Julius Wolff
Der wilde Jäger
Julius Wolff

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XIII.

Zu Grabe

Auf Damwildhäute hingestrecket,
Bewehrt, bespornt, im Elenswamms,
Von grünen Zweigen halb bedecket,
Lag nun der Letzte seines Stamms.
Er hielt umfaßt, als könnt' sie sinken,
Die Armbrust mit des Lebens Schein,
Waidmesser hing am Gurt zur Linken
Und rechts das Horn von Elfenbein.
An goldner Kette umgeschlungen,
Ein Kleinod blitzt' in reichem Glanz,
Und um das Haupt war ihm geschwungen
Ein voller, frischer Eichenkranz.
So wie ein Fürst und Jägerkönig
Geschmückt der todte Waidmann war,
Der Waldluft athmend jubeltönig
Den Forst durchzog mit seiner Schaar.
Die dunklen Augen fest geschlossen,
Daraus ein brennend Feuer sprang,
Wenn diese Hand den Speer geschossen
Und dieses Bogens Senne klang.
Schwer stritt sich auf der Stirne Krausen
Der Todeshoheit stolze Macht
Mit einem ahnungsvollen Grausen
In unversöhnten Schweigens Nacht.
Nicht feierliche Ruhe thronte
Mit ihrem mild verklärten Licht,
Nicht heil'ger Himmelsfriede wohnte
Auf diesem Marmorangesicht.
Auf den entseelten Staubgefügen
Stand ungebeugten Willens Kraft,
Und noch aus diesen kalten Zügen
Sprach glühend heiße Leidenschaft.
Und um den Mund, der Gott versuchte,
Blieb eines finstern Hohnes Spur,
Als ob er, schon verstummt, noch fluchte
Und selbst dem Tode Rache schwur.

So lag er in dem Thurmgemache,
Und Wille, sein getreuer Hund,
Saß bei ihm und hielt Todtenwache
Und wich und wankte keine Stund.
Wulfhilde ließ er zu, die schauernd
Dem Herrn die Augen zugedrückt,
Und auch die Waidgeselln, die trauernd
Mit Eichenbrüchen ihn geschmückt.
Auch wehrt' er nicht, als sie dann kamen
Und schwurgetreu zum letzten Ritt
Den Grafen in die Arme nahmen,
Nur leise winselnd ging er mit.
Der Abt war in der Kemenate
Viel bei Wulfhild, mit lindem Wort
Und ernstem, väterlichen Rathe
Ihr beizustehn als Schutz und Hort.
Er wollte selber mit ihr reiten,
Wenn in sein Waldgrab erst gelegt
Der Graf, und sicher sie geleiten
Zum Jungfrau'nstifte, friedumhegt.
Doch er verschwieg, daß fluchbeladen
Ihr Vater schied und wahnberauscht,
Allein auf ihren Horcherpfaden
Hatt' es des Falkners Weib erlauscht,
Mit welchem Segen und Gebete
Der Ritter in das Jenseits fuhr,
Und ruchbar ward es durch Agnete
Wie auf dem Schnee des Wildes Spur.
Der Eine sagt's dem Andern leise,
Der glaubt' es, trug die Mär nach Haus,
Und windschnell ging es um im Kreise
Weit über das Gebirg hinaus.

