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Im Sommer 1774 reist ein vornehmer Ausländer mit seiner Frau durch Wien, und diese bittet, von einem plötzlichen Magenkrampf befallen, den bekannten Astronomen Maximilian Hell, einen Jesuitenpater, er möge ihr zu Heilzwecken einen Magneten in handlicher Form anfertigen, den sie sich auf den Magen legen könnte. Denn daß dem Magneteisen besondere Heilkraft innewohne, diese für uns etwas seltsame Annahme, gilt der magischen und sympathetischen Medizin der Vorzeit als unbezweifelbare Tatsache. Schon das Altertum hat das eigenwillige Verhalten des Magneten – Paracelsus nennt ihn später den »Monarchen aller Geheimnisse« – immer wieder erregt, weil dieser Außenseiter unter allen mineralischen Elementen ganz besondere Eigenschaften zeigt. Denn während Blei und Kupfer, Silber, Gold und Zinn und das gemeine, gleichsam unbeseelte Eisen ohne jedes Eigenleben nur der Schwerkraft gehorchen, äußert dieses eine und einzige Element unter allen etwas Seelenhaftes, eine selbständige Aktivität. Der Magnet zieht das andere, das tote Eisen herrisch an sich heran, er vermag als einziges Subjekt innerhalb der bloßen Objekte etwas wie persönlichen Willen auszudrücken, und unwillkürlich läßt sein selbstherrliches Gehaben vermuten, er gehorche anderen als den irdischen – vielleicht astralen – Gesetzen des Weltalls. Zur Nadel gespitzt, hält er unbeirrbar seinen eisernen Finger dem Pol entgegen, Führer der Schiffe und Wegweiser der Verirrten: so scheint es wirklich, als ob er eine Erinnerung seines meteorischen Ursprunges innerhalb der irdischen Welt bewahre. Derart auffallende Besonderheiten bei einem einzigen Metall mußten natürlich von allem Anfang an die klassische Naturphilosophie faszinieren. Und da der menschliche Geist dazu neigt, ständig in Analogieen zu denken, so schreiben die Ärzte des Mittelalters dem Magneten eine sympathetische Macht zu. Jahrhundertelang proben sie herum, ob er nicht befähigt sei, so wie Eisensplitter auch manche Krankheiten aus dem menschlichen Leibe an sich heranzuziehen. Wo aber Dunkelheiten walten, da drängt sofort der Versuchergeist des Paracelsus mit leuchtendem Eulenauge neugierig heran. Seine unstet schweifende, bald gauklerische, bald geniale Phantasie verwandelt unbedenklich diese wirre Vermutung seiner Vorgänger in pathetische Gewißheit. Seinem leicht entzündlichen Geist scheint es sofort verbürgt, daß neben der »agtseinischen«, der im Bernstein wirkenden Kraft (also der noch ganz unmündigen Elektrizität), diejenige des Magneten das Vorhandensein einer siderischen, einer sternverbundenen Natur im irdischen, im »adamitischen« Leib kundtue, und sofort reiht er den Magneten in die Liste der unfehlbaren Heilmittel ein. »Ich behaupte klar und offen aus dem, was ich vom Magneten erfahrungsgemäß erprobt habe, daß in ihm ein so hohes Geheimnis verborgen liegt, ohne welches man gegen viele Krankheiten gar nichts ausrichten kann.« Und an anderer Stelle schreibt er: »Der Magnet hat lange vor aller Augen gelegen, und keiner hat daran gedacht, ob er weiter zu gebrauchen wäre und ob er, außer daß er das Eisen an sich zieht, auch noch andere Kräfte besitze. Die lausigen Doktores werfen mir oft unter die Nase, ich wollte den Alten nicht folgen; aber in was soll ich ihnen folgen? Alles, was sie vom Magneten gesagt haben, ist nichts. Legt das, was ich davon sage, auf die Waage und urteilt. Wäre ich blindlings den anderen gefolgt und hätte nicht selbst Versuche angestellt, so würde ich ebenfalls nicht mehr wissen, als was jeder Bauer sieht, als: er zieht das Eisen an. Allein ein weiser Mann soll selbst untersuchen, und so habe ich gefunden, daß der Magnet außer dieser offenbaren, einem jeden in die Augen fallenden Kraft, das Eisen anzuziehen, noch eine verborgene Kraft besitzt.