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Leonid Andrejews »rotes Lachen« ist bald ein wilder, jäher Schrei, ein geller, nervenerschütternder Schrei aus dem Dunklen – ein Schrei des Wahnsinns und des Entsetzens – und bald eine Vision, ein blutrünstiges Gespenst, das durch die Welt schleicht. Der Ton wird als Bild gesehen und das Bild als Ton gehört. Was uns der russische Novellist von dem »Helden seiner Dichtung«, von dem »roten Lachen« sagt, das gilt auch von seinem Werk, gilt von seiner ästhetischen Auffassung und künstlerischen Behandlung. Sein Werk ist einmal Dichtung, Bild und sinnliche Anschauung – und einmal Rede, Anklage, Tendenz und Agitation, Prophetenpoesie. Auch Leonid Andrejew lockt es nicht mehr, eine Begebenheit zu erzählen oder einen Charakter, eine menschliche Persönlichkeit darzustellen, sondern ein Gefühl, ein rein seelischer Vorgang, etwas, was noch nicht Individuum und weit mehr als bloß Individuum ist, wurde auch bei ihm, wie so vielfach in der jungen Kunst, zum eigentlichen Helden. Als auch einer, der von Edgar Allan Poe herkommt, schildert Leonid Andrejew Wahnsinnszustände, mit der suggestiven Kraft, die erst die Kunst des letzten Jahrhunderts dafür gefunden hat. Bei Andrejew verknüpft sich die Kunst der Darstellung pathologischer Zustände mit der alten russischen Anklageliteratur. Das Gespenst des »roten Lachens« ist das Gespenst des Krieges. Andrejew, der Freund Gorkis, erhebt mit diesem Buche einen flammenden Protest gegen die Menschenschlächterei in der Mandschurei; in ergreifenden und erschütternden Worten und Bildern bringt er die Abscheu der russischen Bildung, die allgemeine Ergrimmung über diesen Krieg zum Abdruck, der zum erstenmal die ganz neue Erscheinung von einer großen Wahnsinnsepidemie gezeitigt hat, die unter den Kämpfenden ausbricht. In düsteren Visionen schildert der Dichter, wie in diesen vierzehntägigen Schlachten zuletzt jeder und jeglicher von Wahnsinn ergriffen wird und dieser Wahnsinn immer mehr und mehr ansteckt, um sich greift und auch die erfaßt, die ruhig daheim blieben, aber ihre Väter, Brüder und Freunde so gräßlich entstellt heimkehren sehen. Mehr noch als der Suttnersche Roman »Die Waffen nieder« erfüllt diese Vision rein dichterisch-suggestiv mit Abscheu und Entsetzen vor jedem Krieg und jeder Kriegslust.
(Julius Hart.)
Ein Krieg – und besonders ein so furchtbarer, wie der russisch-japanische – kann in der Literatur der kriegführenden Völker natürlich nicht ohne Nachhall bleiben. Die Art und Weise, wie sich die Ereignisse in der Literatur spiegeln, ist höchst bezeichnend für die Augenblicksstimmung sowohl wie für den Volkscharakter überhaupt. Die Stimmung, die gegenwärtig die russische Gesellschaft beherrscht, ist von dem jungen Schriftsteller Leonid Andrejew mit großer Kraft zum Ausdruck gebracht worden. »Das rote Lachen« Andrejews hat demgemäß für den zukünftigen Historiker, welcher einmal über das gegenwärtige Chaos schreiben wird, bedeutenden Wert; aber auch der Politiker unserer Tage muß mit diesem Werke bekannt sein, will er richtig die Lage beurteilen können.
»Das rote Lachen« ist in Form von losen Tagebuchblättern abgefaßt. Der erste Teil umfaßt die Tagebuchblätter eines Artillerie-Offiziers. Von einer Fabel kann eigentlich nicht die Rede sein. Der Offizier nimmt teil an verschiedenen Kämpfen, verliert beide Füße und kommt wahnsinnig zu seiner Familie zurück. Den zweiten Teil bilden Tagebuch-Fragmente seines Bruders. Dieser Bruder ist nicht in den Krieg gezogen, aber er hat ein reges Interesse für alles, was dort im fernen Osten vorgeht, er kennt eine Menge Leute, die aus dem Kriege zurückkehren, und alles, was er erfährt und sieht, bringt ihn gleichfalls zum Wahnsinn. Dasselbe »rote Lachen«, das Lachen des Blutes, welches der Offizier zuerst auf den Feldern der Mandschurei gesehen, verfolgt nun seinen Bruder in der Stadt. Wie eine Pest ist das rote Lachen aus dem Orient nach Europa gekommen, der Wahnsinn wird epidemisch. In der Stadt tönen Flintenschüsse, in der Stadt selbst fließt Blut. Immer mehr Blut, immer mehr, bis schließlich alles damit getränkt ist. Das »rote Lachen« triumphiert, der blutige Wahnsinn beherrscht alles.
