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Gott sey lob, der mir sandt herab
So miltiglich die Gottes gab,
Als einem ungelehrten Mann,
Der weder Latein noch Griechisch kan,
Daß mein Gedicht grün, blü und wachs
Und vil frucht bring, das wünscht
Hans Sachs
Anno Salutis, M.D.LXVII.
Am 1. Tage Januar
Zu den Männern, die in der glänzendsten und bedeutendsten Epoche Deutschlands, im Reformationszeitalter, neben Luther unsere Aufmerksamkeit verdienen, gehört auch der Nürnberger Poet und Schuhmacher als eine der anziehendsten, von sprichwörtlichem Rufe getragenen, Persönlichkeiten. Viel ist über ihn gesagt und geschrieben worden, und dennoch ist dieser merkwürdige Mann mehr genannt als gekannt. Allerdings fließen die Quellen für die Lebenskenntnis unserer großen Geisteshelden gerade vom 16. und 17. Jahrhundert sehr spärlich. Ihre Namen, die in der unverwüstlichen Jugendkraft ihrer besten Werke fortleben, nennt und kennt alle Welt mit Ehrfurcht oder Begeisterung. Aber die Linien ihres äußeren Lebensweges können wir selten genauer verfolgen; die einzelnen Stationen, auf denen sie mit andern in feindliche oder freundliche Berührung kamen, sind uns in den meisten Fällen unbekannt geblieben. Die schädlichen oder fördernden Einflüsse, die Kunst und Art in ihrem Schaffen bestimmten oder entwickeln halfen, können wir häufig nur vermuten und so fehlt uns zum äußern Bilde dieser großen Gestalten fast alles, was sie uns menschlich näher bringt.
Zum Glück kommt uns in der Mehrzahl der Umstand zu statten, daß sie ihre eigenen Biographen waren. Auch bei Hans Sachs trifft dies zu. Fast alles, was wir von seinen Lebensschicksalen wissen, fußt auf den eigenen Angaben, die zerstreut in den Werken des Altmeisters unserer neuhochdeutschen Dichtung zu finden sind. Allerdings sind diese Nachrichten oft falsch oder nicht vorsichtig genug gedeutet worden, was der Dichter nicht selten selbst verschuldet hat, insofern seine Angaben ungenau sind, weil er wie er es selber beklagt schon früh unter Gedächtnisschwäche zu leiden hatte. Aber die Forschung hat nicht geruht, und von Bertuch, Häßlein und Büsching an, über Göz, Nasser, Hopf, Goedeke und Tittmann hinaus bis auf Reller, Götze, Röhler, Mummenhof und Bauch, hat unermüdlicher Fleiß der Sachsverehrer in schönem Wetteifer aus urkundlichem, aufgehäuftem Material besonders aus den reichen archivalischen Schätzen der ehemaligen Reichsstadt Nürnberg immer neues und helleres Licht auf die Gestalt des trefflichen Schuhmacherpoeten fallen lassen.
Das Leben des Dichters verlief wie das eines ehrsamen Handwerksmeisters seiner Zeit, ohne aufregende Zwischenfälle, nicht frei von trüben Stunden, aber im allgemeinen doch sonnig und stillheiter. Zur Zeit eines großen Sterbens wurde er am 5. November 1494 als Sohn des Nürnberger Schneidermeisters Jörg Sachs geboren, kam Ostern im siebenten Jahre auf die Lateinschule (die Spitalschule) und genoß hier den Unterricht wie ein angehender Gelehrter.
Da lernt ich Griechisch und Latein
Sprechen und schreiben klar und rein,
Grammatika, Rhetorika,
Logika und Musika,
Arithmetika, Astronomia,
Dichtkunst und Philosophia.
Auch Rechnen lernt ich mit Verstand,
Die Ausmessung mancherlei Land;
Auch lernt ich die Kunst der Gestirn,
Der Menschen Geburt zu judizirn,
Auch die Erkenntnis der Natur ...
so hören wir später von ihm selbst. Mit fünfzehn Jahren (1508) trat er in die Lehre bei einem Schuhmacher und zog nach Abmachung der zwei Lehrjahre als fröhlicher Wanderbursch in die Welt hinaus, arbeitete in Regensburg, Salzburg, Passau, Hall im Inntal, in Braunau und Wels. Hier und in Innsbruck, wo er einige Zeit Waidmann am kaiserlichen Hofe Maximilians war, entschloß er sich zum Meistersang, worin ihn der Leinweber Lienhard Nonnenbeck unterrichtete. Auf seinen ferneren Wanderungen über Landshut, Tettingen, Burghausen und Würzburg lernte er Bar und Töne; 1513, im zwanzigsten Lebensjahr, hatte er sein »erst Bar« (im langen Marner: Gloria patri lob und ehr) gedichtet, sang dann in »eigenen Tönen« weiter, d. h. er erfand selbständig allerhand Meisterweisen, wie den »güldenen Ton« und die »Silberweys«, half in München die »Schule« verwalten, und hielt in Frankfurt a. M. seine erste »Singschule«, trat also hier zum erstenmale als Leiter einer Meistersinger-Versammlung hervor.
Adam Puschmann (1532-1560) aus Görlitz, sein Schüler, der (wie unten bemerkt) in Augsburg zum zünftigen Meistersinger gemacht worden war, erzählt darüber in einem, zu Ehren und zum Gedächtnis seines Meisters gedichteten Liede:
Als er nun thete wandern
von einer Stat zur andern,
Er hin gen Münchn kam
Da sang er auch mit lobesam
Und fing auch an zu tichten,
Thet sich gar fleißig richten
Nach der Tabulatur,
Die man auch braucht zu Nürnberg pur.
