Ernst von Wolzogen
Die Erbschleicherinnen. Band 2
Ernst von Wolzogen

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Neunzehntes Kapitel

In welchem berichtet wird, wie den bösen Erbschleicherinnen das Brot der Verbannung anschlägt und für Kathi auch einmal ein guter Bissen abfällt

Grüne Ostern auf den Weizenfeldern von Pyritz! Und im Gärtchen des Oberlehrers Doktor Hartmann, draußen vor der Stadt, hauchte der frisch aufgehackte Boden den kräftigen Frühlingsodem aus, jenen starken Lebensduft, der nach langem nordischen Winter von den stuben- und ofenmüden Nerven alljährlich wieder mit derselben staunenden Lust genossen wird, wie etwa ein verseuchter Magen, der zuviel diniert hat, vor freudigem Erstaunen hüpft, daß nach einer tüchtigen Fußwanderung ein derbes Stück Bauernbrot mit Butter so sehr viel besser schmecken kann, als alle Trüffelpasteten der Welt. Die Stachelbeersträucher leuchteten ebenso lustig grün, wie die frisch gestrichenen Stakete, und der junge Rasen war gelb getüpfelt mit Butterblumen, Löwenzahn, Ranunkeln und Himmelsschlüsseln. In des ersten Lenzes Teppichweberei herrscht nun einmal so ein bäurischer Geschmack.

Der Oberlehrer und seine Gattin waren jetzt viel in ihrem Gärtchen beschäftigt, er mit Hacken und Umgraben, sie mit Säen, Jäten und Harken. Sie griff aber auch oft genug selbst zum Spaten und handhabte ihn mit Kraft und Gewandtheit, denn das geliebte Bärbelchen war nichts weniger wie eine Nippsache, als welche das niedliche Diminutiv anzudeuten schien, sondern vielmehr eine äußerst robuste Dame, starkknochig, muskulös und wohlgepolstert, dabei reichlich einen Kopf größer als ihr Gatte, schwarzhaarig und dunkeläugig, mit Adlernase und sogar mit einem ziemlich fest hingestrichenen Schnurrbärtchen ausgestattet. Wer die Frau ansah und wußte, daß sie dreifach Mutter war, der wußte auch, daß das drei Mordsbuben sein mußten. Dabei war sie aber doch sanfteren Gefühlen keineswegs unzugänglich, im Gegenteil, sie schwärmte für Musik und Poesie, besonders für die ungedruckte ihres Mannes, und konnte zu Zeiten noch für diesen ihren Lieblingsdichter eine fast mädchenhafte Verliebtheit an den Tag legen.

Seit nun gar die beiden Münchnerinnen im Hause waren, hatte ihr manchmal schlummerndes Talent zur Zärtlichkeit sich schier bedenklich entwickelt. Sie verwöhnte die beiden Mädels ganz unverantwortlich und trieb es in dieser Beziehung sogar noch ärger, als der Oberlehrer selbst. Ganz Pyritz war überhaupt außer Rand und Band, besonders seit Lizzi in einer Dilettantenaufführung von Wildenbruchs »Quitzows«, welche der Oberlehrer veranstaltet hatte, die »Dörte« gespielt und damit alle Welt bezaubert hatte, sogar jene jüngeren und jüngsten Mädchen nicht ausgenommen, welche seit Lizzis Anwesenheit eine zweifellose Erkaltung in dem Gebaren ihrer Liebhaber bemerken mußten. In den obersten Klassen des Gymnasiums grassierte die »Lizzitis« und als Folgekrankheit davon die Dichteritis in geradezu schreckenerregender Weise. Und der Name Elisabeth Mödlinger fand sich sogar schon mehrfach in den Protokollen der Lehrerkonferenzen verzeichnet als Ursache eines Duells zwischen zwei Primanern, wie als Veranlassung zu einem gefühlvollen Ständchen, welches Zusammenrottung auf der Straße, eine allgemeine Holzerei zwischen der Sekunda und der Prima und sonstige nächtliche Ruhestörung nach sich gezogen hatte. Der Direktor, ein Mann ohne jeden Humor, der nur Sinn für zweite Aoriste und die Verba des Heischens hatte, weshalb er auch allgemein »der Heischer« hieß, machte dem armen Doktor Hartmann seit einiger Zeit das Leben recht sauer, indem er ihn für die Verwilderung der Sitten, wie für die irregeleitete Phantasie der klassisch zu bildenden Pyritzer Jugend verantwortlich machte und schließlich gar unverblümt die Entfernung des reizenden Mediums von ihm »heischte«, welches die jungen Geister dermaßen in Aufruhr brachte. Die ganze Komödienspielerei hatte er schon als einen groben Unfug betrachtet, besonders weil auch mehrere Gymnasiasten dabei mitwirkten, welche die ganze Zeit über sich durch Unaufmerksamkeit in der Klasse auszeichneten. Eine Tragödie des Sophokles in griechischer Sprache, die Frauenrollen von wohlgebildeten Jünglingen dargestellt, das hätte er sich gefallen lassen, aber wie ein Gymnasiallehrer sich dazu hergeben konnte, das Werk eines lebenden Autors in Scene zu setzen, wenn es gleich ein patriotisches war, das begriff er schlechterdings nicht. Gern hätte er diesen unruhigen Doktor Hartmann fort empfohlen, aber der Mann war schon zu lange am Ort und bei der Bürgerschaft sehr beliebt, da durfte er so etwas nicht wagen; denn das Gymnasium war ein städtisches und der Bürgermeister konnte ihn aus Rache selber fortempfehlen. Die übrigen Herren Kollegen beneideten den Doktor Hartmann um seine liebenswürdigen Pensionärinnen und hätten sogar die kleinen Chikanen des Direktors gern mit in den Kauf genommen, wenn sie ihm die Mädels hätten abspänstig machen können. Uebrigens hatten Hartmanns noch in keinem Winter soviel Kollegenbesuch bekommen, als seit die beiden Münchnerinnen im Hause waren, und sich auch sonst veranlaßt gesehen, weit geselliger zu leben, als je zuvor. So kam es, daß die recht bescheidenen Unterhaltungsgelder, welche die Geheimrätin und die Majorin für die Schwestern ausgesetzt hatten, nicht nur keinen Vorteil gewährten für den Haushalt des Oberlehrers, sondern daß sogar dessen kleiner Etat überschritten werden mußte. Aber das bekümmerte den alten Herrn wenig. Nie war er so jugendlich und guter Laune gewesen, als in diesen Monaten, in denen er aus einem Gymnasiallehrer fast völlig zum Dramaturgen, Regisseur und Mimiker geworden war. Er erteilte nämlich mit einem wahren Feuereifer Lizzi dramatischen Unterricht – einen Unterricht, der für den ersten Versuch in diesem Fache gar nicht so übel ausfiel. Er fühlte sich ungemein glücklich als Lehrer eines so reichen Talentes und kam allmählich sogar zu der Ueberzeugung, daß er seinen wahren Beruf verfehlt habe. Er hätte sicherlich als Schauspieler, und zwar im Liebhaberfache, Hervorragendes geleistet. Und wenn nicht die Rücksicht auf sein Bärbelchen und auf seine drei Buben ihn zurückgehalten hätte, so wäre er vielleicht gar im stande gewesen, den Schulmeister jetzt noch an den Nagel zu hängen, sich den würdigen grauen Bart abzurasieren, das Haupthaar schwarz zu färben und irgendwo draußen im Reiche einen Thespiskarren schieben zu helfen.