Andrejew hat zu Papier gebracht, was hier alle fühlen; er hat es meisterhaft verstanden, das grausige Entsetzen zum Ausdruck zu bringen, das selbst der härteste Mensch hier teilt. Und schließlich prophezeit er, was kommen müsse: der Wahnsinn wird sich verbreiten, das Blut wird nicht nur im Orient lachen, sondern auch hier. Schon ist Blut geflossen, im Jänner, schon laufen von überall Nachrichten über Bluttaten ein. Es wird aber noch ärger werden. Die Erde ist wahnsinnig geworden, die Sonne ist blutrot, und überall wird man morden und morden. »Das rote Lachen« hat tiefen Eindruck auf das russische Publikum gemacht. Alle Welt liest das Buch, alle Zeitungen besprechen es und widmen ihm längere Artikel. Mir scheint aber, daß die politische Bedeutung des Buches noch nicht genügend gewürdigt worden ist. Wenn ein Volk weiß, wofür es kämpft, wenn der Krieg ein wirklich volkstümlicher ist, dürfte wohl kaum eine solche Schrift wie dieses »rote Lachen« Erfolg haben. Der Verfasser nennt die Japaner überhaupt gar nicht, ihm kommt gar nicht der Gedanke, nach Grund und Ursache des Krieges, nach dem zu erreichenden Zweck zu fragen. Der Krieg ist ihm soviel wie eine Epidemie, ein Erdbeben, etwas Sinnloses, ein elementares Unglück, unausweichlich und entsetzlich. Wie Andrejew, so fühlen (ich sage absichtlich nicht denken, sondern fühlen) sehr, sehr viele.
Leonid Andrejew, der Freund Gorkis, ist in Deutschland schon bekannt als Gesellschaftskritiker, der, wie alle russischen Schriftsteller, die geistige Vorkämpfer der Revolution sind, den Schäden des russischen sozialen Lebens zu Leibe geht. Zugleich aber ist er ein eigenartiger Dichter von starker Phantasie, von symbolischer Gestaltungskraft, der zuweilen an den Amerikaner Edgar Allan Poe erinnert. In seinem neuen Buche »Das rote Lachen« treten alle diese Züge Andrejews mit klarer Schärfe zu einem festen Umriß seines Wesens hervor, typisch zugleich für die ganze kritische, revolutionäre, in ihrem Ringen und Streiten leidenschaftliche, ja exaltierte Richtung der modernen russischen Literatur, die an Dostojewski anknüpft. Das »rote Lachen« ist eine tief symbolische Dichtung über den Krieg in der Mandschurei, mit der Andrejew für den Völkerfrieden plaidiert; das tut in seiner Weise auch Tolstoi, das hat auch schon Bertha von Suttner mit ihrem Buche »Die Waffen nieder« getan, das wohl in der Komposition mehr durchgearbeitet und umfangreicher, aber längst nicht so wirksam ist als des Russen fragmentarische Schrift. Gewiß liegt das mit an der Gegenwartsbedeutung des »roten Lachens«, das wie ein Schrei unmittelbaren Seelenschmerzes herausgellt aus den Schrecken des Krieges, aber seine volle Stärke, seine Nachhaltigkeit gewinnt der tief erschütternde, krasse Eindruck von Andrejews Buch doch erst durch dessen dichterische Werte. Bei ihm zersplittert sich nicht die Wirkung im Romankapitel und allerlei Einzelheiten; er redet nicht viel, er bildet, er häuft nicht, er faßt zusammen; so hebt sich aus seiner Dichtung, in deren Gang die Phantasie große Visionen von der Art der Kaulbachschen Hunnenschlacht und der unübersehbaren Reihen nackter Leichen aus Stucks Krieg einfügt, dem Leser als furchtbar erhabenes Symbol der grinsende Wahnsinn mit dem blutigen Lachen, viel schauerlicher, viel abschreckender als alle die sentimental erzählten kleinen Einzelschicksale bei der Suttner. Eine gewisse Monotonie in der Form erhöht noch das Grauen, das Fragmentarische von Tagebuchnotizen, das oft nur Andeutende den Eindruck der Unmittelbarkeit. Eine wirksamere Dichtung gegen den Krieg als das »rote Lachen« Andrejews gibt es kaum. Wer mit der Tendenz des Buches nicht einverstanden ist, der muß doch die Kunst des Dichters bewundern, die so ganz abweicht vom Herkömmlichen und packt durch ihre Stimmungskraft, die anschauliche Lebendigkeit ihrer großzügigen impressionistischen Bilder, die alle das Riesengespenst des Wahnsinns blutig beschattet. Das »rote Lachen« ist ein Buch, das viele seiner Aktualität wegen interessieren wird, das gewiß aber auch manchen fesselt durch seine dichterischen Qualitäten, denen die gute Uebersetzung von August Scholz durchaus gerecht wird.
