Ernst Wichert
Ewe
Ernst Wichert

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V.

Einige Tage ließ er vorübergehen. Es war Erntezeit und auf dem Felde viel zu tun. Ewe ging ihren gewöhnlichen Geschäften nach und schien sich um ihn gar nicht zu bekümmern. Hatte Urte recht, oder geschah's aus Schlauheit, weil sie aufpaßte? Wie hübsch sie war, wie flink, wie munter bei der Arbeit! Mit den Leuten hatte sie immer etwas zu plaudern und zu scherzen, da konnte es ihnen nicht schwer werden. Am liebsten hätte er die Sense auf die Schulter nehmen und zu ihr übergehen mögen – »desertieren« nannte er's bei sich selbst. Aber was dann weiter? Völlig blind machte ihn die Leidenschaft doch nicht. Im Gegenteil meinte er, die Augen recht groß aufsperren zu müssen, daß er nicht in eine Falle gehe. Er hatte immer allerhand Praktiken im Kopfe, und wenn das Herz noch so laut sprach. Eines Abends, als Ewe im Graben am Wege unter einem Weidenbaum ausruhte, wußte er's so einzurichten, daß er nach seinem andern Roggenstück vorbeigehen mußte. »Ewe«, sagte er, »es kann so nicht bleiben. Darf ich morgen in der Frühe zu dir kommen? Ich habe etwas Wichtiges mit dir zu besprechen.«

Sie wandte den Kopf ein wenig zurück, nur so viel, daß sie einen raschen Blick über ihn hinstreifen lassen konnte. »Ich locke dich nicht«, entgegnete sie. »Wenn's aber dein ernstlicher Wille ist, so tu', was du mußt. Wie ich gesinnt bin, weißt du.«

»Doch nicht so ganz. Darum muß ich dich geheim sprechen. Schicke deine Leute voraus aufs Feld. Ich werde früh fortreiten, den Fuchs im Wäldchen lassen und den Bach entlang hinter den Erlen zurückgehen. Dann durch deinen Roßgarten. Schließe die kleine Hintertür am Stall nicht. Soll's so sein?«

Sie besann sich eine kurze Weile. »Das ist aber die letzte Heimlichkeit, Mikelis«, sagte sie. »Wenn du nicht den Mut hast, geradeaus deinem Herzen zu folgen, so bleibe lieber fort. Einen Schatz, der's nicht ehrlich meint, finde ich alle Tage.«

»Ich mein's ehrlich, Ewe«, versicherte er, »aber ich muß Gewißheit haben, daß auch du's ehrlich meinst.«

Statt zu antworten, lachte sie hell auf. Er konnte das nehmen, wie er wollte.

Am andern Morgen geschah's wie verabredet. Ewe erwartete ihn im Stall. »Die Gaidullene ist zu Hause«, bemerkte sie, »und dem alten Weibe ist nicht zu trauen. Meinetwegen freilich mag sie erzählen, was sie will. Aber wenn du Bedenken hast . . .«

»Ewe«, sagte er, »ich bedenke nur, was jeder andere an meiner Stelle auch bedenken müßte, wenn er bei Verstande ist. Wär's nur so zum Pfarrer zu gehen und sich trauen zu lassen! Aber bis dahin ist für uns beide leider noch ein weiter Weg.«

Sie hob trotzig das Kinn. »Aber man muß doch den ersten Schritt tun.«

»Der erste Schritt ist bald getan, Ewe. Aber wenn er getan ist, stehen wir sehr ungleich. Hab' ich mit der Urte gebrochen, so verliere ich Haus und Hof.«

»Und bei mir findest du wieder Haus und Hof, Mikelis.«

»Das kann sein, Ewe . . . aber es kann auch nicht sein.«

»Wie kann das auch nicht sein?«

Sie sah ihn forschend an, und die Nasenflügel bewegten sich, als wollte sie zornig aufwallen. »Mißtraust du mir, Mikelis?« fragte sie und zog ihre Hand aus der seinen.

