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Eine Wolke steht im westlichen Himmel von Oberalpen, eine Wolke in eitel blitzendem, scheinendem Blau. Ihre Ränder sind scharf wie der Bug eines weißgestrichenen Schiffes, wo er ins klare Wasser taucht. Das Weiß ist so blendend, daß es zu brennen scheint; gegen ihre Mitte verdunkelt sich die Wolke, ihr Innerstes ist schwarz wie schwerer Qualm. Da und dort schaut ein Oberalpener den Himmel an: »Heute könnte es ein Wetter geben,« meint er. Auf dem freien Platz vor dem Kreuzwirtshaus stehen zwei, davon murrt einer dem andern wie unter einem Unbehagen zu. »Da oben am Himmel hängt's wie Hagel.«
»Hagel im Herbst,« lacht der andre, aber auch er windet sich bei den Worten, als trüge er in der Schwüle schweißfeuchtgewordenes Gewand.
Am Abend zerflattert die Wolke in Fetzen, die flüchtig mit dem Westwind über die östlichen Berge fahren, aber im Norden kracht es; über den Schöllenen ist der Himmel nachtschwarz, der Widerschein im Tal tobender Wetterschlachten zuckt daran. »Da unten geht es bös zu,« sagen die von Oberalpen.
Die Violanta hat aus dem Fenster einer Bodenkammer, wo sie am Morgen Wäsche aufgehängt hat, die Wolke blitzen sehen; seltsam nah ist sie dagestanden, als sollten im nächsten Augenblick ihre Feuerspieße hervorzucken und durchs Fenster niederfahren. Die Violanta hat die Wolke wie eine Erscheinung angestarrt. Wie auf sie geworfen mit aller Macht ist der Vergleich seither in ihren Gedanken, daß auch in ihrem Leben eine Wolke steht. Aber als die am Himmel, ohne Schaden zu tun, zerflattert ist, steht die ihrige noch da, nur dunkler und schwerer geworden, wie alles dunkler und schwerer wird, wenn es dem Abend zugeht.
Der Adelrich kommt von der niederen Alpe, wo das Vieh jetzt weidet, heim an dem Abend. Ein paar Tage, seit der Viehhändler dagewesen, ist er brummig gewesen, schlecht ausgelegt. Heute bringt er seine ganze frohe Laune mit, scherzt und tollt mit den Kindern schon auf der Treppe und trägt eine laute Fröhlichkeit in die stille Stube hinein, wo die Rennerin über einem Nähzeug sitzt. Er legt Hut und Rock ab, die Kinder fahren ihm um die Beine; er neckt sie; sie schreien, einige Augenblicke herrscht ein tolles Treiben in der Stube. Endlich wirft der Bauer sich außer Atem in einen Stuhl am Tische, der schon die einfachen Bestecke für die Abendmahlzeit trägt. »Wo ist die Mutter?« fragt er die Kinder. »Holt die Mutter!« jagt er sie gleich darauf mit Lachen hinaus. Dann wendet er sich der Rennerin zu; der hat sich die schwarze Haube, die sie trägt, auf dem spärlichen Haar verschoben.
»Eure Haube will Euch fort, Mutter,« sagt er, noch immer scherzend. Die Alte hat einen sinnenden Blick; schon geraume Zeit hat ihre Nadel geruht. Gedankenlos schiebt sie die Haube zurecht. Dann ist es einen Augenblick still in der Stube; Adelrich schenkt sich ein Glas Wein ein aus der Flasche, die auf dem Tische steht. »Durst habe ich,« sagt er gleichsam entschuldigend; er ist kein Weintrinker sonst. Da sieht die Mutter ihn aus ihren trüben Augen an. »Du, Adi,« sagt sie, »nachfragen sollte man dem Marianus doch einmal.«
Der Adelrich ist mit einem Schlage ernst, er wendet sich seitwärts, legt dann einen Arm auf den Tisch und läßt den Kopf nachdenklich vornüberhängen. »Nachfragen, Mutter?« sagt er.
