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Jetzt ist das Winterwetter doch wieder beinahe leidlich – die unerträglich drückende Abgeschlossenheit durch den Eisgang hat aufgehört. Auch Post traf ein, und man gehört doch wieder zum Ganzen dieser Welt. Springfluten und orkanartige Stürme nimmt man dabei – wie hier die klimatischen Temperamentsäußerungen nun einmal sind – mehr als harmlosere Exzesse, aus denen man am besten nicht viel Wesens macht.
Zobel ist, kaum daß wir »eisfrei« waren, vermummt wie ein Nordpolforscher losgefahren.
Ich selbst bin dann für ein paar Tage wieder drüben in Doorn gewesen, um den Weihnachtsbesuch bei den Eltern nachzuholen.
Jetzt sind auch diese Tage mit ihren stillen Stunden bei der Mutter und mit den langen Aussprachen mit meinem Vater versunken, und nur die große Winterstille liegt vor mir.
Diese Aussprachen mit dem Vater! Kaum ein Problem unserer Vergangenheit gibt es, das dabei nicht gelegentlich zur Sprache käme. Und immer wieder, wenn ich vor ihm stehe und wenn ich sehe, wie sich all sein Suchen um die Erkenntnis unseres Schicksalsweges quält, wenn ich erkenne, wie er bei allem Unglück stets nur das Beste für das seiner Führung anvertraute Reich und Volk gewinnen wollte, spüre ich auch das herbe Unrecht, das ein großer Teil der Heimat begeht, wenn er heute nichts mehr vom Lebenswerk des Kaisers gelten lassen will. Wenn er unter den Trümmern einer gescheiterten Friedenspolitik auch all das Große, Gute und Unvergängliche begräbt, das an die dreißig Jahre der Regierungszeit meines Vaters gebunden ist.
Ich selbst glaube mich leidlich frei zu wissen von Blindheit gegen Fehler, die in den letzten Jahrzehnten an hoher Stelle unseres deutschen Vaterlandes unterliefen, und vielleicht geben diese Blätter da und dort Zeugnis von meinem Willen, klar zu sehen und über das Erkannte offen zu sprechen. Daß nach meiner Ansicht vieles, was heute von der allgemeinen Meinung dem Schuldkonto des Kaisers zugeschrieben wird, vielmehr dem unglücklichen Wirken ungeeigneter Ratgeber zur Last zu legen wäre, ist an anderer Stelle schon ausgesprochen. Bei all dem aber würden diese Aufzeichnungen ein nur einseitiges Bild meiner Auffassung von dem Wirken meines Vaters geben, wenn sie nicht auch ausdrücklich feststellten, daß ich mich keinem von den großen persönlichen Verdiensten verschließe, die er sich um das Emporblühen des Reiches erworben hat.
Diese Verdienste reichen zurück bis in seine Prinzenzeit. Die Armee war in den Jahren nach dem Kriege 70/71 in einen Zustand der Sättigung und des Stillstandes geraten. Das Offizierkorps war zum Teil überaltert, man wollte die im Kriege bewährten Männer nicht verabschieden und verhielt sich Neuerungen gegenüber im allgemeinen sehr zurückhaltend. Die erprobten Grundsätze, nach denen man den Krieg mit Frankreich gewonnen hatte, sollten möglichst unberührt bleiben. Da war es ein zweifelloses Verdienst des damals noch jungen Prinzen Wilhelm, daß er die in diesem Stillstand ruhenden Gefahren rechtzeitig erkannte. Er setzte seine ganze Persönlichkeit für eine zeitgemäße Umgestaltung der Ausbildung ein und hatte im Dienste dieser Idee manchen harten Kampf zu bestehen. Ich erinnere mich noch der Tatsache, daß mein Vater als erster zu einer Übung der Potsdamer Garnison schwere Artillerie der Festung Spandau bespannen und zum Erstaunen der hohen Generalität mitwirken ließ. In der Fortentwicklung dieses Gedankens hat er auch später in seiner Regierungszeit lebhaften Anteil an der Schaffung unserer schweren Artillerie genommen. Ebenso ist die Entwicklung der technischen Truppen vielfach auf die persönliche Initiative des Kaisers zurückzuführen. Für die Pflege eines vaterländischen, opferwilligen Geistes im Heere hat der Kaiser sich immer wieder mit seiner ganzen Persönlichkeit eingesetzt, und wo er konnte, ist er für die Aufrechterhaltung von Tradition und innerem Zusammenhang bei den einzelnen Truppenteilen eingetreten.
Die Schaffung der Kriegsmarine erkenne ich als das ureigenste Verdienst meines Vaters, mit ihr hat er den großen Schritt in die Welt hinaus getan, der für Deutschland notwendig war, da es sich von der Kontinentalmacht zur Weltmacht entwickeln wollte. Aber nicht nur der als Schutzwaffe zur See gedachten Kriegsflotte, auch dem Ausbau unserer Handelsflotte hat seine dauernde werktätige Anteilnahme gegolten.
Auf dem Gebiete der Arbeiterschutzgesetzgebung ist er führend vorangegangen, und es liegt eine große Tragik in dem Gedanken, daß gerade die Partei, für die der Kaiser die ersten großen Konflikte seiner Regierungszeit durchfocht, indem er das Sozialistengesetz fallen ließ, am Ende seinen Sturz herbeigeführt hat. –
Mit dem Scheitern der großen Reimsoffensive des Monates Juli 1918, zu der die Oberste Heeresleitung noch einmal alle irgend verfügbaren Kräfte (bis auf bestimmte Reserven an frischen Divisionen und schwerer Artillerie, die bei der Heeresgruppe Rupprecht für den »Hagen«-Angriff zurückgehalten wurden) zusammengerafft hatte, bestand für mich kein Zweifel mehr darüber, daß sowohl die Vorgänge an der Front wie auch die Entwicklung der Dinge in der Heimat dem endgültigen Zusammenbruch unfehlbar zusteuerten, wenn nicht noch in zwölfter Stunde große Entschlüsse gefaßt und rücksichtslos durchgeführt wurden. Mein Chef, Graf von der Schulenburg, hat meine Auffassung vollkommen geteilt, und so haben wir schon im Anschluß an die große feindliche Offensive von Villers-Cotterets kein Mittel unversucht gelassen, um die O.H.L. vor allem für zwei Maßnahmen zu gewinnen, deren eine die Zustände im Felde, deren andere die Verhältnisse in der Heimat auf gesundere Grundlagen stellen sollte.