« Auch darüber, wie der Magnet zu Heilzwecken anzuwenden sei, gibt Paracelsus mit seiner gewohnten Unbedenklichkeit genaue Anweisungen. Er behauptet, daß der Magnet einen Bauch (den anziehenden) und einen Rücken (den abstoßenden Pol) besitze, so daß er, richtig angelegt, seine Kraft durch den ganzen Körper leiten könne, und diese Behandlungsart, die wirklich ahnend die Form des noch lange nicht entdeckten elektrischen Stromes vorausnimmt, nennt der ewige Hahnenkamm »mehr wert als alles, was die Galenisten ihr Leben lang gelehrt haben. Hätten sie anstatt ihrer Ruhmredigkeit den Magneten vor sich genommen, sie hätten mehr ausgerichtet als mit all ihren gelehrten Klappereien. Er heilt die Flüsse der Augen, Ohren, Nase und äußeren Glieder. Auf diese Art heilt man auch offene Schenkel, Fisteln, Krebs, Blutflüsse der Weiber. Der Magnet zieht ferner die Brüche und heilt alle Rupturen, er zieht die Gelbsucht aus und die Wassersucht zurück, wie ich oft in der Praxis erfahren habe; allein es ist unnötig, den Unwissenden alles ins Maul zu kauen.« Unsere heutige Medizin wird diese rasselnde Ankündigung freilich nicht sehr ernst nehmen; aber was Paracelsus einmal gesagt, gilt seiner Schule noch durch zwei Jahrhunderte als Offenbarung und Gesetz. So pflegen und züchten seine Schüler mit vielem anderen bombastischen Unkraut aus Paracelsus' magischer Hexenküche auch ehrfürchtig die Lehre von der Heilkraft des Magneten. Sein Schüler Helmont und nach ihm Goclenius, der 1608 ein ganzes Lehrbuch »Tractatus de magnetica cura vulnerum« veröffentlichte, verfechten auf Paracelsus' Treu und Glauben hin leidenschaftlich die organische Heilkraft des Eisenmagneten, und so geht neben der offiziellen Medizin schon damals die magnetische Kurmethode als unterirdische Strömung durch die Zeit. Von einem dieser namenlosen Nebenläufer, von irgendeinem verschollenen Anhänger der sympathetischen Heilkunde mag dann jener Magnet der reisenden Ausländerin verordnet worden sein.
Der Jesuitenpater Hell, an den sich der fremde Patient wendet, ist Astronom und kein Arzt. Ihn kümmerts nicht, ob der Magnet tatsächlich eine Heilwirkung bei Magenkrämpfen ausübe oder nicht, er hat nur den Magneten formentsprechend zu schweißen. Das tut er pflichtgemäß. Gleichzeitig berichtet er aber seinem Freunde, dem gelehrten Doktor Mesmer, von dem ungewöhnlichen Fall. Mesmer nun, semper novarum rerum cupidus, immer lernbegierig, neue Methoden der Wissenschaft zu erfahren und zu erproben, bittet seinen Freund Hell, ihn auf dem laufenden zu erhalten über den Effekt der Kur. Kaum hört er, daß tatsächlich die Magenkrämpfe der Kranken völlig aufgehört hätten, so besucht er die Patientin und staunt über die sofortige Linderung, welche die Anlegung des Magneten zur Folge hatte. Die Methode interessiert ihn. Sofort beschließt er, sie jetzt seinerseits auszuproben. Er läßt sich nun ebenfalls von Hell Magnete ähnlichen Formats anfertigen und macht damit bei einer Reihe von anderen Patienten Versuche, indem er ihnen den hufeisenförmigen bestrichenen Stahl bald auf den Hals, bald aufs Herz, immer aber auf den leidenden Körperteil legt. Und sonderbar – in einigen Fällen erzielt er damit zu seiner eigenen Überraschung nie erwartete, nie geahnte Heilungserfolge, besonders bei einem Fräulein Österlin, die er auf diese Art von ihren Krämpfen heilt, und bei dem Mathematikprofessor Bauer.
