Christoph Martin Wieland
Gandalin oder Liebe um Liebe
Christoph Martin Wieland

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Prolog

»Schon wieder von Liebe und ewig von Liebe!«
Ja wohl! was wär' auch unterm Mond
Wohl mehr der Rede werth als Liebe?
Und unterm Mond und überm Mond
Was anders ist's als Liebe und Liebe
Was überall athmet, wirkt und webt,
Und alles bildet, alles belebt?
Ihr Weisen sagt, was sonst als Liebe
Ist dieser schöne Zusammenklang
Der Wesen? Dieser allmächtige Drang
Der Gleich an Gleiches drückt? Wie bliebe
Ein Sonnenstäubchen ohne Liebe
Beym andern? – Auch die Macht der Kunst,
Des Bildners Finger, die höchste Gunst
Der Musen, was sind sie ohne Liebe?
Mit Liebe sang Homer, mit Liebe
Schuf Raffael seine Galathee.
Du selbst, o Tugend, du höchste Höh'
Der Menschenseele, was bist du als Liebe,
Du Gott in uns? – Doch stille, Gesang!
Verletze nicht das heilige Schweigen!
Wohl uns, so viele von uns das Schauen
Von diesem Geheimniß empfangen haben!
Wohl uns! Uns leuchtet allein die Sonne,
Uns scheint das herzerfreuende Licht;
Wir leben das wahre Leben: athmen
In reinen Lüften mit freyer Brust,
Und sehen was ist mit unbefangnen
Augen, und hören Götterstimmen,
Und durch die tiefe Nacht der Wesen
Den Schwung der alles bewegenden Räder,
Und fürchten nichts! und schwimmen und wälzen
Durch Stille und Sturm uns, immer getroster,
Die ewigen Wege der Zeit hinab –
Nichts mehr! Ich schweige! – da wackeln Ohren
Die nichts verstehn –

                                    Nun, wieder dahin
Zu kommen, wovon wir uns verloren –
Brüder und Schwestern, die Hand ans Kinn,
Und fragt euch: Ist es nicht die Liebe
Der ihr in dieser Zeitlichkeit
Die besten Minuten schuldig seyd?
Und floß mit unter auch manche trübe,
Seyd billig! Zieht mir von der Liebe
Das alles was nicht Liebe ist
Rein ab, und dann sprecht was ihr wißt!

»Ja, sagt ihr, zwischen Lieb' und Liebe
Ist doch ein mächtiger Unterscheid!
Wie viele Thorheit, Eitelkeit
Und Selbstbetrug mischt sich mit unter?
Wie oft ist sie des Lasters Zunder?
Der Lüste Sklavin, und« –

                                        Haltet ein!
Verdorben Gefäß, wir wissen's alle,
Verfälscht den reinsten besten Wein:
Allein, wer schmählt in solchem Falle
Auf seinen Wein? Und würd' er Gift,
Glaubt ihr, ihn würden drum die Weisen
Aus ihrer Republik verweisen?
Was eure übrigen Klagen betrifft,
So sagt: was haben Dunkel und Helle,
Jedes für sich, denn wohl gemein?
Kann eine Feindschaft größer seyn?
Und doch, vermischt, sind sie die Quelle
Der ganzen Magie der Mahlerin
Natur! – Weh dem der keinen Sinn
Für dieß empfing! – Und also rieth ich,
Wenn euch zu rathen ist, ihr Herr'n
Weltbeßrer mit und ohne Stern,
Nach Standesgebühr, – ihr wäret so gütig
Und ließt es gehn wie's immer ging
Seit Chaos den ersten Funken fing,
Gucktet, anstatt zu widersprechen,
Wenn's euch nicht ansteht, anders wohin,
Und ließet die große Mahlerin
Fein ruhig ihre Farben brechen,
Und Licht und Schatten, nach ihrem Sinn,
Gatten, verstärken oder schwächen;
Und so – zumahl ihr doch daran
Nichts bessern werdet – mit eignen Händen
Ihr göttliches Liebesgemählde vollenden,
Und gönntet uns unsre Freude daran.

Und weil denn also Liebe und Liebe
Das ewige Mährchen der ganzen Natur,
Das Sehnen aller Kreatur,
Das Glück der Menschen und der Engel,
Kurz, Freunde, weil Liebe – Liebe ist:
Wie sollte, sie nicht, trotz ihrer Mängel,
Uns lieber seyn als – Hader und Zwist,
Als Neid und Haß und Blutvergießen,
Mord, Aufruhr, brennen, stechen und schießen,
Nicht lieber uns seyn als Trug und List,
Als Ränke schmieden und schikanieren,
Verleumden, heucheln und hofieren.
Kurz, sollte sie uns nicht lieber seyn
Als alle die häßlichen Betriebe;
Wodurch die Antichristen der Liebe
Ihr Freudenparadies entweihn?
Lassen wir dem Geschichteklittrer
Den leidigen Stoff, die Balgereyn
Und Heldenthaten der Erderschüttrer,
Wozu wir Armen die Haare leihn!
Der Held, von dem wir singen und sagen.
Ist keiner von dieser schwarzen Zunft.
Kein Mensch hat über ihn zu klagen;
Ist einer von unsern Freunden und Magen,
Die, selten einig mit ihrer Vernunft,
Ihr Herz im Busen offen tragen;
Immer das beste was sie thun
Durch etwas verderben was sie sagen;
Den Hasen oft zur Unzeit jagen,
Und dann wenn's Jagenszeit ist, ruhn;
Immer sich selbst für andre plagen.
Alles mit Liebesaugen sehn,
Immer ihr Herz zu wohlfeil geben,
Sich selber ewig Nasen drehn,
Und nur, wo kluge Leute schweben,
So fest wie eine Mauer stehn.

Für einen Helden (ich muß gestehn)
Ein seltsamer Mann! Doch laßt ihn kommen
Weil er nun da ist! Wir haben den Wicht
Nun einmahl in unsern Schutz genommen.
Und glücklich, (eher lassen wir nicht
Von ihm) sehr glücklich soll er werden,
Oder es müßte kein Glück auf Erden
Zu finden seyn! – Zwar etwas schwer
Wollen wir's ihm schon machen, und theuer
Erkaufen soll er's: das ist nicht mehr
Als billig! – Und stieße von ungefähr
Uns einer auf, der wackrer, treuer.
Und biederherziger war' als er:
So soll ihm alles Vergangne nichts nützen:
Wir lassen ihn auf der Stelle sitzen,
Und schlagen uns (unbesorgt ob man
Uns Wankelmuths bezücht'gen kann)
Stracks auf des bessern Mannes Seite,
Und nun zur Sache, lieben Leute!

 


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