Mit Hinblick auf unsere äußerst schwierig gewordene militärische Situation hielten wir die sofortige, nach vorherbestimmten Etappen geregelte Rückverlegung der gesamten Front in die Antwerpen-Maas- Stellung für geboten. Diese Stellung hätte damals eine ganze Reihe von Vorteilen mit sich gebracht. Zunächst hätte man sich damit einmal weit genug vom Feinde abgesetzt und so Zeit zur Erholung und Auffrischung der stark ermüdeten und seelisch gedrückten Verbände gewonnen. Ferner wäre die ganze Front erheblich verkürzt worden, und die durch ihre natürliche Gliederung sehr starke Maasfront in den Ardennen hätte mit einer verhältnismäßig schwachen Besetzung dieses Abschnittes doch eine starke Widerstandslinie ergeben. Somit konnten Reserven aufgespart werden. Die operativ schwachen Punkte der ganzen Front blieben natürlich nach wie vor der rechte Flügel in Belgien und der linke bei Verdun.
Unsere Beurteilung der Lage wurde in einem Bericht an die O.H.L. niedergelegt, in dem zum Ausdruck gebracht war, daß jetzt alles darauf ankomme, die Angriffe der Feinde bis zum Eintritt der nassen Jahreszeit, also etwa Ende November, »auszusitzen«. Hätten wir nicht die Kräfte, um die langen vorderen Reihen zu halten, so müßten wir rechtzeitig in eine kürzere Linie zurückgehen. Wo wir stünden, sei gleichgültig, entscheidend sei aber, daß unser Heer ungeschlagen und kampfkräftig bleibe. Unser linker Flügel zwischen Sedan und Vogesen könne nicht zurück und müsse deshalb vorausschauend in der Front und durch Reserven gestärkt werden. –
Die O.H.L. antwortete uns, daß sie sich äußersten Falles nur dazu entschließen könne, in die Angriffsausgangsstellung des Frühjahrs 18 zurückzugehen. – Sie vertrat die an und für sich sehr richtige Auffassung, daß ein weiteres Zurücknehmen der Front ein Eingeständnis unserer Schwäche sei, dem unsere Feinde die übelsten politischen Folgen geben würden, daß unsere Eisenbahnen nicht in der Lage seien, das große Kriegsgebiet vorwärts der Antwerpen-Maas-Stellung schnell zu räumen, daß infolgedessen unermeßliche Werte an Kriegs- und wirtschaftlichem Material in die Hände des Feindes fallen müßten und daß die Antwerpen-Maas-Stellung für eine Dauerstellung ungünstig sei wegen der Eisenbahnverhältnisse: Querverbindungen seien dort nicht vorhanden und somit die Verschiebung von Reserven hinter der Front und von einem Flügel zum anderen erschwert und verlangsamt.
Wir waren demgegenüber der Ansicht, daß eine Zurücknahme der Front nicht zu vermeiden und daß es besser sei, mit kampffähigen Truppen zurückzugehen, als so lange zu warten, bis die Truppen ausgebrannt seien. Die Politik müsse vor der militärischen Notwendigkeit, sich ein schlagkräftiges Heer zu erhalten, zurücktreten. Mit dem Verluste des Kriegsmaterials müsse man sich ebenso abfinden wie mit den ungünstigen Verbindungen hinter der Antwerpen-Maas-Stellung. Zurück müßten wir doch, dann besser rechtzeitig als zu spät. –
Für die Heimat wünschten wir eine energische, rücksichtslos durchgreifende Führung. Diktatur, Unterdrückung aller revolutionären Umtriebe. Exemplarische Bestrafung der Deserteure und Drückeberger, Militarisierung der Rüstungsbetriebe, Ausweisung zweifelhafter Ausländer und anderes mehr.
Aber unsere Vorschläge und Warnungen blieben ohne jeden Erfolg. So wußten wir, was kommen würde.
Bald genug standen wir denn auch inmitten der Zersetzung, die an unseren Kräften fraß, mußten mit offenen, erkennenden Augen das Unheil unentrinnbar und mit jedem Tage rascher, gieriger sich näher schieben sehen bis zum Ende.
Jene Zeit ist für mich die traurigste meines ganzen Lebens, wenn ich zurückblicke und vergleiche: trauriger sogar als die kritischen Monate vor Verdun und als die gleichfalls von tiefstem Schmerz erfüllten Tage, Wochen und Monate nach der Katastrophe.
Mit bangem Herzen ging ich jeden Morgen aufs Büro der Heeresgruppe, immer auf eine Hiobsmeldung gefaßt, die auch nur zu oft eintraf. Auch die Fahrten zur Front, die sonst immer eine Erquickung und Freude für mich gewesen waren, wurden zur Bitterkeit. Die Stäbe trugen die Sorgenfalte auf der Stirn. Die Truppe, fast überall, wohin ich kam, noch famos in der Haltung, willig, freundlich und mich freudig begrüßend, war zu Tode erschöpft. Das Herz drehte sich mir im Leibe um, wenn ich diese hohlwangigen Gesichter, die mageren, müden Gestalten in ihren zerrissenen, beschmutzten Uniformen sah – wenn sich diese Männer, denen man am liebsten hätte sagen mögen: »Geh jetzt nach Hause, lieber Kamerad, schlafe dich gründlich aus und iß dich satt– du hast genug getan!«, immer noch stramm zusammenrissen, wenn ich sie ansprach, ihnen die Hand drückte. Und der tiefste Jammer, gegen den es kein Mittel gab: ich konnte ihnen nicht helfen – sie, diese müden und verbrauchten Treuen, waren der Rest von Kraft, der uns jetzt noch verblieben war, der rücksichtslos eingesetzt werden mußte, wenn wir eine Katastrophe vermeiden und für Deutschland einen noch erträglichen Frieden erringen wollten.
