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Geschichte Abutemams.

»Herr, es lebte einst ein Mann, dem seine Wissenschaft und Tugend die Hochachtung und Liebe seiner Mitbürger erworben hatte. Er besaß unermeßliche Reichtümer; weil aber der Statthalter in der Stadt, wo er wohnte, als ein gewalttätiger und geiziger Mann denjenigen, die im Wohlstande zu sein schienen, den größten Teil ihrer Mittel benahm, um sie dem Könige zu geben, so war Abutemam genötigt, um seinen Reichtum zu verbergen, sich mit schlechten und abgetragenen Kleidern zu bedecken und von den gröbsten Nahrungsmitteln zu leben. Diese Lebensart verdroh ihn dermaßen, daß er, müde der steten Angst, in welcher er schwebte, eines Tages all seine kostbarste Habe verbarg und heimlich die Stadt verließ, worin er bisher wohnte.

Er reiste schon einige Zeit umher, als er in ein herrliches Land kam, dessen lachende Gefilde wohlangebaute Ländereien, reizende Gärten und kristallhelle Gewässer darboten. Bald erreichte er auch die Hauptstadt dieses Reichs: und diese Stadt war mit prächtigen Gebäuden geziert, wohlhabend, volkreich und von einem gerechten Könige beherrscht, welcher die Fremden beschützte und sie mit größtem Wohlwollen aufnahm. Abutemam nahm also keinen Anstand, in dieser Stadt seinen Wohnsitz aufzuschlagen.

In dieser Absicht kaufte er sich ein großes und wohlgebautes Haus. Er säumte nicht, sich mit den vornehmsten Einwohnern in Verbindung zu setzen, indem er sie häufig zu sich einlud. Er bewirtete ebenso mit edelmütiger Gastfreiheit die Fremden und die Unglücklichen, welche er speisen und kleiden ließ. Er verwandte überdem einen Teil seines Vermögens zur Erbauung öffentlicher Werke: er ließ Brücken über verschiedene Ströme bauen, Karawansereien und Springbrunnen an den großen Straßen für die Reisenden errichten.

Bald sprach man nur von der Freigebigkeit und den Reichtümern des Fremden. Der Ruhm seiner Wohltaten kam auch zu den Ohren des Königs. Dieser Fürst war erfreut, in seinem Königreich einen Mann zu haben, der so viel Gutes tat, und schickte einen von seinen Hofleuten hin und ließ ihn zu sich entbieten.

Als dieser Abgesandte sich seiner Botschaft entledigt hatte, küßte Abutemam den Boden zum Zeichen des Gehorsams und antwortete, er würde den Befehlen des Königs Folge leisten.

Sobald Abutemam sich wieder allein sah, machte er alle Anstalten, dem Befehle des Fürsten zu genügen; er nahm prächtige Geschenke mit und ließ sie dem Könige darbieten, der ihm sogleich Zutritt bewilligte und ihn mit allen Beweisen der Teilnahme und der Gewogenheit empfing. Er ließ ihn zu sich auf den Thron steigen, und als nach einer langen Unterhaltung Abutemam sich wieder entfernen wollte, sagte der König zu ihm, er wünschte ihn alle Tage zu sehen, und forderte von ihm das Versprechen, sein Verlangen zu erfüllen.

Abutemam fügte sich seinen Wünschen, und in kurzer Zeit ward er der Vertraute und innige Freund des Königs, der keinen Entschluß mehr faßte, ohne ihn zu Rate zu ziehen, und ihm seine geheimsten Gedanken anvertraute.

Die Gunstbezeigungen verfehlten nicht, die Eifersucht der zehn Wesire des Königs zu erregen, die mit Verdruß ihren Herrn sein Vertrauen auf Abutemam übertragen sahen, welches er ihnen bisher geschenkt hatte; sie schworen seinen Untergang, und durch folgendes Mittel gedachten sie sich von dem unbequemen Günstlinge zu befreien.

Der Chan der Tatarei hatte eine reizende Tochter, von welcher er sich nicht trennen wollte, und er ließ alle Gesandten hinrichten, welche um sie anzuhalten kamen. Sie verabredeten sich nun, vor dem Könige große Lobeserhebungen von dieser Prinzessin zu machen, um ihn zu vermögen, dem Abutemam eine Gesandtschaft an den Chan der Tatarei zur Bewerbung um seine Tochter aufzutragen.

