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In seinem Bureau war Steuerinspektor Gritz mit einer mühsamen Arbeit beschäftigt, die ihm das neue Häuserverzeichnis der Stadt Lienz gebracht hatte. Es galt die alte Liste mit dem neuen Verzeichnis zu vergleichen und etwaige Differenzen festzustellen. Unwillkürlich griff die »Steuerschraube« den Schwiegervater in spe zuerst heraus und prüfte die Angaben bezüglich der Hausklassensteuer dahin, ob Zoderer etwa einige steuerpflichtige Wohnräume mehr angemeldet habe. Dies ist nicht der Fall, die Angabe im neuen Verzeichnis deckt sich genau mit der alten Anmeldung. Ebenso war es bei Piffrader, dessen langes Register Gritz aus persönlichem Interesse an zweiter Stelle nach Zoderer durchnahm. Dann begann die Arbeit schablonenhaft langweilig durch viele Stunden hindurch, bis der gefürchtete Steuerinspektor auf eine Differenz stieß.
Endlich eine Gelegenheit zum »Einhängen«, wenn auch nicht von besonderer Bedeutung. Ein Hausbesitzer Gargitter, dessen Anwesen als Ausläufer des Städtchens gegen Norden steht, hat eine Kammer mehr im neuen Häuserverzeichnis angemeldet.
Das weckte das dienstliche Interesse des Beamten und alsbald schrieb Gritz an einem Aktenstück, das eine Erhöhung der Hausklassensteuer für jenen Gargitter bezweckte.
Inmitten dieser Arbeit fiel es dem Beamten aber bei, daß die Amtspflicht weitere Recherchen erfordere in der Richtung, wie lange eine Reparatur oder Veränderung bei jenem Hause nicht vorgenommen wurde.
Um das Verfahren abzukürzen, begab sich Gritz persönlich zum Bürgermeister, dem nichts Gutes schwante, als der Inspektor das neue Häuserverzeichnis aus der Tasche des Rockes zog.
Auf die Frage, ob der Herr Inspektor eine Differenz herausgestochert habe, gab Gritz Antwort:
»Gottlob ja! Einen Fall haben wir glücklich eruiert und diesen will ich gleich zur Erledigung bringen. Was sonst noch drinnen steckt, hoffe ich in thunlichster Bälde herauszubekommen. Also ein Hausbesitzer Namens Gargitter hat eine Kammer mehr im Verzeichnis. Ich muß Sie dienstlich fragen, wie lange in jenem Hause eine Reparatur oder Veränderung nicht mehr vorgenommen worden ist!«
»Ja, du lieber Himmel! Auf dem Haus waren seither wohl an die sieben Vorbesitzer und machen hat keiner was lassen!«
»Ich muß die Zeitdauer eng begrenzt haben!«
»Ah, so wohl!« meinte der Bürgermeister und schlug in den gemeindlichen Akten dieses Betreffs nach, bis er nach geraumer Weile den Bescheid geben konnte, daß seit mehr als dreißig Jahren an dem Hause nichts geändert worden sei.
Gritz notierte sich diese Angabe, dankte und begab sich in seine Kanzlei zurück, wo er dem Manne die amtliche Rechnung machte, welche sich nach der höheren Hausklassensteuer und auf dreißig Jahre zurückgerechnet auf die stattliche Summe von zweihundert Gulden belief.
»Eine teuere Kammer!« murmelte Gritz, und fertigte den Akt, welcher alsdann in den Einlauf des Bezirkshauptmannes kam.
In Forst- und Steuerangelegenheiten ist nun wohl jeder Vorstand einer politischen Verwaltungsbehörde ausschließlich auf seine fachmännischen Beiräte angewiesen, deren Elaborate nicht geändert werden können. Verantwortlich jedoch ist für den Inhalt eines jeden Aktenstückes, gleichviel ob der Amtschef eine Ahnung von komplizierten Steuerangelegenheiten oder forsttechnischen Dingen hat oder nicht, immer der unterfertigende Bezirkshauptmann.
Egon speciell hatte keinen blassen Dunst von Hausklassensteuern und war gezwungen, sich völlig auf den übrigens nach der amtlichen Konduite seit Jahren bestens bewährten Steuerinspektor zu stützen. Heißt es doch in der Konduite ausdrücklich, daß Gritz ein gewissenhafter, tüchtiger Steuertechniker sei, welchem ob der erzielten Erfolge bereits von der Oberbehörde die Anerkennung ausgesprochen worden sei.
Das muß Egon genügen, und so setzte er denn unter dieses strohtrockene, langweilige Aktenstück seine Unterschrift, und am nächsten Tage lief es aus.
