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Eines Sonntags morgen – es war zur Gewohnheit geworden, daß sie die Nacht vom Sonnabend zum Sonntag bei dem Geliebten verbrachte – verließ Lisbeth Glümer in aller Frühe Vollbrechts Wohnung. Es war ein herrlicher Maimorgen. Das junge Mädchen fühlte sich frisch und munter. Es war nicht mehr wie in der ersten Zeit ihres unbeschränkten Liebeslebens, wo ihre dürstenden Sinne sich nicht genug hatten tun können. Sie hatte sechs Stunden hintereinander gut geschlafen. Die leuchtende Frühlingssonne, die laue Luft, der Anblick der knospenden Bäume und der duftenden Blumen in den Vorgärten versetzte sie in eine wohlige Stimmung. Wie war das Leben schön, wenn man sich geliebt wußte! Und bald – bald würde die Zeit kommen, da ihr tiefstes Sehnen in Erfüllung ging, und sie nicht mehr nötig haben würde, verstohlen zu dem Geliebten zu schleichen. Mit elastischen Schritten ging sie die Straße hinunter. Als sie in die Treskowstraße einbog, sah sie schon von weitem Herrn Pietschmann vor der Tür seines Hauses stehen. Ihr erster Impuls war, umzukehren und noch einen kleinen Spaziergang zu machen, bevor sie nach Hause zurückkehrte. Aber es war zu spät, der Hausbesitzer hatte sie schon erblickt und schwenkte begrüßend seine Mütze von weitem. Sie bemühte sich, eine möglichst unbefangene Miene und eine noch straffere Haltung anzunehmen.
»Schönen guten Morgen, Fräulein Glümer!« rief ihr der ältliche Herr entgegen und dienerte galant. »Das nenne ich eine Frühaufsteherin! Ja, ja, solch junges Blut leidet es nicht in den Federn, wenn die Frühlingssonne lockt und die Lerche und der Pirol rufen!«
Die Herankommende verbarg ihr böses Gewissen und ihre stille Befangenheit unter einem freundlichen Lächeln.
»Deshalb sind Sie auch schon so früh auf den Beinen, Herr Pietschmann!«
Er sah vergnügt in ihr heiteres, neckisches Gesicht und drohte scherzend mit erhobenem Finger.
»Wollen Sie Spott treiben mit einem alten Mann!«
»Alt? Ich habe immer gehört, daß die vierziger Jahre die besten des Mannes sind.«
»Freilich, freilich!« Der alte Junggeselle rückte sich in eine forschere Stellung. »Man fühlt ja noch mit der Jugend, besonders wenn sie einem –« er warf der vor ihm Stehenden einen verliebten Blick zu – »in so anmutiger Gestalt entgegentritt.«
Ein wirkliches Interesse und eine ehrliche Bewunderung blickten aus den kleinen tiefliegenden Augen des Hausbesitzers.
»Sagen Sie mal, Fräulein Glümer, wie stellen Sie es nur an? Sie blühen immer frischer und lieblicher. Unsereiner fühlt, wie er alle Tage älter wird, Sie werden immer jünger. Nein, als wenn Sie einen Zaubertrank genommen hätten!«
Sie nickte schelmisch.
»Der Zaubertrank heißt: ein fröhliches, zufriedenes Gemüt und die Hoffnung auf eine frohe Zukunft.«
Herr Pietschmann schob seine Mütze auf die Seite und kraulte sich mit der Hand in dem ergrauten Haar.
»Ach, Fräulein Glümer, worauf soll unsereiner denn noch hoffen?«
»Aber, Herr Pietschmann, das liegt doch nahe: auf eine nette, liebe Frau und was sich sonst noch einstellt.«
Die ungewohnte Zugänglichkeit und das überraschend neckische Wesen des jungen Mädchens animierte den Hagestolz merklich. Er sah sie mit glänzenden Augen an, in denen es vor Begehrlichkeit funkelte.
»Freilich, freilich, Fräuleinchen! So'n molliges, zärtliches Frauchen könnte mir schon gefallen. Aber –« er stieß einen ostentativen Seufzer aus und sah sie mit schmachtenden Blicken an, »woher nehmen und nicht stehlen?«
Sie lachte und streifte ihn mit einem etwas ironischen Blick.
»Na, Ihnen kann es doch nicht fehlen, Herr Pietschmann. So'n Mann wie Sie!«
Darauf legte sie mit einer bezeichnenden Geste ihre Rechte auf die Magengegend.
»Solch früher Spaziergang macht Appetit.«
Sie nickte freundlich.
»Guten Morgen, Herr Pietschmann!«
Er riß die Mütze vom Kopf, während sie an ihm vorbei ins Haus und die Treppe hinaufhuschte. Oben wollte sie eben ihren Drücker vorsichtig, leise ins Schloß der Korridortür stecken, als von innen geöffnet wurde. Ein junger Mann trat aus der Wohnung, der bei ihrem plötzlichen Anblick sichtlich erschrak und eine Bewegung machte, als wollte er wieder zurück. Hinter ihm tauchte der Kopf der Frau Winkler auf, von der sie ein Zimmer gemietet hatte. Die Wirtin war nicht im geringsten verlegen.
»Ah, guten Morgen, Fräulein Glümer! Schon so früh bei Wege?« Und dann zu dem noch immer betreten dastehenden jungen Mann: »Also auf Wiedersehen!«
Sie schob den Menschen, der nichts erwiderte, hinaus. Stumm drückte er sich an dem erstaunten jungen Mädchen vorbei und eilte die Treppe hinunter.
