Johann Wilhelm Wolf
Die deutsche Götterlehre
Johann Wilhelm Wolf

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Weise Frauen.♦ Myth. 368. S. 49. Wer denkt bei Brunhild nicht sofort an Dornröschen?

Neben den Namen der Helden finden sich in den Stammtafeln und Stammsagen keine Heldinnen: mit der Heldenarbeit hat das Weib nichts gemein, es gehört nicht ins Feld und in die Kampfreihen, sondern in das Haus, worin wir auch die Göttinnen vorzugsweise waltend erblicken, der Frau ziemen friedliche Beschäftigungen, sie ist die »Frieden webende.« Darum theilen die Frauen doch die Halbgöttlichkeit mit den Männern und wenn die Halbgöttinnen nicht so geräuschvoll auftreten, wie die Helden, so erscheint ihr Amt dafür um so bedeutsamer und von tieferem dauernderem Einfluss auf das Leben und Treiben der Menschen. Ihr Geschäft und ihre Bestimmung ist im Allgemeinen so zu bezeichnen, dass sie den obern Göttern dienen und den Menschen verkündigen. Sie stehen den Göttern unmittelbarer nah, als die Helden, im Range über diesen, sie vermitteln die Gottheit den Menschen.

Es ist ein tiefer und schöner Zug in unserm Volke, dass es von jeher die Frau mit einer Achtung und Ehrfurcht behandelte, welche andern Völkern selbst auf der höchsten Stufe der Bildung fremd blieb. Die Deutschen glaubten, wie wir schon wissen, dass den Frauen etwas Göttliches und Vorahnendes innewohne, und das erklärt sich, wenn wir uns erinnern, dass ja selbst ihr Name göttlichen Ursprunges ist. Man hielt darum auch dafür, dass Zauber und Weissagung besonders ihre Gaben seien. Dies gilt nun in besonders hohem Grade von den halbgöttlichen Frauen, welche daher ihren Namen leiten: kluge, weise Frauen; ihr allgemeinerer Name war Idisî. Zwar beruht ihr Wesen auf menschlicher Natur, gleich dem der Helden, aber wie diese von den Göttern mit physischen Mitteln und Kräften bedacht sind, so sind jene mit höhern geistigen Gaben ausgerüstet. Sie haben das Amt den Menschen Heil oder Unheil, Sieg oder Tod anzusagen und zu verkündigen. Ihre Weisheit erspäht, ja sie ordnet und lenkt Verflechtungen unseres Schicksals, warnt vor Gefahr und räth in schwieriger Lage. Bei der Geburt des Menschen erscheinen sie weissagend und begabend, in Kampfes Nöthen sind sie hilfreich und Sieg verleihend ihm nahe.

Unter ihnen stehen obenan die drei Schicksalsgöttinnen, die Moiren der Griechen, die Parzen der Römer, unsere Norni: Wurt, Werdandi und Scult, also das Gewordene, das Werdende, das Werdensollende, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Nach nordischer Ueberlieferung quillt unter einer der Wurzeln des Weltbaumes, der Esche Yggdrasil ein hochheiliger Brunnen, welcher nach der ersten dieser Nornen genannt wird. Da erhebt sich der Saal der drei Jungfrauen, aus welchem sie hervorgehen, die jedem Menschen seine Lebenszeit Bestimmenden. So kamen sie in der Nacht, wo Helgi der Held geboren wurde, in die Burg und schufen ihm sein Schicksal; sie drehten die Schicksalsfäden und breiteten das goldne Seil mitten am Himmel aus. Die eine barg ein Ende desselben gen Osten, die andere eines gen Westen, die dritte festigte es gen Norden und alles Gebiet zwischen den beiden ersten Fäden sollte dem jungen Helden zufallen. Ein anderesmal kamen sie in ein Haus, da lag ein Kind in der Wiege und zwei Kerzen brannten über ihm. Die erste und die zweite Norne begabten es mit Glückseligkeit vor andern seines Geschlechtes. Da erhob sich aber zornig die dritte, die jüngste, welche man im Gedränge von ihrem Stuhl geworfen hatte, so dass sie zur Erde gefallen war und rief: Ich schaffe dem Kinde, dass es nicht länger leben soll, als die neben ihm angezündete Kerze brennt. Gütig aber griff die älteste der Jungfrauen rasch nach der Kerze, löschte und gab sie der Mutter mit der Mahnung, sie erst an dem letzten Lebenstage des Kindes wieder anzustecken. Von diesem Besuche der Nornen empfing das Kind den Namen Nornengast. Diese älteste der Nornen ist die Vergangenheit, jene übles schaffende Jüngste die Zukunft, die nie altern kann, vielmehr gleichsam immer jünger wird und an Alter abnimmt, wie die Vergangenheit stets an Alter zunimmt. Weil diese aber von Herzen gütig warAlles Leid verliert in der Erinnerung seine Bitterkeit, die Freude steht ewig lachend in ihr da. und durch ihr Alter ehrwürdig, so war sie besonders verehrt und gleichsam die Vorsteherin der heiligen Dreizahl. Wie der Born unterm Weltbaum seinen Namen von ihr hat (Urdharbrunnr) so galt ihr Name auch unter unsern Vorfahren zur Bezeichnung des Schicksals im Allgemeinen. Ganz das Gegentheil von ihr scheint die jüngste, Skuld; jugendlich rasch naht sie heran und im Nahen verschwindet sie schon wieder, ihrer zweiten Schwester Platz zu machen. Ihrer ewigen Beweglichkeit ist die Ruhe der ältern Schwester verhasst, was sie im Schilde führt, weiss Niemand, nur ihre Werdelust kennt man. Wenn wir daher im Allgemeinen die Nornen als spinnend oder webend dargestellt finden, so sehen wir mitunter Skuld von ihren Schwestern getrennt und finden wir sie in einem andern Kreise weiser Frauen thätig, zu dem die beiden andern weniger passen.

