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Die Trauung auf dem Standesamt fand am Donnerstag statt. Samstags vormittags warteten schon um ein Viertel auf elf die Damen in dem Salon der Josserand, da die kirchliche Trauung für elf Uhr in der Rochuskirche anberaumt war. Es hatten sich eingefunden: Frau Juzeur, die sich immer in schwarze Seide kleidete, Frau Dambreville, in ein mattbraunes Kleid eingepreßt, Frau Duverdy, sehr einfach, in blaßblauer Toilette. Diese drei plauderten halblaut mitten in dem Durcheinander von Armsesseln. In dem anstoßenden Zimmer vollendete indessen Frau Josserand Bertas Toilette, wobei ihr die Magd und die beiden Ehrenfräulein, Hortense und Angela Campardon behilflich waren.
Das ist es nicht, flüsterte eben Frau Duverdy; die Familie ist achtbar. Aber, ich gestehe, ich fürchtete um meines Bruders willen das gebieterische Wesen der Mutter. Man muß gegen alles vorsorgen, nicht wahr?
Gewiß, sagte Frau Juzeur, man heiratet oft nicht nur die Tochter, sondern auch die Mutter, die sich dann dem Ehepaar aufdrängt, was sehr unangenehm ist.
In diesem Augenblicke ging die Zimmertür auf; Angela kam in aller Eile heraus und rief:
Eine Spange, unten in der linken Schublade ... Warten Sie! ...
Sie durchschritt den Salon, kam wieder zum Vorschein und eilte in das Nebenzimmer zurück, wobei das Wallen ihres weißen Kleides, das mit einem breiten blauen Bande an der Taille befestigt war, gleichsam eine Furche zurückließ.
Ich glaube, Sie irren sich, versetzte mit leiser Stimme Frau Dambreville. Die Mutter ist höchst froh, ihre Tochter los zu werden ... Sie hat nur eine Leidenschaft: ihre Dienstagsempfänge. Dann bleibt ihr ja noch ein Opfer.
Jetzt trat Valerie ein in einer roten Toilette von auffallender Eigentümlichkeit. Da sie gefürchtet hatte, sich zu verspäten, war sie sehr rasch heraufgekommen.
Theophile kann heute nicht fertig werden, sagte sie zu ihrer Schwägerin. Ich habe Franziska heute entlassen, wie Sie wissen; jetzt sucht er überall eine Halsbinde ... Ich habe ihn in der größten Unordnung zurückgelassen!
Die Gesundheit ist ebenfalls ein sehr wichtiger Punkt, der in Betracht gezogen werden muß, sagte Frau Dambreville.
Freilich, antwortete Frau Duverdy: wir haben Herrn Doktor Juillerat heimlich befragt ... Das Mädchen scheint von vollkommen gesunder Leibesbeschaffenheit zu sein. Die Mutter hat einen sehr kräftigen Bau, und das hat uns mitbestimmt; denn es gibt nichts Verdrießlicheres als schwächliche Eltern, die einem dann zur Last fallen ... Kräftige Eltern sind immer besser.
Besonders, sagte Frau Juzeur in dem ihr eigenen freundlichen Tone, besonders, wenn keine Erbschaft von ihnen zu erwarten ist.
Valerie hatte sich gesetzt; da sie aber nicht auf dem laufenden des Gespräches war, fragte sie, kaum zu Atem gekommen:
Wie, von wem sprechen Sie?
Neuerdings ging die Türe plötzlich auf, und ein förmlicher Streit wurde aus dem Zimmer gehört.
Ich sage dir, daß die Schachtel auf dem Tisch geblieben ist.
Das ist nicht wahr, ich habe sie diesen Augenblick dort gesehen.
0, du erbärmlicher Trotzkopf! ... So geh selbst bin.
Hortense ging durch den Salon, ebenfalls in weißer Toilette, mit einem breiten blauen Gürtel; in diesen durchsichtigen blassen Musselinstoffen sah sie gealtert aus mit rauh abstechenden Zügen und gelber Farbe. Sie kam wütend zurück mit dem Bukett der Braut, das man seit fünf Minuten kopflos suchte.
Was soll man machen? sagte zum Schlusse Frau Dambreville, man heiratet nie, wie man's eben möchte ... Das Vernünftigste ist noch, sich nachträglich die Dinge nach Möglichkeit einzurichten.
Angela und Hortense öffneten jetzt beide Flügel der Türe, damit die Braut nicht mit dem Schleier hängen bleibe, und Berta erschien in einem weißen Seidenkleide, ganz in weißem Blumenschmucke, mit weißem Kranze, weißem Bukett, einer weißen Blumengirlande quer über das Kleid, bis zur Schleppe, wo sie inmitten von dicht aufgetragenen weißen Knospen verlief. In diesem Weiß nahm sie sich reizend aus mit ihrer frischen Farbe, ihrem goldblonden Haar, ihren lachenden Augen, ihren keuschen Lippen, die indessen schon einen Zug der Erfahrung verrieten.
Sie sieht zum Entzücken aus! riefen die Damen.
Alle küßten sie mit entzückten Mienen.
Die Josserand, die in grausamer Verlegenheit waren, wo sie die 2000 Franken Hochzeitsauslagen – 500 für Toilette und den auf sie entfallenden Beitrag von 1500 Franken zum Essen und Ball – auftreiben sollten, hatten Berta nach dem Irrenhause von Ville-Evrard zu Saturnin schicken müssen, auf dessen Namen 3000 Franken – ein kleines Erbe von einer Tante – angelegt waren. Nachdem Berta zwei Stunden in der Zelle ihres verrückten Bruders zugebracht hatte, wo sie mit ihm jauchzte, sich von ihm die Finger hatte abküssen lassen, ihm geschworen hatte, nächsten Tag ihn abzuholen, kam sie endlich mit dessen Unterschrift zurück.
Die Damen waren denn auch überrascht von der Seidenrobe und der verschwenderischen Blumenpracht daran; sie konnten nicht umhin auszurufen:
Prachtvoll! Ein ausgezeichneter Geschmack!
Frau Josserand, ganz rot und strahlend, machte sich in einem malvenfarbenen Kleide breit, in dem sie noch höher und dicker als sonst wie ein majestätisch einher wandelnder Turm aussah. Sie schalt auf Herrn Josserand, rief Hortense, ihr den Schal zu reichen, und verbot Berta aufs heftigste sich zu setzen.
Nimm dich in acht, du wirst deine Blumen zerknittern.
Überhasten Sie sich nicht, sagte Clotilde mit dem ihr eigenen ruhigen Tone. Wir haben Zeit ... August wird uns schon abholen kommen.
Während man noch im Salon wartete, kam Theophile plötzlich hereingestürmt, ohne Hut, den Rock verkehrt angezogen, die weiße Binde wie einen Strick um den Hals gewunden. Sein Gesicht mit dem dünnen Barte und den schlechten Zähnen war erdfahl, seine schwächlichen Glieder zitterten vor Wut.
Was fehlt dir denn? fragte ihn die Schwester ganz bestürzt.
Du fragst noch, was mir fehlt?
Ein Anfall von Husten schnitt ihm die Sprache ab, und er blieb wohl eine Minute dem Ersticken nahe stehen, ins Taschentuch speiend, rasend, daß er seinen Zorn nicht auslassen konnte. Valerie sah ihn unruhig an, instinktmäßig erratend, was mit ihm vorging. Endlich ballte er drohend die Faust gegen sie, bemerkte nicht einmal die Braut und die Damen, die sie umgaben.
Ja, als ich meine Binde überall suchte, fand ich einen Brief vor dem Schranke ...
Er zerknitterte zwischen den fieberhaften Fingern ein Papier. Seine Frau war völlig bleich geworden. Sie erfaßte die Lage und ging in das Zimmer hinüber, das Berta soeben verlassen hatte, um dem Skandal einer öffentlichen Auseinandersetzung auszuweichen.
Gut! sagte sie einfach, ich gehe lieber weg, wenn er verrückt wird.
Laß mich! schrie Theophile der Frau Duverdy zu, die versuchte, ihn zum Schweigen zu bringen. Ich will sie beschämen ... Diesmal habe ich einen Beweis, es ist kein Zweifel' mehr! Aber es wird nicht so glatt ablaufen, denn ich kenne ihn ...
