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Geschichte des Königs und der Königin von Abessinien.

»Herr, es herrschte einst in Abessinien ein König, der unermeßliche Reichtümer und prächtige Paläste besaß und, umgeben von einem zahlreichen Hofstaate, der Süßigkeit des Friedens genoß.

Diese lange Ruhe ließ ihn aber sein Kriegsheer vernachlässigen, welches an allem Mangel litt. Der Sold wurde den Soldaten nicht gezahlt, und es fehlte diesen oft sogar an Lebensmitteln. Als sie nun ihr Elend nicht länger ertragen konnten, so brach das Mißvergnügen auf allen Seiten aus, und sie begaben sich zu dem Wesir, um ihm ihre Not zu klagen.

Dieser Minister hörte sie gütig an, versprach ihnen, ihrer Forderung genugzutun, und riet ihnen, es ruhig abzuwarten, bis er den König bewogen hätte, in ihrer Hinsicht eine Änderung zu treffen.

Durch diese Zusicherung beruhigt, dankten ihm diejenigen, welche das Heer mit dieser Sendung beauftragt hatte, und entfernten sich wieder.

 

Vierhundertundneunundvierzigste Nacht.

Der Großwesir sann nach, welches Mittel er anwenden sollte, um die Aufmerksamkeit des Königs, seines Herrn, auf sein Heer zu richten; er vermeinte aber diesen Zweck nicht anders erreichen zu können, als wenn er ihn in einen Krieg verwickelte, und dieses Mittel widerstrebte der Neigung des Königs. Unter diesen Umständen ersann er folgende List.

»Der Kaiser von Persien,« sprach er bei sich selber, »hat eine Tochter von der höchsten Schönheit. Ich kenne das Gemüt meines Herrn genugsam, um gewiß zu sein, wenn ich ihm eine glänzende Beschreibung von der Gestalt und den Reizen dieser Prinzessin mache, daß er sich nicht enthalten kann, sie durchaus zur Gemahlin haben zu wollen. Nun sagt man, daß der Kaiser von Persien seine Tochter leidenschaftlich liebt, und daß er um nichts auf der Welt in eine Trennung von ihr willigen möchte. So wird er sie ohne Zweifel nicht einem Prinzen zur Gemahlin gewähren, der sie nach seinen Staaten heimführen würde, und die abschlägige Antwort, welche mein Herr bekommt, wird ihn zur Rache dieses Schimpfes durch die Waffen bewegen. Dann muß er, um sein Heer in den Stand zu setzen, den Feldzug zu beginnen, den rückständigen Sold bezahlen und den Anführern wie den Soldaten die nötigen Lebensmittel bewilligen. Auf solche Weise wird ihre Unzufriedenheit beschwichtigt und ihr Zustand verbessert.«

Zufrieden mit diesem Entwürfe, kam der Wesir am folgenden Tage in den Rat und unterredete sich mit dem König über verschiedene Verwaltungsangelegenheiten des Reichs. Er ließ hieraus geschickt die Unterredung auf das persische Reich übergehen; und endlich schilderte er ihm die Kaiserstochter mit so verführerischen Farben, daß sein Herr sich von dem glühendsten Verlangen nach ihr entflammt fühlte.

»O mein teurer Wesir,« sprach zu ihm der König, »du, dessen weise Ratschläge das Licht meines Rates sind, sage mir, ich beschwöre dich darum, durch welche Mittel wäre der Besitz dieser reizenden Prinzessin zu erlangen, von welcher du mir eben eine so schmeichelhafte Schilderung gemacht hast, daß mein Herz schon dahin ist und zu ihren Füßen liegt? Ja, ich fühle es, meine Ruhe und mein Glück sind fortan an das Dasein derjenigen geknüpft, von welcher du mir gesagt hast.«

»Herr,« antwortete der Minister, »ich denke, Euer Majestät darf nur Gesandte hinschicken, um ihre Hand anzuhalten; und ich glaube, der König von Persien wird die Ehre einer Verbindung mit Euch nicht ausschlagen; wenn er aber wider mein Erwarten es wagte, Eure Gesandten nicht anzunehmen, so wird Euer Kriegsheer ihm mit Gewalt zu entführen wissen, was freilich besser wäre seinem Wohlwollen zu verdanken.«

Der König billigte den Vorschlag seines Wesirs. Er beschäftigte sich alsobald damit, unter den Großen seines Hofes diejenigen auszuwählen, deren Erfahrung und Klugheit sie zu dieser Gesandtschaft am besten eignete, und sandte sie an den Kaiser von Persien.

