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Neuntes Kapitel

Nach Java. Das Totental. Die Flammen des Moro Avi. Der Gewittersturm. Die Höhle des Verrats. Das Tigerpaar. Wieder unter Menschen. Der Feuer- und Schlammberg. Zurück zur »Hammonia«. Die Strafe der Gelben.

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»Kapitän,« meinte Holm eines Morgens, während der Dampfer den Sundainseln zusteuerte, »Kapitän, ich hätte Ihnen einen Vorschlag zu machen.«

»So lassen Sie hören, mein Bester.«

»Ich möchte, ehe wir später nach Australien gehen, noch – bis zur südlichen Barriere vordringen.«

»Daß dich!« rief voll Erstaunen der Alte. »Weiter nichts?«

»Nein Kapitän, weiter nichts. Das Geheimnis des Südpols mag immerhin noch unentdeckt bleiben, aber bis an das Packeis wollte ich doch gern kommen. Wir brauchen auch die Tiefseegeschöpfe der kalten Regionen, wir möchten Walfische und Robben, Eisberge und die Brandung der unzugänglichen Macdonaldinseln kennen lernen. Ein paar Monate werden es ja tun.«

»Gewiß,« nickte der Kapitän. »Kleine tausend Meilen, was will das sagen?«

Alles lachte. Daß sich aber der gutmütige Führer dieser Expedition nicht sträuben würde, die allen Seeleuten so außerordentlich unliebsame Tour nach dem Südpolarkreise wirklich zu unternehmen, wußten sie trotzdem. Die Knaben entwarfen bereits lange Listen solcher Gegenstände, welche für die Tage des Frostes und Schneefalles unerläßlich waren, nämlich große Mäntel aus Schaffellen, Pelzstiefel und Pelzmützen, Fußdecken und ein Käfig für die beiden Affen, denen das Spiel im Tauwerk doch leicht zu ungemütlich werden könnte. Das alles sollte in der nächsten Hafenstadt gekauft werden, ebenso Harpunen und solche Vorräte, die durch außerordentlich hohe Kältegrade nicht leiden. »Es muß köstlich sein, einmal wieder nach Herzenslust zu frieren,« meinte Franz. »Wenn ich Schnee fallen sehe, dann – könnte es mich überrumpeln wie Heimweh.«

»Nicht wahr, zu Hause ist's doch am besten?«

»Möchtest du denn immer auf Reisen bleiben, immer fremd am fremden Orte, ohne eine Heimstätte, die dir gehört, Karl?« »Gewiß nicht, mein lieber Junge. Andere Gegenden haben vielleicht hohe Reize, aber die Heimat hat doch den höchsten. Für den Grönländer sowohl wie für den Tropenbewohner.«

»Ob man sich aber nicht wieder hinaus sehnen wird in die bunte Ferne, Karl, ob man, nachdem an Auge und Geist die Schönheit aller Länder vorübergezogen, noch wieder ruhig in Hamburg im engen Kontor sitzen und – Profit und Schaden gegen einander abwägen kann?«

Holm lächelte. »Ich hoffe es,« antwortete er nur.

Damit war die Unterhaltung beendet, namentlich weil man mit dem Schleppnetz fischen und die Tiefe untersuchen wollte. Was an bereits eingefangenen Krebsen und genießbaren Flossenträgern mit herauf kam, das wanderte in die Küche, alles andere dagegen wurde präpariert und verpackt, die Würmer, Schnecken, Quallen und die hübschen Anemonen, ebenso einige seltene Fische und einmal sogar eine kleine Wasserschildkröte, deren Art Holm völlig unbekannt war.

So zog die »Hammonia« wochenlang durch den blauen Indischen Ozean dahin, erst südlich von Sumatra, dann längs der Küste von Java nach Norden.

Als der Hafen von Surabaja nach glücklicher Fahrt erreicht war, wurden Pferde gemietet und unter Begleitung von Malaien die neue Reise angetreten. Da hier die Eingebornen an den Verkehr mit Europäern vollständig gewöhnt und nirgends mehr wild waren, so gestaltete sich alles leichter, obwohl freilich Kapitän und Steuermann den Ausziehenden rieten, vor dem treulosen, hinterlistigen Charakter der Malaien auf ihrer Hut zu sein. »Sie sind sämtlich falsch wie Galgenholz, die gelben Kerle,« sagte Papa Witt. »Ihren Profit kennen sie wie Juden, und Gewissen haben sie nicht mehr, als ein schlitzäugiger Chinese, – nun hüten Sie sich vor Schaden.«

Die Summe, welche der Anführer der kleinen Schar als Bezahlung empfangen sollte, wurde verabredet, ein Teil davon als Handgeld gegeben, und dann begann der Ritt durch weite Ebenen, in denen Reis, Mais, Indigo, Tabak und Baumwolle üppig gediehen. Alle diese Felder waren nett und sauber gehalten, die Wege gut im Stande, künstliche Kanäle hindurchgeleitet und von wilden Tieren keine Spur zu erblicken. Am interessantesten erschienen die Wohnhäuser der Malaien. Rund wie Bienenkörbe aus Bambus und einer anderthalb Meter langen Grasart, Alang-Alang genannt, künstlich geflochten, standen sie auf Pfählen 1¾ Meter hoch über dem Erdboden und waren ganz regelrecht von Zimmerleuten erbaut. Die Pfähle steckten in einer Entfernung von 1½ Meter im Boden und bildeten einen Kreis im Durchmesser von 10 Meter, während die Wand selbst vielleicht 3 Meter Höhe hatte. Das Dach wurde von drei Balken getragen und zeigte einen hübschen, wie eine Veranda gestalteten Vorbau, in dem jedesmal mehrere Vogelkäfige hingen, sowie ein eng bevölkerter Bienenkorb, dessen stachellose Insassen die Javanesen mit Wachs und Honig versorgen. Den Fußboden dieser nur für Verheiratete gebräuchlichen Wohnungen fanden die Reisenden in Ermangelung von Betten auf eigentümliche Art hergestellt. Zuerst grobe Feldsteine auf starken Bambusstäben, dann feinere Steine, endlich Kies und ganz oben gespaltene Bambusstäbe, die ihre platte Seite nach außen kehrten. Der Fußboden war also dicht und bequem, viel besser als ihn unsere Freunde irgendwo in den Dörfern der Eingebornen auf Ceylon bemerkt; auch befand sich des häufigen Regens wegen die Feuerstelle inmitten jeder Wohnung. Für Unverheiratete war ein größeres derartiges Haus, abgesondert von den übrigen, hergestellt.

Alle diese kleinen, gelben, beweglichen Menschen mit wenig schönen Gesichtern und struppigem, grobem Haar, schienen sorglos in den Tag hinein zu leben, ihre Arbeiten möglichst oberflächlich und träge zu bewerkstelligen und den Besuch der Fremden in ihren Dörfern sehr gern zu sehen. Von der zurückhaltenden Würde der Singhalesen, von ihrem religiösen Gefühl und ihrem Stolz war nichts zu entdecken, vielmehr boten alle, selbst die Kinder, den Weißen dieses oder jenes zum Kauf an, umdrängten sie und ließen nicht ab, bis ihr Besuch im Schauspielhause für denselben Abend zugesagt war. Die jungen Leute trauten ihren Ohren kaum. Ein Schauspiel unter den Wilden auf Java! Das übertraf allerdings die kühnsten Erwartungen. Mit gespanntem Interesse nahmen alle ihre Plätze in der großen, leicht und luftig erbauten, für die Wandertruppe auf dem Dorfmarkt errichteten Bude: die seltenen Gäste bezahlten hier zwar ihre Plätze verhältnismäßig höher als im teuersten europäischen Opernhause, aber dafür bot sich auch etwas nie Gesehenes, wobei nur die Gehörsnerven empfindlich litten. Die Musik war nämlich nichts mehr und nichts weniger als ein Höllenlärm, wobei der Gamelang (ein Glockenspiel) noch außerdem durch die beständige Wiederholung desselben Tones wahrhaft betäubend wirkte. Als das Schauspiel begann, jubelten und lachten, schrieen und jauchzten alle Zuschauer laut durch einander, so daß aus den Tönen rings umher ein Gewirr, Tosen und Brausen entstand, in dem jede Einzelheit verloren ging. Freilich hätten die Europäer ohnehin dem Gange des Stückes nicht folgen können, da ihnen das Verständnis der javanischen Sprache gänzlich fehlte, aber dennoch gehörte eine tüchtige Gesundheit dazu, um dies »Vergnügen« ohne Schaden zu ertragen. Der Doktor klopfte auf Holms Schulter, seine Bewegungen sagten deutlich: »Ich bin einem Schlaganfalle nahe, lassen Sie mich hinaus!« und Holm telegraphierte zurück: »Gehen Sie allein! ich stehe in der Brandung und werde aushalten.«

Dann verschwand der alte Herr, die Knaben stimmten mit der ganzen Heiterkeit ihres glücklichen Alters in den Jubel und Trubel mit ein, nur Rua-Roas Gesicht wurde länger und immer länger. Er begriff nicht, was da vorging, er hielt die Szene für Wirklichkeit und wollte durchaus einem von Panthern und Tigern verfolgten Eingebornen zu Hilfe eilen, was natürlich den Frohsinn der übrigen nicht weniger steigerte. Auf der Bühne wurde indessen der Spektakel immer ärger. Ein Held im vollsten einheimischen Putz, klirrend von Blech, Messing, Perlen und Schnallen, bunt von Malerei, mit grimmigen Gebärden und laut brüllendem Tone, besiegte alle möglichen Ungeheuer, während ein zitterndes, flüchtendes Mädchen bald auf die Kniee fiel, bald sang und einen sonderbaren Tanz vollführte; andere Gestalten flogen dazwischen, ein Zweikampf fand statt, wobei der Besiegte in wirklicher Wirklichkeit durchgebläuet wurde, und zuletzt schloß das Ganze mit einem Tanz, bei welchem die Schauspieler jeder nach seinem Belieben ohne Takt oder Ordnung nur wilde Sprünge und Lärm vollführten.

Als sich unsere Freunde draußen wiedersahen, als ihnen vom Lagerplatz her der Doktor mit teilnehmendem Gesicht entgegenkam, da lachten alle, daß ihnen die Seiten weh taten. Einmal in einem Javanesentheater und nie wieder! Sie hatten sämtlich das Gefühl, als stehe eine Mühle, deren Rauschen und Dröhnen bis dahin ihre Nerven betäubt, jetzt plötzlich still.