Seine Schwester hatte ihn beim Arm gefaßt, hielt ihn fest, schüttelte ihn und ließ ihn ihre Autorität energisch fühlen.
Schweig! siehst du nicht, wo du bist? ... Das ist nicht die geeignete Zeit, du siehst es doch!
Die Zeit ist ganz geeignet, versetzte er trotzdem. Ich kümmere mich den Teufel um die anderen. Um so schlimmer, daß es gerade auf heute fällt. Das wird jedermann als Lehre dienen.
Er dämpfte indessen die Stimme, sank ganz entkräftet in einen Stuhl und hielt gewaltsam an sich, um nicht in Tränen auszubrechen.
Eine arge Verlegenheit entstand im Salon. Frau Dambreville und Frau Juzeur stellten sich, als begriffen sie nichts von der Sache, und hielten sich abseits. Frau Josserand, sehr unangenehm berührt von einem Abenteuer, dessen skandalöse Natur Verstimmung in die Hochzeit bringen konnte, war ins Zimmer hinübergegangen, um Valerie Mut zuzusprechen. Berta musterte ihren Kranz vor dem Spiegel und hatte nichts gehört. Sie fragte daher mit halblauter Stimme Hortense aus. Das gab ein Lispeln, da letztere mit einem Blicke auf Theophile zeigte und daran Erklärungen knüpfte, während sie tat, als lege sie die Falten des Schleiers zurecht.
Ah! sagte einfach die Braut, mit unschuldiger, gleichgültiger Miene, die Blicke auf den Mann geheftet, ohne in ihrem Strahlenkränze weißer Blumen irgendeine unruhige Regung zu empfinden.
Clotilde befragte ganz leise ihren Bruder. Frau Josserand kam wieder herein, wechselte mit ihr einige Worte und ging dann wieder ins anstoßende Gemach: es war ein diplomatischer Notenwechsel.
Der Gatte beschuldigte Octave, diesen Ellenritter, den er öffentlich in der Kirche ohrfeigen wolle, wenn er sich dort zu zeigen wage. Er erinnerte sich jetzt bestimmt, ihn gestern mit seiner Frau auf der Treppe der Rochus-Kirche gesehen zu haben. Anfangs habe er daran gezweifelt, jetzt sei er seiner Sache sicher; alles stimme; Wuchs, Gang, Haltung. Ja, gnädige Frau pflege oft Frühstückseinladungen bei Freundinnen vorzuschützen, oder sie gehe mit Camille in die Rochus-Kirche durch die gewöhnliche Eingangspforte, wie um ihre Andacht zu verrichten, übergebe das Kind der Obhut der Sitzvermieterin, dann gehe sie mit ihrem Herrn durch den alten Ausgang fort nach irgendeinem schmutzigen Orte, wo sie wisse, daß ihnen niemand nachgehe.
Bei dem Namen Octave lächelte Valerie indes; nie, schwur sie der Frau Josserand, nie mit diesem Manne; übrigens auch sonst mit niemandem, fügte sie hinzu, aber mit ihm noch weniger als sonst mit jemandem. Da sie sich durch die Wahrheit diesmal stark fühlte, sprach sie ihrerseits davon, ihren Mann beschämen zu wollen indem sie ihm beweisen werde, daß das Billett nicht die Schrift Octaves sei, sowie daß er auch nicht der Herr von der Rochus-Kirche sei. Frau Josserand hörte ihr zu, prüfte sie mit ihrem erfahrenen Blicke, einzig damit beschäftigt, irgendein Auskunftsmittel zu finden, um ihr behilflich zu sein, Theophile zu täuschen. Es gelang ihr auch in der Tat, ihr höchst weise Ratschläge zu erteilen.
Lassen Sie nur mich machen; mengen Sie sich gar nicht in die Sache ... Da er einmal will, daß es Herr Mouret gewesen ist, lassen wir ihn gewähren; es wird also Herr Mouret gewesen sein. Ist etwas dabei, wenn man auf den Treppen einer Kirche mit Herrn Mouret gesehen ist? Unangenehm ist einzig und allein der Brief ... Sie werden triumphieren, sobald der junge Mann ihm zwei Zeilen von seiner Hand zeigt Sagen Sie nur immer dasselbe wie ich; Sie verstehen mich doch, ich werde nicht zugeben, uns einen solchen Tag zu verderben.
Als sie Valerie, die ganz aufgeregt war, beruhigt hatte, sagte Theophile seinerseits mit erstickter Stimme zu seiner Schwester:
Nur dir zuliebe tue ich es, wenn ich dir verspreche, daß ich sie hier nicht verunstalten werde, da du versicherst, daß es wegen dieser Hochzeit unschicklich sei ... Aber in der Kirche stehe ich für nichts. Kommt mir dieser freche Ellenritter dort unter die Augen, bringe ich sie beide um.
August, in tadelloser schwarzer Toilette, das linke Auge zugedrückt – die Folge eines einseitigen Kopfschmerzes, der ihn seit drei Tagen das Zimmer zu hüten nötigte – kam in diesem Augenblicke herauf, um seine Braut abzuholen, in Begleitung seines Vaters und seines Schwagers, beide waren in Gala. Da man etwas verspätet war, mußte man sich beeilen. Zwei der Damen, Frau Duverdy und Frau Dambreville, mußten Frau Josserand ihren Schal anziehen helfen; es war ein schwerer, ungeheuer großer Schal mit gelbem Grund, den sie bei allen feierlichen Gelegenheiten anlegte, obgleich er längst außer Mode war, und obgleich die Größe und seine bunten grellen Farben die Straßen in Aufruhr brachten, als ob sie ein mit Vorhängen und Tapeten ausgeschlagenes, wandelndes Haus sei.
Jetzt hieß es wieder, auf Herrn Josserand warten. Er suchte einen Manschettenknopf unter den Möbeln, der tags vorher mit dem Kehricht weggefegt war. Endlich erschien er und stammelte etwas zu seiner Entschuldigung; ganz außer sich, dabei doch höchst vergnügt, ging er zuerst hinunter, indem er den Arm Bertas fest unter dem seinen drückte. Ihnen folgten August und Frau Josserand. Dann kam die lange Reihe von Gästen, die beim Ausgange durch ein lautes Gemurmel die tiefe Stille störte, die sonst auf der Treppe herrschte. Theophile hatte sich Duverdy angeschlossen, dem er mit seiner Geschichte die ernste Stimmung verdarb. Er jammerte ihm die Ohren voll und verlangte Ratschläge, während Valerie, die sich wieder erholt hatte, vor ihnen in bescheidener Haltung einhergehend die zärtlichen Ermutigungen der Frau Juzeur anhörte und die fürchterlichen Blicke ihres Gatten gar nicht zu bemerken schien.
Dein Gebetbuch! rief Frau Josserand plötzlich verzweifelt aus.
Die Gesellschaft hatte sich schon in die Wagen gesetzt; Angela mußte wieder hinauf, das Gebetbuch mit weißem Samtdeckel zu holen. Endlich fuhren sie ab. Alle Hausleute standen draußen, die Hausmägde, die Hausmeistersleute; Marie Pichou war mit Lilitte heruntergekommen, wie zum Ausgehen angekleidet, und der Anblick der hübschen und schön gekleideten Braut rührte sie zu Tränen. Herr Gourd bemerkte, daß nur die Leute vom zweiten Stockwerke sich nicht gerührt hatten: sonderbare Hausbewohner, die alles anders taten als die übrigen Leute.
In der Rochus-Kirche wurden beide Flügel der Pforte geöffnet. Ein roter Teppich lief bis auf den Fußweg herunter.
Es regnete; der Maimorgen war recht kühl.
Dreizehn Stufen, sagte Frau Juzeur ganz leise zu Valerie, als sie durch die Türe gingen. Das ist kein gutes Zeichen.
