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Drittes Kapitel

Eine ganze Reihe kleiner Villen stand nebeneinander. Man konnte sie gut betrachten, weil sie kein Gegenüber hatten. Die Straße war nur einseitig bebaut. Sie war abschüssig und schmutzig, jeder Wagen hinterließ eine tiefe Furche; auf der unbebauten Seite waren Kartoffeläcker, Obstbäume, Felder über Felder, bis hin zum Wald. Hier war die Stadt zu Ende. Es waren keine teuren Häuser, die da eng aneinanderstehend mit winzigen Vorgärten und Gittern in die Felder blickten. Von manchen fielen die schönen Stuckschnörkel über den Fenstern schon ab und sanken als häßliche, gelbweiße Haufen in den spärlichen Rasen der Vorgärten. Kaum rührte sich eine Hand, sie wegzutun. Die gelbe und graue Farbe der Häuserfronten hatte gelitten. Flecke zeigten sich. Wind und Regen ausgesetzt, konnten diese Stadthäuser dem Landwetter nicht standhalten.

Es war schwer, sich hier einzuwohnen. Die Räume waren klein, die Böden aus schlechtem Holz. Die Türen wollten nicht schließen. Die Treppe krachte, was Meinhardis besonders ärgerte, weil Käte davon erwachte, wenn er spät nach Hause kam. Frau Käte hatte einen leisen Schlaf. Obwohl sie eigentlich immer müde war. Dieser Umzug war wohl zuviel für sie gewesen. Einpacken und Auspacken. Porzellan in viele, viele Papiere, Holzwolle und Kisten. Möbel waren angestoßen worden. Das Glas von Bilderrahmen krachte. Gardinen mußten geändert werden. Alle Möbel schienen zu groß zu sein für dieses Haus.

Ein kalter Wind pfiff durch die geschlossenen Fenster. Frau Käte wehrte sich dagegen mit dicken Decken, die sie als Schutz innen vor die Fenster hängte. Sie fröstelte. Die Dämmerstunde zog sich immer länger hin. Käte war müde. Wenn sie vom Friedhof zurückkam, sank sie erschöpft in einen Sessel und schloß die Augen. Dann gingen alle auf den Fußspitzen, um sie nicht zu stören, und sie sagte leise: »Aber Kinder, ich schlafe ja nicht – ich mache nur die Augen zu.« Meinhardis hatte sein altes Weinlokal aufgesucht, wo er Kameraden von früher vorfand. Dort war in einer dunklen Ecke ein runder Tisch, auf dessen Mitte eine Fahne aus Nickel stand mit der Bemerkung: »Stammtisch«. Hier saßen die »Alten Herren«. Da saßen sie vormittags, wenn die Jungen staubig und durstig vom Dienst kamen. Da saßen sie gegen Abend, wenn es dämmerte, bis zum Abendbrot, zu dem jeder heimging zur wartenden Familie. Und mancher schlich sich dorthin zurück, wenn Frau und Kinder zu Bett gegangen waren. Zu diesen gehörte auch Meinhardis. Gott, was sollte man denn auch machen? Zu Hause war's langweilig. Gesellschaften machte man nicht mit, Frau Käte wollte keine Menschen sehen. Nur manchmal nahm er einen dicken Spazierstock und ging auf die nahen Berge.