Lisbeth trat beklommen ein, verwirrt teils von der ihr unverständlichen eben erlebten Szene, teils unter dem Einfluß ihres bösen Gewissens. Sie kannte den jungen Mann. Er war ein Kollege des Mannes ihrer Wirtin und verkehrte viel in der Familie.
Frau Winkler lachte sie dreist an.
»Na, gut amüsiert, Fräulein?«
Sie zwinkerte listig, zweideutig.
»Ja, ja, wer's so gut hat wie Sie! Können tun und lassen, was Sie wollen! Und wenn er Ihnen nicht mehr gefällt, dann schaffen Sie sich eben wieder einen anderen an.
Lisbeth Glümer bezwang mit starker Willensanstrengung ihre geheime Erregung.
»Ich verstehe Sie nicht, Frau Winkler.«
Sie bemühte sich krampfhaft, eine ruhige, harmlose Miene zu zeigen. Die Frau kniff die Augen ein.
»Aber vor mir brauchen Sie sich doch nicht zu verstellen, Fräulein! Die Winklern ist doch nicht dumm. Denken Sie, ich habe nicht längst gemerkt, was los ist und daß Sie Sonnabends nacht immer bei ihm sind?«
»Aber, Frau Winkler!« begehrte das junge Mädchen auf, ganz blaß, mit zuckenden Lippen. »Was – was fällt Ihnen denn ein? Ich komme von einem Spaziergang – der Morgen war so schön –«
»Und die Nacht noch schöner«, unterbrach die Vermieterin unbeirrt und grinste über das ganze Gesicht, »mir können Sie nichts vormachen! Denken Sie, ich habe Sie nicht 'reinschleichen hören, wenn Sie immer des Sonntags früh nach Hause gekommen sind, auch bei Wind und Regen, wo kein Mensch Frühpromenade macht? Herrgott, das kennt man doch! Man war doch auch mal jung und verliebt. Warum sollten Sie nicht! Ich bin die letzte, die's Ihnen verdenkt, wenn Sie Ihre Jugend genießen. Es gibt ja doch nichts Schöneres als die Liebe, und wenn ich auch die Vierzig auf dem Buckel habe und längst verheiratet bin, glauben Sie denn, man hat kein Gefühl mehr und weiß nicht, daß verbotene Frucht am süßesten schmeckt?«
Das junge Mädchen verging fast vor Bestürzung und Scham; die Tränen stürzten ihr aus den Augen; sie fühlte sich wie vernichtet, beschmutzt.
»Aber Frau Winkler!« stammelte sie schluchzend.
»Na, lassen Sie's nur gut sein!« Die Frau klopfte ihr beruhigend, vertraulich auf die Schulter. »Mein Mann darf's natürlich nicht wissen. Der – na, Sie werden ja wissen, wie er is: Schema F. Bei dem muß alles nach der Schnur gehen. Beamter und immer noch Kleinstädter!«
Sie legte den Finger auf den Mund und sah die Weinende bedeutsam an.
»Also! Reinen Mund halten – gegenseitig! Na, Sie verstehen mich.«
Sie nickte grinsend und verschwand in der Küche.
Lisbeth taumelte wie betäubt in ihre Stube. Hier warf sie sich auf ihr Bett und weinte verzweifelt. Sie kam sich so grenzenlos erniedrigt vor. »Und wenn er Ihnen nicht mehr gefällt, so schaffen Sie sich einen anderen an!« Für eine gemeine Dirne hielt die Frau sie, für so eine, wie – sie selber war. Ja, auch die Schmach tat die Schamlose ihr an, daß sie sie zur Vertrauten ihrer ehebrecherischen Beziehungen zu dem Freunde ihres Mannes machte, der ahnungslos seinen Nachtdienst verrichtete und erst um sieben Uhr morgens nach Hause kam. O pfui, pfui!
*
Kurt Vollbrecht schien immer mehr den Geschmack an dem ungestörten Beisammensein zu zweien zu verlieren, denn auch in dieser Woche besuchte er mit der Geliebten ein Konzert, das zweitemal wieder ein Kino.
Als sie am Freitag gemeinsam Abendbrot bei ihm gegessen hatten, griff er zur Zeitung und las.
Lisbeth Glümer saß schweigend neben ihm und nagte mit den weißen Zähnen an der Unterlippe, denn sie empfand das als eine Rücksichtslosigkeit, deren er sich früher nie schuldig gemacht hatte. Schließlich versank sie in ein angestrengtes Nachdenken; ihre Gedanken waren nicht angenehmer Art, denn ihre Stirn legte sich in Falten und der Atem ging ihr bedrückt, wie bei jemand, der mit einem schwer zu fassenden Entschluß rang.
Sie zuckte schreckhaft zusammen, als der neben ihr Sitzende plötzlich die Zeitung geräuschvoll auf den Tisch legte und sich mit der Frage: »Na, du sagst ja gar nichts – ?« ihr zukehrte.
»Ich – ich wollte dich nicht stören«, stotterte sie.
Er sah sie scharf an.