Das Buch muß in Rußland auf alle diejenigen, die Angehörige, Freunde oder Bekannte im Kriege haben, mit furchtbarer, niederschmetternder oder aufreizender Kraft wirken. Die Schrecken des Krieges und seine Wirkungen auf die Psyche werden mit den grausamsten und loderndsten Farben geschildert. Selbst das Auge des Unbeteiligten schließt sich vor Entsetzen, seine Kehle schnürt sich zusammen, wenn er diese Fragmente liest. Der Wahnsinn, mit dem der Krieg allmählich seine Streiter schlägt, der Wahnsinn, der bis nach Rußland übergreift und das Volk würgt, wächst in dieser Dichtung immer gespenstischer und gräßlicher empor, bis das »rote Lachen« so gellend aufschwillt, daß man nichts anderes mehr hört und flüchten möchte. In diesem Buch steckt eine unheimliche, schauerliche Kraft, die man dem weichen Andrejew, der sonst die feinsten und zartesten Seelenzustände schildert, nicht zugetraut hätte. Ein Zeichen dafür, daß der wahnsinnige, ohne Not heraufbeschworene Krieg, der rauchende Ströme von unschuldigem Blut erfordert, selbst friedliche und träumerische Charaktere zu wildesten Anklägern aufpeitscht.
Als Psycholog reiht sich Andrejew mit seinem neuesten Erzeugnis würdig Dostojewski an. Und der Mann, der solches geschrieben hat, einer der wenigen bedeutenden Schüler Friedrich Nietzsches, ist in Moskau eingekerkert worden. Die »antimilitärische Tendenz«, die die Gewalthaber in dieser Skizzenreihe gewiß vor allem erblickten, hat möglicherweise das Schicksal des Dichters bestimmt. Aber wozu nach Ursachen und Beweggründen suchen? In Rußland gehen jetzt alte Formen zugrunde, Formen, an die sich die Menschen gewöhnt haben; und diese sind verwirrt, sie können's nicht überwinden. Ein schwerlastender Nebel lagert sich auf sie. Sie wissen nicht, was sie tun. Das rote Lachen! ...
»Das rote Lachen,« dieses erschütternde Buch Leonid Andrejews, von August Scholz meisterlich ins Deutsche übertragen ... protestiert wuchtiger denn irgend eine Lehrschrift gegen die Greuel des Krieges. »Das rote Lachen« ist der Wahnsinn, der die von Blut überschwemmte Welt erfaßt, der Wahnsinn, der aus guten und gebildeten Menschen Mörder und Räuber macht.
Leonid Andrejew hat den Massenwahnsinn, der ein Heer, ein Land, die ganze Menschheit vielleicht umfängt, zum Gegenstand seiner neuen Arbeit gewählt. Aus diesen Aufzeichnungen, die in abgerissenen Skizzen ein nervenerschütterndes Gemälde aus der Kriegszeit geben, erhebt sich etwas Furchtbares, das uns mit verzerrten Zügen angrinst: die Erkenntnis von der entsetzlichen Wirkung, die die äußeren Ereignisse, die infernalische Hitze, der unablässige Regen usw. auf Geist und Körper ausüben, vor allem aber das Bewußtsein, daß die Schrecknisse des Krieges eigentlich Begleiterscheinungen einer abgestorbenen oder absterbenden Kultur sind.
In Andrejews fragmentarischen Bildern erreichen die grauenhaften Folgeerscheinungen des gegenwärtig tobenden russisch-japanischen Krieges jenen Höhepunkt, in welchem der große spanische Meister Francisco Goya vor Jahren die Tragödie seines Volkes im Kampfe gegen Napoleon darstellte. Im »roten Lachen« langte Andrejew auf den Grund des menschlichen Schmerzes, und so schuf er in seinem russischen »Debacle« eine wahrhaft empfundene Dichtung des Mißgeschicks.
Andrejews »Rotes Lachen« ist ein mutiger Protest gegen die Greuel des Krieges und ein beredtes Zeugnis für das Volksempfinden, das ihn verurteilt.
Das Buch ist ein unerhört wuchtiges Pamphlet gegen den Wahnwitz des Völkermordes.