Sobald der Hochzeitszug zwischen den beiden Bankreihen erschien, in der Richtung auf den Chor zuschreitend, wo die Wachskerzen des Altars gleich Sternen glänzten, stimmte die Orgel über den Häuptern der Brautleute einen Freudensang an. Es war eine reiche, heiter anmutende Kirche mit ihren großen weißen Fenstern, gelb und zartblau eingesäumt, mit ihrer roten Marmorverkleidung am Fuße der Mauern und Säulen, ihrer vergoldeten Kanzel, gestützt von den vier Evangelisten, ihren Seitenkapellen, wo die Vergoldungen funkelten. Gemälde von der Heiterkeit eines Opernhauses belebten die Wölbung. Kristalleuchter hingen an langen Schnüren herab. Über die weiten Öffnungen der unterirdischen Heizung hinwegschreitend, empfingen die Damen einen warmen Hauch unter ihre Röcke.
Sie sind sicher, daß Sie den Trauring haben? fragte Frau Josserand August, der sich mit Berta auf die Sessel von rotem Samt niederließ, die vor dem Altar aufgestellt waren.
Er ward bestürzt, glaubte, ihn vergessen zu haben, fühlte ihn aber dann in seiner Westentasche. Übrigens hatte sie seine Antwort nicht abgewartet. Seit ihrem Eintritt in die Kirche hatte sie sich erhoben und musterte mit ihren Blicken die Erschienenen; Trublot und Gueulin, beide Ehrenjunggesellen; den Onkel Bachelard und Campardon, Zeugen der Braut; den Doktor Juillerat und Duverdy, Zeugen des Bräutigams; dann die ganze Menge von Bekannten, auf die sie stolz war.
Aber plötzlich hatte sie Octave bemerkt, der mit Eifer für Frau Hédouin einen Weg freimachte: sie zog ihn hinter einen Pfeiler, wo sie lebhaft mit ihm sprach. Der junge Mann schien nicht zu begreifen, sein Gesicht war ganz verblüfft. Trotzdem schenkte er ihr mit der Miene liebenswürdigen Gehorsams Gehör.
Es ist abgemacht, sagte Frau Josserand Valerie ins Ohr, indem sie sich wieder auf einen der für die Familie bestimmten Sessel hinter jenen von Berta und August setzte.
Es waren da Herr Josserand, die Vabre, Duverdy. Die Orgel ließ jetzt Skalen kurzer, heller Töne vernehmen. Man nahm Aufstellung, das Chor füllte sich, die Herren blieben im Hintergrunde. Der Abbé Mauduit behielt sich die Freude vor, die Verbindung eines seiner lieben Beichtkinder einzusegnen. Als er im Chorhemde erschien, wechselte er ein freundschaftliches Lächeln mit den Anwesenden, unter denen er viele Gesichter erkannte. Doch die Chorsänger stimmten jetzt das Veni Creator an, die Orgel begann wieder ihren Triumphgesang. Das war der Augenblick, in dem Theophile Octave links vom Chor vor der Kapelle des heiligen Joseph entdeckte.
Seine Schwester Clotilde wollte ihn zurückhalten.
Ich kann nicht, stotterte er, niemals werde ich es dulden!
Er nötigte Duverdy, ihm zu folgen, um die Familie zu vertreten. Das Veni Creator wurde fortgesetzt. Einige Köpfe wandten sich um; die Eingeweihten brannten vor Neugierde.
Theophile, der von Ohrfeigen gesprochen hatte, war von einer solchen Aufregung ergriffen, als er Octave ansprach, daß er anfangs kein Wort finden konnte, und gepeinigt von dem Gedanken, daß er klein sei, stellte er sich auf die Fußspitzen, um größer zu erscheinen.
Mein Herr, sagte er endlich, ich habe Sie gestern mit meiner Frau gesehen ...
Aber das Veni Creator war zu Ende, und er erschrak, als er den Ton der eigenen Stimme hörte. Übrigens gab ihm Duverdy, sehr unangenehm berührt von diesem Abenteuer, zu verstehen, wie schlecht der Ort gewählt sei.
Vor dem Altar begann eben die Feierlichkeit. Nachdem der Priester an die Ehegatten eine rührende Ansprache gerichtet, nahm er den Ehering, um ihn zu weihen.
Benedic, Domine Deus noster, annulum nuptialem hunc, quem nos in tuo nomine benedicimus ...
Hierauf wagte Theophile mit leiser Stimme zu wiederholen:
Mein Herr, Sie waren gestern in dieser Kirche mit meiner Frau.
Octave, noch ganz betäubt von den Mitteilungen der Frau Josserand, hatte nicht gut verstanden und brachte mit heiterer Miene folgende kleine Geschichte vor:
In der Tat, ich bin der Frau Vabre begegnet; wir gingen mitsammen, um die Wiederherstellungsarbeiten an der Calvaria in Augenschein zu nehmen, die mein Freund Campardon leitet.
Sie gestehen? stammelte der Gatte, von Wut ergriffen; Sie gestehen? ...
Duverdy glaubte ihm auf die Schultern klopfen zu sollen, um ihn zu besänftigen. Eine durchdringende Kinderstimme antwortete vom Chor herab:
Amen!
Sie erkennen ohne Zweifel auch diesen Brief? fuhr Theophile fort, Octave ein Papier reichend.
Nicht doch, nicht hier! sagte der Rat voll Ärger. Sie verlieren die Vernunft, mein Lieber.
Octave öffnete den Brief. Die Aufregung der Anwesenden schien zu steigen. Ein Flüstern ging durch den Raum, man stieß einander mit den Ellbogen, man sah über die Gebetbücher hinweg; niemand schenkte der Feier auch nur die geringste Aufmerksamkeit. Die beiden Verehelichten allein standen mit feierlicher Miene und bewegt vor dem Priester. Nur Berta merkte instinktmäßig, daß etwas vorgehe; sie wandte den Kopf und bemerkte Theophile, der totenbleich vor Octave stand; seit diesem Augenblicke war sie zerstreut, sie hörte nicht auf, leuchtende Blicke nach jener Seite zu werfen, wo die Kapelle des heiligen Joseph lag.
Inzwischen las der junge Mann halblaut:
»Mein Schatz, wie glücklich war ich gestern! Auf Dienstag in der Kapelle der heiligen Engel im Beichtstuhle.«
Nachdem der Priester vom Bräutigam ein »Ja« erhalten hatte, ein »Ja« des ernsten Mannes, der nichts unterzeichnet, ohne gelesen zu haben, wandte er sich an die Braut:
Sie versprechen und schwören, Herrn August Vabre die Treue in allen Dingen zu bewahren, wie eine treue Gattin dies ihrem Gatten nach göttlichem Gebote schuldet?
Als Berta aber den Brief in Octaves Händen sah, dachte sie nur an die Ohrfeigen, die da kommen würden, sie hörte nicht, was der Priester sprach und lauerte nur durch eine Ecke ihres Schleiers. Es war das eine Verlegenheitspause. Endlich fühlte sie, daß man ihrer Antwort harre.
Ja, ja, antwortete sie rasch, auf Geratewohl.
Der Abbé Mauduit folgte erstaunt der Richtung ihres Blickes und begriff, daß eine ungewohnte Szene sich im Hintergrunde abspiele. Dadurch ward er selbst zerstreut. Jetzt ging die Geschichte um, und jeder kannte sie. Die Damen, bleich und mit ernster Miene, ließen Octave nicht mehr aus den Augen. Die Männer lächelten mit verstohlen aufgeräumten Mienen. Während Frau Josserand Frau Duverdy durch ein leichtes Achselzucken beruhigte, schien Valerie allein sich um die Trauung zu kümmern, nichts weiter sehend, von Rührung völlig durchdrungen.
»Mein Schatz, wie glücklich war ich gestern ...« las Octave aufs neue, eine große Überraschung heuchelnd.
Nachdem er den Brief dem Gatten zurückgegeben hatte, sagte er:
Ich begreife nicht, mein Herr. Diese Schrift ist nicht die meine ... Sehen Sie übrigens.
Indem er sein Notizbuch, in das er seine Ausgaben eintrug, hervorzog, zeigte er es Theophile.
Wie? nicht Ihre Schrift? stammelte dieser. Sie machen sich über mich lustig; das muß Ihre Schrift sein!