Die gute Kathi kam übrigens, trotz der allgemeinen Schwärmerei für Lizzi, auch nicht zu kurz. Ihren großen Erfolg als Schauspielerin und die meist recht kindischen Huldigungen der Gymnasiasten, die Fensterpromenaden, Gedichte, die Serenaden und Prügeleien gönnte sie ihr ohne Neid. Sie fand soviel Liebe im Hause des Oberlehrers, als sie brauchte, um glücklich zu sein. Frau Bärbelchen war ihr innigst zugethan und die beiden jüngeren Buben Willi und Theodor hingen mit rührender Zärtlichkeit an ihr. Und unter den älteren Freunden des Hauses hatte sie sogar einen stillen, aber unzweifelhaften Anbeter gefunden. Das war der dicke Mathematikprofessor Doktor Schumacher, ein eingefleischter Junggeselle mit einer bedenklichen Vorliebe für alkoholische Getränke. Der war auf einmal merkwürdig solide geworden und in der Klasse zerstreuter als irgend einer seiner Schüler. Die boshaften Primaner behaupteten, daß er jedesmal tief aufseufze und mit verschwimmenden Aeuglein träumerisch zum Fenster hinausschaue, so oft in der Trigonometrie von Sinus und Kosinus die Rede sei. Mochte dies auch übertrieben sein, so war es doch Thatsache, daß er in den letzten Monaten ganz ungemein häufig bei dem Kollegen Hartmann, mit dem er sonst fortwährend auf dem Kriegsfuße gestanden, auf Abendbesuch kam, den weitesten Lehnstuhl einnahm und mit furchtbarer Beharrlichkeit sitzen blieb, bis die Hartmanns sich dermaßen angeödet fühlten, daß sie die Flucht ergriffen oder ihn hinauskomplimentierten, weil sie zu Bette wollten. Kathi war die einzige, die gutmütig genug war, hin und wieder noch bei ihm auszuharren und Teilnahme an seiner Unterhaltung zu heucheln. Niemals hatte der Biedermann bei solchen gelegentlichen tête-à-têtes auch nur ein Wörtchen geäußert, das Liebe ahnen ließ oder im entferntesten nach Courmacherei geschmeckt hätte. Ob er wohl ahnte, daß es mit Kathis Freundschaft und Geduld sofort aus sein würde, sobald er ein deutliches Wörtlein wagte? Solange er aber »fein stad« blieb, konnte sie ihm ja das Vergnügen gönnen, durch ihre bloße Nähe sich beglückt zu fühlen. Es konnte natürlich nicht ausbleiben, daß sie in dem kleinen Nest mit dem Mathematikus ins Gerede kam, doch traute ihr im Ernste wohl kaum jemand einen so sonderbaren Geschmack zu, und so hatte der dicke Herr Spott und Neckerei so ziemlich allein auf sich zu nehmen. Im übrigen machte Kathi sich in Haus und Garten nützlich, beschäftigte sich viel mit Handarbeiten und übte fleißig Klavier. In den Gesellschaften der Honoratioren war sie wegen ihres hübschen Spieles eine ebenso gesuchte Persönlichkeit, wie die jüngere Schwester mit ihrem Gesang und ihren Deklamationen. Sehr auffallend war es, daß aus ihr ganz plötzlich eine fleißige Kirchgängerin wurde. Die Pyritzer Geistlichkeit war es wohl kaum, die eine solche Anziehungskraft auf sie ausübte. Der Lizzi, die sie anfänglich ein wenig damit aufzog, erklärte sie mit frommem Eifer, daß für heimatlose Waisen doch nichts näher liege, als sich einen sicheren Halt und Hort gegen alle bitteren Erfahrungen des Lebens in den Heilswahrheiten der Religion zu suchen. Lizzi dachte sich ihr Teil, schwieg und ließ sie gewähren,