Von Tag zu Tag mußte ich so mit ansehen, mit erleiden, wie der alte Kampfwert der tapfersten meiner Divisionen mehr dahinschmolz, wie sich Kraft und Glauben in den ununterbrochenen schweren Kämpfen mehr und mehr verbluteten. Ruhe konnte, so wie die Dinge lagen, auch den abgekämpften Divisionen höchstens noch tageweise gegeben werden. Anstatt daß eine gründliche Verkürzung der Front eingetreten wäre, blieb die gleiche Ausdehnung, und so sollten die blutlosen, zusammengeschossenen Divisionen viel zu breite Gefechtsstreifen halten. Bald genug wurde es nun unmöglich, diese weiten Frontabschnitte mit den geschwächten Verbänden ausreichend zu decken. Schreie nach Ablösung und Ruhe kamen an mich heran – und fanden mich vor dem Unvermögen, den an sich nur zu berechtigten Forderungen nachkommen zu können. Der Ersatz stockte vollkommen, und das Wenige, was in Grüppchen herauskleckerte, war nur zum Teil zu gebrauchen. Das setzte sich zusammen aus alten kriegsmüde gewordenen Leuten, die man noch einmal und oft viel zu früh aus Lazaretten aufgegriffen hatte, aus Halbwüchsigen ohne rechte Ausbildung und ohne Zucht. Der größte Teil von ihnen allen aber brachte eine aufsässige, schlechte Gesinnung mit – ebensosehr das Werk der Hetzer in der Heimat wie der energielosen Regierung, die nichts gegen diese Hetzer und ihre auf Umsturz gerichtete Wühlarbeit unternahm.
Daß der Herd der Zersetzung, aus dem ein ewig neuer Schlammfluß von Hetzerei, von Unbotmäßigkeit und aufrührerischen, nach Umsturz drängenden Elementen sich in die Front wälzte und sie vergiftete, die Heimat war, darüber konnte kein unvoreingenommener Beobachter der Dinge im Zweifel bleiben. Ich stütze mich, wenn auch ich mich zu dieser Überzeugung bekenne, keineswegs etwa nur auf die Auffassung militärischer Kreise im Felde – ich habe auf meinen Urlaubs- und Dienstreisen in die Heimat und durch die Etappe selbst gesehen und selbst geprüft.
Nährboden für all jene Faktoren, die namentlich in den letzten anderthalb Jahren des Krieges aufwuchern und zu einer am Ende jede bessere Stimmung erstickenden Üppigkeit gelangen konnten, war nach meiner aus solcher Beobachtung erwachsenen Überzeugung die ungenügende Verpflegung und Verfolgung der Heimatmenschen. Und an dem endlichen Versagen dieser Heimat gebe ich so weniger den Menschen die Schuld, die für das Vaterland durch Jahre ehrlich gehungert und gedarbt haben, als jenen, die berufen waren, pflichtmäßig für eine bessere Vorsorge und für eine gerechtere Verteilung des Vorhandenen mit rücksichtsloser Energie zu wirken. Schließlich auch jenen Männern der Reichsleitung, die, als sie das Versagen der vorhandenen Kräfte erkannten, nicht jene Stelle schufen, deren Inhaber mit ungebundenen Kräften, und über alle Hemmungen und Schwerfälligkeiten der alten verästelten Amtswege weg, die nötigen Maßnahmen mit diktatorischer Gewalt durchsetzen konnte.
Daß wir an wirtschaftlicher Kriegsvorsorge während der drohenden Krisenjahre so gut wie alles versäumten, daß also von einer wirtschaftlichen Kriegsbereitschaft garnicht die Rede sein konnte, habe ich dort, wo ich von den Jahren vor Ausbruch der Katastrophe von 1914 sprach, schon erwähnt. Die aus jener Zeit ererbte Schuld ist dann während des Krieges durch Mangel an Weitblick, durch Festhalten an Systemen, die ihr unruhig flackerndes Leben von Behelf zu Behelf fristeten, ins Ungemessene vergrößert worden. Nicht präventiv, sondern stets nur unter dem Zwange der schon mit starken Schlägen anpochenden Not wurden Pläne und Entschlüsse geboren. Als Beispiel sei hier nur die staatliche »Erfassungs«psychose genannt – die ausbrach, als es gerade nicht mehr allzuviel zu erfassen gab, und deren Wirkung zudem durch eine leider recht breit gewordene und vielfach durch Duldung geradezu gezüchtete Korruption zur Unzulänglichkeit verdammt war.
Was ich hier sage, soll den Linksradikalismus und seine Freibeuterei, seine parteimäßige Kriegsgewinnlerpolitik ganz und garnicht von der unsühnbaren Mitschuld entlasten, die er am elenden Zusammenbrechen unseres über vierjährigen Heldenkampfes hat. Es soll ihm allein zugeben, daß Seelen nur gefangen werden können, wenn Umstände sie mürbe und gefügig für den Fischzug eines gerissenen Seelenfängers machten – und daß die Stellen, die das Volk mit geistiger und leiblicher Kraft hätten speisen, die es vor dem Verfalle seines Siegerwillens, seines nationalen Geistes und seiner gesunden Körper hätten sichern sollen, ihm leider Wegbereiter und Helfer gewesen sind.
