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Paul war ein freundlicher, geweckter Junge, den jedermann sehr gern hatte. Stets war er verträglich und gefällig mit seinen Schulkameraden, und zuvorkommend und höflich zu seinen Lehrern. Leider aber hatte er bei seinen guten Eigenschaften Fehler, die seine Eltern mit banger Sorge um seine Zukunft erfüllten. Oft hatte der Vater seinen Leichtsinn und seinen großen Hang zur Verschwendung strenge gerügt, allein bis jetzt waren alle Ermahnungen und Strafen erfolglos geblieben. Stets vergaß er über sein Vergnügen seine nächsten Pflichten, und das Taschengeld, das er bekam, um sich Schulbücher und Federn dafür zu kaufen, gab er für Näschereien und allerlei unnütze Sachen aus. Natürlich wurde der Vater dann sehr böse, wenn Paul um Geld für Schulsachen bat. Obwohl er sehr betrübt war, wenn er seinen Eltern Kummer bereitet hatte, so verfiel er doch immer wieder in seine alten Fehler.
Eines Tages kam der Vater sehr erregt von einem Geschäftsgang nach Hause und sagte ärgerlich zur Mutter: »Aus dem Jungen wird im Leben nichts, solch eine Unzuverlässigkeit ist mir wirklich noch nie vorgekommen. Weil heute nachmittag keiner von meinen jungen Leuten abkommen konnte, schickte ich ihn mit einem Briefe zur Post. Ich schärfte ihm noch ein, daß die Besorgung sehr eilig sei und er sich unterwegs ja nicht aufhalten dürfe. Wohl eine Stunde später treffe ich den Schlingel mit mehreren Knaben vor einer Tierbude. Auf meine Frage, ob er den Brief auch richtig besorgt habe, holte er ihn sehr erschrocken aus der Tasche. In seinem bodenlosen Leichtsinn hatte er überhaupt nicht wieder an meinen Auftrag gedacht. Das ist doch wirklich zu arg und zu toll!«
»Er ist jung und wird gewiß noch zur Einsicht kommen,« wandte dir Mutter begütigend ein.
»Mit zwölf Jahren ist er alt genug, um gewissenhaft solche kleine Besorgungen auszuführen. Wie soll es später werden, wenn größere Anforderungen an ihn herantreten?«
»Ja, es ist leider wahr,« seufzte die Mutter, »allen seinen Handlungen liegt ein großer Leichtsinn zugrunde. Gestern hatte er wieder sein letztes Taschengeld für allerlei Unsinn ausgegeben, und heute früh fehlte es ihm zu den nötigsten Schulbedürfnissen.«
»Daraus sieht man wieder, daß der Junge nie weiter denkt. Ich fürchte sehr, er wird seinen Leichtsinn dereinst noch schwer büßen müssen.«
Da trat Paul mit einem sehr kläglichen Gesicht ein, denn er wußte, daß er jetzt seine wohlverdiente Schelte bekommen würde. Wie gewöhnlich zeigte er sich sehr reuevoll und gelobte Besserung. Aber auch diesmal hatte er schon nach wenigen Stunden sowohl sein Versprechen wie auch den Kummer, den er wieder seinen Eltern bereitet, vergessen. Sehr vergnügt sah man ihn am Abend mit einer Anzahl Knaben umhertollen. Bei alledem aber liebte er seine Eltern zärtlich, und er hätte gern seine Fehler abgelegt, wenn es ihm nur nicht so schwer geworden wäre. Auch der Eltern ganzes Herz hing an dem einzigen Sohne, sie vergaben ihm immer wieder und freuten sich, wenn der braune Krauskopf so frisch und fröhlich angesprungen kam.
Als Paul eines Tages aus der Schule heimkehrte, fiel es ihm auf, daß er einen Bettler aus des Vaters Arbeitszimmer kommen sah. Er besann sich, diesem hier schon öfter begegnet zu sein. »Wie mag das wohl zugehen?« fragte er sich, »alle andern Bettler werden doch stets an der Tür abgefertigt, weshalb ist gerade diesem der Eintritt in des Vaters Zimmer gestattet?« Lange blickte er ihm höchst verwundert und neugierig nach. Dieser Vorfall interessierte ihn sehr, er hätte am liebsten den Vater sogleich darnach gefragt, allein er wußte, daß er ihn jetzt nicht stören durfte.
