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V.

Nach der standesamtlichen Trauung sandte Iduna eine Depesche an ihren Vater: »Es grüßen Julius und Iduna Delten, Wohnung ...« folgt die Adresse.

Die Fassung der Depesche war Delten nicht ganz recht, und er sagte:

»Deinem Vater wäre es lieber gewesen, nur deine Grüße zu empfangen.«

»Sind wir jetzt nicht eins?« fragte sie wieder.

Die Trauzeugen standen unterdessen vor der Post auf der Straße. Zwei seltsame Gestalten waren es: ein Fiedler der eine, ein Schriftsteller der andere. Beide nicht mehr junge, beide sauber, aber dürftig gekleidet, beide hohläugig mit flimmerndem Blick und einer gewissen naiven Unbeholfenheit im Wesen.

»Braun und Schwarz«, hatte Delten sie vorgestellt, und Iduna hatte ein leises Lächeln nicht unterdrücken können, als sich die beiden Männer à tempo in derselben linkischen Weise vor ihr verneigten.

Die standesamtliche Trauung machte auf Iduna gar keinen Eindruck. So etwas Nüchternes war es, Hastiges, Geschäftsmäßiges. Im Innersten war sie verletzt, daß die Worte des glatzköpfigen Standesbeamten, der eine unerträgliche Atmosphäre von schlechten Zigarren und Alkohol um sich verbreitete – sie hatte gesehen, wie er noch rasch vor der Zeremonie ein Seidel Bier hinabstürzte – über ihr Schicksal zu entscheiden hatten. Daß er in gedankenloser Hast die üblichen Formeln herunterschnarrte, sollte einem ihr bis dahin fremden Manne die weitestgehenden Rechte über sie geben?

Wenn damals vor vierzehn Tagen Delten von ihr verlangt hätte, daß sie ihr Haar löse, sich ihm zeige in phantastischer Gewandung, die den Reiz ihres jungen Leibes ahnen ließ – sie hätte es getan mit heimlichem Entzücken. Jetzt im grauen Licht des dumpfen Amtszimmers, rüttelte es sie vor Ekel bei dem Gedanken an die gesetzlich erlaubten Freuden einer solchen Kopulation, wie es in der Amtssprache hieß.

Hätte Delten ihre Hand anders berührt, seine Blicke wärmer und länger auf ihr ruhen lassen, als bisher, sie wäre im stande gewesen, fortzulaufen wie ein Kind, sich irgendwo verborgen zu halten, bis die Erinnerung in ihr ausgelöscht wäre an den Standesbeamten, der nach Zigarren und Alkohol roch, an die Amtsstube, an die zwei Zeugen und an all den widerwärtigen Apparat, den gesetzliche Kuppelei vorschrieb.

Aber Delten hatte mit keinem Worte, keinem Blicke ein neues Anrecht an sie geltend zu machen gesucht. Ja, es schien ihr, als wären seine Gedanken ganz wo anders, als ginge ihn dies alles gar nicht persönlich an.

Und abermals, nur in anderer Weise wieder, fühlte sie sich verletzt, und es war von ihr eine geflissentliche Konstatierung des neuen Verhältnisses zu ihm, als sie ihm beim Verlassen der Post die Worte zurief:

»Sind wir jetzt nicht eins?«

Es war ein seltsames, still überlegenes Lächeln mit dem er diese Worte beantwortete.

Draußen nahmen sie einen viersitzigen Wagen und fuhren in ein feines Restaurant, wo Delten ein Zimmer hatte reservieren lassen. Der runde Tisch war mit Blumen geschmückt, und auf Idunas Teller lagen ebenfalls langstielige, duftende Blüten.

»Das lasse ich mir gefallen«, sagte Braun, und streifte seine korngelben, mehrfach geputzten Handschuhe ab, die ihm offenbar höchst unbequem gewesen.

»Einem jeden Menschen ist in seinem Leben wenigstens eine Stunde der Freude und Schönheit vergönnt«, bemerkte Schwarz mit Grabesstimme.

»Nur eine, für ein ganzes langes Leben nur eine?« fragte Iduna.

Sie nahm in hausfraulicher Sicherheit Besitz von ihrem Platz, rosig gelaunt wieder, trotz der seltsamen Gäste, heimlich belustigt über Deltens Idee, gerade diese Originale zu Trauzeugen gewählt zu haben.