Kein Geschick bewegte den Sinn des Alterthums lebafter als der Ausgang der Schlachten und Kriege. Es wurde in dem Capitel über Wuotan bereits der Walküren gedacht, d. i. jener göttlichen Botinnen Allvaters, welche den Wal (die Erschlagenen auf dem Schlachtfelde) küren, kiesen, holen, in Empfang nehmen, die also die Helden in die göttliche Wohnung Wuotans tragen. Von diesem ihrem Walten in der Schlacht hiessen sie dem Norden Schlachtmädchen, weil sie gerüstet unter Schild und Helm ausziehen Schildjungfrauen, Helmjungfrauen, und weil sie Wuotans, des Wunsches Abgesandte waren, Wunschmädchen. Sie sind der Helden Schutzgeister, so jene, die des Staufenbergers von Jugend auf in Gefahr und Krieg gehütet hatte und stets unsichtbar um ihn war, die ihm später in weissen Gewändern auf einem Steine sitzend erscheint und bei ihm ist, so oft er sich nach ihr sehnt und sie herbeiwünscht. Sie wird seine Geliebte, aber verlangt dabei auch unverletzliche Treue, er hält sie ihr eine Zeit lang, darin bricht er sie und stirbt zur Strafe binnen drei Tagen.

Nach nordischer Vorstellung, die zweifelsohne auch bei uns gäng und gebe war, reiten sie sobald die Schlacht anhebt, auf die Walstatt, eine unwiderstehliche Sehnsucht nach dem Kampfe führt sie dahin. Golden leuchten ihre Helme, ihre Lanzen und Schilder glänzen; wenn sich ihre golden schimmernden Rosse schütteln, trieft von den Mähnen Thau in die Thäler. Ueber den Reihen der kämpfenden Helden sich tummelnd stehen sie ihnen Freunden schützend zur Seite, bringen sie Entscheidung des Kampfes und geleiten die Gefallenen gen Himmel, wo sie ihnen beim Mahle den Meth kredenzen. Unter ihnen fühlt sich Skuld, die jugendlich rasche und frische behaglicher, als in der Gesellschaft ihrer Schwestern, sie bricht der Helden Lebensfaden. Ihre Zahl wechselt im Norden zwischen sechs neun und dreizehn. Ursprünglich gab es ihrer wohl nicht mehr, später aber wurden diesen Jungfrauen göttlicher Abkunft andere aus menschlichem Geschlechte zugesellt, doch waren sie, wie die spätern Helden stets aus Geblüte.

Gerne geben sie sich den Helden in Liebe hin; wie den Staufenberger eine Walküre liebte, so Brunhild den gewaltigen Heldenjüngling Siegfried. Ihr Name bezeichnet die gepanzerte, mit der Brünne bedeckte Hilde. Auf einem Berge erhob sich ihre Schildburg, die mit wabernder Lohe umgeben war. Sie hatte gegen Siegvaters Willen den Sieg ausgetheilt und war zur Strafe dafür von dem Gotte in einen Zauberschlaf gesenkt worden; so schlief sie auf ihrem Schilde, bis Siegfried die Flammen durchritt und sie weckte.

Aber nicht ewig dauern Schlacht und Kampf; die Entscheidung in denselben ist nur ein Theil des Schicksals und die Walküren sind mit den Nornen, den Schicksalsschwestern eng verwandt. Auch die Walküren spinnen und weben und zwar nicht nur die Geschicke der Schlacht, sondern sie spinnen auch am Seestrande sitzend köstlichen Flachs. Zu dieser ihrer friedlichen, weiblichern Seite passt das goldne Schlachtross nicht; wenn sie sich irgendwohin begeben wollen, ziehen sie Schwanhemde an. So wird im eddischen Völundrslied erzählt, als Völundr (Wielant) und seine Brüder eines Morgens an den Wolfssee kamen, fanden sie am Strande drei Frauen, welche Flachs spannen, neben ihnen lagen ihre Schwanhemden, es waren Walküren. Oft finden die Helden sie auch in der kühlen Flut badend, nehmen das am Ufer liegende Schwangewand und bringen die Jungfrauen dadurch in ihre Gewalt. So lange sie das Gewand vor ihnen zu verbergen wissen, geht Alles gut, finden die Frauen es aber zufällig wieder, dann erwacht der Drang nach der alten Freiheit, nach dem alten Amte in ihnen und sie entfliegen. Mitunter ist die Gabe des Fluges in Schwangestalt auch an einen Ring, an eine Kette gebunden, welche übergeworfen oder angelegt werden, worauf die Verwandlung sogleich erfolgt.

Die Seen, auf welchen die Schwanenjungfrauen erscheinen, liegen meist in den tiefen, geheimen Schatten eines Waldes, das rechtfertigt einen andern Namen dieser lieblichen Wesen, sie heissen auch Waldfrauen. Der alte heilige Wald ist ihr Lieblingsaufenthalt, da thronten die Götter auf Bäumen und ihnen konnten die weisen Frauen nicht fern sein, da dieselben ihr Geleit und Gefolge bildeten. Ueblicher als jener Name Waldfrauen ist Waltminnen, neben welchem der dritte Meerminnen vorkommt. So heissen die weisen Frauen in dem Nibelungenlied, deren Hagne eine anredet, Merwip. Gleich ihnen weissagen alle, manche sind auch Stammütter von Helden, wie Wittich Wielands Sohn Frau Wâchilt als Ahnfrau erkennt und Morolt eine Meerminne zur Muhme hat, die im Berg Elsabe wohnt.


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