Schon zu Anfang des Jahres 17 habe ich in Berlin im Gespräche mit vielen einfachen Leuten den Eindruck gewonnen, daß die Kriegsmüdigkeit sehr groß sei, und schon damals sah ich, wie das Berliner Straßenbild sich in einer bedrohlichen Weise umgestaltet hatte. Das, was ihm einst seinen Wesenszug aufgedrückt hatte, das zufriedene Gesicht des mittelständischen Menschen, war verschwunden. Der ehrlich arbeitende kleine Bürger, der Beamte, ihre Frauen und Kinder schlichen mit bleichen Gesichtern, hohlwangig, abgemagert, in verbrauchten, zu weit gewordenen Kleidern. Sorge und Bitterkeit lagen auf den Gesichtern. Daneben machten sich die Typen des Schiebertums, der Kriegsgewinnler und -gesellschaften mit all ihrer üblen Gefolgschaft breit.
Daß diese Gegensätze bei den Entbehrenden Mißvergnügen und Bitterkeit groß werden lassen, den Glauben an Recht und Billigkeit der leitenden Stellen erschüttern mußten, lag auf der Hand. Trotzdem geschah nichts, um den Mißständen abzuhelfen – man ließ im wahren Sinne des Wortes wuchern, was wuchern wollte: mit Lieferungen, mit lebensnotwendigen Nahrungsmitteln, mit Rohstoffen – mit Parteiprofit zu Gunsten der Internationale.
Zum Träger der exzentrischen Wirkung dieser Zustände auf Etappe und Front wurde jeder bittere Brief aus der Heimat, wurde jeder rückkehrende Urlauber, der mit diesen zuchtlosen Verhältnissen in Beziehung gekommen war und jetzt den überanstrengten Kameraden vorne von seinen Eindrücken erzählte, wurde jeder von jenen renitenten, seit Jahren ohne väterliche Zucht aufgewachsenen Bengels, die eine unfähige Heimatbehörde im Notfälle an die Front abschob, weil sie mit ihnen zu Hause nicht fertig zu werden vermochte.
Ersatzquelle für alle Abgänge der Kampftruppe waren die stellvertretenden Generalkommandos in der Heimat. Ihre ungeheure Bedeutung ist nicht genug erkannt und bei der Auswahl der Persönlichkeiten, die als stellvertretende kommandierende Generale und Chefs eingesetzt wurden, nicht genug gewertet worden. Man hat von Anfang an auf diese Posten vielfach alte Herren gestellt – oft genug brave, verdiente Soldaten, die in schöner Begeisterung ihre Kräfte auch noch gerne in den Dienst des Vaterlandes stellen wollten, die aber doch die rechte Kritik über das Ausmaß der ihnen noch verbliebenen Energie und Fähigkeit nicht mehr besaßen. Man wollte da nicht rücksichtslos sein, den Bewerbern, die sich in patriotischer Treue so willig zur Verfügung stellten, einen Wirkungskreis, »in dem sie nichts verderben konnten«, nicht versagen; man wollte auch frischere Kräfte freikriegen für »draußen« und griff zu. Das alles konnte gelten, solange man mit einem kurzen Kriege und während dieses kurzen Krieges mit einer Stabilität der inneren Verhältnisse des Reiches auf dem Stande von 1914 rechnen konnte – und hätte mit unbedingter Energie nach neuen Gesichtspunkten gewandelt werden müssen, als sich die Kriegsdauer auch schätzungsweise nicht mehr absehen ließ, als man die Möglichkeiten neuer oder wiederauftauchender Einflüsse zersetzender Art auf die anfangs so beruhigend einheitliche Stimmung in den Bereich vorsorglicher Erwägungen ziehen mußte. Zu einer solchen, den neuen Verhältnissen angepaßten, durchgreifenden Umstellung ist es leider nie gekommen. Wer einmal auf einem der stellvertretenden Heimatposten saß, der blieb. Wurde da oder dort aber ein Posten frei – durch Tod oder weil's wirklich nicht mehr ging – dann fand der Ausgeschiedene seinen Nachfolger aus den Reihen jener, die im Frontdienst versagt hatten oder wegen Kränklichkeit, Verwundungen u. s. w. »nur noch zum Heimatdienste« verwendet werden sollten.
»Ein Heimatposten! Was kann der Mann da viel schaden?«
Der Mann, der keiner mehr gewesen ist – diese verbrauchte Energie, die den Krieg draußen entweder garnicht kannte oder die, wenn sie von draußen kam, verbittert oder müde den Heimatdienst als Buenretiro nach vollbrachter Arbeit ansah (ich lasse Ausnahmen natürlich gerne gelten), hat ungeheuren Schaden getan! Gerade in den letzten Jahren hätte all das, was wir an Ersatz nachholten und »auskämmten«, durch stärkste und festeste Hände gehen müssen, ehe es in die Front eingegliedert wurde. Aus einem Materiale, das zum guten Teile schon durch Verhetzung wurmstichig oder von pazifistischen Ideen angekränkelt war, hätten in kraftvoller Erziehungsarbeit pflichttreue Männer gebildet werden müssen – würdig ihrer Kameraden an der Front. Freilich mit ein paar schönen Redensarten, wie sie für Kriegervereine und Erinnerungsfeste üblich waren, konnte ein solches Erziehungswerk nicht vollbracht werden. Und was die Heimat hier versäumte, das konnte später kein »vaterländischer Unterricht«, und wenn er noch so gut gemeint war, nachholen. Für mein Empfinden hat die Idee, den Leuten angesichts des Trommelfeuers den etwa fehlenden Patriotismus durch Unterricht beibringen zu wollen, übrigens immer etwas reichlich Naives gehabt. – Wir haben Leute als Ersatz bekommen, die schon hinausgegangen waren mit dem Entschlusse, bei der ersten Gelegenheit die Hände hoch zu heben. – Am schwersten aber hat sich die Fehlauffassung bei der Besetzung der verantwortlichen stellvertretenden Kommandoposten gerächt. –
Im Sommer und im Frühherbst 18 nun begann die ausstrahlende Zersetzung auch im besetzten Gebiete mehr und mehr in Erscheinung zu treten. Die ursprüngliche Ordnung hinter der Front verfiel zusehends. In den großen Etappenorten trieben sich Tausende Versprengter, Drückeberger und Urlauber herum, die teils jeden Tag, den sie länger der Truppe fern blieben, als Geschenk Gottes auffaßten, teils wegen der Überlastung der Bahnen gar keine Möglichkeit mehr fanden, ihre Truppenteile zu erreichen. Ich erinnere mich aus dieser Zeit einer Fahrt zur Front, die mich durch den Hauptknotenpunkt Hirson führte. Da war gerade Essensempfang für Urlauber und Versprengte, die zu Hunderten umherstanden. Ich mengte mich unter die Leute und sprach mit vielen von den Männern. Was ich zu hören bekam, war hart genug: Die meisten hatten den Krieg satt und verbargen kaum ihre Scheu vor dem Wiederanschluß an ihre Truppe – nicht alle davon waren Lumpen, da war auch manches Gesicht darunter, dem man es ansah, daß die Nerven nicht mehr hielten, daß die Spannkraft nicht mehr reichte, daß ein primitiver, hemmungsloser Selbsterhaltungstrieb Herr geworden war über alle Einsicht in die Notwendigkeit, durchzuhalten, zu widerstehen. Natürlich waren auch unter den Versprengten von Hirson eine Anzahl ganzer Kerle, die ihre gute Gesinnung und Haltung bewahrt hatten.