»Kinder, genießt erst ein wenig,« ermahnte der alte Herr, »die Nüchternheit der landesüblichen Speisen wird euer Blut bestens abkühlen. Reis ohne Fett oder Gewürz und ein trockener Fisch, das ist alles, was sich auftreiben ließ.«

Man erstand gegen teuren Preis von den Eingebornen dazu einige Kokosnüsse, und dann nach beendetem Mahle wurde die Nachtruhe gesucht. Franz und Holm lagen in der Nähe der offenen Tür auf ihrem Mattenlager, als plötzlich der Knabe die Schulter seines Lehrers berührte. »Du, Karl, ich bitte dich, hier fliegt alles, was anderswo auf vier Beinen läuft. Sieh doch einmal dorthin, ein Hund – große Frösche, alles segelt durch die Luft.«

Die beiden jungen Leute sahen vor ihren Augen ein Bild sich entrollen, das allerdings seltsam genug war. An den Zweigen hingen Tiere von nicht völlig einem halben Meter Länge und mit dunkelbraunem, dicht behaartem Körper, der in eine vollständige Hundeschnauze auslief. Hundeohren, Hundestirn und große gutmütige Hundeaugen, alles vereinte sich, um die Täuschung zu vollenden; erst der schwarze mantelartige Hutschirm über dem ganzen Körper, die Flugbreite von wenigstens 1¾ Meter verrieten die Fledermaus, deren riesigstes Exemplar, der Kalong oder fliegende Hund, hier massenhaft vorkam. Rechts und links schossen die großen Tiere durch die Luft, an allen Fruchtbäumen in den Gärten hingen ihre langen Krallen; kein Zweig, keine Sorte blieb unbenascht. Die sonderbaren Tiere mußten sehr friedlicher, zahmer Natur sein, da sie sich so in die unmittelbare Nähe der menschlichen Wohnungen wagten.

»Ob ich schieße?« zögerte Holm. »Haben möchte ich ein solches Exemplar um jeden Preis, aber man weiß nicht, wie die Sache aufgenommen wird.«

»Hm, – im Freien darf man am Ende doch schießen.«

Nach kurzem Besinnen kletterte der junge Gelehrte zur Tür hinaus und wollte eben hinter einer Palme Posto fassen, als, wie aus dem Boden gewachsen, mehrere Eingeborne vor ihm standen. »Was wünschest du, Herr?« hieß es.

Holm blieb ganz gelassen. »Einen Kalong zu schießen,« versetzte er. »Weiter nichts.«

»Dann lege dich nur ruhig wieder schlafen, Herr. In allen Hütten leben zahme Kalongs, du kannst sie kaufen.«

»Desto besser. Gute Nacht, mein Freund!«

Und Holm schwang sich in die treppenlose Tür wieder hinein. »Siehst du,« raunte er, »wir werden bewacht. Umsonst gibt es hier nichts, auch keine Jagdfreiheit, wie mir scheint; die Eingebornen betrachten uns wie ihre gute Beute.«

Er legte sich wieder hin, heimlich geärgert von den vielen, die Fruchtbäume nach Herzenslust plündernden Kalongs, die er nicht schießen durfte; endlich aber lachte er doch mit dem Knaben und zwar über die großen Frösche, welche zahlreich unter den Bäumen einher flogen. Zwischen den Zehen befand sich eine Haut, und der ganze Körper war zur dreifachen Größe aufgebläht; unten gelb, oben grün mit schwarzen Schwimmhäuten, segelte das unförmliche Geschöpf wie ein Pfeil durch die Luft, während eine kleine Eichhörnchenart lustig von einem Baume zum anderen hüpfte und sich die Nüsse schmecken ließ. Kleinere Fledermäuse schwirrten zu Tausenden umher.

Allmählich kam der Schlaf und verwischte im bunten Durcheinander des Traums die verschiedenen wechselnden Bilder dieses Tages; es ruhte sich bequem auf den weichen Matten, und unsere Freunde erwachten erst wieder, als die Sonne hoch am Himmel stand.

Jetzt überzeugte sich Holm von dem Vorhandensein zahlreicher gezähmter Kalongs; er kaufte daher vorerst noch keinen derselben, sondern beschloß diesen Handel bis zum Rückwege hinauszuschieben. Es galt heute, eine der Gifthöhlen Javas zu besehen. Während des ganzen Tages ritten die Weißen mit ihren Begleitern über schattenlose, meilenweit gedehnte Grasflächen, auf welchen ihnen Spuren von Rhinozerossen, Hirschen und Wildschweinen begegneten; dann kam eine dürre, felsige Gegend; himmelhohe Abhänge, grünbewachsene, von den wundervollsten, farbenprächtigsten Vögeln belebt, erhoben sich zu beiden Seiten des steinigen, abschüssigen Weges; Papageien, Pfauen, Turteltauben, der wilde Hahn, der Ziegenmelker, der Reisdieb, der Manuk Kasu, ein entzückend singender, kleiner Vogel, und endlich die Schwalbe, welche jene berühmten eßbaren Nester baut, alle flatterten und flogen, hüpften und standen unter den schönbelaubten Bäumen verschiedenster Art, inmitten zahlloser blühender Orchideen und anderer wuchernder Zierpflanzen. Die Krone von allen aber bildete der Königsparadiesvogel. Sechs Zoll lang, mit tiefpurpurnem Gefieder, einem breiten, grüngoldenen Querband auf den Flügeln, grünen Seiten, grüner Brustbinde und weißem Bauche, erschien er den Reisenden einigemale auf flüchtige Sekunden und in ziemlicher Entfernung, dann war er davongeflogen, ehe noch ein Schuß ihn ereilen konnte. Das Gefieder blitzte im Sonnenlichte wie mit Edelsteinen übersäet; besonders die spiralförmig gewundene Schwanzfeder war von überraschender Schönheit.

»Der Manukodiata,« sagten die Eingebornen, deren Pfeile ebenso rasch und ebenso vergeblich angelegt wurden, wie die Gewehre der Weißen, »seine Federn machen hieb- und schußfest in allen Schlachten.«

Dadurch war denn das seltene Erscheinen des Vogels genügend erklärt. Wenn ihn die Eingebornen als Federbusch auf dem Kopfe tragen, so mußte wohl seine Ausrottung schnell genug von statten gehen. Die unschönen Weibchen zeigten sich häufiger. – Noch mehrere andere Spielarten derselben Gattung wurden wahrgenommen: der rote und der stolze Paradiesvogel, aber keine war zu erlangen; ebenso Schmetterlinge vom schönsten, prächtigsten Farbenspiel und der karmoisinrote Pirol. Weiterhin durch die Ebenen jagten stampfend Herden von wilden Stieren, hoch hinauf in das ewige Blau ragten die Felsgipfel und südlich kosende, von Blumendüften erfüllte Luft fächelte die Stirnen. Es war eine Erholung für alle Sinne, nach dem meilenweiten Ritt durch das Alanggras, jetzt in dieser wundervollen Umgebung Auge und Ohr schwelgen, die angespannten Kräfte träge ruhen zu lassen. Bisweilen wurde der Weg zwischen den hohen, oft von Staubbächen überrieselten Gebirgswänden so eng, daß die Pferde eins hinter dem andern gehen mußten; weicher Halbschatten, linde, wohltuende Dämmerung lag dann auf der blühenden Landschaft. Häufig fanden sie an den Zweigen der Büsche jene seltsam gestaltete Gespenstschrecke, welche die dornfüßige genannt wird, und deren Vorkommen bis jetzt nur auf Java beobachtet wurde. Das mit stummelhaften Flügeln ausgerüstete Weibchen derselben wird bei einem Leibesdurchmesser von etwa einem Zentimeter gegen zweiunddreißig Zentimeter lang und besitzt eine braungraue Farbe. Den Kopf kann dieses Tier in eine tiefe Ausbeugung der vorgestreckten Vorderbeine legen und sieht dann in der Nähe einem dürren Aste zum Verwechseln ähnlich. Diese Ähnlichkeit des Tieres mit dem Orte, an welchem es sich aufzuhalten pflegt, findet sich bei den Kerbtieren nicht selten und ist als ein Schutzmittel zu betrachten, das die Natur auch diesen ihren Kindern verliehen hat, um sie vor den Augen der Feinde zu verbergen. Bei Nacht verzehren sie die Blätter des Unterholzes, bei Tage dagegen ruhen sie von ihrer nächtlichen Arbeit aus und können nur dann leicht erkannt werden, wenn sie vorwärts kriechen. Man hat die Gespenstschrecken auch wandernde Äste genannt. Holm war erfreut, diese seltene und seltsame Art vorzufinden, und da sich günstige Gelegenheit bot, wurden viele Exemplare derselben gesammelt, um teils trocken aufgespießt und mit Tabaksaft vergiftet, teils in Spiritus aufbewahrt zu werden. Die Vogelwelt war auf das reichste vertreten. Goldglänzende Pfauen schlugen ihr Rad, vom Nest lockte das Turteltäubchen und auf blumengeschmückten Ranken wiegte sich die buntgefiederte Schar. Ein kleiner, scheuer Hirsch, der Kantschil, erschien auf unnahbarer schwindelnder Klippe; ein Affe lugte aus verborgenem Schlupfwinkel hervor; vom Baume warf mit wütenden Gebärden der graue Manjet-Affe die reifen Früchte den Vorüberreitenden nach, und aus dem Felsspalt zischte die pantherartig gefleckte, wilde Katze. Überall reges Leben der Wildnis, überall Tiere und der Krieg des einen Geschöpfes gegen das andere; hier Termiten, die geschäftig bauten, dort das Schuppentier, welches die eben fertigen Wohnungen zerstörte und die kleinen braunrändigen Baumeister zu Hunderten verspeiste; dazu auf allen Bäumen, in allen Höhlen und Spalten Fledermäuse ohne Zahl. Der Blick irrte von Schönheit zu Schönheit, von Reiz zu Reiz, hier lagen ganze Beete blühender Orchideen, dort brauste ein Gebirgsbach durch die Schlucht; hier senkte sich das Tal zur tiefen dunklen Mulde, dort führte der Weg über zackige, scharf am Abgrunde dahingleitende Bahnen.