»Soll das ein Vorwurf sein?«
Und als sie nur mit einem bitteren Zucken ihrer Mundwinkel antwortete, fuhr er in ungehaltenem Tone fort: »Ich dächte doch, wie wir beide stehen, da brauchst du wirklich nicht gleich zu maulen, wenn ich mal einen Blick ins Abendblatt werfe.«
Sie faßte nach seiner Hand.
»Entschuldige, Kurt! Es war ja nicht – nicht das. Aber ich habe dir – dir etwas zu sagen.«
»Nanu?«
Er betrachtete sie erstaunt.
»Angenehmes scheint's ja nicht zu sein.«
»Freilich nicht. Nämlich ich – also, Kurt, ich kann morgen – überhaupt keine Nacht mehr zu dir kommen.«
»So– o? Darf ich fragen, warum nicht?«
Sie wich seinem Blick aus und erwiderte verlegen, einer direkten Beantwortung seiner Frage ausweichend: »Sieh mal, Kurt, ich komme doch fast jeden Abend. Aber die ganze Nacht über –«
Mit heftigem Ruck setzte er sich noch mehr nach ihr herum.
»Fast jeden Abend, aber die ganze Nacht nicht? So? Weißt du, das paßt mir nicht. Ich bin doch kein junger Fant von achtzehn Jahren mehr, der immer gleich in Stimmung ist. Die zwei knappen Stunden am Abend! So auf Kommando gewissermaßen, in aller Eile, ohne den natürlichen Trieb, nee, mein Lieb, das ist nicht nach meinem Geschmack. Anders, wenn man eine ganze Nacht vor sich hat, da stellt sich natürlich immer die Stimmung ein.«
»Ach Gott, Kurt!« stammelte sie, nur mit Anstrengung ihre Tränen zurückhaltend, denn diese Auseinandersetzung war ihr doch so furchtbar peinlich. »Ich kann doch nicht anders.«
»Du kannst nicht – wieso denn? Hat dir denn irgend jemand verboten – ? Kannst du denn nicht tun und lassen, was du willst?«
Sie schluckte und würgte; ihr Feingefühl stand wahre Höllenqualen aus. Aber sie sah, daß sie um die Erklärung nicht herumkam, und so berichtete sie zögernd, mit gesenktem Gesicht, ab und zu durch ein bitteres Aufschluchzen unterbrochen, was ihr am letzten Sonntagmorgen passiert war.
Kurt Vollbrecht zuckte ungerührt die Schultern und schüttelte den Kopf.
»Weiter nichts? Und darüber regst du dich so auf und willst mir mein Vergnügen beschneiden! Na hör' mal! Was geht dich denn die Frau an! Kann dir doch wahrhaftig ganz schnuppe sein, was die von dir denkt.« Er lachte. »Überhaupt, wo sie doch selber – ! Ja, ja, diese Frauen! Diese gieprigen Vierzigerinnen! Ich dächte doch, ich stände dir näher als diese Frau – wie heißt sie doch – diese Megäre!«
Lisbeth Glümer zögerte wieder und kämpfte, wie ihre hastig aufeinanderfolgenden heftigen Atemzüge verrieten, schwer mit sich.
Endlich ließ sie sich mit leiser, bittender, schüchterner Stimme vernehmen: »Mein Gott, Kurt, ich habe doch mit der Frau alle Tage zu tun, und du glaubst nicht, wie dreist sie seitdem mit mir ist! Und sieh mal –« sie griff mit flehender, schmeichelnder Gebärde nach seiner Hand – »wir werden doch nicht mehr allzu lange zu diesen – diesen peinlichen und – na ja, entwürdigenden Heimlichkeiten gezwungen sein.«
»Was –« begehrte er auf, »entwürdigend? Meine Liebe ist für dich entwürdigend?«
Sie seufzte und drückte seine Hand herzlich, beschwichtigend.
»Das habe ich doch nicht gemeint, Kurt. Aber du weißt doch, wie die Leute nun mal sind, die keinen Unterschied machen und alles über einen Kamm scheren, und die nicht danach fragen, ob es einem Paar ernst ist mit seiner Liebe wie uns, oder ob es sich nur um ein leichtsinniges Verhältnis handelt, das morgen wieder auseinandergeht. Und – na ja, eine Zeit können wir uns ja doch beschränken, es wird ja doch nicht mehr lange dauern.«
Mit schroffer Bewegung entriß er ihr seine Hand.
»Das hast du schon einmal gesagt!«
Der Ärger stieg ihm sichtbar zu Kopf.
»Soll das etwa ein Vorwurf, eine Mahnung sein?« herrschte er sie an. »Weißt du, zu drängen brauchst du mich nicht! Wenn es soweit ist, werde ich's dir schon von selber sagen. Das ist nicht hübsch von dir – ich hätte dir mehr Takt zugetraut.«
Die Unglückliche stöhnte unter diesen grausamen Worten, die sie wie Peitschenhiebe trafen. Aber stärker als die Beschämung und das leise aufglimmende Gefühl der Kränkung und Bitterkeit war die Furcht in ihr, seinen Unwillen zu erregen. Und so tastete sie wieder nach seiner Hand und rückte sich zärtlich, schmeichlerisch an ihn heran.
»So – so war es doch nicht gemeint, Kurt! Du tust mir unrecht. Ich bin ja gar nicht ungeduldig, ich warte ja gern. Und wenn du es wünschest, dann komme ich morgen, überhaupt alle Sonnabende wie bisher.«
*
Der Sommer war gekommen. Es war zwischen den Liebenden verabredet worden, daß sie ihren Sommerurlaub gemeinsam im Juli in einer der kleinen, nicht viel besuchten Sommerfrischen im Harz verleben wollten als »Ferien-Ehepaar«, wie es ja immer mehr Sitte geworden war unter den Mädchen und jungen Leuten.