Gegen diese Aufsplitterung von Kräften, die bei neuer kraftvoller Zusammenfassung immerhin zu einer wertvollen Hilfe in unserer täglich größeren Not hätten werden können, ist leider nichts oder nahezu nichts geschehen. Hier hätten nur ganz große, durchgreifende neue Maßregeln helfen können, deren Anordnung dem Befehlsbereiche der O.H.L. unterstanden hätte. Wir taten im Bereiche der Heeresgruppe natürlich alles, was in unseren Kräften stand, um in dieses Chaos Ordnung zu bringen, fanden aber bei diesen Bemühungen nur wenig Unterstützung.
Die Disziplin hinter der Front ließ bedenklich nach. Das konnte ich sogar im Standorte der Heeresgruppe, in Charleville, beobachten. Dauernd mußten Mannschaften wegen ihrer schlechten Haltung und wegen mangelhafter Ehrenbezeugungen zur Rede gestellt werden. Der Geist der rückkehrenden Urlauber, die vorher ihren Dienst stets tadellos verrichtet hatten, war zu Widersetzlichkeiten und Auflehnungen geneigt, das Wesen der jungen Ersatzmannschaften im besten Falle ohne jeden Schwung, oft aber geradezu von einer frivolen Auffassung der für den Soldaten heiligen Begriffe von Vaterland und Pflicht und Treue. Leider entschloß sich die oberste Stelle auch mit Hinblick auf diese gefährlichen Erscheinungen zu keinen durchgreifenden exemplarischen Maßnahmen. Die französische Bevölkerung benahm sich bei all dem zwar korrekt, aber sie ließ doch ihre Freude daran, daß es mit uns bergab ging, unverkennbar merken.
Mit Ende September etwa begannen die Ereignisse sich zu überstürzen. Wie ein riesiger Brand, der lange Zeit schon im geheimen schwelte, jetzt aber plötzlich Luft bekam und seine Flammen an zahllosen Stellen aufzüngeln ließ, war das. Überall war das Feuer: hier im Westen – und unten im Südosten – und in der Heimat.
Der Niederbruch Bulgariens war das erste weithin sichtbare Zeichen.
Schlimme Nachrichten waren am 26. September von der Balkanfront gekommen. Sie trafen uns, während die Heeresgruppe selbst in schweren Abwehrkämpfen gegen feindliche Großangriffe westlich der Aisne und beiderseits der Argonnen von östlich Reims bis an die Maas rang und trotz heldenmütigen Widerstandes vor der Übermacht der feindlichen Massen und Panzerwagen Raum aufgeben mußte. Die Bulgaren waren unter dem starken Druck der vereinigten Ententemächte an der mazedonischen Front in breitem Zuge zurückgegangen, sie hatten eine große Zahl von Gefangenen und viel Material verloren, und der bulgarische Ministerpräsident Malinow hatte – soweit wir aus den kurzen Depeschen und telephonischen Übermittelungen ersahen – geglaubt, diesem unglücklichen Rückschlage Rechnung tragen zu müssen, indem er Friedensverhandlungen mit dem Oberbefehlshaber der Ententeheere einleitete. Aus der hierdurch geschaffenen Lage ergaben sich für uns die ernstesten Gefahren – das Ausscheiden Bulgariens konnte für die Mittelmächte den Anfang vom Ende bedeuten: die Donau lag den Ententekräften offen, der Einbruch in Rumänien und Ungarn war in den Bereich naher Möglichkeit gerückt. Die Nachricht hat in der Tat auch bei der O.H.L. in Avesnes wie beim Kaiser die größte Bestürzung hervorgerufen. Das Loch wurde zunächst geflickt: es gelang dem Einflusse des Königs und des Kronprinzen Boris, den Zusammenbruch aufzuhalten, dazu leitete die O.H.L. sogleich den Abtransport mehrerer Divisionen aus dem Osten und einiger österreichischer Divisionen nach dem Balkan in die Wege – sie sollten die schwer erschütterte Front stützen.
Indessen gingen die gewaltigsten Angriffe der Ententeheere gegen die gesamte deutsche Westfront von Flandern bis östlich von den Argonnen mit bisher beispielloser Wucht weiter. Wir hatten das Empfinden, im Hochpunkt der konzentrischen feindlichen Offensive zu stehen und – wenn wir dem ungeheuren Anprall auch Boden überlassen mußten – im großen und ganzen bei Hingabe aller Kräfte doch noch standzuhalten. Nur daß hinter dieser verzweifelten Kraftanstrengung immer wieder die qualvolle Frage lauerte: Wie lange noch?
