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Es war nun zu beraten, wie man sich für den weiteren Marsch einrichten sollte; die Vorschläge dazu wurden von Xenophon gemacht. Er sagte: »Zunächst müssen wir uns mit Lebensmitteln versehen, und ich höre, daß unweit von hier reiche Dörfer liegen, wo wir sie finden werden. Die Barbaren werden wohl wie feige Hunde sein, welche einem Mann, der an ihnen vorübergeht, nachlaufen und ihn zu beißen suchen; wenn er sie aber verfolgt, vor ihm fliehen. Sobald wir aufbrechen, müssen wir also eines Überfalls gewärtig sein und daher gleich jetzt beraten, in welcher Ordnung wir am sichersten marschieren. Ich meine, wir stellen uns in der Form eines gleichseitigen Vierecks auf, und um den Troß und die Zugtiere gegen den Feind zu schützen, nehmen wir sie in den inneren hohlen Raum auf. Cheirisophos soll die Vorhut führen, das gebührt ihm, da er ein Spartaner ist« (die Spartaner waren damals die herrschende Macht in Hellas), »je zwei der ältesten Obersten hüten die Seiten, ich und Timalion befehligen den Nachtrab. Wenn es uns etwa später scheint, daß eine andere Ordnung zweckmäßiger ist, so können wir es ja ändern. Wer etwas Besseres weiß, sage es.« Alles schwieg. »So hebt die Hände auf, die ihr damit einverstanden seid!« Alles hob die Hände auf, also war es angenommen.
Xenophon bedachte ferner, daß eine Truppe um so geeigneter zum Kampfe ist, je weniger sie mitzuschleppen hat, daher riet er, alles, was von Gepäck und anderen Dingen nicht durchaus notwendig sei, zu verbrennen. Auch dies wurde angenommen. Zum Schluß richtete er noch eine kurze Ermahnung an die Soldaten: »Wer von euch seine Liebsten wiedersehen will, gedenke, daß er tapfer sein muß; wer sein Leben retten will, strebe zu siegen; wer sich mit Beute bereichern will, den Feind zu schlagen; nur die Sieger können das Ihrige schützen und das Gut der Besiegten gewinnen.« Nun löste sich die Versammlung auf, die Soldaten zerstreuten sich und wählten aus, was sie nicht entbehren konnten. Manchem war überflüssig, was ein anderer brauchte, dies wurde an den, dem es fehlte, gegeben und das übrige, wie Wagen und Zelte, ins Feuer geworfen.
Sie waren eben dabei, ihr Frühmahl zu bereiten, als der Perser Mithridates mit dreißig Reitern kam, die Obersten vor das Lager rufen ließ und zu ihnen sagte: »Ich war, wie ihr wißt, auf seiten des Kyros und bin euer Freund. Bei Tissaphernes behagt es mir nicht, ich fürchte seine Rache. Wenn ich nun hörte, daß ihr einen klugen Rat für eure Rettung gefaßt habt, würde ich gern mit meinen Begleitern zu euch übergehen und mit euch ziehen. Sagt mir also, was ihr im Sinne habt.« Die Obersten berieten sich und Cheirisophos antwortete, was sie schon mehrmals erklärt hatten: »Wenn man uns friedlich nach Hause ziehen läßt, wollen wir mit aller möglichen Schonung des Landes unseren Weg fortsetzen; will man uns aber daran hindern, so werden wir aus aller Kraft kämpfen.« Als nun Mithridates die Hellenen zu überzeugen suchte, daß sie sich ohne den guten Willen des Großkönigs nicht würden retten können, wurde es den Obersten offenbar, daß er von den Feinden angestiftet war, sie in Versuchung zu führen, zumal da sie unter seinem Gefolge einen Anhänger des Tissaphernes erkannten, der ohne Zweifel mitgeschickt war, um Mithridates zu überwachen, ob er auch ganz nach dem Willen des Tissaphernes sprechen würde. Mithridates ritt fort, und die Hellenen beschlossen, von nun an keinen Gesandten des Königs mehr anzunehmen. Schon am Tage vorher hatten sich Perser in das Lager geschlichen und einen Hauptmann beschwatzt, mit etwa zwanzig Mann zum Feinde überzugehen.
