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»Ich habe Ihnen vertraut, Ihnen mein Glück in die Hand gegeben, aber Sie haben nun nichts getan als mich unsäglich zu quälen: Tag um Tag und Stunde um Stunde wartete ich auf meinen Ruhm, der mir zukommt und dessen ich bedarf, wenn ich nicht verderben soll in Unglück, Hunger, Wut und Begierde. Ich dachte, Sie würden mir Trost bringen in die Verlassenheit, die ich hier ertrage; aber es sollen mich wohl Unrast, Unglück, Entbehrung vereint zermürben – und ich schenke Ihnen noch die Ehre, Sie anzuklagen, einen mir fremden Menschen. Sie sind ein Kaufmann, und als ein Kaufmann haben Sie kein Herz!«
Solcher und noch weit stärkerer Pfeffer kam in dem Schreiben vor, das unser Dichter seit einer Woche an die Adresse seines Verlegers bereithielt und nur aus dem Grunde nicht aufgab, als er sich Tag für Tag sagte, nun müßten die Druckbogen einlaufen. In der ganz unbeschreiblichen Überspannung seiner Ungeduld glaubte er sich zu jedem Vorwurf berechtigt, und es geschah buchstäblich unter Tränen, daß er den Brief in den Postkasten warf.
Er kreuzte sich mit der Sendung des Verlages, den ersten Fahnen, die er abends verdutzt in den Händen hielt.
Es fiel ihm schwer, seine Sprache in ihrem zierlichen Festkleid wiederzuerkennen. Er drückte die Blätter an seine Wange.
Es war eine geradezu phantastische Dankesbezeigung, die das Verlagshaus von ihm erhielt.
Hantierend begann er ein wenig zu singen. Er fühlte sich so geborgen. Hölderlin und alle lieben behutsamen Geister grüßten ihn brüderlich. Um seiner Pflicht zu genügen, machte er sich hinter die Druckfehler her. Einstweilen war gar nichts zu ernten, was ihn beinah ein wenig wurmte. Dagegen wurde er rätig, mit dem Setzer Verbindung zu suchen; er hatte die Empfindung, in diesem aufmerksamen, säuberlichen Mann einen dienstbaren Freund gewonnen zu haben.
Es gelüstete ihn, eine Weile zu schlafen. Die Welt und sein junger Ruhm würden sich derweil drehen. Er dachte an Maja, malte sich aus, wie sie es dereinst erfahren würde, am Fluß, wenn die Sterne kamen.
Aufjubelnd räumte Bach seine Schätze hervor, Papiere und getrocknete Blumen, um sie vor sich auszulegen. Mit traulichen Kammern ging die Nacht vor ihm auf. Eine Windbewegung warf Schnee an das Fenster. In der Ofenwärme roch Harz. Wendel nahm seine Werke zusammen, gewichtige Bündel, die er gegeneinander abwog und gedankenvoll auf dem Schöße hielt. Er schlug das Heftchen seiner Motive und Einfälle auf und schrieb mit zierlicher Druckschrift hinein:
»Das Wolkenland«, Roman.
»Der Apfelzweig«, Novellen.
»Das Feuer im See«, Roman.
»Lied aus der Nacht«, ein Zyklus.
»Die himmlische Zion«.
»Ewiges Griechenland«, eine Dichtung.
»Aufruhr der Götter«, dramatische Rhapsodie – vollbrachte Dinge und Poetenträume.
Er betrachtete diese Namen, atmete auf und ergriff wieder die Druckbogen, roch daran und stellte das Titelblatt vor sich hin, wobei er erschreckend den Schnee gewahrte, der vor den Scheiben anwuchs. Wendel schrieb auf ein Blatt:
Man muß wissen, wie es tut, der Empfänger eines nächtlichen Ständchens zu sein. Man hat erquickend geschlafen; in das Dunkel erwachend, fühlt man eine wohlige Frische in der Gegend des Magens. Linde Musik, die uns aus dem Schlummer wiegte, erfüllt die Nacht wie mit Flaum und man lacht ein wenig auf, denn man gedenkt nicht zu lieben; der singende Schwerenöter da vor den Fenstern kann uns leid tun, auch wenn wir seinen Mut bewundern, mit dem er die Mitternacht aufreißt, herausfordert, zur Rede stellt nach der hitzigen Art der Verliebten. Man rekelt sich wollüstig grausam auf seinem Lager, mitten im Mond, vor dem Liebhaber wie vor einem Wetter geborgen. Die Bürger, weit entfernt davon, sich empören zu wollen, liegen lauschend in ihren Kammern. Die Welt mit Heuwiesen, Bächen, Sternen- und Grillengeflimmer funkelt der Schönen zu Ehren als ein ihr dargebrachtes, von ihren Gnaden bestehendes Eigentum, das die Schläfer gaffend bestaunen ...
