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Phaeton oder die Begeisterung

O Begeisterung, so finden
Wir in Dir ein selig Grab,
Tief in deine Wogen schwinden
Still frohlockend, wir hinab,
Bis der Höre Ruf wir hören
Und, mit neuem Stolz erwacht,
Wie die Sterne, wiederkehren
In des Lebens kurze Nacht.

Für eine so heroische Mission, wie sie dem Dichter im Hölderlinschen Mythos zugedacht ist, bringt der jugendliche Schwärmer eigentlich – warum es künstlich verleugnen? – nur geringe poetische Begabung mit. Nichts in der geistigen Haltung noch im dichterischen Duktus des Vierundzwanzigjährigen kündigt Eigenpersönlichkeit deutsam an: die Formen seiner ersten Gedichte, ja selbst einzelne Bilder, Symbole und selbst Worte sind in beinahe unerlaubter Ähnlichkeit den Meistern seiner Tübinger Schulzeit entlehnt, den Oden Klopstocks, den tönend hinrauschenden Hymnen Schillers, der deutschen Prosodik Ossians. Seine dichterischen Motive sind arm, nur die jugendliche Feurigkeit, mit der er sie in immer gesteigerten Variationen wiederholt, täuscht über die Enge seines geistigen Horizontes hinweg. Seine Phantasie wiederum schwelgt in einer vagen und doch gestaltlosen Welt: die Götter, der Parnaß, die Heimat bilden dort den ewigen Traumkreis, selbst die Worte, die Epitheta »himmlisch, göttlich« kehren in bedenklicher Monotonie wieder. Noch unentwickelter ist seine Gedanklichkeit, durchaus von Schiller und den deutschen Philosophen dependierend: erst später dunkelt aus der Tiefe der Umnachtung geheimnisvolle Spruchrede, wie eines Sehers Aussage nicht eigenen Geistes, sondern gleichsam des Weltgeistes orphische Rede. Wichtigste Elemente der Gestaltung fehlen selbst in spurhafter Andeutung: sinnlicher Blick, Humor, Menschenkenntnis, kurz alles, was vom irdischen Bezirke stammt, und da Hölderlin aus beharrlichem Instinkt jede Vermengung mit dem Leben abweist, steigert sich diese eingeborene Lebensblindheit zu einem absoluten Traumzustand, zu einer idealen Ideologie der Welt. Salz und Brot, Vielfalt und Farbe fehlen vollkommen der Substanz seines Gedichtes, das unverweigerlich ätherisch, durchsichtig, gewichtlos bleibt und dem auch die dunkelsten Jahre nur das geheimnisvoll stofflose Wesen von Wolken, etwas Wehendes, Deutsames und Ahnungsvolles geben. Auch seine Produktivität ist durchaus gering, häufig gehemmt von einer Ermattung des Gefühls, einer dumpfen Melancholie, einer Verstörung der Nerven. Neben der ursprünglichen saftvollen Fülle Goethes, in dessen Verse alle Kräfte und Säfte des Lebens keimhaft trächtig eingemischt sind, neben diesem fruchtbaren Gefilde, das von starker Hand tätig durchackert, wie ein offenes Feld Sonne und Regen, alle Elemente des Himmels in sich einsaugt, erscheint Hölderlins dichterischer Besitz durchaus arm: vielleicht ist niemals in der deutschen Geistesgeschichte aus so wenigen dichterischen Urelementen ein so großer Dichter geworden. Sein »Material« – wie man vom Sänger sagt – war unzulänglich. Sein Vortrag alles. Er war schwächer als jeder andere: ihm aber wuchs in der Seele Gewalt in die obere Welt. Seine Begabung hatte geringes spezifisches Gewicht, aber einen unendlichen Auftrieb: Hölderlins Genie ist im letzten nicht so sehr Genie der Kunst als vielmehr ein Wunder der Reinheit. Sein Genius war die Begeisterung, die unsichtbare Schwinge.