Nach dem Frühmahl brachen die Hellenen in der verabredeten Ordnung auf. Sie waren noch nicht weit marschiert, da zeigte sich Mithridates wieder, diesmal mit 200 Reitern und 400 Bogenschützen und Schleuderern, und zog hinter dem Nachtrab her. Er nahm zuerst den Schein an, als ob er in freundlicher Gesinnung käme; wie er aber nahe war, wurden die Hintersten mit einem Hagel von Pfeilen und Steinen überschüttet.
Eine Zeitlang wollte sich Xenophon nicht aufhalten lassen; als aber die Geschosse immer dichter und dichter fielen, befahl er dem Nachtrab, die Feinde zurückzutreiben. Dies hatte freilich den Erfolg, daß sie sofort flohen, aber sobald die Seinigen umkehrten, um sich dem Heere anzuschließen, waren jene ihnen alsbald wieder auf den Fersen und taten wie vorher. Dies wiederholte sich während des Tages noch vielmals, so daß sie bis zum Abend kaum eine halbe Meile Wegs zurücklegten. Als sie in den reichen Dörfern, ihrem nächsten Ziele, anlangten, machten Cheirisophos und andere Obersten Xenophon den Vorwurf, er habe ihren Marsch so oft aufgehalten und doch nichts damit erreicht. Vielleicht war der Vorwurf ungerecht, doch Xenophon erwiderte: »Ihr mögt wohl recht haben, aber den Göttern sei Dank, wir haben es nur mit einer kleineren Schar zu tun gehabt, die nicht gar zu viel Schaden anrichten konnte. Und für eins haben wir sogar, wie ich glaube, dem Feinde zu danken, er hat uns heute gelehrt, woran es uns noch fehlt. Die Perser schießen und schleudern weiter als wir, auch haben sie Reiter, und die haben wir nicht. Unter solchen Umständen würde der Kampf immer ein zu unserem Nachteil ungleicher bleiben. Wir müssen uns also besser einrichten und können es auch. Hört, wozu ich rate. Wie ich weiß, haben wir im Heere viele Männer aus Rhodos, von denen sich die meisten auf die Schleuder besser verstehen als unsere Kreter, ihre Geschosse fliegen doppelt so weit als die der Perser, da diese schwere faustgroße Steine, die Rhodier aber kleine Bleikugeln schleudern. Wir wollen also nachfragen, wer von ihnen eine Schleuder besitzt, wer neue Schleudern zu flechten versteht, und so eine Schar tüchtiger Schützen herstellen. Was den Mangel an Reiterei betrifft, so fehlt es uns nicht an Pferden, ich habe einige, andere hat uns Klearchos hinterlassen, auch befinden sich unter den Zugtieren viele erbeutete Pferde, und jeder, der uns seine Pferde überläßt, soll dafür durch andere Zugtiere entschädigt werden.« Die Vorschläge wurden angenommen und während der Nacht in Ausführung gebracht. Am Morgen hatte man etwa 500 rhodische Schleuderer beisammen und 50 mit der nötigen Rüstung ausgestattete Reiter, zu deren Anführer der Athener Lykios erwählt wurde.
Einen Tag blieben die Hellenen noch in den Dörfern, am nächsten wurde früher als sonst ausgerückt, denn man hatte bald durch eine waldige Schlucht zu ziehen und wollte diese hinter sich haben, bevor die Feinde erschienen, die ihnen den Durchzug sehr erschweren konnten. Der frühe Aufbruch belohnte sich; die Hellenen waren schon eine gute Strecke jenseits der Schlucht, als sich wieder Mithridates zeigte und zwar mit einer größeren Schar als früher. Da seine kleine Schar am letzten Kampftage nur geringen Verlust gehabt, er dagegen, wie er meinte, den Hellenen bedeutenden Schaden getan hatte, erbot er sich gegen Tissaphernes sämtliche Feinde in seine Hand zu liefern, wenn er ihm 1000 Reiter und 4000 Bogenschützen und Schleuderer gäbe, was denn auch geschah. Die Hellenen hatten sich aber auf seinen Angriff vorbereitet; sie ließen ihn ungehindert durch die Schlucht ziehen, doch als er sich ihnen auf dem freien Felde bis auf Schußweite genähert, ertönte die Trompete und eilten ihm das leichte Fußvolk und die neugebildete Reiterei entgegen. Darauf waren die Barbaren nicht gefaßt, und in Schrecken gesetzt, flohen sie sofort nach der Schlucht zurück, wo sie durch die Bäume und Büsche vielfach aufgehalten wurden. Die Hellenen mit ihren Reitern konnten sie nun besser verfolgen als vordem, und so wurden viele des feindlichen Fußvolks erschlagen und achtzehn Reiter mit ihren Pferden gefangen genommen. Die Leichen der Erschlagenen wurden gräßlich verstümmelt, um den Barbaren Furcht einzujagen.