Am meisten freute sich wohl Lisbeth darauf; das würde ein Vorgeschmack der ersehnten Ehe sein, der sie ja als einer Erlösung von vielfachen Unannehmlichkeiten und Peinlichkeiten entgegenschmachtete. Bekannten Gesichtern würde sie da ja nicht begegnen, und die biederen Thüringer Kleinstädter würden sie doch sicherlich nicht mit so höhnischen und frivolen Blicken ansehen, wie Frau Winkler es oft tat.
Aber nun kam es anders. Eines Abends, als sie Kurt Vollbrechts Zimmer betrat, schritt er aufgeregt auf und ab. Er erwiderte nicht einmal ihren Gruß. So hatte sie ihn noch nie gesehen, obgleich er sich in letzter Zeit nie Zwang auferlegt hatte, wenn er gelegentlich aus irgendeinem Grunde, sei es, weil er im Geschäft Ärger gehabt hatte, oder weil ihm sonst eine Laus über die Leber gekrochen war, übler Laune war.
»Aber was ist dir denn, Kurt?« fragte sie, nachdem sie eilig abgelegt hatte.
Er machte sich von der ihn zärtlich Umfangenden unwirsch los.
»Erstens«, sagte er und sah sie mit flammenden Augen an, als sei sie schuldig an dem, was ihn in einen so erbitterten Zustand versetzt hatte, »erstens ist es mit unserer gemeinschaftlichen Sommerreise und –« seine Lippen zuckten höhnisch, »mit dem trauten Liebesnest, das wir uns in Dingsda, in Elbingerode, so schön zurechtzimmern wollten, Essig, und zweitens scheint es, als ob wir überhaupt niemals dazukommen werden, uns ein gemeinsames Nest zu bauen.«
Sie schrak heftig zusammen und sah ihn ganz entgeistert an. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht geschwunden; über ihre zitternden Lippen drängte sich nur der schmerzliche Ausruf: »Ach Kurt!«
»Weißt du«, schrie er, seine Hände in seiner Erbitterung, seiner Wut zu Fäusten ballend, »weißt du, was mir der Herr Direktor heute eröffnet hat?«
»Der – der Direktor?« stammelte sie. »Doch – doch nicht etwa die – die Kündigung – ?«
»Wird sich hüten. Für die paar Kröten, die er mir zahlt, kriegt er so bald keinen zweiten Dummen, der so fleißig schuftet wie ich. Das kann ihm so passen. Aber ich werde ihm was husten. Ich werde kündigen, verstehst du, ich!«
Sie erhob, aufs höchste betroffen und beunruhigt, die ineinander verschlungenen Hände.
»Aber warum denn, Kurt, warum denn?«
»Weil er mir heute erklärt hat, daß ein Verwandter von ihm im nächsten Monat eingestellt und zum Oktober die Prokura erhalten wird, da der Alte ausscheidet. An der Nase hat er mich herumgezogen –« zornig schlug er mit der Faust auf den Tisch, »so ein Schuft! Geködert hat er mich mit leeren Versprechungen, nur damit ich mich fürs Geschäft plage und schinde und ohne Murren und ohne Vergütung Überstunden mache. So'n Halunke! Und weil doch der Neue sich erst einarbeiten muß, kriege ich meinen Urlaub erst im August.«
»Schade!« sagte sie. »Ich hatte mich so darauf gefreut. Aber vielleicht kann ich es noch ändern.«
Er machte eine abwehrende Handbewegung.
»Na, daß laß nur! Mir ist die Lust vergangen. Fahr' du nur im Juli und amüsiere dich! Ich werde im August zu meinem Onkel Mehnert nach Breslau reisen, du weißt, dem alten reichen Witwer. Vielleicht bringe ich ihn dazu, mir mit zwanzig- oder dreißigtausend Mark unter die Arme zu greifen. Dann etabliere ich mich und mache eine Eisenwarenhandlung auf. Selbständig sein und nicht mehr von eines anderen Gnade und Barmherzigkeit abhängig, der einen nur ausbeutet, das ist das einzig Wahre!«
Der Sprechende, dessen zornige Mienen angefangen hatten, sich unter den berauschenden Zukunftsaussichten zu glätten, schnitt wieder eine Grimasse, wie wenn er sich plötzlich auf einen hohlen Zahn gebissen hätte.
»Eine Vergnügungsreise wird's nicht werden, denn er ist hartleibig, der alte Geizhals. Wenn mal einer von uns Neffen und Nichten an ihn mit einer Bitte um Geldunterstützung herangetreten ist, dann hieß es immer: ›Wenn ich mal tot bin, erbt ihr alles, aber zu meinen Lebzeiten kriegt keiner was; das würde nur Ärger und Eifersucht unter sich schaffen.‹«
Lisbeth hatte ihre erste Enttäuschung rasch überwunden; der Hoffnungsstrahl, den die letzte Erklärung des Geliebten in ihr Herz senkte, belebte sie und richtete sie wieder auf. Sie umfaßte den vor ihr Stehenden schmeichlerisch und sprach ihm Mut und Vertrauen zu.
