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»Elsbeth, Elsbeth, quäle mich nicht mit deiner Unzufriedenheit und deinem niedergeschlagenen Wesen!« sagte Oswald zu der betrübten Tochter Siegfrieds: »Siehe, die Alten sind verderbt und kaum zu bessern. Vielleicht kann ich unser armes Dorf wieder durch gute Erziehung der Kinder in Ansehen und Ehren bringen. Andern Weg gibt es nicht. Ein Dorfschulmeister ist freilich ein geringer und verachteter Mann; aber wie tief hat sich doch unser Herr und Heiland erniedrigt, um die Menschen zu bessern, zu belehren und selig zu machen. Hätten wir auch verständige und gewissenhafte Regierungen, denen es weniger um ihre, als um des Volkes Wohlfahrt zu thun wäre, für die sie eigentlich da sind, so würden sie mehr Sorgfalt und Achtung für die Landschullehrer, als für die Professoren an den hohen Schulen beweisen. Aber so ist es einmal nicht in der verkehrten Welt; Alles sieht und zieht nach oben, und versäumt, was unten ist. Darum wird es meistens oben zu schwer, und unten zu leicht, und viele Throne stehen auf schwachen Füßen.«
»Ach Oswald, Oswald!« rief Elsbeth: »Du weißt nicht, wie übel du gethan hast!« Sie sagte jedoch nicht warum.
Inzwischen, sobald die Wintertage kamen, fing Oswald mit der Schule an. Den ersten Tag stellte er sich vor die Hausthüre und empfing daselbst die Schulkinder. Hatten sie kothige Schuhe, mußten sie dieselben erst mit Stroh rein fegen, und die Sohlen abkratzen am Eisen vor der Hausthüre, damit sie den saubern Fußboden des Zimmers nicht besudelten. Dann reichte er jedem zum Willkommen freundlich die Hand. Waren aber die Hände unreinlich, mußten sie erst zum Brunnen und Gesicht und Hände waschen. Waren ihre Haare nicht zierlich gekämmt, schickte er sie in ihre Häuser zurück, sich kämmen zu lassen. Die aber, welche reinlich und wohlgekämmt erschienen, küßte er freundlich auf die Stirn.
Die Buben und Mägdlein wunderten sich sehr; einige schämten sich, andere lachten, noch andere weinten. So etwas war ihnen nie widerfahren.
Den zweiten und dritten Tag stand Oswald wieder vor der Hausthüre, und so noch manchen Tag, bis alle so säuberlich zur Schule kamen, wie er es befohlen hatte. Nachher empfing er sie im Schulzimmer. Wer dann mit unreinlichem Haare und Gesicht oder unsaubern Händen und Schuhen kam, ward zum Gelächter Aller auf einen Tritt zur Schau gestellt, und nachdem er eine Stunde da gestanden war, heimgeschickt, um sich reinigen zu lassen.
Viele Leute im Dorfe verdroß das; allein sie hatten in der Schule nichts zu befehlen, und mußten geschehen lassen, wie es Oswald wollte. So kam es, daß in wenigen Wochen die Schulkinder, groß und klein, arm und reich, alle äußerst reinlich am Leibe wurden, wenigstens so lange sie beim Schulmeister waren.
Oswald ließ es aber dabei nicht bewenden. Nachdem die Kinder ein Vierteljahr lang zur Ordnung gewohnt waren, gab er auf die Reinlichkeit der Kleider Acht. Schmutz, Staub und Koth durften nicht daran haften, wenn auch die Kleider alt und zerrissen waren. Letzteres verzieh er; das war nicht der Kinder Schuld. Wer die ganze Woche am reinlichsten erschienen war, sowohl in der Schule, als außer derselben, im Dorfe, auf den Gassen, in der Kirche, auf den Feldern, ward sein Liebling. Dem gab er die erste Woche ein Bild, oder ein Stücklein Seidenband, oder einen Bogen feines Papier zum Briefschreiben; die andere Woche abermals ein kleines Denkzeichen seiner Freundschaft; zuletzt öffentlich vor Allen einen Kuß auf den Mund, und das geküßte Kind empfing das Recht, am Sonntag mit Oswald spazieren zu gehen, oder wenn es schneite und unfreundliches Wetter war, bei ihm zu sein und sein großes Bilderbuch zu besehen, aus welchem Oswald schöne Geschichten zu erzählen wußte.
Oswald war ein Mann, der sich auch bei Erwachsenen in Ansehen zu setzen wußte, der zwar nie schwor und fluchte, aber keinen fürchtete; kein Wunder, daß alle Kinder Hochachtung für ihn empfanden, und ihn zuletzt fast mehr lieb hatten, als sie ihre Aeltern liebten. Da hätte man sehen sollen, wie ihm alle mit Ehrfurcht schmeichelten; wie freundlich sie zu ihm liefen, wenn er ihnen begegnete; wie sie ihm seine Wünsche aus den Augen zu lesen suchten; wie ein Wink genug war zum freudigen Gehorsam.
Das war den Bauern in Goldenthal ganz unbegreiflich, um so mehr, da dieser Schulmeister sich weder des Haselstockes, noch der Birkenruthe bediente. Manche Leute wurden ängstlich und erzählten sich die Historie von einem Ratzenfänger zu Hameln, der auch die Kinder an sich zu locken gewußt, und endlich alle in die Höhle eines Berges geführt habe, wo sie mit ihm verschwunden seien. Einige alte Bauernweiber sagten öffentlich, das ginge nicht mit rechten Dingen zu, und riethen, man solle keine Kinder mehr zum Schulmeister lassen. Doch dazu kam es nicht.
Oswald aber redete und sprach: »Reinheit des Herzens ist die Gesundheit der Seele; Reinlichkeit des Leibes ist die Gesundheit des Körpers. Die Thiere mögen sich wälzen im Koth, aber der Mensch, als Gottes Ebenbild, soll sich rein erheben zum reinen Himmel. Solches muß der Anfang aller Kinderzucht sein, daß die Kindlein wissen, sie seien Menschen und viel besser als Thiere. Dann ist aus ihnen Alles zu machen, aus den Thieren läßt sich nichts machen.«
Ferner redete Oswald und sprach: »Ein Schulmeister, welcher nicht einmal versteht, die zarten Kinderherzen durch Ernst und Liebe zu leiten, daß sie ihm willig folgen, der versteht sein Handwerk schlecht. Und man sollte billig den Stock auf des Schulmeisters Rücken zerschlagen, womit er die Kinder züchtigt, als hätte er Affen, Hunde und andere Thiere abzurichten, die keine Vernunft und kein menschliches Herz haben.«