Sie kamen in der Hauptstadt an, erhielten Gehör bei dem Kaiser, eröffneten ihm den Antrag ihres Herrn und hielten geradezu um die Hand der Prinzessin für ihn an.

Der Kaiser war erstaunt über diese Botschaft und geriet auf der Stelle in den heftigsten Zorn. »Gehet und saget Eurem Herrn,« antwortete er mit Unwillen, »daß niemals ein König von Abessinien, einem meinen Völkern so verhaßten Lande, eine Prinzessin von Persien heiraten soll. Meine Untertanen würden mit Recht unzufrieden sein, wenn ich die Schwachheit hätte, einen so vermessenen Antrag zu genehmigen, und ich werde nie darein willigen.«

Als die Gesandten dem Könige von Abessinien von dem üblen Erfolg ihres Auftrags Bericht abgestattet hatten, verdroß und betrübte ihn die schimpfliche Abweisung des Kaisers von Persien dermaßen, daß er schwor, sich dafür zu rächen, ganz Persien zu verwüsten und die Hauptstadt von Grund aus zu zerstören.

Um dieses Vorhaben auszuführen, begann er damit, sein Kriegsheer zu versammeln und es durch neue Aushebungen zu vermehren. Nachdem er den rückständigen Sold bezahlt und das Heer reichlich mit allem Nötigen versehen hatte, setzte er es gegen den König von Persien in Bewegung.

Sobald dieser Fürst von der Überziehung seines Reichs benachrichtigt war, beeilte er sich, Truppen entgegenzustellen; aber ihre Anstrengungen waren vergeblich. Die abessinischen Soldaten schlugen sie allerorten, und mehrere glänzende Siege sicherten ihnen den Erfolg ihrer Unternehmung.

In dieser äußersten Not fragte der König von Persien seinen Wesir um Rat, und dieser antwortete ihm: »Herr, das Blut Eurer Untertanen fließt in Strömen, und die Ursache scheint nicht erheblich genug, um einen so unglücklichen Krieg zu verlängern, indem es nur darauf ankommt, die Hand Eurer Tochter dem Könige von Abessinien zu bewilligen, um die Ruhe Eures Reichs herzustellen: schicket also Gesandte hin, ihm zu verkündigen, daß Ihr seinem Verlangen nachgebet und um Frieden bittet. Dieser Schritt wird das gute Vernehmen zwischen beiden Reichen wieder herstellen; Ihr laßt die Prinzessin mit einem anständigen Gefolge nach Abessinien ziehen, und ihre Vermählung wird zum Unterpfand eines langen Friedens dienen.«

Wie groß auch die Liebe des Königs von Persien zu seiner Tochter war, sah er doch wohl ein, daß es unumgänglich notwendig war, dem Rate seines Wesirs zu folgen. Demgemäß schickte er Gesandte hin, um Frieden zu bitten; und nachdem er diesen erhalten hatte, genügte er den Bedingungen desselben und ließ die Prinzessin, seine Tochter, mit einem zahlreichen Gefolge abreisen.

Der König von Abessinien war auf dem Gipfel der Freude, als er die nahe Ankunft der Prinzessin von Persien vernahm, und ließ ihr den prächtigsten Empfang bereiten.

Er kam mit ihr heim und zog im Triumph in seine Hauptstadt ein. Alle Großen des Reichs kamen, ihm Glück zu wünschen über den Erfolg feiner Waffen und über seine neue glückliche Vermählung, bei deren Gelegenheit man überall glänzende Feste und Lustbarkeiten anstellte, welche genugsam bewiesen, welchen Teil das Volk an der Glückseligkeit seines Königs nahm.

Der König und die Königin von Abessinien verlebten nun glückliche Tage in Freuden und Vergnügen: aber ein heimlicher Gram vergiftete das Glück der Prinzessin, und die Ursache desselben war folgende:

Daheim bei ihrem Vater hatte die Prinzessin eine heimliche Verbindung mit einem jungen Mann unterhalten und sogar einen schönen Sohn geboren, dessen Pflege sie getreuen Dienern anvertraut, welche ihm die glänzendste Erziehung gegeben hatten, so daß er mit seinen natürlichen Vorzügen die mannigfaltigste Bildung vereinigte. Man hatte es leicht dahin gebracht, daß er in den Harem aufgenommen wurde, und er hatte sich so sehr die Gunst des Kaisers von Persien erworben, daß dieser ihn zum Dienst um seine eigene Person anstellte und gar nicht mehr ohne ihn sein konnte.