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Ins Hochgebirge von Java

Hinauf, immer weiter hinauf in den rauschenden Hochwald, stundenweit empor, bis die Nacht kam und zum Ausruhen zwang. Affen in ganzen Scharen bevölkerten die Bäume, Stier und Nashorn brüllten in den Ebenen, Schlangen krochen durch das Gras, neugierige Eidechsen wagten sich ganz in die Nähe des Lagers, und schöne Stachelschweine wurden ohne viele Mühe eingefangen. Am nächsten Morgen ging es weiter, immer bergan, bis allmählich die Landschaft ihren Blütenglanz und ihr Tierleben verlor. Große Adler traten an Stelle der Pfauen und des Pirol, Bergziegen weideten das spärlicher gewordene Grün, und einmal erhob sich aus dem Gestrüpp fast vor den Füßen der Pferde ein großer Königstiger. Noch ehe einer der Männer schießen konnte, war er mit ungeheurem Satz hinter den nächsten Gebüschen verschwunden; nur sein wütendes Brüllen schallte über die Umgebung dahin. Ein einzelner Mann, selbst zu Pferde, wäre von der gereizten Bestie in Stücke zerrissen worden; der größeren Anzahl gegenüber wagte sie keinen Angriff.

Einer der Führer deutete hinauf in die Luft, wo sich auf halber Höhe des Berges eine Art Lücke, eine Unterbrechung der glatten Wand zeigt. »Das ist Pakaraman, das Totental!« sagte er feierlich.

»Da oben auf der Höhe?«

»Ja. In einer Stunde werden wir dort sein. Gefahr ist um diese Zeit nicht dabei.«

»Wie kommt es,« sagte Franz, »daß das Totental nicht immer seine tödliche Wirkung auf die Besucher ausübt?«

»Dieses Tal,« antwortete Holm, »liegt in unmittelbarer Nähe von Vulkanen, und in demselben sammelt sich von Zeit zu Zeit Kohlensäure an, welche von vielen Vulkanen fast ununterbrochen ausgehaucht wird. Diese Kohlensäure – ihr kennt sie alle als das perlende Gas, welches in dem bekannten Selterswasser enthalten ist – wirkt eingeatmet auf die Lungen als tödliches Gift. Wenn nun kein Luftzug sich regt und die vulkanischen Ausdünstungen sehr heftig sind, so sammelt sich im Grunde der trichterförmigen Schlucht so viel Kohlensäure an, daß der Besuch derselben gefährlich wird. Wenn dagegen die Ausströmung des Gases sich vermindert und ein starker Wind in die Schlucht dringt, so kann dieselbe ohne schlimme Folgen betreten werden. Übrigens,« fuhr er fort, »gibt es auch in Europa eine Grotte, deren Boden etwa ein bis zwei Fuß hoch mit Kohlensäure bedeckt ist, die, weil ihr spezifisches Gewicht das der atmosphärischen Luft an Schwere übertrifft, sich nur unten aufhält.«

»Ah, ich weiß schon,« rief Franz, »es ist die Hundsgrotte bei Neapel. Der Mensch betritt sie, ohne von der Kohlensäure belästigt zu werden, Hunde dagegen, die man mitnimmt, ersticken, weil ihre Atmungsorgane sich im Bereich des giftigen Gases befinden, sobald sie auf den Boden gesetzt werden.«

»Ganz recht,« bestätigte Holm. »Die Ursachen beider Merkwürdigkeiten sind dieselben, nur die Form, in der sie sich äußern, ist eine verschiedene.«

Der steil ansteigende Weg wurde in beschwerlichem Ritt auf den kleinen javanischen Pferden zurückgelegt, und dann standen die Wanderer vor einem überraschend schönen Anblick. Ein breiter blauer Strom sandte seine Wellen zu Tal, Krokodile, Leguane, und Wasserschlangen bevölkerten die röhrichten Ufer, und zur Seite des rollenden Stromes senkten sich die Bergwände zum tiefen, trichterförmigen Kessel. Eine breite Rundung gab den Blick frei in die schwindelnde Tiefe des Totentales. Zuweilen entströmen hier der Erde so furchtbare Ausdünstungen, daß alles Pflanzen- und Insektenleben während einer einzigen Nacht zu Grunde geht, zuweilen grünt und blüht es da unten bis zum mittelsten flachen Kreise von etwa fünf Metern Durchmesser; dieser innerste, unterste Fleck ist gleichsam durchseucht von dem Gift in seinem Schoße; er trägt nie einen grünen Halm, nie eine Blüte; auf ihm lastet ewig unfruchtbare Dürre.

Die Pferde wurden an Bäume gebunden, und Holm und Franz mit dem Malagaschen versuchten das Hinabsteigen, während Hans und der Doktor oben blieben. Die Führer kletterten voran, an ihren Ledergürteln lange Knotenstöcke tragend, die bei dem Wege bergab für die Weißen als Stützen und später bergan als Handhabe dienen sollten. Oben am Rande wuchsen von allen Seiten knorrige, wildverschlungene Baumstämme über die Schlucht hinaus, der Pfad bergab lief schräg an der Felswand hin, das helle Tageslicht fing schon nach den ersten fünfzig Schritten an, in Dämmerung gehüllt zu erscheinen. Große Eidechsen schlüpften über das Gestein; eine kalte Luft wehte von unten herauf.

Die Javanesen und der Malagasche sprangen mit jener überlegenen Geschicklichkeit der wilden Völker ziemlich ohne Mühe von Ast zu Ast, von Klippe zu Klippe bis auf den untersten Grund hinab; weniger leicht folgten ihnen die Europäer. Nur mit blutenden, geschundenen Händen gelang es diesen letzteren, die dunkle Tiefe im Schoße des Berges überhaupt zu erreichen; klopfenden Herzens standen sie unter dem gewaltigen Eindruck einige Augenblicke sprachlos; nur mit Mühe konnten sie in der kalten, schweren Luft Atem schöpfen. Hundert Meter hoch über ihnen lag auf dem Rande der finsteren, unheimlichen Schlucht blitzend und glühend das Sonnenlicht, kaum erkennbar, nur wie ein funkelnder Streif, von den schwarzen Tiefen hier unten gänzlich ausgeschlossen, keinen Strahl hinabsenkend, keinen warmen Hauch, kein noch so schwaches Leuchten.

Wahrlich, das Totental verdiente mit Recht seinen Namen. Der gleiche beklemmende Eindruck, den es verursachte, lag auf allen Teilnehmern dieser gefährlichen Expedition. Als in Holms Hand die mitgebrachte Wachskerze aufflammte, beleuchtete ihr schwaches in der Kellerluft da unten kaum die nächste Umgebung erhellendes Glimmen lauter blasse Gesichter und ernste Mienen. Es war doch ein seltsames Gefühl, so von allen Lebenden getrennt, abgeschieden von Luft und Licht, da unten allein in schweigender Öde die nassen Wände und die verkümmerten wenigen Gewächse anzusehen, letzte Spuren der Pflanzenwelt, letztes welkes Grün, grau und fahl gesprenkelt, kaum noch lebend, ohne Saft und Mark am verknoteten dürren Rankgeflecht. Eine große Schlange glitt ringelnd über das verwitterte Gestein dahin, Unken und Frösche glotzten aus den Winkeln, Eulen mit runden gelben Augen schossen auf, gespenstigen Fluges die Stirnen der Männer streifend; auch hier schwirrten Fledermäuse wie Mücken im Sonnenschein.

Holm brach zur Erinnerung an die Stunde im Bauch des Hexenkessels, dessen todbringender Hauch schon so oft Verderben über die Umgebung gebracht, vom Gestein der Wand ein Stück, das er in die Tasche steckte, ebenso aus dem mittleren, wüsten Bodengrund etwas Kies; dann wurde der Rückweg angetreten.

Jetzt ging es leichter; die schweren Stöcke der Eingebornen dienten den Weißen als eine Art von Treppengeländer; sie hielten sich, wo es nötig war, daran fest und gelangten so nach und nach an die Oberfläche, wo schon der Doktor und Hans ungeduldig gewartet hatten. »Nun, nun,« drängte ersterer, »ihr seht ja aus, als sei euch da unten – der Himmel vergebe mir die Sünde! – der leibhaftige Teufel begegnet!«

Holm lächelte. »Da unten aber ist's fürchterlich!« zitierte er. »Ich möchte doch um keinen Preis die Tour noch einmal machen. Und du, Franz?«

Der Knabe schauderte. »Mir ist es immer noch, als fühlte ich die kellerkalte, drückende Luft,« antwortete er.

Nur die Eingebornen waren sehr gleichmütig; sie hatten die Fahrt in den Höllenschlund schon mehr als einmal bewerkstelligt und behielten bei der ganzen Sache ausschließlich den Verdienst im Auge. Auch Rua-Roa erklärte, in seiner Heimat oft noch ganz andere Streifzüge unternommen zu haben; er würde sich nicht bedenken, jetzt gleich und zwar allein wieder hinunter zu klettern. Das wilde Element in ihm trat auch so recht zu Tage, als es galt, an der entgegengesetzten Seite des Hochgebirges wieder ins Tal zu gelangen. Der Weg war äußerst beschwerlich, Steinwildnis folgte auf Steinwildnis; erst nach längerem, mühsamen Ringen, wobei die kleinen, einheimischen Pferde, des Steigens gewöhnt, die besten Dienste leisteten und gleitend, rutschend und springend über Abstürze gelangten, vor denen ihre Reiter schaudernd die Augen schlossen, – verwandelte sich der rauhe Pfad wieder in den bewachsenen, von Bäumen beschatteten Waldweg.

Man war immer noch im Gebirge; die Führer vermieden absichtlich das tiefere Tal, und zwar um den Reisenden das »Moro Api« oder ewige Feuer von Java zu zeigen; aber dennoch blühte und grünte üppige Pflanzenwelt rings umher und plätscherte in munteren Sprüngen ein Fluß, der Gunang Morio, zur Seite des Weges dahin. Breiter und breiter dehnte sich die blaue Fläche, mehr und mehr umhüllten die Schatten mit grauen Schleiern das schöne Landschaftsbild. Es wurde dunkler Abend, der Vogelgesang verstummte, die Blumen dufteten stärker, Eulen und Fledermäuse belebten die Luft, Wildkatzen begannen ihre Jagd, Marder von ungewöhnlicher Größe kletterten den Tauben bis auf die höchsten Kronen nach, und fernher schallte das Bellen der wilden Hunde; – da erschien zwischen den Baumwipfeln ein unsicheres, flackerndes Licht, noch kaum erkennbar; wie ferner Feuerschein, wie wenn jemand mit der brennenden Lampe kommt und geht, ohne an einem Orte zu verweilen.

»Das kann kein Dorf sein,« rief Franz, »sonst müßten ja die Leute im Wasser wohnen. Das Licht schwebt über dem Flusse.«

»Moro Api!« sagten die Javaner.