Sie zog es vor, an schönen Sonntagen mit dem Oberlehrer oder mit seinem ältesten Buben Georg in Feld und Wald herumzustreifen. Daheim war sie sehr fleißig. Sie las alles, was sie an dramatischer Litteratur auftreiben konnte, und lernte eine ganze Menge Rollen, die ihr oder dem Lehrer für sie passend erschienen. Sie behielt außerordentlich leicht auswendig und hatte sich in den drei Monaten bereits ein recht ansehnliches Repertoire erworben. Aber das blieb freilich ein totes Wissen, solange es ihr nicht möglich war, auf einer wirklichen Bühne im Zusammenspiel ihre Darstellungskraft zu erproben. Trotzdem ganz Pyritz sie verwöhnte wie eine Prinzessin, sehnte sie sich doch gar bald wieder in die Welt hinaus. Ein mächtiger Drang nach Bethätigung ihrer Kraft war über sie gekommen und ihrem Ehrgeize genügte es nicht mehr, Nr. 1 in Pyritz zu sein. Die Huldigungen der Gymnasiasten hörten sehr bald auf, ihr Spaß zu machen. Sie schienen ihr im Gegenteil fast kränkend für eine junge Dame, die bereits so hervorragenden Persönlichkeiten, wie einem Dr. med. Krajesovich von Nemes-Pann – er hatte nämlich inzwischen sein Examen glücklich bestanden – und einem Pastor Werkmeister den Kopf verdreht hatte. In einem hübschen, mit Plüsch überzogenen und mit Messingbeschlägen verzierten Kasten bewahrte sie alle ihre Liebesbriefe auf. Da waren die Münchener Kindererinnerungen mit dem Kadetten Benno Tatzelberger als Schlußstein obenauf, mit einem weißen Seidenbande umwunden, dann kam Gregor, von dem freilich außer seinem langen Absageschreiben nur noch zwei kurze, aber sehr hübsche Briefchen aus jüngster Zeit vorhanden waren. Der letzte davon aus Nagy-Becskerek datiert, wo sein Vater Vicegespan war und er sich zunächst niederzulassen gedachte. Das dritte Päckchen, rot umschnürt, enthielt die ernsthaft feurigen Ergüsse des Pastors Werkmeister. Sie hatte ihn zwar schon mehrmals in kurzen, ängstlich stilisierten Briefchen gebeten, nicht mehr in diesem Tone an sie zu schreiben. Ihr Herz gehöre ganz und gar der Kunst, und sie fühle sich auch einer solchen Liebe wie der seinigen gar nicht würdig. Sie sei ein eitles Kind der Welt, in dessen innerem Leben die himmlischen Dinge bisher eine gar geringe Rolle gespielt hätten, und passe durchaus nicht in ein stilles Pfarrhaus. Und dann hatte sie die gute Gelegenheit ergriffen, um mit dem kühnen Uebergang: »Ja, wenn ich so wäre, wie meine Schwester!« auf Kathis Frömmigkeit und Häuslichkeit ein Loblied zu singen. – Aber das hatte alles nichts geholfen. Der verliebte Pfarrer verlegte sich nun darauf, ihr in langen Abhandlungen, die schon mehr Broschüren zu nennen waren, auseinanderzusetzen, daß Liebe notwendig Liebe erzeugen müsse, und daß ein Herz, das ganz von Liebe erfüllt sei, notwendig Gott wohlgefällig sein müsse. Dann erging er sich des langen und breiten über den Wert der Dogmen, den er selbst nicht hoch anschlagen könne, wenn er ehrlich sein wollte, und bewies ihr, daß das A und O des Christentums doch immer die Liebe sei, und daß notwendig die egoistische Liebe des einzelnen Menschenpaares sich in einer wahren Ehe auswachsen müsse zu einer Gott und Menschheit und auch den Feind umfassenden Liebe. Sie sollte sich doch nur ja nicht etwa dem Wahne hingeben, als ob ein christliches Familienleben die Fröhlichkeit verbiete. Gerade das Gegenteil sei der Fall, denn ein fröhlicher Mensch habe es viel leichter gut zu sein, denn ein sauertöpfischer Eiferer. Und so ging es Seiten über Seiten fort – und für Kathi fielen nur am Schluß ein paar freundliche Zeilen und ein Gruß ab. – Lizzi fühlte sich der Aufgabe, auf all dies vernünftig und erschöpfend zu antworten, nicht gewachsen. Drum schrieb sie lieber gar nicht. Da half aber auch nichts; denn nun kam nach einigen Wochen ein fieberheißes Schreiben voll Sehnsucht und Verzweiflung. Wenn ihr das stille Leben in einem deutschen Pfarrhause nicht zusage, so wolle er seine guten Verbindungen benutzen, um eine Stellung im Auslande zu erlangen, ja, schlimmstenfalls, wenn ihr der geistliche Stand gar so verhaßt sei, so könne er sich sogar entschließen, den Priesterrock auszuziehen und etwas andres zu werden. Er habe ja ein kleines Vermögen, damit könne er ja vielleicht eine Privatschule errichten oder auch sich der Journalistik in die Arme werfen. Er sei ja schon bei hervorragenden konservativen Tagesblättern und Zeitschriften als Mitarbeiter thätig. Wenn ihm das Glück günstig sei, werde es ihm gewiß gelingen, eine einträgliche Redakteurstelle zu erhalten. Zum Schluß fragte er dann an, ob er nicht ihre Einladung, sie zu besuchen, demnächst einmal ernst nehmen dürfe. Und darauf hatte Lizzi, wieder die verfänglichen Zukunftsfragen übergehend, erwidert, daß ihre Schwester und sie – sie stellte Kathi immer voran in ihren Briefen an den Pastor – sich sehr freuen würden, ihn nach Ostern in Pyritz begrüßen zu dürfen. Sie hoffe bis dahin auch über ihre Zukunft einigermaßen im klaren zu sein, denn sie gedenke sich demnächst von Fachleuten prüfen zu lassen und womöglich irgendwo aufzutreten. Die böse Lizzi hatte sich nämlich einen ganz hinterlistigen Plan ausgeheckt. Sie wollte, sobald der Pastor seine Ankunft anzeigte, nach Berlin entwischen, unter dem Vorgeben, daß ihr gerade ein Agent ein Engagement nachgewiesen habe. Vielleicht machte Kathi doch Eindruck auf ihn, wenn er ein paar Tage mit ihr allein zubrachte. Vielleicht merkte er es bei der Gelegenheit endlich, wie sehr er von ihr geliebt wurde, und lernte sie dadurch mit andern Augen ansehen. Lizzi fürchtete sich gar sehr vor der feurigen Beredsamkeit des Mannes. Sie war eitel und hatte heißes Blut, und es war sehr leicht möglich, daß sie der Versuchung erlag und den Widerstand aufgab, wenn er die Gelegenheit fand, wieder so zu ihr zu sprechen, wie damals im Tiergarten. Das durfte nicht sein – sie wollte um jeden Preis ihrem Vorsatz treu bleiben und Kathis Liebesopfer nicht annehmen. – – Das letzte Päckchen im grünen Bande enthielt das Vers- und Prosagestammel der grünen Jugend, die sie in ihren Zauberkreis gezogen hatte. Darin war Rudi von Goldacker mit zahlreichen Nummern glänzend vertreten, sowie etliche interessante Autographen der Pyritzer Intelligenz letzter Generation. Aber dies Päckchen nahm sie leicht, wie Fastnachtsscherze. – – –

