Julius Wolff
Der fliegende Holländer
Julius Wolff

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X.
An Bord der Jungfrau.

                  Auf blauen, breitgeschwungnen Wogen
Durch den atlantischen Ozean
Kam hoch und stolz daher gezogen
Die Jungfrau wie ein Riesenschwan
Mit ausgespreizten weißen Schwingen,
Die Brust umsprudelt und umkraust
Und von den Wellen mit Rauschen und Klingen
Jauchzend umsprungen und umbraust.
Schon Wochen lang war sie geschwommen,
War durch den stürmischen Canal
Und durch Biscaya's Bai gekommen,
Die bös verrufne, hatt' einmal
Im Hafen Lissabons gelegen
Und steuerte nun unverwandt
Auf küstenfernen Wasserwegen
Nach dem canarischen Inselland.
Da war es eines Tags am Morgen
Nach Sonnenaufgang, Edzard kam
Schon früh an Deck, weil seine Sorgen
Ihm nie ein langer Schlummer nahm,
Und vor sich, grad im Kurs des Schiffes
Erblickt' er Land, aus Nebelduft
Hob sich im Glanz des Demantschliffes
Ein schlanker Gipfel in die Luft.
Schnell zur Kajüt' hinab! im Schreiten
Schon ließ er laut den Ruf ergeh'n:
»Komm, Ingeborg, willst Du von weiten
Den Pic von Teneriffa sehn!«
Sie kam an Deck auch, beide stiegen
Zur Back am Vordertheil empor
Und sahen frei nun vor sich liegen
Den schönen Berg; hoch aus dem Flor
Des grauen Wolkengürtels reckte
Er in die klare Luft hinein
Das stolze Haupt, das schneebedeckte,
Mit einem matten Rosenschein.
Doch bald erblich der Farbenschimmer,
Daß weiß und scharf die steile Wand,
Stets blendender, krystallner immer,
Im tiefen Blau des Himmels stand.

So nah jedoch des Berges Kegel
Dem Auge schien, den ganzen Tag
Lief noch die Jungfrau unter Segel,
Eh' sie an ihrem Anker lag
Vor Santa Cruz, wo nöth'ger Weise
Sie wieder Lebensmittel nahm
Nebst frischem Wasser für die Reise
Und flickte, was zu Schaden kam.
Der Bootsmann mußt' es überwachen,
Denn Edzard wollte hier allein
Mit Ingborg einen Ausflug machen
Zu Maulthier in das Land hinein.
Ist Teneriffa doch die Pforte
Zur wunderbaren Tropenwelt,
Wie's kaum an einem andern Orte
So deutlich sich vor Augen stellt
In unvergleichlich schönen Bildern,
So unerschöpflich mannigfalt,
Wie Worte nimmerdar es schildern,
Von sinnbestrickender Gewalt.
Hier können Seel' und Leib gesunden
An Allem, was da grünt und blüht,
Und hier hat Heilung schon gefunden
Manch schwerbeladenes Gemüth.
Das wollte der Geliebten zeigen
Edzard zum allerersten Mal,
Und an dem Tage sollte schweigen
Des eignen Herzens Angst und Qual.
So ritten sie selbander beide
Und hielten an und blieben stehn,
Und ihr war's eine Augenweide,
Was sie im Leben nie gesehn.
Der dunkelblaue Himmel oben,
Aufs blaue Meer der weite Blick
Und in die Luft empor gehoben,
Der hohe, glänzend helle Pic;
Die Palmen, Myrthen und Bananen,
Der blühende Orangenbaum,
Agaven, Cactus und Lianen, –
Für Ingborg war's wie Märchentraum.
Wenn sie die baumlos öde Heide
Mit ihrem grauen Wolkenstrich,
Die Dünen im blaßgrünen Kleide
Auf Sylt mit alledem verglich,
Was hier wildüppig wuchs und rankte,
Von Safte strotzend, gluthgeschürt,
An Farben reich und bunt, so dankte
Sie dem, der sie hierher geführt.
Von ihrer Freude Wiederscheine
Ein Strahl in Edzards Seele drang,
War's sicher doch der letzten eine,
Die ihr zu machen ihm gelang
Spät kehrten sie zurück vom Ritte, –
Er endlich einmal wieder froh,
Sie mit der ahnungslosen Bitte:
»Zeig' mir Ostindien ebenso!«