Während der nächsten Tage hatten die Hellenen Ruhe vor dem Feinde, dann aber kam Tissaphernes mit seinem ganzen Heere an und wohl mit der Erwartung, daß er ihnen nun den Garaus machen würde. Die Hauptmasse des Heeres hielt Tissaphernes vorläufig zurück, befahl aber den sehr zahlreichen Schleuderern und Bogenschützen vorzurücken. Die Hellenen taten das gleiche, die rhodischen Schleuderer warfen ihre Bleikugeln, die Bogenschützen entsandten ihre Pfeile und bei der breiten Masse der Feinde mußte jeder Wurf und jeder Schuß seinen Mann treffen, was Tissaphernes bewog, nicht nur seine Leichtbewaffneten aus der Schußweite zurückzuziehen, sondern auch den Kampf für diesen Tag ganz aufzugeben. Während die Hellenen ihres Weges weiter marschierten, ließ er das Nachtlager aufschlagen. Eine wertvolle Beute machten die Hellenen diesen Tag an den größeren und stärkeren Bogen der Perser und den dazu gehörigen Pfeilen. Wo sie solche unterwegs fanden, nahmen sie sie auf, und als sie wieder in Dörfern waren, übten sie sich in deren Gebrauch; hier erhielten sie auch treffliche Bogensehnen und für die Schleuderer Blei in Menge.
Tags darauf ging ihr Zug durch meistens ebenes Land; Tissaphernes war immer hinter ihnen zu sehen und ließ sie, wo die Gelegenheit günstig schien, nach Kräften beunruhigen, was den Hellenen denn doch empfindlichen Verlust brachte. Da erkannten die Obersten, daß die Formation zu einem massenhaften, fest geschlossenen Viereck, wenn das Heer dicht vor dem Feinde herzog, auch ihre Nachteile hatte. Es war bisweilen ein Hohlweg zu passieren oder Brücken mußten überschritten werden, und dann entstand immer Unordnung, indem sich die Truppen in zu großer Menge nach dem Ausgang hindrängten, und kamen sie auf breiteres Land und sollten sich wieder zum Viereck formieren, so blieben unter dem Drange der Umstände größere oder kleinere Lücken und beides konnten die Feinde zum Schaden des Heeres benutzen. Darum beschlossen sie, eine Anzahl von kleineren Scharen zu bilden, solche zu 100 Mann, zu 50, zu 25, und jeder derselben einen besonderen Führer zu geben. Traf man nun auf einen engen Weg, so ließen die Führer ihre größeren oder kleineren Scharen in gehöriger Ordnung hintereinander vorrücken; war dagegen der Raum wieder weit, und sollten breite Linien gebildet werden, so schoben sich je nach den Lücken Scharen zu 100, zu 50 oder zu 25 Mann ein. Es war einigermaßen ähnlich, wie wenn einer großes, kleines und kleinstes Geld bei sich führt, um eine Zahlung mit der Forderung genau stimmig zu machen. Infolge dieser Einrichtung erlitten die Hellenen in den nächsten vier Tagen nur geringen Verlust.