Der Oberlehrer machte mit seinen drei Buben über die Feiertage eine Fußpartie. Lizzi war schon zu Beginn der stillen Woche nach Berlin gereist, um sich prüfen zu lassen. Frau Bärbelchen hütete also mit Kathi das Haus. Da kam am Dienstag nach Ostern eine Depesche an den Oberlehrer, in welcher Pastor Werkmeister seine Ankunft mit dem Nachmittagszuge des heutigen Tages anzeigte. Kathi wollte sofort abtelegraphieren – sie wußte ja doch, daß er nur Lizzis wegen kam – aber Frau Bärbelchen machte es ihr klar, daß ihn die Antwort nicht mehr erreichen könne, da er um halb elf Uhr schon abfahren müsse. Außerdem hatte Lizzi geschrieben, daß sie wahrscheinlich am Mittwoch zurückkehren werde. Also sollte sich der Herr Pastor nur ruhig auf ein oder zwei Tage an ihrer Gesellschaft genügen lassen. Sie seien ja doch schließlich »auch nicht von Pappe«, wie sie sich derb ausdrückte und morgen kämen ja überdies ihre vier Mannsbilder bestimmt heim. Wenn das gute Käthchen gewußt hätte, daß Lizzi mit der Frau Oberlehrer sich heimlich verschworen und listig die Schlinge zurecht gelegt hatte, in der der Pfarrer sich fangen sollte! Lizzi hatte ihm nämlich kurz vor ihrer Abreise auf seine erneute Anfrage, wann er kommen dürfe, geschrieben, daß sie zu einem Probegastspiel in die Provinz gehen, aber zu den Feiertagen bestimmt wieder zurück sein werde. Der arme Mann hatte keine Ahnung, daß sie acht Tage lang mit ihm zusammen in den Mauern der Reichshauptstadt weilte, ganz gemütlich bei Frau von Goldacker logierend, die sie aber gleichfalls samt ihrem Bubi zur Verschwiegenheit verpflichtet hatte.

Kathi hatte furchtbares Herzklopfen, als sie eine Viertelstunde vor Ankunft des Berliner Zuges schon wartend auf dem Bahnsteig stand. Jedes Anschlagen der Signalglocken durchzuckte sie wie ein elektrischer Schlag, und als schließlich gar der Zug sichtbar wurde, pfiff und sein Tempo verlangsamte, da fing sie an zu zittern, ihre Kniee wollten sie kaum mehr tragen und ihre Zähne schlugen wie vor Frost aufeinander, obwohl es ein schöner, warmer Tag war.

Nun hielt der Zug, und aus einem Abteil zweiter Klasse stieg der bewußte große Herr mit dem frischen glatten Gesicht und der Kotelettenandeutung, der schon bei der Einfahrt sich weit aus dem Fenster gebeugt und mit sehnsüchtigen Augen den Bahnsteig abgesucht hatte. Er war nicht im stande, seine Enttäuschung zu verbergen, als er Kathi allein sah, obschon er ihr herzlich die Hand drückte und kühn behauptete, sich ganz außerordentlich zu freuen, sie nach so langer Zeit und anscheinend so frisch und munter wiederzusehen. Und dabei war sich Kathi bewußt, daß sie käsweiß und sicherlich recht katzenjämmerlich aussah.