Nach abermaliger fünfjähriger Wanderschaft, die ihn über Koblenz, Aachen, durch Westfalen (Osnabrück), Niedersachsen (Lübeck) und Sachsen (Erfurt und Leipzig) führte, kehrte er 1515 in seine Vaterstadt zurück, wo er sein erstes Spruchgedicht »Von Lorenzo und Lisabetha« verfaßte. Er wurde Meister und führte, da es ihm seine Mittel gestatteten, am 1. September 1519 die siebzehnjährige Kunigund (oder Katharina) Creutzer heim, Tochter des Peter Creutzer zu Wendelstein am Berg. Als Hochzeitsgeschenk überwies der alte Sachs dem jungen Paar ein eigenes Haus, in dem es der frischgebackene Meister und Ehemann bald zu einem gewissen Wohlstand brachte und neben Pfriem und Ahle täglich zur Feder griff. Denn nach Edm. Goetze beläuft sich die Zahl seiner Werke auf 4420 Meistergesänge und 1735 Spruchgedichte, im ganzen also 6205 Werke, von denen freilich viele nicht besonders umfangreich waren, die ihn aber doch mit Lope de Vega vergleichen lassen, wie es Gervinus tut, wenn er sagt: »Es ist etwas Reizendes um ein Talent, das sich leichtfertig nach allen Seiten hin entwickeln will, das überall mit Sicherheit und Naiveliches tät an das Rechte und Gute nur streift, das Bessere sieht und es freiwillig fahren läßt, das der Regel spottet, dem Volke fröhnt, die Menge befriedigt und sich in sich selbst gefällt. Hans Sachs ist kein Lope de Vega, obgleich er viele Tausende von Dichtungsstücken gemacht hat und an Fruchtbarkeit vielleicht nicht nachsteht; aber Lope ist auch kein Hans Sachs, so gesund und kräftig er sein mag. Mit einem lebhaften Geiste, mit südlichem Blute, mit vierzehnjähriger Reife, mit einer Sprache, die ausgebildet ist und sich leicht in Verse und Reime fügt, unter einem schaulustigen, empfänglichen, stürmisch belohnenden Volke, bei freier Muse und sorgloser Seele ein Schriftsteller wie Lope zu werden, ist vielleicht nicht so schwer: aber in großen Kollisionen des öffentlichen Lebens, bei so viel Teilnahme und Gemüt, bei so eifrigem Eingreifen, bei so viel Anerkennung immer ein Mensch zu bleiben, wie Hans Sachs, ist bewundernswert; bewundernswerter, als daß er eine völlig versunkene Poesie wieder aufblühen und neuen Samen für andere pflanzen tragen zu machen suchte.« Damit hat Gervinus klar und treffend die Stellung hervorgehoben, die Sachs für unsere Literatur einnimmt; die »großen Kollisionen«, das Luthersche Reformationswerk, das waren die Anlässe, die ihn zum Dichter machten, zum Dichter im wahren Sinne des Wortes! Denn man darf ihn nicht als einen bloßen »Reimer« oder »Singer« ansprechen: in Wahrheit hat er der zunft- und handwerksmäßigen Pflege der Poesie lau und innerlich fremd gegenüber gestanden.
Der Meistersang, den man sich als ein Erzeugnis reichsstädtischen Bürgertums vorstellen muß, trat mit der strengen Gesetzmäßigkeit seiner Formen der wirklichen oder scheinbaren Regellosigkeit des Volksliedes gegenüber mit Absicht auf und löste gleichzeitig die Ritterpoesie ab, die schon seit dem 14. Jahrhundert verfallen und teils in Übertreibungen und künstliche Spielereien, teils in feinere oder derbere Zweideutigkeiten ausgeartet war. Durch den Regelzwang, die vorgeschriebene Ehrbarkeit des Inhalts und die von den Merkern aufs peinlichste geübte Prüfung geschah es, daß die erst allzu frei gewordene Sangeskunst nun bald gar zu stark geknebelt wurde, weil man sie gleich den Handwerken zunftmäßig betrieb und durch diese geschäftsmäßige Behandlung auf dieselbe Höhe mit ihnen hinabdrückte.
Wer tagsüber als Gerber, Schneider, Spengler oder Kandelmacher seinem Berufe wacker und ehrsam nachgegangen war, fühlte sich abends zum Dichter entzückt, nippte abwechselnd am Schoppen Bier und am kastalischen Quell und suchte künstliche Gesänge in neuen Tönen zu erfinden oder in alten nachzubilden. In der Kirche oder auf dem Rathause wurde dann kommenden Sonntags die »Schule gehalten«. Die Singer lasen unter musikalischer Begleitung ihre »sehr herrliche und künstliche Gedicht« dem Vorstand vor, wobei die Merker hochnotpeinliche Kritik übten und die Verfehlungen gewissenhaft buchten. Zweiunddreißig Regeln mußten strengstens beobachtet werden; ein Regelkram, der sich freilich fast nur auf äußerliche Form erstreckte. Neben dem zur Bedingung gemachten ehrbaren und sittsamen oder lehrhaften und artigen Inhalt, der dadurch natürlich oft zur Langweiligkeit wurde, mußte allgemeine Verständlichkeit vorherrschen, die oft eine nüchterne Trockenheit hervorrief. Sodann kam es auf den Ton, das heißt die Singweise an, ferner war Wort- und Silbenzahl zu berücksichtigen, und schließlich machte der Reim das wesentlichste aus. Klappten namentlich die Reime recht schön und ohrenfällig, so hatte man ohne Zweifel ein treffliches Kleinod deutscher Poesie vor sich, mochte der Inhalt noch so ledern, die Auffassung noch so kindlich, der Ausdruck noch so hölzern, die Sprache noch so gewöhnlich sein. Die guten Gewerken hielten eben das und nur das für Poesie, was Reime aufweisen konnte.
Der Inbegriff aller Formeln und Satzungen für das meistersingerliche Lied, das sogenannte »Bar«, war die Tabulatur, die dem Dichter zur Richtschnur, den Merkern zur Unterstützung im Urteilen diente. War von dem Apollojünger allen Anforderungen bei der Prüfung entsprochen, hatte er nicht »versungen«, sondern war er »glatt in der Kunst«, so wurde er mit einem kostbaren Kranze gezieret und zum Meister erhoben, was für ihn und seine ganze Sippe eine bedeutende Ehre war. Solch ein Meister durfte nun wiederum Schüler in der holden Kunst unterrichten, und so kam es wohl häufig genug vor, daß in den Werkstätten mit Brot und Bretzeln bewegliche Tragödienverse geknetet, und mit Nägeln und Hufeisen feurige Historienreime geschmiedet wurden. Unter den älteren Meistern zeichneten sich neben Hans Sachs als besonders kunstfertig aus: Heinrich von Müglein, Muskatblüth, Michael Behaim, Hans Rosenblüth, Hans Folz und Adam Puschmann, der Sachsens Schüler war und in Augsburg zünftiger Meistersinger wurde.