»Ich wollte, ich hätte ein Instrument, würdig die Erhabenheit dieser Stunde zu verherrlichen ...«

»Sie sind Musiker, Herr ...«

»Braun ist mein Name ... jawohl, ich bin Geiger. Sie haben mich nie spielen gehört – nein, wo sollten Sie auch! Aber ich kann spielen ...! Nicht wahr, Doktor, so spielen, wie niemand von all unseren Berühmtheiten. Seit Paganini hat niemand so gespielt wie ich, niemand – In Nächten spiele ich, wenn rings um mich alles still ist ... kein Laut, kein Atemzug darf die himmlischen Töne profan unterbrechen ... Und wenn ich so gespielt, dann suche ich die Geige, die einzige ... die diese Töne wiedergeben könnte und finde sie nicht ... niemals ...«

»Ihre Geige – –«

»Meine Geige? Liebe junge Frau, meine Geige ist nicht von Menschenhand gebaut ... Nur im Ohr habe ich sie, meine Geige ... in der Seele sitzt sie nur und klagt und jauchzt ...«

Idunas Augen wurden immer größer, beinahe ängstlich sah sie auf Delten, aber er gab dem servierenden Kellner gerade einen leisen Auftrag.

»Bitte um Verzeihung ... wovon war die Rede? Ach so ... Ihre Geige, Braun? Ja, liebes Kind, da siehst du den glücklichsten Menschen vor dir, den die Welt trägt ...«

»Julius«, rief Iduna vorwurfsvoll.

»Ich bleibe dabei ... frage ihn nur selbst. Darf ich von Ihnen erzählen, Braun?«

»Geben Sie ihn doch lieber gleich in Goldschnitt heraus zur Unterhaltung für Hochzeitsdiners«, murrte Schwarz und beugte sich dann wie erschreckt über seinen Suppenteller.

Delten streifte ihn mit einem belustigten Blick und fuhr unbeirrt fort:

»Braun ist Geiger und Geigenbauer. Als er vor zwanzig Jahren nach Berlin kam, gab er ein Konzert und ...«

»Sie brauchen mich nicht zu schonen, Doktor; ich fiel durch. Sagen Sie es nur gerade heraus.«

»Es ist gesagt. Er hatte Vermögen ... so etwas wie hunderttausend Mark ...«

»Mehr, Doktor, hundertfünfzigtausend ...«

»Nehmen wir an. Davon also hätte er leben können, auch ohne Konzerte zu geben, aber der Teufel des Ehrgeizes ließ ihn nicht ruhen, und so machte er sich während fünf Jahren jedesmal einmal im Winter das Vergnügen – durchzufallen. Die Konzerte, die er spielte, hätte er sprechen sollen ...«

»Ganz recht, Doktor, denn so wie ich die Musik verstehe und innerlich ausübe ...«

»So könnte keine Geige sie wiedergeben, ich weiß. Von dieser Erkenntnis bis zum Entschluß, selbst eine Geige zu bauen, ist nur ein Schritt. Gedacht – getan. Mein Freund Braun reist nach Thüringen, setzt sich mit einem dort seßhaften Geigenbauer in Verbindung, lernt bei ihm den Geigenbau, kommt zurück, richtet sich ein Laboratorium ein, siedet und braut den ganzen Tag, hüllt sich in stickige Dämpfe ein wie ein Alchimist des Mittelalters und forscht nach dem Geheimnisse des Lacks, durch den die Geige erst fähig wird, den geträumten Ton wiederzugeben. Er läßt sich Bücher aus Italien kommen, studiert in Bibliotheken alle möglichen Geheimschriften, gibt ein Vermögen aus für kostbare Essenzen und seltene Kräuter, läuft herum mit wirren Haaren und geschwärzten Händen, wird von seinen Wirten gekündigt und für beschädigte Dielen und Wände auf Schadenersatz geklagt, verliert bei einer unerwarteten Explosion beinahe das Augenlicht, zertrümmert Geigen, deren Herstellung ihn Tausende gekostet, baut und lackiert neue und ist ... schon zum hundertsten Mal – ganz nahe am Ziel – als er plötzlich bemerkt, daß seine Kasse leer ist ...«

»Schrecklich«, ruft Iduna unwillkürlich.