Um ihm einen neuen Beweis ihrer Liebe und Anhänglichkeit zu geben, gab sie die Erholungsreise, die sie vorgehabt hatte, auf und verlebte ihren Urlaub in Berlin mit ihm. Sie machten sehr oft am Spätnachmittag und den Abend über Ausflüge in die Umgegend. Es waren schöne Stunden, die sie in der Waldeinsamkeit, auf dem Moose lagernd, verbrachten. Auch des jungen Mannes Laune besserte sich; er war wieder lieb und gut zu ihr wie in der ersten schönen Zeit ihres Liebesfrühlings. In der freien Natur, in dem wiedergefundenen Glück ihrer Liebe erwachte auch bei beiden wieder frohe Jugendlust. Eines Tages machte der Buchhalter seiner Geliebten einen Vorschlag, der sie ebensosehr überraschte wie entzückte.
»Was meinst du zu einer kleinen Spreewaldtour? Für zwei Tage! Wir fahren des Nachmittags nach Lübben, machen dort das Schützenfest mit, weißt du, in dem prachtvollen alten Eichenwäldchen. Die Nacht über bleiben wir in Lübben, und am nächsten Morgen in aller Frühe geht's nach Lübbenau. Dort nehmen wir einen Kahn und lassen uns den ganzen Tag im Spreewald herumfahren. Fein, was? Die Nacht verbringen wir in dem großen Spreewalddorf Burg und schlafen bis in den hellen Tag hinein.« Er zwinkerte der Geliebten listig zu, worüber sie mit einem schämigen Lächeln quittierte. »Am Nachmittag rudern wir nach Lübbenau zurück und dampfen am Abend heimwärts nach Berlin. Was sagst du?«
»Ach, Kurt, köstlich wär's, wunderschön! Aber wirst du denn Urlaub kriegen?«
»Urlaub? Nee, den würden sie mir so kurz vor meiner Ferienreise natürlich abschlagen. Aber der Mensch kann doch mal krank werden, überhaupt, wenn man das ganze Jahr über keine Stunde im Geschäft gefehlt hat und sich mit der Absicht trägt, zu kündigen. Ich werde die Sache schon deichseln. Also am nächsten Dienstag vormittag krümme und winde ich mich im Kontor, gähne und recke mich und schaudere wie im Fieber zusammen. Wenn sie mich dann fragen, was mit mir ist, stöhne ich herzbrechend. Ganz hundsmiserabel ist mir, sage ich, Kopfschmerzen, Fieber – wahrscheinlich ein Influenzaanfall. Natürlich werden sie mich dann auffordern, nach Hause zu gehen, schon aus Furcht vor der Ansteckung. Ich markiere zuerst Geschäftseifer, sperre mich, gebe aber schließlich nach und verschwinde. Zu Hause nehme ich meine Reisetasche und heidi nach dem Görlitzer Bahnhof, wo du mich erwartest. Zug geht ein Uhr zwanzig. Meine Wirtin instruiere ich vorher. Ich lasse zwei Rohrpostkarten zurück; die eine soll sie am Mittwoch früh in die Fabrik schicken: ›Kann leider nicht kommen, es geht mir aber schon besser, hoffe morgen wieder im Geschäft zu sein.‹ Die zweite Karte gibt sie am nächsten Morgen zur Post: ›Heute leider noch nicht arbeitsfähig, komme aber morgen bestimmt.‹«
Der Sprechende blickte triumphierend auf seine Geliebte, die mit Spannung, zwischen Bedenken und vergnügtem Staunen, zugehört hatte.
»Na, was sagst du, Lisbeth? Habe ich das nicht fein ausgedacht?«
Sie brach in ein lautes Lachen aus.
»Aber kannst du schwindeln – !«
»Spaß! Wenn man zwölf Jahre Kaufmann gewesen ist – !« –
Es war Lisbeth Glümers schönste Zeit. Zwei und einen halben Tag im steten Beisammensein mit dem Geliebten, der von fröhlichster Laune übersprudelte. Alle Verdrießlichkeiten und Sorgen hatten sie in Berlin zurückgelassen. Sie lebten beide ausschließlich der wundervollen Gegenwart. Im Kahn, auf dem kühlenden Wasser, unter Kiefern und Fichten, unter Eichen und Buchen dahinzugleiten, den blauen Sommerhimmel über sich, Seite an Seite, Hand in Hand, oft die Blicke voll Zärtlichkeit und Frohsinn ineinander getaucht; es war wie ein Märchen, wie ein Idyll, das ihre Sinne umschmeichelte, ihre Herzen in unbeschreiblicher Seligkeit höher pochen machte und Frieden, Ruhm und Glück in ihre Seelen zauberte. Und des Abends entwickelten sie bei der einfachen, aber kräftigen Kost einen Appetit, wie sie ihn in Berlin, abgehetzt von des Tages Arbeit, in der schweren Luft des Riesenhäusermeeres, nie gekannt hatten. Zuletzt die Krone des Ganzen: die beiden Nächte im Gasthof als Ehepaar auf der Hochzeitsreise. Als solches schien sie der Wirt und das Personal anzusehen.