Darum ist Hölderlins ursprüngliche Begabung nicht philologisch meßbar weder im Sinne der Breite, noch in jenem der Fülle: Hölderlin ist vor allem ein Intensitätsproblem. Seine dichterische Figur erscheint (im Vergleich zu den andern mächtig und muskulös gebauten) durchaus schmächtig, er steht neben Goethe, neben Schiller, den Wissenden und Vielfältigen, den Stromhaften und Starken, so einfältig schlicht und scheinbar schwach, wie Franciscus von Assisi, der sanfte, unwissende Heilige neben den riesigen Pfeilern der Kirche, neben Thomas von Aquino, Sankt Bernhard, Loyola, neben diesen großen Baumeistern des mittelalterlichen Doms. Wie jener hat er nichts als die engelhaft klare Zärtlichkeit, als das ekstatische Brudergefühl zum Element, aber auch die eminent franciscanische, die kampflose Kraft der Begeisterung. Wie jener wird er Künstler ohne Kunst, nur durch den evangelischen Glauben an die höhere Welt, nur durch eine gleich heldenhafte Geste der Preisgabe wie jene des jungen Franciscus auf dem Marktplatz zu Assisi.

Nicht also eine partielle Kraft, eine einzelne poetische Begabung prädestiniert Hölderlin zum Dichter, sondern die Fähigkeit seiner Zusammenfassung der ganzen Seele in einen gesteigerten Zustand, jene einzige Gewalt der Erdflucht, des Sichverlierens ins Unendliche. Hölderlin dichtet nicht aus dem Blut, aus dem Samen, aus den Nerven, aus dem Sinnlichen, aus dem persönlichen, privaten Erlebnis, sondern aus einer eingeborenen spasmischen Begeisterung, einer urtümlichen Sehnsucht nach einem unerreichbaren Oben. Für ihn gibt es keinen einzelnen Anlaß des Poetischen, weil er das ganze Universum dichterisch sieht. Die ganze Welt erscheint ihm als ein ungeheures Heldengedicht, und was er von ihr schildernd ergreift, Landschaft, Strom, Mensch und Gefühl, wird sogleich unbewußt heroisiert. Der Äther ist ihm so sehr »Vater«, wie Franciscus die Sonne der »Bruder«; Quelle und Stein öffnen sich ihm wie den Griechen als atmende Lippe und gefangene Melodie. Auch das Nüchternste, das er klingenden Wortes berührt, nimmt geheimnisvoll jener platonischen Welt Wesenheit an, wird sofort transparent, zittert melodisch in einer Leuchtkraft der Sprache, die mit der sachlichen des Tages nur die Vokabeln gemein hat: ein neuer Glanz ist auf seinem Wort wie Morgentau auf einer Wiese, eine Unberührtheit von allem Menschenblick. Niemals in der deutschen Literatur war das Gedicht vor ihm oder nach ihm so durchaus flughaft, so aufgehoben über die Erde. Darum erscheinen alle Wesen darin so, wie man sie im Traume sieht, geheimnisvoll losgelöst von ihrer Schwerkraft, gleichsam als die Seelen ihres Seins: niemals hat Hölderlin (das ist seine Größe und seine Beschränkung) die Welt sehen gelernt. Er hat sie immer nur gedichtet.

Diese großartige Fähigkeit zum innern Aufschwung ist Hölderlins eigenste und einzige Kraft; er gerät niemals hinein in das Untere, Gemengte, ins taghaft Irdische des Lebens, sondern stößt sich flughaft in eine höhere Welt (die ihm Heimat ist) empor. Er hat nicht die Wirklichkeit, aber er hat eine eigene Sphäre, sein klingendes Jenseits. Immer zielt er nach oben:

O Melodien über mir, ihr unendlichen,
Zu euch, zu euch,

immer stößt er sich wie ein Pfeil vom gespannten Bogen in das Himmlische, ins Unsichtbare empor. Daß eine solche Natur nun ständig gespannt, ja in einem gefährlichen Zustand idealischer Überspanntheit sein mußte, bezeugen schon früheste Berichte. Schiller bemerkt sofort, mehr tadelnd als bewundernd, diese Heftigkeit der Ausbrüche und bedauert den Mangel an Stetigkeit, an Gründlichkeit. Aber für Hölderlin sind jene »namenlosen Begeisterungen, wo das irdische Leben tot und die Zeit nicht mehr ist und der entfesselte Geist zum Gotte wird«, diese spasmischen Zustände der Selbstentrückung, Urelement. »Ewig Ebb und Flut«, kann er nur mit der ganzen zusammengefaßten Seelenkraft Dichter sein. Ohne Inspiration, in den sachlichen Stunden seines Lebens ist Hölderlin der ärmste, der gebundenste, der düsterste, in der Begeisterung der seligste, der freieste aller Menschen.