»Erzählen Sie weiter, Braun, meine Suppe wird kalt.«

»Ich danke Ihnen für das Wort, liebe junge Frau, aber richtig ist's nicht. Freilich, damals sagte ich wie Sie. Aber ich lernte da gerade Ihren Mann kennen. Man sagte mir, er hätte Geld und würde mir vielleicht helfen, weil ...«

»Genieren Sie sich nicht, Braun«, ermutigte Delten.

»Nun, weil er auch für so was wie einen Sonderling galt. Aber so närrisch war er doch nicht, daß er mir das Geld ohne weiteres gab. Erst ging er mit mir in meine Höhle ... ein Keller war es jetzt, wo ich hauste – da konnte nichts Schaden leiden. Da mußte ich ihm vorspielen auf all den Geigen, aber meine Finger waren steif geworden, meine Hand ungelenkig, nur soviel konnte ich noch – die einzelnen Töne lang und getragen hervorlocken mit leisem Anschwellen, dann verklingen lassen, wie in geisterhafter Ferne. Auch klangen mir, offen gesagt, die Stücke alle zu grob, nicht Harmonie und Melodie, nein, der Ton selbst war für mich Musik und diese Musik war es, die ich suchte, die mich ruhelos machte. Ich beschwor Ihren Mann, mir so viel Geld zu geben, daß ich eine, nur noch eine einzige Geige bauen konnte, sie sollte mein letzter Versuch sein, der mußte gelingen. Oft pilgerte ich damals hinauf zum Doktor, wie ein Irrer manchmal, wie ein Alkoholiker, dem man das einzige kleine Glas verweigert – das das letzte, ganz gewiß das letzte sein sollte ... Es raste in meinem Hirn, mein Blut kochte, ich hätte meinem Leben aus Verzweiflung ein Ende gemacht, wenn er mich nicht einmal bei sich eingesperrt hätte – zwei Tage und zwei Nächte ... Kaum daß ich zu essen bekam. Und als ich dann matt und hilflos geworden, da fragte er: ›Hören Sie den Ton noch immer, Braun?‹ ›Ja, ich höre ihn ... schöner, reiner denn je ...‹ ›Und glauben Sie, Braun, daß Sie nun die Geige schaffen können, die diesen Ton gibt?‹ ›Ja ... ja ... das kann ich.‹ ›Gut ... und was dann?‹ Eiskalt wurde mir bei der Frage. Er aber sagte: ›Dann werden Sie wieder einen anderen Ton hören, noch schöner, noch reiner ... und die unbezwingbare Sehnsucht wird Sie packen, auch diesen Ton festzuhalten, vorausgesetzt natürlich, daß Ihnen der erste Versuch gelungen. Und dann ... wird je eine Geige, von Menschenhand gebaut den einzigen, den göttlichen Ton wiedergeben? Hier, da haben Sie Geld, es sind einige Tausendmarkscheine in dem Päckchen – Nirgends mehr werden sie das Geld finden, das ich Ihnen hiermit nicht leihweise, sondern zu unbeschränktem Eigentum überlasse. Nehmen Sie es jetzt und bauen sie weiter in unbefriedigter Sehnsucht, in zehrender Angst, oder aber lassen Sie es liegen hier bei mir, im Gedanken, daß Sie nicht erreichen wollen, was zu erreichen Sie sich fruchtlos gesteckt. Statt: ›ich will, aber ich kann nicht‹, sagen Sie von heute ab: ›ich kann, aber ich will nicht‹ ... Ich will, aber ich kann nicht, ist Sklaventum, ich kann, aber ich will nicht, das Wort eines Königs, eines Gottes ...‹