Bei ihrer Abreise nach Abessinien war also die Prinzessin genötigt gewesen, sich von ihrem geliebten Sohne zu trennen, und darüber empfand sie nun einen so tiefen Gram, daß die Tränen über ihre Wangen flossen wie ein Frühlingsschauer: da sie die Pein dieser schmerzlichen Trennung nicht länger ertragen konnte, so suchte sie alle Mittel hervor, um ihren geliebten Sohn wieder bei sich zu haben.

Eines Tages, als sie sich mit ihrem Gemahle im Innern des Harems unterhielt, fing der König von Abessinien an, sein Land zu rühmen, und erhob es weit über Persien. »Der Kaiser,« sprach er zu der Königin, »achtete mein Reich geringe: meine Truppen haben es ihn kennen gelehrt, und ungeachtet er alle seine Kräfte gegen mich aufgeboten hat, ist sein Widerstand doch vergeblich gewesen; und hätte er nicht den klugen Entschluß gefaßt, sich meinen Wünschen zu fügen und dich mir zu senden, so hätten wir sein Reich gänzlich umgestürzt und seine Reichtümer in unsern Mantelsäcken als Beute heimgebracht.«

»Wie groß auch,« antwortete die Königin, »Eure Reichtümer und Eure Macht sind, so befindet sich in Persien jedoch ein kostbarer Schatz, welchen allein mein Vater besitzt; und dieser Schatz ist von der Art, daß kein König sich rühmen kann, einen ähnlichen zu besitzen.« Und als der König sie fragte, worin dieser wunderbare Schatz bestände, fuhr sie fort: »Es ist ein junger Sklave, der auf der Welt nicht seinesgleichen hat. Es ist unmöglich, mehr Schönheit, Bildung, Anmut, Geschicklichkeit, Geist, Liebenswürdigkeit und Edelmut zu besitzen: mit einem Worte, es ist ein vom Himmel auf die Erde herabgekommener Engel.«

Diese starken Lobeserhebungen erregten in dem Könige von Abessinien ein lebhaftes Verlangen, diesen Jüngling zu besitzen, und er äußerte gegen die Königin, wenn der Kaiser, ihr Vater, ihm diesen Sklaven verkaufen wollte, so würde er ihm jeden beliebigen Preis dafür bezahlen. »Der Kaiser,« erwiderte die Prinzessin von Persien, »kann nicht einen Augenblick ohne diesen Sklaven leben, und wenn er von ihm getrennt ist, so wird er sogleich trübsinnig. Wenn Ihr ihn also haben wollt, so ist das einzige Mittel dazu, einen gewandten und reichlich mit Golde versehenen Kaufmann nach Persien zu schicken mit dem Auftrage, alle seine Kräfte anzustrengen, um diesen Sklaven zu entführen und nach Abessinien zu bringen.«

Der König ergriff diesen Vorschlag und warf zur Ausführung desselben seine Augen auf einen seiner Leute, einen vielerfahrenen und weitgereisten Mann, welcher die Sitten und Gebräuche der verschiedenen Völker wohl beobachtet hatte. Diesen ließ er sogleich kommen, gab ihm den Auftrag und versprach ihm, wenn es ihm gelänge, zehn Sklaven und zehn Sklavinnen von vollkommener Schönheit zur Belohnung. Die Königin nannte ihm den Namen des persischen Sklaven, der Fareksad hieß, und beschrieb ihm seine Gestalt.

Mit diesen Anweisungen versehen, reiste der Abgesandte, als Kaufmann verkleidet, alsbald nach Persien, und in kurzer Zeit erreichte er die Hauptstadt dieses Reichs. Er mietete sich eine prächtige Wohnung, und unter dem Vorwande kaufmännischer Geschäfte ließ er gleich am folgenden Tage den Kaiser um Gehör bitten, welches dieser auch auf der Stelle gewährte.