»Es könnte ja doch sein,« fährt die Rennerin stockend fort, »ich meine halt – wenn einer viel studiert, fällt ihm manches ein, – er könnte sich ja gebessert haben, in – in Amerika drüben, und traut sich jetzt nicht heim.«
Adelrich hat ein Wort auf der Zunge: Der Marianus hat viel Zeit gehabt, sich zu bessern, er hat es nie getan! Aber er bringt es nicht über sich, von dem Bruder schlecht zu reden. »Ja, ja,« gibt er zu, »nachfragen kann man ihm einmal.« Seine Antwort klingt vielleicht nicht ganz so bereitwillig, wie die Rennerin erwartet. Aber sie kann nicht weiter sprechen; das Trampeln schwerer Schuhe tönt unten im Hausflur. Eine Magd tritt mit einer Schüssel dampfender Suppe ein und stellt sie auf den Tisch; dann kommen, eins ums andere, die Knechte und Mägde hereingestampft. Jedes sagt einen kurzen Gruß, geht an den Tisch, rückt geräuschvoll einen Stuhl und läßt sich nieder. So bilden sich die Reihen zu beiden Seiten des Tisches, der Adelrich wendet sich um, und die Rennerin setzt sich ihm gegenüber. Seit er verheiratet ist, hat er den Platz zu Häupten des Tisches inne, noch aber sitzt er heute dort, wo sonst Violanta neben den Kindern ihren Sitz hat. Nun sagt er mit plötzlichem Einfall: »Heute muß einmal die Frau den Präsidenten machen.« Seine gute Laune will zurückkommen, halb aber sind seine Worte ernst gemeint; denn er tut sich nie genug damit, sein Weib auf alle Art hoch zu halten. In dem Augenblick tritt die Violanta ein, sie geht in schlichtem, dunklem Kleid wie immer; wer genau hinsähe, möchte sie bleicher finden denn sonst, und um ihren Mund ist ein Zug herber, fast verbissener Heftigkeit.
»Guten Abend,« sagt sie, als sie, die Kinder an der Hand, sich dem Tische nähert.
»Guten Abend«, antwortet ihr der Gruß des Gesindes. Es ist keine einzige leise oder zögernde Stimme dabei, vielmehr ist es, als springe ein Gruß dem andern rasch und begierig voraus; Violanta kann alle Tage merken, wie sie im Hause die erste geworden ist. Sie tritt an Adelrich heran, dem sie mit einem »Guten Abend, du,« die Hand auf die Schulter legt. »Nun,« sagt sie dann, während die Kinder auf ihre Stühle klettern, erwartend, daß der Bauer ihr den Platz überlasse. Der nimmt ihr die Arme mit beiden festen Fäusten und drückt sie auf den Stuhl am oberen Tischende. »Präsidentin sollst jetzt einmal sein,« sagt er mit Lachen. Sie sperrt sich ein wenig; ein leises Glimmen kommt in ihre Wangen, aber ihre Augen blitzen froh; dann setzt sie sich mit einem »Nun denn«, zurecht, lacht den fröhlichen Gesichtern zu, die von unten her sich nach ihr wenden, legt dann die Hände zusammen und spricht das Tischgebet laut, mit klingender Stimme. Alsdann beginnt die Mahlzeit. Der kleine Adel und das Fini kichern und können sich nicht erholen vor Staunen, daß die Mutter so erhöht ist. Der Bauer aber meint ganz ernsthaft: »Immer solltest da oben sitzen, Frau.«
»Die erste in der Arbeit, die erste am Tisch,« spricht die Rennerin darein; sie ist keine, die Worte macht. Auch diese Rede klingt ruhig, fast nüchtern, aber Violanta kann kein besseres Zeugnis haben für das, was sie gilt und geworden ist. Sie sitzt frei und lächelnd da; fast will ihr wieder leicht werden wie in den ersten frohen Zeiten. »Euch selber rühmt Ihr, Mutter,« sagt sie, »bei Euch bin ich in die Schule gegangen.«
So liegt über dem Beginn der Mahlzeit für alle eine wundersame Behaglichkeit und Zufriedenheit. Die Löffel klappern, es wird nicht mehr gesprochen.