Der vergessene Herd Frau Klärchens prasselte ihm in die Erinnerung. Über den Giebel ihres Hauses hing Fruchtgelock, im Eichwald ragte das Kreuz, zu dem er einmal ihr Kindchen getragen hatte, durch eine Märchengegend von Äckern, Ried und Gehölz, wie es ihm jetzt vorkam. Ewig schleppte er süße Trümmer von Vorstellungen in sich, Föhrenkuppen, blauverdämmerte Städte von nirgendsher, Flöße in den Strömen, Kathedralen, Dünen, Seevögel.
Wonnige Verborgenheit umgab seinen Schöpferfleiß. Einen Winter lang überschüttete ihn die Post mit der Arbeit, die ihn so innig beschäftigte; seine Schlösser und Kavaliere erstanden in allen Wolken. Plötzlich hatte der Ruhm es eilig, ihn in die Welt zu verschleppen.
Fräulein Hoffmann neckte ihn mit seinem Glück in dem Glauben, sein bevorstehender Auszug aus dem Bauernland bringe ihm solche Erhebungen. »Ganz im Gegenteil,« erwiderte er, »mich äffen nun alle geheimen Freundlichkeiten dieses wunderbaren Landes –« »O ja.« »– das ich liebe und in dessen Hasennester ich meine Gefühle wie Ostereier versteckt habe.«
Nachdem sie ihn grübelnd eine Weile betrachtet hatte, wünschte sie zu erfahren, wohin er sich nun wenden werde. »Wissen Sie es nicht? Ich wünsche Ihnen das Beste.«
»Bleiben Sie doch hier, Fräulein Hoffmann! Was wollen Sie sich in die Welt verlaufen; hier bei den Bauern sind Sie noch am besten aufgehoben. Die Liebe der Bauern ist rauh wie Brot.«
»Wie kommen Sie mir vor? Würden Sie vielleicht bleiben?«
»Ja ich würde! Die Thymianstraßen –«
»Welche Thymianstraßen?«
»Die Städte voll Majoran –. Fürchten Sie sich nicht vor den Kamillengärten?«
»Kamillengärten?«
»Nun, Sie wissen eben, wie die Täler dort liegen. Ihnen erscheint das alles nicht grauenhaft.«
»Erscheint es Ihnen denn grauenhaft?«
»Manchmal zeigt mir gerade das Lieblichste ein furchtbares Antlitz, wie zum Beispiel der Gedanke daran, daß nachts die Donau durch eure Weinberge strömt, oder die Vorstellung eurer Barockhäuser, aus denen das rotgewürfelte Bettzeug der Kleinbürger hängt. Man denkt in der Nacht, alle Augenblicke müßte sich das Geschrei eines Menschen erheben, den das Faktum seiner Existenz irrsinnig macht.«
Fräulein Else ließ mit einem Aussehen von Schuldbewußtsein das Haupt hängen. Und weil ihr wieder plötzlich die Tränen kamen, dachte er an ihren Verlobten. Vorsichtig wagte er, ihre Lage zu umschreiben. » On a bien de la peine à rompre quand on ne s'aime plus« sagte er mit dem Wohllaut der Teilnahme.
Es dauerte eine gute Weile, daß sie so standen. Das Wort erwies seine Kraft an dem Mädchen, und tapfer wie Else war, ließ sie es in sich zu Ende wirken; dann aber waren ihre Entschlüsse gefaßt, die Klarheit machte sie fröhlich. »Schreiben Sie mir auch einmal?« fragte sie den Blonden.