Bei dieser Unterredung wußte der verstellte Kaufmann sich leicht die Gewogenheit des Fürsten zu erwerben, und dieses verschaffte ihm öfteren Zutritt bei Hofe, so daß er die Zeit abwarten konnte, mit Fareksad zu sprechen. Die Gelegenheit dazu blieb nicht lange aus. Der vorgebliche Kaufmann sprach anfangs nur von unbedeutenden Dingen; dann lenkte er das Gespräch geschickt auf Abessinien, endlich erklärte er dem jungen Sklaven, wenn er ihm dorthin folgen wollte, so würde er ihn mit Reichtümern und Ehren überhäufen und ihm so viele Sklaven geben, als er nur verlangen möchte.

Fareksad erriet sogleich, daß dieser Mann von seiner Mutter abgeschickt wäre, die ihn wieder bei sich haben wolle, und antwortete mit Freuden: »Das Königreich Abessinien ist so berühmt, daß ich schon längst lebhaft wünschte, es kennen zu lernen: aber der Kaiser hat eine so innige Zuneigung zu mir, daß er mir niemals erlauben wird, wegzureisen.«

Der vorgebliche Kaufmann eröffnete ihm nun, er hätte alle Mittel, seine Entweichung zu begünstigen und seine Flucht aus dem Reiche so heimlich zu bewerkstelligen, daß es nicht nötig wäre, noch jemand anders mit in das Geheimnis zu ziehen. Er fügte hinzu, daß die Tochter des Königs von Persien, jetzige Königin von Abessinien, ihm den glänzendsten Empfang bei seiner Ankunft zugedacht hätte.

Diese letzten Worte ließen Fareksad nicht länger schwanken, und er sprach zu dem Abgesandten der Königin: »Wenn Ihr mich glücklich aus Persien bringt, so verspreche ich Euch, für Euer Glück zu sorgen und Euch mit Zinsen alles zu vergelten, was Ihr für mich getan habt. Erwartet mich diesen Abend zur Stunde des Gebets.«

Zur bestimmten Zeit sah der Kaufmann den jungen Sklaven ankommen; er verbarg ihn sogleich in einen Packkasten und machte sich mit ihm auf den Weg nach Abessinien.

Als am andern Morgen der Kaiser von Persien die Entweichung seines vielgeliebten Sklaven gewahrte, schickte er nach allen Seiten Boten aus, ihn zu verfolgen und an den Hof zurückzubringen. Aber alle ihre Nachsuchungen waren vergeblich, sie konnten ihn nirgends entdecken, und der Kaiser von Persien war untröstlich über den Verlust des Jünglings, welchen er wie seinen Sohn liebte.

Unterdessen hatten die beiden Flüchtlinge die Grenzen von Abessinien erreicht, und nach einigen Tagereisen kamen sie in der Hauptstadt an. Der Abgesandte des Königs eilte sogleich nach dem Palaste, verkündigte ihm den glücklichen Erfolg seiner Unternehmung und führte ihm Fareksad zu, welcher ihn durch seine Schönheit, seine Bildung und seine Anmut in Erstaunen setzte. Ungeachtet der Lobeserhebungen, welche die Königin von ihm gemacht hatte, fand er, daß dieser junge Sklave seine Vorstellung von ihm noch weit übertraf. Er ließ ihm eine prächtige Kleidung, ein Pferd, einen Säbel, einen Schild und einen kostbaren Turban geben; er erklärte ihn für seinen Stallmeister und verhieß ihm alle Zärtlichkeit eines Vaters. Dann führte er ihn in den Harem und stellte ihn der Königin vor.

Als diese Fürstin ihren Sohn erblickte, hatte sie Mühe, ihre lebhafte Bewegung zu verbergen und ihre Tränen zurückzuhalten; jedoch gelang es ihr, sich nichts merken zu lassen, indem sie sich wohl hütete, ihn anzureden, denn schon der bloße Ton ihrer Stimme hätte ihre mütterliche Liebe verraten können. Aber sie benutzte den ersten Tag, da der König auf der Jagd war, um Fareksad zu sich kommen zu lassen, und nun überließ sie sich ohne Rückhalt der mütterlichen Zärtlichkeit, bedeckte ihn mit Küssen und sprach zu ihm: »O mein Kind, ich kann nicht ohne dich leben, und während unserer langen Trennung ist mein Herz von Schmerz verzehrt worden.«

Diese Worte der Königin zu ihrem Sohne hörte ein Sklave; er wähnte die Ehre seines Herrn verletzt, und sobald der König von der Jagd zurückkam, lief er hin und entdeckte Seiner Majestät, wie er die Prinzessin von Persien den neulich in dem Harem zugelassenen Fremdling mit Liebkosungen und Küssen hätte bedecken sehen.