Wie ich dies hörte, meine liebe junge Frau, da ist es über mich gekommen wie eine höhere Erkenntnis. Erst bin ich davongelaufen und habe mich geschämt, daß ich so klein und nichtig war ... dann bin ich wieder gekommen zu Ihrem Mann, und wie er mir die Scheine zeigte und mir sagte: ›Sie gehören Ihnen, Braun‹, da antwortete ich: ›Sie gehören wohl mir, aber ich will sie nicht.‹ Und da fühlte ich mich so reich, als gehörten alle Millionen Rothschilds mir ... So war es auch mit meinem Wahn: der Ton lebt in mir fort in unvergänglicher Schönheit, aber die Geige, die ihn festhalten soll – ich will sie nicht schaffen. Und so kenne ich nichts mehr von Kummer und Angst, nichts mehr von verzehrender Sehnsucht ... Frei und glücklich bin ich – wie wenige – in den engen Grenzen, die ich mir gezogen und die ich nur darum nicht überschreite, weil ich sie nicht überschreiten will. Früher dachte ich – nur im Unendlichen kann man das Glück finden, jetzt weiß ich's: nur im willkürlich Begrenzten kann man es ... Die Sehnsucht führt uns übers Unendliche hinweg ins Reich der Erkenntnis. Die Erkenntnis stutzt der Sehnsucht die Flügel, wir lernen gehen statt fliegen, wir lernen leben ...«

Delten hob sein Glas, das er mit goldgelbem Wein gefüllt hatte und nickte Iduna zu:

»Ich lebe und grüße dich, Iduna!«

Sie hob das Glas mit zitternder Hand.

»Es waren die ersten und lange Zeit hindurch die einzigen Worte, die ich von dir vernahm, Julius ...«

Sie war innerlich aufs tiefste erregt, von dem, was sie gehört ... Und wieder ward er dichter, der zerflatternde Glorienschein um Deltens Haupt ...

»Auf dem Menü sind gebackene Forellen verzeichnet«, ließ sich plötzlich eine grollende Baßstimme vernehmen.

Es war Schwarz, der schon einigemal verzweiflungsvoll nach der Tür geblickt hatte, die der Kellner auf Deltens Weisung hin nicht ohne gegebenes Zeichen öffnen durfte.

»Ganz recht, Schwarz, wir haben Sie grausam vernachlässigt.«

Delten drückte auf den elektrischen Knopf.

Braun fühlte sich verpflichtet, seinen Freund herauszustreichen:

»Glauben Sie mir, junge Frau, Schwarz hat unterdessen ein Sonett auf Sie gedichtet ... er ist gar nicht so materiell ...«

»Ja, ja, meine Dichtungen schreibe ich mit Vexiertinte in die Luft. Darum sind sie auch so schön, wie Brauns Geigenton. Niemand kann sie kontrollieren ... Zum Glück kosten mich meine Passionen kein Geld ... Und Sonette dichte ich überhaupt nicht ... Blödsinnig ist es, Unendliches in enge Formen einzupressen. Ja, gewiß, wenn ich heute über die Straße gehe und sehe, ein Pferd stürzt tot nieder – das kann ich schon in wenig Worten sagen, aber wie soll ich meine Empfindungen dabei ausdrücken? Für das Pferd und meine Seele dieselben Ausdrücke brauchen? Zahllos sind ja die feinen Stimmungen der Seele – und wie begrenzt ist das Wörterbuch ... Das Wort tötet die Stimmung, erdrückt sie in einer plumpen Enge. Die innere Verklärung – das allein ist Poesie. Nie läßt sich Poesie einzwängen in all die starren Formeln! Lachen muß ich, wenn ich ein Gedicht lese, ein Gedicht mit klingenden Reimen ... Gedichte kann man nur leben, leben in sich ... Die Freude, die ich empfinde, jetzt, da ich zu Ihnen, der jungen Frau meines Freundes spreche. Diese Freude weihe ich Ihnen ... sie ist besser als ein Gedicht ...«

Braun sprang wie elektrisiert auf.

»Dazu klingt der Ton meiner Geige, wie jauchzende Begleitung ... ich höre ihn ... so schön, so voll war er nie ...«

Er stand da, vornübergebeugt, lauschend, weltentrückt ... Iduna blickte verwirrt zu Delten hinüber. Er nickte ihr zu, beruhigend, ermutigend ...

Der Kellner trat ein und reichte die Forellen herum, Delten schenkte Wein in die Gläser nach ...

Iduna sah ab und zu auf ihren goldglänzenden Trauring. Sie hatte ein kindliches Vergnügen an ihm. Sie kam sich so erwachsen vor, wie ein junges Ding, das zum erstenmal ein langes Kleid angelegt hat ... Und daß sie als einziges weibliches Wesen mit drei Männern zusammen in einem Restaurant saß, daß sie das unbeanstandet tun durfte – es machte ihr Spaß.