Am fünften gewahrten sie in der Ferne einen Palast, von Dörfern umgeben, und nahmen diesen zum Ziele. Der Weg ging über eine Reihe von Hügeln und darüber freuten sie sich, denn das bergische Terrain war der gefährlichen persischen Reiterei unbequem. Aber dieser Tag sollte doch einer der verlustreichsten für sie werden. Sie hatten den ersten Hügel erstiegen und gingen nun hinab, um auf den zweiten zu kommen. Da zeigen sich die Feinde auf der eben verlassenen Höhe und schleudern von oben her Steine und Pfeile auf das leichte Fußvolk, durch welche viele verwundet werden. Um die Feinde zu verjagen, macht eine Reihe von Hopliten, die mit ihren Panzern und Schilden die Wurfgeschosse nicht viel zu fürchten hatten, kehrt und marschiert aufwärts, aber wegen der Schwere ihrer Rüstung können sie nur langsam den Berg erklimmen, während die leichtfüßigen Gegner sich schnell der Gefahr entziehen. Wie nun die Hopliten sich bergabwärts zu den Ihrigen zurückbegeben, sind jene sogleich wieder oben und beschießen die Hellenen aufs neue. Ebenso ging es, als sie über den zweiten Hügel stiegen. Hier erhielten die persischen Reiter Befehl, in schnellem Ritt die steile Hügelwand hinab jenen nachzujagen, doch gehorchten sie erst, als sie durch Peitschenhiebe dazu angetrieben wurden.
Die hellenischen Leichtbewaffneten mußten wegen der großen Gefahr, da sie weder Helm noch Panzer hatten, aus dem Kampfe zurückgezogen werden. Da wurde haltgemacht, die Obersten berieten sich und griffen die Sache anders an. Zur Seite war ein höherer, in der Richtung des Marsches sich weit hinziehender Berg, an welchem ihr Weg über die Hügel vorbei führte. Auf diesen wurden die Leichtbewaffneten geschickt mit der Weisung, immer den unten marschierenden Genossen zur Seite weiter vorzurücken und, wenn diese wieder einen Hügel erstiegen, die verfolgenden Feinde von oben mit ihren Geschossen zu bestreichen. Sobald die Perser dies sahen, standen sie von weiterer Verfolgung ab; sie besorgten mit Recht, durch die Hellenen oben und unten in die Mitte genommen und von den Ihrigen abgeschnitten zu werden. Auf diese Weise konnten nun die Hellenen ruhig weiter ziehen, das leichte Fußvolk oben, das schwere über die Hügel.
Endlich langten sie bei den Dörfern an. Vor allem wurden sämtliche Heilverständige, es waren acht, berufen, die vielen Verwundeten zu pflegen. Man blieb hier drei Tage, teils wegen der Kranken, teils auch, weil sich da große Vorräte von Weizenmehl, Gerste und Wein vorfanden, deren sich die Hellenen ohne Bezahlung –es war ja Feindesland –bemächtigten. Tissaphernes bekamen sie während dieser Rasttage nicht zu sehen; erst als sie am vierten Tage in der Ebene weitermarschierten, war er und das gesamte Heer wieder da. Die Hellenen befanden sich in einer bedenklichen Lage; viele von ihnen waren kampfunfähig, nicht bloß die Verwundeten, sondern auch die, welche sie geleiteten, und die, welche die Waffen der Geleiter zu tragen hatten. Ihre Wagen, auf denen die Kranken hätten fahren können, waren ja längst verbrannt. Sie sahen also ein, daß sie auf offenem Felde dem Feinde schwerlich gewachsen sein würden, und zogen sich, als sie ein Dorf erreichten, an die Häuser desselben zurück, um sich den Rücken zu decken und nicht wieder zugleich marschieren und kämpfen zu müssen. Und als nun die Feinde anrückten, schlugen sie sie bald in die Flucht.