Neugierig gemacht, eilten die Weißen so schnell als möglich vorwärts, ohne Bedenken den Eingebornen nach, als diese in das Flußbett hineinritten und quer über eine breite, ganz mit Wasser bedeckte Ebene dahinsprengten. Jenseits des murmelnden, silbernen Elementes fing das Gewirre von Klippen und Abgründen wieder an, zerstreute Blöcke und phantastisch geformte Zackenreihen sprangen weit in das Wasser hinaus vor, natürliche Bogen und Säulen wechselten mit senkrecht abfallenden Wänden, und spitze einzelne Felskegel ragten wie Leuchttürme aus den Fluten empor. Dieses ganze wildromantische Bild war erhellt gleich dem Feengarten des Märchens; überall auf Spitzen und Dächern, in den Tiefen und zwischen den Säulen spielten die violetten, purpurnen oder ganz weißen, goldglänzenden Lichter des Moro Api; überall glitten Flammen und Flämmchen, von jedem Luftzug lang aufflatternd wie Bänder, an den Felswänden dahin, die vielzackigen, wunderlichen Formen in ihren Strahlen badend, Schattenbilder malend und über verworrene Trümmer huschend wie Fabelwesen aus uralter Märchenzeit. Wenn zuweilen ein leichter Wind das Wasser kräuselte, dann schwebten die bläulichen und roten Lufttänzerinnen im Kreise empor, gaukelten hierhin und dorthin, beleuchteten plötzlich eine dunkle Spitze oder eine tiefere Schlucht und kehrten dann nickend und sich biegend zu ihren früheren Standpunkten zurück.

Das erhabene Naturschauspiel bannte die Zungen aller; ein fast andächtiges Schweigen beherrschte die kleine Schar. Rings das blaue stille Wasser und darüber in geheimnisvoller Schönheit jene körperlosen, lichtspendenden Wesen, jene ewigen, seit dem ersten Schöpfungsmorgen brennenden Lampen, deren Licht unter allem Wechsel fortglühte und fortglühen wird bis an das Ende, – alle diese Bilder ließen nur lautlose Bewunderung aufkommen.

»Am hellen Tage,« erklärte endlich einer der Eingebornen, »ist das Moro Api nicht sichtbar oder doch im Sonnenglanz nur sehr schwer zu unterscheiden. Wir müssen uns jetzt aber beeilen, das Nachtlager im Gebirge zu erreichen. Alle Anzeichen deuten auf einen Gewittersturm, wie sie hier zu Lande üblich sind.«

»Können wir denn den Ausbruch desselben nicht gerade an dieser Stelle erwarten?« fragte Holm. »Ich wäre neugierig, die Flammen wie rasende Kobolde an den Felsklippen hinauf klettern zu sehen, ich möchte ihre tolle Jagd im Sturme kennen lernen.«

Aber die Eingebornen schüttelten mit den Köpfen, obgleich sämtliche Knaben ihre Bitten der des jungen Gelehrten hinzufügten. »Die Fremden wissen nicht, was ein Gewittersturm in den Bergen zu bedeuten hat; es ist ein Spiel um Leben oder Tod. Felsblöcke werden herabgerissen, Bäume niedergebrochen, der flache Gebirgsfluß wird zum tosenden Strome, die Blitze bedrohen alles, was lebt. Wir müssen schleunigst die sichern Höhlen aufsuchen.«

»Sind die denn weit von hier?« fragte Franz.

»Nein, im Gegenteil ganz nahe.«

»So laßt uns aufbrechen,« ermahnte der Doktor. »Diese Leute kennen doch das Land und das Klima besser als wir.«

Holms und des Knaben Blicke begegneten sich. Beide nickten wie im Einverständnis, und dann ritt die kleine Schar unter Vortrab der Javanen tiefer in das geklüftete Gebirge des Gunong Moro hinein, bis nach vielleicht fünf Minuten eine enge, dunstige Höhle erreicht war. Hoch in die Wolken erhob sich über der niederen Wölbung die Felskuppe; dichte, moosbewachsene Wände sicherten vor allen möglichen Angriffen; massive granitne Pfeiler stützten eine Art von Vorhof, und weiterhin gegen das Innere öffnete sich Gang nach Gang, aber die Luft war drückend, weshalb alle beschlossen, so lange als tunlich draußen zu bleiben. Die Eingebornen entzündeten mehrere Wachskerzen und warnten dann die Reisenden, sich über eine bestimmt bezeichnete Grenze nach rechts hinaus zu wagen. Ein sonderbarer Anblick wartete hier der staunenden Beschauer; überall war der Steinboden durchlöchert und zerklüftet, überall schoß unter demselben in wildem Toben ein Gebirgsbach zu Tal, etwas weiter hin als breiter, glänzender Wasserfall über rundgeschliffene, glatte Wände in den Abgrund stürzend, tausend kühle Tropfen den Wandernden entgegenspritzend, jene köstliche, unnachahmliche Frische des kalten Quellwassers der heißen Luft mitteilend, schön und großartig im wechselnden Licht der Kerzen, donnernd und grollend, gleich einem fernen Gewitter.

»Morgen können Sie sich, wenn sie schwindelfrei sind, bis an den Abhang hinauswagen,« erklärte der Führer, »die Felsblöcke liegen sicher, aber am Abend ist die Sache unmöglich.«

Es blieb also nur übrig, unter dem Rauschen und Brodeln des Falles, unter dem leise anhebenden Singen des erwachenden Sturmes die Ruhe zu suchen und einstweilen auf weitere Ausflüge zu verzichten. Man speiste, die Pferde wurden etwas weiter draußen in einer der Vorhallen an Bäume gebunden und die Wolldecken ausgebreitet. In einer Höhle lagen sämtliche Javanen, in der zweiten die Weißen; von wilden Tieren hatte sich nichts gezeigt, der Sturm heulte sein großartiges Wiegenlied, langgezogener murrender Donner erhob die Stimme, und rauschend in schweren Tropfen fiel der Regen herab. Die Augen der Menschen schlossen sich, obwohl zuweilen falber Schein den Wolkenschleier zerriß, und einzelne Stöße brüllend und schnaufend den gewaltigen Anlauf des Orkanes verrieten. Bis hierher drangen weder Regen noch Sturm, dies Dach ließ keine Tropfen durchsickern, diese Wände konnten dem Anprall aller Erdenkräfte Trotz bieten. – Das Gefühl der Sicherheit schläfert ein, Leib und Seele wiegen sich in Schlummer, alle Spannung ist gelöst, die Augen fallen zu, ehe es der Träumer weiß.

Holm und Franz schliefen nicht. Als es rings umher still geworden war, schlichen sie zusammen unter tausend Gefahren und Mühen auf dem Wege zum Moro Api zurück. Jene hüpfenden Flammen bildeten den Punkt, nach welchem sich ihre Schritte lenkten, und unbekümmert, ob ihnen der Sturm die Sprache raubte und der Regen ihre leinenen Kleider bis auf die Haut durchnäßte, drangen sie vorwärts. Der Aufruhr aller Elemente war von wilder Schönheit. Einmal draußen, dem Schutze der Felsmauern entrückt, hörten sie Sturm und Donner im unentwirrbaren Tonganzen ihre betäubende Stärke entfalten, Blitz auf Blitz zerriß die drückende Luft, schwefelgelb und bläulich fuhren Zacken und Strahlen über den Horizont dahin, und hochauf spritzten die Wellen des Flusses. Das Schönste von allem aber blieben die Flammen des Moro Api. Unausgesetzt drang aus dem vulkanischen Erdinnern das Gas hervor und unausgesetzt entzündete es sich durch die Berührung mit der atmosphärischen Luft, wieder und wieder schlugen züngelnde Feuer aus den Spalten herauf, vom Wind erfaßt, sobald sie entstanden waren, hierhin und dorthin entführt, in zahllose Teilchen gerissen, bald klein, bald groß, bald in dieser, bald in jener Form. Bis auf die höchsten Punkte der Klippen jagten einander die Luftgestalten, nicht mehr spielend, gaukelnd wie vorhin in der linden, stillen Gewitterluft, sondern tobend wie toller Märchenreigen, wie eine Schar entfesselter Höllengeister, die sich erfassen und wieder verlieren, die einander wutentbrannt folgen und im Kampfe zum Knäuel verschlungen untergehen.

Der Sturm blies mit vollen Backen unter die Flüchtenden. Hier malte er aus dem zitternden weißen Flämmchen ein Menschenantlitz und dort ein laufendes, langgestrecktes Tier, hier einen Riesenvogel mit ausgebreiteten Schwingen und dort ein Zwergenmännchen mit Keule und Schild; überall aber hetzte und verfolgte er die lockere Schar, Klippen hinauf und Klippen herab, durch Schlünde und Abgründe, über schmale Brücken und auf einsamen Pfeilern, überall zerriß er die glänzenden Lichter in Streifen und Fetzen.

Dazwischen schlugen Blitze in das Wasser und zuweilen in die höchsten Bäume des Waldes. Erschrockene Vögel flatterten ängstlich durch den Sturm, Papageien kreischten wild mit anderen Vögeln um die Wette, hier und da stürzte ein Jahrhunderte alter Riese, im Falle zahllose Rankengeflechte zerreißend und das Wasser hoch aufspritzend, daß ganze Schauer die beiden jungen Leute überfluteten. Zu sprechen war unmöglich, sie konnten sich, hinter den letzten Ausläufern des Gebirges einigermaßen geschützt, nur durch Zeichen verständigen, ihre Haare flogen wild um die Köpfe, das Zeug klebte am Körper, die Stiefeln waren schwer wie Blei, und bei jedem neuen Windstoß überlief eine unangenehme Kälte die Haut. Sich jetzt in die Wollendecken zu hüllen, und an trockener, geborgener Stätte ausruhen zu dürfen, mußte doch recht behaglich sein! Einer hinter dem anderen krochen sie, das Schauspiel der ewigen Flammen nur ungern verlassend, Schritt für Schritt im Toben des Wetters zum Lagerplatz hinauf, länger als eine Stunde brauchend, wo vorhin fünf Minuten, freilich auf den Rücken der behende kletternden Pferde, genügt hatten. Noch schlief alles, selbst da, wo die Eingebornen lagen, rührte sich nichts, und auch die Tiere waren merkwürdig still. Wenn irgend ein Angriff kam, traf er die Gesellschaft durchaus unvorbereitet.

Holm ging zu der etwas entfernten Stelle, wo die Pferde standen; helle Blitze zeigten ihm den Weg, er konnte nicht irren. Merkwürdig, daß sie so still blieben! –

Jetzt war er da, gewiß, er erkannte deutlich den Baum, an welchem er sein eigenes Tier befestigt, aber dennoch – von den Pferden keine Spur.

Zehn Schritte weiter und das Plateau fiel steil ab ins Tal. Wohin waren die Tiere gekommen? – Ein furchtbarer Gedanke durchzuckte sein Inneres, im Nu stand er vor der Schlafstätte der Eingebornen; – auch hier alles leer.