Als sie diesen Anschlag gemacht hatten, begaben sie sich insgesamt zum Könige. Liner der Wesire ließ geschickt die Unterhaltung auf die Tochter des Königs von Turkestan fallen und rühmte ihre Anmut und Schönheit; mit einem Worte, sie wußten es so zu drehen, daß der König sich in die Tochter des Königs der Tatarei verliebte und ihrem Rate zufolge den Entschluß faßte, Abutemam als Gesandten zu diesem Fürsten zu schicken, um die Hand der Prinzessin anzuhalten.

Abutemam gehorchte seinem König, er machte alle Vorbereitungen zur Reise, und in kurzer Zeit hatte er die Hauptstadt des Königreiches erreicht, wohin er gesandt war.

Er erhielt bald Gehör und eröffnete mit wenigen Worten den Zweck seiner Sendung. Der König der Tatarei antwortete ihm, die Bewerbung eines so großen Fürsten wäre ihm zwar sehr schmeichelhaft; »aber,« fügte er hinzu, »es wäre möglich, daß meine Tochter Eurem Herrn nicht anstände; gehet also in meinen Harem, dort könnt Ihr sie sehen, mit ihr sprechen und danach ermessen, ob sie dem Fürsten gefallen werde, welcher Euch hersendet.«

»Gott behüte mich,« erwiderte Abutemam, »daß ich es wagte, auf diejenige meine Augen zu richten, welche zur Gemahlin meines Herrn bestimmt ist. Wahrlich, wenn die Prinzessin seiner nicht würdig wäre, so würde die Vorsehung nicht verstattet haben, daß er in sie verliebt ward.«

Bei diesen Worten fiel der Chan der Tatarei Abutemam um den Hals, umarmte ihn herzlich und sprach zu ihm: »Du bist der einzige unter den vielen an meinen Hof gekommenen Gesandten, welchen seine Klugheit vor dem Tode bewahrt. Um die Treue dieser Gesandten und zugleich die Weisheit der Fürsten zu prüfen, welche sie dazu erwählt hatten, habe ich einem jeden von ihnen den verfänglichen Vorschlag gemacht, welchen ich dir soeben getan habe, und nicht einer war verständig genug, ihn abzulehnen. Ich habe ihre Unverschämtheit und Treulosigkeit mit dem Tode bestraft, und ich könnte dich die Köpfe der vierhundert Gesandten sehen lassen, welche in diesem Jahre ihre unkluge Verwegenheit mit dem Leben bezahlt haben. Aber, dem Himmel sei Dank, ich habe endlich einen Fürsten gefunden, der einen klugen und besonnenen Gesandten zu wählen gewußt hat: ich säume nicht, ihm meine Tochter zu bewilligen.«

Abutemam war sehr zufrieden mit dem glücklichen Erfolge seiner Gesandtschaft, die Prinzessin wurde ihm anvertraut, sie seinem Herrn zuzuführen mit einem Gefolge von vielen Sklaven und einer beträchtlichen Anzahl reichbeladener Kamele.

Als der König den glücklichen Erfolg der Bewerbung durch seinen Günstling vernahm, war er höchst erfreut; und um ihm seine volle Zufriedenheit darüber zu bezeigen, kam er ihm zwei Tagereisen weit entgegen in Begleitung des größten Teils der Bewohner seiner Hauptstadt, in welche bald darauf das ganze Geleit unter allgemeinem Zuruf und Freudenbezeigungen seinen prächtigen Einzug hielt.

Die Vermählung des Königs wurde mit der größten Feierlichkeit in Gegenwart des ganzen Hofes vollzogen, und die Neuvermählten bezeigten Abutemam ihre volle Erkenntlichkeit für die ihnen geleisteten Dienste, so daß er mehr als jemals in Gunst stand.