Es kam die Nacht zum letzten Ritte,
Und eh' die Vöglein ausgeträumt,
Hielt Valentin in Burghofs Mitte
Den Hengst gesattelt und gezäumt.
O Wunsch, wie oft die Erde scharrend
Standst du, gehemmt den heißen Drang,
Auf deines Herren Stimme harrend
Und seines Schrittes Sporenklang!
Und trugst ihn dann auf deinem Rücken
Mit Ungestüm wie Sturmeshauch,
Im Thale donnerten die Brücken,
Im Walde rauschten Baum und Strauch.
Heut' sitzt er auf, ein stiller Reiter,
Spornt nicht dich zu Galopp und Trab,
O trag' ihn fromm, trägst ihn nicht weiter,
Als bis in sein geschaufelt Grab! –
Von Fackeln ist der Hof erhellet,
Der Thurm erglüht im Wiederschein,
Es schau'n, im Kreise aufgestellet,
Die Burggenossen trüb' darein.
Nun bringen ihn herausgetragen
Die beiden Aeltesten vom Troß,
Den, der sich aufschwang hier zum Jagen,
Und heben ihn empor aufs Roß.
Und Valentin hält ihm den Bügel
Wie sonst, da er so leicht ihn fand,
Und steht am Bug und legt die Zügel
Ihm in die kalte Todtenhand.
Sie binden ihn drauf fest; wohl zittert
Der Rappe, doch er regt sich nicht.
Scheint nicht, von Fackelglanz umwittert,
Belebt des Todten Angesicht?
So saß er hier, ach! tausend Male
Im Sattel, gab dem Wunsch den Sporn,
Rief Waidmanns Heil! und ritt zu Thale,
Und Keiner blies wie er das Horn.
Still ist's, nicht Fuß, nicht Lippen regen
Die Trauernden, sie schau'n sich um
Zum Abte nach dem letzten Segen,
Wulfhilde schluchzt, der Abt bleibt stumm.
Da nimmt Gerhard vom Haupt die Kappe,
Spricht weiter nichts, als: »Waidmanns Heil!«
Leis' mit dem Kopfe nickt der Rappe,
Dumpf tönt's im Kreise: »Waidmanns Heil!«