Der Priester machte das Zeichen eines Kreuzes über die linke Hand Bertas. Die Augen anderswohin gerichtet, irrte er sich und machte es über die rechte Hand.
In nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti.
Amen! antwortete der Chorknabe, sich auf die Fußzehen stellend, um besser zu sehen.
Endlich wurde der Skandal vermieden. Duverdy hatte dem betroffenen Theophile bewiesen, daß der Brief nicht von Herrn Mouret herrühren könne. Das war beinahe eine Enttäuschung für die Anwesenden. Es folgten Seufzer, lebhaft ausgetauschte Worte. Als jeder sich wieder dem Altar zukehrte, waren Berta und August vermählt, sie, als ob sie gar nicht darauf geachtet habe, er, indem er kein Wort von der Rede des Priesters verlor, ganz dem feierlichen Vorgange sieh widmend, nur durch seine Migräne gestört, die ihm das linke Auge zupreßte.
Die lieben Kinder! sagte Herr Josserand ganz versunken mit zitternder Stimme zu Herrn Vabre, der seit dem Beginne der Feierlichkeit sich mit dem Zählen der angezündeten Wachskerzen beschäftigte, sich beständig irrend und seine Zählung immer wieder aufnehmend.
Die Orgel aber durchbrauste neuerdings das Schiff der Kirche, der Abbé Mauduit erschien wieder im Meßgewande, und die Chorsänger sangen die Messe. Es war eine musikalische Messe mit großem Pomp. Onkel Bachelard, der die Runde um die Kapellen machte, las die lateinischen Inschriften der Gräber, ohne sie zu verstehen; die auf dem Grabe des Herzogs von Créquy interessierte ihn besonders. Trublot und Gueulin hatten sich zu Octave begeben, um Einzelheiten zu erfahren, und alle drei lachten hinter der Kanzel. Die Gesänge schwollen plötzlich an wie Sturmesbrausen, die Ministranten schwangen die Rauchfässer; dann hörte man das Klingeln der Glöckchen, in der Stille vernahm man das Stammeln des Priesters vor dem Altare.
Theophile duldete es nicht auf seinem Platze; er hielt Duverdy zurück, den er mit seinen verrückten Bemerkungen überhäufte, da er nicht begreifen konnte, wieso der Herr vom Stelldichein nicht der Urheber dieses Briefes war. Die Anwesenden fuhren fort, jede seiner Bewegungen zu beobachten. Die ganze Kirche mit ihrer Reihe von Priestern, ihrem Latein, ihrer Musik, ihrem Weihrauch, besprach lebhaft das Abenteuer. Als der Abbé Mauduit nach dem Pater herabstieg, um über die Neuvermählten einen letzten Segen zu sprechen, befragte er mit einem tiefen, durchdringenden Blick die Gläubigen, die aufgeregten Gesichter der Frauen, das hämische Lachen der Männer unter dem hellen Lichte der Fenster inmitten des üppigen Reichtums des Kirchenschiffes und der Kapellen.
Gestehen Sie nichts, sagte Frau Josserand zu Valerie, als die Familie nach der Kirche sich in die Sakristei zu gehen anschickte.
In der Sakristei trugen zuvörderst die Neuvermählten und die Zeugen ihre Namen in das Kirchenbuch ein. Doch man mußte auf Campardon warten, der die Damen soeben zur Besichtigung der Calvarienarbeiten in den Hintergrund des Chors hinter eine Bretterverschalung führte. Er kam endlich, entschuldigte sich und bedeckte das Register mit einem, breiten Namenszug. Der Abbé Mauduit reichte, um die beiden Familien zu ehren, die Feder jedem einzelnen hin, mit dem Finger die Stelle bezeichnend, wo die Unterschrift erfolgen sollte, und lächelte mit seiner Miene liebenswürdiger, weltmännischer Duldung inmitten der ernsten Örtlichkeit, deren Getäfel einen beständigen Weihrauchgeruch beibehielt.
Wohlan, mein Fräulein, fragte Campardon Hortense, macht Ihnen das nicht Lust, ein gleiches zu tun?
Dann bedauerte er seinen Mangel an Takt. Hortense, welche die ältere war, kniff die Lippen zusammen. Indessen rechnete sie darauf, an demselben Abend auf dem Balle eine bestimmte Antwort von Verdier zu erhalten, den sie drängte, zwischen ihr und seiner Kreatur zu wählen. Doch sie antwortete Campardon mit rauher Stimme:
Ich habe Zeit ... Sobald ich will ...
Sie kehrte dem Architekten den Rücken und stieß dabei auf ihren Bruder Leo, der allein ankam, zu spät wie immer.
Du bist artig, Papa und Mama sind sehr zufrieden ... Nicht da zu sein, wenn man eine seiner Schwestern verheiratet! Wir erwarteten dich zum mindesten mit Frau Dambreville.
Frau Dambreville tut, was ihr beliebt, sagte der junge Mann trocken, und ich tue, was ich kann.
Sie waren gegeneinander erkaltet, er und die Dambreville. Leo fand, daß sie ihn zu lange für sich behalte, und war einer Liebschaft überdrüssig geworden, deren Lästigkeit er in der alleinigen Hoffnung auf eine gute Heirat ertragen hatte. Seit vierzehn Tagen ließ er sie fahren samt ihren Versprechungen. Frau Dambreville, von Liebeswut ergriffen, beklagte sich selbst bei Frau Josserand über das, was sie die tollen Einfälle ihres Sohnes nannte. Letztere wollte ihn auszanken, indem sie ihm vorwarf, daß er keinerlei Zärtlichkeit oder Rücksicht gegen seine Familie übe, da er in den feierlichsten Augenblicken fehle. Aber mit dem hochmütigen Tone des jungen Demokraten gab er seine Gründe dafür an: eine unvorhergesehene Arbeit bei dem Abgeordneten, dessen Sekretär er war, ein Vortrag, der vorzubereiten war, alle möglichen Mühen und Gänge von dringendster Wichtigkeit.
Eine Heirat geht so rasch vonstatten, sagte Frau Dambreville, ohne über ihren Satz nachzudenken, indem sie ihm flehende Blicke zuwarf, um ihn zu erweichen.
Nicht immer, erwiderte er hart.
Er ging Berta umarmen, dann seinem neuen Schwager die Hand drücken, während Frau Dambreville erbleichte, gepeinigt, sich in ihrer mattgelben Toilette zurückwendend und den Leuten unbestimmt zulächelnd.
Jetzt zog der Zug der Freunde, der einfachen Bekannten, aller Geladenen, die die Kirche gefüllt hatten, durch die Sakristei. Die Neuvermählten tauschten stehend fortwährend Händedrücke aus, beide mit entzückten und verlegenen Mienen. Die Josserand und Duverdy konnten kaum mit den Vorstellungen fertig werden. Von Zeit zu Zeit sahen sie einander erstaunt an, Bachelard führte Leute herein, die niemand kannte, und die zu laut sprachen. Nach und nach stieg die Verwirrung, das Drängen und Stoßen, es zeigten sich über den Köpfen ausgestreckte Arme, junge Mädchen, eingeschlossen zwischen Herren mit dicken Bäuchen, die Enden ihrer weißen Röcke zwischen den Beinen dieser Väter, dieser Brüder und dieser Oheime, die noch von irgendeinem Laster schwitzten. Seitwärts standen Gueulin und Trublot und erzählten Octave eben, daß gestern Clarisse den Fehler begangen, sich von Duverdy mit einem andern überraschen zu lassen, und sich darein ergeben habe, ihn mit ihren Gefälligkeiten zu überhäufen, um ihn zu blenden.
Halt! murmelte Gueulin, er umarmt die junge Frau: Das muß gut riechen!