Dann kam die unvermeidliche Frage: »Ihr Fräulein Schwester ist doch hoffentlich nicht krank – daß sie nicht mitgekommen ist?«

»O nein, dank schön,« erwiderte Kathi stockend. »Der Lizzi geht's sogar sehr gut, aber sie is gar net da. Ich denk' aber schon, daß s' morgen wieder kommt.«

Der Pfarrer erbleichte. »Nicht da? Ja, mein Gott, sie schrieb doch . . . Wo ist sie denn?«

»In Berlin.«

»In Berlin!?« Er machte ein sehr langes Gesicht. »Ja, dann verstehe ich aber gar nicht . . . Das thut mir wirklich sehr leid – ich habe mich nur schwer frei machen können und muß morgen abend schon wieder zurück sein.«

Kathi wagte einen scheu bittenden Blick. Der Pfarrer wandte etwas verlegen die Augen zur Seite und wurde rot. Also hatte er doch wohl keine große Uebung im Lügen – und er log gewiß. Wenn Lizzi da gewesen wäre, hätte er sicherlich morgen abend nicht zurück sein müssen! O, wie bitter schluckte sich diese Gewißheit hinunter und die Kehle wollte es ihr zuschnüren, das Herzeleid. Aber sie nahm sich zusammen so gut sie konnte, um ihm nicht gleich in der ersten Stunde etwas vorzuheulen, und brachte mühsam heraus: »Morgen mittag kommt ja Doktor Hartmann mit seinen Buben wieder heim. Die haben über die Feiertag eine Fußpartie um die Madüe gemacht und da wer'n s' schon was zum Erzählen haben. Ganz lustig wird's wer'n, passen S' nur auf! Mit mir allein freili – dees glaub i schon, daß Ihne dees a bisserl z'fad wär.«

Der traurige Ton, in dem sie das sagte, ging dem Pfarrer denn doch zu Herzen. Er wandte sich zu ihr – und sah, was er angerichtet hatte. Wie ein furchtsames gescholtenes Kind stand sie vor ihm, das große, stattliche, hübsche Mädchen. Er reichte ihm die Hand, drückte sie warm und sagte, wirklich beschämt, mit innigem Tone: »Aber mein liebes Fräulein, ich bitte Sie, wie können Sie so sprechen! Es wird mir eine große Freude sein, mit Ihnen diese Stunden . . . Und dann können wir ja auch . . .« Er stockte wieder. Er hatte sagen wollen: »soviel von Lizzi sprechen,« verbesserte sich aber schnell: »und Sie müssen mir viel von sich erzählen. Und nun sagen Sie mir, bitte, wo komm' ich hier am besten unter?«

Sie nannte ihm den Namen des ersten Gasthauses des Städtchens, dessen Hausknecht schon ungeduldig seiner Beute harrte. Der Pfarrer winkte den Mann heran, übergab ihm sein Handköfferchen und ließ sich nach dem draußen wartenden Omnibus geleiten.

»Ja, jetzt weiß ich nicht,« sagte er lächelnd, »ob ich Sie auffordern soll, mitzufahren. Ist es schwer zu finden zur Villa Hartmann? Ich muß mich doch erst ein bißchen säubern, ehe ich der Frau Oberlehrer meine Aufwartung machen kann.«

»Ja, wissen S', dees is ganz am andern End,« erwiderte Kathi, »Wenn's Ihne recht is, fahr' i schon mit und wart' auf Sie, daß ich Sie nachher 'nausführen kann.«

Er half ihr in den Rumpelkasten hinein, setzte sich neben sie und dann holperten sie los. Die paar freundlichen Worte, die er ihr gegönnt und das Glück, mit ihm allein fahren zu dürfen, röteten Kathis Wange vor Freude und ließen ihre Augen strahlen. Das Gerassel auf dem schlechten Pflaster, das Klirren der Scheiben machten eine Unterhaltung fast unmöglich, und so begnügte sich der Pfarrer damit, mit offenen Augen ein wenig von der fernen Schwester zu träumen und dabei die gegenwärtige Schwester unverwandt von der Seite anzublicken.

Sie fühlte seinen Blick auf sich ruhen und es überlief sie heiß. Ihr Atem ging immer rascher und rascher. Sie zog die Unterlippe zwischen ihre Zähne und biß leise zu, um sich besser zu beherrschen, und dann drehte sie ein ganz klein wenig den Kopf nach ihm hin und schlug die Augen auf. Ihre Blicke begegneten sich. Und sie richtete ihren Kopf noch mehr auf, ließ ihre Lippe zögernd aus den Zähnen gleiten, hob ein wenig das Kinn und lächelte glückselig. Ihr halb geöffneter Mund zuckte leise. Vielleicht hatte sie etwas gesagt, vielleicht auch nur etwas gedacht und unbewußt die Worte geformt. Aber es bedurfte gar keiner Worte – bei dem Gerassel wären sie ja doch unverständlich gewesen – dieses Lächeln, dieser Blick bedeuteten ja das klarste und bündigste Geständnis. Und was Lizzis eifrigste mündliche und schriftliche Andeutungen nicht vermocht hatten, das brachte die stumme Beredsamkeit dieser strahlenden grauen Augen mühelos zu stande. Pastor Werkmeister wußte nun auf einmal, daß dies liebe Geschöpf ihm mit Leib und Seele angehöre, daß es beim ersten Liebesworte, das er sprach, ja wenn er nur die Arme ihm entgegen breitete, sich still an seine Brust schmiegen und selig sein würde. Er wußte nichts zu sagen, die Entdeckung kam so völlig überraschend; aber er war innerlich bewegt – er wandte sich wie beschämt zur Seite und streckte seine Linke nach ihren Händen aus, die sie gefaltet im Schoße hielt. Da blieb sie ruhen, bis die kurze Fahrt zu Ende war und der Oberkellner vom »Deutschen Hause« die Thür aufriß.