Früh ging es fort mit Windesflügeln
Von Teneriffa's Palmenstrand
Und seinen grünen Rebenhügeln,
Nach Süden hin den Kurs gewandt.
Doch in der Luft, der ewig blauen,
Weit draußen auf dem Ozean
War lange, lange noch zu schauen
Der himmelragende Vulkan.
Der Jungfrau Bug durchschnitt die Welle,
Die an ihm aufsprang und zerrann,
Und hier, an seiner rechten Stelle,
War Edzard ganz ein andrer Mann,
Als er auf Sylt war, wo sein Leben
Im Amt des Strandvogts ruhig floß,
Fast nur der Liebe hingegeben,
Womit er Weib und Kind umschloß.
An Schiffes Bord galt's aufzubringen
Entschiedenheit im Thun und Späh'n,
Und hier war er in allen Dingen
Zuerst, zuletzt der Kapitän,
Deß Auge über Allem wachte,
Der jeder Pflicht sich unterzog,
Das Wichtige mit Ernst bedachte
Und das Geringste selbst erwog.
Kein Wunder, daß er beim Befehlen,
Bei jedem Winke mit der Hand
In seinen wackern Seemannsseelen
Hingebung und Gehorsam fand.
Mit Stolz sah Ingeborg sein Walten
Als Führer auf dem großen Schiff,
Wie er mit voller Kraft Entfalten
In Alles festen Willens griff.
Er aber that, was er vermochte,
Um ihr den Aufenthalt an Bord
Bequem zu machen, und ihm pochte
Das Herz bei ihrem Dankeswort.
Es mühten selbst sich die Matrosen,
Der schönen Frau und ihrem Kind
An Deck, dem allzeit schattenlosen,
Zu helfen gegen Sonn' und Wind.
Sie spannten Segel aus zum Schutze,
Sie machten ihr den Sitz bereit,
Was möglich war und ihr zu Nutze,
That ihre frohe Dienstbarkeit.
Heiko, der Liebling Aller, lebte
Mit ihnen auf dem besten Fuß,
Daß Jeder seine Gunst erstrebte
Mit neckisch ehrerbiet'gem Gruß.
Längst konnt' er laufen, und ans Schwanken
Des Schiffs gewöhnt' er bald sich auch;
Kam er auf den bewegten Planken
Bei einer stärkern Brise Hauch
Ins Taumeln, fingen sie geschwinde
Das Kerlchen auf, bevor es fiel,
Und trieben mit dem drallen Kinde
In ihrer Weise Scherz und Spiel.
Sie hoben gern ihn auf die Arme
Und zeigten ihm in Luv und Lee,
Wenn nah dem Schiffe sich im Schwarme
Pottfische tummelten in See.
Er konnt' auch sprechen schon und wußte
Manch richtiges Kommandowort,
Wie sie der Bootsmann brauchen mußte
Beim Segelstellen hier und dort.
Lallt' er den Ruf, den wohlbekannten:
»Toppgasten, enter auf!« geschah's,
Daß sie wie Katzen in den Wanten
Aufkletterten, nur ihm zum Spaß.
Dann hörte rings man Lachen schallen
Laut bei der Segel leisem Bläh'n,
Denn Alles that man zu Gefallen
Dem flächsnen Knirps von Kapitän.