Inzwischen hatten die Gäste sich allmählich entfernt. Nur die Verwandten und vertrautesten Freunde waren noch beisammen geblieben. Das Mißgeschick, welches Theophil getroffen, machte noch die Runde inmitten der Händedrücke und der Beglückwünschungen. Ja, in den gewöhnlichsten Redensarten, die bei solchen Gelegenheiten gewechselt werden, sprach man einzig und allein davon. Frau Hédouin, die eben das Abenteuer erzählen hörte, betrachtete Valerie mit der Verwunderung einer Frau, deren Ehrbarkeit durchaus makellos war. Ohne Zweifel hatte auch der Abbé Mauduit vertrauliche Mitteilung von dem Vorfall erhalten, denn seine Neugierde schien befriedigt, und er zeigte mehr Salbung als gewöhnlich inmitten des heimlichen Jammers seiner Herde. Abermals eine offene Wunde, urplötzlich blutig aufgerissen, über die er den Mantel der Religion werfen mußte!
Er ließ es sich angelegen sein, Theophil einige Zeit zu unterhalten, sprach mit ihm freundlich über die Vergebung von Beleidigungen, von den unerforschlichen Ratschlüssen Gottes, indem er vor allem das öffentliche Gerede zum Schweigen bringen wollte, und machte eine Bewegung voll Mitleid und Verzweiflung, als ob er dem Himmel selbst die Schmach dieser Gesellschaft verbergen wolle.
Wie gütig der Pfarrer ist! Er weiß kaum, was das heißt! murmelte Theophile, den diese Predigt vollends verwirrte.
Valerie, die anstandshalber Frau Juzeur neben sich behalten hatte, hörte mit Rührung auf die versöhnenden Worte, die der Abbé Mauduit auch an sie richten zu sollen glaubte. Als man endlich aus der Kirche ging, blieb sie vor den beiden Brautvätern stehen, um Berta am Arme ihres Bräutigams vorbeischreiten zu lassen.
Sie sind wohl zufrieden, sagte sie zu Herrn Josserand, um ihm zu beweisen, daß sie ganz unbefangen sei. Ich gratuliere Ihnen.
Gewiß, versicherte Herr Vabre mit seiner schwerfälligen Stimme; da sind wir einer wichtigen Verantwortlichkeit enthoben.
Während Trublot und Gueulin sich fast in Stücke rissen, um alle Damen in den Wagen unterzubringen, beharrte Frau Josserand, deren Schal den Verkehr hemmte, hartnäckig, bis zu allerletzt auf dem Fußweg zu bleiben, um aller Welt ihr Mutterglück zu zeigen. Auch das Hochzeitsmahl, das abends im Louvre-Hotel stattfand, wurde durch den unglückseligen Vorfall des Theophile gestört. Die Leute waren wie besessen; den ganzen Nachmittag bildete dieses Ereignis das Gespräch in den Wagen auf dem Wege nach dem Boulognegehölz; und die Schlußfolgerung aller Damen lief darin aus, daß der Gatte mit der Auffindung des Briefes bis zum nächsten Tage hätte warten müssen.
Übrigens waren nur die vertrautesten Freunde beider Familien bei Tische. Den heitersten Punkt des Mahles bildete ein Trinkspruch des Onkel Bachelard, den die Josserand nicht umhin konnten einzuladen, so zuwider er ihnen auch gewesen sein mochte. Man war kaum beim Braten angelangt, als er schon berauscht war. Er erhob sein Glas und verwickelte sich in der Redewendung: »Ich freue mich des Glückes, das ich empfinde«, die er wiederholte, ohne aus ihr herauszukommen. Man tat ihm den Gefallen, darüber zu lachen. August und Berta, ganz erschöpft vor Müdigkeit, blickten von Zeit zu Zeit einander an, gleichsam verwundert darüber, daß sie sich einander gegenüber befanden, und wenn ihnen die Ursache einfiel, senkten sie den beschämten Blick auf ihre Teller.
Nahezu zweihundert Einladungen zum Ball waren versandt worden. Schon um halb zehn Uhr kamen Gäste an. Drei Kronleuchter bestrahlten den großen, roten Salon, in dem man bloß längs der Wände Sitze gelassen hatte; an einem Ende vor dem Kamin war ein kleiner Raum für die Musik abgesondert; in einem anstoßenden Saal war ein Büfett errichtet, und die beiden Familien hatten ein Gemach in Beschlag genommen, wohin sie sich zurückziehen konnten.
Eben als Frau Josserand und Frau Duverdy die ersten Gäste empfingen, ließ sich der arme Theophile, den man seit dem Morgen schon ängstlich beobachtet hatte, zu einer bedauerlichen Rücksichtslosigkeit hinreißen. Campardon bat nämlich Valerie in seiner Gegenwart zum ersten Walzer; sie lachte, was Theophile als eine Herausforderung deutete.
Du lachst, du lachst, stammelte er. Sage mir, von wem der Brief ist? Jemand muß ihn doch geschrieben haben, diesen Brief?
Er hatte sich den ganzen Nachmittag damit abgequält, die Sache ins reine zu bringen, nachdem die Antworten Octaves ihn in neue Rätsel verwickelt hatten. Er blieb hartnäckig dabei. War es nicht Herr Mouret, dann war es ein anderer, und er verlangte einen Namen. Da Valerie sich entfernte, ohne ihm eine Antwort zu geben, faßte er sie beim Arm, preßte ihn voll Bosheit und wütend wie ein gereiztes Kind und rief wiederholt:
Ich breche dir den Arm, oder du sagst mir, wer dir den Brief geschrieben hat!
Die erschrockene junge Frau unterdrückte einen Schmerzensschrei, wurde aber ganz bleich. Campardon fühlte, wie sie auf seine Schulter sank, überwältigt von einem jener nervösen Anfälle, die sie Stunden hindurch einer tödlichen Ohnmacht preisgaben. Er hatte kaum Zeit, sie in das für die beiden Familien bestimmte Gemach zu bringen, wo er sie auf das Sofa legte. Einige Damen waren ihm gefolgt; Frau Juzeur und Frau Dambreville schnürten sie auf, während er sich anstandshalber zurückzog.
Es hatten indes höchstens drei oder vier Personen im Salon diesen kurzen, aber heftigen Auftritt bemerkt. Frau Josserand und Frau Duverdy fuhren fort, die Gäste zu empfangen, deren Gewoge das geräumige Gemach nach und nach mit weißen Toiletten und schwarzen Fräcken füllte. Ein Gemurmel von Liebenswürdigkeiten, beifällig lächelnde Gesichter umgaben fortwährend Berta in ihrem weißen Kleide; dicke Väter und Mütter, Mädchen mit hagerem Gesicht, zarte, mitfühlende Köpfchen junger Frauen.
Ich bitte Sie um Verzeihung, mein Herr, sagte Theophil zu Octave, dessen Blicken er begegnet war, als er seiner Frau den Arm preßte. Jeder andere an meiner Stelle würde Sie verdächtigt haben; das sehen Sie doch wohl selber ein? Ich aber will Ihnen gerne freundschaftlich die Hand reichen, um Ihnen zu beweisen, daß ich meinen Irrtum eingesehen habe.
Er drückte ihm die Hand, nahm ihn auf die Seite, gequält von einem Bedürfnisse, sein Herz auszuschütten, von der Not nach einem treuen Herzen, um sein eigenes darin zu ergießen.
Ach, mein Herr, wenn Sie wüßten!
Er fing an, weitläufig von seiner Frau zu sprechen. Als junges Mädchen sei sie schwächlich gewesen. Die Heirat, hieß es scherzweise, werde sie herstellen. Die freie Luft ging ihr ab in dem Laden ihrer Eltern, wo er sie drei Monate hindurch jeden Abend besucht und sie sehr sanft, gehorsam, von trauriger, aber liebenswürdiger Gemütsart gefunden hatte.
Die Heirat hat sie indes durchaus nicht hergestellt. Schon nach einigen Wochen war sie schrecklich; wir konnten uns nicht mehr verstehen. Streitigkeiten um nichts und wieder nichts. Jeden Augenblick eine andere Laune; bald lachte sie, bald weinte sie, ohne daß ich erfahren konnte, worüber. Abgeschmackte Ansichten, Einfälle zum Verrücktwerden, ein ewiges Jucken, jedermann wütend zu machen ... Kurz, mein Herr, unser Haushalt ist zur Hölle für uns geworden.
Das ist recht sonderbar, sagte Octave, der die Notwendigkeit fühlte, etwas zu sagen.