»Franz!« rief er mit unterdrückter Stimme. »Franz!«

»Nun? – Was hast du, Karl?«

»Sieh her, die Javanen sind mit den Pferden über die Berge. Auch sämtliche Lebensmittel haben sie mitgenommen.«

Die beiden sahen einander starr vor Schreck ins Auge. Das war hier, wo es die gefährlichsten Raubtiere in furchtbarer Anzahl gab, ein schwerer, ja entsetzlicher Schlag. Ohne Pferde ließ sich bei den meilenweiten, von Alanggras bedeckten Ebenen und namentlich bei den Wegen über zackigen, abschüssigen Boden die Rückreise gar nicht denken.

»Laß die anderen schlafen, Karl,« sagte endlich der Knabe. »Sie erfahren es morgen immer noch früh genug. Und nebenbei, – ich habe auch einen Gedanken, der mich wenigstens über das Ärgste tröstet. Wir werden bald neue Führer wieder haben, wenn auch für wahre Unsummen.«

»Weshalb glaubst du das, Junge?« fragte voll Erstaunen der andere.

»Nun, die Lumpenkerle müssen doch mit ihrer Flucht irgend einen Plan verbinden! Sie haben gleich anfangs im Dorfe einigen anderen aufgegeben, ihnen zu folgen und die Stelle verabredet, wo sie uns mitten im Urwaldsgebirge verlassen wollen. Wenn die Lage bedenklich wird, erscheinen von ungefähr ein paar dieser gelben Schurken und erbieten sich, uns gegen doppelten Führerlohn nach Surabaja zurückzubringen, – das ist alles beschlossene Sache, und der Raub wird gütlich von den Spitzbuben geteilt.«

Holm lachte. »Wahrhaftig, du kannst recht haben,« antwortete er. »Dann ist es ohne Zweifel das beste, hier zu bleiben und die Helfershelfer der gelben Betrüger zu erwarten. Einstweilen aber laß uns schlafen, – ich bin todmüde.«

Der Malagasche wurde geweckt und ihm, der nun schon einige Stunden geruht, die Wache übertragen, in welcher ihn gegen Morgen Hans als letzter in der Reihe ablöste. So verging die Nacht, und am folgenden Morgen saßen alle einander gegenüber, hungrig und ratlos, in schlimmster Laune. Hier zu bleiben war ganz notwendig; aber wovon leben? Wovon nach der Überschwemmung der letzten Nacht ein Feuer entzünden? Allerdings hatten die Gewehre im Trocknen gestanden, auch ließ sich leicht dieser oder jener Braten erlegen, aber er mußte roh gegessen werden, und das war äußerst unangenehm.

Der Doktor blieb als Hausherr und Platzkommandant allein in der Höhle zurück, wohlversehen mit Pulver und Blei, aber sonst auf die Sicherheit zwischen den Felswänden und seine eigene Vorsicht angewiesen, – die vier jungen Leute zogen aus, um Lebensmittel herbeizuschaffen. Wasser gab es da oben genug, man brauchte sich nur zu bücken, um es in köstlicher Klarheit zu erhalten, aber dafür stieg auch der Hunger von Stunde zu Stunde.

Das erste was heraufgeschafft wurde, waren Kokosnüsse; ihnen folgten die Eier verschiedener Vogelarten, Beerenfrüchte, eine kleine Schildkröte und endlich ein Hirsch, dessen Ziemer Franz im Schweiße seines Angesichtes keuchend nach Hause schleppte. Dann begann die Tätigkeit des Doktors. Er mußte mit dem Taschenmesser das Fleisch schaben; einige kleine Zwiebeln, die im Tale wuchsen, wurden dazu gehackt, das Ganze mit Salz und Pfeffer, welche jeder einzelne bei sich führte, reichlich vermengt und roh gegessen, dazu Nußkern und rohe Eier.

»Der Mückenkuchen auf Madagaskar schmeckte schlechter!« meinte Holm.

»Der Flußpferdbraten in Dahomey war zäher!« »Das Dürsten im Kaplande weit schrecklicher!« »Ja, das ist wahr!« sagten wie aus einem Munde alle Anwesende.

»Nun, so laßt uns dies rohe Fleisch mal ohne Bitterkeit verzehren. Vielleicht schmeckt auch das Fleisch der Schildkröte im Naturzustande erträglich.«

»Wenn nur vor Nacht die Eingebornen wirklich kämen!« seufzte der Doktor. »Eure Berechnung könnte auch täuschen!«

»Ganz unmöglich, bester Doktor. Franz hat recht, es ist auf Plünderung abgesehen; ich glaube aber nicht, daß sich die Javanen blicken lassen werden, ehe wir durch Hunger und Gefahren tüchtig mürbe gemacht worden sind. – Einstweilen wollen wir den Rest des Fleisches in die Schildkrötenschale legen und einsalzen. Franz, du bist wohl so gut, die Eier und die Nüsse in eine sichere Ecke zu bringen; ich denke, wir essen zur Nacht nur frische Früchte, ihrer besseren Verdaulichkeit wegen. Hans und Rua-Roa haben vortreffliche Melonen und Erdbeeren heraufgebracht, sie müssen davon noch mehr holen.«

Das geschah, und so zog durch die angestrengte, körperliche Tätigkeit sowohl als auch durch das Zureden Holms einige Ruhe und Zufriedenheit in die Herzen wieder ein. Gegen Abend, als noch ein paar erlegte Vögel und ein Hase die Vorratskammer anfüllten, als sich Berge von Beeren und Eiern häuften, gewann sogar die alte fröhliche Reiselaune die Oberhand. Zwei von den jungen Leuten sollten wachen, zwei schlafen, und am folgenden Morgen wollte man auch ein Feuer entzünden. Die heißen Sonnenstrahlen des letzten Tages hatten Zweige und Gräser vollständig getrocknet, Wachskerzen und Streichhölzer waren genug vorhanden; also ließ sich mit Recht erwarten, daß die Eier hart gekocht und das Fleisch gebraten werden könne. Von dem Gepäck der Weißen hatten die Javanen nichts mitgenommen, daher fand sich auch der Blechkessel nebst Pfanne noch vor, ebenso Gabeln und Löffel; alles wurde schönstens an den Wänden der »Küche« geordnet, trocknes Holz und Gras herbeigeholt und Steine zum Herd aufeinander gelegt. Was von Insekten, Fledermäusen und Schlangen in den Winkeln umherkroch, das beförderte ein schneller Griff mit dem künstlich aus Gras und Reisern hergestellten Besen in die Tiefe des Wasserfalles hinab oder in die Freiheit des Hochwaldes hinaus, und als so das Haus wohl bestellt war, setzten sich die beiden ersten Wachhabenden, Holm und Hans, mit geladenen Kugelbüchsen unter den Eingang, während die übrigen schliefen.

Das ungewisse Licht des Mondes fiel zuweilen in die Schluchten hinein, zuweilen versteckte es sich unter Wolken und ließ alles in um so schwärzerer Dunkelheit zurück; die Baumkronen flüsterten und rauschten, reife Früchte fielen von den Zweigen, und mehr als eine Tiergattung zeigte sich den Blicken. Affen plünderten die Fruchtbäume, namentlich die Tamarinden; Schuppentiere mit ihrem sonderbaren länglichen und von dreieckigen Panzerplatten bedeckten Körper verfolgten emsig die Ameisen und Termiten in den unteren Schichten des bewaldeten Berges; kecke, gefräßige Wanderratten gingen dem Geruche der frisch geschlachteten Tiere nach, und nicht selten erschien sogar zähnefletschend ein grauer Affe oben auf dem Berge.

Die beiden jungen Leute plauderten halblaut. Hans war es im Stillen zufrieden, daß die Weltreise jetzt zur Hälfte hinter ihm lag, er sehnte sich nach geordneten bürgerlichen Zuständen und sprach mit dem Freunde über dessen eigene fernere Pläne, als stärker und stärker werdend, aus dem Tale ein Geräusch herauftönte. Es klang wie der Schritt vieler kletternder, scharrender Füße, ja sogar Laute, die dem lechzenden Atem eines jagenden Hundes glichen, durchdrangen erkennbar die nächtliche Stille. Holm und Hans sprangen auf, ihre Gewehre lagen im selben Augenblick schußgerecht, sie riefen mit lauter Stimme die anderen.

Vielleicht hatten diese überhaupt nicht so ganz sicher geschlafen; in wenigen Augenblicken standen alle kampfbereit den Genossen zur Seite. Wo aber war nun der Feind? – Weit und breit zeigte sich kein lebendes Geschöpf.

Holm legte den Finger auf die Lippen. »Still! von da unten her kam es. Ich bin meiner Sache ganz sicher.«

Auch Hans bestätigte, daß lebende Wesen im Anzuge sein müßten; alle Glieder der kleinen Gesellschaft horchten daher gleich gespannt, beobachteten mit gleicher Aufmerksamkeit den breiten Paß, durch welchen heraufkommen mußte, was sich ihnen in ihrer Felsenburg als Besucher nahen wollte. Eine Viertelstunde verging in dieser Weise ohne irgend ein Ergebnis zu bringen; schon wurde flüsternd beraten, ob es nicht das Klügste sei, einige Schüsse abzufeuern und so die Tiere, welcher Art sie wären, zur Flucht zu veranlassen, als ganz plötzlich in dicht gedrängten Haufen die Angreifer auf dem Kampfplatz erschienen. Wilde Hunde, vielleicht zwanzig bis dreißig an der Zahl stürmten den Berg hinan; die roten, lechzenden Zungen hingen aus den Mäulern hervor, die Augen funkelten bösartig unter den langen, struppigen Haaren; die Gestalten waren durchweg mager und von Mittelgröße; die Erscheinung sowohl dem Fuchs als dem Wolfe ähnlich und das Fell von schmutzig rötlicher, schwarzgesprenkelter Färbung. Die Meute, sonst vor dem Menschen flüchtend, war von dem Geruch der oben aufgespeicherten Tiere angelockt worden und wälzte sich jetzt gleich einer Lawine durch den Gebirgspaß heran, dabei von den Männern durchaus keine Notiz nehmend, sondern unter einander kämpfend und beißend um das frische Fleisch. Alle diese dunkeln Gestalten waren zum Knäuel geballt; ein Bellen und Schreien, ein Toben und Stürzen, das wahrhaft betäubend wirkte, lähmte jeden Entschluß. Menschen und Tiere rangen um den engen Raum des Felsens, Menschen und Tiere vermischten ihre Stimmen zum unentwirrbaren, dämonischen Lärm.