Manuela mußte früh aufstehen, um rechtzeitig in die Schule zu kommen. Wenn man sie des Morgens weckte, war ihr, als sei ihr Hinterkopf am Bett angeschmiedet, die Augenlider aus Blei und die Glieder schwer wie Holz. Um jede Minute stritt sie mit dem Dienstmädchen, das die Pflicht hatte, sie herauszutrommeln. Ein Brötchen kauend, noch im kalten Halbdunkel der Morgendämmerung, die Zunge schmerzend von zu heiß genossener Milch, trat sie schlaftrunken den Weg an. Sie haßte die neue Schule. Sie war durch den Wechsel mitten in eine Klasse hineinversetzt worden, die einen ganz anderen Lehrplan hatte als die alte. Sie konnte nicht folgen, weil ihr der Anfang fehlte. Die Kameradinnen verhielten sich kalt ihr gegenüber. Sie war »neu«. Frau Käte gab sich alle erdenkliche Mühe, ihrem Kind zu helfen. Sie beschäftigte sich täglich mit ihren Schulaufgaben. Aber Lela war müde und lustlos. Nun sie einmal den Faden verloren hatte, verließ sie der Mut. Zum ersten Mal gab es Verstimmungen zwischen Mutter und Tochter. Lela schob insgeheim die Schuld an allem Unbehagen ihrer Mutter zu. Ihr Schlafzimmer war kalt, der Schulweg lang. Sie war ohne Freundinnen. Fast ärgerte es sie zu sehen, daß Mutti oft weinte. Sie wußte auch, warum Mutti weinte. Weil Papa nachts immer so spät nach Hause kam. Und wenn Mutti nur ganz leise etwas darüber sagte, wurde er wütend und schalt. Er schalt mit allen. Es fehlte ihm der Bursche. Immer hatte das Regiment ihm einen Soldaten zur Bedienung gestellt. Und nun diese dummen Frauenzimmer. Nichts wußten sie, nichts konnten sie. Sie konnten einem nicht einmal einen Kragenknopf festmachen. Geschweige denn Stiefel putzen. Frau Käte war blaß, aber niemand bemerkte es oder sprach doch davon. Als Lela einmal ihre Hand mit dem Federhalter ganz nahe vor ihren Augen schreiben sah, hatte sie das Gefühl, als müßten bald ihre Knochen durch die Haut stechen. Sie fürchtete sich. Mutter seufzte. Nicht so, wie andere seufzen. Nein, tief und in Absätzen. Als habe sie nicht einmal mehr die Kraft, alle überflüssige Luft auf einmal von sich zu stoßen.

Sie sagte zu Lela: »Wenn ich nun sterbe, dann mußt du sehr gut zu Papa sein.«

Lela achtete auf diese Worte gar nicht. Mutter starb nicht, sie sagte das so aus Müdigkeit und weil sie jetzt wieder noch mehr an Ali dachte. Zuerst starb doch natürlich Großmama. Mutter war zwar alt, aber bis sie starb, das dauert noch sehr lange. Neuerdings lachte Mutter nie mehr. Es war allerdings auch gar nichts zum Lachen da. Unweit vom Haus lief eine lange Kastanienallee zum Wald. Eingehakt in Mutters Arm, ging Lela neben ihr her. Sobald eine Bank da war, setzte sich Mutter. Ein unendliches Mitleid überkam das Kind, wenn es in Mutters blasses, ewig ernstes Gesicht sah. Die Kastanien warfen breite gelbe Blätter auf sie herab. Mutter sprach nicht. Nur so rätselhafte Sachen manchmal. Wie: »Wenn die Blätter wiederkommen, gehen wir hier nicht mehr zusammen.« Lela schauerte, obwohl sie den eigentlichen Sinn der Worte nicht in sich aufnahm. Zuviel dergleichen sagte Mutter seit langem. Nur wenn Papa so etwas hörte, wurde er einfach böse. Er hatte eines Tages einen Arzt geholt. Seither nahm Mutter kleine Kügelchen mit einem Schluck Wasser nach dem Essen. Bleichsucht. Überarbeitet. Sagte der Arzt. Mutter sollte sich schonen. Aber sie schonte sich ja. Sie tat jetzt gar nichts mehr. Sie stand erst gegen Mittag auf, und oft fand Lela sie beim Heimkehren von der Schule noch im Schlafrock, den sie auch gegen ein unbequemes Kleid gar nicht vertauschen wollte. Selbst die Wege zum Friedhof wurden seltener. »Es wird mir sauer«, pflegte sie zu sagen.

Lela geht auch heute langsam und stumm neben ihr her. In der Hand hält sie ein paar letzte rote Mohnblumen und ein paar wilde Löwenmäulchen, gelb und blaß.

»Ich habe den Herbst gern«, sagt Mutti. »Es ist gut, wenn die Natur zur Ruhe geht.«

Mutters Hände sind kalt. Ja, sie laufen bläulich an.

»Gehen wir nach Hause«, schlägt Manuela zaghaft vor.

Mutter legt sich zu Bett. Nein, es fehlt ihr gar nichts. Sie will schlafen. Ganz lange schlafen. Man verdunkelt ihr Zimmer und läßt sie allein. Mutter steht nicht auf. Lelas Herz klopft. Es überkommt sie langsam eine maßlose Angst. Wenn nun doch ... Aber man darf doch so was nicht sagen. Dann heißt es: Du versündigst dich, wenn du so etwas sagst. So was darf man nicht einmal denken. – Und sie, die in der letzten Zeit oft so häßlich zu Mutti gewesen ist.