Zur Nachtzeit hatten sie von den Persern nichts zu fürchten; denn aus Besorgnis vor einem Überfall schlugen diese ihr Lager immer in der Entfernung von wenigstens anderthalb Meilen hinter ihnen auf. Als sich nun die Feinde zurückgezogen, machten die Hellenen noch einen Marsch von gleichfalls anderthalb Meilen, so daß sie jenen um drei Meilen voraus waren. Infolgedessen blieben sie zwei Tage hindurch von ihnen unbehelligt. Aber in der dritten Nacht eilte ihnen Tissaphernes auf einem Nebenwege nicht nur nach, sondern noch voraus. Denn die Hellenen kamen jetzt wieder in eine bergige Gegend, und Tissaphernes hoffte sie am weiteren Marsch zu hindern, wenn er eine Höhe besetzen ließ, an der sie vorbeiziehen mußten. Als Cheirisophos die Höhe besetzt fand, ließ er Xenophon vom Nachtrab zu sich rufen und beriet mit ihm, was da zu tun sei. Es war klar, daß die Perser aus ihrer beherrschenden Stellung vertrieben werden mußten, und zwar ohne Zögern, denn Tissaphernes war bereits mit dem übrigen Heer nicht weit hinter ihnen. Da bemerkte Xenophon, daß von dem steilen Gipfel eines Berges, der über der besetzten Anhöhe aufragte, ein Weg zu dieser herabführte, und sagte: »Wir müssen schnell den höheren Berg besetzen, dann können wir die Feinde von ihrem Posten vertreiben. Wenn du willst, bleibe beim Heere und laß mich die Soldaten auf den Weg führen, oder führe du sie, und ich bleibe unten.« Cheirisophos antwortete: »Du magst wählen.« –»Wohl,« erwiderte Xenophon, »ich bin jünger als du, ich will hinauf.« Cheirisophos gab ihm die nötige Mannschaft, und er machte sich auf. Eine Zeitlang waren sie durch Bäume und Buschwerk gedeckt; als aber die Feinde sie sahen und ihre Absicht erkannten, beeilten sie sich ihnen zuvorzukommen. Nun begann ein Wettlauf, der freilich bei dem steilen Aufstieg nichts weniger als ein eigentlicher Lauf sein konnte. Hellenen und Perser gingen auf verschiedenen Wegen und verfolgten beständig die Fortschritte der Gegner; bald schien der eine, bald der andere Trupp im Vorteil zu sein, von unten erscholl auf beiden Seiten unaufhörliches Geschrei, die Genossen zu höchster Anstrengung anzufeuern; man wußte hüben und drüben, was auf dem Spiele stand. Xenophon war zu Pferde; er ritt an den Seinigen vorüber und rief ihnen zu: »Jetzt bedenkt, daß ihr um die Rückkehr in die Heimat, zu euren Frauen und Kindern ringt; noch eine kurze Mühe, so wird der ganze übrige Weg leicht sein.« Einer der Soldaten, mit Namen Soterides, sah ihn mürrisch an und sagte: »Du hast gut reden, Xenophon, du kannst bequem reiten, ich aber ächze unter dem schweren Schilde.« Xenophon sprang vom Pferde, stieß ihn aus der Reihe, nahm seinen Schild, obwohl er schon den schweren Reiterpanzer trug, und arbeitete sich zu Fuß wie ein gemeiner Soldat den Berg hinauf. Das gefiel den anderen; sie schalten und schlugen Soterides so lange, bis der Verzagte sich entschloß, Xenophon den Schild wieder abzunehmen und die Mühe der Kameraden zu teilen. So lange es möglich war, ritt nun Xenophon wieder; bald aber wurde der Weg so schwierig, daß er das Pferd stehen lassen und zu Fuß weiter klimmen mußte. Die Feinde hatten nur noch eine kurze Strecke vor sich, als die ersten Hellenen auf der Höhe erschienen und in der günstigen Stellung sich zum Kampfe anschickten. Da flohen die Feinde, wo sie Weg fanden, und bald war weder von der Besatzung der Anhöhe noch von dem unten stehenden Heere etwas zu sehen. Die Straße war frei, und die Hellenen konnten sich nach einem kurzen Marsche von ihren Anstrengungen in einem reichen Dorfe erholen. Es traf sich auch für sie so glücklich, daß gerade jetzt in dem Dorfe eine große Zahl von Rinder- und anderen Herden zusammengetrieben war, die über den nahen Tigrisstrom geschafft werden sollten, nun aber die Beute der Hellenen wurden.