Da geht drüben die Tür auf. Die fleißigen Esser haben keine Schritte auf Treppe und Flur gehört. Mit einem Schlage stockt bei dem jähen Türaufgehen das Geräusch der Löffel. Ein Lachen kommt von der Tür her, ein eigentümlich widerlicher, klangloser Ton, fast wie das gehässige heisere Kläffen eines Hundes.
»Du?« sagt die Rennerin. Die alte Frau ist weiß wie ein Linnen; sie ist aufgestanden, aber sie tut keinen Schritt näher zu dem, dem sie im ersten Augenblick hat entgegenfahren wollen.
Adelrich dreht sich um. Noch einmal tönt das seltsame Lachen, dann kommt der, der eingetreten ist, herüber an den Tisch. Er ist derselbe, der er immer gewesen ist, ein großer Mensch mit rassigen Gliedern. Die Hose, die er trägt, reicht kaum an die Schuhe, weil die schwellenden Muskeln der Waden und Oberschenkel sie nicht frei fallen lassen. Die Hose ist scheckig, verlottert. Verlottert ist der Rock, auf den Schultern und über den Rücken hinab ist der ehemals dunkle hellgebrannt von der Sonne, verfärbt vom Regen. Ein schmutziger und zerrissener Hemdkragen schaut daraus hervor; der sehnige Hals und das Kinn sind noch immer schwarz von Bartstoppeln, aber der Schnurrbart ist gewachsen, ist stark und kohlrabenschwarz. Die hellen Augen glimmen aus tiefen Höhlen, aus einem Gesicht, dessen Wetterfarbe nicht zu bleichen ist, aus dem nur das böse Leben Stücke gemeißelt hat, so daß überall die Knochen herausstehen, grob, knorrig.
»Da bin ich,« sagt der Marianus. Mit dem einen Bein langt er rückwärts nach einem hinter ihm stehenden Stuhl und zieht ihn, mit dem Fuß einhakend, heran. Zwischen Adelrich und dem Platz der Violanta läßt er sich am Tische nieder, ohne Fragen, klotzig, als wäre er alle Tage zum Essen gekommen.
»Ich habe Hunger,« sagt er, »gibt es noch etwas für mich?«
Die Violanta ist aufgestanden. Sie nimmt die leere Schüssel vom Tisch, geht in die Küche hinaus und bringt sie zurück mit Suppe für den Marianus. Fest setzt sie sie vor ihn auf den Tisch. Sie ist seltsam anzusehen, die Violanta. Ihre Kraft ist so groß, daß kein Nerv an ihr zittert, nun das an sie kommt, was wie eine Schlange langsam züngelnd an sie herangekrochen ist, und dessen Giftbiß jeden Augenblick ihr ins Leben gehen kann. Nur ihre Nasenflügel öffnen sich weit wie bei einem erschreckten Pferde. Als sie mit der schweren Schüssel über dem Kopf des Marianus steht, zuckt es ihr in den Armen. Sie fühlt es in sich, daß sie sich nicht vor ihm fürchtet; einen Augenblick zuckt es in ihr auf, die Schüssel niederzustoßen auf seinen Schädel, gleich einem zertrümmernden Hammer, darum kracht es ganz, als sie sie statt dessen vor ihn auf den Tisch setzt. Marianus blickt auf und lacht wieder, dann macht er sich hungrig über die Suppe; die Violanta setzt sich auf ihren Platz neben ihn, weil sie das muß; während des Essens dreht er sich manchmal ihr zu, dann kichert er jedesmal in den Teller hinein, und jedesmal bäumt sich in der Violanta etwas auf, als müßte sie auffahren und ihn anschreien: »Aus meinem Hause, Teufel, du!« Das Gesinde hat es mit den Käs- und Brotbissen eilig, die den Rest ihrer Mahlzeit bilden. Jedes weiß, daß die oben am Tisch allein bleiben müssen; so stampft eines nach dem andern willig hinaus. Die Rennerin richtet indessen manchmal eine Frage an den Marianus. »Woher kommst? Bist weit gegangen?« und dergleichen. Wenn sie spricht, läßt er das häßliche Kichern, er sieht sie auch nicht an, verdrossen, mürrisch steht er ihr Rede; es sieht aus, als habe er Scheu vor ihr.