»Du lieber Gott, wir werden einander bald genug vergessen haben, stelle ich mir vor.«
»Sehr wahrscheinlich. Das heißt, Ihnen wird man in Ihren Büchern begegnen, in Bremen so gut wie in Salzburg.«
»Grüßen Sie mir die Königsschlösser, Fräulein Hoffmann!«
»Grüßen Sie mir Ihr Sternbild.«
»Maja heißt sie.«
»Das glaube Ihnen wer will.«
»Aber wenigstens Mia.«
»Aha, das ist etwas anderes. Wissen Sie, was Sie sind?«
»Summa summarum.«
»Wissen Sie es?«
»Haben Sie mir diesbezügliche Eröffnungen zu machen?«
»Ich fürchte, sie müßten zoologisch ausfallen.«
»Danke schön.«
»Bitte schön.«
»Und wissen Sie auch, wer Sie sind, Mamsell?«
»Eine Mamsell?«
»Na, wir wollen uns nicht darauf einlassen, einander die Wahrheit zu sagen!«
»Getrauen Sie sich nicht zu der meinen?«
»Sie denken, es wäre eine Schmeichelei.«
»So ein Schubiack!«
»Moderne Menschen sind doch alle ein wenig ineinander verliebt, finden Sie nicht, Fräulein Hoffmann? Um ihrer gemeinsamen Ideen willen. Also ich bin ein bißchen in Sie verliebt.«
»Läßt mich alles ganz kalt. Ich bin schwerlich modern.«
»Sie sind es so gut als etwa die Sévigné, diese Prachtfrau –«
»Schönen Dank.«
»Denn moderne Menschen hat es zu allen Zeiten gegeben. Es liegt ein wahrer Trost in dem Begriff, sogar in dem, was man als Mode bezeichnet, welches die allerbeweglichste und eine Gott wohlgefällige Sache ist. Nichts besitzt eine ähnliche Witterung für den Zeitgeist, sie eilt ihm gelegentlich sogar voraus, und was nun die Stutzer anbetrifft, so sind das nur Parodien, wie sie allem Ernsthaften zur Seite gehen.«
»Und wann kommt Ihr Buch?«
Er sprang die Treppe hinauf; die Lehrerin stieg ihm nach.
Ein Busch von Weidenkätzchen duftete in seinem Zimmer. Die Bilder hatte er von den Mauern genommen.
»Heilloser Duckmäuser!« sagte sie und hielt sein Werk in den Händen.
»Lesen Sie doch,« versetzte der Dichter.
»Ich kann warten. Also Sternbilder, Lorbeer, Schneenächte – kein Wunder, schwiegen Sie so vergnüglich!«
Der laue Wind roch von Moos und Primeln. Plötzlich legte sie seine Blätter beiseite und begab sich hinunter.
Als sie ihre Schüler entließen, wunderten sie sich wieder beide über den Gleichmut, den die Kinder dabei bewahrten, während sie selber vor Herzweh beinah zerbrachen in der übertriebenen Einschätzung ihres Verhältnisses zu den Kleinen.
Zart und verwundbar, sah Wendelin die Sonne über den Giebeln als einen blonden Rauch voller Sommerstille, Sonntagsgeläut und Frieden der Felder stehen. Die kleine Hausfrau suchte sich nützlich zu machen, obgleich er ihr stets ihre Hand von den Koffern hinweghob. Dann ordnete sie ihren Nackenflaum, mit einem verwunderten Lächeln.
An ihrer Seite kniend, ließ er sich auf einmal vom Duft ihres Kleides verwirren, dem reinlichen Geruch neuen Zeuges, der sie um so kindlicher verklärte, als sie, hinfällig und mager, verschüchtert und unansehnlich, sich nurmehr ängstlich bemühte, nicht allzu blöde vor der Welt zu erscheinen. Sie hatte das linkische Gebaren der Unterdrückten, was ihm jetzt heftig zu Herzen ging; er empörte sich kummervoll und grübelte um Worte, ihr zu sagen, wie süß er ihre Mädchenstille empfinde und wie lieblich ihr Magdtum sie kleide. Ihre Kinder trieben sich mit Holzwolle herum und plapperten. Sie geleitete sie hinaus mit der Behutsamkeit einer Schwester. Müde saß Wendel auf seiner Habe, inmitte verjährter Zeitungen voller Weinlaub, Anzeigen herbstlicher Lustbarkeit, auf die sich die Bauern verstanden. Abermals überschätzte Wendelin die Bedeutung, die er dem Umstand beimaß, daß er sie hier nicht wieder erleben würde; alles Unmögliche, Unwiederbringliche verklärte er mit einem Übermaß von Gefühl. Diese Schwermut nahm sich die kleine Frau zum Gefäß; in letzter Stunde entbrannte er schmerzlich für sie, versengte ihn die kaum zu bezähmende, qualvolle Begierde nach ihrem geringen, reizlosen Leibe.
Noch einmal stieg er an den Wald hinan. Er fühlte in seinem Rücken den blauen Berg; um nicht zu flennen, drückte er sich durchs Gebüsch und floh jenseits hinunter eilig wieder in ihr Haus.
Die junge Mutter schob ihm ihre Mädchen entgegen. Aber er sah nur sie. Zitternd hielt er ihre Hand.
In ihrem Kleidchen stand sie gewichtlos und als ob sie fror. Alle Worte lasteten ihm auf der Seele wie ein drohender Steinschlag. Erschrocken wandte er sich hinaus. Die Lichter spielten in seiner Kammer, nun leer von allen den Träumen, zu deren Schauplatz er die Stätte im Laufe tausender Stunden erhoben hatte.
Das Blut stieg ihm zu Kopf, er zog verdrossen von dannen. Die Bauern schlurften vor ihre Ställe.