Gritz wußte, daß jener Gargitter alsbald rekurrieren werde; doch daß der aufgeschreckte, mit der riesigen Strafsumme »beglückte« Mann noch in derselben Stunde, da er die Unheilsbotschaft empfangen, in der Kanzlei erschien, außer sich vor Entsetzen, das überraschte den Inspektor doch einigermaßen, und Gritz meinte daher: »Na, Ihnen pressiert es aber nicht schlecht!«
»Herr Inspektor! Wenn Sie so gach über Nacht zweihundert Gulden für nix und wieder nix zahlen müßten und haben selles viele Geld nicht, da macheten Sie wohl auch einen Kopf, oder verliereten ihn wie ich!«
»Glaub' es gerne! Aber zu machen ischt da gar nichts! Sie haben so angemeldet, dreißig Jahre ischt nichts geändert worden, also zahlt der Besitzer auf diese Zeit nach, macht bei Ihnen genau zweihundert Gulden!«
»Um Gottes willen, Herr Inspektor! Haben S' decht ein Einsehen! Ich bin ja noch keine sechs Jahrl auf dem Anwesen!«
»Das ischt dem Amt gleich, wir müssen uns an den gegenwärtigen Besitzer halten, weil wir die Vorgänger nicht fassen können.«
»Heiliger Gott! Die Straf' bringt mich ins Elend! Haben S' die Gnad' und ein Einsehen! Ich hab' im ganzen Vermögen keine zweihundert Gulden! Wie soll ich da zahlen?«
Gritz zuckte die Achseln; an Lamentationen ist er in seinem Beruf längst gewöhnt, es jammert jeder, dem die Steuerpflicht hinaufgesetzt wird.
»Herr Inspektor, bitt' schön, schauen S' Ihnen die Kammer an, das Fenster hat gar kein Glas, ischt mit Papier verpickt! Nicht einmal ein Viech kann wohnen drin!«
»Sie haben aber die Kammer neu angemeldet!«
»Jawohl! Wissen S', zu jenen, die's Pulver erfunden haben, gehör' ich nit! Ich hab's ja gar nit verstanden, was der Bürgermeister wollen hat. Gleich nur hab' ich angegeben, so viel Zimmer, die Kuchl und aftn (hernach) halt auch die Kammer, da drinnen wohnt aber niemand. Ich hab' gleich nur den Werkzeug drinnen liegen. Jessas, Maria und Joseph! So bin ich meiner Lebtag noch nit erschrocken! Haben S' die Gnad' und nehmen S' die Straf' wieder z'rück!«
»Das kann ich nicht! Aber ich will mich persönlich überzeugen!«
»Könnten S' nit einen Sachverständigen mitnehmen?«
»Sie, ich will Ihnen etwas sagen! Sachverständig bin ich selber und brauche keinen Maurermeister dazu, um herauszufinden, ob ein Raum steuerpflichtig ischt oder nicht, verstanden! Das einzige, was ich in der Sache thun kann, ischt, daß ich selber nachschauen komme. So und jetzt drücken Sie die Thür schön langsam von außen zu.«
Jammernd ging der Mann.
Gritz hielt seine Zusage und inspizierte das Anwesen am Nachmittag. Der heulende Besitzer wies dem Beamten jene Kammer, welche allerdings statt eines Glasfensters nur eine Papierverklebung hatte, doch befand sich in dieser Kammer ein Schrank.
»Aufmachen!« befahl Gritz.
»Unser Knecht hat da drinnen sein Gewand, Herr Inspektor!«
»So! Das genügt. Setzen Sie Glas ins Fenster und der Raum ischt bewohnbar, also steuerpflichtig. Wo ein Kleiderschrank steht, kann auch ein Bett untergebracht werden. Gesetzlich ischt die höhere Steuer und die Nachzahlung vollauf begründet, es bleibt bei dem, was im Akt steht, der Rekurs ist abgewiesen.«
Ohne weiter auf die Verzweiflungsausbrüche zu achten, verließ Gritz das Anwesen.
Keine zwei Tage darauf wollte die »Steuerschraube« eine Kosestunde bei Hedwig genießen, da fand Gritz einen Empfang, der ihn aus allen Himmeln riß, und zwar von Zoderer, der wie ein Rohrspatz schimpfte über Blutsaugerei und Heldenthaten eines geldgierigen Menschenverderbers.