Wenn Lela morgens erwacht, horcht sie an der Türe, und wenn sie keinen Atem hört, öffnet sie leise die Tür und geht erst wieder, wenn sie gewiß weiß, Mutter atmet. Den letzten Teil des Heimwegs von der Schule rennt sie wie gehetzt vor Angst, man könnte ihr etwas Fürchterliches sagen, wenn sie nach Hause kommt. Atemlos rast sie die zwei Treppen hinauf und stürzt an Mutters Bett. Mutter lächelt, Gott sei Dank! Und Lela atmet auf.

Lela setzt sich an Mutters Bett.

»Mutti, hast du Schmerzen?«

»Nein, mein Kind. Mir ist wohl. Ich bin bald bei Ali.«

»Nein, Mutti, bleib da!« Und in Lela krampft sich alles zusammen zu einem furchtbaren Schluchzen tief in der Brust.

»Nicht, Kind, nicht. Es ist gut so. Das ist doch wunderschön, Kind. Was der liebe Gott tut, ist gut. Wir müssen ihm gehorchen. Sein Wille geschehe.«

Leise tritt Meinhardis ein.

»Lela, geh hinunter zum Essen.«

Und Lela geht.

Meinhardis bleibt am Bett seiner Frau stehen.

»Ich muß fort«, sagt sie leise.

»Ach Unsinn, Muttchen. Wer wird denn so reden. Du mußt dich nur tüchtig ausruhen und ordentlich essen. Dann wird alles wieder gut.«

»Wann bist du gestern nach Hause gekommen?«

»Muttchen, spät«, sagt er reumütig.

»Ich habe dich nicht gehört. Ich habe wohl geschlafen.«

»Ich habe mir die Stiefel ausgezogen, damit ich keinen Lärm mache.«

»Mußt du denn immer trinken abends?«

»Aber was soll ich denn sonst tun?«

»Willst du keine Beschäftigung suchen, was arbeiten?«

»Ja, Muttchen, wenn du willst, kann ich ja mal annoncieren.« Er nahm es sich auch ernsthaft vor, aber er kam nicht dazu. Warum auch. Es hatte ja doch keinen Zweck. Alle annoncierten. Die anderen vom Stammtisch auch. Es hatte ja doch alles keinen Zweck. Er sagte das ja auch eigentlich nur, um Käte nicht mit Widerspruch aufzuregen. Bis es ihr besser ging, mußte man Geduld haben.

Lela hat nicht gut geschlafen. Sie hat beim Erwachen einen leeren Kopf. Und doch ist es spät. Sie muß sich eilen. Es ist kalt im Zimmer. Sie muß Licht machen, um zu sehen. Vor dem kleinen Spiegel kämmt sie ihre Haare und blickt in ihre großen, übernächtigen Augen. Ihr ist schlecht. Es ist ihr immer morgens schlecht. Ehe sie hinuntergeht, bleibt sie wie immer an Mutters Tür stehen. Es ist still drinnen. Leise öffnet sie um einen winzigen Spalt die Tür. Es ist ganz still. Sie strengt sich an, zu hören. Sie wartet auf eine leise Bewegung. Ihr Herz steht. Sie wagt sich nicht zu rühren. Im Halbdunkel sieht sie Mutters Haare wie einen dunklen Fleck. Die Hände sind über der Brust gefaltet. Die Tür hat gekracht. Jetzt wird Mutter natürlich aufwachen. Warum ist die Tür nicht geölt? Sie hat das längst machen wollen. – Vom Bett her kommt kein Ton. Lela kann sich nicht rühren. Ihre Hand an der Messingklinke wird zu Eis. Sie kann keinen Fuß vor den anderen setzen, ja, sie kann keinen Laut von sich geben vor unmäßiger, rasender, sinnloser Angst. Sie fühlt: Ich muß jetzt nur »Mutti« sagen, dann wacht sie auf. Und sie kann es nicht sagen. Nicht wecken. Das ist ein Schlaf, aus dem man niemand wecken darf. Hier darf man keinen Lärm machen. Hier ist es heilig. Wie im hohen Dom preßt sich ihre Hand auf den Mund. Nichts sagen. Es kommt keine Antwort mehr von dort. Nie mehr. Wie sie »nie mehr« denkt, schreit sie auf. Laut, verrückt, schneidend, irre vor Nichtertragenkönnen. Das »Nie mehr« war zuviel.