So schlossen sich in vielen der jung und kräftig aufblühenden Städte die biederen Zunftmeister zu Schulen zusammen, mitunter nur die Meister ein und desselben Handwerks, wie z. B. in Ulm die Weber. Welche die erste Meisterschule war, ist der Nachwelt nicht aufbewahrt worden, auch nicht, wer sich das Verdienst der ersten Gründung zur Ehre anrechnen darf. Die Sänger selbst verehrten in Kaiser Otto I. ihren Stifter, ja manche wollten noch höher hinaus und machten gar Karl den Großen dafür verantwortlich. Es bestanden um die Mitte des 15. Jahrhunderts dieser Schulen viele in den freien Städten, besonders Süddeutschlands; außer in Nürnberg noch in Mainz, Memmingen, Augsburg, Colmar und Ulm. Diese wurde erst am 21. Oktober 1839 feierlich geschlossen, während die andern schon in den achtziger und neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts zu wohlverdienter Ruhe eingingen und erloschen.
Es braucht nach diesen Ausführungen nicht mehr besonders betont zu werden, daß der Meistersang seiner Entstehung und Betätigung nach gänzlich ungeeignet war, wirkliche Dichtkunst ins Leben zu rufen, eine neue zu schaffen oder die alte mit ästhetischem Gehalt zu erfüllen. Das neue bestand eben nur in der Erfindung der aus dreiteiligen Strophen (Stollen, Gegenstollen und Abgesang) gebildeten »Töne«, die durch die »Liebhaber des deutschen Meistergesangs« zu Zeilengebäuden von abenteuerlicher Unförmigkeit zusammengeschweißt wurden, barocke Gebilde, die Fabeln, Gleichnisse, Sprüche oder biblische Geschichte (wobei Luthers Verdeutschung maßgebend war) zum Inhalt hatten, und die mit überaus schrulligen und lächerlichen Namen bezeichnet wurden. So gab es unter vielen andern einen »Marners Hofton, einen Tannhäuser Hofton, Peter Zwingers roten Ton, Frauenlobs Blütenton, den abgeschiedenen Ton Lienhard Nunnenbeckens, natürlich eine Hans Sachs-Spruchweis, eine Gestreift-Safranblümlein-Weis, eine Fettdachs-Weis, Vielfraß-Weis, Cliusposaunenweis, offene-Helm-Weis, geblümte Paradiesweis und eine Schwarztinten-Weis«.
Das waren lächerliche Auswüchse. Aber um so erfreulicher in dieser eigentümlichen deutschen Geistesgeschichte ist ihre kulturhistorische Seite insofern, als sich mit dem Meistersang mitten aus einem sittlich versunkenen Zeitalter ein, wenn auch poesiearmes und künstlerisch mageres, so doch von wackerstem, naiv-biederem Sinn geborenes und erfülltes Streben nach geistiger, sittlich unanstößiger Tätigkeit erhob. Es trägt überall die Zeichen und Merkmale ehrsamer, bürgerlicher Tüchtigkeit, Sittenreinheit und ehrfurchtsvoller Anhänglichkeit an das von den Vätern überlieferte an sich. Merkwürdig ist dabei, daß die Pfleger des Meistersanges vorwiegend der neuen reformatorischen Kirchenlehre zugetan waren; und wenn der Meistersang selbst auch, wie oben gesagt, das Reformationszeitalter nicht überdauerte, so haben seine Übungen und Erzeugnisse doch ihr bescheidenes Teil zur Ausbreitung der Lutherischen Ideen beigetragen.
Aus dem erkältenden Bannkreise dieser nüchternen Regelkunst flieht auch unser Hans Sachs immer und immer wieder hinaus. Mit klugem und sinnendem Auge betrachtet er den Kreis der irdischen Dinge, Realist durch und durch, gewinnt er Allem Reiz ab; bürgerliches, kirchliches und politisches Leben regt ihn an, befeuert ihn, zwingt ihm die Feder in die Hand! Dieser Doppelstellung, die er als Meistersinger und freier, jeder Gilde spottender Dichter einnahm, blieb er sich wohl bewußt, und in lobenswerter Selbstkritik verbot er die Drucklegung seiner zahllosen, fein säuberlich und zierlich in Quartanten niedergeschriebenen Meistersänge, während er seine Gedichte und Schwänke in Einzeldrucken und Gesamtausgaben in alle Welt hinausgehen ließ.
So dichtete und lebte er in länger als vierzigjähriger glücklicher Ehe, bis ihm am 27. März 1560 seine treue Gefährtin durch den Tod entrissen wurde; auch seine sieben Kinder überlebte der Dichter, zwei Söhne und fünf Töchter; nur vier Enkel, Kinder seiner ältesten Tochter Margarete, mit einem Messerschmied Pregel verheiratet. hinterließ er. Groß war die Trauer um die verlorene Frau selbst die Muse verstummte so ziemlich, denn gering ist die poetische Ausbeute der Jahre 1560 und 1561. Doch schon am 8. August 1561 verlobte und am 2. September vermählte er sich mit der siebenundzwanzigjährigen Barbara Harscher. Infolge von Verwechslung mit des Dichters erster Gattin lassen einige Biographen die Harscher siebzehnjährig sein und tragen durch diese leichtfertige Angabe die Schuld, daß es nicht an Angriffen gegen den Poeten gefehlt hat, der als lüsterner Greis nach einem so jungen Dinge Begehren getragen habe. Immerhin bestand ein Unterschied von fast vierzig Jahren zwischen den beiden Ehegatten. Denn Barbara war im Juli 1534 geboren als Tochter des Ringelschmieds und Pulvermachers Konrad Harscher; in erster Ehe, als noch nicht Sechzehnjährige, verheiratet mit dem Kandelgießer Jakob Endres, dem sie in fast achtjähriger Ehe drei Söhne und drei Mädchen schenkte. Nach fünfmonatiger Witwentrauer so kurze Witwenstände waren damals ebenso gebräuchlich wie frühe Heiraten reichte sie dem ehrsamen Schuhmachermeister die Hand, gewiß nicht ganz ohne Berechnung. Denn wenn man bei der großen Kindersterblichkeit, wie sie früher zu herrschen pflegte, auch annehmen will, daß nicht alle Kinder Barbaras am Leben geblieben sein werden, so hinterließ Jakob Endres doch gewiß einige. Da war es für die junge Witwe gewiß Sache der Klugheit, dem Werben des alten Sachs Gehör zu schenken, der ja ein behaltener Mann war, mehrere Häuser besaß, Geld auf Zinsen lieh und überdies weit über Nürnbergs Mauern hinaus durch den »liedersüßen Mund« berühmt war. Aber es hindert uns trotz des Altersunterschiedes und trotz der materiellen Erwägungen nichts zu der Annahme, daß Barbara ihrem Hans Sachs auch von Herzen gut gewesen sei, da er doch ein prächtiger Mensch voll Gemüt und Humor war, vielleicht einer von denen, »die niemals altern«. Und so wird die lebfrische, junge Barbara neues Leben und neuen Sonnenschein in die vereinsamte Behausung des Dichters gebracht haben, von der er so rührend singt:
Ach Gott, erst ward meim Herzen bang,
Weil ich mein Gmahel nit mehr hätt!