Gritz traute seinen Ohren nicht und rief: »Wen meinen Sie denn?«
Wütend schrie der Bäckermeister: »Ihnen mein' ich, Sie jammervoller Steuermensch und Leutruinierer. Sie sind wohl völlig übergeschnappt? Diktiert der Unglücksmensch dem Gargitter, meinem Schwager, eine Straf' von zweihundert Gulden! Mein Schwager ischt hundsmäßig ruiniert durch Ihnen, Sie Streber! Mit uns zwei ischt es aus! Heiraten können S' meinetwegen 'm Statthalter seine Tochter, wenn er eine hat, Sie Steuerschrauber, aber meine Tochter kriegen Sie in dem Leben nicht! So, und jetzt schauen S', wo der Zimmermann das Loch offen lassen hat und schlüpfen S' durch!«
»Herr Zoderer, Sie vergessen sich!«
»Wenn ich eins vergessen hab', so ischt es das: ein Vampir sind Sie, der den Bürgern das Blut aussaugt, ein Streber sind Sie, ein gewissenloser Mensch! Sie treiben bloß aus dem Grund die Steuern hinauf, daß Sie gelobt und ehnder befördert werden. Ihnen kennt man jetzt ganz genau! Aber warten Sie nur, der Piffrader wird Ihnen im Landtag schon ein Lichtl aufstecken! Vor ganz Tirol sollen S' gebrandmarkt werden als Streber und Blutsauger!«
»Jetzt wird es mir zu dumm! Sie werden sich wegen Berufsbeleidigung zu verantworten haben!«
»Nur zu, ich nehm' kein Wort zurück!«
»Es wird auch der Bezirkshauptmann Klage stellen, denn er hat das Aktenstück unterschrieben, er allein ischt verantwortlich!«
»So, der Graf hat's nötig! Ein feiner Herr, der die armen Leut' und Bürger ins Elend bringt. Ich hab' mir's gleich gedenkt, daß ein Graf kein Segen ischt! Soll mich nur belangen, dem sing' ich wie Ihnen ein Lied und die Ohren werden Enk klingen, aber nicht schön! Aus ischt's und gar ischt's! Pack' Dich durch, Blutsauger!«
»Unverschämter Loabltoag!«
»Außi jetzt oder ich mach' Ihnen mit'm Brotschießer Füß'! Und die paar Ringerl, die Ihnen die Hedwig g'schenkt hat, können S' behalten, auf daß Sie was zum Versetzen haben, Sie Hungerleider und Leutverderber!«
Im Zorn ließ sich nun auch Gritz verleiten, grob zu werden und nachdem er dem Bäcker einige für den Strafrichter reife Liebenswürdigkeiten an den Kopf geworfen, trollte der Steuergewaltige von dannen, wütend über sich selbst. Wer hätte auch ahnen können, daß der Gargitter ein Schwager seines zukünftigen, nun verflossenen Schwiegervaters ist! Wenn sich Gritz nun selber ohrfeigt, der dumme Vorfall kann dadurch nicht geändert werden. Aber zahlen muß der Mann, jetzt erst recht, und bei Gericht wird geklagt, der Bäcker muß ins Loch, gehörig.
Einige Stunden später war die Hitze verflogen und Gritz zur Erkenntnis gekommen, daß mit einer gerichtlichen Klage nicht viel erreicht werden kann, denn es fehlen die Zeugen und dann ist ja er selber auch beleidigend grob geworden.
In der ersten Wut hatte Zoderer die Geschichte siedheiß seiner Tochter erzählt, wobei er grimmig über den verantwortlichen Bezirkshauptmann loszog, welcher der eigentlich schuldige Teil sei. »Kannst Dich bei dem Grafen bedanken, der hat Dir die Suppen eingebrockt!«
Das hören und zu Ida laufen, war bei der nun rabiaten Hedwig das Werk weniger Minuten.
Die arme, ahnungslose Ida bekam Vorwürfe zu hören, an deren Möglichkeit das Mädel niemals gedacht hatte; Hedwig schilderte den Hauptmann als Ausbund aller Niedertracht, machte ihn und damit auch Ida verantwortlich für die Vernichtung ihres Lebensglückes, und schwur Rache. »Dein Techtelmechtel mit dem sauberen, falschen Grafen schrei' ich aus, ganz Lienz soll es erfahren, daß Du die heimliche Geliebte des Grafen bischt! Ich werd' Euch die Mucken austreiben! Mit Schimpf und Schand muß der Graf fort, und ich werd' schon sorgen, daß Dich kein Mensch mehr anschaut, Du falsches Frauenzimmer, Du!«
Ida glaubte, die Freundin sei irrsinnig geworden und suchte sie zu beruhigen. Doch Hedwig wurde ob des sanften Zuredens nur aufgeregter, schrie und tobte und lief schließlich davon. Daß sie die Freundin verloren, konnte Ida erraten; was aber hat Egon mit der unglückseligen Steuerangelegenheit zu schaffen? O, wenn man nur mit dem Grafen reden könnte!