Totenblaß richtete sich der Gatte auf seinen kurzen Beinen so hoch auf, wie er nur konnte, um sein lächerliches Wesen zu decken, und kam zur Erzählung dessen, was er das schlechte Betragen dieser Unglücklichen nannte. Zweimal habe er gegen sie Verdacht geschöpft; er sei jedoch zu ehrbar, als daß ein solcher Gedanke ihm in den Kopf kommen könne. Diesmal jedoch, angesichts der Beweise, müsse er endlich auftreten. Unmöglich könne er noch länger zweifeln; sei dem nicht so? Und er betastete mit zitternden Fingern seine Westentasche, wo sich der Brief befand.
Wenn sie es noch für Geld täte, könnte ich mir's erklären, fügte er hinzu; aber man gibt ihr doch keines, ich bin davon überzeugt, da ich's sonst erfahren würde ... Sagen Sie mir also, was ihr in der Haut stecken mag? Ich bin sehr höflich, sie hat alles im Hause, ich begreife sie nicht ... Wenn Sie es wissen, mein Herr, bitte ich Sie, mir es zu sagen.
Das ist höchst sonderbar, höchst eigentümlich, sagte Octave wiederholt, dem diese vertraulichen Mitteilungen lästig waren, und der loszukommen suchte.
Der gekränkte Gatte ließ ihn jedoch nicht mehr los; das Bedürfnis nach Gewißheit hatte ihn in eine fieberhafte Gärung versetzt. In diesem Augenblicke kam Frau Juzeur wieder herein, ging auf Frau Josserand zu, der sie etwas ins Ohr flüsterte. Letztere grüßte mit einer tiefen Verbeugung einen eintretenden Juwelier vom Königspalast und eilte dann der erstem nach, indem sie mit dem Rücken gegen die Türe gekehrt sich rasch entfernte.
Ich glaube, daß Ihre Frau einen heftigen Anfall hat, bemerkte Octave zu Theophil gewendet.
Meinetwegen! antwortete der letztere wütend, erbittert darüber, daß er nicht krank war, damit man auch ihn pflegen könne. Sie ist recht froh über einen solchen Anfall. Das bringt die Leute auf ihre Seite ... Ich befinde mich nicht besser als sie und habe sie doch nicht hintergangen.
Frau Josserand kam nicht wieder. Die Freunde erzählten sich, daß Valerie sich in entsetzlichen Krämpfen winde. Es sei nötig gewesen, daß Männer sie hielten. Da man sie aber habe halb auskleiden müssen, wurden die Anerbietungen Trublots und Gueulins abgelehnt. Unterdessen spielte das Orchester eine Quadrille, Berta eröffnete den Ball mit Duverdy, der mit der seiner Stellung angemessenen Würde tanzte, während August, der Frau Josserand nicht finden konnte, ihnen mit Hortense das Gegenüber machte. Man hielt den Anfall der Valerie geheim vor dem Brautpaare, um ihnen gefährliche Gemütsbewegungen zu ersparen. Der Ball gestaltete sich lebhafter; heiteres Gelächter ertönte in dem von den Kronleuchtern hell bestrahlten Saale.
Bei den Tönen einer Polka, welche die Musik mit künstlerischer Genauigkeit vortrug, wirbelten die Paare durch den Saal und entfalteten eine ganze Reihe langer Schleppen.
Herr Doktor Juillerat? Wo ist Herr Doktor Juillerat? fragte Frau Josserand, die erregt hereingestürzt kam.
Der Doktor war eingeladen, aber niemand hatte ihn wahrgenommen. Da verhehlte sie nicht mehr den dumpfen Zorn, der sich seit dem Morgen in ihr angehäuft hatte; sie sprach vor Octave und Campardon, ohne die Ausdrücke zu wählen.
Nun habe ich die Geschichte aber satt ... Diese unaufhörliche Hahnreischaft geht schon über den Spaß hinaus! Und am Hochzeitstage meiner Tochter! ...
Sie suchte Hortense; sie sah sie endlich mit einem Herrn plaudern, von dem sie zwar nur den Rücken sah, in dem sie aber an den breiten Schultern Verdier erkannte. Das vermehrte ihren Unmut. Sie rief das Mädchen in trockenem Tone zu sich und sagte ihr dann mit gedämpfter Stimme, daß sie besser daran tue, an einem solchen Tage zur Verfügung der Mutter zu sein. Hortense nahm aber die Zurechtweisung nicht an. Sie war eben in ihrem Triumphe, denn Verdier hatte ihre Heirat nach zwei Monaten, auf den Monat Juni festgesetzt.
Hör' mir damit auf! sagte die Mutter. Ich versichere dir, Mama ... Er schläft schon dreimal wöchentlich auswärts, um die andere daran zu gewöhnen, und nach vierzehn Tagen wird er gar nicht mehr zurückkehren. Es ist dann aus damit, und ich krieg' ihn.
Laß mich damit in Ruh'! Ich habe den Kopf toll und voll mit euren Romanen! Du wirst den Doktor Juillerat an der Türe erwarten und ihn zu mir schicken, sobald er ankommt ... Deiner Schwester darfst du aber kein Wort sagen.
Hierauf begab sie sich ins anstoßende Zimmer zurück. Hortense, die zurückblieb, brummte vor sich hin, daß sie, gottlob, niemandes Zustimmung bedürfe und daß eines schönen Tages die Welt damit überrascht werde, daß sie besser verheiratet sei als ihre Schwester. Sie ging indes, um auf die Ankunft des Doktors zu achten.
Das Orchester spielte jetzt einen Walzer. Berta tanzte mit einem kleinen Vetter ihres Bräutigams, um, wie üblich, mit allen Mitgliedern der Familie eine Runde zu machen. Frau Duverdy hatte dem Onkel Bachelard eine Runde nicht abschlagen können, so sehr er sie auch belästigte, indem er ihr ins Gesicht schnaufte. Die Hitze nahm stetig zu, das Büfett füllte sich schon mit Herren, die sich die Stirne trockneten.
In einer Ecke hüpfte eine Gruppe junger Mädchen herum, während in einiger Entfernung sinnende Mütter saßen und über die stets verfehlten Heiratspartien ihrer Töchter nachdachten.
Die beiden Väter wurden vielfach glücklich gepriesen. Herr Vabre und Herr Josserand trennten sich in der Tat nicht mehr, ohne jedoch miteinander ein Wort auszutauschen. Alle schienen vergnügt zu sein und priesen vor ihnen die Lustigkeit des Balles. Es war, um mit Campardon zu sprechen, eine gediegene Unterhaltung. Der Architekt war über den Zustand Valeriens sehr beunruhigt, ohne darum bei einem Tanze zu fehlen. Er schickte seine kleine Tochter Angela Erkundigungen in seinem Namen einholen. Die vierzehnjährige Kleine brannte vor Begierde nach der Dame, die seit dem Morgen soviel hatte von sich reden machen, und war ganz glücklich, in den benachbarten Salon eindringen dürfen. Da sie nicht zurückkam, konnte der Architekt sich's nicht versagen, die Türe halb zu öffnen und den Kopf hineinzustecken.
Er bemerkte seine Tochter vor dem Sofa, ganz vertieft in den Anblick Valeriens, deren gespannter Busen, von Atembeklemmungen gequält, aus dem losgehäkelten Leibchen hervorquoll.
Man erhob Einwendungen; man rief ihm zu, nicht einzutreten, worauf er sich entfernte und beteuerte, daß er nur erfahren wolle, welche Wendung es mit ihr genommen habe.
Es geht schlimm mit ihr! sagte er den Gästen, die vor der Türe standen. Vier Personen müssen sie halten. Eine Frau muß doch seltsam gebaut sein, um so zu zucken, ohne aus den Fugen zu gehen.
Es hatte sich eine Gruppe gebildet. Man erörterte halblaut die geringsten Augenblicke der Krise. In den Pausen zwischen den Quadrillen kamen Damen, von dem Vorfall benachrichtigt, mit bekümmerten Mienen in den kleinen Salon, kehrten dann zu den Herren zurück, um ihnen Nachrichten zu bringen, und widmeten sich wieder dem Tanze. Inmitten des wachsenden Lärms hatte sich hier ein stiller, geheimnisvoller Winkel gebildet, wo man einander kurze Bemerkungen zuraunte und verständnisvolle Blicke austauschte. Theophil aber ging allein, verlassen und wütend vor der Türe auf und nieder, krank gemacht durch die fixe Idee, daß man sich über ihn lustig mache, was er nicht dulden dürfe.