Wo ich ansah die selbe Stätt,
Daran sie war gstanden und gsessen,
O so thät sich mein Herz denn fressen.
Dergleich wo ich ihr Kleider sach
Wurd ich geleich von Herzen schwach,
Daß ich mein Gmahel auserkorn
So schwind und gehling hätt verlorn,
Der ich erst gar notürfig war,
Weil ich in sechs und sechzigst Jahr
Ging, sie mit acht und funfzig was
Erst alt. Derhalb ich übermaß
War im Herzen bekümmert hoch.
Oft daucht mich auch, sie lebet noch,
Etwan bey ihren Freundinn wer,
In ihren Gschäften hin und her.
Wenn ich mich denn bedacht, daß sie
Gestorben wer und nit mehr hie,
So wurd mein Hertzenleid mir neu,
Wann ich mich zu ihr alle Treu
Versach für all Menschen auf Erd,
Besorgt mich vor ihr kein Gefährd.
Ja, es war eine echte, rechte Hausmutter gewesen, früh und spät auf dem Posten, nur den Mägden gegenüber »etwann heftig« mit Lehren und Zurechtweisungen, aber immer sparend und mehrend an allen Ecken und Enden.
Nun begab sich in einer Nacht,
Daß ich in den Gedanken tief
Meiner verschieden Gmahel entschlieff.
Da deucht mich, ich sech aller Ding,
Wie zu mir in die Kammer ging
Mein liebe Gmahel zu mir her,
In Weiß, ganz züchtiger Gebär,
Von der mein Herz erfreuet wur
Und gechling in dem Bett auffuhr.
Und wollt sie mit eim Kuß umbfahen.
Als ich ihr aber wollte nahen,
Wich sie von mir gleich einem Schatten
Und sprach zu mir nach diesen Thaten:
Mein Hans, das mag nit mer gesein,
Ich bin nit mehr, wie vorhin Dein.
Da fiel mir erst ein gewiß und klar,
Daß sie mit Tod verschieden war.
Derhalb mich gleich ein Forcht durchschlich.
Aber Hans Sachs fühlte nun neues Gatten- und Eheglück. Denn trotz der sechs Kinder, die sie dem Kandelgießer geboren hatte, verfügte Barbara noch über soviel Anmut, Liebreiz und schlanke Wohlgestalt, daß der alte Dichter in dem, erst ein Jahr nach der Hochzeit entstandenen Gedicht »Das künstlich Frauenlob« förmlich trunken von ihren Reizen ist und sich in einer Erotik ergeht, wie sie selbst in den Buhlliedern seiner zwanzig und dreißig Jahre nicht zu finden ist.
Holdselig ist sie personirt,
Von Leib ganz engelisch formirt,
Sie ist holdseliger Gebär
Und tritt fein aufrichtig daher,
Mit eim freundlichen Angesicht
Fröhlicher Gstalt und sein röslicht.
Ihr Stiren glatt wie Marmelstein
Sinwel (d. i. rund), nit zu groß noch zu klein
Ihr Mündlein brinnt wie ein Rubin
Wohlgeschmack, auch so stehnd darin
Ihre Zähnlein, gestellt mit Fleiß
Rund, glatt, geleich den Perlen weiß.
Milchfarb so sind auch ihre Wangen
Mit rosenroter Farb umbfangen
Darin zwei kleine Grüblein zart
Ihr Aeuglein braun, lieblicher Art,
Darzu ein lang fliegendes Haar,
Lichtgelb, gleich dem Golde klar
Zierlich kraus oberhalb der Ohren.
Darzu hat auch die Wohlgeboren
Ein Hälslein und ein Kehlen weiß,
Darunter zwei Brüstlein ich preis',
Mit blauen Aederlein gezieret,
Hin und wieder gedividiret.
Doch es wäre übel um sein Eheglück bestellt gewesen, wenn Barbara außer den körperlichen nicht auch andere Vorzüge aufzuweisen gehabt hätte. »Die Schön verschwindt auch mit der Zeit durch Trauren, Alter und Krankheit.« Nein, auch hohe »geistliche« Tugenden besitzt sein liebes »ehelich Gmahel«. Sie ist ehrbar, gibt ihrem Herrn niemals den leisesten Grund zur Eifersucht und steht seinem Hauswesen in Zucht, Ordnung und guter Sitte allerwegen vor. Sie ist
Gehorsam in Einmütigkeit,
Ganz still und mit Verschwiegenheit,
Mit standhaft und erbarn Gemüt,
Mit Demut, steter Treu und Güt,
Mit Bscheidenheit an allem Ort,
Glimpflicher, holdseliger Wort,
Mit Emsigkeit, Verstand und Fleiß,
Wohl bsunnen, fürsichtiger Weiß,
Fein ordentlich in dem Haushalten,
Das sie arbeitsam thut verwalten.
Gutwillig ohn alls verdrießen.
Auch werden mütterlich unterwiesen
Ihre Kinder auf Zucht und Ehr
Und aller christenlichen Lehr.
Wenn fährt er im Überschwang seines Lobes fort
Wenn Boccatius seiner Jugend
Auch hätt gwist ihr Sitten und Tugend,
So hätt er sie gestellt auf Trauen
Zu den hundert durchläuchtigen Frauen.
Als letztes Glück erscheint ihm da die Erfüllung des Wunsches, mit solch einer Gattin gemeinsam sterben zu dürfen, und er bittet Gott:
Daß unser ehlich Lieb und Treu
Sich täglich alle Tag erneu,
Zunehm, und fruchtbarlich erwachs
Bis an das End das wünscht Hans Sachs!
Dies ging ihm zwar nicht in Erfüllung, aber er durfte sich fast noch fünfzehn Jahre des holden Besitzes erfreuen, ehe ihn der Tod am 19. Januar 1576 von ihrer Seite riß. Barbara trug nur vier Monate den Witwenschleier, bis sie sich zum dritten und letzten Male, diesmal mit einem bedeutend jüngeren Manne, vermählte, nämlich mit dem erst 34 Jahre alten Wundarzt und Bader Hans Leutkirchen. Sie starb aber schon am 8. März 1583.