Diese Begeisterung Hölderlins ist nun eigentlich substanzlos: ihr Inhalt ist gleichsam der Zustand selbst. Er gerät nur in Begeisterung, wenn er die Begeisterung singt. Sie ist für ihn Subjekt und Objekt zugleich, formlos, weil höchste Fülle, konturlos, weil aus dem Ewigen stammend und ins Ewige zurückfließend: selbst bei Shelley, dem ihm verwandtesten lyrischen Geist, erscheint die Begeisterung noch eher irdisch gebunden. Ihm identifiziert sie sich noch mit sozialen Idealen, mit dem Glauben an Menschenfreiheit, an eine Entwicklung der Welt. Hölderlins Begeisterung aber geht wie Rauch in den Himmel ganz ins Ephemere, sie schildert sich, indem sie sich genießt, und sie genießt sich durch Schilderung. Darum stellt Hölderlin unaufhörlich diesen einen eigenen Zustand dar, sein Gedicht ist ein unablässiger Hymnus auf die Produktivität, eine erschütternde Klage über die Sterilität, denn – »die Götter sterben, wenn die Begeisterung stirbt«. Dichtung bleibt für ihn unlösbar an Begeisterung gebunden, so wie sich Begeisterung nicht anders erlösen kann als im Gesang: darum ist sie die Erlösung des einzelnen wie der ganzen Menschheit. »O Regen vom Himmel, o Begeisterung! Du wirst den Frühling der Völker uns wiederbringen«, schwärmt schon sein Hyperion, und sein Empedokles enthüllt nichts anderes als den unerhörten Kontrast zwischen göttlichem (also produktivem) und irdischem (also wertlosem) Gefühl. Seine ganz eigene Art der Inspiration ist deutlich abzulesen aus jenem tragischen Gedicht. Der Urzustand aller Produktivität ist das dämmernde, glücklose, leidlose Gefühl der inneren Schau, des sinnenden Traumes:

Der Unbedürftge wandelt
In seiner eignen Welt; in leiser Götterruhe geht
Er unter seinen Blumen, und es scheun
Die Lüfte sich, den Glücklichen zu stören.

Er fühlt nicht die Umwelt: nur aus ihm quillt die geheime Kraft des Auftriebs:

Ihm schweigt die Welt, und aus sich selber wächst
In steigendem Vergnügen die Begeistrung
Ihm auf, bis aus der Nacht des schöpferischen
Entzückens, wie ein Funke, der Gedanke springt.

Nicht also aus Erlebnis, aus einer Idee, aus einem Willen entzündet sich in Hölderlin der dichterische Trieb – »aus sich selber wächst« die Begeisterung. Sie entzündet sich nicht an der Reibfläche eines bestimmten Objektes: »unverhofft« »göttlich« flammt sie auf, die unbegreifliche Sekunde, da

unvergeßlich
Der unverhoffte Genius über uns,
Der schöpferische, göttlich kam, daß stumm
Der Sinn uns ward und wie vom
Strahl gerührt das Gebein erbebte.

Inspiration ist Zündung von oben, Entflammung durch den Blitz. Und nun schildert Hölderlin den eigenen herrlichen Zustand des Aufloderns, die Wegzehrung alles irdischen Erinnerns in den ekstatischen Flammen:

Hier fühlt er wie ein Gott
In seinen Elementen sich, und seine Lust
Ist himmlischer Gesang.

Die Zerstücktheit des Individuums ist aufgehoben, der »Himmel des Menschen« erreicht die Einheit des Gefühls (»Eines zu sein mit Allem, das ist das Leben der Gottheit, das ist der Himmel des Menschen«, sagt sein Hyperion). Phaethon, die symbolische Gestalt seines Lebens, hat mit dem feurigen Wagen die Sterne erreicht, schon umrauscht ihn die sphärische Musik: in diesen produktiv ekstatischen Sekunden erreicht Hölderlin den Höhepunkt seiner Existenz.

Aber in dieses Seligkeitsempfinden mengt sich vorbedeutend schon das Ahnen des Sturzes, das ewige Untergangsgefühl. Er weiß, daß solcher Aufenthalt im Feurigen, dieser Blick in Gottes Geheimnis, dies Tafeln an der Unsterblichen Tisch, Sterblichen nur flüchtig gestattet ist. Schicksalswissend spricht er sein Schicksal aus:

Nur zu Zeiten erträgt göttliche Fülle der Mensch.
Traum von ihnen ist drauf das Leben.