Kathi wollte vor dem Hause auf und ab gehen, bis er fertig war, aber das wollte er auf keinen Fall dulden. Er nötigte sie mit in das Gastzimmer hineinzukommen, geleitete sie selbst an einen von den wenigen anwesenden Gästen etwas entfernten Tisch, drückte ihr ein illustriertes Journal in die Hand und verließ sie dann mit dem Versprechen, sich möglichst zu beeilen.

Kathi hatte alles ohne ein Wort des Widerspruchs mit sich geschehen lassen. In Hut und Jacke, den Regenschirm quer über den Schoß gelegt, saß sie da und guckte in das aufgeschlagene Blatt hinein, ohne sich bewußt zu sein, ob das Bild, was sie da vor sich hatte, eine Sauhatz im Mittelalter oder etwa die feierliche Einsegnung irgend eines fürstlichen Herzensbundes vorstelle.

Da hörte sie Schritte auf sich zukommen, strich sich verwirrt über die Stirn und blickte auf. Vor ihr stand Professor Schumacher, der dicke Mathematikus, ihr standhafter Anbeter. Da drüben an dem Tisch, von dem er hergekommen war, saßen der Herr Amtsrichter, der Herr Apotheker und der Herr Stadtverordnete Kupferschmied Grotjan, hatten ihre Skatkarten verkehrt auf den Tisch gelegt und starrten alle drei neugierig zu ihr hinüber.

»Guten Tag, Fräulein Mödlinger!« sagte der Professor, Kathi die Hand reichend. »Sie hier im Deutschen Hause? Das ist ja – ein freudiges Ereignis. Sie haben wohl Verwandtenbesuch bekommen, wenn ich fragen darf?«

»O nein,« erwiderte Kathi rasch. »Dees is ja der Herr Pastor Werkmeister von Berlin. Aber verwandt sin m'r net, m'r hab'n en bloß dort kennen g'lernt und – na, da b'sucht er uns halt!«

»Ach so,« sagte der dicke Professor nur, als ob er mit dieser Erklärung vollkommen zufrieden wäre. Er stand da, ergriff den nächsten Stuhl bei der Lehne und wiegte ihn nachdenklich auf und ab. Seine merkwürdige Denkerstirn – sie hatte die Form eines sphärischen Dreiecks und war für gewöhnlich stark gerötet – färbte sich noch um eine Schattierung dunkler, und die Ader, welche wie eine mathematische Hilfslinie von der Spitze des Dreiecks ungefähr nach der Mitte der Basis hinübergezogen war, trat auffallend stark hervor. Kathi bemerkte es wohl, sie sah ihm ja gerade ins Gesicht – aber sie dachte sich doch nichts dabei. Und er sagte auch nichts. Nach einer ganzen Weile erst kam es ziemlich stockend heraus: »Dann wird es Ihnen vielleicht nicht angenehm sein, wenn ich heute abend mir erlaube . . .«

Kathi errötete. Freilich wäre es ihr lieber gewesen, den Abend mit dem geliebten Manne allein zu verleben, aber die gute Sitte zwingt ja den gebildeten Menschen in solchen Fällen zu lügen. Sie sagte also, daß er sich doch nicht abhalten lassen möge zu kommen, und daß der Herr Pfarrer sich gewiß sehr freuen werde, seine Bekanntschaft zu machen.

Der Professor wußte nichts mehr vorzubringen, so murmelte er denn eine Entschuldigung und kehrte wieder zu seinen Skatgenossen zurück.

»Sie reizen, Herr Professor,« sagte der Kupferschmied.

Der dicke Schumacher schaute lange in seine Karten hinein, ehe er mit einem tiefen Seufzer komisch betrübt sein »ich passe« hervorbrachte.

»Sie mauern aber auch ewig! Riskieren Sie doch mal was!« meinte der Herr Amtsrichter vorwurfsvoll. »Na, ich spiele Herzensolo.« –

Wenige Minuten später kam Pastor Werkmeister frisch gewaschen und gebürstet und mit reinen Manschetten versehen wieder herein und Kathi ging ihm rasch entgegen. Sie war unschlüssig, ob sie ihm den Professor bei dieser Gelegenheit vorstellen sollte. Aber da er keine Miene machte, näher zu treten, sondern sich nur zu einer kleinen Abschiedsverbeugung halb auf dem Stuhle herumdrehte, so ließ sie es bleiben und schritt mit einer leichten Neigung des Kopfes hinaus.

Jeder dritte Mensch in Pyritz kannte sie natürlich bereits und fast keiner der Begegnenden versäumte es, dem stattlichen Paare nachzuschauen. So wie sie die Kleinstädter bereits kannte, wußte sie bestimmt, daß heute abend noch ihre Verlobung mit dem fremden geistlichen Herrn in allen Familienkreisen verkündigt werden würde. Das war ein süßer Gedanke – aber es war unrecht, ihm nachzuhängen, und sie begann nun selbst von Lizzi zu sprechen.