»Lieber Vater,« rief er ihm schon entgegen, als dieser um die Mittagszeit im Wohnzimmer erschien, »ich sah schon öfter einen Bettler aus deinem Arbeitszimmer kommen; weshalb darf der zu dir hineinkommen, und es wird ihm nicht, wie allen andern Bettlern, draußen von den jungen Leuten eine Gabe gereicht?«
»Einfach darum, weil dieser arme Mann mein Jugendfreund war,« erwiderte der Vater, indem er sich mit ernster Miene an den Tisch setzte.
»Aber wie ist denn das nur möglich?« fragte Paul sehr erstaunt.
»Der heruntergekommene, unglückliche Mensch war nicht immer ein Bettler, sondern einst der Sohn reicher Eltern und ein gar verwöhnter Junge. Durch eigene Schuld ist er das geworden, was er heute ist.«
»Ach, bitte, lieber Papa, erzähle mir mehr von ihm,« bat Paul, als der Vater schwieg.
»Jetzt nicht, erinnere mich später bei unserem Spaziergange daran.«
Obwohl Paul sehr neugierig war, so wurde ihm doch auf seine weiteren Fragen jede Auskunft verweigert, und er mußte sich schon bis zum Abend gedulden. Zu seiner Freude rief ihn der Vater heute eine halbe Stunde früher als sonst zum gemeinsamen Spaziergang. Sobald sie die Häuser der Stadt hinter sich hatten, erinnerte sich der Vater auch sogleich von selbst an sein Versprechen.
»Da du dich so lebhaft für meinen Freund Otto Walburg interessierst, so will ich mit meiner Erzählung bei unserer Kindheit anfangen,« begann er. »Möge dir sein trauriges Beispiel zur Warnung dienen! Wie ich dir schon erklärte, waren Walburgs Eltern sehr reich, sie bewohnten die ganze Etage eines stattlichen Hauses in einer der feinsten Gegenden Berlins. Die schwachen Eltern erfüllten ihrem einzigen Sohne jeden Wunsch, mochte er auch noch so töricht sein. Er bekam ein großes Taschengeld, das er ganz zu seinem Vergnügen ausgeben durfte. Von Jugend auf war er verschwenderisch und leichtsinnig und hatte zu keiner Arbeit Lust und Ausdauer. Wenn ihn die Lehrer wegen seiner Trägheit und Unaufmerksamkeit während der Unterrichtsstunden tadelten, so lachte er nachher darüber und sagte hochmütig: ›Weshalb sollte ich mich wohl anstrengen, mein Vater ist reich, und ich werde nie nötig haben, für Geld zu arbeiten.‹ Wie oft verhöhnte er mich, wenn ich, wie das in beschränkten Verhältnissen zugeht, von meiner Mutter mit einem Korbe zum Einkaufen geschickt wurde.
›Willst du Koch oder Laufbursche werden?‹ rief er mir denn lachend nach. Obwohl ich mich stets tapfer gegen seine Spottreden wehrte und mir nicht, wie mancher andere, etwas von ihm gefallen ließ, so hatte er dennoch eine aufrichtige Zuneigung und großes Vertrauen zu mir gefaßt. Viele Freunde hatte er gerade nicht, weil er gern hochmütig auf andere herabsah. Meine Eltern hatten in demselben Hause eine kleine Dachwohnung inne, und daher kam es auch, daß wir viel beisammen waren. Dadurch hatte ich Gelegenheit, auch seine guten Seiten kennen zu lernen. Als meine Mutter einst wochenlang so krank war, daß sie unsern Hausstand nicht besorgen konnte, wäre es uns traurig ergangen, wenn sich nicht Frau Walburg unser angenommen hätte. Die gute Frau ließ für uns alle mitkochen und sorgte auch für die Pflege der Kranken. Das verdankten wir Ottos Fürbitte, der durch mich von unsrer Verlegenheit gehört hatte. Dafür war ich ihm natürlich sehr dankbar und vergalt ihm seine Güte durch aufrichtige Freundschaft. Ich half ihm auch bei seinen Aufgaben, und stand ihm, soviel ich konnte, in Schulangelegenheiten zur Seite. Obwohl ich über ein Jahr jünger bin, saßen wir doch nie in einer Klasse, denn ich war stets weiter als er. Mit Mühe und Not erreichte er endlich in seinem achtzehnten Jahre die Berechtigung, einjährig zu dienen. Er verließ nun die Schule und lernte Landwirtschaft. Von da an trennten sich unsere Lebenswege. Beim Abschiede erzählte er mir mit großer Wichtigkeit, daß ihm sein Vater nach beendeter Lehrzeit ein Gut kaufen werde. ›Ich sage dir, dann soll es aber großartig bei mir zugehen,‹ prahlte er schon damals. ›Ich gebe dann feine Diners und große Jagden, halte mir noble Equipagen, stolze Pferde und viele Diener.‹
Als ich dies meinem Vater mitteilte, schüttelte er bedenklich den Kopf und sagte: ›Ich fürchte, mit dem leichtsinnigen, hochmütigen Menschen nimmt es einmal kein gutes Ende.‹
›Er ist sehr reich und wird sich schon dereinst tüchtige Beamte halten,‹ erwiderte ich.