Nach unverbürgten Nachrichten soll Hans Sachs zuletzt schwachsinnig geworden sein, denn der mehrfach erwähnte Adam Puschmann singt von der Abnahme der körperlichen und geistigen Kräfte:
Mitten im Garten stande
Ein schönes Lusthäuslein,
Darin ein Saal sich fande,
Mit Marmor pflastert fein;
Mit schön lieblichen Schilden
Und Bilden,
Figuren frech und kühn.
Rings um der Saal auch hatte
Fenster geschnitzet aus,
Durch die all Frücht man thate
Im Garten sehen draus.
Im Saal stand auch ohnecket
Bedecket
Ein Tisch mit Seiden grün,
An selbem saß
Ein alt Mann blaß,
In einem langen Bart fürbaß,
Grauweiß, wie eine Taub er saß
Auf einem Blatte grün.
Das Buch lag auf dem Pulte
Auf seinem Tisch allein,
Und auf den Bänken, gulden,
Mehr andere Bücher fein,
Die alle wohl beschlagen
Da lagen.
Der alte Herr nit ansah,
Wer zu dem alten Herren
Kam in den schönen Saal,
Und grüßet ihn von ferren,
Den sah er an diesmal,
Sagt nichts und thäte neigen
Mit Schweigen
Gen ihn sein alt Haupt schwach.
Zum Schlusse dieser Ausführungen soll eine der besten und treffendsten Charakteristiken über Hans Sachs wiedergegeben sein, die der verdienstvolle und berufene Literaturhistoriker Karl Goedeke in seinen »Elf Büchern deutscher Dichtung« gezeichnet hat.
»Bei Hans Sachs«, so sagt Goedeke, »ist alles einfach, natürlich und leicht; er hat wohl nie etwas gestrichen. Was er in alten und neuen Schriften mit Teilnahme las, verwandelte sich bei ihm in ein Gedicht. Daß nicht alles bei ihm von gleichem Werte ist, bedarf kaum der Bemerkung, ja vieles von dem Ernsteren und höher hinaus Strebenden ist trocken, matt und leer; dagegen das Heitere, Leichte, aus dem täglichen Leben Geschöpfte von bleibender Wirkung und echt poetisch. Die Betrachtung, die meistens vorwaltet, beschränkt sich nicht auf das bürgerliche Kleinleben, auf die Familienzwiste, auf die Freuden und Leiden des Bürgerstandes, sondern geht darüber hinaus und erhebt sich oftmals zu weitblickenden Standpunkten. In diesen Auffassungen des
allgemeinen Zeitcharakters und der großen Verhältnisse in Kirche, Staats- und Kriegsleben, sowie der sittlichen Zustände im allgemeinen, ist der schlichte, freie Bürgersinn des sechzehnten Jahrhunderts, der aus der zuströmenden Gelehrsamkeit sich das Taugliche herausnahm, unter den oft kläglichen Zerwürfnissen der Geistlichkeit fest blieb und seine einfache, schlichte Natur wahrte und in dem hereinbrechenden Elende der Zeit stark, mutig und gesund ausharrte, am einfachsten und schönsten dargelegt. Die stürmische Hast Ulrichs von Hutten ist bei Hans Sachs durch eine milde Klarheit aufgewogen; er bindet mit keinem an, wird nur für sich selbst mit dem Gegner fertig. Der oft spielende, oft haltungslose Ton Murners wird durch eine sich stets gleichbleibende, naive Heiterkeit ersetzt. Luthers Inbrunst hat der schlichte Handwerker nicht, aber an Tiefe und Innigkeit stehen seine Kirchengesänge keiner Kirchenpoesie jener Zeit nach. Was ihm an didaktischer Tiefe gebricht, hat er an Klarheit und frischer Darstellung reichlich eingebracht. Seine dramatischen Arbeiten, zu denen er die Stoffe schon früher aus der alten deutschen Sagenpoesie wie aus dem Altertum und der unmittelbaren Gegenwart entlehnte, sind, was die ernsten anlangt, von geringerer Bedeutung, als manche gleichzeitige, z. B. die Rebhuns; die heiteren dagegen, die Fastnachtsspiele und Schwänke, sind mit keinen andern zu vergleichen. Neben Hans Sachs zu stellen würde nur Fischart sein, der aber, wenn auch an Beweglichkeit des Geistes und Kunstgewalt der Sprache überlegen, an Heiterkeit gleich, doch an Umfang der Formen und an Mäßigkeit des Inhalts weit unter dem ungelehrten Nürnberger Handwerksmann steht.«
(Holzschnitt von einem Flugblatt Sachsens, die lutherische und die päpstliche Lehre behandelnd.)
Als die Kunde von der welterschütternden Tat des Augustinermönches wie auf Flügeln der Windsbraut durch die Länder fuhr und alle Gemüter aus Schlaf und Traum gewaltig aufrüttelte, hier Schreck und Entrüstung weckte, dort lärmenden Jubel und begeisterte Zustimmung auslöste, saß der sechsundzwanzigjährige, bis dahin friedsame Meister und Poet in seiner Werkstatt und hantierte geruhig mit Leder und Leisten, in der Frühstückspause Reime oder Gedanken zu Fastnachtsschwänken und Fabeln aufs Papier kritzelnd. Die Verbrennung der päpstlichen Bulle, die 1521 Luther vorm Wittenberger Elstertore vornahm, erregte auch sein Gemüt, und der Widerschein dieses Feuers warf auch in sein Herz einen zündenden Funken. Nürnberg stand damals auf der Höhe seines Glanzes und war ein Gemeinwesen, in dem das Bürgertum den Gipfelpunkt seiner Entwicklung erreicht hatte. Handel und Gewerbe standen in Flor, Künste und Wissenschaften in achtunggebietendem Ansehen, Erfindung folgte auf Erfindung, Wohlstand und allgemeine Bildung blühten von Tag zu Tag mehr auf, und ein Dürer, Vischer, Willibald Pirckheimer, Celtes und Regiomontanus hatten den Ruhm dieser Hochburg des Humanismus in alle Welt getragen. Keiner hat dies schöner ausgesprochen als Sachs selbst in seinem »Lobspruch der Stadt Nürnberg«. Er sagt:
»In der Stadt um und um
Des Volkes ist ohn' Zahl und Summ',
Ein ämsig Volk, reich und sehr mächtig,
Gescheit, geschicket, erwerbträchtig ...
