Julius Wolff
Der wilde Jäger
Julius Wolff

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IV.

Die Reiherbaize.

Da reiten sie, – ein herrlich Bild!
Die Sonne kann kein Paar bescheinen,
Das schöner wäre, als Wulfhild
Und Junker Albrecht von Loseinen,
Ihr langes dunkles Jagdkleid fließt
Beim Ritt um ihre schlanken Glieder,
Bis hoch am Hals hinauf umschließt
Den Wuchs das faltenlose Mieder,
Und oben ist es rings umkränzt
Von weißer, wohlgestärkter Krause,
Die schöne Hirschzahnkette glänzt,
Ein altes Erbstück in dem Hause,
Gepufft an beiden Schultern fliegt
Die offne, pelzverbrämte Schaube,
In rothem Seidennetze liegt
Das Goldhaar unter sammtner Haube.
Und er im grünen Reitkollet,
Waidmesser breit links an der Hüften,
Auf blonden Locken das Barett,
Den Reiherbusch keck in den Lüften.
Voll Saft und Kraft, du junges Blut,
Fühlst dich so frei im Sattel schweben,
So flügelleicht ist dir zu Muth,
Möcht'st in die Wolken dich erheben
Und athmest froh aus tiefster Brust,
Sitzst wie gewachsen in den Bügeln,
Sehnst nichts und sorgest nichts und mußt
Mehr als dein Roß dich selber zügeln.
Doch, Jungfrau, du? dein Antlitz glüht
Wie Morgenroth im klaren Bronnen,
Dir klopft das Herz, dein Auge sprüht,
Aufjubeln möchtest du in Wonnen.
Du bist voll Seligkeit und Lust
Durch Albrechts ritterlich Geleite,
Denn all dein Glück, dir kaum bewußt,
Es reitet dicht an deiner Seite.
Es ist, wie wenn den Zwei'n die Welt
Läg' als ihr Königreich zu Füßen,
Und Sonn' und Mond am Himmelszelt
Aufgingen nur, um sie zu grüßen.
Und wie so stolz die Rosse gehn,
Umsprungen von den beiden Bracken,
Hoch tragen sie den Schweif, es wehn
Die Mähnen vom gebognen Nacken.
Verkappt noch wird der edle Falk
Von Valentin zu Pferd getragen, –
»Die Zwei da vor mir,« denkt der Schalk,
»Die könnten's mit einander wagen!«
Da lacht Wulfhildens rother Mund:
»Jetzt, Vetter Albrecht, wird sich zeigen,
Was du gelernt, dort aus dem Grund
Wird bald ein Federwild uns steigen,
Noch einen schlanken Trab, dann blitzt
Entgegen uns der stille Weiher,
Hochbeinig Volk im Röhricht sitzt,
Im seichten Wasser fischt der Reiher.«
Hei! wie sie im Galopp sich wiegt!
Doch er läßt seinen Schweißfuchs traben,
»Hochauf, Rothwang!« ruft sie und stiegt
Mit flottem Satze übern Graben.
»Nun Schritt! – Den Falken auf die Faust,
Albrecht! und achte auf die Hunde,
Hinfür, Gesell, hinfür! was haust
Im Busch? such', trauter Hund, die Runde!«
Noch flüstert sie: »Wirf nicht zu früh,
Laß zu Gesicht das Wild erst kommen.«
Die Fessel hat schon vom Geschüh
Albrecht dem Falken abgenommen.
»Hoho! Albrecht, die Hunde stehn,
Halt' fest ihn, doch die Haube löse,
Da kommt der Reiher, wirf! laß gehn!
Huida! mein Falk, stoß' ins Gekröse!«
Der saust wie ein geschnellter Pfeil
Dem Reiher nach, der langsam steiget,
Und Valentin ruft: »Waidmanns Heil!
Es ist ein Alter, Blaufuß schweiget.«
Der Reiher speit Gekröpftes aus,
Sich zu erleichtern in dem Fluge,
Der Falk steigt über ihn hinaus
Und plänkelt um ihn wie zum Truge.
Schon hat er zweimal ihn geneckt,
Gethan, als ob er auf ihn stieße,
Den langen, spitzen Schnabel streckt
Der Feind ihm hin, daß er sich spieße.
Nun schwenkt der Falk im Augenblick,
Weicht aus den scharfen Schnabelhieben
Und packt den Reiher im Genick,
Die Flügel klatschen, Federn stieben.
Frohlockend gellt des Falken Schrei
Und jämmerlich des Reihers Klagen,
Der Falke giebt ihn nicht mehr frei,
Läßt sich von ihm hernieder tragen.
Sie wirbeln langsam durch die Luft,
»Jetzt, Albrecht, Sporen in die Weichen!«
Ruft fröhlich Wulfhild, »hin zur Schluft,
Daß wir ihn lebend noch erreichen!«
Sie jagen über Stock und Stein,
Wild um die Wette geht die Hatze
Rings um den Teich zum Wald hinein,
Er ist der Erste auf dem Platze.
Dem Falken bindet er die Hand
Und untersucht des Reihers Wunden,
Sie schaut auf ihn nur unverwandt,
Als ob sie hier erst ihn gefunden.
Dann spricht sie: »Diesen Messingring
Mit deinem Namen und dem meinen,
Zum Zeichen, daß man ihn schon fing,
Leg' ihm um seiner Ständer einen.«
Er nimmt ihn lächelnd, hat ihn bald
Dem wunden Reiher aufgezwungen,
Der, nun befreit, schon über'm Wald
Sich mühsam flatternd hochgeschwungen.
Und Albrecht schaut ihm nach und spricht:
»Ja, vogelfrei bist du gewesen,
Jetzt trägst du Fesseln, armer Wicht,
Und kannst auf deinem Ringe lesen,
Wer, Flieger, dich in Banden schlug:
Ein Falk, ein Fräulein und ein Jäger,
Und von den Drei'n sind oft genug
Zwei selbst gefangne Kettenträger.«
Da bückt Wulfhilde sich zur Stell, –
Sie sah wohl ihren Handschuh liegen,
Und von dem Bücken ist so schnell
Das Blut ihr ins Gesicht gestiegen.
Der Junker hebt sie auf das Roß,
Um heimzukehren von dem Ritte,
Und schweigend neben dem Genoß
Lenkt sie's gedankenvoll im Schritte.
Doch Valentin brummt in den Bart:
»Hm! ganz verstummt die helle Lache?
Das ist doch sonst nicht ihre Art!
Blaufuß, was denkst du von der Sache?«