Als sie am Dienstagabend nach Berlin zurückfuhren, saßen sie schweigend im Kupee. Kurt Vollbrecht starrte grübelnd, mit finster zusammengezogenen Brauen vor sich hin. Er ahnte, daß Freude und Lust für längere Zeit dahin waren, und daß eine Zukunft voll schwerer Arbeit und bitterer Kämpfe vor ihm lag. In des jungen Mädchens Brust aber war noch ein Abglanz der eben erlebten Seligkeiten, und mit der Hoffnungsfreudigkeit der Jugend und dem Glücksbewußtsein des liebenden Weibes sah sie der Zukunft entgegen.
*
Anfang August reiste Kurt Vollbrecht zunächst nach Breslau, um zuerst das Unerfreuliche hinter sich zu bringen, bevor er sich die ersehnte Erholung gönnte. Mit Spannung erwartete die Zurückbleibende Nachricht; der Brief, der einige Tage später eintraf, war niederschmetternd. Onkel Mehnert hatte das Ansinnen seines Neffen mit Entrüstung zurückgewiesen. Ebensogut könnten auch die anderen sechs Neffen und Nichten kommen und dasselbe Verlangen an ihn stellen. Es fiele ihm aber gar nicht ein, sein Vermögen oder auch nur einen größeren Teil davon zu verschenken und so sein Einkommen zu verkleinern und sich Entbehrungen aufzuerlegen. Kurt hätte sich selbst ein kleines Kapital ersparen sollen, statt sein ganzes Gehalt zu verjubeln. Ihm, dem Onkel, habe auch niemand geholfen; mit mühsam ersparten achttausend Mark habe er sein Geschäft begründet und durch Fleiß und Sparsamkeit sein Vermögen selbst erworben.
»Ich weiß noch nicht«, schrieb Kurt weiter, »was ich tun werde, ob ich in der Fabrik bleiben oder eine andere Stellung suchen soll. Vorläufig will ich eine Tour durch das Riesengebirge machen und für ein paar Wochen allen Ärger vergessen.«
Von seiner Reise schickte er zuerst täglich eine Karte: alle diese Zuschriften verrieten die frohe Stimmung, in die ihn die herrlichen Fußwanderungen in der frischen, gesunden Bergluft und das fröhliche Treiben in den verschiedenen Bauden versetzten, in denen er Rast machte und übernachtete. Dann wurden die Karten immer einsilbiger und karger und hörten schließlich gänzlich auf. In den letzten acht Tagen hatte er überhaupt keine Nachricht mehr von sich gegeben.
Eine leise Unruhe stellte sich inzwischen bei Lisbeth ein.
Als Kurt wieder nach Berlin zurückgekehrt war und sie ihn das erstemal wieder besuchte, glaubte sie eine rätselhafte Veränderung in seinem Wesen zu bemerken. Sie stürzte ihm mit ausgebreiteten Armen entgegen und warf sich lachend und weinend vor Freude an seine Brust, aber er preßte sie nicht so stürmisch, wie sie erwartet, an sich, und in seinen Küssen lag nicht die Glut von ehemals. Und als sie dann auf dem Sofa saßen und sie nach seiner Rechten griff, fühlte sie, wie schwer, ohne jeden spürbaren Druck, sie in ihrer Hand lag. Als sie ihn aufforderte, von seinen Gebirgswanderungen und seinen Erlebnissen zu erzählen, wehrte er ab: »Mein Gott, was ist da viel zu berichten! Man marschiert den ganzen Tag, oben den Himmel, vor und neben einem, soweit das Auge reicht, Berge, Wälder –«
»Und Schnee soll doch auch sogar im Sommer auf den Höhen liegen –«
»Freilich!« stimmte er kurz zu.
»Und das Leben in den Bauden? Da geht's wohl recht lustig zu?«
»Gewiß, es wird geschwatzt und gesungen.«
»Und auch getanzt? Du!« Sie hob schelmisch den Finger. »Hast wohl gar sehr hübsche Tänzerinnen gehabt?«
Da erschien endlich das erstemal ein Lächeln in seinem Gesicht.
»Na, denkst du etwa, ich werde eine Häßliche engagieren?«
»Na, hoffentlich«, scherzte sie, »hast du deinen Tänzerinnen nicht zu tief in die Augen geschaut.«
Er machte eine unwirsche Bewegung mit der Hand, ohne etwas zu erwidern.
»Sage mal«, fragte sie weiter, »hast du auch interessante Bekanntschaften gemacht? Auf solchen Vergnügungsreisen schließen sich die Menschen doch viel leichter aneinander als zu Hause.«
Er blickte an ihr, die ihn forschend und mit einer leichten Regung von Mißtrauen und Eifersucht betrachtete, vorbei.
»Gewiß, man lernt sich rasch kennen und geht bald wieder auseinander. Immer wieder neue Gesichter!«
Sie speisten wieder zusammen wie gewöhnlich. Doch es war nicht so gemütlich, so behaglich wie sonst. Kurt war außergewöhnlich schweigsam; sie schob es auf seine Sorgen um die Zukunft. Um so mehr bemühte sie sich, seine Verstimmung zu besiegen, indem sie lebhaft plauderte, Scherze einflocht und ihre Zärtlichkeiten verdoppelte, obgleich ihr selbst das Herz schwer war wegen der Ungewißheit der Zukunft. Aber alles das konnte ihn seiner ernsten, grüblerischen Stimmung nicht entreißen. Zu ihren Späßen lächelte er gezwungen, und auf ihre Fragen antwortete er zerstreut, so daß sie wohl bemerkte, daß seine Gedanken nicht bei ihr waren. Als sie ihren Arm um seine Schulter legte und sich zärtlich an ihn drückte, saß er steif und rührte sich nicht, und als sie ihr Gesicht dem seinen näherte, um ihn zu küssen, machte er eine unwillkürliche Wendung mit dem Kopfe nach der anderen Seite.