Der König wurde durch diesen Bericht zum heftigen Zorne hingerissen, und er wähnte nun den Grund entdeckt zu haben, welcher die Königin bewogen, ihm so große Lobeserhebungen von dem Sklaven zu machen, dessen Entführung er selber betrieben hatte. Er ließ auf der Stelle beide herbeirufen. »Elender Fareksad,« sprach er, »du hast es also gewagt, meinen Palast zu besudeln und dein schändliches Gelüst zu befriedigen?«

Fareksad, der wohl fühlte, daß seine Rechtfertigung seine Mutter bloßstellen würde, war gezwungen, zu schweigen, und begnügte sich, zu antworten: »Ich bin einer schändlichen Handlung unfähig, und wenn die Königin sich erklären will, so kann sie meine Unschuld beweisen.«

»Wohlan,« sprach nun der König zu der Prinzessin von Persien, »Ihr hört es, Frau: wollt Ihr nun auch meinem gerechten Zorne trotzen, nachdem Ihr eine solche Handlung begangen habt?«

Die Königin vermochte nur einen Strom von Tränen zu vergießen, ohne ein einziges Wort zu erwidern, und ihr Schweigen bestärkte den König von Abessinien in seinem Verdachte. Er hörte jetzt nur die Eingebungen seiner Wut, ließ einen von seiner Wache rufen und befahl ihm, Fareksad vor die Stadt hinauszuführen und ihm den Kopf abzuhauen. Der Scherge ergriff sogleich den Jüngling und schleppte ihn aus dem Saale des Diwans.

 

Vierhundertundfünfzigste Nacht.

Als beide außerhalb der Stadtmauer waren, schickte der Scherge sich an, seinem Schlachtopfer den Kopf abzuhauen, aber beim Anblicke seiner reizenden Gestalt stand er erstaunt und betroffen: er glaubte einen vom Himmel herabgestiegenen Engel zu erblicken und konnte sich nicht entschließen, ihm den Tod zu geben. »Nein,« sprach er bei sich, »eines Weibes wegen will ich nimmer einen so reizenden Jüngling töten, das wäre ein Verbrechen, welches die Strafe des Himmels verdiente; ich will im Gegenteil ihn als meinen Sohn annehmen und in mein Haus führen, wo ich ihn schon der Wut des Königs zu entziehen weiß.«

Er teilte Fareksad seine Absicht mit, und dieser antwortete ihm: »Die Wohltat, welche du mir jetzt erzeigst, wird dir einst noch belohnt werden. Ich bin unschuldig an dem Verbrechen, dessen man mich anklagt; und sicherlich werde ich einst noch den Rang und die Reichtümer wiedererlangen, deren ich vor meinem Unglücke mich erfreute: mehr brauche ich dir nicht zu sagen.«

Beide begaben sich hierauf in das Haus des Schergen, welcher hier Fareksad mit allem Nötigen versah und dann zu dem Könige zurückkehrte, um ihm zu melden, daß sein Befehl vollzogen wäre.

Die Königin von Abessinien schmachtete unterdessen, in den tiefsten Jammer versunken. Wenn der König in ihre Nähe kam, so würdigte er sie nicht einmal eines Blickes oder eines Wortes, und die unglückliche Fürstin war ein Raub der grimmigsten Verzweiflung über den Tod ihres Sohnes und den Zorn ihres Gemahls.

Nun befand sich in dem Harem eine alte Frau, welche sehr geschickt war in der Entzifferung geheimer Schriften und Auflösung der verwickeltsten Fragen; ihre Kunst und Geschicklichkeit hatte ihr die Gunst des Königs erworben, welcher die größte Achtung für sie hegte. Als diese alte Frau die Verzweiflung der Königin sah, hatte sie Mitleid mit ihrem Unglücke. Sie kam zu ihr und fragte sie, was sie in so tiefe Betrübnis versetzte.

