Leonid Andrejew
Das rote Lachen
Leonid Andrejew

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreizehntes Fragment

... Ueberall Metzeleien, sinnlose, blutige Metzeleien. Der geringste Anlaß ruft die wildesten Szenen hervor; Messer, Steine, Knüttel kommen in Tätigkeit, und man weiß nicht mehr, wen man töten soll – das rote Blut will heraus aus den Adern, und es fließt so leicht und so reichlich ...

Es waren ihrer sechs Mann, lauter Bauern, und sie wurden von drei Soldaten mit geladenen Gewehren transportiert. In ihrer originellen, primitiven, an die Wilden erinnernden Tracht, mit ihren absonderlichen, gleichsam aus Ton geformten und an Stelle der Haare mit filziger Wolle beklebten Gesichtern glichen sie hier in den Straßen der reichen Stadt, unter der Eskorte wohlgedrillter Soldaten ganz den Sklaven des Altertums. Man führte sie in den Krieg, und den Bajonetten gehorchend, schritten sie dahin, ebenso unschuldig und stumpfsinnig wie die Ochsen, die man zur Schlachtbank führt. Voran ging ein junger Bursche, hoch aufgeschossen, bartlos, mit einem langen Gänsehals, auf dem unbeweglich ein winzig kleiner Kopf saß. Er neigte sich ganz vor, wie eine lange Rute, und schaute so durchdringend vor sich hin auf den Boden, als wenn sein Blick ins Innerste des Erdschoßes eindringen wollte. Als letzter folgte ein untersetzter, bärtiger, schon bejahrter Bauer; er hatte nicht die Absicht, sich zu widersetzen, in seinen Augen las man auch nicht die Spur eines solchen Gedankens; aber die Erde schien sich förmlich an seinen Beinen festzusaugen und sie nicht loslassen zu wollen, und er schritt mit zurückgeneigtem Körper vorwärts, wie wenn er gegen einen heftigen Wind ankämpfte. Bei jedem Schritt versetzte der Soldat ihm einen Kolbenstoß, und während das eine Bein krampfhaft zappelnd, wie im Gelenk gelockert, weiterschwankte, haftete das andere fest am Boden, als wenn es eingerammt wäre. Die Soldaten schauten mürrisch und verärgert drein, man sah es ihnen an, daß sie schon lange so marschiert waren. Man merkte ihre Gleichgültigkeit und Ermüdung an der Art, wie sie ihre Gewehre trugen, wie sie unmilitärisch, die Zehen auf Bauernart nach innen gekehrt, neben den Reservisten hergingen. Der eigensinnige, zögernde, stumme Widerspruch der Bauern schien ihr wohlgedrilltes Denken außer Fassung gebracht zu haben, daß sie nicht mehr wußten, weshalb und wohin sie marschierten.

»Wohin führt ihr sie denn?« fragte ich im Vorübergehen einen der Soldaten. Er zuckte zusammen und sah mich an, und in seinem jäh aufblitzenden Auge spürte ich gleichsam die bohrende Spitze eines Bajonetts – so deutlich, als ob er es mir schon in die Brust gestoßen hätte.

»Scher' dich fort!« rief er. »Scher' dich fort, sonst soll dich ...«

Der bärtige alte Reservist benutzte den Augenblick und rannte davon – in flinkem, kurzem Trab lief er nach dem eisernen Gitterzaun der Promenade zu und hockte dort nieder, als wollte er sich verstecken. Kein Tier hätte sich so töricht, so unverständig benommen. Der Soldat geriet in Wut. Ich sah, wie er zornig auf den Ausreißer zutrat, wie er sich über ihn beugte, das Gewehr in den linken Arm nahm und mit der Rechten gegen etwas Weiches, Flaches klatschte. Einmal, und noch einmal. Die Leute liefen zusammen – man hörte Geschrei, Gelächter ...


 << zurück weiter >>