Auch sind da gar sinnreich Werkleut
Mit Drucken, Mahlen und Bildhauen,
Mit Schmelzen, Gießen, Zimmern, Bauen,
Vergleich man findt in keinen Reichen,
Die ihrer Arbeit tun desgleichen,
Als da man köstlich Werk anzeiget.
Wer denn zu Künsten ist geneiget,
Der findt allda den rechten Kern ...
Also in Nürnberg ist gut leben,
Niemand zu Krieg ist Ursach geben, ...
Ihr Gesetz und Reformazion
Ist fürgeschrieben jedem schon,
Darin ist angezeiget wol,
Was man thun oder lassen soll
Und wer sich darin übergafft,
Der wird nach G'stalt der Sach gestraft.
Und in dies sonnige, friedliche Stadtleben schlug wie ein Blitz aus heiterm Himmel die große, geistige Bewegung, zu der Luther den Anstoß gegeben hatte. Augenblicks wandte sich die ganze Stadt der Reformation zu, und Sachs war einer der ersten, der sich ihr mit Eifer und aus innerster Überzeugung anschloß. Keck und mutig stimmte er sein Lied von der »Wittembergisch Nachtigall« an, die man »jetzt höret überall«, und fand damit begeisterten Anklang in Nürnberg, in Bayern, in ganz Deutschland und weit darüber hinaus. Er hatte damit das lösende Wort gefunden für all die Zweifel und Wißbegierden, die in Tausenden von Gemütern wie trockner Zunder seit Iahren aufgehäuft lagen und nun in einer einzigen, begeisterten Flammenlohe emporschlugen. Das war eine dem Reformator ebenbürtige, eindringliche, überzeugende, an Herz und Nieren packende Sprache, in der Luthers Lehre im Gegensatze zu dem Glauben und den Anschauungen der alten Kirche dem Volke mundgerecht gemacht wurde, die mehr bewirkte als viele, noch so wohlgesetzte Predigten! Die kleine Flugschrift mit dem charakteristischen Holzschnitte wurde blitzschnell zu einer allgemeinen Lektüre, die von Hand zu Hand wanderte, in Tausenden von Exemplaren und Nachdrucken alle Lande überschwemmte und den Boden vorbereiten half zur Aufnahme des Samenkornes der neuen Lehre.
Eine gleiche, vielleicht noch stärkere Wirkung erzielten die im folgenden Jahre, 1524, erschienenen vier Dialoge, darin Sachs in Form kleiner Abhandlungen die Luthersche Sache gegen den alten Glauben energisch, derb und witzig vertritt. Es ist zu bedauern, daß Sachs nur diese wenigen Prosastücke hinterlassen hat, daß er sich später nicht wieder in ungebundener Rede versuchte, da gerade in Prosa die Vorzüge seiner Sprache, die Wucht und Redegewalt seiner Überzeugung am deutlichsten hervortreten, während seine Poesie bei all ihrer Schönheit doch häufig ins Breite schwillt, redeselig wird und infolge der Reimlust und Reimleichtigkeit des Dichters zur Eintönigkeit und Flüchtigkeit hinabsinkt. Aber in den Gesprächen ist ursprüngliche Kraft, Geschlossenheit der Form, Knappheit des Ausdrucks, beißender Witz und köstlicher Humor vertreten! Schon Lessing hat dies erkannt, wohl als erster mit, denn er schreibt unterm 10. Januar 1779 an Herder: »Daß aus Bertuchs ›Hans Sachs‹ nichts wird, habe ich ungern gelesen. Ich wollte eben an ihn schreiben und ihn bitten, wenn er doch so viele Alphabet-Reime drucken ließ, noch einige Bogen Prosa von dem nämlichen Verfasser beidrucken zu lassen; wäre es auch nur, um sehen zu können, wie Hans Sachsens Prosa gewesen. Denn daß Hans Sachsens prosaische Aufsätze auch ein ganz sonderbares Monument in der Reformationsgeschichte sind, wird mir freilich keiner auf mein Wort glauben, der sie nicht gelesen hat.«
Aber kurz darauf ließ sich der junge Poet zu einem Schritt hinreißen, der ihm »einen Preßprozeß« einbrachte. Unter dem Titel »Ein wunderliche Weissagung von dem Babstumb, wie es yhm bis an das end der welt gehen sol, ynn siguren odder gemelde begriffen, gefunden zu Nürmberg, ym Cartheuser Kloster und ist seher alt. Mit gutter verstendtlicher auslegung, durch geleerte leut, verklert. Wilche Hans Sachs yn Deudsche reymen gefasset, und dazu gesetzt hat. Ym M. D. XXVII. Jare.« war in Nürnberg 1527 ein Schriftchen »an den Tag gegeben«, das Weissagungen enthielt und von dem Prediger bei St. Lorenz, Andreas Osiander, aus einem zu Bologna erschienenen Werk » Vaticinia Joachimi« entlehnt war. Diese Prophezeiungen stammten von dem im dreizehnten Jahrhundert als Heiligen und Wundertäter gefeierten Abt Joachim von Calabrien. Osiander hatte eine Vorrede dazu geschrieben, Hans Sachs die Verse verfaßt und der Briefmaler und Formenschneider Hans Guldenmund die Stöcke geschnitten und den Druck besorgt. Dies Büchlein, das reißenden Absatz fand und außer in Nürnberg selbst auch in vielen andern Städten verbreitet wurde, erregte beim Nürnberger Rat Befremden und Verdruß, da man fand, daß in Dingen der Glaubensstreitigkeiten schon genugsam geredet und geschrieben wäre und durch solcherlei »Geschrifft« die Verbitterung des Volkshaufens nur unnütz von neuem angestachelt würde. Sachs erhielt durch den Rat eine ernsthafte Rüge wegen Umgehung der Zensur mit dem Bemerken »es sei nicht seines Amtes und gebühre ihm nicht, Bücher zu machen. Er solle seines Handwerks und Schuhmachens warten, sich auch in Zukunft enthalten, solche Büchlein oder Reime hinfüro ausgehen zu lassen.« Die noch vorhandenen Exemplare wurden eingezogen und der Verkauf an der Frankfurter Messe untersagt. Hans Sachs schwieg fürs erste fein still, ließ vor der Hand nichts mehr im Druck ausgehen, und dachte sich seinen Teil bei der Verfügung des »ehrsamen Rates«.