Nicht imstande zu antworten, schlug die Königin die Augen nieder, und die Alte fuhr folgendermaßen fort:

»Rechnet auf meine Verschwiegenheit, Herrin, und vertrauet mir das Geheimnis Eurer Leiden, ich verspreche Euch die unverbrüchlichste Treue, und vielleicht kann ich ein Mittel dafür finden. Ich schwöre Euch bei allem, was mir heilig ist, daß niemand aus meinem Munde erfahren soll, was Ihr mir entdecken werdet.«

Diese Versicherungen machten der Königin Zutrauen, und sie antwortete: »Wohlan, gute Frau, ich will Euch den Gegenstand meiner Leiden entdecken: aber, ach! diese sind von der Art, daß sie immerdar fortdauern werden. Ich hatte heimlich einen Sohn geboren, den ich zärtlich liebte, und der aus Persien entfloh, um hier in Abessinien wieder mit mir vereinigt zu sein. Aber das grausamste Mißgeschick erwartete ihn hier, und ich habe ihn jetzt für immer verloren. Der König, mein Gemahl, hat ihn umbringen lassen und würdigt mich seitdem sogar keines Blickes mehr.«

Hierauf erzählte sie der Alten alle Umstände dieses Abenteuers: als sie aber an die Verurteilung ihres Sohnes kam, zerschmolz sie in Tränen und klagte ihr Herzeleid, daß ihr nicht einmal der Trost bliebe, ihm die Ehre des Begräbnisses zu erweisen und auf seinem Grabe weinen zu können.

Der Schmerz der Königin rührte die alte Frau innig, und diese bemühte sich, sie zu trösten, und versprach ihr, aus Mittel zu sinnen, um ihren Kummer zu stillen. »Ich begreife wohl,« sprach sie zu ihr, »daß das Geständnis, welches Ihr dem Könige zu Eurer Rechtfertigung ablegen müßt, Euch peinlich ist; aber höret, was ich Euch vorschlage: Ihr müßt Euch niederlegen, bevor der König in Eure Schlafkammer tritt; er wird mit einem Papier kommen, es Euch auf das Herz legen und dabei folgende Worte sprechen: »Ich gebiete dir Kraft dieses Talismans, die reine Wahrheit zu sagen.« Hierauf wird es Euch leicht fallen, zwar als wider Euern Willen, ihm alles zu bekennen, was in Persien vorgegangen ist, und ihm Euer Betragen gegen den jungen Fareksad zu erklären. Dadurch, bin ich gewiß, werdet Ihr seine Gunst wiedergewinnen und Euren Leiden ein Ziel setzen.«

Die Königin versprach, die Anweisung der Alten zu befolgen, und diese begab sich hierauf zu dem König, um den Anschlag, welchen sie ersonnen hatte, auszuführen. Sie fand ihn einsam und traurig in einer Laube tief im Garten seines Palastes sitzen; sie nahte sich ihm und sprach: »Herr, die Einsamkeit ziemt nicht denen, die zum Herrschen berufen sind, denn sie bringt Traurigkeit hervor, und die Traurigkeit gebiert Unmut; auch scheint Ihr schon ganz schwermütig: was kann Euch so sehr betrüben? Teilet mir Euren Kummer mit; vielleicht weiß ich ein Mittel dagegen zu finden.«

»Ach, meine gute Mutter,« antwortete ihr der König, »es ist nicht die Einsamkeit, welche in mir die Traurigkeit erregt; und da ich kein Geheimnis für dich habe, so sollst du erfahren, was mich trostlos macht. Du hast wohl von dieser Prinzessin von Persien gehört, für welche ich alles aufgeopfert und der ich für immer mein Herz geschenkt hatte: ich habe sie mit Wohltaten, Ehren und Reichtümern überschüttet, und durch ihre dringenden Bitten bewogen, ließ ich den jungen Sklaven an meinen Hof kommen, welchen ich nicht minder liebreich behandelte. Und nun, die eine wie der andere haben mich betrogen! Zur Bestrafung seines Verbrechens befahl ich Fareksads Hinrichtung: aber, soll ich's dir gestehen, seit dieser Zeit nagen mich Gewissensbisse, ich fürchte, einen Unschuldigen gestraft zu haben, und die Ungewißheit, in welcher ich deshalb schwebe, quält mich jetzt Nacht und Tag.«