Wieder war es Franz, den die ungestüme Leidenschaft hinriß, einen argen Fehlgriff zu begehen. Er legte an und schoß ohne zu zielen in den Haufen der wilden Hunde hinein. Jetzt kam, was kommen mußte! Wütend gemacht durch den plötzlichen Angriff, wandten sich die Tiere den Jägern zu, und es entspann sich ein Kampf, bei dem die Männer schießend und schlagend, ja sogar mit ihren großen Messern stechend bis an die Felswand zurückwichen und nur unter Aufbietung aller Kräfte das Leben retteten. Während die Hunde niemals ihrerseits angegriffen hätten, wurden sie durch den ersten Schuß in Wut versetzt und kannten nun keine Scheu mehr. Rechts und links füllten ihre Leichen, ihre zuckenden, schwer verwundeten Körper den Weg, aber auch sämtliche Männer bluteten. Der Doktor hatte eine Wunde im Oberarm, Franz war gefallen und in die Schulter gebissen, Holms Stiefel klaffte weit aus einander, während der Fuß blutete, und Hans seinerseits hatte genug zu tun, um mit der arg zerfetzten Rechten überhaupt noch Notwehr zu leisten. Nur der Malagasche war gut davon gekommen. Auf einen Felsblock springend und von dort schießend, kämpfte er tapfer mit, ohne selbst in Gefahr zu geraten, der Instinkt des Wilden leitete ihn an, vorerst für seine Person Deckung zu suchen.

Als etwa eine Viertelstunde erbitterten Kampfes verflossen war, als Blut von allen Seiten über das Gestein herabtroff, wichen die letzten noch überlebenden Hunde, von Schüssen und Kolbenschlägen verfolgt, verwundet und heulend, kaum ein Viertel jener stattlichen Anzahl, die den Berg mit eiligen Sprüngen erstürmt hatte; jetzt erst konnten die Weißen im Schutze der überhängenden Wände ihre Kerzen entzünden und den erlittenen Schaden feststellen. Eine wahre Wüstenei breitete sich vor ihnen aus. Tierleichen, Stücke zerfetzter Körper, geronnenes und fließendes Blut, Büschel Haare, alles stapelte über- und neben einander, alles zusammen bot einen trostlosen und grauenhaften Anblick, dessen Beseitigung jetzt die erste Sorge sein mußte.

Nachdem die Wunden einen notdürftigen Verband erhalten, ging man ans Werk. Gewehre und Decken, kurz alles Gepäck wurde in eine der inneren Höhlen geschafft, und dann befahl Holm, aus einzelnen Felsblöcken vor dem Eingang derselben eine Art Barrikade mit Schießscharten herzustellen. »Der entsetzliche Blutgeruch bringt uns ohne allen Zweifel auch von den Tigern und Wildkatzen noch einen Besuch,« seufzte er. »Also rasch! wir müssen den Zugang verrammeln, ehe der Feind eindringt.«

»Sollen wir denn bis zum hellen Tage da drinnen gefangen sitzen, Karl?«

»Hättest du nicht so voreilig geschossen, dann wäre es überflüssig, mein Bester!« war die etwas scharfe Entgegnung.

Franz wechselte die Farbe. Er hatte längst seinen Irrtum erkannt und beeilte sich daher jetzt so viel als möglich wieder gut zu machen. Den Schmerz in der Schulter verbeißend, half er eifrig die zerstreut umherliegenden Blöcke auf einander zu schichten, und so eine breite Mauer herzustellen, die, nach außen hin etwas geneigt, jeden, der etwa an ihrem Bau rütteln würde, sogleich unter schweren, stürzenden Massen zerschmettern mußte. Nur ein kleines Schlupfloch ließen die emsig Schaffenden offen, einen schmalen Gang, durch den sich einer nach dem anderen hineindrängen konnte, und dann begannen sie die Tierleichen in den Abgrund zu stürzen. Der Besen fegte Ströme von Blut in das Wasser hinab, während Kochkessel und Bratpfanne unaufhaltsam frische, reinigende Fluten schöpften und nachspülten. Es galt ja den gefährlichen, verderbenbringenden Blutgeruch schnellstens zu entfernen.

»Schlafen können wir in dieser Nacht nicht mehr,« erklärte Holm. »Kommt mir nach, wenn draußen das Hauptsächlichste geschehen ist, und dann müssen zwei von uns den Eingang, die übrigen die Schießscharten mit geladenem Gewehr bewachen.« »Für so unvermeidlich hältst du den Angriff, Karl?« »Ich fürchte, ja. Der Wind trägt die Ausdünstungen des geronnenen Blutes hinab in das Tal, wo ohne Zweifel eine Menge Raubkatzen leben. Auch die Hunde waren ja schon dadurch heraufgelockt, wie ich überzeugt bin.«

Man widersprach ihm nicht; vielleicht trieb auch der Gedanke an einen Kampf mit Königstigern zur größtmöglichen Beschleunigung des angefangenen Werkes; diese Zähne richteten doch ganz andere Verwüstungen an, als die der wilden Hunde.

Nach wenigen Minuten fanden sich alle in dem engen Raume versammelt. Jetzt stand der Vollmond über dem Gebirge, alles in bläulichem und silbernem Glanze badend, jede Schlucht erhellend: die Nacht war still, als sei die ganze Schöpfung nur ein einziger, großer Tempel; fliegende Frösche glitten durch die Luft, und fernher zwischen den Bäumen glitzerte im Tale wie ein Irrlicht das Moro Api.

Da schlichen zwei Gestalten den Berg herauf, kurze Schatten werfend, vorsichtig mit gespitzten Ohren und spähenden Blicken. Voran die größere, das Männchen mit dem braungelben, gestreiften Fell und dem abstehenden Bartkranz um das kluge Gesicht, leicht erhoben die Vordertatze und zurückgelegt über den Rücken den glatten Schweif, – es sog die Luft ein, witterte, es duckte sich wie zum Sprunge – da hinter den Steinen atmeten Menschen!

Ihm nach schlich das Weibchen. Weniger derb gebaut, ohne Bart und minder kräftig gezeichnet, war es doch nicht minder blutdürstig, glühten auch seine Augen wie Kohlen im gelben, falschen Glanze des Katzengeschlechtes. Ein leises Brummen, ein Lechzen der Zunge verrieten die Kampflust, welche beide beseelte.

»Aufgepaßt!« raunte Holm. »Doktor, Sie nehmen mit Hans zugleich das Weibchen aufs Korn – wir drei das Männchen. – Feuer!«

Die Schüsse krachten, Pulverdampf drohte die Eingesperrten zu ersticken, ein wildes Heulen durchdrang die Luft, und außen wälzte sich das Weibchen des Tigers sterbend im letzten Kampfe; auch das Männchen war getroffen, von allen drei Kugeln sogar, aber trotzdem nicht tödlich. Eine Wendung, die es im entscheidenden Augenblick gemacht, hatte das Ziel verrückt und die Schüsse, anstatt in Kopf und Brust, vielmehr nur in die Beine und den oberen Teil des Rückens eindringen lassen.

Jetzt erst war die Gefahr nahe. Während drinnen in fieberhafter Eile die Büchsen wieder neu geladen wurden, sprang der gereizte Tiger außer sich vor Schmerz und Wut gegen die aufgeschichteten Steine, mit seinen gewaltigen Pranken die Blöcke niederreißend, so nahe, so furchtbar nahe, daß die Eingesperrten seinen heißen Atem auf ihren Stirnen fühlten. Zwei Kugeln trafen in seine Brust; immer noch lebte er, und immer mehr Blöcke riß er herab, rasend, schäumend vor Wut. – –

Noch Sekunden und er war drinnen. –

Da geschah, was Holm bei Anlage der Mauer berechnet hatte, sie stürzte und begrub unter ihren hundertpfündigen Blöcken den schlanken Leib des Tigers. Wenige Minuten hatten hingereicht, um die beiden gefährlichen Raubtiere zu töten.

»Welche Nacht!« seufzte der Doktor. »Die ärgste von allen – unser Leben hing am seidenen Faden!«

»Und ist trotzdem immer noch nicht außer Gefahr,« ergänzte Holm. »Wer weiß, ob diese beiden Bestien die einzigen hier in der Nähe waren.«

»O und die furchtbare Luft« – –

Franz drängte sich hinaus ins Freie. Er und der Malagasche zogen den Tiger unter dem Steinhaufen hervor und schleppten beide Leichen etwas weiter den Berg hinab; dann wurde die Mauer wieder hergestellt, und wachend in unbehaglichster Stimmung der Tag erwartet. Aber es erfolgte kein weiterer Angriff, nur vereinzelte wilde Katzen erschienen und suchten sich noch irgend welcher Überreste zu bemächtigen: diese ließ man, aller Jagdlust bar, unbehelligt laufen. Müdigkeit, Hunger und Erschöpfung waren zu groß, um irgend einer anderen Empfindung Raum zu gestatten.

Der helle Tag bot einen trostlosen Anblick. Zerstampft und zertreten die Vorräte für das Frühstück, kein Ei und keine Nuß, kein Bissen Fleisch mehr vorhanden, dazu wieder ein neues Gewitter am Himmel, neuer, stetig fallender Regen, dessen feine Tropfen alles durchnäßten. Es fand sich auch kein genießbarer Gegenstand, selbst die großen Kokosnüsse waren über den Abgrund und ins Bodenlose gerollt.

»Auf! Auf!« drängte der Doktor. »Unerträglicher als hier kann es nirgends sein.«

»Aber sollen wir ohne Führer im dichten Walde umkommen? sollen wir ohne hinlängliche Bedeckung den Kampf mit Tigern, Büffeln und Rhinozerossen aufnehmen?«

»Besser, als hier bleiben. Dieser Ort ist mir fürchterlich. Wir können doch immerhin hoffen, ein Dorf anzutreffen – schon unsrer Wunden wegen müssen wir Ruhe haben.«

Holm besah seine Stiefel. »Wie weit werde ich damit marschieren können?« fragte er halb seufzend, halb lachend.

Es schwieg wieder alles: selbst der Mut, Beeren und Eier zu suchen, fehlte jetzt; die Trostlosigkeit des vorigen Abends war zurückgekehrt und lastete mit doppelter Stärke auf den Seelen der Vereinsamten. Und doch wußten sie ja alle, daß es so nicht lange bleiben könne.

