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Sie eilten Beide nicht; sie hatten sich noch so Vieles zu sagen. Von Zeit zu Zeit blickten sie einander mit glänzenden Augen an, und jeder Blick erzählte von der Seligkeit, die in Beiden wohnte.
Es ist wahr, hob Florian an, dieser wunderliche Professor hätte uns mit seiner naturforschenden Thätigkeit im Feentempel begraben können; doch ich bin ihm zu viel Glück schuldig, als daß ich nicht gern den kleinen Schrecken verzeihen sollte, den er uns gemacht hat.
Nicht er, vielmehr meine Zaghaftigkeit und Angst, war die Ursache Ihres Schreckens, lieber Florian!
Wenn wir es strenge nehmen, auch Sie nicht, theure Hermione! sondern die, welche Ihre reizbare Einbildungskraft mit Schreckbildern, darf ich sagen, des Aberglaubens, mit Traumdeutungen und Weissagungen erfüllten?
O Freund! verdammen Sie nicht Alles, was aus der Seele hervorgeht.
Indessen müssen Sie zugeben, daß wir diesmal die untrüglichste Erfahrung von der Nichtigkeit aller Vorhersagungen gemacht haben. Jene Tropfsteinhöhle ist eine Tropfsteinhöhle, und nichts Anderes. Hätte man ihr nicht den Namen des Feentempels gegeben, würde man sie schwerlich für die Herberge geheimer Mächte gehalten haben. Sie, theure Hermione! hätten meinen Traum vor der Höhle nicht für ein zauberhaftes Einwirken dieser Mächte gehalten; Sie hätten jenen unglücklichen Zufall in der Höhle nicht mit dem Traume in Verbindung gebracht.
Ich will Ihnen einräumen, daß ich den Traum und die Prophezeiung der Morne falsch deutete; darum könnten ja doch noch Traum und Morne Recht behalten. Wie auffallend sind in Ihrem Traume Meer, Landhaus, Liliengarten. Finden Sie das nicht?
Wenn man von Reisen träumt, treten wohl stets Meere und Landhäuser hinzu, und daß mir die Menge der Lilien erschien, erklärt sich leicht daraus, daß ich an Sie dachte, schöne Hermione! und von Ihren Freunden wußte, daß Sie die Lilien vor allen Blumen lieben. Darum sah ich Sie im Traume mitten unter Ihren Lieblingen und Ebenbildern.
Am Ende verstehen Sie sich auf's Traumdeuten besser, als ein Chaldäer. Ich räume die Wahrscheinlichkeit von dem ein, was Sie sagen; doch die Möglichkeit höherer Beziehungen eines Traumes zu unserem Leben können Sie eben so wenig läugnen.
Nun denn, Wahrscheinlichkeit gegen Möglichkeit, warum uns vor Möglichkeiten quälen?
Unter solchen Gesprächen war der Abend herangekommen, der Himmel leuchtete von tausend Sternen, man sah aus der Ferne das röthliche Licht der Hütten an den Hügeln umher, und im Vordergrunde, hinter Bäumen, die erhellten Fenster der Frau Bell.
Traulich, Hand in Hand, wurden Abreden für den folgenden Morgen genommen. Während sie noch mit einander flüsterten, kam ihnen, durch die sternenhelle Nacht, zwischen den Bäumen ein dunkler Schatten entgegen. Er bewegte sich mit seltsamen Schritten auf dem Pfade zur Wohnung der Frau Bell. Es rauschte in ihrer Nähe und vor ihnen stand die lange Gestalt der Morne, die ihre Arme hoch aufhob und rief: Von hinnen, Flüchtling! Noch sind die Blutflecken nicht von Ihren Kleidern getilgt.
Meinet Ihr mich, Frau Morne? sagte Florian betroffen und unwillig.
Morgen oder übermorgen erfahren Sie mehr, erwiederte die Alte; doch immer zu früh. – Dann erhob sie abermals die Hand hoch in die Luft und rief: Auch der Himmel hat Augen, mein Herr!
Hermione überfiel bei diesen seltsamen Worten ein unwillkürlicher Schauder. Sie drängte sich näher an Florian, als suche sie Schutz gegen das gespensterhafte Wesen des Weibes. Er bemerkte ihre Aengstlichkeit, und sagte: Fürchten Sie nichts, Fräulein! Mutter Morne hat mich selber gescholten, als ich ihr einmal eine Weissagung abforderte. Sie behauptete, nur Gott kenne die Zukunft.
Das sagte sie, rief die Alte, und sagt es auch heute. Aber sie sagt auch: Der Mensch soll die Gegenwart kennen; und Sie, mein Herr! kennen sie nicht, sonst wüßten Sie, daß Sie heute ein frommes Lamm zum Altar der Reue geführt haben.
Und Ihr, Mutter Morne! wenn Ihr die Gegenwart verständet, würdet Ihr frohen Menschen mit Euerm Geschwätze nicht lästig fallen. Gehabt Euch wohl!
Gehabt Euch wohl! Gehabt Euch wohl! schrie die Alte; der Wunsch ist nicht für mich, sondern für Sie und Fräulein Delory vonnöthen. Gehabt Euch wohl, denn Ihr gehabt Euch übel. Sah ich nicht Blut auf dem Gipfel des Gros-Taureau? Nun sehe ich das blutende Haupt. Herr! im trockenen Bette des Stromes La Combe habe ich Euch gewarnt und auch die Jungfrau in den stillen Schluchten unter Longaigue. Wer hat mich gehört?
Ziehet Eures Weges in Frieden und lasset uns friedlich unseres Weges gehen. Was haben wir mit Euch zu schaffen? Gute Nacht!
Halt! schrie mit heiserer Stimme die Unglücksprophetin, fuhr mit beiden Armen in die Höhe und blieb lange, in dieser Stellung einer Wahnsinnigen, vor ihnen stehen; lassen Sie ab vom Fräulein und beflecken Sie Hermione's Gewand nicht mit dem Blute, das zum Herzen Hermione's schreit; ja, ja, ja, das zum Herzen Hermione's schreit, das ich auf dem Gros-Taureau sah und Sie in der Waldquelle abwaschen konnten. Entweichen Sie aus diesen Thälern, denn der Morgen wird Ihnen Herzeleid und der Abend Jammer bringen.
Verstehen Sie von dem Allen ein Wort? – sagte Florian lachend zu Hermione.
Ich habe für das Fräulein die Auslegung mitgebracht, unter drei in's Kreuz gelegten Schwertern mit einer Dornenkrone umschlungen, rief die alte Morne, fuhr dann hastig suchend in ihren Kleidern umher und zog einen Brief hervor, den sie Hermione reichte.
Ein Brief von meinem Vater, rief das Fräulein Delory, nahm der Morne den Brief ab, wünschte Florian eine gute Nacht und flog davon, zur Wohnung ihrer Freundinnen. In demselben Augenblick wanderte auch die Morne in entgegengesetzter Richtung, mit langen Schritten den Berg hinan, durch die Nacht. Florian blieb allein zurück; er sah Hermione hinter den Bäumen verschwinden, und eilte heiter den bekannten Pfad zum gastlichen Hause Staffard's zurück.