»Herr,« sagte hierauf die Alte, »Ihr könnt getrost diese Sorgen verbannen und Euer Herz der Freude überlassen. Eure Beunruhigung soll ein Ziel haben; denn es hängt von mir ab, sie zu endigen. Ich besitze einen Talisman, welcher vom Propheten Salomon herkommt: er ist mit griechischen Schriftzügen in syrischer Sprache verfaßt. Um nun die geheimen Gedanken eines Menschen zu erfahren, darf man ihm diesen Talisman nur auf die Brust legen und dabei folgende Worte aussprechen: »Bei dem hohen lebendigen Gotte, dessen Name auf diesem Talisman geschrieben steht, gebiete ich dir, mir deine tiefsten Geheimnisse zu enthüllen.« Alsbald offenbart derjenige, bei dem man dieses Mittel anwendet, alle seine tiefsten Geheimnisse, sowohl im Guten als im Bösen, und vergißt danach wieder, was er im Schlafe gesagt hat. Wenn Euer Majestät diese Zauberformel versuchen will, so will ich sie Euch bringen, und Ihr könnt dadurch die Geheimnisse der Königin erfahren.«

Der König von Abessinien ergriff mit lebhaftem Danke das ihm von der Alten erbotene Hilfsmittel, welches ihm Hoffnung gab, die grausame Ungewißheit, in welcher er schwebte, verschwinden zu sehen.

Die Alte lief nach ihrem Zimmer, kritzelte in der Eile einige bedeutungslose Schriftzüge, faltete das Papier und umwickelte es mit einer Schnur, auf welche sie ein Siegel drückte. So brachte sie es dem König als eine große Kostbarkeit. »Geruhe Euer Majestät, sich zu erheben,« sprach sie zu ihm, indem sie es ihm überreichte, »um mit der gebührenden Ehrerbietung ein Kleinod zu empfangen, welches unmittelbar vom König Salomon kommt.«

Der König stand sogleich auf, nahm ehrerbietig das ihm von der Alten Überreichte in Empfang, verbarg es sorgfältig und erwartete mit Ungeduld den Augenblick, wo er davon Gebrauch machen könnte.

Als endlich die Nacht gekommen war, begab er sich in das Gemach der Königin und nahte sich leise ihrem Bette, wo sie scheinbar in tiefem Schlafe lag, legte ihr den Talisman auf die Brust und sprach dabei: »Bei dem hohen lebendigen Gotte, dessen Name hier in geheimnisvollen Zügen geschrieben steht, gebiete ich, daß diese hier schlafende Frau sogleich alles offenbare, was ihr Verhältnis zu Fareksad betrifft.«

Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, so begann die Königin alle ihre Bekenntnisse, ohne den geringsten Umstand zu verschweigen. Sie gestand, Fareksad wäre ihr Sohn, und der König erkannte nun, daß er ihn ungerechterweise verurteilt hatte. »Weil dies der Wille Gottes war,« fügte die Königin hinzu, »so unterwerfe ich mich seinen Fügungen, und vielleicht kann ich mich einst noch über den Tod meines Sohnes trösten, wenn der König, mein Gemahl, anstatt mir diese kränkendste Verachtung anzutun, mir seine Liebe wiederschenkt.«

Der König konnte der Rührung, welche diese letzten Worte in ihm hervorbrachten, nicht widerstehen, und unter heißen Tränen faßte er die Königin in seine Arme und bedeckte sie mit Küssen. Die Königin tat, als wenn sie plötzlich erwachte, und rief aus: »Großer Gott! wie hat es sich gefügt, daß Euer Majestät mich ihrer Liebkosungen würdigt?«

Jetzt erzählte der König ihr alles, was vorgegangen war, und machte ihr zärtliche Vorwürfe, daß sie ihm so lange ihr Geheimnis in Ansehung Fareksads verhehlt, welchen er, weit entfernt, ihn umbringen zu lassen, mit Vergnügen als seinen eigenen Sohn angenommen hätte. Diese Vorstellung erneute ihre Tränen, und beide bemühten sich gegenseitig, den Trost zu geben, dessen jedes von ihnen selber bedurfte.