Eine übermäßig eifrige Briefschreiberin war Lizzi nicht. Acht Tage war sie fort und hatte erst eine Postkarte und einen flüchtigen Brief geschrieben. Der hatte aber dafür auch eine sehr wichtige Nachricht enthalten. Ein Theateragent, dem ihre Persönlichkeit wohl gar sehr gefallen haben mußte, hatte sich so eifrig für sie bemüht, daß der Direktor des Deutschen Theaters sich in der That dazu herbeiließ, ihr eine Stunde seiner kostbaren Zeit zu schenken und sie eines Mittags auf der Bühne einige Proben ihrer Kunst vorführen ließ. Sie hatte ihm den Abschied der Jungfrau vordeklamiert und dazu hatte der Direktor »na!« gesagt und über das ganze Gesicht gelacht. Dann hatte sie »Meine Ruh ist hin« und »Ach neige, du Schmerzensreiche« aus dem »Faust« vorgemimt, dabei aber selbst gefühlt, daß es ihr nicht so recht gelang. Und dann war sie auch durch das schreckliche »na!« und durch die spöttisch-neugierigen Gesichter einiger Herren und Damen vom Theater, die zuhörend in den Coulissen herumstanden, ganz aus der Stimmung gebracht worden. Die wirklichen Thränen, die ihr nach dem »Ach neige« in den Augen standen, waren nicht so sehr aus der Hingabe an die Rolle, aus Gretchens bitterem Herzeleid, wie aus dem Aerger über die selbstgefühlte Unzulänglichkeit entsprungen. Der Direktor hatte, als sie ihm, vom Boden aufstehend, ängstlich das Gesicht zuwandte, noch viel vergnügter gelächelt als vorher, und durch seine funkelnden Brillengläser niederschmetternd lustige Blitze auf sie geschossen.

»Sie sind offenbar der Ansicht, mein liebes Kind, daß der Faust das Gretel in München oder doch wenigstens in Pasing aufgetrieben hat.«

Damit hatte er sie stehen lassen und hatte sich zu einigen Herren, Regisseuren und Schauspielern, gewendet, um leise mit ihnen etwas zu verhandeln. Sie hatten sie alle so merkwürdig angeschaut und dann wieder die Köpfe zusammengesteckt und miteinander geflüstert und die Achseln gezuckt und bedenklich geblickt und die bedeutenden Häupter geschüttelt, daß ihr so Angst geworden war, als sollte sie gleich zu Galgen und Rad verurteilt werden. Und dann war der Direktor auf sie zugetreten und hatte gefragt, ob sie vielleicht singen könne? – Ja, singen könnte sie schon – na, dann sollte sie einmal was singen und zwar ein oberbayerisches oder sonstiges Volkslied in einem Alpendialekt. Ob sie nicht zum Beispiel das: »A Deandl is verwichen, hin zum Pfarrer g'schlichen« kenne.

Ja, das könne sie singen, aber sie wisse nicht, ob sie einen Ton in der Kehle habe. Und dabei waren ihr die Thränen herausgestürzt und sie hatte zu schluchzen angefangen – da hatte ihr der Direktor freundlich auf die Schulter geklopft und sie geheißen, sich zu beruhigen. Wenn sie ihnen recht nett was vorsinge, dann wollten sie ihr die gutgemeinte »Jungfrau« und sogar das Gretl von Pasing verzeihen. Die Herren hatten auch ganz geduldig gewartet, bis sie sich ausgeschluchzt, und dann hatte sie die Hände im Schoß gefaltet und schlecht und recht, das heißt so gut es unter den betrüblichen Umständen gehen wollte, das alte wohlbekannte Lied gesungen. Und da waren alle Herren um sie herumgestanden und der und jener hatte ihr die Hand gedrückt und sich ihr vorgestellt, und der Herr Direktor hatte »hm hm« gemacht und den Theaterdiener mit einem Auftrag fortgeschickt. Und endlich hatte er den Mund aufgethan und gesagt: »Wissen Sie, mein Kind – den Schiller und den Goethe, den wollen wir uns mal noch versparen, aber zu etwas anderm können wir Sie, glaub' ich, schon gebrauchen. Ich laß Ihnen da die Rolle vom »Annerl« aus dem Pfarrer von Kirchfeld holen, den gedenke ich nächstens wieder aufzunehmen. Lernen Sie mir die geschwind auswendig und kommen Sie nächsten Dienstag früh um zehn Uhr zur Probe, da wollen mir weiter sehen.« – »Darf ich net vielleicht noch a bissel was aus der ›Nora‹ . . .?« Aber da hatte er sie fast grob unterbrochen und auf nichts mehr eingehen wollen – damit war es aus gewesen. Und nun saß sie und lernte die Anna Birkmeyer und harrte mit Zittern und Zagen dem Dienstag entgegen. –

Der Pfarrer hatte Kathi ihren Bericht geben lassen, ohne sie mit einem Worte zu unterbrechen. Er konnte sich eines tiefen Seufzers nicht erwehren, als sie zu Ende war und es klang recht betrübt, als er zu scherzen versuchte: »Ja, da wird einem wohl weiter nichts übrig bleiben, als ihr am Dienstag kräftig die Daumen zu drücken. Der Theaterteufel hat sie nun doch einmal in seinen Klauen, haha! Ach übrigens, heute ist ja Dienstag – die Entscheidung ist vielleicht schon gefallen.«

Kathi blickte ihn scheu von der Seite an – er schaute recht ernst und traurig drein. Er fühlte wohl, daß der Ausfall der heutigen Probe auch die Entscheidung darüber bringen sollte, ob er seine Liebeshoffnungen für immer begraben müsse oder nicht. Acht Tage war sie in Berlin gewesen, ohne ihn etwas davon wissen zu lassen. Nur an ihr Theater hatte sie gedacht! Und er seufzte abermals.