Als die Knechte und Mägde hinaus sind, erhebt sich auch die Violanta. Sie ruft die Kinder, die verschüchtert den fremden Mann anstarren. »Wünscht der Großmutter gute Nacht,« sagt sie; da trippeln die zwei Kleinen zu dem verkümmerten Weibe hinüber, das sich über sie neigt und sie an sich drückt.
»Sie weint,« sagt das kleine Fini, als es sich von ihr abwendet, »warum weint sie?« Niemand gibt Bescheid; die Rennerin hat freilich das Wasser in den trüben Augen stehen. Dann will das Mädchen dem Marianus, vor dem sich der kleine Adel fürchtet, die Rechte hinstrecken, aber Violanta fährt mit ihrer starken Hand dazwischen, faßt das Kind und zieht es mit dem andern hinaus.
»Nacht, Dadi!« ruft unter der Tür der Adel und streckt dem Vater die Hand hin.
»Der Vater kommt zu euch,« sagt Violanta laut; der Adelrich ist vernarrt in die Kinder, es ist kein Tag, daß er nicht vor dem Einschlafen an ihr Bett tritt.
Die Kleinen folgen willig der Mutter, die mit ihnen nach der großen Schlafstube hinaufsteigt. Sie plaudern und lachen; die Mutter gibt spärlichen Bescheid. Während sie die Kinder entkleidet, hört sie die Rennerin schweren Schrittes heraufkommen; die geht an der Tür vorüber, langsam müde, nebenan tritt sie in ihre Schlafkammer. Der Violanta hämmern die Schläfen, ihre Gedanken jagen einander! Unten in der Stube sitzen die Brüder beieinander, was werden sie reden? Was wird der erzählen, der – der Lump? Sie weiß gar nicht, wie sie die Kinder zu Bett bringt, die jetzt in einer gemeinsamen großem Bettstatt, darinnen sie fast ertrinken, an der einen Wand liegen. Sie fährt auf, als die braunen schönen Augen des Adel und die hellen der Fini an ihrem Gesichte hängen; aufs Beten warten die zwei. Da kniet sie nieder, faltet die Hände, und der Bub und das Mädchen legen die ungeschickten kleinen Finger zusammen. Die kleine Fini spricht das Gebet schlicht:
»Vater unser, der du bist in den Himmeln!«
Violanta beißt die Zähne zusammen, es ist ihr, als müßte sie schreien. Mit den Blicken verschlingt sie die zwei Kindergesichter in den rotgeblumten Kissen. Das Herz klopft ihr zum Zerspringen. Ihr gehören die da, ihr! Herrgott! Und nehmen werden sie sie wollen!
Da kommen Schritte die Treppe herauf, schwere. Der Adelrich muß es sein. Wird er – was will er –, wird er es wissen, das, was der – der Lump erzählen kann?
»Gut Nacht,« sagt Violanta, beugt sich nieder und küßt die Kinder kurz, wild. Dann richtet sie sich auf, dreht sich der Tür zu; ihre Fäuste ballen sich. Es soll einer kommen! Wie eine Löwin bäumt sie sich auf vom Bett. Ihr gehören die zwei, ihr!