Dann ziehn sie, wo der Wald sich weitet,
Durchs Burgthor in die Nacht hinaus,
Und so zum letzten Male reitet
Der Graf aus seinem festen Haus,
Die Augenlider tief gesenket
Auf seines schwarzen Hengstes Zaum,
Nachtwandler, der sein Leibroß lenket
In Todesschlaf und Grabestraum.
Bergab geleiten ihn die Jäger
Mit ihrer Brände Gluth und Rauch,
Rechts gehn und links die Fackelträger,
Und röthlich schimmern Baum und Strauch.
Dann heißt sie Gerhard Alle scheiden,
Doch Bruno stützt des Todten Ritt,
Gebeugten Hauptes hinter Beiden
Folgt Wille nur des Hengstes Schritt.
Noch ist es Nacht, vom Himmel blinket
Friedlich herab der Sterne Lauf,
Und Nebel fluthet, steigt und sinket
Im tiefen Grunde ab und auf.
Darinnen hebt sich an ein Wogen,
Hier locker fließend, dort geballt,
Dem Reiter kommt es nachgezogen,
Es löst Gestalt sich von Gestalt,
Zu einer Kette leicht geschlossen,
Schwebt es gegliedert und gereiht,
Speerschwinger, Krieger, Jagdgenossen,
Endlos ein spukhaft Grabgeleit.
Der große Schimmelreiter fehlet
Mit seinem göttlichen Gemahl,
Doch all die Andern ungezählet,
Die auf der Hirschjagd einst im Thal
Der Graf gesehn, sie folgen Alle,
Und heitrer ist heut ihr Gesicht,
Ein stumm Frohlocken lebt im Schwalle,
Die Jäger aber sehn es nicht.
Die Geister ziehn mit ins Gehege,
Als wollten selbst das Grab sie schau'n,
Sie wallen über Weg' und Stege,
Verschwinden dann im Morgengrau'n.
Hoch oben an des Berges Halde,
Wo alte Eichen schattend stehn,
Im Walde und doch über'm Walde,
Von wo des Wandrers Blicke gehn
Zu des Gebirges höchsten Gipfeln,
Wie Berg an Berg sich scheinbar lehnt,
Ein unabsehbar Meer von Wipfeln
Sich weithin in die Ferne dehnt,
Das regungslos in allen Zweigen
Mit tausend Ohren horcht und lauscht
Und bald mit Wiegen, Nicken, Neigen
In dunkelgrünen Wellen rauscht,
Wo aus der Ebne Flüsse blinken,
Kornfelder wogen tief im Land,
Von weit herüber Thürme winken,
Hoch über einer Felsenwand, –
Da ist das Grab, und eine Eiche
Ragt vor den andern dort hervor,
Stolz über aller Kronen Reiche
Reckt ihre Krone sich empor.
Sie ist sein Denkmal, das sich länger
Wohl, als sein Stammbaum, hier erhebt,
Und ist der kühne Waidwerkgänger
Auch stumm und todt, sein Denkmal lebt.
Sie wird mit Wurzeln ihn umschlingen,
Und wenn sie mit dem Sturme spricht,
Wird's leise zitternd zu ihm dringen
Wie eine Botschaft aus dem Licht.
Sie wird um ihn zu grünen Hütten
Die Zweige wölben tiefgesenkt,
Mit ihrem Laub ihn überschütten,
Wie blumenstreuend man gedenkt
Des todten Freunds, und wieder blühen
Und grünen, kommt der Lenz herein,
Im Morgenrothe wird sie glühen
Und leuchten auch im Abendschein.
Die Vögel werden aus ihr singen,
Durchschimmern wird des Himmels Blau,
Auf ihren Blättern Regen klingen
Und funkeln frischer Morgenthau.
Jetzt hier mit ihrem mächt'gen Stamme
Steht sie im Walde, gleichenlos
Und noch umdüstert auf dem Kamme,
Ein Grabeswächter riesengroß.
Und Stamm bei Stamm, viel hundert Zeugen
Ringsum wie Schatten dunkelgrau,
Sie flüstern unter sich und beugen
Die Häupter wie zur Todtenschau. –
Der finstre Reiter kommt geritten,
Des Rosses Huf klingt hohl und taub
Am Wurzelboden, von den Schritten
Der Männer rauscht das welke Laub.
Der Felsen schroffe Stirne hebet
Schon aus dem Zwielicht sich hervor,
Doch in der offnen Tiefe webet
Die Nacht noch ihren dunklen Flor.
Von unten tönt ein dumpfes Brausen,
Der Wind spielt mit des Todten Haar,
Und Gerhard sieht's, ein fröstelnd Grausen
Erfaßt den alten Waidmann gar.
Ihm däucht, von Stamm, Gezweig und Knorren
Glotzt in des Waldes Dämmerlicht
Höhnisch verzerrt und kraus verworren
Rings Angesicht bei Angesicht.
Da schreit ein Hirsch fern in der Dickung,
In seines langen Lebens Lauf
War's stets dem Jäger Herzerquickung,
Und wie aus Träumen wacht er auf.
Bruno bricht Zweige ab, sie füllen
Damit den Boden aus im Grab,
Und dann in seinen Mantel hüllen
Den Herrn sie, senken ihn hinab
Mit Wehr und Waffen, decken wieder
Ihn ganz mit grünen Zweigen zu
Und werfen schweigend Erde nieder
Drei Hände voll in Grabes Ruh.
Nun schaufeln Beide und belegen
Das Grab mit Moos, das sie gepflückt,
Und murmeln einen kurzen Segen,
Still übers Grabscheit hingebückt.
Dann führt der Falkenier zum Munde
Sein Hifthorn, und vom Felsen hie
Schwebt, wiederhallend in der Runde,
Ein langgezognes Halali.
Doch wie sie zwischen Waldessäulen
Nun heimwärts gehn, den Hengst am Zaum,
Ertönt ein markerschütternd Heulen
Vom Grabe unter'm Eichenbaum.
Der Hund ist's, der zurückgeblieben
Auf seines Herrn und Freundes Gruft,
Um des begrabnen Waidmanns Lieben
Mit seinen Klagen füllt die Luft.
Nicht Lockruf und nicht Schmeichelworte
Bewegen Wille, sein Geschick
Zu trennen noch von seinem Horte,
Er kauert mit gebrochnem Blick,
Und wie er seine Kraft verwendet
In seines Grafen Dienst und Brod,
So ist er auf dem Grab verendet,
Spurfest und treu bis in den Tod.
Der Tag steigt auf, mit seinem Glanze
Erfüllt er diese schöne Welt,
Und über grünem Bergeskranze
Spannt sich das blaue Himmelszelt.
Einsam vom Felsen, hoch erhoben,
Schaut in das tiefe Thal hinab
In Sonnenschein, in Sturmestoben
Das waldumrauschte Jägergrab.


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