Er haschte sogleich wieder danach. »Ich vertraue dir, Ewe«, antwortete er, »daß du's jetzt gut meinst. Aber was mit der Zeit geschieht . . .«

»Mikelis –!«

»Ich sage, wenn wir gleich zum Pfarrer gehen könnten! Das kann doch nicht sein. Und ich weiß nicht, ob dir nicht hinterher ein anderer besser gefällt . . .«

»Du denkst schlecht von mir.«

»Gewiß nicht, Ewe. Aber es kann sich selbst keiner so weit trauen. Sonst wär's ja auch nicht nötig, daß der Pfarrer aus zweien ein Paar machte.«

Sie senkte die Augen und zog die Lippe wie zum Lachen. »Es ist auch nicht nötig, wenn zwei einander wirklich liebhaben«, antwortete sie. »Haben sie einander nicht lieb, so hält das auch nicht.«

Er nickte, »Freilich! Aber, vom guten Willen hängt's doch ab – von dem allein. Und man weiß nicht, ob es beim guten Willen bleibt, wenn der eine Teil sich gebunden hat und der andere fühlt sich frei. Ich will nicht zum Gespött werden. Und wenn du's auch nicht so meinst, so wird's doch nach meinen stillen Gedanken so sein, und daraus kann nichts Gutes werden. Besser ist's, du bindest dich auch, damit wir für alle Fälle gleichstehen. Dann ist kein Zweifel, daß wir früher oder später glücklich zum Ziel kommen.«

»Wie soll ich mich binden?« fragte sie.

Er lächelte überlegen. »Gib mir eine Verschreibung, Ewe.«

»Daß ich dich heiraten will, wenn du mit der Urte auseinander bist?«

»Das könnte wenig nützen. Nein – über irgendeine runde Summe, die du mir zahlen willst, wenn du hinterher zurücktrittst.«

Sie setzte die Lippe auf. »Ich werde nicht zurücktreten.«

»Dann ist's ja so gut, als ob nichts verschrieben wäre. Nur daß ich etwas in Händen habe!«

»Du bist allzu klug, Mikelis.«

Er zuckte die Achseln. »Willst du, ich soll dir vertrauen, und vertraust du mir nicht?«

»Was soll ich dir verschreiben, Mikelis?« fragte sie nach kurzem Bedenken. »Du hast recht: es ist besser so – zu deiner Beruhigung, und damit du mir nicht den Vorwurf machen kannst, ich hätte dich von Haus und Hof gebracht. Willst du gleich das Grundstück?«

»Nein . . . Nur daß wir ungefähr gleichstehen –«

»Nenne nur die Summe – es ist gleichviel. Denn ich weiß doch, daß ich nie wanken werde.«

»Schreibe fünfhundert Taler.«

»Wie du willst. Aber wie soll ich schreiben?«

»Wie wir's abgemacht haben. Am Hochzeitstage wird das Papier zerrissen, und es gilt nur, wenn du sagst: ich will dich nicht.«

Sie lachte. »Dann gilt's nie. Es ist närrisch, daß ich so an dir hänge, aber ich kann's nicht ändern. Schreibe mir's vor, und ich will unterschreiben.«

»Das Klügste ist's«, sagte er, »wir machen einen Wechsel. Darauf schreibst du nur oben fünfhundert Taler und quer auf der einen Seite deinen Namen, so ist alles in Ordnung. Soll das Papier einmal gelten, so gilt's, ohne daß irgendein Mensch zu erfahren braucht, was zwischen uns verhandelt ist. Ich weiß damit Bescheid. In meiner Brieftasche hab' ich noch von Berlin her so einen Zettel, auf dem schon das meiste gedruckt steht. Willst du, so lasse ich ihn dir zurück. Du kannst dich ja dann noch bedenken.«

»Gib nur«, sagte sie, »da ist nichts zu bedenken. Ich will sogleich zum Schulzen gehen und dort schreiben – der hat Tinte. Dann komm auf dem Felde unter die Weide und hole dir das Papier ab. Ist's nun in Ordnung?«

Er zog den schmalen Papierstreifen aus seiner Brieftasche und zeigte ihr, indem er den Arm um ihre Schulter legte, wo sie die Zahl und wo den Namen zu schreiben hätte. Das schien ihr viel Spaß zu machen. »Und das Ding gilt dann fünfhundert Taler?« fragte sie. »Damit steckt man ja ein halbes Grundstück in die Tasche.«

»Soviel geschrieben steht«, versicherte er, »so viel gilt's.«

»Wem aber das Papier verlorengeht –?«

»So ist's, als ob man das Geld verloren hätte.«

»Dann verwahr es doch nur gut«, scherzte sie, »damit dir's niemand wegnimmt. Kannst du mir das Papier nicht zurückgeben, so heirate ich dich nicht, und wenn schon die Trauung beim Pfarrer bestellt wäre.«

Damit gab sie ihm einen leichten Schlag auf die Schulter und ließ ihn zur Tür hinaus. Lieber wäre ihr's gewesen, wenn er auf solche Gedanken nicht gekommen wäre. Aber es gefiel ihr doch auch, daß sie mit einem Federstrich über eine solche Summe verfügen konnte, und daß er auf sich etwas hielt.