Ein argloser Kurpfuscher würde nun sofort den Mund weit aufreißen und spektakulieren, er habe einen neuen Gesundheitstalisman gefunden: das Magneteisen. Es scheint ja so sonnenklar, so einfach – man braucht also bei Krämpfen und epileptischen Zuständen den Kranken nur rechtzeitig das zauberische Hufeisen auf den Leib zu legen, unbesorgt um das Wie und Warum, und siehe, das Mirakel der Genesung ist vollbracht. Aber Franz Anton Mesmer ist Arzt, Wissenschaftler, Sohn eines neuen Zeitalters, das in kausalen Zusammenhängen denkt. Ihm genügt nicht die augenfällig bewiesene Feststellung, daß der Magnet bei einer ganzen Reihe seiner Patienten beinahe magisch geholfen: als ernster, denkender Arzt will er eben, weil er nicht an Wunder glaubt, sich selbst und den andern erklären, warum dieses geheimnisvolle Mineral solche Wunder wirkt. Mit seinem Experiment hat er bisher nur einen Nenner der Rätselheilung in Händen: den oftmaligen Heileffekt des Magneten; zum logischen Schlüsse braucht er aber noch die andere Ziffer, die kausale Begründung. Dann erst wäre das neue Problem für die Wissenschaft nicht bloß gestellt, sondern auch schon gelöst.
Und sonderbar: ein verteufelter Zufall scheint ihm und gerade ihm dies andere Ende in die Hand gespielt zu haben. Denn eben dieser Franz Anton Mesmer hat doch vor beinahe zehn Jahren, 1766, den Doktorgrad mit einer sehr merkwürdigen, mystisch gefärbten Dissertation erworben, benannt »De Planetarum influxu«, in welcher er unter dem Einfluß mittelalterlicher Astrologie eine Wirkung der Gestirne auf den Menschen annahm und die These aufstellte, daß irgendeine geheimnisvolle Kraft »durch weite Räume der Himmel ergossen, auf das Innerliche jeder Materie einwirke, daß ein Uräther, ein geheimnisvolles Fluidum den ganzen Kosmos und damit auch den Menschen durchdringe«. Dieses Urfluidum, dieses Endprinzip, bezeichnete der vorsichtige Studiosus damals nur höchst unbestimmt als die »gravitas universalis«, die allgemeine Schwerkraft. Diese seine eigene jugendliche Hypothese hatte der gereifte Mann wahrscheinlich längst vergessen. Aber als Mesmer jetzt bei dieser zufälligen Kur durch den Stahlmagneten, der doch als Meteorstein gleichfalls von den Sternen stammt, so unerklärbaren Einfluß ausgeübt sieht, da schießen plötzlich diese beiden Elemente, das Empirische und das Hypothetische, die durch Magnetauflage geheilte Patientin und die These der Dissertation zu einer einheitlichen Theorie zusammen – jetzt glaubt Mesmer seine philosophische Annahme durch jene sichtbare Heilwirkung unwiderlegbar bestätigt und meint für jene unbestimmte »gravitas universalis« den richtigen Namen zu wissen: die magnetische Kraft, deren Anziehung der Mensch ebenso gehorcht wie die Sterne des Weltalls. Das Magnetische ist also, so jubelt voreilig freudig seine Entdeckerlust, die »gravitas universalis«, jenes »unsichtbare Feuer« des Hippokrates, jener »spiritus purus, ignis subtilissimus«, der als schöpferische Allflut den Äther des Weltalls ebenso wie die Zelle des menschlichen Körpers durchströmt! Die Brücke, die langgesuchte, welche die Sternenwelt der Menschheit verbindet, scheint ihm in seiner Zufallstrunkenheit gefunden. Und er fühlt stolz und erregt: wer sie mutig überschreitet, der betritt ein unbekanntes Land.
Der Funke hat gezündet. Durch die zufällige Berührung eines Experiments mit einer Theorie kommt bei Mesmer ein Gedanke zur Explosion. Aber der erste Schuß geht in vollkommen falsche Richtung. Denn in seiner voreiligen Begeisterung meint Mesmer, mit dem Magneteisenstein selbst schon klipp und klar das Universalremedium, den Stein der Weisen, gefunden zu haben: ein Irrtum, ein offenbarer Trugschluß bildet Anlaß und Ausgang seines Weges. Aber dieser Irrtum ist ein schöpferischer. Und da Mesmer ihm nicht blindwütig nachstürmt, sondern seinem Charakter gemäß zögernd, Schritt für Schritt fortschreitet, kommt er trotz seines Umweges weiter. Er wird noch viele krumme und dumme Wege gehen. Aber jedenfalls, während die anderen breit und schwer auf ihren alten Methoden hocken, tappt dieser Einsame im Dunkel nach vorwärts und tastet langsam aus kindlichen und mittelalterlichen Vorstellungen in den geistigen Gedankenkreis der Gegenwart hinüber.