Am 28. September besuchte ich meinen Bruder Fritz, der mit seiner ersten Gardedivision am Ostende der Argonnen in schwerem Kampfe mit den Amerikanern stand. Ich kenne meinen Bruder als einen sehr tapferen, unverzagten und nüchternen Mann, der vorbildlich wirkte in der Fürsorge für seine Truppen. Er war Kummer und Elend gewöhnt, hatte doch die erste Gardedivision so ziemlich immer dort gestanden, wo die Luft am dicksten war: Ypern, Champagne, Somme, Chemin des Dames, Gorlice, Argonnen. Diesmal fand ich ihn verändert; erfüllt von einer maßlosen Bitterkeit sah er das Ende, gegen das er sich mit seinen Leuten verzweifelt wehrte, herankommen. Er gab mir eine Schilderung der Lage, die mich tief erschütterte: Seine ganze Division bestand noch aus fünfhundert Gewehren in der Kampffront – die Stäbe mit ihren Meldegängern kämpften in der vordersten Linie, das Gewehr in der Hand. Die eigene Artillerie war auf das äußerste ermüdet, die Geschütze ausgeschossen, Ersatz aus den Artilleriewerkstätten kaum zu erhalten, die Verpflegung ungenügend, schlecht. Wie sollte das nun werden?! Dabei waren die amerikanischen Angriffe an sich falsch aufgezogen, kriegsfremd. Die Gegner griffen in Kolonnen an und wurden durch unsere noch überlebenden Maschinengewehre zu Tausenden hingemäht. Hierin lag also nicht die große Gefahr. Aber ihre Tanks durchstießen die dünnen Linien – alle zwanzig Meter ein Mann! – und beschossen uns nun von hinten. Erst dann trat die amerikanische Infanterie an. Dabei verfügten die Amerikaner über unwahrscheinlich große Mengen schwerer und schwerster Artillerie. Das feindliche Vorbereitungsfeuer jener Tage übertraf an Intensität und Schwere weit das Feuer vor Verdun und von der Somme. – Bei einem Vortrage vor Seiner Majestät in Spa schilderte ich eingehend diese ganz verzweifelte Lage der ersten Gardedivision; der Kaiser hat auch mit Ludendorff darüber gesprochen, ein entlastender Entschluß ist aber auch dann nicht gefaßt worden – konnte, wie ich zugeben mag, vielleicht auch nicht gefaßt werden, denn wir brauchten nun jeden Mann bis zum letzten Atemzuge. –
Meine gesammelte Aufmerksamkeit und Arbeitskraft war um diese Zeit pflichtgemäß den wild gesteigerten Frontvorgängen und der mir anvertrauten Truppe zugewendet. Ich war nahezu täglich vorne in den umkämpften Abschnitten und blieb bis tief in den Oktober hinein von meinen Pflichten als Führer der Heeresgruppe so sehr in Anspruch genommen, daß ich die wichtigen politischen Vorgänge, die sich zur gleichen Zeit abspielten, obschon ich ihre schwerwiegende Bedeutung erkannte, doch nicht mit einem gleich eingehenden Eifer verfolgen konnte. So kann ich, während ich über die gewaltige Schlacht, in der wir standen, an anderer Stelle nach eigenem Urteil und nach eigenster Anschauung zu berichten vermag, zu diesen politischen Ereignissen (die ja wohl auch mehr oder weniger als bekannt vorausgesetzt werden dürfen) nur kurz und gewissermaßen referierend Stellung nehmen.
Am 3o. September wurde ich unerwartet durch Exzellenz von Berg telephonisch nach Spa gebeten, wo im Großen Hauptquartier wichtige Entscheidungen militärischer Art, zur Friedensfrage und zur inneren Lage gefallen waren oder noch getroffen werden sollten. Der Befehl ließ, da man mich sonst geflissentlich auf den Dienst im Rahmen meines Kommandos beschränkte, Ungewöhnliches erwarten. Ursache, zu hoffen, daß es Gutes sein könne, lag nicht vor. –
Die Mitteilungen, die in Spa auf mich einstürmten, waren in der Tat aufrührend und schlimm genug – auch für einen, der wie ich schon mit gewappnetem Gemüte auf diesen Weg gegangen war. Ich skizziere das Bild, das ich empfing, mit wenigen Linien:
Generalfeldmarschall von Hindenburg und General Ludendorff hatten mit dem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes beraten und die Mitteilung erhalten, daß die im Anschluß an die Verhandlungen vom 14. August eingeleiteten Versuche, durch die Vermittlung neutraler Mächte zu Anknüpfungen mit den Feindstaaten zu kommen, keinerlei Erfolg im Sinne von Friedensverhandlungen ergeben hätten oder erwarten ließen. Die Vertreter der O.H.L. hatten im Abtausch gegen diese Bankerotterklärung des Auswärtigen Amtes ihrerseits ausgesprochen, daß sie vor der Einsicht in die Unmöglichkeit stünden, den militärischen Sieg noch zu erringen, angesichts des eigenen Zerfalles im Felde und in der Heimat und angesichts der ungeheuren gegnerischen Übermacht und Kraftanstrengungen. Wenngleich auch dieser feindliche Kraftaufwand als letzte Steigerung des noch Möglichen zum Finish erscheine, so könne unser Erfolg doch nicht mehr im »Siege«, er könne, wie schon im August zugegeben wurde, nur in einem Überdauern des gegnerischen Kriegswillens, im Ringen darum, ob man bis zur letzten Viertelstunde durchzuhalten vermöge, bestehen. Allein die Möglichkeit, in besseren selbstgewählten Stellungen den Spätherbst und den Winter in Abwehr überdauern zu können, wurde mit Hinblick auf das völlige Versagen des Heimatdienstes und der Ersatzfrage anerkannt. Inzwischen sollten und mußten der Waffenstillstand erreicht und Friedensverhandlungen eingeleitet werden. Die Maasstellung – die gleiche, die mein Chef und ich schon sofort nach der mißglückten Reimsoffensive im Monat Juli, und als man sich noch verhältnismäßig leicht vom Feinde lösen konnte, vorgeschlagen hatten – sollte nun als Ausnahmestellung für die Winterdefensive gelten.