Diese neuen Gunstbezeigungen verdoppelten aber die Eifersucht und Wut der neidischen Wesire, welche schmerzlich ihren Anschlag verfehlt sahen. Diese boshaften Männer beschlossen, eine neue List anzuzetteln. Sie gewannen zwei junge Sklaven des Palastes und vermochten sie durch das Versprechen einer ansehnlichen Geldsumme, Abutemam zu verleumden.

Eines Abends, als diese beiden Jünglinge die Fußsohlen des Königs rieben, um ihn einzuschläfern, sprach einer zu dem andern: »Es ist doch sehr übel, daß Abutemam so ehrenrührige Reden gegen den König führt: kannst du wohl glauben, daß er laut sagt, nur ihm zuliebe habe die Tochter des Chans der Tataren die Staaten ihres Vaters verlassen? Sobald auch der König nur abwesend ist, eilt er nach dem Harem, um sein Einverständnis mit der Königin zu unterhalten.«

Sobald der König dieses Gespräch gehört hatte, ließ er Abutemam holen und sprach zu ihm: »Ich habe dich zu mir berufen, um dich über eine sehr wichtige Angelegenheit um Rat zu fragen: welche Strafe verdient der Untertan, der, mit den höchsten Gunstbezeigungen und Wohltaten seines Königs überhäuft, anstatt durch seine Hingebung sich erkenntlich dafür zu beweisen, es wagt, eine frevelhafte Verschwörung gegen sein Leben anzustiften?«

»Er verdient den Tod,« antwortete Abutemam.

»Wohlan, du hast dir selber das Urteil gesprochen!« rief der König aus und durchbohrte ihn mit seinem Dolche. Die Sklaven schleppten den Leichnam hinaus und warfen ihn in den Strom.

Kaum hatte der König seinen Günstling ermordet, als Unruhe, Schmerz und Reue ihn anfielen. Sein Unmut ward so groß, daß er sich in seinem Gemache verschloß und mit seinem Hofe nichts zu schaffen haben wollte; aber ein Umstand kam noch dazu, seine Gewissensbisse zu schärfen.

Von Reue verfolgt, irrte er in den Zimmern seines Palastes umher, als er hinter einer Bretterwand einen lebhaften Wortwechsel hörte. Er horchte hin und erkannte die Stimme seiner beiden Sklaven, die Abutemam verklagt hatten und sich nun um den Lohn ihres Verbrechens zankten: der ältere verlangte als solcher einen größeren Anteil, welchen der jüngere ihm nicht zugestehen wollte.

Sogleich ging der König in sein Zimmer zurück; er ließ die beiden Schuldigen kommen und zwang sie, die Anstifter ihres Frevels zu nennen. Tief betrübt über sein unfreiwilliges Verbrechen, wollte dieser Fürst wenigstens den Mord Abutemams rächen: er ließ die zehn Wesire verhaften, ihnen die Köpfe abhauen und befahl, ihre Häuser zu schleifen. Aber diese unerquickliche Gerechtigkeit enthob ihn nicht, sein ganzes übriges Leben den unschuldigen Mann zu beweinen, welchen er getötet hatte.«

Als Bacht-jar hiermit aufgehört hatte zu reden, wollte der König ihn abermals ins Gefängnis zurückschicken: aber die zehn Wesire und die Großen des Reichs, unwillig über diese Schwachheit, forderten mit lauter Stimme seine Hinrichtung und drohten, den Hof zu verlassen, wenn der König ihn durch eine unwürdige Verzeihung entehrte. Die Königin selber vereinigte sich mit den Wesiren und drang auf seine Bestrafung. Aber der König konnte sich nicht entschließen, die Hinrichtung des Jünglings zu befehlen und Zeuge derselben zu sein, und übergab sein Schicksal ihren Händen.

Man ließ nun Bacht-jar dem Könige aus den Augen führen, und die Ausrufer verkündigten dem Volke durch die ganze Stadt, daß seine Hinrichtung auf dem öffentlichen Platze statthaben sollte, wo alsbald eine zahllose Volksmenge zusammenlief. Aber bei Bacht-jars Anblicke wurden aller Herzen durch seine Jugend und sein unschuldiges Aussehen innigst gerührt.