Sie war tief verletzt und die Tränen traten ihr in die Augen.
»Ich habe mich so auf das Wiedersehen gefreut«, sagte sie, während ihr schon das Schluchzen in der Kehle streckte, »und nun bist du so – so –«
»Wie denn?« fragte er und sah sie erstaunt an.
»Das weißt du nicht einmal? Sonst hast du mich geküßt und geherzt, und heute – heute wagst du nicht einmal, daß ich dir einen Kuß gebe. Hast du denn etwas gegen mich?«
»Frage doch nicht so dumm!« brauste er auf. »Du weißt doch, daß ich jetzt Wichtigeres zu tun habe, als zu küssen und schön zu tun.«
Sie faßte nach seiner Hand, die er ihr nur widerstrebend ließ.
»Ich weiß es, Kurt. Aber mußt du deshalb lieblos zu mir sein? Im Gegenteil, wir wollen doch jetzt uns um so mehr aneinander schließen und aneinander Halt suchen.«
Er lachte rauh auf und sah sie spöttisch an.
»Was für einen Halt kannst du mir denn bieten?«
Sie unterdrückte ihre Empfindlichkeit und sah ihn liebevoll, wenn auch traurig an.
»Ich kann dich trösten; meine Liebe kann dir das Schwere tragen helfen, du kannst deine Sorgen sowie deine Absichten und Pläne mit mir besprechen.«
Er machte eine hochfahrende Geste.
»Was mir das wohl nützen würde! Mit dem Schwatzen komme ich nicht weiter. Das einzige, was mir helfen kann, ist Geld, und das –«
»Das habe ich freilich nicht, Kurt.«
»Na also!«
Das klang so hart, so geringschätzig, so brutal, daß sie, aufs tiefste gekränkt, ihre Hände vor das Gesicht schlug und in ein schmerzliches Weinen ausbrach. Er aber sprang ärgerlich auf.
»Auch noch heulen! Das hat mir gerade noch gefehlt.«
Mit heftigen Schritten ging er im Zimmer auf und ab. Da stand auch sie auf und nahm ihr Jackett, zog es an und setzte ihren Hut auf. Er hatte sich mit dem Rücken gegen das Zimmer an das Fenster gestellt. Sie zögerte ein paar Sekunden. Aber er rührte sich nicht.
»Guten Abend, Kurt!« sagte sie leise und verließ das Zimmer.
Nachdem sich Lisbeth Glümer zu Hause ordentlich ausgeweint hatte, ging sie ruhiger mit sich zu Rate. Sie rief sich die Vorgänge bei Kurt ins Gedächtnis zurück und erwog alles, was sie miteinander gesprochen hatten. Das Resultat war, daß eine Veränderung mit ihm seit seiner Reise vorgegangen zu sein schien. Was war geschehen? Liebte er sie nicht mehr? Sie dachte angestrengt lange über diese Frage nach. Nein, nein, unmöglich! Töricht, sich mit dieser Möglichkeit zu martern! Sie hatte ihm ja nicht die mindeste Veranlassung gegeben. Eine solche Liebe wie zwischen ihnen, die Seele und Körper aufs innigste miteinander verband, konnte die überhaupt ein Ende nehmen? So plötzlich noch dazu, ohne jeden weiteren Grund? Nicht um eine Veränderung des Geliebten handelte es sich, sondern um eine momentane Verstimmung. Der Ärger, die Betrübnis, in die ihn seines Onkels Ablehnung versetzte, bohrte in ihm und hatte ihn unwirsch und ungerecht gemacht. Und sie selbst hatte gegen sich den Vorwurf zu erheben, daß sie zu ungeduldig, allzu empfindlich und kurz angebunden gewesen.
Schon am folgenden Tage schrieb sie einen sehr versöhnlich gehaltenen Brief und bat ihn um Entschuldigung; sie hätte ihm mehr Geduld und mehr Verständnis für seine Lage und die daraus entspringende Nervosität entgegenbringen müssen.
Umgehend kam eine Antwort von ihm, es waren nur wenige Zeilen:
»Liebe Lisbeth! In Eile! Habe Dank für Dein Schreiben! Freue mich, daß Du Dein Unrecht einsiehst. Erwarte mich morgen in der Konditorei.
Gruß Kurt.«
Sie war zwar etwas enttäuscht, denn sie hatte auf ihren langen zärtlichen Erguß eine eingehendere und liebevollere Antwort erwartet, aber wahrscheinlich war er geschäftlich sehr in Anspruch genommen nach seinem Urlaub. Überdies mochten ihn auch schon Bemühungen um eine andere Stellung beschäftigen. Aber eins fiel ihr auf. Warum hatte er sie nicht nach seiner Wohnung, sondern in die Konditorei geladen?
Er war schon da, als sie eintrat. Höflich stand er auf, begrüßte sie mit freundlicher Miene und half ihr aus dem Jackett, das er an den Garderobehaken hing.