Den Wendekreis des Krebses hatte
Die Jungfrau jetzt gekreuzt und trat
In die Region, die wellenglatte,
Wo ständig wehte der Passat.
Der heißen Zone reiches Leben,
Wie's brütend reift die Tropengluth,
Erschien mit seinem Wall'n und Weben
In der nur sanft bewegten Fluth.
In Heerden hier Delphine zogen,
Seeschwalben huschten dort vorbei,
Und leichtbeschwingte Fische flogen,
Verfolgt von dem gefräß'gen Hai.
In allen Farben, allen Tönen
Des Regenbogens sonnten sich
Zu Tausenden des Meeres Schönen,
Medusen, zart und zimperlich.
Nachts aber, wie besät mit Flammen,
Blitzt' auf und leuchtete das Meer,
Und in des Schiffs Kielwasser schwammen
Grüngoldne Schlangen hinterher.
Wenn sich empor die Welle bäumte,
So blinkerte sie plötzlich grell
In blauem Licht, und wenn sie schäumte,
Gab's ein Gefunkel, silberhell.
Jedoch von Wundern, hochgefeiert,
Greift keins ans Herz mit solcher Macht,
Als wenn dem Blicke sich entschleiert
Noch nie geschaute Sternenpracht.
Zeigt einem Mann zum ersten Male
Das offne Meer, vom Sturm erregt,
Zeigt ihm vom grünen Alpenthale
Die Gipfelriesen, schneebelegt,
Bringt ihn in noch so weite Ferne, –
Sie wird ihm sicher bald vertraut,
Solang er nur die alten Sterne
Noch über sich als Freunde schaut.
Erst wenn er die nicht wiederfindet,
Wenn, was ihm als unwandelbar
Vor Augen stand, nun doch verschwindet,
Dann wird mit Grausen er gewahr,
Daß er die ungeheure Größe
Des Weltalls nimmermehr ermißt,
Und fühlt in seiner Ohnmacht Blöße,
Wie fern er von der Heimat ist.
So ging es Ingborg; Sterne sanken,
Zu denen sie mit heißem Flehn,
Mit stillen, sehnenden Gedanken
Daheim vertrauend aufgesehn,
Und andre, neue Bilder zogen,
Ihr fremd, herauf in weitem Kranz
Und leuchteten am Himmelsbogen
Mit einem wunderbaren Glanz.
Sie blickt' empor, von frommen Schauern
Bis in der Seele Grund erfüllt,
Als würd' ihr von Vergehn und Dauern
Ein dämmernd Ahnen jetzt enthüllt.
Und als am Horizonte flimmernd
Das Kreuz des Südens sich erhob,
War's ihr, als ob von oben schimmernd
Ein gläubig Hoffen sie umwob.
Auch die befahrne Mannschaft freute
Des Sternbilds tröstlich klares Licht,
Als wenn es Segen niederstreute, –
Wer's wiedersah, dem bangte nicht.

Bald kam der Tag, die große Stunde,
Berechnet nach Besteck und Uhr,
Wo über bergestiefem Grunde
Das Schiff durch den Äquator fuhr.
Da machte man nach altem Brauche
Das Deck zur Linientaufe klar,
Daß Jeder einmal untertauche,
Der auf dem Strich ein Neuling war.
Auch Ingborg mußte sich bequemen
Sammt Heiko zu dem Spuk und Graus,
Die Mannschaft ließ es sich nicht nehmen,
Schlug jede Lösung lachend aus.
Mit Dreizack und papierner Krone
Kam über Bord der Gott Neptun
Und kündete von hohem Throne
Sein allergnädigstes Geruhn.
Und schalkhaft thaten die Matrosen
Mit freien Sprüchlein, was erlaubt,
Doch netzten sie der Willenlosen
Und ihrem Sohn nur leicht das Haupt.
Die Unbefahrnen doch und Jungen,
Die wurden anders angesehn
Und hatten alle nothgedrungen
Ein kräftig Sturzbad zu bestehn.
Dann gab es Mummenschanz und Spiele,
Ein gut Getränk auch nach Begehr,
Und auf der Jungfrau flottem Kiele
Ging's heute laut und lustig her.

Das Schiff war zu des Erdenballes
Südlicher Hälfte nun gelangt,
Es kam die Zeit des Regenfalles
Und das, wovor dem Seemann bangt,
Windstille kam; die Segel hingen
Schlaff an den Raaen, wie nun auch
Die Maaten an zu pfeifen fingen,
Den Wind zu locken, nicht ein Hauch
Erhob sich, keine Katzenpfote
Nur leichthin übers Wasser sprang,
Daß manchmal eine böse Note
Der Steuermann mit Fluchen sang.
Doch dann entluden sich auch wieder
Gewitter, zum Entsetzen schwer,
Und Regen strömt' und stürzte nieder
Gleich einer Sindfluth in das Meer.
Sturmböen brachen aus den Lüften
Mit kurzen Stößen rasch herbei,
Es roch an Bord nach Schwefeldüften,
Und auf den Toppen hoch und frei
Erschienen, leuchtend eine Weile,
Elmsfeuer, blendend oder fahl,
Und flackerten in Kerzensteile
Gleich einem breiten Flammenstrahl.
Dann aber ward es wieder stille
Und blieb es manchen langen Tag,
Im Ruder war nicht Kraft, nicht Wille,
Als ob man hier vor Anker lag.
Endlich, gemäß den Wetterregeln,
Schwang sich das Schiff aus träger Ruh
Mit kaum geschwellten Obersegeln
Dem Wendekreis des Steinbocks zu.


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