Notwendigerweise muß – Phaethons Ende! – der rauschenden Fahrt im Sonnenwagen der Sturz in die Tiefe folgen.

Denn es scheint,
Als liebten unser ungeduldiges
Gebet die Götter nicht.

Und nun zeigt der Genius, der helle und selige, Hölderlin sein anderes Gesicht, die finstere Dunkelheit des Dämons. Hölderlin stürzt aus der Dichtung in das Leben immer zerschmettert zurück, er stürzt wie Phaethon nicht auf die Erde, in seine Heimat bloß, sondern tiefer noch hinab in ein unendliches Meer von Schwermut. Goethe, Schiller, sie alle kommen aus der Dichtung wie von einer Reise, aus einem andern Lande, ermüdet manchmal, aber doch gesammelten Sinns und heiler Seele: Hölderlin schmettert aus dem dichterischen Zustand wie aus einem Himmel hinab und bleibt verwundet, zerschlagen, ein geheimnisvoll Ausgestoßener in der Sachwelt zurück. Sein Erwachen aus dem Enthusiasmus ist immer eine Art Seelentod, der Zurückgestürzte empfindet das reale Leben sofort wieder als dumpf und gemein, »die Götter sterben, wenn die Begeisterung stirbt. Pan ist tot, wenn Psyche stirbt«. Das wache Leben ist nicht lebenswert, außerhalb der Ekstase alles schal und seelenlos.

Hier also – kontrapunktisch der beispiellosen Exaltationskraft des Hölderlinschen Organismus gegenübergestellt – wurzelt jene ganz eigentümliche Melancholie Hölderlins, die nicht eigentlich Schwermut war oder eine pathologische Düsternis des Geistes. Auch sie strömt und nährt sich wie die Ekstase einzig aus sich selbst; auch sie hat wenig Zustrom vom Erlebnis (man überschätze die Diotima-Episode nicht!). Seine Schwermut ist nichts anderes als sein Reaktionszustand auf die Ekstase und notwendigerweise unproduktiv, fühlt er sich dort, aufschwingend, Unendlichem verwandt, so wird ihm im unproduktiven Zustand seine ungeheure Fremdheit zum Leben bewußt. Und so möchte ich seine Schwermut nennen: ein namenloses Fremdheitsgefühl, die Trauer eines verlorenen Engels um seine Himmel, ein kindlich klagendes Heimweh nach der unsichtbaren Heimat. Niemals versucht Hölderlin diese Schwermütigkeit über sich hinaus wie Leopardi, wie Schopenhauer, wie Byron zu einem Weltpessimismus zu dehnen (»Der Menschenfeindschaft bin ich feind«), nie wagt seine Frommheit irgendeinen Teil des heiligen Alls als sinnlos zu verneinen: nur sich fühlt er fremd im realen, im praktischen Leben. Er hat keine andere wahre Sprache zu den Menschen als den Gesang: im einfachen Wort, in der Konversation kann er nichts von seinem Wesen verständlich machen; nur von oben herab wie Engelflug kann der Geist ihn überkommen. Ohne die Ekstase aber irrt er, ein »Blindgeschlagener«, durch die entgötterte Welt. »Pan ist für ihn tot, wenn Psyche stirbt«, das Leben ein grauer Haufen Schlacke ohne die Feuerflamme des »blühenden Geistes«. Seine Trauer aber ist machtlos wider die Welt, seine Schwermut ohne Musik: Dichter des Morgenrots, bleibt er stumm in der Dämmerung.

Der ihn am nächsten kannte und ihn oft in den Tagen des verdunkelten Geistes gesehen, Waiblinger, hat ihn Phaethon genannt in einem Roman. Phaethon – so bildeten die Griechen den schönen Jüngling, der auf dem feurigen Wagen des Gesangs zu den Göttern sich schwingt. Sie lassen ihn nah heran, ein Streif von Licht klingt sein tönender Flug durch die Himmel – dann stürzen sie ihn mitleidlos ins Dunkle hinab. Die Götter strafen, die sich erkühnen, ihnen zu sehr zu nahen: sie zerschmettern ihren Leib, blenden ihren Blick und werfen die Kühnen in den Abgrund des Schicksals. Aber sie lieben die Verwegenen zugleich, die ihnen entgegenbrennen, und setzen ihren Namen dann, heiliger Ehrfurcht zum Beispiel, als reine Bildgestalt unter ihre ewigen Sterne.


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