrift machen dürfen, sollst du's deinem Manne noch weniger.« Er tat, was ihm gefiel.

Meist ritten die Schmuggler vom Hofe des Purwins ab, da Ansas und Jurgis sich eifrig beteiligten. So hatte nun Endrullis häufiger die erwünschte Gelegenheit, sich dort aufzuhalten, und manchmal vergingen Stunden, bis die Pferde bepackt waren und die Kundschafter die Nachricht brachten, daß die russische Patrouille vorbeipassiert sei. Ewe half bei den Pferden, und so sah und sprach er sie oft. Er meinte seiner Pflicht genug getan zu haben, wenn er sie nicht geradezu aufsuchte, und sie ging ihm nicht aus dem Wege. Es blieb ihm nicht unbemerkt, daß sie sich besonders gern an seinem Fuchs etwas zu schaffen machte, Sattelgurt und Zaumzeug untersuchte und das Tier mit Brot und Zucker fütterte. Streichelte sie den glatten Hals oder kämmte sie mit den Fingern die krause Mähne, so ging's ihm warm durch die Glieder, als ob sie ihn selbst liebkoste. Und so war's sicher auch gemeint. Wollte er aber einmal ihre Hand greifen oder ihre Schulter umfassen, so entschlüpfte sie ihm wie eine Schlange. »Du meinst es ja doch nicht ernst«, sagte sie, und darauf wußte er freilich nichts zu antworten.

Einmal warf sie ihm vor, daß er allzu waghalsig reite. Die andern hätten davon viel erzählt. »Du reitest wie einer«, sagte sie, »dem das Leben nicht lieb ist.«

»Mir ist auch das Leben nicht lieb«, entgegnen er schnell. »Wenn du wüßtest, Ewe . . .«

»Ich habe dir's ja vorausgesagt«, unterbrach sie ihn. »Aber du hast nun den großen Hof und bist Wirt, wie du gewollt hast – das muß dir genug sein. Wenn dich ein Unglück träfe – der Urte wegen wäre mir's nicht leid; aber . . .«

»Aber –?«

»Ich weiß eine, die dich mehr betrauern würde als sie . . . und die hat wahrlich schon genug um dich geweint. Du sollst nicht um dein Leben reiten.«

Er schlug mit der Hand in die Luft.

Dieser Verkehr gerade war's, was Urte am meisten peinigte; denn das Mädchen war ihr verhaßt. Sie rief eines Tages die alte Gaidullene zu sich herein, beschenkte sie mit Mehl und Flachs und sagte ihr: »Passe auf, was da auf dem Hofe geschieht, wenn ich nicht dabei bin. Es soll auch ferner dein Schade nicht sein.« Die Alte verstand recht gut, was sie meinte, und versprach, die Augen offen zu haben. »Ja, ja«, knurrte sie, »mit einem jungen Mann hat man seine liebe Not, und die Ewe ist eine wilde Katze, vor der man sich hüten muß. Sie sind Nachbarskinder und haben einander immer gern gehabt.«

Eines Morgens nach einer sehr stürmischen Nacht, in der man jenseits der Grenze viel Schießen gehört hatte, kam Michel Endrullis auf schweißbedecktem Pferde ins Dorf zurückgesprengt, jagte an seinem Hofe vorbei und sprang erst vor dem des Purwins ab. Er klopfte heftig an die Läden und rief: »Macht auf! Es ist ein Unglück geschehen.« Ewe öffnete, der alte Purwins lag krank im Bette und stöhnte. »Was gibt's«, fragte er, »daß du solchen Lärm machst?« Endrullis sah ganz verstört aus, von seiner Stirn tropfte Blut. »Heiliger Gott!« rief Ewe, »du bist verwundet.« – »Das hat wenig zu sagen«, antwortete er, immer die Augen scheu abwendend, »aber deine Söhne, Adam . . .« Der Alte richtete sich hustend auf. »Was ist's mit denen? Ihr habt mit den Russen einen Kampf gehabt!« – »Ja, der Zug ist verraten – sie haben uns im Gebüsch an dem Busch, durch den wir reiten mußten, aufgelauert – zwanzig und mehr Mann. Wir bekamen gleich eine Salve, ehe wir sie noch bemerkten, und zwei von den Unsern stürzten vom Pferde. Wir wollten zurück, aber hinter uns war nun auch der Weg gesperrt. Wir sparten das Pulver nicht; das nützte in der Dunkelheit und gegen die Übermacht wenig, eine ganze Kompanie muß auf dem Platze gewesen sein. Einige sprangen ab und suchten sich zu Fuß durchzubringen. Der Ansas war gleich unter den ersten gefallen, weil er voranritt –«

»Ansas – gefallen!« schrien Purwins und Ewe zugleich auf.

»Ich hörte die Russen sagen: der ist tot. Jurgis hielt das Pferd auf und nahm's an den Zügel, um die Waren zu retten. Das war ihm hinderlich, er konnte nicht so rasch fort, als er sollte. Ich ritt dicht an ihn heran und rief ihm zu: laß los, wir wollen zusammen durchbrechen! Er war eigensinnig. Da umringten uns die Reiter und wollten uns gefangennehmen. Wir kehrten unsere abgeschossenen Gewehre um und schlugen mit den Kolben um uns. Sie aber schossen mit Pistolen. Plötzlich schrie Jurgis auf, warf sich hintenüber und stürzte zu Boden. Zwei von den Fußsoldaten hoben ihn auf und schleppten ihn fort – ich weiß nicht, ob er auch tot oder nur verwundet ist. Ich hatte etwas Luft bekommen, warf den Fuchs herum und jagte davon.«

Über diese traurige Nachricht gab's nun ein Jammern und Wehklagen im Hause und bald im ganzen Dorfe. Seit Jahren war kein solches Unglück passiert und nun zwei Brüder! Ewe machte sich sogleich marschfertig und ging über die Grenze, im Kordonhause nachzufragen, ob wenigstens Jurgis noch lebe. Man hatte ihn nach einer kleinen Stadt gebracht, in der sich ein Gefängnis und ein Hospital befand. Der Offizier dort hatte Mitleid und führte sie an ein Bett, auf dem Jurgis, von zwei Kugeln in die Brust getroffen, lag und mit dem Tode rang. Er starb wenige Stunden nach ihrer Ankunft in ihren Armen. Man sagte ihr, daß sie ein Fuhrwerk holen und die Leiche nach Preußen hinübernehmen dürfe. Ansas hatte man liegenlassen, wo er gefallen war. Noch denselben Abend brachte Ewe auf einem Leiterwagen die beiden Leichen über die Grenze und auf den Hof. Die ganze Dorfschaft hatte sich versammelt und sang Klagelieder; nur die Naujokene fehlte.

Adam Purwins, tief erschüttert von diesem Unglücksfall, überlebte seine Söhne nur wenige Monate. Bald nach Weihnachten erlag er seiner Krankheit.


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