Die kleine Wolke zog aber bald vorüber, und um so schneller, als sich in Nürnberg die Reformation immer mehr Gebiet erstritt und ihren endlichen Sieg feierte, als sich die Stadt 1530 einmütig zur Augsburgischen Konfession bekannte. Dieser Umschwung war von großer Bedeutung für unsern überzeugten Lutheranhänger, der andernfalls mit Rat und Regiment sicher in Konflikt geraten und seiner Überzeugung vielleicht zum Opfer gefallen wäre. Hatte nun Sachs vorher durch seine fleißige, sich nach allen Richtungen hin ausbreitende Lektüre die besten Autoren der Griechen und Römer, die Kirchenväter, Boccaccio und andere Italiener, sowie die deutschen Chroniken und Reiseberichte als Quellen für seine Dichtungen benutzt, so half er jetzt durch Schriften religiösen Inhalts am Fortbau der neugegründeten Kirche rüstig und soviel in seinen Kräften stand mit. Nicht nur, daß er seine der Marienverehrung und dem Heiligenkultus dienenden Lieder aus seiner katholischen Zeit »einer christlichen Veränderung und Korrektur« unterzog und späterhin auch nach den Psalmen zahlreiche neue Gesänge dichtete, nein, auch die damals noch seltene und wenig gekannte Bibel suchte er dem Volke näher zu bringen. Fast alle wichtigen epischen Bestandteile der Heiligen Schrift goß er in Verse und brachte jede »Histori« durch Anhängung einer moralischen Deutung zu dem Glauben und Leben des Volkes in lehrreiche Beziehung. Auch andere Büchlein ließ er wieder das Tageslicht erblicken, die dem hohen Rat nicht nur keinen Anlaß zum Einschreiten gaben, wenn dieser auch vielleicht des wackern Meisters kirchliche oder politische Gesinnung nicht teilen mochte, die des Rates würdige Herren vielmehr baß erbauten, wie den Reformator selbst, der Sachsen besonders hoch hielt, während ihn Melanchthon sogar für den bedeutendsten Dichter seiner Zeit erklärte, wie noch Herder später jedem Jahrhundert einen Hans Sachs in seiner Art wünschte. Ja selbst ein katholischer Kirchenprälat, der gefürstete Abt von Allerspach, empfand ein unbändiges Freuen, als der Nürnberger Schuhmacher dem hochwürdigen Herrn in eigener Handschrift ein Gedicht Valete »feuerneu« zueignete, das er 1567 verfaßt hatte und das einen Abriß seiner Lebensschicksale enthält, mit dem er im 71. Jahre seines Lebens gewissermaßen offiziellen Abschied von seinen Lesern und Freunden nehmen wollte. Auch Osiander schwieg nicht, wartete aber nicht so lange wie Hans Sachs. Noch im selben Jahre (1527) erschien »Sant Hildegardten Weissagung vber die Papisten«, mit einer Vorrede von ihm, in der er auf »die andre gemalte Weissagung« hinweist; am Schluß des Büchleins aber setzt er vorsichtig hinzu: »Es sein noch viel mehr Weissagung vber die Papisten verhanden, dieweil aber Nürmberg mit namen darynne genennet wurd, haben wirs, neyd, has und allerley unwillen zu uerhüten, wollen lenger ligen lassen«. Aber nicht nur das religiöse Wohl lag dem Dichter am Herzen, nicht nur, wenn das klagende Evangelium seine Stimme erhebt und die gemarterte Theologie sich von einer allzu geringen Zahl Getreuer umgeben sieht, erscheint Sachs mahnend oder tröstend auf dem Plane; auch auf politischem Gebiet ist er zur Stelle, um im Göttergespräch auf den »gemeinen Nutzen« hinzuweisen, daß Gott durch seine Güte
Selb all Zwietracht ableinen
Und durch sein Wort vereinen
Im Rat all Städt und Fürsten,
Daß sie nach Fried nur dürsten,
Auf daß in hohem Ruhm
Das römisch Kaisertum
Sich wieder mehr und wachs! ...
So hält er in den bösen Zeiten des Schmalkaldischen Krieges treu und fest zum Kaiser, was nicht minder von seinem politischen Blick zeugt, als die stete Aufforderung zur Bekämpfung der Franzosen und der Türken, in denen er, besonders in den Türken, mit Luther die gefährlichsten Feinde des deutschen Kaisers und des Christentums erblickt. Dabei vergißt er nicht, die deutschen Fürsten beständig zur Eintracht zu ermahnen und den Gemeinsinn in ihnen zu stärken, da er in Uneinigkeit und Verfolgung von Sonderinteressen die Hauptgefahr für das Vaterland steht.
Desgleichen weist er in seinem Schwank vom Eulenspiegel und dem Bischof in einer bemerkenswerten Unterredung die Ursachen nach, die Deutschland zerrütten und zwiespältig machen. So ist Politik und Religion unzertrennlich bei ihm, und als Christ und Patriot nimmt er regsten Anteil an allen Vorgängen im Vaterlande. Eine Zeit langen, heftigen Kämpfens verhalf ihm erst zur Klarheit; aber als er sich hindurchgerungen, legte er seine alten religiösen Anschauungen leichten Herzens ab, und die Begeisterung für Luther und dessen große Geistestat fand in dem Epitaphium ob der Leiche Luthers ihren sprechendsten, unzweideutigen Ausdruck.