Drohender noch war das, was der Staatssekretär über die Lage der immer rascher unter die Hand und den Einfluß der Mehrheitsparteien geglittenen Heimat zu berichten hatte. Hier stand nach seinen Ausführungen im Ringen um die Staatsgewalt die Revolution gleichsam anpochend vor der Türe. Die durch die ungünstige militärische Lage geschaffenen Verhältnisse hatten die Mehrheitsparteien, die ohne jede Rücksicht auf die Machtfülle oder Machtschwächung des Staates die Offensive um ihre Ziele wollten, im Hauptausschusse des Reichstages zu heftigen Angriffen gegen den Reichskanzler Grafen von Hertling veranlaßt. Die Vorwürfe, die gegen ihn erhoben wurden, betrafen im wesentlichen: das Übergewicht der stellvertretenden kommandierenden Generale in der Heimat, das Wahlrechtsgesetz und den unverantwortlichen Einfluß der O.H.L. auf die innerpolitischen Vorgänge. Die Forderungen, die gestellt wurden, zielten unumwunden auf Parlamentarisierung und Ausschaltung des militärischen Regimes.
Die beiden Wege zur Bewältigung der Krisis wiesen nach energischer Behauptung der Regierungsgewalt, nach Kraft und Diktatur noch in zwölfter Stunde einerseits – nach Anpassung, Nachgiebigkeit gegen die Forderungen der Mehrheitsparteien andererseits. – Der Staatssekretär glaubte durch eine parlamentarische Regierung auf breiter nationaler Basis den revolutionären Geist entwaffnen zu können und trat, trotz der für eine derartige Umstellung der Verfassung unglücklichen Verhältnisse im Lande wie zu den Gegnern, hierfür ein. Die drohende Revolution von unten sollte also unter dem Mantel einer Revolution von oben erstickt und so eine neue Zusammenschweißung der zerfallenden Volkskräfte unter der Parole einer »Regierung der nationalen Verteidigung« erreicht werden. – Ich will gern als zweifellos unterstellen, daß die verantwortlichen Männer, die dieser Idee das Wort redeten, an die Möglichkeit, auf ihren Wegen zu brauchbaren Verhältnissen zu kommen, glaubten – daß sie zum mindesten nach außen, also mit Hinblick auf die Friedensverhandlungen, gewisse Ergiebigkeiten aus der Firma der neuen Regierung erhofften. Aber ich möchte nicht verschweigen, daß ich selbst mich dem Eindrücke nicht entziehen konnte, als handle es sich dabei eben nur um schöne Worte und als sei dieses Ganze nur die üble, durch Autosuggestion verschönte Form, unter der man die Macht im Innern den Gegenspielern aus der Mehrheit freigab.
Seine Majestät stimmte den Vorschlägen der schließlich vortragenden Herren zu. Er schien mir unter dem Druck der vielfältig andrängenden Schwierigkeiten, die nun auch schon an die Stufen des Thrones rührten, an einem Tiefstand seelischer Widerstandskraft zu leiden, sich zu einer starken selbständigen und Verantwortungen auf sich nehmenden Stellungnahme nicht durchringen zu können. So sah er in den verschiedenen Vorschlägen seiner militärischen und politischen Berater Stützen und Hilfen, nach denen er gerne griff, um wenigstens für den Augenblick die Gefahren überwunden zu wissen.
Die Stellung des alten, körperlich leidenden und so auch rein physisch den Anforderungen seines Amtes nicht mehr gewachsenen Reichskanzlers Grafen von Hertling schien derart schwer erschüttert, daß Seine Majestät sich dazu verstand, die Konsequenz zu ziehen und ihm, angesichts seiner Weigerung, diese Verfassungsänderung mitzumachen, die gewünschte Entlastung zu geben. Als Nachfolger wurden in erster Linie Prinz Max von Baden und Reichsschatzsekretär Graf Rödern genannt – die Wahl des letzteren schien die größere Wahrscheinlichkeit für sich zu haben.
Die Stimmung der Berliner Herren, ebenso wie der Herren aus dem Gefolge Seiner Majestät und aus dem Großen Hauptquartier, war angesichts der bedrohlichen und unsichtigen Gesamtlage an den Fronten wie in der Heimat sehr ernst. In Bezug auf die militärischen Schwierigkeiten hoffte man immerhin die große Schlacht an der Westfront ohne eine schwere Niederlage durchzukämpfen. Weiterhin hoffte man die unzuverlässig gewordenen Bundesgenossen zu halten. Den Geist der Heimat aber glaubte man, wenn die beschlossene Umstellung sich erst vollzogen hatte, soweit beeinflussen zu können, daß man bei etwaigen Friedensverhandlungen, die man für die nächste Zeit bestimmt erwartete, eine nach außen und nach innen im großen und ganzen gefestigte Front aufweisen konnte.
Ich persönlich vermochte den Optimismus, der in dieser Auffassung der Heimatverhältnisse zum Ausdruck kam, nicht zu teilen. Ich habe von jeher nach meiner Veranlagung und nach meinen aus Geschichte und Erfahrung gewonnenen Lehren für das englische Verfassungssystem manches übrig gehabt und seiner Übertragbarkeit auf unsere Staatsform oft genug nachgedacht, und es blieb mir – wie ich an anderer Stelle schon andeutete – bei Darlegung dieser Gedanken in der Vorkriegszeit manche Ablehnung nicht erspart. Was nun geschehen sollte, schien in die Linie meiner Ideen zu fallen. Schien! Hatte aber in Wahrheit nichts mehr mit ihnen gemein.