Berti rennt die Treppe hinauf, das Mädchen, Meinhardis kommen. Lela hält die Tür fest. Es soll niemand da hinein. Das ist ihre Mutter, und niemand darf sie anrühren und niemand darf dort hell machen. Sie gebärdet sich wie von Sinnen. Man muß sie mit Gewalt davonschleppen. Der kleine Körper hält's nicht aus, fühlt die Köchin. Ein fremdes Mädchen, erst kurz im Haus, eine vom Land. Sie nimmt das Kind auf den Schoß, an ihre schwere, breite Bauernbrust. Sie wiegt sie wie ein Wickelkind. Sie weint und weint und wiegt sich selber im Schmerz. Lela wehrt sich, aber der Bäuerin Arme sind stärker, und Lela gibt nach. In langes, klagendes Jammern tönen die Schreie ab. Wie Tiere heulen, in gezogenen Tönen, kommt es aus der schmalen Brust: »Mutti, Mutti, Mutti«, von den tränennassen, verzerrten Lippen. Und die Hände krampfen sich in das feste Fleisch der fremden Frau. »Ich kann nicht, ich kann nicht!« Und eine harte, rauhe Hand legt sich schwer über ihr ganzes Gesicht.

Plötzlich ist sie still und horcht. Oben tobt Berti. Mit einem Satz ist sie frei und die Treppe hinauf beim Bruder. Der hält sich beide Hände an die Schläfen und rennt um einen Tisch. »Schmerzen, Schmerzen, Schmerzen«, sagt er immerzu.

»Die Kinder müssen weg, die Kinder müssen aus dem Haus«, sagt Meinhardis. Er zeigt kaum Bewegung. Er hat zuviel zu tun. Ein Arzt muß geholt werden, man muß an die Schwestern seiner Frau telegrafieren, an Großmama. Es muß, es muß, es muß sehr viel erledigt werden. Jemand zieht Lela an und nimmt sie mit. Irgend jemand, eine entfernte Verwandte. Lela ist erschöpft und willenlos. Sie ist in einem fremden Zimmer. Man probiert ihr ein schwarzes Kleid an. Sie will nach Hause. »Du kannst nach Hause. Heute abend.« Da standen schon Lichter um Mutters Bett und Blumen. Mutter war schön. Wie aus Wachs. Lela stand an ihrem Bett.

»Sag Mutti adieu!« sagte Meinhardis. Lela schien es, als habe er eine andere Stimme. Er hatte seine Hände auf ihren Schultern. Wie sollte sie nur Mutti adieu sagen, Mutti hörte es ja nicht mehr. Die Kerzen flackerten auf und belebten warm das tote Gesicht. Lela trat leise an das Bett, vorsichtig streckte sie die Hand aus und zeichnete ein Kreuz auf die weiße Stirn ihrer toten Mutter.

»Gute Nacht, schlaf wohl, Mutti, Gott segne dich!«

 

Lela stand am Fenster. Ihre Stirn preßte das Glas. Mit dem nassen Taschentuch wischte sie immer wieder den Fleck aus, den ihr Atem auf der Scheibe machte. Die Feier der Einsegnung war vorüber. Wenige waren dabei gewesen. Die beiden Schwestern Frau Kätes, kaum ein paar Bekannte aus der Stadt. Man war ja wieder so fremd hier, nach so langer Abwesenheit. Die Dienstboten. Ein fremder Pfarrer hatte gesprochen. Nun wurde der Sarg die enge Treppe hinuntergetragen. Draußen auf der nassen Straße stand der schwarze Wagen, um ihn aufzunehmen. Vier ernste, sachliche Männer besorgten das. Blumen und Kränze wurden darauf gepackt. Es waren nicht viele. Berti und Papa schritten hinter dem Wagen her. Dann noch ein paar Leute. Langsam fuhr das Gefährt an. Es wackelte etwas, die Straße war schlecht. Langsam, ganz langsam fuhr der Wagen, als hätte man Angst, Muttis Schlaf zu stören. Zuletzt fuhr eine alte Droschke mit dem Pfarrer hinterher. Es ging hier bergauf. Es war keine Musik da. Man fuhr nur so. Langsam und ganz still.

In Lela riß plötzlich etwas entzwei. Bisher war Mutti noch im Haus gewesen. Dies war Abschied. Endgültiger Abschied. Jetzt war sie fort. Jetzt das Haus leer. Das dumme, dumme Haus. Leer.