Wenden wir uns nun zu den in diesem Bande mitgeteilten Schriften selbst, die Hans Sachsens Stellung zur Reformation klar und bestimmt erkennen lassen. Sachsens Gegner, die das Gedicht von der Nachtigall als schlechtes Machwerk eines ungelehrten Laien verunglimpften und den Dichter selbst als »tollen« oder »verfluchten Schuster« hinzustellen versuchten, arbeiteten mit solchen Schmähungen dem braven Sachs nur entgegen und bewogen ihn, als Entgegnung ein weiteres Wort zu reden. Er wählte dazu die damals beliebte Form der Gespräche. In der Disputation, dem ersten der vier Gespräche, das auf Luthers Schrift »Von der christlichen Freiheit« basiert, wird u. a. das Recht der Oberherrschaft des Papstes über Kaiser und Fürsten widerlegt und dann die Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit den äußerlichen kirchlichen Andachten, der Heiligenverehrung und den Scheinwerken gegenübergestellt. Der zweite, von den Scheinwerken handelnde Dialog, ist durch Luthers Schrift »Von den geistlichen und Klostergelübden« (1521) angeregt worden. Sachs legt darin die drei Gelöbnisse der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams in ihrer ganzen Unwahrheit und Bedeutungslosigkeit bloß und ermahnt zum Schluß, sich mittels fleißigen Bibelstudiums nur durch das Wort Gottes erleuchten zu lassen. Das dritte Gespräch, dessen einleitender Brief an einen Breslauer Bürger uns über die damaligen sozialen Verhältnisse in Kürze unterrichtet, zeigt deutlich, daß man auf katholischer Seite die Schuld an der ganzen Schlechtigkeit, an dem Egoismus und der Habsucht der Zeit ausschließlich der Reformation in die Schuhe schieben wollte, oder ihr mindestens vorwarf, daß sie diesen Hauptübeln machtlos gegenüber stünde. Junker Reichenburger wehrt aber diese von Pater Romanus erhobenen Anklagen als unberechtigt ab. Das vierte und letzte Gespräch endlich, das zwischen einem »evangelischen und einem lutherischen Christen« stattfindet, erweitert den apostolischen Spruch: Lasset niemand ein Ärgernis geben, auf daß unser Amt nicht verlästert werde! und richtet sich gegen die Übereifrigen und Exzentrischen in der evangelischen Gemeinde, die den Wert und den Zweck der Reformation in den äußerlichen Freiheiten sehen, die sie gestattet (z. B. im Fleischessen an Freitagen), und durch ihren Wandel andern ein Ärgernis geben, dabei unverträglich und zänkisch sind und der neuen Lehre mit ihrem »Rumoren, Drohen und Lästern« nur schaden. Was diesen vier Gesprächen ihre Bedeutung gibt, ist der hohe Standpunkt, den Sachs in ihnen einnimmt, und der weitschauende Blick, mit dem er die Lage der Dinge erfaßt; die Kunst der Anlage, die ihn instinktiv immer das herausgreifen läßt, auf das es im gegebenen Momente ankommt, die Kraft seiner Dialektik und die bewundernswerte Schriftkenntnis, die er sich durch fleißiges Studium erwarb. Vierzig Sermone und Traktätchen Luthers besaß Sachs schon 1522; und in seinen Mußestunden vertiefte er sich ernst und feurig in die neue Lehre, um sich klipp und klar mit ihr auseinanderzusetzen. Das tat er zum Teil auch mit den vier Dialogen, deren einfache Natürlichkeit ebenso erfreut, wie die Volkstümlichkeit des Vortrags. Wohltuend berührt auch das Maßvolle neben der Wahrheitsliebe, die ihn davor bewahrt, blind zu sein gegenüber den Schwächen und Mängeln auch bei den Evangelischen.
Als Sachs am 1. Januar 1567 seine während mehr als fünfzig Jahren verfaßten Schriften und Bücher in seinem Gedicht »Summa all meiner gedicht vom 1514. jar an biß ins 1567. jar« inventarisierte, erwähnt er auch seine prosaischen Dialoge mit den Worten:
»Auch fand ich in mein büchern gschriben
artlicher Dialogos siben,
doch ungereimet in der pros,
ganz deutlich, frei on alle glos ...«
Aber kein bibliographischer oder literarhistorischer Schatzgräber hat bis heute mehr als die erwähnten vier Dialoge ans Licht fördern können. Da es nun unmöglich ist, daß die übrigen drei so ganz spurlos verschollen sein sollten, muß man eben annehmen, daß Sachs vielleicht ihrer sieben geschrieben habe, daß der Rest aber aus irgend welchen Gründen nicht zum Druck befördert wurde.
Dem Wiederabdruck dieser vier Dialoge liegen die in meinem Besitz befindlichen Exemplare zu Grunde, deren Textreinheit indessen nicht durchgehends gleich groß ist. Es sind der Reihenfolge nach zu 1. eine Eylenburger Ausgabe von 1524 (Weller Nr. 3133), zu 2. eine, Weller und Kuczynski unbekannte, Ausgabe, die die älteste und im Druck und Text zuverlässigste ist, zu 3. ein Druck (Weller Nr. 3138) und zu 4. eine (bei Weller unter Nr. 3148 angeführte) textlich ziemlich gute Ausgabe. Schon J. H. Häßlein klagte 1781, daß diese Prosadrucke besonders in guten, fehlerfreien Ausgaben sehr selten seien und man nur nach langer Hand davon einige anträfe. Ich benutzte daher, um einen möglichst vollkommenen Druck zu erreichen, die von Reinhold Köhler 1858 veranstaltete Ausgabe mit zur Korrektur. Die »Wittembergisch Nachtigall« beruht auf einem von Jörg Gastel in Zwickau und einem Eilenburger von Nicol. Wideman veranstalteten Drucke. Die folgenden Stücke »Die gemartert Theologia«, »Das klagend Evangelium«, »Das Göttergespräch über die Zwietracht«, »Die Disputation Eulenspiegels mit dem Bischof über das Brillenmachen« und »Die Klagrede ob Luthers Tode« entstammen meiner Folio-Ausgabe von 1558-1561.
Zum Schluß noch ein Wort über Hans Sachsens Sprache. Der Versbau beruht lediglich auf der Silbenzählung, denn das Gefühl für Rhythmus war verloren gegangen, da sich die Meistersinger nur an das Äußerliche der traditionellen Versmaße klammerten und in der Anzahl der Silben, ohne Rücksicht auf Ton oder Hebung, das wesentliche eines Gedichtes fanden. So enthält ein Vers also bei der stumpfen Reimung acht, bei der klingenden neun Silben. Diese Bauart eignet sich für den didaktischen wie für den epischen Vortrag gleich gut. Die Schreibung des Textes schließt sich mit vereinzelten Ausnahmen den Originalen getreu an, nur die Dingworte sind durchweg mit großen Anfangsbuchstaben geschrieben, um nicht durch allzu fremd anmutende Wortbilder das Lesen und das Verständnis zu erschweren. Von den Anmerkungen ist sparsamster Gebrauch gemacht worden, also nur in Fällen, wo sich eine Worterklärung nicht durch den Sinn ergab.
Berlin, Richard Zoozmann.
im September 1904.
Allen liebhabern Ewangelischer warhait/
Wünsch ich Johannes Sachs Schühmacher/
gnad un fryd in Christo Jesu unserm herren.