Nur das Geschenk aus willig gebender Hand findet Schätzung – was uns, nachdem es allzulange vorenthalten wurde, am Ende mit dem Anspruch eines Rechtes darauf entrissen wird, ist als Gabe ohne jeden Wert. Im rechten Augenblick und aus Einsicht freiwillig sich entäußern, ist mannhaft und königlich – wenn man das Wort gebrauchen will; aber ebenso mannhaft und königlich ist es, zu verwehren, was in der Stunde bitterster Not, in der das Land um sein Dasein ringt, als Preis einer Kraftprobe erpreßt werden soll. Der zur rechten Zeit aus freiem Willen gegebene freiheitliche Ausbau unseres Staatswesens hätte die Krone in ihrer Stärke gezeigt und die Opposition entwaffnet und verpflichtet. Wenn aber jetzt die Krone vor der gewaltsamen, mit Revolution drohenden Forderung nach der neuen Verfassung zurückwich, so gab sie damit ein Zeichen ihrer Hilflosigkeit und Schwäche, das die Begehrlichen im Lande und außerhalb des Landes nur gierig nach größeren Erfolgen machen mußte. Hier wurde in dem Augenblicke, da eine Sturmflut im Anzuge war, ein Damm niedergelegt – weil man glaubte, die ankommenden Riesenwogen durch Wegräumen des Hindernisses besänftigen und glätten zu können. Wahn! Preisgegeben hat man alles, was hinter dem Damme stand, mit den Entschließungen in Spa, die Staatsgewalt ohne jeden Vorbehalt den »auf das Ganze«, auf den Umsturz hinarbeitenden Parteien der äußersten Linken ausgeliefert. Vor dem Sturme hätte man sich stark zeigen, hätte man stark sein müssen. Aber das für die Heimat festgelegte Programm des 14. August, das Programm des Durchgreifens, der Ordnung, Straffheit, Energie, des nicht mehr weiter durch die Finger Sehens, das Ludendorff damals in den Tagen der ersten unverkennbar drohenden Zeichen als conditio sine qua non gefordert und dessen Durchführung der Kanzler zugesichert hatte, war unerfüllt geblieben. Nichts war seitdem geschehen. Jetzt, da der Sturm brüllte, war es zu spät, um das Versäumte nachzuholen, um angefaulte Bollwerke zu festigen, vernachlässigte Deiche wieder stark zu machen. Kein noch so genialer Deichhauptmann – und wäre es der unsterbliche Deichhauptmann von Schönhausen selbst gewesen! – konnte die Sünden und verschleppten Schäden langer Jahre in Stunden ungeschehen machen oder heilen. Daß wir die feste Hand in der Heimat nicht mehr gekannt, daß die Regierung seit Jahren dort nicht mehr geführt, sondern alle Dinge hatte laufen lassen, das hat in seinen Auswirkungen jetzt über Vorherrschaft von hüben oder drüben entschieden. Und Männer, deren letzte Weisheit es gewesen ist, die Verantwortlichkeit für die Folgen ihres Versagens auf fremde Schultern zu legen, haben damit an diesem Tage schon den Monarchismus mit einer Verbeugung vor den Demokratisierungsforderungen unserer Feinde und vor den drohenden Internationalen aller Schattierungen preisgegeben. Der Staatssekretär des Auswärtigen, Exzellenz von Hintze, hat es, wie ich schon sagte, damals auf sich genommen, über den Zustand auch im Innern zu referieren und die »Revolution von oben« – die, wie die Dinge lagen, nichts anderes war als die Kapitulation auf Gnade und Ungnade – als Ausweg zu empfehlen. Seltsam, daß dieser Mann, dem nach rühmlicher Vergangenheit Ruf und Zutrauen vorausgingen, der als Kühlmanns Nachfolger noch Großes hätte leisten können, diesen Weg ging! –
Was ich hier zuletzt niederschrieb, sind, das muß ehrlich gesagt werden, zum Teil posthume Erwägungen und Einsichten. Damals drängten, in knappe Stunden eingepreßt, so viele aufrührende Nachrichten auf mich ein – der ich aus der Schlacht kam und wieder fort zu meiner Heeresgruppe, meinen Truppen, in die Schlacht drängte – daß ich nur Umrisse aufnahm. Um meine Meinung zu all den brodelnden Problemen, zu all den meist schon unumstößlich fest getroffenen, teils noch aus Wehen drängenden Entschließungen wurde ich nicht gefragt. Gerade daß man sich erinnert hatte, daß der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe auch Kronprinz des Deutschen Reiches und von Preußen war. Unverantwortlich, rechtlos, aber immerhin ... So war ich denn gerufen worden – so mußte ich denn, während tausend Stimmen mich fort an die Stelle meiner Soldatenpflicht riefen, mit ansehen, wie die Ereignisse unaufhaltsam dem Zusammenbruch zutrieben.
Der Kaiser reiste sogleich nach Abschluß der Besprechungen nach der Heimat zurück, wohin ihm der Generalfeldmarschall am 1. Oktober folgte – wie er selbst aussprach, um Seiner Majestät in diesen Tagen schwerster Entschlüsse nahe zu sein und um der in Bildung begriffenen neuen Regierung Aufschlüsse geben und ihr Vertrauen stärken zu können.
Schon am 2. Oktober verdichteten sich die Anzeichen dafür, daß die Wahl des Reichskanzlers trotz der anfänglichen Bedenken auf den Prinzen Max von Baden fallen würde, der, wie man damals annahm, nach Herkunft und Persönlichkeit die Gewähr bot, daß er bei der anscheinend notwendig gewordenen Neuordnung der inneren Politik die Interessen der Krone gerecht wahren werde. Bei den Vorverhandlungen schien der Prinz sich restlos auf das offizielle Programm der Mehrheitsparteien gestellt zu haben.