Sie reiten unter Bäumen fort,
Die leise ihre Wipfel regen,
Da ruft Wulfhild: »Sieh, Waldtraut dort!«
Und sprengt dem Mädchen rasch entgegen
Und hält und spricht voll Fröhlichkeit:
»Grüß', Waldtraut, dich! wie ist's ergangen?«
»Dank, gnädig Fräulein!« lacht die Maid,
»Gut geht es, seit die Knospen sprangen.«
»Sie ist ein goldig Sonntagskind,
Albrecht! und hat viel Gunst und Gabe,
Streicht durch den Wald frei wie der Wind,
Die beste Freundin, die ich habe.
In unser grünes Laubversteck,
Lieb Waldtraut, komme ich nun wieder,
Da rufen wir den Wasserneck
Und singen unsre kleinen Lieder
Und lauschen, was Waldvöglein spricht,
Und was sich all die Blumen denken,
Du weißt das Alles; willst du nicht
Dein kleines Sträußchen da mir schenken?«
»'s ist Hornkraut nur, blüht früh und spät,
Nehmt es nur, Fräulein! doch sie sagen,
Wer Hornkraut trägt, der wird verschmäht.«
»Nun also darfst es du nicht tragen!« –
Sie reiten; Albrecht lächelt: »Traun!
Du kannst es mit dem Schimmel wagen.«
Doch Wulfhild faltet ernst die Brau'n:
»Du sahst den Vater noch nicht jagen!«
Waldtraut blickt vom Gebüsch heraus
Und sieht fernhin die Beiden traben:
»Gab ich dem Fräulein einen Strauß,
Soll auch der Jäger einen haben!«
Denkt sie in ihrem Sinn und bückt
Zur nächsten Blume schnell sich nieder
Und schlendert weiter, pflückt und pflückt
Und summt und singt sich frohe Lieder.

Neunerlei Blumen winde zum Kranz,
Knüpfe den Anfang ans Ende,
Sinn und Bedeutung im blühenden Glanz
Wirket zur Sonnenwende.
Aber zum kleinen, zierlichen Strauß
Brauchst du nicht lange zu wählen,
Nimm, was du findest, und scheide nicht aus,
Laß nur den Liebsten sie zählen.

Rispen und Aehren, du zitterig Gras,
Ihr sollt sie all' überragen,
Ehrenpreis, vom Thaue noch naß,
Wirst dich mit Nelke vertragen.
Primel und Heide und Weidenröslein,
Rührmichnichtan und Gamander,
Erdbeer', du rothe, mitten hinein,
Seht doch! ihr paßt zu einander.

Spinnlein, bleib' sitzen, du bringest ja Glück!
Aber du, Raupe, entweiche!
Hinter des Labkrauts Sterne zurück,
Röthliche Blätter der Eiche!
Unten ums Wintergrün, dunkel und kraus,
Will ich das Bändchen nun legen,
Blumen vom Walde, wildwüchsiger Strauß,
Duftet dem Liebsten entgegen!