Jetzt durchschritt der Doktor Juillerat lebhaft den Ballsaal, gefolgt von Hortense, die ihm Erklärungen gab. Hinter ihnen kam Frau Duverdy. Einige Leute äußerten sich sehr erstaunt; allerlei Gerüchte liefen um. Kaum war der Doktor verschwunden, als Frau Josserand mit Frau Dambreville aus dem Zimmer trat. Sie ward immer wütender; sie hatte soeben zwei Flaschen Wasser über den Kopf Valeriens ausgegossen; niemals hatte sie eine dermaßen nervöse Frau gesehen.
Sie entschloß sich, eine Runde durch den Saal zu machen, um durch ihre Anwesenheit den unfeinen Bemerkungen ein Ende zu machen. Allein sie ging mit so erschrecklichen Tritten einher und teilte Lächeln von solcher Bitterkeit aus, daß hinter ihr jeder Mensch sofort das Geheimnis erfahren mußte.
Frau Dambreville wich nicht von ihrer Seite. Schon seit dem Morgen redete sie ihr unaufhörlich von Leo, brachte unbestimmte Klagen vor und bemühte sich, sie zu überreden, daß sie die Wiederanknüpfung des Verhältnisses zwischen ihnen vermittle. Sie zeigte ihn seiner Mutter, wie er eben ein großes, hageres Mädchen auf seinen Platz zurückgeleitete. Den ganzen Abend hindurch hatte er diesem Mädchen den Hof gemacht.
Er verläßt uns, sagte Frau Dambreville kichernd, wobei sie ihre Tränen kaum zurückzudrängen vermochte. Zanken Sie ihn doch ein wenig aus dafür, daß er uns gar nicht mehr beachtet.
Leo! rief Frau Josserand.
Als er kam, fragte sie in dürren Worten, ohne die Dinge verhüllen zu wollen:
Weshalb bist du in Groll mit Frau Dambreville? ... Sie zürnt dir ja nicht ... Verständigt euch doch. Ein solches Betragen führt zu nichts; man soll nicht bösartig sein.
Mit diesen Worten ließ sie die beiden ganz verblüfft beieinander stehen. Frau Dambreville nahm den Arm Leos, und sie begaben sich in eine Fensternische, um sich dort auseinanderzusetzen; endlich verließen sie in versöhnter Stimmung miteinander den Ball. Sie hatte ihm geschworen, ihn bis zum Herbst zu verheiraten.
Währenddessen war Frau Josserand, die fortfuhr, nach allen Seiten hin zu lächeln, tief erregt, als sie vor Berta stand, die vom Tanze ganz atemlos, hochgerötet in ihrem zerknitterten Kleide dastand. Sie nahm sie in ihre Arme und einem unbestimmten Gedankengange nachgebend, ohne Zweifel an die andere denkend, die im anstoßenden Zimmer in Krämpfen lag, sagte sie:
Meine arme, liebe Kleine! und dabei küßte sie sie auf beide Wangen.
Berta aber fragte ganz ruhig:
Wie geht es ihr?
Frau Josserand ward sogleich ganz verstimmt.
Wie, Berta wußte davon? Freilich wußte sie davon, es sprach doch jeder darüber. Bloß ihr Gatte, der eben eine alte Dame zum Büfett führte, kannte die Geschichte noch nicht.
Sie war eben im Begriff, jemanden zu beauftragen, daß er ihren Gatten über den Vorfall verständige, denn es gebe ihm ein gar zu blödes Aussehen, wenn er immer als Unwissender hinter den anderen einherhumpele.
Und ich gab mir alle Mühe, das Unheil verheimlichen zu wollen! rief Frau Josserand sich ereifernd. Jetzt werde ich mir keinen Zwang weiter antun, daß muß ein Ende nehmen. Ich werde nicht dulden, daß sie dich lächerlich machen. In der Tat wußte jeder davon; allein um den Ball nicht zu stören, hielt man an sich. Die ersten Ausdrücke des Bedauerns wurden durch die Musikklänge gedeckt. Als der Tanz lebhafter wurde und die Paare sich enger aneinander schlossen, lächelte man nur darüber. Es war sehr heiß, die Nacht rückte vor. Die Diener reichten Erfrischungen herum. Auf dem Sofa waren zwei kleine Mädchen, von der Müdigkeit überwunden, Arm in Arm, Wange an Wange gelehnt eingeschlafen. In der Nähe des Orchesters, gedeckt von dem Schnarchen eines Kontrabasses, war Herr Vabre damit beschäftigt, Herrn Josserand über sein großes Werk zu unterhalten; er erzählte ihm, wie sehr er sich seit 14 Tagen den Kopf darüber zerbreche, die richtigen Werke zweier Maler von gleichem Namen herauszufinden. In seiner Nähe stand Herr Duverdy inmitten einer Gruppe und sprach einen lebhaften Tadel über den Kaiser aus, weil dieser die Aufführung eines Stückes in der Französischen Komödie gestattet habe, in dem die Gesellschaft angegriffen wurde. Sooft ein Walzer oder eine Polka anging, mußten die Herren den Platz räumen, tanzende Paare sausten vorüber, lange Schleppen fegten das Parkett und verursachten in der von den Kerzen verbreiteten Hitze einen feinen Staub, in den sich das scharfe Parfüm der Damentoiletten mengte.
Es geht ihr besser, meldete jetzt Campardon, der eben wieder einen Blick hineingeworfen hatte. Man darf schon eintreten.
Einige Freunde wagten sich hinein. Valerie lag noch immer, doch hatte der Anfall sich gelegt; man hatte anstandshalber eine Serviette, die man auf einem Tische gefunden, über ihren entblößten Busen gebreitet. Am Fenster standen Frau Juzeur und Frau Duverdy und hörten dem Doktor Juillerat zu, der ihnen erklärte, daß solche Anfälle nicht selten durch warme Umschläge auf den Hals rasch beschworen werden könnten.
Die Kranke hatte indes Octave mit Campardon eintreten gesehen; sie rief ersteren durch einen Wink herbei und richtete in einem letzten Rest von Fieberphantasie allerlei unzusammenhängende Worte an ihn. Er mußte neben ihr Platz nehmen, der Doktor selbst verlangte es, weil vor allem jede Aufregung der Kranken vermieden werden mußte; da empfing Octave ihre Geständnisse, nachdem er im Laufe des Abends schon die des Gatten empfangen hatte. Sie zitterte vor Furcht, hielt ihn für ihren Geliebten und bat ihn, sie zu verbergen. Dann erkannte sie ihn und brach in Tränen aus, indem sie ihm für seine Lüge dankte, mit der er sie am Morgen während der Messe aus der bittern Verlegenheit gerettet hatte.
Octave dachte jetzt an jene andere Krise, bei der er mit schülerhafter Gier die Lage hatte ausnützen wollen; jetzt war er ihr Freund; sie werde ihm alles sagen, und das vielleicht besser sein.
In diesem Augenblicke wollte Theophil, der bis jetzt draußen vor der Tür gelungert hatte, eintreten. Da andere Herren drinnen seien, könne wohl auch er hineingehen, dachte er. Doch diese Absicht brachte neuen Schrecken hervor. Als Valerie seine Stimme hörte, ward sie von einem Zittern befallen, und man glaubte, eine neue Krise sei im Anzuge. Er bat und kämpfte mit den Damen, die ihn zurückschieben wollten. Immer wieder sagte er:
Ich will nur den Namen wissen; sie soll mir nur den Namen sagen.
Da brach Frau Josserand los, die eben hinzukam. Sie zog Theophil in den kleinen Salon, um den Skandal zu unterdrücken. Dort sagte sie ihm wütend:
Werden Sie uns endlich in Ruhe lassen? Seit dem Morgen martern Sie uns mit Ihren Dummheiten; Sie haben keinen Takt, mein Herr, Sie haben absolut keinen Takt. An einem Hochzeitstage darf man nicht auf solche Dinge versessen sein.