Dann geht die Tür und der Adelrich kommt herein, ruhig, ein wenig bleich, ein wenig bekümmert, aber mit einem Ausdruck von Liebe im Gesicht, wie immer, wenn er um die Zeit zu Frau und Kindern eintritt. Die Violanta läßt die Arme sinken, es löst sich etwas in ihr; sie sieht ihn an, den Adelrich; arglos ist er wie immer. Scheinbar ruhig langt sie nach Kinderkleidern, die noch herumliegen, und fängt an, aufzuräumen. Adelrich tritt ans Bett und beugt sich zu den Kindern nieder; er spaßt mit ihnen, der Adel kickert, das Fini stößt einen kleinen Schrei aus.
»St,« macht die Mutter.
Da sagt der Adelrich ein lautes »Schlaft jetzt!« und tritt vom Bett weg. Er tritt hinter die Violanta.
»Er ist fort,« flüstert er.
»Fort?« fragt sie, sich jäh nach ihm umwendend. Unwillkürlich geht sie neben ihm bis zum Fenster, an das er tritt.
»Das ganze Geld, das der Händler dagelassen hat, hat's gekostet,« sagt er darauf. Beide sehen zum Fenster hinaus, sehen aber nicht, was draußen ist. Der Himmel ist noch hell, von einem letzten blassen Widerschein der versunkenen Sonne übergossen. Aber in der Gasse unten dunkelt es schon. Ihre beiden Gesichter sind beschattet; so kann keines recht gewahren, wie düster das andre blickt.
»Sein Erbe hat er herausverlangt,« flüstert Adelrich wieder, »ich habe es immer gedacht und gesagt, es wird dazu kommen. Für diesmal ist er zufriedengestellt, aber schwer Geld hat's gekostet.«
Die Violanta schweigt. Einen Augenblick stehen sie Schulter an Schulter, in Gedanken versunken hinausblickend.
»Das ganze Geld muß ich wieder holen auf der Bank,« sagt dann Adelrich. Dabei streift seine Hand unwillkürlich bei einer Bewegung, die er macht, die der Violanta; die Berührung jagt ein seltsames Empfinden durch beide. Die Hände verschlingen sich, die Finger pressen sich zusammen, ganz aufrecht stehen sie nebeneinander, der hagere eckige Bauer und das stattliche Weib, sprechen nicht, starren nur voll Sinnens hinaus an den fernen Himmel hin, wo es dunkler und dunkler wird. Dabei wird der Druck ihrer Hände fast schmerzhaft, so fest umklammern sie sich, und sie brauchen nichts zu sagen; sie verstehen sich sonst: wir zwei halten zusammen!
»Der Mutter muß ich es jetzt sagen,« unterbricht Adelrich ein langes Schweigen. Ihre Finger lösen sich, und er geht, so sacht es sich auf schwerem Schuhwerk geht, aus der Stube.
»Mutter,« hört ihn Violanta in der Nebenstube rufen. »Kommt herunter, Mutter.« Dann geht eine Tür, und sie kann hören, wie die beiden über die Treppe hinuntersteigen. Es ist ganz still um sie jetzt, der leise Atem der zwei Kinder, die schon eingeschlafen sind, klingt in die Stube, die immer dunkler wird, sonst rührt sich nichts. Das Dämmerlicht und das leise Atmen kann schläfrig machen; Müdigkeit, freilich nicht Schlaf, fällt auch der Violanta in die Glieder. Sie läßt sich am Fenster in einen Stuhl nieder. Dann verfällt sie in Sinnen. Es ist kein ruhiges Überdenken, die Gedanken jagen und hasten. Sie, in der seit manchem Jahr alles klar und groß und ruhig gewesen ist, hat eine Unrast in sich, die selbst in den starken Körper ein Zittern bringt. Er wird wiederkommen, der Marianus! Der Adelrich hat es selber durchblicken lassen in seinen Worten. Jetzt wankt alles das, was du dir aufgebaut hast, Violanta! Du hättest es nicht wagen sollen, hereinzukommen in das Haus! Stark hast du gemeint, bist du, und wirst Herr werden über alles, was aus der alten Zeit wiederkommen könnte. Hast in dir selber den Wurm vergessen, der an deiner Kraft frißt, daß du jetzt zitterst! Das Gewissen hast vergessen, Violanta!