›Die können ihn auch nicht vor dem Untergang bewahren, wenn er sein Geld vergeudet und seine Pflichten vernachlässigt,‹ bemerkte mein praktischer Vater darauf sehr richtig.
Ich hatte mit Otto Walburg zugleich die Schule verlassen und war zu einem Kaufmann in Hamburg in die Lehre gekommen. Mein Freund Walburg ließ lange Zeit nichts von sich hören, erst nach Jahr und Tag traf ein Brief von ihm ein. Der Inhalt desselben befriedigte mich aber durchaus nicht, denn von seinen Beschäftigungen und von seinen Obliegenheiten schrieb er gar nichts. Er schilderte mir nur sein lustiges Leben, und sprach sich sehr erfreut darüber aus, daß ganz in der Nähe eine sehr nette Stadt sei, und somit für allerlei Abwechslung gesorgt wäre. Diese Mitteilungen, die mir nur zu deutlich bewiesen, wie wenig ernst er es mit seinem Berufe nahm, verstimmten mich und machten mich um seine Zukunft sehr besorgt. Für viele Jahre blieb dies nun auch die einzige Nachricht von ihm. Ich hatte bereits meine Lehrzeit beendet und war schon im Geschäfte meines Prinzipals als Kontorist angestellt, als eines Abends ein flotter, sehr fein gekleideter Herr in mein bescheidenes Zimmer trat.
Otto Walburg! rief ich überrascht und erfreut aus.
›Jawohl, ich bin es wirklich und leibhaftig!‹ lachte er über meine Verwunderung hell auf. ›Da ich hier in der Nähe zu tun hatte, muß ich doch sehen, wie es dir geht. Gedacht habe ich immer viel an dich, aber zum Schreiben war ich zu faul.‹
Als ich mich von meinem Erstaunen erholt hatte und wir uns gemütlich gegenüber saßen, sagte er, mitleidig die Einfachheit meines kleinen Stübchens musternd: ›Lieber Junge, dir scheint es noch immer sehr mäßig zu gehen, wenigstens dem Anscheine nach.‹
Darüber konnte ich ihn beruhigen, denn ich befand mich sehr wohl und war ganz zufrieden in meiner Stellung.