Erlauben Sie, murmelte er, das sind meine Angelegenheiten, die Sie nichts angehen.
Wie, sie gehen mich nichts an? Aber ich gehöre ja jetzt zu Ihrer Familie, mein Herr, und glauben Sie mir, daß im Hinblick auf meine Tochter Ihre Geschichte mir wenig Vergnügen macht! ... Sie haben ihr einen schönen Hochzeitstag bereitet! Kein Wort weiter, mein Herr, Sie haben keinen Takt!
Er blickte verstört um sich, gleichsam Hilfe suchend. Doch die übrigen Damen bewiesen durch ihre kühlen Blicke, daß sie ihn ebenso streng verurteilten. Das Wort machte die Runde: er habe keinen Takt; denn es gebe Umstände, unter denen man die Kraft haben müsse, seine Leidenschaften zu bezähmen. Seine Schwester selbst grollte ihm, und weil er noch widersprechen wollte, erhob sich ein allgemeiner Sturm gegen ihn. Nein, nein! rief man, es ist nichts zu sagen; ein solches Benehmen ist unstatthaft.
Dieser Schrei der Entrüstung ließ ihn endlich verstummen. Er sah so vernichtet, so erbärmlich aus mit dem Gesicht eines verfehlten Mädchens, daß die Damen mitleidig über ihn lächelten. Wenn man nicht besitzt, was nötig ist, um eine Frau glücklich zu machen, soll man nicht heiraten. Hortense maß ihn mit verächtlichen Blicken; die kleine Angela, deren Anwesenheit man vergessen hatte, ging mit ihrer verschlagenen Miene um ihn herum, als ob sie etwas suche.
Er wich erschrocken, errötend zurück, als er alle diese großen und kräftigen Damen mit ihren starken Hüften um sich sah. Allein die Damen fühlten die Notwendigkeit, die Angelegenheit beizulegen. Valerie hatte wieder zu schluchzen angefangen, während der Doktor beschäftigt war, ihr Umschläge auf die Schläfen zu legen. Sie verständigten sich mit einem einzigen Blick; der ihnen allen gemeinsame Geist der Abwehr brachte sie einander näher. Sie bemühten sich, dem Gatten den Brief zu erklären.
Verdammt, sagte Trublot zu Octave, die Sache ist ja gar nicht so schwer: man sagt ihm, der Brief sei an das Stubenmädchen gerichtet gewesen.
Frau Josserand hörte ihn. Sie wandte sich um und blickte ihn voll Bewunderung an. Dann sagte sie zu Theophil gewendet:
Glauben Sie, daß eine Frau sich soweit demütigen werde, sich zu entschuldigen, wenn sie so roh angegriffen wird? Aber ich darf reden ... Den Brief hat Franziska verloren, das Stubenmädchen, das Ihre Frau wegen ihrer schlechten Aufführung davonjagen mußte ... Nun, sind Sie zufrieden? Fühlen Sie nicht die Schamröte in Ihr Gesicht steigen?
Der Gatte zuckte zuerst die Achseln. Allein alle diese Damen bewahrten ihren Ernst und entgegneten auf seine Einwendungen mit Vernunftgründen. Er war schon halb und halb wankend gemacht, als noch Frau Duverdy in Zorn ausbrach, sein Benehmen abscheulich fand und erklärte, daß sie ihn als ihren Bruder verleugnen werde. Er war gebrochen, besiegt und sank in seinem Bedürfnis, umarmt zu werden, um Vergebung stammelnd, in die Arme Valeriens. Die Szene war rührend. Selbst Frau Josserand zeigte sich tiefbewegt.
Es ist doch immer besser, sich zu verständigen, sagte sie erleichtert. Der Tag wird denn doch nicht so übel enden.
Als man Valerie wieder angekleidet hatte und sie am Arme ihres Gatten im Ballsaal erschien, schien allgemeine Freudigkeit platzzugreifen. Es war nahezu drei Uhr; die Gäste schickten sich an heimzukehren; allein das Orchester stimmte mit einer letzten Anstrengung die Quadrille an.
Hinter dem wiederversöhnten Ehepaar lächelten die Herren spöttisch. Ein boshaftes Wort Campardons über den armen Theophil versetzte Frau Juzeur in lebhafte Heiterkeit. Die jungen Mädchen drängten sich heran, um Valerie anzuschauen. Als sie die empörten Blicke der Mütter sahen, stellten sie sich ganz einfältig, als begriffen sie nichts.
Mittlerweile mußte Berta, die endlich mit ihrem Gatten tanzte, diesem ein Wort über den Vorfall gesagt haben, denn er wandte jetzt den Kopf und sah seinen Bruder mit dem Erstaunen und der Überlegenheit eines Mannes an, dem Ähnliches nie passieren kann. Jetzt ward der letzte Galopp getanzt; die Gesellschaft überließ sich ohne jede Zurückhaltung dem tollen Tanze in der erstickenden Hitze des Saales, in dem rötlichen Lichte der Kerzen, deren flackernde Flammen einen Schimmer auf die Leuchtereinsätze warfen.
Sie stehen auf gutem Fuß mit ihr? fragte Frau Hédouin Herrn Octave, an dessen Arm sie eine Runde durch den Saal machte.
Der junge Mann glaubte bei dieser Frage, ein leises Beben durch diese gerade und ruhige Taille wahrzunehmen.
Durchaus nicht, sagte er; man hat mich ganz wider meinen Willen in diese Geschichte hineingemengt, die mich sehr langweilt ... Der arme Teufel hat alles hinabgeschluckt.
Man hat sehr übel gegen ihn gehandelt, erklärte sie mit ihrer ernsten Stimme. Octave hatte sich ohne Zweifel geirrt. Als Frau Hédouin ihren Arm losmachte, war sie völlig ruhig, ihre Augen blickten ganz unbefangen drein.
Am Schluß des Balles gab es einen Skandal. Der Onkel Bachelard, der am Büfett den letzten Rest seiner Vernunft vertrunken, hatte sich mit Hilfe von Servietten und zweier Orangen einen großen Ammenbusen gemacht, den Rock aufgeknöpft und tanzte so vor Gueulin einen Cancan von äußerster Schamlosigkeit.
Die ganze Gesellschaft widersprach. Wenn man auch viel Geld verdient, sagte man, darf man doch gewisse Grenzen der Schicklichkeit nicht überschreiten, besonders in Gegenwart von jungen Mädchen. Herr Josserand war beschämt und verzweifelt und ließ seinen Schwager hinausführen; Herr Duverdy machte kein Hehl daraus, daß ihn dieser Auftritt angeekelt habe.
Um vier Uhr kehrten die Neuvermählten in die Choiseul-Straße zurück. Sie hatten Theophil und Valerie in ihrem Wagen mitgenommen. In den zweiten Stock hinaufsteigend, wo für sie eine Wohnung eingerichtet war, trafen sie Octave, der ebenfalls schlafen ging. Der junge Mann wollte aus Höflichkeit beiseite treten, um ihnen Platz zu machen: allein Berta machte die nämliche Bewegung, und so stießen sie aneinander.
Verzeihung, mein Fräulein! sagte er.
Das Wort »Fräulein« versetzte sie in eine heitere Stimmung. Sie sah ihn an, und er erinnerte sich jenes ersten Blickes, den sie auf dieser Treppe ausgetauscht hatten, eines Blickes voll Frohsinn und Unbefangenheit, dessen bezaubernde Wirkung er jetzt wiederfand. Vielleicht verstanden sie einander; sie errötete, während er inmitten der tiefen Stille seinen einsamen Weg in das vierte Stockwerk fortsetzte. August, den noch immer die Migräne plagte, war in die Wohnung vorausgeeilt, wo jetzt nach und nach die Familie ankam. Im Augenblicke, als sie schieden, schloß Valerie, einer plötzlichen Regung nachgebend, Berta in ihre Arme und küßte sie, wobei sie ihr zuflüsterte:
Ich wünsche, daß Sie glücklicher seien als ich.