Doch wie nun weiter? Diese Frage machte den Obersten schwere Sorge. Jenseits der fruchtbaren Ebene, in der man sich befand, stieg weithin ein sehr wildes und hohes Gebirgsland auf, wo ihnen Hindernisse und Gefahren der mannigfachsten Art sowohl von der Natur als von den Bewohnern des Landes drohten. Daran vorüberzugehen, war nicht möglich, denn das Gebirge stieg unmittelbar am Flußufer auf, die äußersten, sehr schroffen Felsen hingen noch über dem Wasser, so daß nicht einmal ein Einzelner zwischen Gebirge und Fluß gehen konnte. Andererseits war es auch unmöglich, den breiten Tigrisstrom zu durchwaten, denn als man seine Tiefe dicht am Ufer maß, fand selbst die längste Lanze keinen Grund. Während die Obersten unter sich Rat hielten, kam ein Soldat aus Rhodos und sagte: »Wenn ihr mir ein gut Stück Geld versprecht und alles hergebt, was zur Ausführung meines Planes nötig ist, so will ich euch eine Brücke über den Tigris bauen, die 4000 Hopliten trägt.« Auf die Frage, wie er es anstellen wolle, ließ er sich so aus: »Wir haben hier viele Schafe, Rinder, Ziegen und Esel, die müssen ihre Felle hergeben, denn ich brauche 2000 lederne Schläuche. Aus den Fellen werden Säcke gemacht, diese aufgeblasen und gut verschlossen. Ferner müßt ihr mir alle Stricke geben, an denen die Zugtiere geführt werden. An jedem Sack befestige ich zwei Stricke mit Steinen daran, wie ein Paar Anker. Wenn dann die Schläuche unter sich verbunden sind, so werden sie reichlich mit Strauchwerk und Erde bedeckt, und die Brücke ist fertig. Denn jeder Schlauch wird zwei Männer tragen und die Aufschüttung sie vor dem Ausgleiten schützen.« Die Obersten lobten den guten Einfall, konnten aber leider keinen Gebrauch davon machen, denn jenseits des Flusses war bereits eine beträchtliche Zahl von persischen Reitern zu sehen, denen es ein Leichtes gewesen wäre, die an der Brücke beschäftigten Arbeiter, lange bevor der Bau bis zum Ufer gelangte, mit ihren trefflichen Bogen niederzuschießen.
Also an einen Übergang über den Fluß war nicht zu denken, blieb daher nur der Weg durchs Gebirge übrig. Aber wohin kam man, wenn es gelungen war, sich durch die Berge durchzuschlagen? Die Hellenen waren wie Schiffer, die durch heftige Stürme weitab von den ihnen bekannten Pfaden des Meeres verschlagen sind, sie wußten nicht, in welcher Umgebung sie sich befanden, welche Landschaften vor, hinter, zu beiden Seiten von ihnen lagen. Sie hätten gewiß von ihrem schon knapp gewordenen Gelde gern einen großen Teil hingegeben, wenn sie damit ein kleines Blättchen hätten erlangen können, das heutzutage überall für wenige Groschen zu haben ist, –eine Karte des Landes, in dem sie umherschweiften; aber geographische Karten gab es damals noch nicht. Sie mußten also die Gefangenen befragen, die sie in den letzten Kämpfen gemacht hatten, und erfuhren, im Süden, von wo sie gekommen, sei Babylonien und Medien gelegen, ostwärts komme man nach Susa und Babylon, westwärts nach Lydien und Ionien, und der Weg nach Norden führe in das Land der Karduchen, das vor ihren Augen lag. Diese wohnten in den Tälern des Gebirges, seien sehr kriegerisch und den Persern nicht untertan. Die Perser seien einmal mit einem Heere von 120 000 Mann in ihr Land eingefallen, aber es sei überall geschlagen, und keiner von ihnen habe die Heimat wieder gesehen. Wenn die Hellenen hier glücklich hindurchkämen, würden sie nach Armenien gelangen und von da ohne Hindernis weiterziehen können.
Mit Tissaphernes hatten die Hellenen nun nichts mehr zu schaffen. Nach dem schmählichen Vertragsbruch war sein großes Heer zwanzig Tage lang hinter den Hellenen wie eine Meute von Hunden hinter einem edlen Hirsch hergerannt, doch hatte es nicht erreicht, was der Rachsucht des Tissaphernes Genüge tun konnte. Wenn die Hellenen erwogen, wie gering in Anbetracht der feindlichen Überzahl ihr Verlust während der langen Hetze gewesen, so durften sie wohl auf ihre Überlegenheit stolz sein und für die feigen und schlecht geführten Perser noch größere Geringschätzung als bisher hegen.