›Ich habe mein Ziel schon glücklich erreicht,‹ berichtete er auf meine Frage nach seinem Ergehen. ›Ich bin Besitzer eines großen schönen Gutes und habe alles, was mein Herz nur wünschen kann. Komm nur gleich auf ein paar Wochen mit und überzeuge dich selbst, wie angenehm es sich bei mir leben läßt.‹
Als ich diese Einladung nun mit dem Bemerken dankend ablehnte, daß ich meinen Beruf und somit Pflichten hätte und mir ein solches Vergnügen nicht gestatten könnte, rief er übermütig lachend: ›Na ja, das wußte ich schon vorher, ich kenne deine Einwendungen von früher noch, bei dir heißt es stets: Pflicht und Arbeit.‹
Da hast du recht, unterbrach ich ihn, ich habe außer meinem Beruf noch andere Pflichten zu erfüllen; vor einem Jahr ist mein guter Vater gestorben, und ich muß mit meinen Geschwistern für die Mutter sorgen und kann daher an keine Vergnügungsreise denken. Da Walburg einige Tage in Hamburg blieb, so gingen wir abends, wenn ich aus dem Geschäfte kam, zusammen aus. Dabei hatte ich Gelegenheit, mich zu überzeugen, daß er noch ganz ebenso leichtsinnig wie früher das Geld mit vollen Händen für sein Vergnügen ausgab. Auf meine Frage, ob er gute Vertretung in seiner großen Wirtschaft während seiner Abwesenheit habe, erwiderte er: ›Ich habe einen sehr zuverlässigen Oberinspektor, dem ich alles überlassen kann, so daß ich mich um nichts zu kümmern brauche.‹ Bei dieser Antwort fielen mir die Worte meines verstorbenen Vaters ein, und ich fürchtete, daß es auf diese Weise einmal mit ihm kein gutes Ende nehmen könnte. Als ich aber hierüber zu ihm etwas verlauten ließ, lachte er mich aus und sagte: ›Mach' dir nur um meine Zukunft keine Sorgen, alter Sohn, ich werde schon nie Not leiden.‹
Nach diesem Besuche hörte ich lange Jahre nichts wieder von ihm, trotzdem er fest versprochen hatte, mir ab und zu Nachricht über sein Ergehen geben zu wollen.
Im Laufe der Zeit war es mir geglückt, so viel zu ersparen, um mich selbständig machen zu können. Ich mußte sehr klein anfangen, aber Gottes Segen ruhte auf meiner Arbeit. Nach und nach konnte ich mein Geschäft vergrößern und befand mich bald in recht guten Verhältnissen. Oft dachte ich an den treulosen Freund und nahm mir auch vor, an ihn zu schreiben; aber ich führte diesen Vorsatz doch nie aus, weil ich meinte, daß es ohne Erfolg sein würde. Er war glücklich und hatte mich vergessen, wie das so der Welt Lauf ist. Da trat der so lange Verschollene nach Jahren, ebenso unerwartet wie das erstemal, eines Tages wieder in mein Kontor. Aber leider so verändert, daß ich ihn kaum wiedererkennen konnte. Aus dem übermütigen, kecken jungen Herrn war ein vor der Zeit gealterter Mann geworden. Sein Haar war ergraut, seine Gestalt verfallen und schwerer Gram lag auf dem bleichen Gesicht. Er sah wohl meine tiefe Ergriffenheit und sagte, nachdem mir uns stumm die Hand gereicht hatten: ›Du siehst einen Unglücklichen vor dir, der hilfesuchend seine letzte Zuflucht zu dir nimmt. Ich habe bis auf einen ganz kleinen Rest mein Hab und Gut verloren und wollte dich anflehen, mir ein kleines Kapital zur Uebernahme einer bescheidenen Pachtung vorzuschießen; ich werde jetzt sehr fleißig und sparsam sein, du sollst dein Geld gewiß nicht verlieren.‹
Obwohl ich diesen Versicherungen keinen Glauben schenkte, so vermochte ich ihm seine Bitte doch nicht abzuschlagen. Gewiß war ich keinen Augenblick im Zweifel darüber, daß er allein schuld an seinem Unglück sei, aber dennoch fühlte ich das größte Mitleid und Erbarmen mit ihm. Mit bewegten Dankesworten und dem abermaligen Versprechen baldiger Nachricht verließ er mich, um sogleich wegen einer ihm schon in Aussicht stehenden Pachtung abzuschließen. Wie bisher, wartete ich auch weiter vergebens auf ein Lebenszeichen von ihm. Aus sicherer Quelle vernahm ich nur die Bestätigung meiner traurigen Vermutungen, daß durchaus nicht Unglücksfälle, sondern seine unordentliche, verschwenderische Wirtschaft und sein Leichtsinn ihn zugrunde gerichtet hätten. Er hatte bis zuletzt in Saus und Braus gelebt und so sein Geld und Gut vergeudet. Stets hatte er Freunde mit seinem Eigentum schalten und walten lassen, wie sie Lust hatten; natürlich war er von allen Seiten bestohlen und betrogen worden, denn wo nicht des Herrn Auge wacht, da ist in den meisten Füllen der Ruin unausbleiblich.