In der Absicht, Fareksad ein seiner Geburt würdiges Begräbnis zu veranstalten, ließ der König am folgenden Tage den Schergen vor sich kommen, dem er die Vollstreckung seines Urteilsspruchs aufgetragen hatte, und sprach zu ihm: »Du sollst mir den Ort anzeigen, wo du den Leichnam des unglücklichen Fareksad beerdigt hast, damit ich auf seinem Grabe beten und ihn als ein unschuldiges Schlachtopfer verehren kann; dadurch will ich wenigstens, soviel an mir ist, meine Ungerechtigkeit gegen ihn sühnen und mich dafür strafen, daß ich diese frische Blume des Gartens der Glückseligkeit gebrochen, diesen Zweig von der stolzen Zeder des königlichen Stammes abgehauen habe.«

»Herr,« antwortete der Scherge, indem er sich verneigte, »mögen die Himmel zum Fußschemel des Thrones Euer Majestät dienen und Glückseligkeit und Freude aus Eurem erhabenen Hause die Verzweiflung und den Schmerz vertreiben! Fareksad ist nicht tot: als Ihr mir seine Hinrichtung befahlet, erachtete ich es für ein Verbrechen, einen Unschuldigen zu töten, und ich wagte es, ihn in meinem Hause zu verbergen, wo er wirklich noch ist.«

Diese frohe Neuigkeit schien dem Könige neues Leben zu geben und machte ihm umso größere Freude, je weniger er sie erwartet hatte. Weit entfernt, dem Schergen seinen Ungehorsam zu verweisen, ließ er ihn zum Zeichen seiner vollen Erkenntlichkeit mit einem reichen Pelze bekleiden und schickte ihn sogleich mit mehreren andern Leuten hin, um Fareksad zu holen. Unterdessen eilte er zu der Königin, um ihr dieses glückliche Ereignis mitzuteilen.

Fareksad kam alsbald; der König streckte ihm bei seinem Anblicke die Arme entgegen, bezeigte ihm die herzlichste Zuneigung und führte ihn wieder in den Harem. Die Königin stieß bei seinem Anblick ein Freudengeschrei aus und unterließ nicht, sogleich der Vorsehung zu danken. Alle drei lebten nunmehr in der vollkommensten Vereinigung und erfreuten sich eines ungetrübten Glückes.

Herr,« sagte Bacht-jar zum Schlusse dieser Geschichte, »Ihr seht aus dem Benehmen der Königin und der Alten, welcher List die Frauen fähig sind, wenn sie zu ihrem Zwecke gelangen wollen. Ihr seht zugleich, wie vergeblich alle Vorwürfe und Reue gewesen wären, wenn der Scherge zu rasch gewesen, den ungerechten Befehl des Königs zu vollstrecken. Ebenso wird es Euch einst in Betreff meiner gehen, wenn Ihr meine Hinrichtung übereilt; wenn die Wahrheit an den Tag kommt, wird Euer Majestät die Ungerechtigkeit bereuen, dann wird es aber zu spät sein.«

Asad-bacht ließ Bacht-jar, nachdem er ihn aufmerksam angehört hatte, ins Gefängnis zurückführen.

 

Vierhunderteinundfünfzigste Nacht.

Am folgenden Tage trat der achte der zehn Wesire vor den König hin und sprach zu ihm: »Herr, die Weisen des Altertums haben sehr wahr gesprochen, das Königreich sei ein Baum, dessen Wurzel die Gerechtigkeit bildet. Wenn diese Wurzel leidet, so sind die Zweige ohne Trieb, die Blüten verwelken, die Blätter fallen ab, und der Baum erstirbt. Die Gerechtigkeit fordert nun die Bestrafung Bacht-jars, und wenn die Völker des Reichs nicht bald vernehmen, daß das von diesem Sklaven begangene Verbrechen bestraft worden ist, so fürchte ich sehr, daß die Wurzeln Eures Reichs dadurch einen Schaden erleiden, der vielleicht sehr schwer zu heilen sein möchte.«

Asad-bacht erkannte die Wahrheit dieser Bemerkungen seines Wesirs; er ließ den Angeklagten vorführen, befahl dem Scharfrichter, das bloße Schwert über Bacht-jars Haupt zu schwingen, und sagte zu diesem, seine letzte Stunde wäre gekommen.

»Zuflucht der Unglücklichen!« antwortete der junge Angeklagte, »mögen die geheiligten Befehle Euer Majestät überall geehrt sein! Aber es sei mir vergönnt, Euch nochmals daran zu erinnern, daß, obwohl strenge Gerechtigkeit den Königen der Erde ziemt, blinde Übereilung ihnen jedoch bittere Reue bereitet. Ebenso geschah es, daß ein Juwelier, der zu rasch verfuhr, sich in einen Abgrund von Leiden stürzte.«

»Was widerfuhr diesem Juwelier?« fragte Asad-bacht, »wie ward die Übereilung ihm so verderblich?«

Bacht-jar antwortete folgendermaßen:

 


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