Wie zierlich formte ihre Hand
Den blüthenreichen Strauß im Gange!
Ihn zu befest'gen am Gewand,
Dient ihr ein Schlehendorn als Spange.
Den schmalen Waldpfad im Geheg
Schlägt sie nun ein beim Weitergehen
Und sieht von ungefähr am Weg
Ein blühend Kraut bescheiden stehen.
»O Wegwart!« spricht sie, »armes Kind!
Will immer noch kein Tag ihn bringen,
Auf den du hoffst in Sonn' und Wind?«
Und wieder fängt sie an zu singen.

Es wartet ein bleiches Jungfräulein
Den Tag und die dunkle Nacht allein
Auf ihren Herzliebsten am Wege,
Wegewart! Wegewart!

Sie spricht: Und wenn ich hier Wurzeln schlag
Und warten soll bis zum jüngsten Tag,
Ich warte auf ihn am Wege,
Wegewart! Wegewart!

Vergessen hat sie der wilde Knab',
Und wo sie gewartet, da fand sie ihr Grab,
Ein Blümlein sprießet am Wege,
Wegewart! Wegewart!

Der Sommer kommt und der Sommer geht,
Der Herbstwind über die Heide weht,
Das Blümlein wartet am Wege,
Wegewart! Wegewart!

Durch Schatten und durch Sonnenschein
– Hier kann sie sich ja nicht verlaufen –
Schweift sie nun wieder quer waldein,
Betrachtet sich den Ameishaufen,

Lugt, ob das Vogelnest schon leer,
Und untersucht die Haselnüsse,
Als ob sie Alles rings umher
Behüten und bewachen müsse.

Der Zaunpfahl trug ein Hütlein weiß,
Die Sonn' hat's ihm genommen,
Nach Lichtmeß traut kein Fuchs dem Eis,
Der Frühling ist gekommen.

Voll Blüthen steht der Dornenstrauch,
Laut summt es in der Linde,
Und Rosenduft und Aehrenrauch
Ziehn mit dem Abendwinde.

Wird schon im Feld das Korn gemäht,
Darfst du nach Früchten greifen,
Doch was nur selbst, mein Herz, gesät,
Das laß du ruhig reifen.

Es ist und bleibt doch immerdar
Ein Kommen und ein Wandern
Von einem Jahr zum andern Jahr,
Von einem Tag zum andern.


Glockenblumen, was läutet ihr?
Wer ist im Walde gestorben?
Oder wißt ihr, daß heimlich hier
Liebe um Liebe geworben?

Wißt ihr's, wohin auf dem einsamen Gang
Schritt und Gedanken mir streben?
Glocken, ich höre nicht euren Klang,
Seh' euch nur schwingen und schweben.

Lauschenden Blättern dann läutet es aus,
Klinget wie Harfen und Psalmen,
Meldet's im Grünen von Haus zu Haus
Bäumen und Büschen und Halmen.

Liebe macht selig wie nichts in der Welt,
Lachen könnt' ich und weinen,
Glücklichste ich unter'm Himmelszelt,
Blumen, – ich liebe Einen!

Wie Waldvöglein auf seinem Strich
Schwärmt sie dahin mit ihren Weisen,
Da hört sie's rascheln neben sich,
Und schau! da sitzt ein Fuchs im Eisen.
»Ei, Rother!« wie sie ihn erblickt,
Ruft sie, »du aller Ränke Meister,
Du Schlaufuchs, bist so arg verstrickt?«
Und tritt herzu und wird schon dreister.
Der Fuchs steckt mit dem einen Lauf
Fest eingeklemmt in seiner Falle,
Fletscht das Gebiß zu ihr hinauf
Und ist so recht voll Gift und Galle.
Sie spricht: »Bist auch des Waldes Kind,
Will aus Verlegenheit dich reißen,
Weil Wir so gute Nachbarn sind,
Komm, Füchslein, – aber mußt nicht beißen!«
Der Fuchs begreift nun, was sie will,
Als könnt' er's ihr vom Auge lesen,
Und duckt sich nieder, hält ganz still, –
Er wär' ja sonst kein Fuchs gewesen.
Nun drückt sie auf des Eisens Schloß,
Da öffnen Feder sich und Bügel,
Und husch! ist Reinecke de Voß
Hinaus und trabt schon um den Hügel.
Sie lacht laut auf und ist so froh,
Als hörte Gottes Lohn! sie sagen,
Und stellt das Eisen wieder so,
Als wär's noch gar nicht zugeschlagen,
Und spricht: »Der Fuchs ist voller List,
Waidmann weiß ihm was abzuluchsen,
Das Allerschlau'ste aber ist,
Waidmann und Fuchs zu überfuchsen.«


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