»Also: wollen wir uns wieder vertragen, Lisbeth?«
Er sah sie freundlich an und bot ihr seine Rechte. Sie legte freudig ihre Hand in die seine, und sie setzten sich. Als die Aufwärterin kam, scherzte er: »Na, dein Lieblingsgetränk: Schokolade und ein Stück Fruchttorte, nicht?«
Und als sie bejahend nickte, rief er dem bedienenden Mädchen nach: »Recht viel Schlagsahne, Fräulein!« Dann rieb er sich die Hände.
»Man muß sich das Leben versüßen, soviel man irgend kann. Ist bitter genug.«
Darauf wurde seine Miene wieder ernst, und gedankenvoll sah er vor sich hin.
»Warum hast du mich in die Konditorei bestellt?« fragte sie mit leiser Unruhe, seine Antwort voll Spannung erwartend.
Sein Gesicht verfinsterte sich.
»Ja, das wollte ich dir eben sagen: du darfst nicht mehr zu mir kommen, Lisbeth.«
Die Glut schoß ihr ins Gesicht, und dann wurde sie ganz blaß. Ihre Augen starrten ihn entgeistert an.
»Nicht mehr zu dir?« stammelte sie, aufs stärkste erschrocken, beunruhigt. »Wa – warum denn, Kurt?«
»Weil – meine Wirtin will es nicht mehr dulden.«
Sie sah ihn erstaunt, fast ungläubig an.
»Deine Wirtin? Aber warum denn auf einmal? Ich bin doch« – sie rechnete rasch nach – »über ein Dreivierteljahr jede Woche ein paarmal bei dir gewesen, und du sagtest mir doch selber, daß die Vermieterinnen in Berlin –«
Er unterbrach sie ungeduldig.
»Der Hauswirt hat es verboten. Er leide so was in seinem Hause nicht. Wahrscheinlich hat er dich einmal des Morgens die Treppe hinunter huschen gesehen.«
Sie stöhnte und hob das verstörte Gesicht zu ihm.
Aber was soll denn nun werden, Kurt?«
Ein ironisches Lächeln zog seine Mundwinkel auseinander; eine spöttische Genugtuung blitzte in seinen Augen.
»Du hast dich ja seinerzeit so gesträubt, erinnerst du dich noch? Also jetzt liegt dir doch daran?«
Sie senkte beschämt ihren Blick.
»Ach, Kurt!«
»Na, laß nur! Auch ich habe den Wunsch – na ja, habe doch während meiner ganzen Ferienreise gefastet –«
Seine Augen sahen sprühend über sie hin; sie erschauerte im stillen.
»Bei dir geht es wohl nicht?« fragte er.
»Um Gottes willen, Kurt! Nein! Frau Winkler –« stieß sie aufgeregt hervor.
Er nickte.
»Die Frau macht noch am Ende Skandal. Das würde mir schon gar nicht passen.« Ein frivoles Lächeln blitzte über sein Antlitz. »Na, zum Glück gibt es ja in Berlin gefällige Leute, die einem liebenden Pärchen gegen Geld und gute Worte – wobei sie mehr Wert auf das erstere legen – gern ein verschwiegenes Eldorado bieten. Zimmer auf Monate, Wochen und Tage. Hast du das noch nie an den Häusern gelesen?«
Sie erschrak. Ja, sie hatte schon davon gehört. Im Geschäft hatten sie sich einmal erzählt, daß die Polizei in solch ein einem Absteigequartier erschienen war und die vorgefundenen Pärchen nach dem Polizeibureau mitgenommen hatte.
»Um Gottes willen!« rief sie entsetzt.
Die Mitteilung, mit der sie ihre Weigerung motivierte, machte jedoch keinen Eindruck auf ihn.
»Habe auch schon mal davon gehört!« erwiderte er. »Kommt alle Jubeljahre mal vor, wenn sie es zu arg getrieben und die Nachbarschaft denunziert hatte. Ist keine Gefahr, sonst wäre ich der letzte – könnte ich jetzt gerade gebrauchen!«
Das war ihm in seinem Eifer, sie zu beruhigen, herausgefahren. Wäre sie nicht so ganz von dem Entsetzen, das die Forderung des Geliebten in ihr hervorgerufen, beherrscht gewesen, so wäre es ihr sicherlich aufgefallen. Während sie sich vorstellte, daß sie mit einer Schar liederlicher Mädchen nach der Polizei transportiert werden könnte und dort Auskunft über sich geben müßte, wo sie angestellt wäre und so weiter, und daß dann im Geschäft bei dem Chef Nachforschungen nach ihr angestellt werden würden, fuhr ihr ein heftiger Schauder durch die Glieder. Auch die neugierigen und verächtlichen Blicke, die solch eine Kupplerin und ihre Angestellten auf ihre Gäste heften mochten, malte ihr die erregte Phantasie.
»Nein, das darfst du nicht von mir verlangen, Kurt!« wehrte sie entrüstet ab.
Ihr Widerspruch entfesselte seinen Zorn.
»Sei doch nicht kindisch!« zischelte er empört. »Denkst du, ich würde mich in Gefahr begeben? Bei mir steht ja viel mehr auf dem –«
Er brach rasch ab und sah sie etwas betreten, forschend an. Aber sie hatte auch diesmal nicht auf seine rätselhaften Worte geachtet. Er redete weiter auf sie ein, bald bittend, bald ärgerlich scheltend. Doch sie beharrte bei ihrem Widerstande, und so schieden sie schließlich uneinig, voll Unwillen gegeneinander.
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