Sie waren nun bei dem Häuschen des Oberlehrers angekommen. Es galt sich zusammennehmen, eine heitere Miene aufsetzen, der Hausfrau liebenswürdig begegnen. Und er zeigte sich stark, er brachte das alles ganz gut fertig. Ein glücklicher Gedanke von Kathi war es, daß sie gleich nach dem Kaffee vorschlug, etwas zu musizieren. Da brauchte er nicht zu reden und durfte im Zuhören seinen Gedanken an die Entfernte nachhängen. Und dann ließ er sich auch überreden, selbst etwas zu singen. Er hatte eine kräftige, ziemlich geschulte Baritonstimme und sang Schumannsche und Schubertsche Lieder mit gutem Ausdruck. Kathi war so glücklich, ihn begleiten zu dürfen, und über das Lob, das er ihr spendete – und wenn er gar einmal im Eifer ihren Arm oder ihre Schulter berührte, dann überlief es sie heiß. –

Spät am Abend stellte sich auch der dicke Schumacher ein. Er hatte schwer mit sich zu kämpfen gehabt, ob er hingehen sollte. Aber er mußte wissen, wie er daran war und ob er in diesem geistlichen Herrn einen Nebenbuhler zu fürchten habe. Ach, er sah es gleich bei seinem Eintritt Kathis Miene an, daß dieser große, schöne Mann der Beglückte war, dem sie ihr ganzes Herz geschenkt hatte, daß nichts mehr für ihn zu hoffen sei. Nie hatte er das stille Mädchen so gesehen, so lieblich durchglüht von Glück, die grauen Augen so leuchtend in seliger Hoffnung. Nicht etwa, daß sie ihm unfreundlich begegnet wäre, daß sie ihn hätte merken lassen, er käme ungelegen – nein, im Gegenteil. Weit herzlicher und unbefangener als sonst begegnete sie ihm. Und das war das allerschlimmste – deutlicher konnte sie es ihm nicht zeigen, daß sie einen andern liebte! Es war ihm sehr recht, daß bald wieder gesungen wurde. Zwar war er mit dem Pastor in ein politisches Gespräch geraten und hatte mehr geredet denn gewöhnlich, aber lieber war es ihm doch, unbeachtet in schweigendes Brüten versinken zu dürfen, und das konnte er um so besser, als die beiden Herrschaften nun Duette versuchten und die Hausfrau sich verschiedentlich draußen zu schaffen machte.

Es war gegen elf Uhr, als es der Pfarrer für an der Zeit hielt, aufzubrechen. Kathi begleitete ihn hinaus und der Professor sah sich einen Augenblick mit Frau Hartmann allein. Sie hatte ihm längst angemerkt, was in ihm vorging, und sie hielt ihn an der Hand zurück, drückte sie warm zwischen ihren beiden und sagte: »Ach ja, mein lieber Herr Professor – das ist schwer so was, nicht wahr?«

Des Mathematikers Stirn wurde dunkelrot und er wandte hilflos die Augen zur Seite.

»Der Herr ist also doch wohl deswegen gekommen?« fragte er nach kurzem Zögern ganz leise.

Und Frau Hartmann erwiderte ebenso: »Ach nein! Der Herr ist eigentlich wegen Lizzi gekommen. Aber schließlich macht das keinen Unterschied, denn wie es mit unsrer Kathi steht, das . . .«

»Ja, ja,« seufzte er mit einer abwehrenden Handbewegung. »Glauben Sie nur ja nicht etwa, daß ich mir einbilde . . . Bloß, wenn man so alt geworden ist ohne irgend . . . Na, dann muß es auch so gehen. Wünsche wohl zu schlafen und – und vielen Dank auch. Ich werde jetzt nicht mehr so oft kommen. Es hat ja keinen . . . Gute Nacht also!« Damit hastete er hinaus.

In der offenen Hausthür sah er Kathi und den Pastor stehen, Hand in Hand. Sie ließen sich los, als der dicke Mathematiker daher gewatschelt kam, und Kathi trat zur Seite, um ihn vorbei zu lassen.

»Gel'n S', Herr Professor, Sie sind so freundlich und bringen 'n Herrn Pfarrer heim?« rief ihm das Mädchen noch nach; dann hörte er sie die Hausthür zuschlagen. Sie hatte versäumt, ihm die Hand zu geben zum Abschied und er hatte sie nicht daran zu erinnern gewagt. Er begleitete seinen glücklichen Nebenbuhler, dem die Liebe dieses prächtigen Mädchens so in den Schoß gefallen war, ohne daß er einen Finger darum rührte, bis an seinen Gasthof, und unterwegs sprachen sie von Schulreform und von den neuesten Entdeckungen auf dem Monde, denn es war eine helle Frühlingsnacht und ein wenig Astronomie des dicken Schumachers wissenschaftliches Sonntagsvergnügen. –

Die Frau Oberlehrer wunderte sich, warum denn die Kathi gar nicht wieder hereinkam. Sie ging hinaus und ließ die Thür auf, damit etwas Licht in den dunkeln Gang hinausfiele. Da stand ihr Liebling im Finstern an die Mauer gelehnt und drückte die Hände vor die Augen.

»Was ist dir denn, Kathichen, du weinst doch nicht etwa gar?«

Wortlos fiel das große Mädchen ihr um den Hals und verbarg sein Gesicht an ihrer Schulter.

»Hat er was gesagt?«

Kathi schüttelte den Kopf.

»Hat er dich . . .?«

»Nein, nein, nix, gar nix. Aber so glücklich wie heut kann i in mei'm ganzen Leben nimmer sein. Und jetzt is mir alles eins! – Ob 'n jetzt die Lizzi nimmt oder net, mich hat er doch auch gern – dees weiß i jetzt amal ganz g'wiß.«

»Mein gutes Käthchen – ich glaub', ich glaub', es kommt noch besser! Geh jetzt und träume süß.« –

Das that sie.


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