Über die zwei seltsamen Gäste lachte sie nicht mehr. Etwas Feines und Besonderes ging von ihnen aus, ein phantastischer Zauber, dem sie sich nicht entziehen konnte. Ein warmes Sympathiegefühl erfüllte sie für die beiden Freunde, und kindlich, weich und anschmiegend war der Laut ihrer Stimme, wenn sie mit ihnen sprach und ihnen in die flimmernden Augen sah ... Sie wurden förmlich galant, die zwei Sonderlinge ... Braun stellte ihr Blumen ins Wasser, Schwarz stürzte zum Serviertisch, als er bemerkte, daß sie kein Brot mehr neben ihrem Teller hatte, und Delten lächelte dazu, wie ein Vater es wohl tut, wenn er sieht, wie seiner Tochter gehuldigt wird.

»Ihre glockenreine Stimme, junge Frau ...«, sagte Braun einmal im Gespräch, »Ihre schönen, lieben Augen ...«, flocht Schwarz einmal ein ...

»Macht mir das Kind nicht eitel«, warnte Delten gut gelaunt.

Es gab keinen Sekt. Das gefiel Iduna. Es lag vornehmes Maßhalten darin, kein künstliches Emporschrauben der Stimmung. Es wäre ihr peinlich gewesen, ihrem Manne unter dem Einflusse eines Getränkes reizvoller zu erscheinen.

Als Delten endlich die Uhr zog, war es sieben geworden. Man hatte volle drei Stunden bei Tisch zugebracht.

»Wollen wir nicht gehen, Iduna?«

Beinahe war es ihr leid, schon aufzubrechen, aber dennoch nickte sie bestätigend.

»Gewiß, Julius ...«

Braun reichte ihr den Mantel, Schwarz brachte ihr den kleinen Muff, und beide küßten ihr beim Abschiednehmen die Hand.

Es war das erstemal, daß ihr jemand die Hand küßte, und sie wurde ganz rot dabei, ganz verlegen. Sie sagte sich innerlich: »Aber ich bin doch jetzt eine verheiratete Frau«, und dennoch wußte sie nicht recht, was sie den beiden zum Abschied sagen sollte. Sie zu sich aufzufordern, traute sie sich nicht, das hätte Delten tun müssen.

»Ich vergaß beinahe meine Blumen«, rief sie plötzlich.

Braun nahm sie aus dem Wasser und Schwarz trocknete die Stengel mit der Serviette ab.

»Wollen Sie zum Andenken an den heutigen Tag eine Blume von mir nehmen?«

Mit anmutigem Lächeln hielt sie ihnen zwei schöne violettrote Zyklamen hin.

»Liebe, junge Frau«, murmelte Braun bewegt.

»Soll mir das einer in seine vermalefitzten Verse bringen«, rief Schwarz ingrimmig, während er verdächtig mit den Augen blinzelte.

Ein feiner, subtiler Rausch hatte sie überkommen, eine leise, glückliche Rührung. Iduna drückte ihnen die Hände und sah ihnen in die Augen, schwankend zwischen Lachen und Weinen.

»Ich danke Ihnen so, ich danke Ihnen«, wiederholte sie immer wieder.

Die beiden wußten nicht wie ihnen geschah.

Nun hängte sich Iduna in Deltens Arm, ihn förmlich mitziehend, wie um einen schmerzlichen Abschied abzukürzen.

Schwarz und Braun blieben mitten im kleinen Salon stehen, am unabgeräumten Tisch. Das Licht der elektrischen Lampen spielte in dem Kristall der Gläser, dem Silber vom Mokkaservice, flutete in seidigen Reflexen über das feine Damasttischtuch. Sie standen beide unbeweglich und blickten herab auf die Blume, die sie in der Hand hielten. Dann griffen sie beide in ihre Brusttaschen, holten je ein abgenutztes Ledertäschchen hervor und legten die Blume hinein. In dem Augenblick trat der Kellner ein, und sie zuckten zusammen, wie auf einer Ungehörigkeit ertappt. Er begann, den Tisch abzuräumen.

»Gehen wir rasch«, sagte Schwarz.

Sie warfen ihre Mäntel über und schritten hinaus. Ganz still waren sie geworden, ganz klein und wie gedrückt ... bald verloren sie sich in der Menge.


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