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Mit dem Anfange des Monates Januar 1832 klagte dieses Mädchen über öfters eintretende Schwäche, verfiel auch bald darauf zur Abendzeit in einen kurzen Schlaf. Anfänglich wurde es für eine Krankheit gehalten, endlich kam man darauf, sie aus dem Schlafe zu wecken, was aber nicht gelang; vielmehr mußte man zuwarten, bis sie selbst erwachte. Auf die Frage: wie ihr denn in ihrem Schlafe sey? gab sie an: sie könne nichts weiters sagen, als daß sie sich in ihrem Schlafe immer in einer dicken Finsterniß befinde.
Man wandte sich deßwegen an Herrn Dr. O..... in K....., und erzählte ihm die Anfälle dieser Person, worauf derselbe erwiderte, daß dieses Anzeigen von einem Somnambulismus seyen, und zugleich bemerkte, daß es für die fernere Gesundheit derselben besser wäre, wenn dieser Zustand unterdrückt werden könnte; er gab den Rath sie einigemale zu magnetisiren, wozu er die Art und Weise der Behandlung angab, fügte jedoch hinzu, wenn sich der Schlaf stärker zeige, dann sey der somnambüle Zustand richtig.
Das Magnetisiren bewirkte nichts; man gab es also gleich auf und überließ alles dem Gange der Natur, indem man nichts weniger als den Glauben hatte, daß dieses Mädchen je in einen somnambülen Zustand verfallen werde. Weil aber dennoch ihr Zustand immer mehr im Steigen als im Fallen erschien, so wandte man sich an den Herrn Oberamtsarzt Dr. H..... in G....., dessen Ansichten ganz mit jenen des Herrn Dr. O..... übereinstimmten und der noch besonders empfahl, daß man mit ihr, wenn es die Witterung gestatte, fleißig im Freien spazieren gehen sollte, indem dann der Zustand sich verlieren könne; Arzneimittel zur Hintertreibung anzuwenden seye nicht räthlich. Er erkundigte sich genau um ihr Alter, die Entwicklung ihrer Natur, (welche schon ein Jahr früher erfolgt war), ihre Beschäftigung und ihre Lectüre. Man sagte ihm nun: daß sie 16¾ Jahre alt sey, daß sie sich mit allerlei häuslichen Verrichtungen, als: Stricken, Nähen, Spinnen etc. beschäftige; die Bücher, die sie lese, seyen geistliche Schriften; nämlich: die Bibel, Joh. Arndts wahres Christentum, Hartmanns Predigten, Friedrich Starkens Gebetbuch, dessen Morgen- und Abendandachten, und andere lehrreiche Gebete, auch schöne geistreiche Lieder in unserm würtembergischen Gesangbuche; weltliche Bücher kenne sie keine als Gellerts Fabeln. Was hier angegeben wurde, kann auf Verlangen mit den glaubwürdigsten Zeugnissen belegt werden. Ihr Wandel sey tadellos von ihrer zartesten Kindheit an, sie sey durchaus keine Freundin von Ausschweifungen und man möchte behaupten, daß sie bis jezt noch nicht aus ihrer Taufgnade gefallen sey.
Der Rath mit ihr spazieren zu gehen, wurde ganz pünktlich befolgt und mit ihr sogar in der Mitte des Monates März eine Lustreise nach Ulm unternommen, welche hin und her 22 Poststunden beträgt und in 2 und ¾ Tagen zurückgelegt war; aber anstatt daß ihr Zustand abnahm, zeigte er sich vielmehr immer in stärkerem Grade, bis sie endlich zu Ende des Monates März 1832 in einem gegen ¾ Stunden angehaltenen somnambülen Schlafe angab, daß sich ein Führer bei ihr zeige, dessen Persönlichkeit sie während des Schlafes sodann genau angab, und ihn folgendermaßen bezeichnete: Er seye ein schöner junger Mann von ungefähr 20 Jahren, sein Angesicht sey hellroth, sein Auge scharf, doch, neben aller Ernsthaftigkeit ganz liebevoll, seine Haare seyen etwas gerollt, und seine Kleidung dunkelblau; so wie er ihr sage sey dieses keine himmlische Kleidung, er müsse sich aber jetzt und auch das Nächstemal in dieser Gestalt zeigen, weil sie für eine himmlische noch nicht vorbereitet seye.«
Hierauf gab sie an, daß sie ihr Führer in drei Tagen wieder besuchen wolle, um ihr für das Künftige Näheres zu eröffnen und sie vorzubereiten.
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Wie unsere Somnambüle angegeben hatte, so geschah es auch, 3 Tage nachher, Abends halb 9 Uhr verfiel sie in einen Schlaf, während dessen sich ihr Führer in der schon beschriebenen Gestalt zeigte, und sie gleichsam einsegnete. Er gab ihr dabei die Verheißung:
»daß sie einen weit höhern Grad im Hellsehen erreichen werde, jedoch jezt dazu noch nicht empfänglich genug sey; er werde sich auch nicht sogleich mehr bei ihr einfinden, der Schlaf aber werde sie immer häufiger überfallen, in welchem sie jedoch nichts weiter als Finsternisse, und hie und da starke Hellen wahrnehmen werde: durch diese werde sie geschwächt, und für das, was sie werden soll, vorbereitet.«
Alles dieses erfolgte wirklich. Erst im Monat August zeigte sich der Führer wieder bei ihr, aber ganz kurz, er gab auch nichts weiter von sich als:
»daß er in der Mitte des Monates September sich wieder bei ihr einfinden werde.«
Richtig geschah dieses; er verweilte sich etwas länger und äußerte:
»daß er bis den 19. Oktober dieses Jahres ausbleiben werde, an diesem Tage aber, Nachmittags halb 2 Uhr wolle er sich – und sodann immer häufiger – bei ihr einfinden und die erste Reise mit ihr vornehmen.«
Es wurde ihr aber nicht gesagt welche und wohin.
Die Anwesenheit des Führers wurde dadurch merklich, daß sie ihn jedesmal mit ihrer rechten Hand empfing und so lange fest hielt, bis er wiederum von ihr geschieden war.
Ein für allemal wird hier bemerkt: daß diese Somnambüle, von allem dem, was sie in ihrem magnetischen Schlafe gesprochen hat, im naturwachen Zustande gar nichts wußte, und jedesmal fragte:
»Was habe ich denn gesprochen?«
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