Sie starrt aus dem Fenster. Im Talboden ist es Nacht, Schatten steigen auf; aus der Tiefe scheinen sie zu kommen, dorther, wo die Schöllenenschlucht ist und es talzu geht. So steigt der Schatten in deinem Leben auf, Violanta! Aus dem Pfuhl der Intschihütte bist auf den Berg der Gutheit gestiegen, und jetzt langes herauf mit Armen, die sich näher und näher recken, und will dich wieder in den Pfuhl zurückziehen.
Nein, bei Gott nicht! Das junge Weib fährt mit einem Ruck aus ihrer zusammengesunkenen Stellung auf, ihre Finger krallen sich zusammen, auch über die Stirn geht ein blitzähnliches, wildes Zucken. Das weiß sie: zurück geht sie nicht! Also sich wehren, sich wehren!
Wenn sie es dem Adelrich sagte! Der Gedanke ist ihr manchmal gekommen. Aber – zu spät ist es zum Beichten! Damals hätte sie es sagen sollen, als er sie zum Weibe verlangt hat. Und hat es nicht können.
Aufrecht und brav ist er, der Adelrich! Nicht mehr ansehen könnte er sie! Eine, die sich beschmutzt hat! Freilich, genommen hat er sie, trotzdem er gewußt hat, woher sie kam. Aber: »Nicht, wo du her bist, was du bist, frag' ich,« hat er einmal gesagt. »Und du bist eine, vor der ich fröhlich den Hut ziehen darf!« Und jetzt soll sie ihm sagen, daß sie das nicht ist? Kein Gedanke daran! Es geht nicht mehr um ihr Glück allein, um die Kinder geht's, um ihn, ums ganze Haus! Schweigen muß sie darum! Wehren muß sie sich, wehren bis aufs Blut, daß nichts auskommt!
Wieder beißt sie die Zähne zusammen, wieder bäumt sie sich wie zum Kampfe auf. Da geht die Tür abermals sacht und sorglich zurück. Adelrich streckt den Kopf herein. »Wo bleibst auch?« fragt er halblaut, um die Kinder nicht zu stören.
»Ich habe nachdenken müssen,« sagt die Violanta und steht auf. Er tritt völlig ein; kaum unterscheidet sie in der Dunkelheit seine linkische, hagere Gestalt; aber sie fühlt sich sicher, weil es dunkel ist.
»Komm jetzt,« sagt er, an sie herantretend. Er schiebt sie mit liebevollem Stoß der Tür zu. Aber ehe sie diese erreicht, tritt er neben sie. Er legt den Arm um ihre Hüften, fast unbewußt lehnt sie sich an ihn. So treten sie auf die Schwelle.
»Du –« sagt da Violanta plötzlich atemlos und hält ihn zurück. Es ist ihr wie angeworfen: Jetzt mußt du es ihm sagen. Aber dann würgt es sie; die Kehle ist ihr verschnürt, der Herzschlag geht ihr so wild, daß sie zu ersticken meint.
»Was ist?« fragt Adelrich ahnungslos.
Da faßt sie sich und geht weiter, so daß er folgen muß.
»Eingefallen ist es mir,« flüstert sie im Hinuntersteigen. »Er wird wiederkommen, der Marianus.«
Er kommt nicht auf den Gedanken, daß sie etwas andres auf der Zunge gehabt haben könnte. »Er wird wiederkommen, sicher,« sagt auch er. Sie seufzen beide tief aus dem Innersten herauf. Dann treten sie unten in die Stube.