Durch einen glücklichen Zufall kam Farek-Serwar, der Räuberhauptmann, von welchem ich schon erzählt habe, gerade im selbigen Augenblick in die Stadt, als alles dieses vorging. Fortgezogen durch den Strom der Menge nach dem öffentlichen Platze, erblickte er nicht ohne Erstaunen seinen Pflegesohn, den man zur Hinrichtung führte. Alsbald hört er nur auf die Stimme seines Mutes, und an der Spitze seiner braven Gefährten stürzt er hervor, und ohne daß das Volk an Widerstand denkt, versucht er es mit ihnen, Bacht-jar zu befreien. Aber die Wache überwältigte sie und führte sie vor den König, welcher sie befragte, was sie zu diesem verwegenen Unternehmen angetrieben hätte.

»Herr,« antwortete Farek-Serwar, »dieser Jüngling ist mein Sohn, er ist lange bei mir gewesen, und ich weiß, er ist von englischem Gemüts und so gut, daß, wenn Euer Majestät seinen Tod befiehlt, Ihr auch zugleich den meinen befehlen müßt. Ach! wenn sein Vater und seine Mutter, die ohne Zweifel zu einem Fürstenhause gehören, wüßten, wo er sich befindet, sie würden ohne Zweifel nicht dulden, daß man ihn nur scheel ansähe.«

Bei dieser Rede fing der König an zu lachen. »Du redest irre,« sprach er, »erst sagst du uns, dieser Jüngling sei dein Sohn, und dann setzest du hinzu, daß sein Vater und seine Mutter von königlichem Geblüte sind.«

»Ich kann Euch gleich diesen Widerspruch lösen,« antwortete Farek-Serwar. »Eines Tages, als ich die Wüsten von Kerman durchstrich, fand ich ihn als neugeborenes Kind am Ufer eines Sees: es war in Goldstoff gekleidet und trug um den Hals ein köstliches Halsband von zehn schönen Perlen...«

»Hast du dieses Kleinod noch?« unterbrach ihn ungestüm der König.

»Ja, Herr, und ich kann es Euch zu Füßen legen,« antwortete der alte Pflegevater Bacht-jars.

Der König erkannte sogleich den Schmuck seines Sohnes und zweifelte nicht mehr an der Wahrheit. Er lief hin und zeigte die Sachen der Königin, welche sie ebensowohl erkannte. »Herr,« rief sie aus, »welche Kunde habt Ihr von unserm Sohne?«

»Da ist er selber,« antwortete Asad-bacht; und zu gleicher Zeit ließ er Bacht-jar herführen: er bemühte sich selber, ihm die Ketten abzunehmen und ihm königliche Kleider anzulegen.

Der Jüngling wußte nicht, wem er diese Verwandlung, die so plötzlich mit ihm vorging, zuschreiben sollte; aber er wurde bald noch weit mehr überrascht, als er Asad-bacht zu der Königin sagen hörte: »Da ist er, der geliebte Sohn, welchen wir in Kerman zurückzulassen gezwungen wurden!« Die Königin fiel ihm um den Hals, vergoß Freudentränen und hielt ihn lange innig umarmt.

Die zehn Wesire, deren treulose Einflüsterungen beinahe den Untergang des jungen Prinzen bewirkt hätten, wurden auf der Stelle enthauptet.

Asad-bacht räumte seinem Sohne den Thron ein. Die Großen des Reichs kamen, ihm den Eid der Treue zu leisten, und prächtige Feste feierten dieses freudige Ereignis.

Farek-Serwar wurde zum Großwesir ernannt, vergaß sein altes Gewerbe und regierte unter den Befehlen seines Pflegesohnes mit so viel Weisheit und Glück, daß diese ruhmvolle Regierung einen tiefen Eindruck in dem Gedächtnisse der Menschen zurücklie0, welche in ihren Geschichtsbüchern das Andenken davon aufbewahrt haben.«

Diese Erzählung ergötzte den Sultan sehr, und er bezeugte Scheherasaden das Vergnügen, welches dieselbe ihm gewährt hatte.

 

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Die folgenden Erzählungen sind aus Jonathan Scotts Ergänzung von Tausend und Einer Nacht.

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Da der Tag sich noch nicht zeigte, so fing sie folgendermaßen eine neue Geschichte von Asem und der Geisterkönigin an.

 


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