»Laßt uns fortgehen!« riet nach drückender Pause abermals der Doktor. »Ich halte es hier nicht mehr aus, – mich deucht, die Leichen verderben bereits die Luft.«

»Das tut das Blut zwischen den Abhängen und Steingeröllen. Aber brechen wir in Gottes Namen auf, – was verloren geht, ist nur ein Dach und der Gedanke, daß gerade hierher die gelben Schurken ihre Genossen ausschicken müßten.«

»Die laufen uns schon nach,« tröstete Holm, immer mit bedenklichem Gesichte seine klaffenden Stiefel von einer und der anderen Seite besehend. »Hätte ich doch nur wenigstens einen tüchtigen Bindfaden!«

Rua-Roa wußte zu helfen. Er kannte eine Pflanzenart, die auch in Madagaskar heimisch war und deren Ranken als Seile dienen konnten. So wurde denn der Stiefel zusammengebunden und die Reise wieder angetreten; Holm ging behutsam, das linke Bein wie ein Lahmer nach sich ziehend, aus Furcht endlich gar barfuß die Wildnis durchlaufen zu müssen; überhaupt kam man nur äußerst langsam vorwärts, da unterwegs jede Beere, jede Frucht hastig gepflückt und gegessen wurde. Der Pfad über das Steingerölle ermüdete unsäglich; weder Holms unversieglicher Humor, noch des Doktors Ermahnungen konnten die spitzen Kiesel glatter oder die schrägen Ebenen weniger unbequem machen; man wanderte, beladen mit dem schweren Gepäck, in rieselndem Regen und unter den Mühen des Weges fürbaß wie arme Verbannte, die der Heimat den Rücken kehren und noch nicht wissen, an welchem Punkte der Erde es ihnen vergönnt sein wird, neue Hütten zu bauen.

Da schimmerte durch die Baumzweige zur Linken ein Etwas, das wohl geeignet war, sämtliche Reisende in Erstaunen zu versetzen. Zwei Hörner ragten empor, und das biedere Haupt eines Jochochsen schaute friedlich, kauend mit beiden Backen, urgemütlich blickend den Fremdlingen entgegen. Das war kein wilder Büffelstier, sondern ein Zugochse ohne bösartige Absichten, ohne Ahnung von der Wucht seines Nackens, ganz wie wir sie bei uns sehen, Bilder des dörflichen Lebens und der Beschaulichkeit, gemütliche, behäbig brummende Haustiere ohne Arg und Falsch. – – –

Hans streckte die Hand aus und sah hinüber, wo der Karbau (Name für den auf Java allgemein üblichen Zugochsen) stand. »Menschen!« rief er nur, »Menschen!«

Das Wort wirkte wie ein elektrischer Schlag. »Wo? – O Gott, wenn es die Eingebornen wären! – Wo sind Menschen?«

Aller Blicke suchten die bezeichnete Stelle; man lief in Sprüngen vorwärts, man vergaß alle ausgestandenen und noch gegenwärtigen Leiden, nur einem Gedanken folgend, nur eins im Auge, – Menschen! Menschen! – Vier Ochsen weideten auf dem Gras unter den Bäumen des Waldrandes, neben ihnen standen zwei plumpe, wie kleine Häuser aussehende Holzkarren, und gemächlich am Boden lagerten ein Paar Gelbgesichter, die sich bei einer Mahlzeit aus Fleisch, trocknen Fischen und gerösteten Kartoffeln gütlich taten. Das Zeltdach aus Büffelhäuten mußte schon während der letzten Nacht an dieser Stelle befestigt gewesen sein, denn der Boden darunter war vollkommen trocken und sogar eine Feuerstätte erkennbar. Indes die Weißen einige tausend Schritt weiter oben mit dem Tode und allen seinen Schrecken rangen, hatten hier die Helfershelfer derer, welche sie in so fürchterliche Lage gebracht, ganz ruhig und ohne Gewissensbisse abgewartet, was sich in ihrer unmittelbaren Nähe vollzog, hatten keine Hand erhoben, um von den arg Bedrohten das Verderben abzuwenden. Ihre harmlosen Blicke schienen sehr erstaunt, so plötzlich mitten in der Wildnis weiße Reisende anzutreffen.

»Nun mäßigt euch, Kinder,« ermahnte in deutscher Sprache der Doktor. »Laßt nicht erkennen, daß wir die erbärmliche Verräterei vollkommen durchschauen. Die holländische Regierung führt hier ein sehr strenges Regiment, wahrscheinlich haben also jene Schurken ihren Genossen eingeschärft, uns nie wieder nach Surabaja zurückkehren zu lassen, sobald wir Miene machen, die Sache den Behörden anzuzeigen.«

Das leuchtete den jungen Leuten vollkommen ein, und die Verhandlungen mit den Eingebornen wurden in ruhigster Form eröffnet. Man hatte sich verirrt, war von den Führern getrennt worden und wollte gern gut bezahlen, wenn es möglich wäre, in Begleitung der Männer nach Surabaja zurückzureisen.

Die Malaien schüttelten die Köpfe. Eigentlich wollten sie einen ganz anderen Weg gehen, hatten eine Ladung Kartoffeln nach einem entfernten Orte zu bringen und besaßen ja auch für die Herrschaften keine Pferde; kurz, sie glaubten doch nicht, daß sich die Sache machen lasse; dann aber, nachdem Geld über Geld geboten, schwanden wie Nebel vor der Sonne alle diese Bedenken; ja, es fand sich sogar in der Entfernung von höchstens einer halben Tagereise ein Dorf, wo auch Pferde zu bekommen waren, und so wurde denn der Handel abgeschlossen, obgleich Holm lebhaft bedauerte, die gelben Spitzbuben nicht lieber mit einem tüchtigen Bambus als mit blanker Münze bezahlen zu dürfen. Wie schlau war das alles eingeleitet, wie passend der Platz gewählt, und wie teuflisch die Hilflosigkeit der Weißen gerade hier auf dem zerklüfteten, steinigen und unebenen Boden voraus berechnet!

Während dieser diplomatischen Verhandlung, hinter der schlecht verborgen die Kampflust auf beiden Seiten lauerte, hatten sich die Knaben den Inhalt der plumpen Karren besehen. »Wahrhaftig, Kartoffeln! – Hurra!« rief Franz, »das ist ein Fund. Kartoffeln haben wir seit England nicht mehr gegessen, – Karl! Herr Doktor! wir müssen sogleich welche kochen. Freue dich doch, Hans, es gibt Pellkartoffeln!«

»Mit gebratenen Zwiebeln!« ergänzte dieser, als er aus einem Korbe ein tüchtiges Stück Wildschweinsspeck hervorzog. »Karl, laß uns das den Halunken abkaufen!«

Auch dieser Handel kam zu stande, und bald prasselte unter dem schützenden Felldach, während ringsumher alles vom Regen troff, ein neues belebendes Feuer; Zwiebeln wurden ausgegraben, Wasser geschöpft, Speck zerschnitten und Kartoffeln aufgesetzt; die Knaben beobachteten jede Blase im Kessel, und als endlich die Probe mit dem Taschenmesser das Gericht als gar kennzeichnete, da war des Jubels kein Ende. Pellkartoffeln mit Zwiebeln! Deutsches Nationalgericht bescheidenster Ansprüche, wie kamst du zu nie geahnten Ehren im Urwalde von Java! – –

Es ist doch ein eigen rührender Klang, der aus ferner Heimat zu uns herüberdringt; es ist, als würden tausend liebe Bilder wach bei seinem leisen Grüßen! – Als der Duft der Kartoffeln emporwallte, als die beiden Knaben die erste Frucht trotz ihrer Glühhitze zwischen den Fingern aufbrachen, da schimmerte es seltsam glänzend in den hellen, frohblickenden Augen. Franz ließ sich keine Zeit, die Zwiebelsauce hinzuzutun. »Hamburg,« sagte er leise, mit dem Kopf nickend, während die Kartoffel zwischen seinen Zähnen verschwand, »auf dein Wohlergehn!«

Die übrigen stimmten in diesen Glückwunsch lebhaft ein. Es wurden bei der Mahlzeit erstaunliche Quantitäten bewältigt, auch das Fleisch schwand zusehends, und die Flaschen der Malaien mußten ihren schlechten Branntwein bis auf den letzten Tropfen hergeben. Einer der Männer unterzog den schwerverwundeten Stiefel mittels Bast und Schnüren seiner ärztlichen Behandlung. Dann wurden noch die Tiger oben am Gebirgsabhang ihrer Felle entkleidet und endlich auf Waldwegen, die weit besser zu passieren waren, das besprochene Dorf aufgesucht. Nachdem kurze Rast gehalten, ging es auf den kleinen, munteren Pferden, aller Sorgen und Befürchtungen ledig, wieder vorwärts; die Wunden hatten zweckmäßigen Verband bekommen; es waren Vorräte eingekauft und die nassen Kleider getrocknet; ja sogar verabredet worden, daß man erst bis an die jenseitige Grenze der Zivilisation vordringen wolle, ehe der Rückweg eingeschlagen ward; der grüne Wald umgab also wieder dicht und lauschig von allen Seiten die kleine Schar; man ritt einem Gebirgszuge entgegen, dessen höchste Spitze, ein noch tätiger Vulkan, wenigstens von fern in Augenschein genommen werden sollte.

Zwei Tage und Nächte verbrachten die Reisenden auf dieser angenehmen und vom schönsten Wetter begünstigten Tour, obwohl in jeder Nacht die Weißen abwechselnd mit geladenen Gewehren ihre Führer bewachten. Dann, am Mittag des dritten Tages, näherte sich der kleine Zug dem feuerspeienden Berge, dessen Gebiet weder Wald noch sonstigen Baumwuchs zeigte.

Als noch der eigentliche Berg in bläulichem Duft wie ein ferner Riese dalag, bestand schon auf eine halbe Meile im Umkreis der Boden aus Lava und Schlacken, Geröll und jenen großen, eckigen Steinblöcken, welche die tätigen Krater auf Java bei ihren bedeutenderen Ausbrüchen emporzuschleudern pflegen. Die Landschaft zeigte fahle, aschgraue und gelbliche Totenfarbe, kein Tier belebte den Weg, kein Vogel sang und kein Blatt sproßte hervor aus dem heißen verdorrten Boden. Jene berüchtigten Zacken und Rinnen, mit denen feuerspeiende Berge meistens umgeben sind, erschwerten das Klettern, tiefe Klüfte mußten von den Pferden übersprungen werden, leichter Schwefeldampf in der Luft beklemmte die Brust; zuweilen glitten die Tiere auf spiegelglatter Lava wie auf einer Eisfläche dahin, und dann wieder rollten sie mit bröckelndem Gestein plötzlich eine tüchtige Strecke rückwärts.