Auf der Treppe lagen Blätter und zertretene Blumen. Die Haustüre stand noch offen, beide Flügel – weit. Ein feuchter Zug kam herein. Man hatte alle Fenster aufgerissen, um zu lüften. Es war gar nicht mehr ein Haus.

Manuela hatte nur einen Wunsch, weg, hinaus – allein sein. Hier waren geschäftige Leute. Man räumte auf, man wusch den Boden, man bezog Betten. Man kochte, und man heizte. Die Tanten hatten zu tun. In Schubfächern, in Schränken. Es mußte schnell gehen. Sie wollten wieder abreisen.

»Die Wäsche kann das Kind ja doch nicht gebrauchen, es ist ihr ja alles zu groß«, sagte Tante Luise Ehrenhardt.

»Diesen Persianermuff könntest du nehmen, Irene, er paßt zu deiner Stola.«

»Ja, danke. Wenn Lela groß ist, gebe ich ihn ihr wieder.«

Lela hörte alles. Der geliebte Muff, in den Mutter ihre mageren, kalten Hände gesteckt hatte, um sich zu wärmen. Immer hatte Lela ihre Händchen dazu gesteckt und ihren Kopf auf das weiche Fell gelegt.

»Dies alles geht in die Wäsche«, hörte sie weiter sagen. Da lief sie hinüber. Stand bleich und verstört vor den beiden Frauen. Sie wagte nichts einzuwenden – sie beobachtete nur, was man mit der Wäsche tat, und sobald der Augenblick es gab, bemächtigte sie sich der getragenen Wäsche ihrer Mutter und versteckte sie in ihrem Bett.

Hin und wieder schlich sie hin, vergrub ihr Gesicht tief in den weichen Batist und atmete den Duft ein, so lange, bis Mutti körperhaft sichtbar war und sie sie zu umarmen glaubte, ihre Wärme zu spüren, ihre Hände zu fühlen, ihre Worte zu hören: »Mein Liebling ...«

Tante Irenes Liebkosungen ließ sich Lela gerne gefallen. Tante Irene war lieb. Sie war Mutti ähnlich. Ihre Stimme konnten Fernerstehende manchmal nicht von Mutters Stimme unterscheiden. Tante Irenes Hände waren so wie Muttis Hände. Aber Tante Irene reiste gleich wieder ab zu ihren Kindern. Sie hatte keine Zeit. Auch Tante Luise fuhr weg mit einem Koffer voll Sachen, die Mutti gehört hatten. Tante Irene hatte ihr das meiste überlassen.

Alle waren lieb zu Lela, aber sie fühlte es gar nicht. Es war nur lästig. Sie wollte allein sein. Denn dann konnte sie Mutti bei sich haben. Sie wollte hinaus in die Kastanienallee, auf die Bank, wo sie immer mit Mutti gesessen hatte – sie glaubte, daß Mutti dort auf sie warten mußte, aber man ließ sie nicht gehen. Fast war es wie eine Bewachung. Sie flüchtete zu ihren Schulbüchern, da waren überall Bleistiftstriche, die Mutti gemacht hatte, im Lesebuch. Lela wußte genau, was Mutti damals gesagt hatte, wenn sie über dieses oder jenes Lesestück gesprochen hatten.

Lela hielt sich die Ohren zu, dann war Mutti da. Dicht neben ihr und sprach mit ihr. Aber schon machte jemand Licht und kam zu Lela und legte eine Hand auf ihren Kopf und sagte: Armes Kind!

Erst nachts ließ man sie in Ruh. Sie schlief fest ein. Mutti hatte ja auch immer gesagt, sie sollte gut schlafen. Fest glaubte sie, Mutti näher zu sein, wenn sie schlief.

Einmal, tief in der Nacht, hatte sie die Empfindung, als stünde eine dunkle Gestalt an ihrem Bett und griffe nach ihrer Hand. Wild schrie sie auf – sofort waren Menschen im Zimmer, und es war hell. Erst als sie wieder gingen, wußte Lela, daß das Mutti gewesen war, und sie, dumme Lela, hatte sich gefürchtet, hatte sie durch Schreien und Licht verjagt, ihre Mutter. Entsetzlich traurig über sich selbst, verhielt sie sich mit Gewalt ruhig und wartete mit starren Augen. Aber es kam nichts mehr. Nicht heute – und auch keine andere Nacht.


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