Da ich wieder über ein Jahr nichts von dem Unglücklichen gehört hatte, nahm ich an, daß es ihm entweder wider Erwarten geglückt, oder daß er nicht mehr unter den Lebenden sei. – Leider sah ich ihn als ein Bild des Elends und der Verkommenheit wieder. – Es sind jetzt wohl zwei Monate her, daß ich ihn, vor Kälte erstarrt und mit Lumpen bekleidet, unter einem Torweg liegend fand. –
Nun kennst du die traurige Geschichte meines Jugendfreundes,« schloß der Vater; »jetzt wirst du dich nicht mehr wundern, ihn ab und zu bei mir zu sehen. Aus Verzweiflung hat er sich leider dem Trunk ergeben, und selbst die anständige Kleidung, die er von mir bekommen, verkauft, um sich Getränke für das Geld zu verschaffen. Ich mag noch immer die Hoffnung nicht aufgeben, ihn durch freundlichen Zuspruch zu bekehren und ihn dann in meinem Kontor anstellen zu können, deshalb lasse ich ihn auch öfter rufen.«
»Würde er denn diese Kontorarbeiten verstehen, lieber Vater?«
»Er schreibt eine schöne Handschrift und könnte ganz gut zu leichten Arbeiten verwandt werden.«
»Wo bekommt er denn aber Essen und Wohnung her?« fragte Paul dann mitleidig.
»Ich habe ihm ein kleines Zimmer gemietet und bezahle auch das Essen für ihn,« sagte der Vater.
Schweigsam und in trübem Nachdenken versunken legten nun beide das Ende ihres Weges zurück. Auf Paul hatte die traurige Erzählung des Vaters einen tiefen Eindruck gemacht. Wie gut hätte es der Bettler bis an sein Lebensende haben können, dachte er, wenn er nicht leichtsinnig und verschwenderisch gewesen wäre. Schwer fiel es ihm plötzlich aufs Gewissen, daß er dieselben Fehler hatte und wie oft ihn der Vater deshalb schon sehr gescholten und eindringlich ermahnt hatte. Tiefe Reue und Angst ergriff ihn. Das unglückliche Beispiel des Bettlers hatte ihn so gepackt, daß ihn das schreckliche Bild noch bis in die Träume verfolgte, als er endlich eingeschlafen war. Er träumte, er sei ein elender Bettler, seine Eltern seien tot, und er hörte die Stimme seines Vaters aus dem Grabe: »Warum hörtest du nicht auf meine vielen Ermahnungen, als es noch Zeit war? Jetzt ist es zu spät, jetzt mußt du für deine Fehler büßen!«
Laut jammernd fuhr er in die Höhe. O, wie dankte er dem lieben Gott, daß es nur ein böser Traum gewesen war. »Ich will mich bessern und meine Fehler ablegen!« rief er aus tiefster Seele. Obgleich es noch sehr früh war, hatte er doch keine Ruhe mehr im Bett. Schnell sprang er auf, kleidete sich an und eilte in das Arbeitszimmer des Vaters. Der fleißige Mann saß schon bei der Arbeit und war sehr erstaunt, seinen Sohn so früh eintreten zu sehen. Ehe er aber noch seine Verwunderung darüber aussprechen konnte, hing Paul an seinem Halse und rief schluchzend: »Vater, lieber, guter Vater! O, vergieb mir, daß ich dir so vielen Kummer gemacht habe. Ich will jetzt ganz gewiß anders werden! Ach, hilf mir, daß es mir später nicht so ergeht wie deinem Freunde!«
Gerührt und erfreut drückte der Vater den reuigen Sohn an sein Herz.
»Beruhige dich nur zuerst, mein Kind,« tröstete er ihn liebreich. »Wenn es dir heiliger Ernst ist, kannst du noch alles wieder gut machen, denn noch bist du jung, noch liegt das Leben vor dir. Strebe nur gewissenhaft und mit aller Kraft, dereinst ein braver und tüchtiger Mann zu werden, dann wird des Himmels Segen und Beistand auch nicht ausbleiben. Durch das warnende Beispiel des armen Walburg hat des gütigen Gottes Stimme zu dir gesprochen. Auch der Unglückliche soll nicht vergebens leben, durch sein verfehltes Dasein soll ein anderes Menschenkind vor einem ähnlichen Schicksal bewahrt bleiben.«