Die Führer ritten nicht; Ochsen und Karren hatten sie natürlich am Fuße des Berges zurückgelassen, ebenso ihre eigenen Tiere. Sie zogen die Pferde der Weißen unter steten Zurufen am Zügel nach sich und wählten sorgsam die wenigst gefährlichen Stellen; ebenso sammelten sie auch bereitwillig jeden Stein und jede Schlacke, die ihnen bezeichnet wurde.

Der Berg war, obgleich kein eigentlicher Ausbruch stattfand, doch sehr unruhig; unsere Freunde sollten das erwartete Schauspiel so schön als nur möglich genießen. Als zwischen Lavageschieben, Schlacken und Blöcken, zwischen zahllosen einzeln stehenden Kegeln und über weite, tote Aschenfelder der Krater bis auf vielleicht fünfhundert Schritt Entfernung erreicht war, machten die Führer Halt. Von diesem Punkt aus ließ sich das Ganze am besten überblicken; noch näher heranzukommen wäre gefährlich gewesen; denn zuweilen werden selbst an den ruhigsten Tagen größere Steine aus dem Innern hervorgeschleudert und zur Seite geworfen; ebenso nimmt auch der Schwefeldunst derartig zu, daß ihn die Atmungsorgane nicht mehr ertragen können.

Eine hohe Rauchsäule, im Purpurscheine glühend, stieg aus dem Krater auf, wallende, wirbelnde Massen vereinigten sich hoch in blauer Luft zu einer Wolke, aus deren mit Elektrizität angefülltem Schoße ohne Unterlaß nach allen Seiten zuckende Blitze niederfuhren. Steine von Faustgröße wurden ununterbrochen mit den Rauchmassen herausgeworfen und fielen dann polternd mit rollendem Getöse in die unheimliche Tiefe zurück. Den Höhepunkt seiner Schönheit erreichte aber das Naturschauspiel, als plötzlich eine hohe, mit rasender Schnelligkeit aufschießende Säule sprudelnden, kochenden Wassers in die Luft aufstieg. Wie ein glühender Regen verbreitete sich zischend und stäubend die Flut nach allen Seiten, Staubwolken aufwirbelnd, mit einem durchdringenden Geruch von schwefeliger Säure. Eine Wassersäule nach der anderen drang hervor, vermischt mit Rauch und Steinen, es rollte und donnerte im Inneren des Berges, die Luft wurde von Viertelstunde zu Viertelstunde unerträglicher.

»Jetzt wollen wir auch einen schlammspeienden Berg besehen,« rieten die Führer. »Zwar ist derselbe nicht so schön und auch nur niedrig, aber doch ebenfalls eine Naturseltenheit. Sollen die Pferde umkehren?«

Nachdem das erhabene Schauspiel hinlänglich bewundert, wurde diesem Vorschlag Folge gegeben und der sonderbare, höchstens hundert Meter hohe Schlammkegel aufgesucht. »Diese Berge verschwinden während der Regenzeit gänzlich,« erklärten die Führer, »sie werden dann zu Morästen, aus denen Gasblasen immerfort wirbelnd aufsteigen, die sich aber bei dem Eintreten der Hitze allmählich verdichten, austrocknen und nun so lange Tonklumpen aufwerfen, bis sich der Berg gebildet hat. Es ist ein solcher ganz in der Nähe.«

Der mühselige Weg wurde also zurückgelegt und jener einem großen Maulwurfshaufen gleichende, häßliche Berg mit seiner schwarzgelben Farbe aus der Nähe besehen. Ringsumher bildete der Boden eine Schlammkruste, während aus dem regelrecht geformten Krater eine dichte Rauchwolke aufstieg und leise Schlammwellen von Zeit zu Zeit über den Rand herabflossen. Hier herrschte anstatt des Schwefelgeruches eine ebenso scharfe, wenngleich minder unangenehme Ausdünstung, von dem in Tropfen fortwährend aus dem Erdinnern hervorquellenden Naphtha herrührend. Auch in der Umgebung dieses Kegels, deren die bekannte Welt nur sehr wenige aufzuweisen hat, wuchs nichts und lebte nichts.

Die kleine Gesellschaft atmete auf, als nach ein paar Stunden die Wüstenei von Steinen und Geröll hinter ihnen lag und die Vegetation wieder den früheren üppigen Charakter annahm. Sie machten nun größere Tagereisen und ließen sich's hauptsächlich angelegen sein, Pflanzen und Insekten zu sammeln, besonders die schönen großen Schmetterlingsarten, an denen alle Sundainseln so reich sind. Einige Exemplare des fliegenden Frosches kamen für das Museum hinzu, ebenso kleinere Fledermäuse und Eidechsen; ein Kalong wurde gekauft, ein Schuppentier sowie mehrere Marderarten und Eichhörnchen erlegt und einige Wildkatzen abgebalgt. Holm sammelte Orchideen, das Alanggras, Vogeleier jeder Sorte und die ganze Unzahl von Käfern, Spinnen und Gewürm, die im Walde dem Reisenden auf jedem Schritt begegnen. Unterwegs wurde auch beraten, wohin zunächst die »Hammonia« ihre wissensdurstigen Passagiere bringen solle. Man kam überein, Sumatra, an dem man überdies schon vorüber gefahren war, nicht zu besuchen, und zwar weil hier das Pflanzen- und Tierleben bis auf einige wenige Abweichungen dem von Java völlig gleichsteht. Sumatra hat Rhinozerosse mit zwei Hörnern, einen etwas anders aussehenden Elefanten und einige andere Affenarten, ebenso eine besondere Baumwolle, einige auf Java nicht gefundene Holzarten und so weiter; aber der Unterschied ist nicht erheblich genug, um eine Reise durch das Innere zu rechtfertigen.

Es wurde also beschlossen, direkt nach Borneo zu gehen, vorher aber in Surabaja womöglich mit den Eingebornen zu Nutz und Frommen anderer Reisenden noch eine kleine Abrechnung zu halten. Glaubten sie, arglose, freigebige Menschen überlistet zu haben, so sollten sie dafür diesmal selbst die Überlisteten sein. Weder Holm noch der Doktor ließen irgend einen Plan durchblicken, sobald aber Surabaja erreicht war und die Führer schon vor den ersten Häusern der Stadt Bezahlung verlangten, da änderte sich die Sache. Holm und Franz nahmen die Hilfe der Behörden in Anspruch und erzwangen von den Malaien ein umfassendes Geständnis ihrer Verräterei. Erst versuchten sie keck zu leugnen, sobald aber der Stock im Hintergrunde des Verfahrens auftauchte, legten sie Hände und Füße zusammen und bekannten alles. Nachdem sie die Mitschuldigen an dem Schurkenstreiche genannt, wurde jedem einzelnen eine kleine Gefängnisstrafe zuerkannt und kein Pfennig über die erstbedungene Summe hinaus gezahlt. Zwar baten die Knaben in letzterer Beziehung ihre Lehrer um Nachsicht für die Spitzbuben, welche sich in der eigenen Falle gefangen, aber sie trafen bei den beiden auf entschiedenen Widerstand. »Das Unrecht darf nie den Sieg behalten,« erklärte der Doktor. »Redliche Menschen dürfen nie die Hand bieten, um gegen Betrüger eine höchst unangebrachte Milde zu üben. Die Gefängnisstrafe schütteln diese halbwilden Menschen sehr leicht ab, der Verlust aber bringt sie zum Nachdenken und zu der Erkenntnis, daß es selbst nicht einmal klug gehandelt ist, andere zu hintergehen, sondern daß aus der Sünde unnachsichtlich die Strafe erwächst.«

Bei dieser Gelegenheit faßte Hans einen guten Gedanken.

»Da die gelben Verräter nun doch einmal in unserer Gewalt sind und von Rechts wegen für ihre Schandtaten büßen müssen,« sagte er, »so sehe ich gar nicht ein, warum wir die schöne Gelegenheit nicht benutzen sollen, einige von den Gelbgesichtern abzugipsen. Im Gefängnis werden sie schon still liegen.«

»Du hast recht,« erwiderte Holm, »und wenn sie ruhig Modell liegen, so werden wir sehen, ob ihnen für gutes Verhalten nicht die Zeit ihrer Freiheitsstrafe verkürzt werden kann.«

Hans setzte alles zum Abgipsen Erforderliche in Bereitschaft, wobei Rua-Roa ihm hilfreiche Hand leistete. – »Es ist nicht sehr angenehm, den weißen Teig auf dem Gesichte zu haben,« meinte Rua-Roa, »es drückt, es zieht, es beißt, es kratzt und der Strohhalm kitzelt in der Nase, aber da die Javaner uns schlecht behandelt haben, so bin ich dafür, daß ihnen das Vergnügen des Abgipsens nicht vorenthalten bleibe.« Zu dieser Auseinandersetzung schnitt Rua-Roa so bezeichnende Grimassen, welche das Unangenehme der ganzen Prozedur schilderten, daß alle in ein lautes Gelächter ausbrachen.

Den Gefangenen wurde auseinandergesetzt, worum es sich handelte, und da sie vernahmen, daß sie um so eher aus ihrer Haft entlassen würden, je fügsamer sie sich verhielten, so willigten sie mit allerdings ziemlich sauren Gesichtern ein.

Hans und Rua-Roa machten sich alsbald an die Arbeit. Vier Abgüsse gelangen vortrefflich, der eine Javaner jedoch wurde ungebärdig, als die Gipsmasse auf seinem Gesichte sich zu verhärten begann. Er suchte dasselbe mit den Händen von der Masse frei zu machen, allein er wischte sich diese in die Haare des Kopfes und in die Ohren, so daß es nachher nicht möglich war, den festgewordenen Gips ganz zu entfernen. Man ließ ihn jedoch mit den anderen laufen, weil man nicht Lust hatte, wegen des einen Verbrechers viele Umstände zu machen.

»Hoffentlich wird sein Heiligenschein aus Gips von guter Wirkung auf seine Stammesgenossen sein,« meinte Holm lachend, »sie werden daran sehen, daß die Weißen sich nicht ungestraft beleidigen lassen. Einige Wochen wird der Bursche wohl mit dem unfreiwilligen Kopfschmucke umherlaufen und die Erinnerung an seine Vergehen mit sich umherschleppen.«

Die erhaltenen Hohlformen wurden sorgfältig verpackt, um später in Hamburg zur Abformung von Abgüssen zu dienen. Hans erhielt für die gelungene Arbeit von Holm wohlverdiente Anerkennung, von der Rua-Roa als getreuer Assistent auch einen Teil empfing, worüber er nicht wenig stolz war.

Es war Zeit, daß die »Hammonia« die Anker lichtete. Bald lag Java hinter unsern Freunden, und munter dampfte das gute Schiff Borneo zu.


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