Eine Stunde später auf dem Felde winkte sie ihn heran und gab ihm den Wechsel mit ihrer Schrift.

»Ist's nun richtig?« fragte sie.

»Es ist richtig«, antwortete er und schüttelte ihr die Hand. »Wann kann ich bei dir anziehen?«

»Heute noch, wenn du willst.«

»Gut. Ich will sehen, ob in der Wirtschaft alles in Ordnung ist, daß die Urte mir nichts Schlimmes nachsagen kann. Braucht sie mich da noch, so komme ich, wenn ich fertig bin.«

Dagegen hatte sie nichts zu erinnern.

Den Wechsel verwahrte er sorgsam in der Brieftasche. Er fühlte sich nun so sicher, daß ihn die Verhandlung mit der Urte gar nicht mehr beängstigte. Und so sagte er ihr denn beim Mittag gerade heraus, wozu er entschlossen sei. Urte legte den Löffel fort und stand auf. »Hast du sonst einen Grund«, fragte sie, »weshalb du von mir gehst?«

»Nein – aber der ist gut genug.«

»So ist es mir keine Schande, wenn du gehst. Du aber wirst ernten, was du gesäet hast. Ich rate dir gut: geh' nicht! Die Ewe wird dich verderben. Ich sehe dich noch einmal als Bettler an meine Tür klopfen, nachdem die Ewe dich vom Hofe gejagt hat. Ich rate dir gut: geh' nicht!«

Aber er ging doch. Nichts nahm er mit als den Fuchs, den er eingebracht hatte, seine Kleider und den verdienten Lohn aus seiner Knechtzeit und von den Schmuggelritten. Ewe empfing ihn mit offenen Armen.

Als nun Urte sah, daß ihr Mann ernst machte, lief sie zu Janis Piklaps, dem Gemeindevorsteher, klagte ihm und forderte, er solle es nicht leiden, daß ihr solches Unrecht geschehe und Ewe ihren Mann bei sich aufnehme. Der zuckte aber die Achseln und meinte, zu ändern sei's doch einmal nicht. Ein anderer an seiner Stelle hätte auch lieber eine junge als alte Frau. »Glaube nur nicht«, schloß er, »daß der Mikelis wieder von der Ewe abzubringen sein wird. Er ist in Berlin klüger geworden als wir alle und hat sich gut vorgesehen, daß sie ihm nicht den Stuhl vor die Tür setzen kann. Die Ewe ist bei mir gewesen und hat ihren Namen auf einen Wechsel über fünfhundert Taler geschrieben mit meiner Tinte und Feder. Als sie das tat, wußte ich nicht, weshalb es geschah; aber nun begreife ich wohl, was sie mit ihrer Antwort auf meine Frage meinte. Sie lachte und sagte: ich kaufe mir einen Mann. – Endrullis hat den Wechsel in der Tasche, glaube mir, und bekommt er nicht die Frau, so bekommt er das Geld. Der ist ein Schlauer!«

Darüber erschrak Urte sehr. Denn es war kein Zweifel, daß Piklaps recht hatte, und wie er die Sache ansah, so mußte sie ja nach ihrer Meinung jeder Verständige ansehen. Sie hatte sich noch Hoffnung gemacht, es werde ihm nicht lange in abhängiger Stellung bei Ewe gefallen; war er aber so gut gesichert, dann kehrte er gewiß nicht zu ihr zurück. Nun überlegte sie sich's, wie sie der Ewe am besten einen Tort tun könne. »Sie meint, ich werde mich von Mikelis scheiden lassen«, rief sie, »damit sie ihn heiraten kann. Aber am Altar soll sie seine Frau nicht werden! Ich tu's nicht, er gehört mir! Und wenn ich sie vor den Menschen nicht auseinanderbringen kann, vor Gott werde ich sie schon auseinanderbringen. Der Herr Pfarrer soll ihnen das Abendmahl verbieten und ihnen von der Kanzel ins Gewissen reden. Und wenn's zehn Scheffel Weizen kosten sollte und manchen Stein Flachs! Ich bin reich genug dazu.«


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